RESILIENTE WERTSCHÖPFUNG IM LICHTE VON COVID-19 - WISTO.AT
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Analyse der wirtschaftlichen Implikationen der Krise auf die produzierende Vorarlberger Wirtschaft und Empfehlungen zur Absicherung der regionalen Wertschöpfung WISTO.AT IM LICHTE VON COVID-19 RESILIENTE WERTSCHÖPFUNG
IMPRESSUM Juli 2021 Herausgeber Pöchhacker Innovation Consulting GmbH Hofgasse 3 4020 Linz Industriewissenschaftliches Institut (IWI) e.V. Mittersteig 10/4 1050 Wien Wirtschafts-Standort Vorarlberg GmbH (WISTO) Hintere Achmühlerstraße 1 6850 Dornbirn Skizzen/Grafiken © Wirtschafts-Standort Vorarlberg GmbH (WISTO) © Industriewissenschaftliches Institut (IWI)
01 EINLEITUNG 6 01.1 Ausgangslage 07 01.2 Zielsetzungen der Studie 08 01.3 Gültigkeitsbereich und Abgrenzungen 09 01.4 Aufbau der Studie 10 01.5 Methodik 11 01.6 Auftrag 13 02 TRENDS 14 02.1 Resiliente globale Wertschöpfungsketten (GVCs) 16 02.2 KMU in internationalen Wertschöpfungsketten 18 02.3 Rückverlagerung der Produktion 19 02.4 Regionale Wertschöpfungsketten 20 02.5 Absicherung und Erhalt der Produktion 21 02.6 Bewusstsein für regionale Wirtschaft 22 02.7 Zusammenfassung Trends 23 03 NETZWERKANALYSE 24 03.1 Bedeutung der Sachgüterproduktion 25 03.2 Volkswirtschaftliche Effekte und Modellierung 29 03.3 Die Branchenstruktur der Sachgüterproduktion 34 03.4 Internationale Verflechtung der Wertschöpfungsketten 36 03.5 Entwicklung des Außenhandels im Zuge von COVID-19 40 03.6 Zusammenfassung Netzwerkanalyse 44 04 ERHEBUNGSERGEBNISSE 46 04.1 Auswirkungen von COVID-19 47 04.2 Regionale vs. internationale Beschaffung 53 04.3 Management von Wertschöpfungsketten 57 04.4 Absicherung der regionalen Wertschöpfung 64 04.5 Zusammenfassung Erhebungsergebnisse 72 05 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 74 05.1 Zielsetzungen 75 05.2 Erkenntnisse 76 05.3 Handlungsfelder 79 IWI-Wertschöpfungsketten 92 Qualitative Interviews - Interviewpartner*innen 93 Online-Befragung - Details 94 Quellenverzeichnis 95
Vorarlberg ist eine industriell geprägte Region. Knapp 39 % Italien durchaus resilient(er) – nicht zuletzt deshalb, da diese der Wertschöpfung in Vorarlberg werden durch den produ- zugleich internationalen und dennoch regionalen Charakter zierenden Bereich generiert. Das sind über 10 Prozentpunkte aufweisen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch festhal- mehr als im Durchschnitt der anderen österreichischen Bun- ten, dass die Diversität und Branchenvielfalt der Vorarlberger desländer. Dazu ist fast jeder Dritte Beschäftigte in Vorarlberg Industrie wesentliche Stärken des Standorts sind und einen im produzierenden Bereich angestellt, insgesamt finden hier zentralen Faktor für die Resilienz der regionalen Wirtschaft rund 65.000 Menschen Arbeit. darstellen. Die hohe Industriedichte Vorarlbergs und die daraus resul- Die Wertschöpfungsketten der produzierenden Unterneh- tierende Leistungskraft trägt maßgeblich zur Stärkung der men gestalten sich sehr unterschiedlich und sind kaum unter- österreichischen Wirtschaft gesamt sowie der Vorarlberger einander vergleichbar. Deshalb ist die Absicherung von Wert- Regionalwirtschaft bei. Allein der produzierende Kernbereich, schöpfungsketten vor allem durch die Unternehmen selbst die Herstellung von Waren, löst erhebliche volkswirtschaftli- voranzutreiben. Das Gros der Vorarlberger Betriebe ist sich che Effekte aus. Dies geschieht nicht nur durch die wirtschaf- bewusst, dass ein aktives Supply Chain Management ein kri- tende Tätigkeit der Produktionsbetriebe, sondern auch durch tischer Erfolgsfaktor ist und gestaltet diesen Unternehmens- das Auslösen volkswirtschaftlicher Leistungen in vor- und prozess bereits professionell auf hohem Niveau. Das gute nachgelagerten Wirtschaftsbereichen entlang der gesamten Wertschöpfungsketten-Management ist auch mit ein Grund Wertschöpfungskette. Dazu kommen induzierte Effekte, wie dafür, dass die Vorarlberger Produktionswirtschaft gut durch der durch die direkte und indirekte Beschäftigung ermöglich- die Krise kam und weniger infolge von Störungen in den Lie- te Konsum sowie Investitionseffekte entlang der gesamten ferketten beeinträchtigt wurde als durch Nachfragerückgän- Wertschöpfungskette. Pro Euro Wertschöpfung der Vorarl- ge im Zuge der allgemeinen Investitionszurückhaltung. berger Warenherstellung werden im direkten oder indirekten Effekt weitere EUR 1,32 Wertschöpfung in ganz Österreich Die Unternehmen begrüßen die Anstrengungen der Poli- erwirtschaftet. tik regionale Wertschöpfungsstrukturen – wo sinnhaft – zu stärken. Es herrscht Konsens am Standort darüber, dass ein 5 Dazu kommt, dass – gemessen an Arbeitsproduktivität, schädlicher „Wirtschaftsnationalismus“ zu vermeiden ist. Ein Lohnstückkosten und Wertschöpfung pro Unternehmen – Vorgehen nach dem Motto „Regionalität um jeden Preis“ wäre die Vorarlberger Sachgüterproduktion eine im Vergleich zum demnach der falsche Ansatz und könnte auch ein schlechtes österreichischen Durchschnitt höhere Leistungskraft zeigt, Signal nach außen darstellen, insbesondere bei (politischer) sodass ihr im Vergleich eine überdurchschnittlich hohe Wett- Nachahmung im Ausland, da Vorarlberg selbst eine stark vom bewerbsfähigkeit attestiert werden kann. Export profitierende und auch davon abhängige Region ist. 70 % des Welthandels sind in globalen Wertschöpfungsket- Der Erhalt einer international wettbewerbsfähigen industriel- ten organisiert. Die COVID-19 Pandemie führte weltweit zu len Produktion in Vorarlberg sollte – aus Unternehmenssicht Einbrüchen in der global arbeitsteiligen Wirtschaft. Öster- – als Grundvoraussetzung für alle anderen Ziele und Hand- reich zeigt sich im internationalen Vergleich mit einem nega- lungsfelder gesehen werden. Da die Unternehmen des pro- tiven Wirtschaftswachstum 2020 um real -6,3 % gegenüber duzierenden Sektors im globalen Wettbewerb stehen, benö- dem BIP des Vorjahres als besonders hart getroffen. Die ex- tigen sie entsprechende Rahmenbedingungen, um in diesem portorientierte österreichische Wirtschaft musste Einbußen bestehen zu können. In dieser Hinsicht wurden im Rahmen hinnehmen, die Ausfuhren gingen von EUR 153,5 Mrd. (2019) der Studie drei zentrale Anliegen der Unternehmen deutlich: auf EUR 141,9 Mrd. (2020) zurück. Auch der Wirtschaftsraum Die Stärkung der Innovationskraft in der Region, Gegenmaß- Vorarlberg wurde durch das von der COVID-19 Pandemie nahmen zur Bekämpfung des Mangels an Fachkräften sowie verursachte Erodieren von Lieferketten und auftretenden die ausreichende Verfügbarkeit von Gewerbeflächen. Lieferengpässen in Mitleidenschaft gezogen, im Österreich- vergleich jedoch weniger stark. Dabei ist Vorarlberg nicht exponierter als andere österreichische Regionen, unter- scheidet sich jedoch im Setting seiner Zulieferer- und Ab- satzmärkte. Die Lieferketten sind aufgrund der geografischen Lage Vorarlbergs als Drehkreuz inmitten seiner wichtigsten Handelspartner Deutschland, Schweiz, Liechtenstein und
01.1 AUSGANGSLAGE Infolge der COVID-19 Pandemie und der getroffenen Ein- dämmungsmaßnahmen ist es zu einem massiven Einbruch des Welthandels und zu weitreichenden Problemen in inter- nationalen Wertschöpfungsketten gekommen. Werksschlie- ßungen, Produktionsunterbrechungen und beeinträchtigte Logistikketten waren zu beobachten und führten insbeson- dere zu Beginn der Pandemie zu Lieferengpässen und aus- bleibenden Vorleistungszulieferungen. Andererseits ist auch die Nachfrage nach Vorleistungen sowie Investitions- und Konsumgütern empfindlich zurückgegangen. Wöchentlicher BIP-Indikator für Österreich Veränderung des realen BIP gegenüber dem Vorjahr in % 10 5 7 0 -5 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 1 3 5 7 9 11 13 15 -1 0 2020 2021 -1 5 -2 0 -2 5 -3 0 Das hat zu einem dramatischen Rückgang der weltweiten Abb. 1: Wöchentlicher BIP-Indikator für Österreich Anm.: 2020: KW 12: Lockdown; ab KW 16: Schrittweise Öffnungen; Wirtschaftsleistung geführt. Laut OECD sank das BIP der KW 45: Teillockdown; KW 47: Lockdown; KW 50: Teillockdown; KW 52: EU-27 um 6,3 % im Jahr 2020. In Österreich brach die Wirt- Lockdown; 2021: KW 6: Teillockdown; KW 13: Lockdown Ostöster- schaftsleistung nach vorläufigen Zahlen um 7,4 % ein (vgl. 1 reich Quelle: Wirtschaftsmonitoring Vorarlberg (https://vorarlberg.at/moni- Abb. 1), wobei die Konjunkturentwicklung die Auswirkungen toring) infolge des Infektionsverlaufs und pandemiebedingter Reak- tionen widerspiegelt. Der erste Lockdown im Frühjahr 2020 bewirkte einen abrupten, besonders kräftigen Konjunktur- einbruch verbunden mit starken Rückgängen der Exportleis- tungen. Nach einer Erholungsphase infolge der Lockerungs- schritte im Sommer 2020 folgten erneute Lockdowns in Österreich Ende 2020 und Anfang 2021, die wiederum deut- liche Rückgänge der wirtschaftlichen Aktivitäten bedeuteten. Diese fielen aufgrund der einsetzenden Erholung des Welt- handels ab der zweiten Jahreshälfte 2020 und wieder etwas stabileren internationalen Lieferketten jedoch weniger stark aus, wovon der Außenhandel und die Industrieproduktion profitierten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibt aber durch die fortwährende Beeinträchtigung der Wirtschaftsstätigkeit in den Bereichen Handel, Gastronomie, Beherbergung und 1 Vorläufige Zahlen März 2021. Bestätigte Zahlen der Statistik Austria, abgerufen sonstiger Dienstleistungen weiterhin gedämpft. im Juni 2021, weisen für das Jahr 2020 immerhin noch ein negatives Wirtschaftswachstum von 6,3% gegenüber dem Vorjahr aus.
Betroffen vom Einbruch des internationalen Handels waren vor allem diejenigen Regionen (Europa, Nordamerika und Asien), die am stärksten über internationale Wertschöpfungs- ketten miteinander verflochten sind. Die Vorarlberger Pro- duktionswirtschaft weist etwa mit Export- und Importquoten (vgl. Tab. 1), die weit über jenen Österreichs und der EU-27 liegen, einen überdurchschnittlich ausgeprägten Internatio- nalisierungsgrad auf und zeichnet sich durch eine intensive globale Zuliefer- und Lieferverflechtung aus. Lieferprobleme und Verzögerungen in den Wertschöpfungsketten wirkten sich deshalb spürbar auf die exportorientierte produzierende Wirtschaft in Vorarlberg aus. Im 1. Halbjahr 2020 sanken der Gesamtwert der Ausfuhren um 8,4 % und jener der Einfuhren um 8,5 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Produktion im Sachgüterbereich im Jahr 2020 nominell um 3,8 % ab. Tabelle 1: Vergleich der Export- und Importquoten (Waren) 2019 von Vorarlberg mit Österreich und EU-27 8 Quelle: WKO Statistik Export- und Importquoten; Statistik Austria (ei- gene Berechnungen) 01.2 ZIELSETZUNGEN DER STUDIE Zur Bewältigung der wirtschaftlichen Krise reagierte der Bund COVID-19 Krise auf die Sachgütererzeugung mit Fokus auf mit einem Bündel an Sofort- und Sicherungsmaßnahmen internationale Wertschöpfungsketten und Sourcingstrate- für Unternehmen. Insbesondere sind liquiditätsfördernde gien von Vorarlberger Produktionsbetrieben sowie deren Hilfsmaßnahmen sowie eine Kurzarbeitsregelung zur Absi- eigene Maßnahmen zur Resilienzverbesserung der Waren- cherung der Beschäftigung umgesetzt worden. Ergänzend und Güterströme. Die Studie untersucht folgende Fragestel- dazu erarbeitete das Land Vorarlberg ein umfassendes Im- lungen: pulsprogramm, das neben unmittelbar beschäftigungs- und konjunkturwirksamen Maßnahmen und Förderungen auch • Wie bedeutend ist die produzierende Wirtschaft für gezielte Projekte sowie nachhaltige, zukunftsträchtige Inves- Wohlstand und Beschäftigung in Vorarlberg? titionen vorsieht, um die Wirtschaftsstruktur des Landes wi- • Welche Auswirkungen hatte die COVID-19 Krise auf die derstandsfähiger und zukunftssicherer zu gestalten. produzierende Vorarlberger Wirtschaft? • Wie resilient sind die internationalen Wertschöpfungs- Die vorliegende Studie liefert einen Beitrag zum Verständnis ketten der produzierenden Wirtschaft? der Resilienz der produzierenden Vorarlberger Wirtschaft. • Wie kann künftigen ökonomischen Schocks und Risiken Der Begriff Resilienz steht im Studienzusammenhang für die wirkungsvoll begegnet werden? Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft • Welche Maßnahmen sind für die Absicherung der pro- an sich ändernde Gegebenheiten bzw. externe ökonomische duzierenden Wirtschaft erforderlich? Schocks. Die Studie wurde erstellt, um zielgerichtete Maßnahmen für den produzierenden Sektor am Standort abzuleiten. Zu die- sem Zweck beleuchtet die Studie die Auswirkungen der
01.3 GÜLTIGKEITSBEREICH UND ABGRENZUNGEN Der Fokus der Betrachtung liegt ausschließlich auf der Vorarlberger Sachgütererzeu- gung (im Folgenden auch Sachgüterproduktion genannt), da diese über den Import von Vorleistungen und den Export von Gütern wesentlich exponierter ist als andere, mehr regional geprägte Wirtschaftsbereiche. Makroökonomische Beeinträchtigun- gen von global gestörten Wertschöpfungsketten wiegen deshalb insbesondere in der Sachgütererzeugung schwer. Darüber hinaus kommt diesem Sektor kraft seiner innovations-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Relevanz als Stabilitäts- und Resilienzfaktor eine zentrale Bedeutung für den Lebens- und Wirtschaftsstandort Vor- arlberg zu. Der Begriff der Sachgütererzeugung steht dabei äquivalent zum Abschnitt C Herstel- 2 lung von Waren nach der Systematik der Wirtschaftstätigkeiten (ÖNACE 2008) und umfasst insgesamt 24 Branchen; damit sind wichtige Wirtschaftsbereiche wie etwa der Maschinenbau und die Metallerzeugung, Fahrzeuge, Chemie ebenso wie Gummi und Kunststoff, Elektro- und Elektronik, Papier oder Nahrungsmittel inkludiert. Der produzierende Bereich (sekundärer Sektor) hingegen beinhaltet neben der Her- 9 stellung von Waren des Weiteren den Bergbau und die Gewinnung von Steinen und Er- den, die Energie- und Wasserversorgung, die Wasser- und Abfallentsorgung sowie den Bau (vgl. Abb. 2). Diese Branchen, wie auch weitere Wirtschaftszweige inkl. Handel oder Tourismus, sind nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Zum einen sind deren interna- tionale Verflechtungen in (globalen) Wertschöpfungsketten teilweise geringer; ande- rerseits sind diese Bereiche durch andere Effekte der Pandemie betroffen, die eine differenziertere Betrachtung der Auswirkungen und Rahmenbedingungen erfordern. B - Bergbau Nahrungs- und Futtermittel Fokus der Betrachtung: Textilien, Gummi- und Kunst- C - Herstellung von Waren stoff, Metallerzeugung, SACHGÜTERERZEUGUNG/ Maschinenbau -PRODUKTION PRODUZIERENDER BEREICH D - Energieversorgung (sekundärer Sektor) E - Wasserversorgung F - Bau Abb. 2: Einordnung der Sachgütererzeugung in den produ- zierenden Sektor. Untersuchungsgegenstand der Studie. Quelle: eigene Darstellung 2 wird auch als „Industrie im engeren Sinn“ bezeichnet.
01.4 AUFBAU DER STUDIE von der individuellen Strategie eines Unternehmens ab und wird von Kriterien wie Preis, Qualität, Verfügbar- KAPITEL 02 - STUDIEN-/TRENDANALYSE keit, Ausfallsrisiko, Lieferantenbonität etc. bestimmt. Welche Beweggründe Unternehmen veranlassen re- Die Thematik der Resilienz von regionalen und globalen gional oder international zu sourcen, sind Gegenstand Wertschöpfungsketten hat im Zuge der COVID-19 Pande- dieses Abschnitts und geben Aufschluss über die Be- mie enorm an Bedeutung gewonnen und kann nur im inter- deutung unterschiedlicher Lieferketten, Sourcingmög- nationalen Kontext gesehen werden. Dieses rezente Wissen lichkeiten und Beschaffungsstrategien. über die Implikationen der COVID-19 Pandemie auf regionale und internationale Wertschöpfungsketten und relevante Er- • Management von Wertschöpfungsketten: Dieser Ab- kenntnisse hinsichtlich der Steigerung der Resilienz dieser schnitt gibt einen Einblick in das Supply Chain Manage- Wertschöpfungsketten ist in Kapitel 02 zusammenfassend ment der Vorarlberger Unternehmen und zeigt, welche dargelegt. Gegliedert ist dieses Kapitel nach den wesent- Maßnahmen gesetzt werden, um Wertschöpfungsket- lichsten Einflussfaktoren zum Erhalt und Ausbau regionaler ten (kunden- und lieferantenseitig) widerstandsfähig Wertschöpfung. zu gestalten. Zudem ist abgeleitet, welche wertschöp- fungssichernden Maßnahmen in Krisenzeiten bedeu- Die Trendanalyse wurde von der P-IC in Form von Dossiers tend sind bzw. werden, um robuster und agiler auf dis- durchgeführt und in weiterer Folge für die Studie verdichtet. ruptive Ereignisse und externe Schocks zu reagieren. 10 KAPITEL 03 - NETZWERKANALYSE • Absicherung der regionalen Wertschöpfung: Ab- schließend sind Maßnahmen und Rahmenbedingungen Eine Charakterisierung des produzierenden Sektors hinsicht- ausgeführt, die aus Unternehmenssicht als wesentlich lich seiner Branchenstruktur, seiner Bedeutung für Wert- für eine dauerhafte Absicherung der Wertschöpfung in schöpfung und Beschäftigung und seiner Vernetztheit erfolgt Vorarlberg gewertet werden. Darüber hinaus sind zent- in Kapitel 03. Ein Schwerpunkt ist die Darstellung der gesamt- rale Kernaussagen enthalten, die im Zuge der Erhebung wirtschaftlichen Effekte des produzierenden Sektors Vorarl- herausgearbeitet werden konnten und leitlinienhaft bei bergs sowie von vor- und nachgelagerten (internationalen) der Ausgestaltung von Maßnahmen zur Verbesserung Wertschöpfungsstrukturen für wichtige Branchen der Vorarl- von Rahmenbedingungen für den produzierenden Be- berger Produktionswirtschaft. Daraus lassen sich Erkenntnis- reich berücksichtigt werden sollten. se zu strukturellen, grenzüberschreitenden Abhängigkeiten wichtiger Branchen ableiten. Zudem sind anhand aktueller KAPITEL 05 - HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Zahlen die ökonomischen Auswirkungen von COVID-19 auf den produzierenden Sektor in Vorarlberg und im Vergleich zu Auf Basis der in den genannten Arbeitsschritten gewonnenen Österreich analysiert und dargestellt. Erkenntnisse, der Erhebung von Handlungsmöglichkeiten so- wie ihrer Bewertung durch den Vorarlberger Produktionssek- KAPITEL 04 - ERHEBUNGSERGEBNISSE tor finden sich Ansatzpunkte und Handlungsempfehlungen. Sie bilden eine Grundlage für die Ableitung von Handlungs- • Auswirkungen durch COVID-19: Die Auswirkungen empfehlungen mit dem Ziel, die regionale Wertschöpfung in der Pandemie auf die Wertschöpfungsketten und den Vorarlberg abzusichern und nachhaltig zu stärken. Geschäftsbetrieb der Vorarlberger Produktionsbetriebe sind aus den Erhebungen abgeleitet. Diese lassen er- kennen, in welchen Bereichen die häufigsten Probleme und zentralen Herausforderungen infolge der Pandemie und der pandemiebedingten Restriktionen für die Be- triebe entstanden. • Regionale vs. internationale Beschaffung: Über die Beschaffungsstrategie legt ein Unternehmen fest, von woher und von wie vielen Lieferanten es seine Rohstof- fe und Vorleistungen bezieht. Die Entscheidung hängt
01.5 METHODIK QUALITATIVE INTERVIEWS STUDIEN-/TRENDANALYSE Um einen profunden Einblick in die Organisation und Funk- tionsmechanismen der Supply Chains der Vorarlberger In der jüngsten Vergangenheit wurden zur vorliegenden Sachgüterunternehmen zu erhalten und einen Eindruck der Thematik und Fragestellung zahlreiche neue internatio- Auswirkungen der Krise zu gewinnen, erfolgte eine Umfrage nale Studien und Expertenpapiere veröffentlicht. Um die- in Form von qualitativen Interviews. Befragt wurden Entschei- ses aktuelle Wissen für die Studie resilienter Vorarlberger dungsträger*innen (insb. Personen der Geschäftsführung Wertschöpfung zu erschließen, wurde eine international und Führungskräfte aus Supply Chain Management) von 20 orientierte Trendanalyse – vorwiegend mittels Desktop-/Inter- Vorarlberger Produktionsunternehmen im Zeitraum Okto- net-Recherche – hinsichtlich wesentlicher Erkenntnisse und ber-Dezember 2020. Dabei handelt es sich vornehmlich um möglicher Handlungslinien zur Stärkung der Resilienz von produzierende (Lead)-Unternehmen mit internationaler Ver- Wertschöpfungsketten durchgeführt. Die Ergebnisse dieses netzung aus den in der Netzwerkanalyse definierten Schwer- Arbeitsschritts dienten weiters als Orientierung für die Ablei- punktbranchen. Vereinzelt wurden auch weiterführende Un- tung eines Interviewleitfadens (Gesprächsgrundlage) für die ternehmen miteinbezogen, deren Befragung im Rahmen der Tiefeninterviews mit Vertreter*innen von Vorarlberger Pro- Interviews empfohlen wurde. duktionsbetrieben. Die Ergebnisse finden sich in Kapitel 02. Die pandemiebedingt online durchgeführten Interviews NETZWERKANALYSE wurden federführend von der Pöchhacker Innovation Con- 11 sulting GmbH (P-IC) unter Teilnahme der WISTO geleitet. Für die Netzwerk- bzw. volkswirtschaftliche Analyse der pro- duzierenden Wirtschaft wurden auf Grundlage eines offenen statischen Leontief-Modells makroökonomische Input-Out- Die Resilienz von regionalen und put Berechnungen anhand eines Output-zu-Output-Modells durchgeführt. Anhand dieser Methode als auch der Daten- globalen Wertschöpfungsketten analyse regionaler Gesamtrechnungen wurden die von der hat in der Pandemie enorm an Herstellung von Waren Vorarlbergs in Österreich ausgelösten volkswirtschaftlichen Effekte errechnet sowie grenzüber- Bedeutung gewonnen. schreitende Abhängigkeiten wichtiger Branchen dargestellt. Zudem wurde ein Vergleich des Profils von Vorarlberg mit Die teilstrukturierten, nachfrageorientierten Gespräche be- jenem von Österreich gemacht. Diese Aufgabe wurde vom handelten zwei übergreifende Themenblöcke: Im ersten Teil Industriewissenschaftlichen Institut (IWI) vorgenommen. Die der Gespräche wurden die Einbindung der Unternehmen in Ergebnisse finden sich in Kapitel 03 Netzwerkanalyse. internationale Wertschöpfungsketten, diesbezügliche Erfah- rungen und Wirkungen während der COVID-19 Krise sowie unternehmensinterne Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz behandelt. Für den zweiten Teil der Interviews wurden ver- schiedene Themenkreise in Form eines Fragenkatalogs vor- bereitet, welcher sich mit Fragestellungen für eine resilientere Wertschöpfung in Vorarlberg befasst. Um ein zusätzliches Verständnis für die Thematik aufzu- bauen, wurden ergänzende Gespräche mit Expert*innen (aus Vorarlberg sowie auf Bundesebene) aus den Bereichen Be- schaffungswesen, Logistik, Standortentwicklung und Öko- nomie geführt. Die Liste der Gesprächspartner*innen ist im Anhang angeführt.
ONLINE-BEFRAGUNG Die in wesentlichen Themenfeldern konsistenten Befra- gungsergebnisse der Tiefeninterviews ließen eine breiter angelegte Befragung zu, welche zum Zweck der Überprü- fung und Absicherung der aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse diente. Aufbauend auf den Inhalten und Ant- worten der qualitativen Umfrage wurde ein standardisierter Online-Fragebogen erarbeitet, der an 356 Unternehmens- vertretende (wiederum entscheidungsbefugte Personen re- levanter strategischer Bereiche) von Vorarlberger Betrieben der Sachgütererzeugung versendet wurde. An der Online- Befragung, die im Februar/März 2021 durchgeführt wurde, nahmen 107 Unternehmen teil (Beteiligungsquote von 30 %). Im Durchschnitt beantworteten 90 % der Umfrageteilneh- menden die gesamte Umfrage (Abschlussquote von 90 %). 3 In die Online-Befragung wurden mehrheitlich KMU einbe- zogen, um auch die Sichtweise und Situation des für Vor- arlberg wichtigen KMU-Segments zu beleuchten. Von den teilnehmenden Unternehmen handelt es sich bei zwei Drittel um KMU und bei einem Drittel um Großunternehmen. Sowohl Tiefeninterviews als auch die Online-Befragung führten zu weitgehend übereinstimmenden Aussagen. Die Ergebnisse der Online-Befragung eignen sich demnach, um die qualita- tive Beschreibung mit Daten aus der Umfrage zu stützen. Die Ergebnisse beider Erhebungen sind in Kapitel 04 nach den vier Themenbereichen „Auswirkungen durch COVID-19 auf die Vorarlberger Sachgüterproduktion”, „Beweggründe für 12 eine regionale bzw. internationale Beschaffung”, „Wertschöp- fungsketten am Standort” sowie „Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz” geclustert wiedergegeben. HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Abschließend mündet die zusammenfassende Analyse der vorhergehenden Erhebungen in die Erarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen zur Stärkung der regionalen Wert- schöpfungsketten in Vorarlberg. Fünf Handlungsfelder sind identifiziert worden. Die Handlungsfelder gliedern sich in die Themenbereiche „Erhöhung der Verfügbarkeit von Produk- tionsfaktoren“, „Auf- und Ausbau resilienter Wertschöpfungs- ketten“, „Unterstützung bei der Modernisierung der Wirt- schaftsstruktur“, „Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit“ und „Ausbau des Bewusstseins für Regionalität“. Die fünf Handlungsfelder enthalten Vorschläge für Initiativen und Maßnahmen, womit sich konkrete Hand- lungsempfehlungen ableiten lassen. 3 Klein- und Mittelunternehmen bis max. 250 Mitarbeitende, EUR 50 Mio. Umsatz, EUR 43 Mio. Bilanzsumme
01.6 AUFTRAG Die Wirtschafts-Standort Vorarlberg GmbH (WISTO) wurde im Rahmen des Konjunkturprogramms des Landes Vorarl- berg zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Krise mit der Erarbeitung einer Studie zum Thema „Resiliente Wertschöpfung in Vorarlberg“ betraut. Für die Stu- dienerstellung wurde mit der Pöchhacker Innovation Consul- ting GmbH (P-IC) und dem Industriewissenschaftlichen Insti- tut (IWI) zusammengearbeitet. 13 (c) Darko Todorovic
02 TRENDS COVID-19 und globale Wertschöpfungsketten in internationalen Studien
Globale Wertschöpfungsketten (Global Value Chains – GVCs) prägen das globale Wirtschaftssystem, wie wir es heute kennen. Volkswirtschaften sind über Investi- tionen, Wissensaustausch und Arbeitsteilung eng miteinander verzahnt. Der Groß- teil des Welthandels ist in solchen globalen Wertschöpfungsketten organisiert und 70 % der internationalen Handelsströme beinhalten den Austausch von Rohstoffen, Komponenten, Dienstleistungen und Kapitalgütern (OECD, 2020b). Seit dem Jahr 2000 hat sich der Wert der global gehandelten Zwischengüter auf mehr als $ 10 Billionen verdreifacht Der Großteil des Welthandels ist (McKinsey Global Institute, 2020). in globalen Wertschöpfungsketten Allerdings ist nunmehr schon seit ei- organisiert. nigen Jahren eine nachlassende Dy- namik in der internationalen Arbeits- teilung festzustellen und ökonomische Daten weisen darauf hin, dass die vormals stetig voranschreitende Ausbreitung von GVCs seit 2011 stagniert. Als Erklärung hierfür werden mehrere Gründe angeführt, etwa die rasch voranschreitende Digi- talisierung, eine stärkere Regionalisierung und Kundennähe von Wertschöpfungs- ketten aber auch zunehmende Handelsspannungen und internationale Handels- 15 restriktionen (McKinsey Global Institute, 2020). Durch COVID-19 ist nun ein anderer Aspekt in den Fokus dieser Debatte gerückt: Die Anfälligkeit globaler Wertschöpfungsketten gegenüber globalen Krisen wie der aktuellen Pandemie und die Risiken, die damit einhergehen. Der Ausbruch des CO- VID-19 Virus hat die internationale Arbeitsteilung in GVCs massiv gestört. Produk- tionsstätten wurden gedrosselt oder geschlossen, Lieferketten unterbrochen und aus dem Ausland stammende Vorleistungen waren nicht mehr verfügbar. Dazu kam ein Rückgang der Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern. Die internationalen Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 wirkten durch mehrere Kanäle auf die GVCs: Zu Beginn gab es einen direkten Effekt, indem Unter- nehmen in China ihre Produktionsstätten schlossen bzw. ihre Produktion massiv zurückfuhren, wodurch dort hergestellte Zwischenprodukte in anderen Ländern zur Weiterverarbeitung fehlten. COVID-19 verdeutlichte dabei einmal mehr die Ab- hängigkeit der Weltwirtschaft von China. Mit einer Verzögerung und entsprechend dem Verlauf der Pandemie reagierten Länder weltweit ähnlich und implementierten Lockdown-Maßnahmen, die zu erheblichen Einschränkungen in der Produktion als auch der Nachfrage nach Dienstleistungen und vielen Konsumgütern führten. Zu- dem verringerten Unternehmen als Reaktion auf Produktionsstopps, Umsatzein- bußen und hohe Unsicherheit ihre Investitionen, was wiederum die Nachfrage nach Investitionsgütern dämpfte (ifo, 2020). Hinzu kamen Störungen in den internatio- nalen Logistik- und Transportnetzen. Additional zu den direkten Auswirkungen auf die Transportunternehmen wurden diese auch durch Beschränkungen des Perso- nenverkehrs und zusätzliche Anforderungen an die Zollabfertigung an der Grenze beeinträchtigt (OECD, 2020b).
02.1 RESILIENTE GLOBALE WERTSCHÖPFUNGSKETTEN (GVCS) PANDEMIE VERDEUTLICHT RISIKEN UND STRATEGIEN ZUR ERHÖHUNG DER RESILIENZ ABHÄNGIGKEITEN Die Struktur einer GVC kann ganz wesentlich deren Anfällig- Auch wenn die COVID-19 Krise Störungen in den globalen keit gegenüber Schocks und Krisen bestimmen und stellt da- Lieferketten in kaum gekanntem Ausmaß hervorgerufen hat, mit einen Ansatzpunkt zur Resilienzstärkung dar. Wesentliche so ist die Pandemie nicht die erste massive Beeinträchtigung Maßnahmen zur Restrukturierung globaler Wertschöpfungs- der globalen Wertschöpfungsnetzwerke. Sie hat aber (erneut) ketten sind z. B.: die Anfälligkeiten und Risiken von GVCs sichtbar gemacht. GVCs stellen in der Regel komplexe Konstrukte mit zahlrei- • Dual und Multiple Sourcing-Strategien anstatt Single chen Teilnehmenden, Regionen und Wertschöpfungsstu- Sourcing-Strategien: Die Schaffung von Redundanzen fen dar, wobei das komplette Lieferanten-Ökosystem eines in der GVC wird als wesentlicher Schritt gesehen. Das global agierenden multinationalen Unternehmens tausende, Ausweichen auf eine größere Anzahl an Zulieferern re- auf der ganzen Welt verteilte, Unternehmen umfassen kann. duziert das Ausfallrisiko eines Wertschöpfungspartners Mit zunehmender Länge der Wertschöpfungskette wird es bzw. dessen Folgen (OECD, 2020b). schwieriger, den Überblick über die einzelnen Lieferanten zu • Regionale Diversifizierung: Allerdings kann auch eine behalten. Diese Komplexität kann zudem zu einer höheren Dual Sourcing-Strategie weiterhin anfällig bleiben, falls Anfälligkeit gegenüber internen wie externen Schocks führen, die Zulieferer einer Vorleistungsstufe in derselben Regi- 16 insbesondere wenn kritische Knotenpunkte bestehen und ein on konzentriert sind. Daher kann auch eine regionale Di- Zulieferer essenziell für die gesamte Wertschöpfungskette ist versifizierung die Resilienz einer Wertschöpfungskette (McKinsey Global Institute, 2020). erhöhen. Werden Vorleistungen aus mehreren Regionen bzw. Ländern bezogen, streut dies das Risiko und ver- BEISPIELE FÜR STÖRUNGEN mindert die Gefahr regionaler Schocks (z. B. bei Naturka- tastrophen) (McKinsey Global Institute, 2020). Als Beispiele können hier etwa das Erdbeben und der Tsuna- • Nearshoring: Ebenfalls können Stufen der Wertschöp- mi im Jahr 2011 in Japan genannt werden, der zu den Reak- fungskette aus weit entfernten und möglicherweise torunfällen in Fukushima führte. In Folge kam es in der Auto- eher unsicheren Ländern relokalisiert und in Regionen mobilindustrie zu erheblichen Engpässen bei der Lieferung verlagert werden, die sich näher am eigenen Unterneh- von Spezialsensoren, da viele verschiedene Zulieferfirmen men befinden und mit geringeren wirtschaftlichen oder auf nur einen Produzenten dieser Sensoren angewiesen wa- politischen Risiken behaftet sind (z. B. Sourcing in Euro- ren. Dieser, Hitachi Automotive, deckte etwa 60 % der welt- pa statt Asien). Dieses Nearshoring senkt zwar die Ab- weiten Nachfrage nach einigen essenziellen Sensoren für die hängigkeit von weit entfernten Produktionsstandorten, Automobilindustrie (WEF, 2019). Bei einer Flutkatastrophe in geht allerdings oftmals mit höheren Produktionskosten Thailand nur wenige Monate später wurden Fabriken über- einher (ifo, 2020). schwemmt, die rund ein Viertel der weltweiten Produktion von • Verstärkte Lagerhaltung: Eine weitere Möglichkeit zur Festplatten durchführten, mit entsprechenden Disruptionen Stärkung der Resilienz ist eine Verminderung der Just- in den Lieferketten von Computerherstellern (McKinsey Glo- in-time-Produktion und das Arbeiten mit größeren La- bal Institute, 2020). gerbeständen, um Schocks bzw. Unterbrechungen der Lieferkette abzufedern (was allerdings mit höheren La- EFFIZIENZ VS. RESILIENZ gerkosten und Kapitalbindung einhergeht). COVID-19 hat das Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Spezialisierung und Effizienz und der Resilienz von Wertschöpfungsketten verdeutlicht. Dabei hat vor allem die Diskussion an Fahrt aufgenommen, ob Unternehmen ihr Ge- schäftsmodell globaler Wertschöpfungsketten überdenken und ihre Abhängigkeit von globalen Produktionsnetzwerken verringern sollten oder verstärkt alternative Methoden der Absicherung nutzen.
HERAUSFORDERUNGEN FÜR UNTERNEHMEN AUSWIRKUNGEN AUF TRANSPORT UND LOGISTIK Für Unternehmen bestehen zahlreiche Herausforderungen Als Bindeglied im Gefüge globaler Wertschöpfungsketten hinsichtlich Resilienzmaßnahmen bzw. Umstrukturierungen spielen Logistiknetze eine immense Rolle. Die Pandemie hatte der Wertschöpfungskette(n). Es kann etwa schlicht unmög- auch im Speditions-, Transport- und Logistiksektor insbeson- lich sein, auf zusätzliche Lieferanten auszuweichen (Diversifi- dere zu Beginn der Krise vielfältigste Folgen. Verzögerungen zierung), falls die Konzentration auf wenige ausländische Lie- durch Produktionsstopps, Personalmangel durch Quaran- feranten in bestimmten Lieferketten zu einer Monopolisierung tänemaßnahmen, Einschränkungen beim Be- und Entladen (wie z. B. in der Halbleiter- oder chemischen Industrie) geführt und geschlossene Grenzen beeinträchtigten alle Verkehrs- hat. Vor allem kann auch eine reine maximale Gewinnorien- träger. Geschlossene Binnengrenzen etwa gefährdeten oder tierung der Unternehmen Maßnahmen zur Steigerung der erschwerten die Versorgung in Europa. Grenzübertritte im Resilienz verhindern. Eine Abkehr von Single Sourcing-Stra- Straßengüterverkehr waren mit hohen Zeitverzögerungen tegien kann etwa den Verzicht auf Sonderkonditionen beim und Stausituationen verbunden. Bahnoperateure konnten Lieferanten bedeuten, was in Folge die Beschaffungskosten die Frequenzen für interkontinentale und maritime Verkehre erhöht. Zudem steigt damit der Aufwand durch bilaterale Ver- nicht mehr gewährleisten. Flugverbote brachten den Passa- träge und Abstimmungsaktivitäten (ifo, 2020). Die Resilienz gierflugverkehr beinahe zum Erliegen, wodurch ergänzende zu stärken bedeutet sich ständig im Spannungsfeld der Opti- Cargo-Kapazitäten fehlten und durch die Ausdünnung der mierung solcher Einflussfaktoren zu bewegen. Frequenz des Seeverkehrs stauten sich Exportware und Con- tainer in den Terminals der Häfen. 17 Mittlerweile konnte sich die Situation global weitgehend an- passen und mit einem Anziehen der Konjunktur erholt sich auch die Transportbranche. Zu einer Veränderung infolge der Pandemie ist es bei der Verteilung der Transportmodi zwischen Asien und Europa gekommen. Durch die massiven Preiserhöhungen im Schiffsverkehr wegen des immer noch begrenzten Angebots an Schiffscontainern und Stellplätzen ist ein Ausweichen auf den Schienengüterverkehr über die neue Seidenstraße erfolgt. Der Großteil von 90 % des Han- dels zwischen Asien und Europa wird zwar nach wie vor auf See transportiert. Doch im Vergleich zum Jahr 2019 hat der 4 Schienengüterverkehr über diese Strecke um 50 % zugelegt . 4 Pandemie gibt „Seidenstraße“ neuen Schub - https://bit.ly/3wWD9ZS - 03.2021
02.2 KMU IN INTERNATIONALEN WERTSCHÖPFUNGSKETTEN COVID-19 TRIFFT KMU STÄRKER KMU sind das Rückgrat der globalen Wirtschaft, sichern Millionen von Arbeitsplät- zen und sind die Triebkräfte der Innovation. Weltweit stellen KMU 95 % aller Unter- nehmen und rund 60 % aller Arbeitsplätze dar. Ausfuhren bedeuten für europäi- sche KMU in erster Linie, ihre Waren und Dienstleistungen in andere EU-Länder zu verkaufen. Nichtsdestotrotz sind KMU auch in globale Wertschöpfungsketten ein- gebunden und im Zuge dieser über die EU-Grenzen hinaus aktiv. Von der COVID-19 Krise waren zwar KMU wie auch Großunternehmen betroffen, allerdings sind KMU von den Auswirkungen der Krise stärker bedroht als Großunternehmen, da sie auf- 18 grund ihrer Größe in vielen Bereichen eine geringere Resilienz aufweisen. Im Zuge der COVID-19 Krise haben Staaten vielfach Unterstützungsmaßnahmen eingeführt bzw. verstärkt, um die Widerstandsfähigkeit der Wertschöpfungsketten von KMU durch entsprechende Maßnahmen zu verbessern. Neben eher kurzfris- tig angelegten Programmen wurde dabei häufig auch das Ziel verfolgt, strukturelle und langfristige Verbesserungen der Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit herbei- zuführen und neue Märkte und Verkaufskanäle zu öffnen. Österreichische KMU in produktionsnahen Sektoren haben z. B. deutliche Umsatzrückgänge verzeichnet, während die Zahl der Beschäftigten bislang (u. a. aufgrund der Corona-Kurzarbeit) weitgehend gehalten werden konnten (BMDW, 2021). CHANCEN FÜR KMU Die Einbindung von KMU in internationale Wertschöpfungsgebilde ist vor allem mit Vorteilen verbunden und bietet auch in Krisenzeiten Chancen. Sie können Vorteile aus der Krise ziehen, indem sie sich schnell und flexibel an die neuen Gegebenhei- ten anpassen. Auch während der Krise haben agile Unternehmen neue Produkte hergestellt, die vorher nicht in ihrem Produktportfolio zu finden waren, beispielswei- se medizinische Ausrüstungen. Gegenüber Großunternehmen haben KMU dabei oftmals den Vorteil, schneller Entscheidungen treffen und auf Veränderungen re- agieren zu können, womit sie in der Lage sind, sich rascher an eine Krisensituation anzupassen und neue, globale Wertschöpfungsketten zu erschließen bzw. Nach- fragen bedienen zu können. Gleiches gilt für Störungen in bestehenden Lieferket- ten, wo KMU bei Lieferengpässen als Ersatzlieferant „einspringen“ und so Teil des Produktionsnetzwerks werden können (International Trade Centre, 2020).
02.3 RÜCKVERLAGERUNG DER PRODUKTION TECHNOLOGISCHE SOUVERÄNITÄT Verkehrsbereich ermöglicht. Ziel der DIGITALISIERUNG UND AUTOMATI- IPCEIs ist es, strategische Wertschöp- SIERUNG ALS ENABLER Durch COVID-19 verstärkt in den Fokus fungsketten in Europa aufzubauen, gerückt ist das Thema der wirtschaftli- abzusichern und zu stärken (EU-KOM, Als eine Voraussetzung für eine Verla- chen und technologischen Souveräni- 2020a). Darüber hinaus kündigte die gerung (oder Absicherung) der Produk- tät Europas. Gerade im Bereich digitaler EU-Kommission in ihrem Aufbauplan tion in hoch entwickelte Volkswirtschaf- Technologien und Geschäftsmodelle zur Bekämpfung der Folgen der CO- ten gilt vor allem die voranschreitende und der dafür notwendigen Kompo- VID-19 Pandemie „Next Generation EU“ Digitalisierung und Automatisierung nenten ist Europa in erheblichem Maße an, die Autonomie strategischer Sekto- der Produktion. Durch den Einsatz von von Dritten, insbesondere den USA ren der europäischen Wirtschaft stär- digitalen Technologien, wie Künstli- und Ländern in Asien, abhängig. Durch ken zu wollen (EU-KOM, 2020b). che Intelligenz, Internet of Things oder die im Zuge der Krise nochmals be- 3D-Druck, werden neue Möglichkeiten in der Produktion geschaffen. Die da- durch erzielbaren Produktivitätsgewin- Die neue Industriestrategie für ne und Kostensenkungen können auch in Hochlohnländern eine wettbewerbs- Europa (2020) der EU-Kommission fähige Produktion ermöglichen, indem unterstreicht die Bedeutung der wesentliche Faktoren wie Effizienz, Fle- xibilität, Qualität und Transparenz ver- Industrie für Wohlstand und bessert werden. Gleichzeitig profitieren Wertschöpfung. Unternehmen von niedrigeren Trans- portkosten sowie effizienteren und sta- bileren Logistikwegen, einem geringe- schleunigte Digitalisierung und den RESHORING DURCH UNTERNEHMEN ren Risiko des Diebstahls von geistigem damit einhergehenden Strukturwandel Eigentum und einer Verkürzung von ist die Frage nach der digitalen Souve- Die Situation lässt auch Unternehmen Lieferzeiten (OECD, 2020b). 19 ränität Europas aktueller denn je. Viel- ihre derzeitigen (internationalen) Pro- fach wurde daher im Zuge der Krise ge- duktionssysteme und -netzwerke über- FRAGE DER VERFÜGBARKEIT VON fordert, entsprechende Kompetenzen denken. Diese neue Bewertung von FACHKRÄFTEN im Bereich digitaler Technologien und Risiken und damit verbundener Folgen elektronischer Komponenten in Euro- für den Betrieb und der entstehenden In der Diskussion um eine Relokalisie- pa zielgerichtet voranzutreiben, um die Kosten im Falle eines Schocks wie rung der Produktion muss zudem be- bestehenden Abhängigkeiten zu redu- etwa COVID-19 kann dazu führen, dass rücksichtigt werden, dass Österreich zieren und damit die Resilienz und Wett- eine heimische oder stärker regional und viele andere Staaten einem erheb- bewerbsfähigkeit der europäischen orientierte Produktion in einigen Fällen lichen Fachkräftemangel unterliegen. Wirtschaft zu stärken (Bertelsmann tatsächlich die wirtschaftlichere Alter- Sollen Produktionsprozesse auf breiter Stiftung, 2020). native zur Organisation der Produktion Basis zurück ins Heimatland verlagert in globalen Wertschöpfungsketten dar- werden, muss dafür auch ein ausrei- 6 MULTINATIONALE BEMÜHUNGEN stellen kann (ifo, 2020). Eine Befragung chendes Fachkräftepotenzial zur Ver- ZUM RESHORING AM BEISPIEL EU unter 1.200 Unternehmen in vier EU- fügung stehen (Bertelsmann Stiftung, Ländern und den USA zeigt, dass sich 2020). Mit der „Industriestrategie für Europa zwar 55 % der befragten Unternehmen (2020)“ läutete die EU-Kommission eine mit einer Verlagerung ihrer Produktion neue europäische Industriepolitik ein. beschäftigen. Jedoch erwägen „nur“ Die Strategie ist ein klares Bekenntnis 10-15 %, die Produktion tatsächlich zum Standort Europa und unterstreicht „nach Hause“ zu holen. Etwas mehr die Bedeutung der Industrie für Wohl- der verlagerungswilligen Unternehmen stand und Wertschöpfung in den Mit- (30 %) tendieren eher zum „Nearsho- gliedsstaaten. Ein Kernanliegen ist die ring“, z. B. in andere EU-Länder – ein Wahrung der industriellen und strate- Kompromiss aus geografischer Nähe, gischen Souveränität im Wirtschafts- Verringerung (politischer) Risiken und raum. Zu diesem Zweck wurde mit den wirtschaftlicher Betrachtung in Bezug 5 sogenannten IPCEIs (Important Pro- auf die Wettbewerbsfähigkeit. jects of Common European Interest) ein spezielles Instrument entwickelt, das die Förderung transnationaler Ko- operationen im Umwelt-, Energie und 5 vgl. Eine neue Industriestrategie für Europa - https://bit.ly/3kA7ta4 - 01.2021 6 vgl. Lieferketten krisensicher aufstellen - https://bit.ly/3xQhXWF - 01.2021
02.4 REGIONALE WERTSCHÖPFUNGSKETTEN Einhergehend mit der Diskussion um eine Relokalisierung von Unternehmen gibt es auch politische Überlegung für eine stärkere strategische Autonomie und einer vermehrten Produktion – insbesondere von systemrelevanten Produkten – in regio- nalen Wertschöpfungsketten (UN, 2020). RESILIENZ EINER porte (FIW, 2020). Grenzschließungen nen. Allerdings zeigte die COVID-19 WIRTSCHAFTSREGION bzw. Reiseeinschränkungen erschwer- Krise deutlich, dass dem nicht so sein ten die Versorgung mit Teilen nicht nur muss, und es durch regional unter- COVID-19 zeigte, dass Länder, in wel- im globalen Maßstab, sondern auch schiedliche Betroffenheiten während 8 chen Produktionsprozesse stärker in zwischen europäischen Ländern . der Krise etwa in Italien zu erheblichen lokale und regionale Netzwerke ein- Problemen kam. Eine stärkere Regio- gegliedert waren, schneller auf die PARTNERSCHAFTEN ALS WESENT- nalisierung kann zu einer höheren Kon- Auswirkungen reagieren konnten. Re- LICHES ASSET FÜR GEMEINSAME zentration und Abhängigkeit von einer gionen und Länder mit einem ausge- TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN geringeren Anzahl an Importquellen glichenen, diversifizierten Branchenmix und damit zu höheren Preisen und stei- zeigten sich resilienter und haben neue Resilienzfördernd kann eine enge und genden Ausfallrisiken führen (OECD, Möglichkeiten für lokale Produktions- langfristige Beziehung mit Lieferanten 2020d). 7 20 aktivitäten erschlossen . Dies war im und anderen Partnern entlang der Wert- Bereich Schutz- und Sanitärgüter zu schöpfungskette sein. Strategische VORTEILE OFFENER, VERNETZTER beobachten. Die erhöhte Nachfrage Partnerschaften zwischen Unterneh- MÄRKTE nach Schutzausrüstung veranlasste men aus derselben Branche wie auch Unternehmen kurzfristig zur Umstellung aus anderen Sektoren können die Wi- Die Mehrheit der Ökonomen und rezen- ihrer Produktion auf diese dringend be- derstandsfähigkeit, Agilität und Effizienz te wissenschaftliche Studien betonen, nötigten Güter. Dabei konnten die Be- von Wertschöpfungsketten erhöhen, dass eine verstärkte Abschottung von triebe relativ rasch durch den Aufbau indem sie etwa branchenübergreifende den Weltmärkten durch eine Abkehr regionaler Wertschöpfungsketten neue Spill-over-Effekte von Know-how, Wert- von globalen Wertschöpfungsketten Marktsegmente erschließen sowie den schöpfungskapazitäten und Innovatio- die negativen Folgen der COVID-19 Kri- Eigenversorgungsgrad der Volkswirt- nen erlauben (WEF, 2020). Solche Part- se sogar eher verstärkt als abgefedert schaft erhöhen. So geschehen im Rah- nerschaften sind leichter auf regionaler hätte (FIW, 2020). Empirische Untersu- men der Kooperation von Kunststoff- Ebene (kurze Wege, gemeinsame Spra- chungen weisen zudem darauf hin, dass und Stoffherstellern zur Produktion von che etc.) zu initiieren bzw. umzusetzen, sich offene Volkswirtschaften mit vielen Schutzkleidung und -masken in Vorarl- als über den gesamten Globus verteilt. Handelsbeziehungen nach Schocks berg (BMDW, 2021). schneller erholen als geschlossene. Im KONZENTRATIONSRISIKO UND UN- Krisenfall kann es für Unternehmen be- Ein Vorteil regionaler Wertschöpfungs- TERSCHIEDLICHE REGIONALE BE- sonders wichtig sein, ein breites Netz ketten ist, dass sie gegenüber globalen TROFFENHEITEN an möglichen Lieferanten zu haben, um Wertschöpfungsketten in geringerem bei einem Ausfall innerhalb der Wert- Ausmaß anfällig hinsichtlich Disruptio- Überlegungen, die Produktion wieder schöpfungskette über Alternativen zu nen in Transport- und Logistiknetzwer- stärker regional zu verankern und nach verfügen bzw. generell Zugänge zu in- 9 ken sind. Während der Krise war zu be- Europa zurückzuholen gehen implizit ternationalen Märkten zu haben . obachten, dass grenzüberschreitende davon aus, dass es in Europa ein deut- Transportdienstleistungen stärkere Ein- lich geringeres Risiko für Produktions- bußen verzeichneten als Binnentrans- ausfälle gibt als in anderen Weltregio- 7 vgl. Why innovative manufacturing and circularity are key for a resilient manu- facturing industry post-COVID-19 - https://bit.ly/2UsekYf - 01.2021 8 vgl. GLOBALE KETTENREAKTION - https://bit.ly/3rj24FH - 01.2021 9 vgl. Europas falsche Sehnsucht nach Autarkie - https://bit.ly/3evYpin - 02.2021
02.5 ABSICHERUNG UND ERHALT DER PRODUKTION INTERVENTIONEN DER ÖFFENTLICHEN HAND Um die Wirtschaft zu stützen und Mangelwirtschaft zu vermeiden, haben staat- liche Akteure weltweit umfassende Sofort- und Sicherungsmaßnahmen ergriffen sowie Konjunkturprogramme in kaum gekanntem Ausmaß aufgelegt. Neben den akuten Risiken und volkswirtschaftlichen Herausforderungen, die mit der Krise ein- hergehen, könnten die pandemiebedingten Eingriffe der öffentlichen Hand aber auf längere Sicht dazu führen, dass die Produktion am Standort und dessen internatio- nale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet wird. Um die industrielle Produktion in Europa langfristig abzusichern, müssen die entsprechenden staatlichen Anstrengungen neben der unmittelbaren Sicherung und Erholung der Wirtschaftsaktivitäten zum Ziel haben, auch den Blick in die Zukunft zu richten und gezielte Chancen für eine in- ternational wettbewerbsfähige Unternehmensbasis zu eröffnen – etwa in den zwei wesentlichen Schlüsselthemen Digitalisierung und Green Economy (OECD, 2020e). INVESTITIONEN IN DIE ZUKUNFT Einige Länder verbinden daher mit ihren Konjunkturprogrammen zur Stützung der Wirtschaft und deren Wiederbelebung auch langfristig angelegte und auf die Zu- 21 kunft ausgerichtete strukturelle Programme. Deutschland etwa hat zusammen mit einem Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket auch ein Zukunftspaket aufge- legt. Dafür investiert die deutsche Regierung mehr als EUR 60 Mrd. in die Bereiche Bildung, Forschung und Zukunftstechnologien (Deutsche Bundesregierung, 2020). DIGITALE TRANSFORMATION WIRD BESCHLEUNIGT Dazu zeichnet sich ab, dass COVID-19 wie ein Katalysator existierende Trends ver- stärkt. Viele der während der Pandemie aufgetretenen Entwicklungen werden wohl auch über die Krise hinaus weiterhin Bestand haben. Das betrifft etwa Änderungen im Kundenverhalten und eine beschleunigte digitale Transformation der Wirtschaft . 10 Um die künftige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und die industrielle Pro- duktion in der Region sichern zu können, wird es daher für staatliche Akteure auch darauf ankommen, die Anpassung der ansässigen Unternehmen an diese Trends zu unterstützen. Etwa gilt es, die Krise als Digitalisierungsschub für die Wirtschaft zu nützen. BEDEUTENDE STANDORTFAKTOREN Daneben bleiben bereits vor der Krise im Fokus stehende Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen auch weiterhin von Bedeutung. Welche Faktoren aus Sicht der österreichischen Unternehmen entscheidend für die Wett- bewerbsfähigkeit des Standorts sind, zeigt der österreichische Infrastrukturreport 2021. Demnach halten 84 % der im Rahmen der Studie befragten Manager Bildung und gut ausgebildete Fachkräfte für entscheidend, für 55 % zählen eine gute und krisensichere Infrastruktur und für 45 % Innovation zu den Top-Prioritäten . 11 10 vgl. COVID-19 digital transformation & technology - https://mck.co/3zdZSlr - 01.2021 11 vgl. Österreichischer Infrastrukturreport 2021 - https://bit.ly/3hRFlgA - 02.2021
02.6 BEWUSSTSEIN FÜR REGIONALE WIRTSCHAFT Während der Pandemie ist das Thema Regionalität – regionale Produkte und Leis- tungsangebote, Bewusstsein für die Attraktivität der eigenen Region etc. – in den Vordergrund gerückt und hat in weiten Teilen der Bevölkerung an Aufmerksamkeit gewonnen. In einer Umfrage des Gallup-Instituts in Österreich zeigte sich, dass Regionalität sogar zu jenen Themen zählt, die während COVID-19 in der Bevölkerung am meis- ten an Bedeutung gewonnen haben: 52 % der Befragten gaben an, dass ihnen das Thema durch die Krise wichtiger geworden ist als zuvor – nur die Themen Gesund- heit und Arbeitslosigkeit haben noch höhere Zustimmungswerte erreicht. Damit lag das Bewusstsein für Regionalität noch vor vieldiskutierten Themen wie Inflation, 22 Staatsschulden, Klima- und Umweltschutz oder leistbarer Wohnraum. 84 % der Be- fragten gaben an, künftig stärker auf Regionalität zu achten und 82 % wollen mehr Wert auf eine österreichische Herkunft bei Produkten legen. Eng verbunden mit dem Thema Regionalität ist das Thema Nachhaltigkeit. In der Umfrage des Österreichischen Gallup-Instituts sagten 69 % der Befragten aus, auf- grund der COVID-19 Krise in Zukunft vermehrt auf die Nachhaltigkeit von Produk- ten zu achten. Neben dem gestiegenen Umweltbewusstsein schätzen viele Konsu- ment*innen zudem die hohe Qualität von österreichischen Produkten. So werden Produkte „Made in Austria“ in der Regel qualitativ hochwertiger als importierte Wa- ren aus dem Ausland eingeschätzt (Das Österreichische Gallup-Institut, 2020).
02.7 ZUSAMMENFASSUNG TRENDS • Etwa 70 % des weltweiten Handels findet innerhalb glo- • Aus diesem Grund sollte sich auch eine gewisse Rück- baler Wertschöpfungsketten (Global Value Chains) statt. verlagerung bzw. Re-Ansiedelung, wie sie auf europäi- GVCs sind somit von hoher Bedeutung. Die mit der inter- scher Ebene verfolgt wird, in erster Linie auf jene Be- nationalen Arbeitsteilung und Spezialisierung einherge- reiche konzentrieren, in welchen dies zielführend ist henden Effizienzgewinne und Chancen sind Grundlage (z. B. in strategisch wichtigen Sektoren). Zusätzlich braucht für Wirtschaftswachstum und Wohlstand vernetzter, es starke europäische Initiativen und Instrumente, bspw. offener Volkswirtschaften. IPCEIs sowie entsprechende Rahmenbedingungen. • Gleichzeitig sind mit der komplexen, global vernetzten • Grundsätzlich ist der Erhalt offener Volkswirtschaften als Aufteilung des Produktionsprozesses in Krisenzeiten Knotenpunkte wichtiger Wertschöpfungsketten – ins- gewisse Risiken behaftet. Der Ausbruch der Corona- besondere in Krisenzeiten – von erheblicher Bedeutung Pandemie brachte weitreichende Störungen der glo- für unseren Wohlstand. Protektionistische Maßnahmen balen Lieferketten mit sich, die sich rasch in einer ver- stellen daher keine Antwort auf die COVID-19 Pandemie netzten Welt ausgebreitet haben. Die Betroffenheit von und deren wirtschaftliche Folgen dar. Lieferengpässen – insbesondere in Bereichen, in denen es nur wenige Zulieferer oder eine starke räumliche Kon- • Damit die produzierende Wirtschaft auch in Zukunft zentration gibt – zeigt die Abhängigkeit von internationa- als ein zentraler Treiber für Wachstum und Wohlstand 23 len Güterströmen. Auch die heimische Produktionswirt- wirkt, sollten Interventionen der öffentlichen Hand – schaft braucht funktionierende, globale Lieferketten und neben liquiditätssichernden Sofort- und Sicherungs- offene Grenzen. Unternehmen sind deshalb gefordert maßnahmen – insbesondere konjunkturell stimulierend auf Störungen zu reagieren und das Management von und gestaltend wirken, in dem die richtigen Anreize für Wertschöpfungsketten, etwa durch alternative Absiche- eine zukünftige positive Entwicklung und Modernisie- 12 rungsstrategien (noch) resilienter aufzustellen. rung des Wirtschaftsstandorts gesetzt werden . Hohe Bedeutung kommt dabei der Impulssetzung sinnvoller • Die globalen Verwerfungen der Lieferketten führte zur Schwerpunktfelder und Zukunftsthemen wie Innova- Debatte einer verstärkten Rückverlagerung von Teilen tion, Digitalisierung und digitale Kompetenzen, Circular der hochglobalisierten Produktion. Tiefgreifende struk- Economy, Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte zu aber turelle Verlagerungstendenzen auf Unternehmensseite auch Themen wie neue Arbeitskonzepte und Arbeits- sind allerdings nicht zu beobachten bzw. zu erwarten. modelle (Stichwort: New Work), die im Zuge der Pande- Den Vorteilen globaler, effizienter Warenströme und mie zusätzlich an Bedeutung gewonnen haben. -beziehungen als Treiber des Produktivitätswachstums stehen am Standort Herausforderungen wie Kosten-/ • Das Bewusstsein für die Themen Regionalität (Ur- Preisdruck, Fachkräftemangel etc. gegenüber. Aufgrund sprungsland der Waren) und Nachhaltigkeit ist in der geografischer und ökonomischer Rahmenbedingungen heimischen Bevölkerung in Zeiten der Krise stark ge- ist deshalb eine Rückverlagerung nicht für jeden Wirt- stiegen und liegt laut einer Umfrage des Gallup-Instituts schaftsbereich sinnvoll. Insbesondere ist die Herstel- in Österreich noch vor vieldiskutierten Themen wie In- lung vermeintlich einfacher Produkte mit einem sehr flation, Staatsschulden, Klima- und Umweltschutz oder hohen Lohnkostenanteil für Europa nur eingeschränkt leistbarer Wohnraum. Nur die Themen Gesundheit und wettbewerbsfähig. Arbeitslosigkeit haben noch höhere Zustimmungswerte erreicht. 12 Auch das Impulsprogramm Vorarlberg positioniert sich gemäß dieser Handlungsempfehlung mit zukunftsgerichteten Investitionen.
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