Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft - ein Frühpräventionskonzept
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024-035.qxd 08.03.2007 14:50 Seite 24 ÜBERSICHTSARBEIT H. Günay, K. Meyer, A. Rahman1 Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Die Gesundheitsfrühförderung in der Einleitung Frühförderungsprogrammen in den USA Schwangerschaft ist zu einem wichtigen zählt das „Nurse Home Visitation Pro- Bestandteil in allen Bereichen der Medi- Es ist allgemein bekannt, dass durch eine gram“, welches bereits in den sechziger zin und Lebenslagen geworden. Im Allge- effektive und effiziente Prävention und Ge- Jahren von Olds et al. entwickelt wurde meinen dient sie der Gesunderhaltung sundheitsförderung die Gesundheit, Lebens- [49]. Bei diesem Programm, welches in- der Mutter und soll schwere Erkrankun- qualität, Mobilität und Leistungsfähigkeit zwischen einen Zeitraum von über 20 Jah- gen, aber auch Lern- und Bildungsdefizi- der Bevölkerung nachhaltig verbessert wird ren umfasst, profitieren besonders Mutter te, soziale Benachteiligung, Probleme im und dadurch die Gesundheitskosten gesenkt und Kind der bedürftigsten Familien. Zu Sozialverhalten und die Gefahr kriminel- werden können [63]. den Erfolgen zählen u. a. die Reduktion ler Karrieren bei Kindern möglichst ver- Zahlreiche Forschungsergebnisse bele- von Kindesmissbrauch und Vernachlässi- hindern oder zumindest minimieren. gen, dass schwere Erkrankungen, aber auch gung, krimineller Auffälligkeit, Verhal- Auch die Zahnmedizin hat im Rahmen der Lern- und Bildungsdefizite, soziale Benach- tensauffälligkeit und Alkohol- und Dro- Gesundheitsfrühförderung eine bedeu- teiligung, Probleme des Sozialverhaltens genkonsum. Trotz des personellen und fi- tende Aufgabe. Die Risikoerkennung und und sogar kriminelle Karrieren häufig be- nanziellen Aufwands dieses Projektes ver- -minimierung (Karies, Parodontitis, reits in den ersten Jahren der Kindheit an- deutlichten Langzeitstudien, dass lang- usw.) sowie eine intensive Ernährungs- gelegt werden [27]. In neueren Studien fristig Folgekosten eingespart werden. Pro beratung und -lenkung (z. B. Keimüber- konnte gezeigt werden, dass diese frühkind- Dollar Frühförderung wurden vier Dollar tragung) der Schwangeren führen bei de- lich erworbenen Probleme auch bis in das Folgekosten gespart. Obwohl die Erfolge ren Kindern nachweislich zu einer Ver- Erwachsenenalter manifest bleiben [46]. Im offenkundig sind, sind solche Programme besserung der Mund- und allgemeinen Kindes- und Jugendalter werden entschei- bislang auf die USA und Australien be- Gesundheit. So wird durch eine adäquate dende Grundlagen für das Gesundheitsver- schränkt. Das „Nurse Home Visitation Pro- zahnmedizinische Schwangerenbetreu- halten im Erwachsenenalter gelegt, wobei gram“ wurde außerhalb der USA nicht re- ung nicht nur das Kariesrisiko, sondern die Eltern richtungweisend sind. Ohne Früh- pliziert. auch das Risiko einer Frühgeburt bzw. förderung kann es auch schon im Kindesal- In Deutschland gibt es solche Frühför- Untergewicht und durch Beeinflussung ter zu massiven gesundheitlichen Proble- derungsprogramme nur ansatzweise. Ein der Ernährungsgewohnheiten sogar das men kommen [27]. Dies verdeutlicht die Beispiel für ein ähnliches in präventivem Adipositasrisiko des Kindes gesenkt. Be- Notwendigkeit einer frühzeitigen Interven- und interdisziplinärem Ansatz erfolgrei- reits seit Anfang der 90er Jahre beste- tion bzw. Prävention unter Einbeziehung der ches Projekt ist das von der Stiftung „Eine hen Frühpräventionskonzepte, die teil- Mutter bzw. Familie. Am effektivsten haben Chance für Kinder“ in den Städten Braun- weise erfolgreich umgesetzt werden, sich dabei Frühförderungsprogramme erwie- schweig und Osnabrück sowie dem Land- worauf im folgenden Artikel ausführlich sen, welche schon in der Schwangerschaft kreis Leer von Ende 2001 bis Ende 2004 eingegangen wird. beginnen und sich in späteren Lebensab- durchgeführte Modellprojekt „Aufsuchen- schnitten fortsetzen. de Familienhilfe für junge Mütter – Netz- Schlüsselwörter: Gesundheitsfrühförde- Im Folgenden werden allgemeine und werk Familienhebamme“ [72]. Hier sollten rung, Schwangerschaft, primär-primär zahnärztliche Frühförderungskonzepte dar- insbesondere junge Schwangere in schwie- Prophylaxe, Primär-Prophylaxe, Mundge- gestellt, welche bereits in der Schwanger- rigen materiellen und psychosozialen Le- sundheit von Mutter und Kind, frühkind- schaft ansetzen. benslagen und/oder mit medizinischen Ri- liche Karies, Präventionskonzepte siken in einer Lebensphase des Umbruchs und des Neubeginns durch die Geburt des Allgemeine Frühförderungsprogramme Kindes erreicht werden. Das Projekt setzte auf die Verknüpfung von Hebammenhilfe 1 Abteilung Zahnerhaltung und Parodontologie/ Es gibt weltweit zahlreiche Projekte der und Jugendhilfe. Mit dem möglichst früh- Medizinische Hochschule Hannover Frühförderung. Zu den erfolgreichsten zeitig bereits während der Schwanger- 24 © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1
024-035.qxd 08.03.2007 14:50 Seite 25 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Abbildung 1 Zahnärztliche Betreuung vor, während und nach einer Schwangerschaft [35]. Figure 1 Dental care before, during and after pregnancy [35]. schaft beginnenden niedrig schwelligen Familien dienen [51]. Dieses Projekt will Zusammenhang muss auch die allgemeine Unterstützungsangebot, das auch die Familien vorgeburtlich und bis zum sechs- medizinische Schwangerschaftsvorsorge Weiterleitung in reguläre Hilfestrukturen ten Lebensjahr des ersten Kindes konti- Erwähnung finden. beinhaltete, konnten an allen drei Stand- nuierlich unterstützen und somit die Kin- orten deutliche Betreuungserfolge erzielt der während der kritischen ersten Lebens- werden. Bei insgesamt 70 % der betreuten jahre bis zum Schuleintritt in ihrer emo- Schwangerenvorsorge Frauen wurde trotz zum Teil dramatischer tionalen, kognitiven und sozialen Ent- Ausgangsbedingungen eine Problemlö- wicklung optimal fördern, wobei die Eltern Die Schwangerenvorsorge ist eine der äl- sung erreicht oder wenigstens eine Ver- Adressaten der Interventionen sind. testen organisierten Maßnahmen der Prä- besserung der schlechten Ausgangslage Bei den oben genannten Frühförde- ventivmedizin im Sinne einer Frühförde- erzielt. rungsprogrammen wird offensichtlich, rung. Die Geschichte der Gesundheitsför- Ein im Frühjahr 2006 in Niedersachsen dass durch eine bereits während der derung während der Schwangerschaft lässt geplantes Projekt mit dem Titel „Präven- Schwangerschaft einsetzende Förderung sich sowohl in Westeuropa als auch in den tion durch Frühförderung“ soll der Präven- gute Voraussetzungen für das spätere USA bis zum Anfang des zwanzigsten Jahr- tion von Krankheit, Kriminalität und Ar- physische, psychische und soziale Wohl hundert zurückverfolgen. Die Idee, eine mut bei Kindern aus sozial benachteiligten des Kindes geschaffen werden. In diesem Vorsorgeuntersuchung für Schwangere Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1 25
024-035.qxd 08.03.2007 14:50 Seite 26 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept sogar eine manifestierte Parodontitis [23, 48]. Kinder mit einem geringeren Geburts- gewicht können in ihrem späteren Leben in vielerlei Hinsicht benachteiligt sein [8, 9]. Diese Kinder zeigen u. a. eine höhere Prädisposition gegenüber Infektionen, Verhaltens- und Lernauffälligkeiten, Dia- betes, Herzerkrankungen und anderen chronischen Gesundheitsproblemen [8, 9, 56]. Schwangerenvorsorge in Deutschland Durch die Einführung des Mutterschutzge- setzes und der Mutterschaftsrichtlinien und die seit 1966 gesetzlich geregelte Übernahme der Kosten durch die gesetz- lichen Krankenkassen, erhalten schwange- re Frauen umfassende Betreuung und Unterstützung. Die der Schwangerenvor- sorge zugrunde liegenden Bestimmungen sind im Sozialgesetzbuch V (SGB V) gere- gelt. Die Mutterschaftsrichtlinien haben den Charakter von Durchführungsbestim- mungen. Nach diesen Richtlinien hat jede werdende Mutter einen Anspruch auf ärzt- liche Betreuung während der Schwanger- schaft, bei der Entbindung und einige Wo- chen nach der Geburt. Die Richtlinien bie- ten ein breites Angebot an medizinisch notwendigen Leistungen. Die Schwangerenvorsorge dient vor al- lem der Beratung und der Überwachung der Schwangerschaft durch einen Arzt oder eine Hebamme. Sie verfolgt das Ziel, zum frühest möglichen Zeitpunkt Abweichun- gen vom normalen Schwangerschaftsver- lauf, z. B. Lageanomalien, Mehrlings- Abbildung 2 Vorgehensweise bei der postnatalen Betreuung von Mutter und Kind. schwangerschaften, Infektionen, Erkran- Figure 2 Procedure of postnatal care for mother and her child. kungen oder drohende Frühgeburten zu erkennen und ggf. eine Behandlung einzu- leiten. Nur durch konsequente Vorsorge durchzuführen, wird erstmals von Ballan- der Risikominimierung für ein geringes Ge- können Dauerschäden während oder nach tyne gegen Ende des neunzehnten Jahr- burtsgewicht als bewiesen an [25], wo- der Schwangerschaft verhindert werden. hundert beschrieben [7]. Zunächst galt raufhin sich der Tätigkeitsschwerpunkt auf Die Schwangerenvorsorge in Deutsch- das Interesse der Prävention von embryo- Vermeidungsstrategien verlegte. Zahlrei- land war das Thema auf der Podiumsdis- nalen Abnormalitäten. Erst später erkann- che darauf folgende Studien machen den kussion im März 2006 in Berlin, auf der te man, dass sich durch eine Vorsorge auch Zusammenhang zwischen einer adäquaten sich Vertreter der Kassenärztlichen die Sterblichkeit von Müttern, Neugebore- Schwangerenvorsorge und einem geringe- Bundesvereinigung, Deutschlands größter nen und Kindern senken lässt. Ein weiterer ren Geburtsgewicht mehr als deutlich [8, gesetzlicher Krankenkasse, des Deutschen Vorreiter in diesem Bereich war Wiliams, 12]. Als Risikofaktoren für ein geringeres Ärztinnenbundes e. V., sowie des Berufs- der 1915 erkannte, dass „Vorsorge und An- Geburtsgewicht gelten u.a. bei der Mutter verbandes der Frauenärzte e. V., austausch- leitungen während der Schwangerschaft in der Schwangerschaft der Konsum von ten [13]. Deutschland hat mit der geregel- wichtige Möglichkeiten zur Reduktion der Tabak, Alkohol und anderen Drogen, eine ten Vorsorge ein medizinisches Angebot, Anzahl von Todesfällen durch Frühreife inadäquate Gewichtszunahme, psychoso- welches von der überwiegenden Mehrheit bieten“ [68]. Mitte des zwanzigsten Jahr- ziale Probleme, Bewegungsmangel, Defizi- der Frauen akzeptiert und wahrgenommen hunderts sah Eastman den Zusammenhang te in der Ernährung, Infektionen [12, 56] wird und erfolgreich für die Gesundheit zwischen einer adäquaten Vorsorge und und, wie neuere Untersuchungen zeigen, und das Leben von Mutter und Kind zum 26 Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1
024-035.qxd 08.03.2007 14:51 Seite 27 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Fotos: Günay Abbildung 3 Informationsveranstaltung während einer gemeinsamen Aktion mit Abbildung 4a Gemeinsame Untersuchung und Beratung im Sinne der S2 und einer Frauenklinik: Die Schwangeren und ihre Partner werden darüber informiert, UZ2. wie wichtig die Zahn- und Mundgesundheit für die werdende Mutter und das Kind Figure 4a Collective examination and advice in terms of S2 and UZ2. ist. Figure 3 Information-event as a joint action with the Department of Obstetric: Pregnant women and their partners are instructed on oral health and its impor- tance for the expectant mothers and their children. Einsatz kommt. Die perinatalen Kinder- des Bundesausschusses der Ärzte und Kreislauf-Erkrankungen, arterieller Blut- sterbefälle im Jahre 2004 konnten auf Krankenkassen 1994). Verbreitete Gesund- hochdruck, Arthrosen und sogar bestimmte 4,69 bei 1.000 Geburten gesenkt werden, heitsrisiken und Erkrankungen sind ernäh- Krebsformen. Die Behandlungs- und Folge- wodurch Deutschland den ersten Platz in rungsabhängig und können nachhaltig kosten ernährungsabhängiger Krankheiten der europäischen Statistik einnimmt. Seit durch eine Verbesserung des Ernährungs- wurden 1995 insgesamt auf rund 100 Milli- den 60er Jahren bis heute wurde auch die verhaltens oder durch Supplemente beein- arden Mark pro Jahr geschätzt [20]. Müttersterblichkeit gravierend verringert. flusst werden [10]. Neben den schon bekannten Risiken 1960 starben auf 700.000 Geburten ge- Der Ernährungszustand der werdenden haben neuere Untersuchungen ergeben, rechnet 1.400 Frauen. 2005 waren es le- Mutter hat nicht nur Auswirkungen auf ih- dass zwischen übergewichtigen bzw. adi- diglich nur noch neun Todesfälle [13]. re eigene Gesundheit, sondern auch auf pösen Kindern und der Mundgesundheit Laut einer Studie der Felix Burda Stif- die ihres Kindes. Diese wird durch die ak- eine statistisch signifikante Korrelation tung nehmen 90 % der schwangeren Frau- tuelle, aber auch durch die prägravide Ver- besteht [37, 71]. Willershausen et al. en in Deutschland die geregelte Vorsorge sorgung mit Makro- und Mikronährstoffen konnten bei 414 Mädchen und 428 Jungen wahr, dennoch bleiben 10 % der Schwan- beeinflusst. Die Folgen einer inadäquaten im Alter von sechs bis zwölf Jahren den geren ohne regelmäßige Betreuung [16]. Ernährung betreffen nicht nur den Zusammenhang zwischen Mundgesundheit Zu diesen 10 % gehören u. a. Migrantin- Schwangerschaftsausgang, sondern kön- und Übergewicht untersuchen [71]. Natur- nen, die im deutschen Kulturkreis nicht in- nen langfristig die Gesundheit des Kindes gesunde Gebisse lagen bei 35,5 % der Nor- tegriert sind und die Möglichkeiten der und späteren Erwachsenen beeinflussen malgewichtigen, 27,5 % der übergewichti- Vorsorge in Deutschland gar nicht kennen. [8-10]. Der aktuelle Ernährungstrend zeigt gen Kinder und 29,7 % der adipösen Schü- Auch Minderjährige, die oft ungewollt eine Tendenz zu Soft-Drinks und Fast Food ler vor. Auch die Kariesfrequenz (DFT-, dft- schwanger werden und ihre Schwanger- [71]. In diesem Zusammenhang muss auf Wert) zeigte einen signifikanten Bezug zur schaft in den ersten Monaten nicht bemer- die in den letzten zehn Jahren stark an- Gewichtsverteilung. Bei den übergewichti- ken bzw. verdrängen, gehören zu dieser steigende Inzidenz übergewichtiger und gen Kindern lagen die mittleren dft-Werte Gruppe [13]. Speziell diesen Gruppen soll- adipöser Erwachsener aber auch Kinder, bei 2,48 (DFT-Wert 0,91) und bei den adi- ten zusätzlich die oben genannten Früh- speziell in den industrialisierten Ländern, pösen Kindern bei 3,3 (DFT-Wert 0,88). förderungsprogramme, beispielsweise hingewiesen werden [39]. Als Risikofakto- Die normalgewichtigen Kinder hatten da- „Aufsuchende Familienhilfe für junge Müt- ren für kindliches Übergewicht und Adipo- gegen einen deutlich niedrigeren dft-Wert ter – Netzwerk Familienhebamme“ oder sitas werden unter anderem geringer sozi- von 2,09 (DFT-Wert 0,57). Diese Studie „Prävention durch Frühförderung“ zugäng- aler Status, niedriges Haushaltseinkom- zeigt, dass normalgewichtige Kinder im lich gemacht werden. men, Übergewicht der Eltern, Lebensstil Vergleich zu übergewichtigen Kindern ei- und genetische Disposition genannt [69]. nen signifikant geringeren Kariesbefall so- Die Wahrscheinlichkeit, dass aus „dicken wohl im Milchgebiss als auch in der blei- Stellenwert der Ernährung in der Ge- Kindern“ „dicke Erwachsene“ werden, ist benden Dentition aufweisen [71]. Moder- sundheitsfrühförderung Schwangerer relativ hoch. ne Prophylaxekonzepte sollten deshalb Übergewichtige bzw. adipöse Men- auch dringend Präventionsstrategien (Er- Nach den Mutterschaftsrichtlinien sollen schen haben ein weitaus höheres Erkran- nährungslenkung) zur Vermeidung oder die Frauen in der Schwangerschaft ernäh- kungsrisiko. Zu den möglichen Folgeer- Reduktion von Übergewicht, bzw. Adiposi- rungsmedizinische Empfehlungen zur Ge- krankungen gehören u. a. Diabetes, Atem- tas insbesondere bei Kindern und Jugend- sundheitsförderung erhalten (Beschluss beschwerden und Ateminsuffizienz, Herz- lichen mit einbeziehen. Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1 27
024-035.qxd 08.03.2007 14:51 Seite 28 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Fotos: Günay Abbildung 4b Optimale Zahn- und Mundgesundheit der werdenden Mutter. Abbildung 5a Gemeinsame Untersuchung und Beratung von Mutter und Kind im Figure 4b Ideal oral health of an expectant mother. Sinne der UZ3 und PS3. Figure 5a Collective examination and advice for mother and her child in terms of UZ3 and PS3. Eine Ernährungsberatung und -len- weisen der Kinder eine entscheidende Rol- In den letzten Jahren wird noch ein kung der Schwangeren muss somit eine le. Zahlreiche Studien belegen, dass eine weiterer wichtiger Aspekt im Rahmen der bedeutend wichtige Rolle in der allgemei- intensive präventive Betreuung der zahnärztlichen Gesundheitsfrühförderung nen und zahnmedizinischen Prävention Schwangeren im Sinne einer Gesundheits- Schwangerer diskutiert: Zahlreiche Stu- einnehmen, denn durch eine optimale Er- frühförderung (Primär-Primär-Prophylaxe) dien und systematische Übersichtsartikel nährung wird nicht nur das Erkrankungsri- ganz entscheidend zur Mundgesundheit haben einen Zusammenhang zwischen Par- siko der Mutter gesenkt, sondern durch die des Kindes beiträgt [4, 17, 26, 29, 31, 33, odontitis und einer Frühgeburt bzw. Vorbildfunktion wird auch das Ernährungs- 36, 38]. Die Mütter sind richtungweisend Untergewicht gezeigt [15, 24, 40, 48, 57]. verhalten der Kinder bzw. der Familie posi- bei der Weitergabe von Gesundheitswissen Offenbacher et al. berichteten in einer Stu- tiv beeinflusst. in der Familie und konnten zudem noch als die, dass Frauen mit einer Frühgeburt oder „Hauptverantwortliche“ bei der Übertra- untergewichtigen Kindern, signifikant gung kariogener Keime auf das Kind iden- starke parodontale Erkrankungen vorwie- Stellenwert der Zahnmedizin in der tifiziert werden [42, 44]. Studien, welche sen [48]. In diesem Zusammenhang konn- Gesundheitsfrühförderung den Nachweis erbrachten, dass sich die te im Serum der Schwangeren ein erhöhter Mutans Streptokokken von Mutter und Antikörperspiegel gegen Porphyromonas Die Mundgesundheit (gesunde Zähne und Kind phänotypisch [44] und genotypisch gingivalis nachgewiesen werden [24]. Das Zahnhalteapparat) ist für die Entwicklung [42] gleichen, unterstützen diese These. Risiko einer Frühgeburt ist bei schwer par- der Heranwachsenden von großer Bedeu- Dies bedeutet, dass sich das Kariesrisiko odontal erkrankten Frauen sechs- bis sie- tung und ist ein starker Prädikator für even- des Kindes umso mehr vergrößert, je höher benmal höher als bei parodontal Gesunden tuelle Zahnprobleme im Jugend- und Er- die Keimbelastung in der mütterlichen [44, 48]. Bei Kindern mit einem geringe- wachsenenalter. Sie beeinflusst die Sprach- Mundhöhle ist. Deshalb ist es unerlässlich, ren Geburtsgewicht kann es zu erheblichen und Sprechweise, das psychische Wohlbe- gerade die Mütter über die Auswirkungen Folgeerkrankungen kommen. Daher ist es finden, sowie das Aussehen eines Kindes. ihrer Mundgesundheit auf die ihres Kindes besonders wichtig, den Parodontalzustand Das Vorhandensein von kariösen Zähnen, zu informieren. Die Übertragung der Erre- von Schwangeren bzw. von Frauen mit Kin- verbunden mit Zahnschmerzen, kann zu ger auf das Kind kann außerdem auch derwunsch zu überprüfen und die Frauen deutlichen Beeinträchtigungen des Kauver- durch Bezugspersonen stattfinden. Nicht über das Risiko einer unbehandelten Paro- mögens führen, Zahn- und Kieferfehlstel- nur kariogene, sondern auch parodontal- dontitis bezüglich einer möglichen Früh- lungen zur Folge haben und nachteilige pathogene Keime sind übertragbar [1, 50, geburt bzw. Untergewicht aufzuklären. Sie Auswirkungen auf die Gesundheit des Ge- 66]. Neben der Aufklärung über die Keim- sollten über eine beschleunigte Progre- samtorganismus mit sich bringen [41]. übertragung und einer bewussten Ernäh- dienz einer bereits etablierten Parodonti- Eine Beeinträchtigung des Kauvermö- rung, sollte während der Schwangerschaft tis aufgrund der hormonellen Umstellung gens beeinflusst beispielsweise stark das bei den Frauen eine Reduktion der oralpa- während der Schwangerschaft aufmerksam Ernährungsverhalten. Es besteht ein signi- thogenen Keime und Entzündungsfreiheit gemacht werden [35]. Durch eine Studie fikanter Zusammenhang zwischen Perso- in der Mundhöhle angestrebt werden. Da- konnte gezeigt werden, dass das Risiko ei- nen mit einer verminderten Kauleistung durch wird das Übertragungsrisiko und die ner Frühgeburt bzw. geringen Geburtsge- und einer inadäquaten Ernährung mit der Besiedlung oralpathogener Keime in der wichts nach einer parodontalen Sanierung Gefahr einer Übergewichts- oder Adiposi- kindlichen Mundhöhle verhindert bzw. ver- abnehmen kann [40]. tasentwicklung, einschließlich Folgeer- zögert oder reduziert, wodurch die Karies- In Schweden wurde die „Pränatale Vor- krankungen [71]. prävalenz deutlich gesenkt [28-34] und beugung“ im Sinne einer primär-primär- Die Eltern spielen bei der Herausbil- die Entwicklung entzündlicher Parodontal- prophylaktischen Betreuung erstmals eta- dung gesundheitsrelevanter Verhaltens- erkrankungen verzögert werden. bliert. Bereits seit 1978 wird dort erfolg- 28 Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1
024-035.qxd 08.03.2007 14:51 Seite 29 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Fotos: Günay Abbildung 5b/c Intraorale Bilder von Mutter und Kind. Figure 5b/c Intraoral images of mother and child. reich diese zahnärztliche Gesundheitsfrüh- pagne eingerichtet, auf welcher, neben ei- ebenso wie auch bei den Kleinkindern, förderung Schwangerer durchgeführt [3- ner zahlreichen Auswahl über Gesund- Kindern und Jugendlichen wurde eine 6]. Das Programm für Schwangere wurde heitsthemen, nochmals eindringlich über signifikante Verbesserung der Mundge- von Dentalhygienikerinnen oder Prophyla- die Notwendigkeit einer zahnärztlichen sundheit beobachtet. Bei den Müttern xeassistentinnen in Gesundheitszentren Untersuchung vor und während der konnte sowohl eine Verringerung des durchgeführt. Inhalt des Programms war Schwangerschaft informiert wird [2]. Stu- durchschnittlichen API von 48,5 % auf die Aufklärung über zahnmedizinische dien diesbezüglich haben jedoch ergeben, 24,7 % als auch eine Reduktion der Mu- Prophylaxemöglichkeiten. Bei einem ho- dass die meisten Frauen in dieser Zeit kei- tans Streptokokken verzeichnet werden. hen Kariesrisiko der Schwangeren erfolgte nen Zahnarzt konsultieren. Über ähnliche Die untersuchten Kinder im Alter von eine indikationsgerechte Prophylaxebe- Ergebnisse wurde auch in Deutschland be- drei Jahren zeigten alle ein kariesfreies handlung. Von 1979 bis 1991 sanken die richtet [28, 53, 54]. Selbst von den Gebiss, während nur 81,5 % der Kinder Kariesinzidenz und -prävalenz um 75 bis schwangeren Frauen, die über dentale Prob- der Kontrollgruppe keine Karies aufwie- 90 % [6]. leme klagen, sucht nur etwa die Hälfte sen. Bei den sechsjährigen Kindern im In den USA gibt es für schwangere einen Zahnarzt auf. Viele Frauen sind im- dritten Abschnitt der Studie (1997/98) Frauen ebenfalls die Möglichkeit einer mer noch der Meinung, dass ein schwacher lag zu 90 % ein kariesfreies Gebiss vor. zahnärztlichen Betreuung im Sinne einer Mundgesundheitszustand während der Bei der Kontrollgruppe waren es lediglich Frühförderung. Das staatliche Gesund- Schwangerschaft normal sei [55]. 62,5 %. Ähnliche Tendenzen lassen sich heitswesen versucht intensiv seit Anfang Bereits schon Anfang der 80er Jahre bei dem zum jetzigen Zeitpunkt noch 2000 in den einzelnen Staaten Mundge- erkannte man in Deutschland die Not- laufenden vierten Abschnitt erkennen. sundheitsprogramme für Schwangere zu wendigkeit einer zahnärztlichen Gesund- Die vorläufigen, noch nicht publizierten integrieren [2]. In Louisiana gibt es bei- heitsfrühförderung schwangerer Frauen Ergebnisse der untersuchten Jugend- spielsweise seit 2004 eine Kampagne mit [28]. Basierend auf diesen Erkenntnissen lichen der Studiengruppe [36] zeigen, dem Titel „Your Mouth – Your Baby’s wurde ein Präventionskonzept für die Be- dass bei 87,1 % kariesfreie Gebisse vor- Health“, welche sich an Geburtshelfer und treuung Schwangerer erarbeitet, welches liegen. Der mittlere DMFT-Wert liegt bei Gynäkologen, Betreiber öffentlicher Ge- dann Anfang der 90er Jahre in Form einer 0,56. Die Ergebnisse dieser Langzeitstu- sundheitskliniken, Zahnärzte, Schwangere Studie umgesetzt werden konnte [30-34, die machen die Effizienz einer Gesund- und die allgemeine Öffentlichkeit richtet. 38]. Diese Langzeitstudie sollte die Aus- heitsfrühförderung während der Schwan- Die Kampagne versucht, durch Informa- wirkungen einer Gesundheitsfrühförde- gerschaft in Bezug auf die Mundgesund- tionsmaterial wie Broschüren und Litera- rung während der Schwangerschaft auf heit von Kleinkindern, Kindern und Ju- tur über den Zusammenhang zwischen Par- die Mundgesundheit von Kleinkindern, gendlichen mehr als deutlich. odontitis und Frühgeburt und die damit Kindern, Jugendlichen und jungen Er- Nach dem zweiten Neuordnungsgesetz notwendige zahnärztliche Betreuung wachsenen untersuchen [31, 33, 36, 38]. (NOG) sind seit 1. Juli 1997 die Prophyla- Schwangerer aufzuklären [2]. In Utah Die Studie wurde in fünf Abschnitte ge- xemaßnahmen altersgemäß auf Sechs- bis existiert auch seit kurzem ein Projekt mit gliedert und bereits pränatal begonnen 17-Jährige beschränkt, allerdings wurden dem Titel „Baby Your Baby, Mind Your (I. Schwangerschaft, II. Kleinkinder null die Leistungen 1999 um die Beratung Mouth“, welches mit den lokalen Fernseh- bis drei Jahre, III. Kinder vier bis sechs schwangerer Frauen mit Inhalten zur Ver- und Radiostationen zusammenarbeitet. In Jahre, IV. Jugendliche 13 bis 14 Jahre, V. besserung der Mundgesundheit für Mutter den Lokalnachrichten wurde über die junge Erwachsene 18 bis 19 Jahre). Post- und Kind (Position Ä3), sowie die Früher- Wichtigkeit einer guten Mundgesundheit natal erfolgte sowohl bei den Müttern als kennungsuntersuchungen für Kinder bis während der Schwangerschaft berichtet. auch bei den Kindern eine präventive Be- zum sechsten Lebensjahr (FU1-FU3) er- Außerdem wurde eine Website dieser Kam- treuung (s. Tab. 2). Bei den Müttern weitert. Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1 29
024-035.qxd 08.03.2007 14:51 Seite 30 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Fotos: Günay Abbildung 6a Gemeinsame Untersuchung und Beratung derselben Personen zum Abbildung 6b Kariesfreier Gebisszustand der Tochter. Zeitpunk der IV. Phase. Figure 6b Caries free dentition of the daughter. Figure 6a Collective examination and advice for the same individuals at the pha- se IV. In den Mutterschaftsrichtlinien des Frauen in dieser Zeit in einer Phase hoher rung darstellen. Es wurde eine signifikante Bundesausschusses der Ärzte und Kran- Motivierungssensibilität befinden [29-31, Korrelation zwischen Bildungsstatus der kenkassen ist seit 1999 verankert, dass 53]. Die Zahnmediziner allein können je- Eltern, sozioökonomischem Status und „der Arzt im letzten Drittel der Schwanger- doch der Aufklärungsarbeit nicht gerecht Bildungsstatus der Kinder sowie deren ora- schaft bedarfsgerecht über die Bedeutung werden, da viele Frauen während ihrer ler Gesundheit aufgezeigt. Die „orale Kar- der Mundgesundheit für Mutter und Kind Schwangerschaft oftmals keinen Zahnarzt riere“ der Kinder ist somit offensichtlich aufklären soll“ und u. a. auch „auf den Zu- konsultieren. Laut einer Umfrage von 1985 schon bei der Geburt vorgezeichnet [61]. sammenhang zwischen Ernährung und Ka- besuchten 51 % der befragten Frauen Die DAJ-Studie veranschaulicht aller- riesrisiko hinzuweisen ist“. Eine Studie aus während ihrer Schwangerschaft keinen dings auch, dass bei den sechs- bis sie- dem Jahr 1985 stellte jedoch fest, dass 71 % Zahnarzt [28]. Gegenwärtig sind es immer- benjährigen Kindern keine signifikante der befragten Frauen während ihrer hin noch 29 bis 38 % [53, 54], obwohl Senkung der Prävalenz im Bereich der Schwangerschaft keine Aufklärung bezüg- 36 % dieser Schwangeren dentale und 63 % Milchzahnkaries zu verzeichnen war. In ei- lich Mund- und Zahnpflege erhielten, 61 % parodontale Probleme beschreiben [53]. nigen Bundesländern stieg diese sogar der Frauen wären aber gern darüber infor- Um die schwangeren Frauen über die Not- wieder an. Die Ursachen liegen zum einen miert worden [28]. Ähnliche Ergebnisse wendigkeit einer zahnmedizinischen Früh- in der soziodemographischen Entwicklung konnten auch erstaunlicher Weise aktuelle förderung aufzuklären, ist es deshalb un- (Zuzug von Familien mit Migrationshinter- Untersuchungen ermitteln. Eine Befra- erlässlich, dass verschiedene Berufsgrup- grund), im sozioökonomischen Status, der gung von 602 schwangeren Frauen ergab, pen (Frauenärzte, Hebammen, Kinderärzte Bildung, mangelnder Aufklärung der El- dass 86 % der Befragten nicht über Zahn- und Zahnärzte) interdisziplinär zu- tern, sowie in einer mangelnden Inan- und Mundgesundheit informiert worden sammenarbeiten. Durch Informationsver- spruchnahme zahnärztlicher Leistungen sind. Jedoch würden 82 % der Frauen ger- anstaltungen während einer gemeinsamen [14, 19, 61]. ne mehr Informationen darüber erhalten Aktion mit den Frauenkliniken können zu- Die frühkindliche Karies (early child- wollen, wie sich ihr Gebisszustand auf die sätzlich Schwangere und ihre Partner hood caries, – ECC-) stellt ein ernsthaftes Zähne ihrer Kinder auswirken kann [54]. darüber informiert werden, wie wichtig die und ungelöstes Problem dar. In sozioökono- Eine weitere Untersuchung demonstrierte, Zahn- und Mundgesundheit für die wer- misch deprivierten Regionen erkrankten bis dass sich mehr als ein Drittel (38 %) der dende Mutter und das Kind ist (Abb. 3). So zu 90 % der Kinder an dieser Kariesform. Die befragten Schwangeren zu wenig über können die werdenden Mütter und Väter Prävalenzangaben liegen zwischen 3 % und mögliche Risiken und Prophylaxemöglich- der zahnärztlichen Untersuchung und Be- 45 %. Klein- und Vorschulkinder sollten des- keiten während der Schwangerschaft in- ratung ggf. Behandlung zugeführt werden. halb wegen der morphologischen und ana- formiert fühlte. Ebenso wiesen diese Frau- tomischen Besonderheit ihrer Milchzähne en hinsichtlich Karies- bzw. Gingivitisätio- zur Gruppe mit hohem Kariesrisiko einge- logien und Prophylaxekonzepten bei Kin- Kariesprävalenz ordnet werden [18, 19]. In den USA liegt die dern einen geringeren Wissenstand auf Kariesprävalenz der 5-Jährigen bei 45 % [53]. Dies macht einerseits den hohen Die aktuelle DAJ-Studie zeigt zwar deut- (durchschnittlicher dft-Wert 7,8) [22]. In Aufklärungsbedarf, andererseits auch den lich einen Kariesrückgang bei Kindern und Deutschland gibt es in Bezug auf die Mund- enormen Wunsch schwangerer Frauen nach Jugendlichen, gerade bei den zwölfjähri- gesundheit von Vorschulkindern regionale Aufklärung in Deutschland deutlich. Trotz gen Jugendlichen halbierte sich der mitt- Unterschiede [19]. So hat sich beispiels- gesetzlicher Verankerung findet aber of- lere DMFT-Wert von 2,44 (1994/95) auf weise die Mundgesundheit von Vorschulkin- fensichtlich eine Aufklärung Schwangerer unter 1,2 (2004) [52], jedoch konnte so- dern in dem Bundesland Thüringen zwi- bezüglich ihrer Zahn- und Mundgesundheit wohl die DAJ-Studie, als auch eine Unter- schen 2000 und 2004 kontinuierlich ver- nicht statt [28, 30, 54], obwohl sich die suchung von Splieth et al. eine Polarisie- schlechtert [64]. Der Anteil der kariesfreien 30 Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1
024-035.qxd 08.03.2007 14:52 Seite 31 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept S1 – im ersten Drittel der Schwangerschaft* (spätestens in der 12. bis 16. SSW) en im Sinne einer Gesundheitsfrühförde- rung aufzeigten, wurde in der Medizini- Ɣ umfassende Familienanamnese (Motivierbarkeit) und allgemeine Anamnese schen Hochschule Hannover ein zahnärzt- (allgemeinmedizinische Probleme, z.B. Diabetes mellitus), Evaluierung des aktuellen Ernährungsverhaltens, Fluoridanamnese liches Frühpräventionskonzept (Primär- Primär-Prophylaxe) für Schwangere entwi- Ɣ Zahn-, PAR- und Schleimhautbefund (ggf. HI oder API und PBI) - ggf. Sanierung des Gebisses, besonders offener kariöser Läsionen ckelt (Abb. 1), welches erstmals Anfang der (Hygienefähigkeit!) 90er Jahre eingesetzt werden konnte. - professionelle Zahnreinigung Langzeitstudien beweisen eindeutig die - ggf. antiinfektiöse Parodontaltherapie (mit bedarfsgerechter Prophylaxe!) Effizienz dieses zahnärztlichen Frühprä- Æ parodontale Infektionen sollten von Anfang der Schwangerschaft an kontrolliert werden! ventionskonzepts [31, 33, 34, 38]. Der Aufklärungsbedarf, aber auch der Aufklä- Ɣ ausführliche Aufklärung über die Ursachen von Karies und Gingivitis; Motivation und Instruktion zur effektiven Mundhygiene, Beeinflussung des rungswunsch schwangerer Frauen über die Ernährungsverhaltens Auswirkungen ihrer Mundgesundheit auf Ɣ ggf. Erfassung der individuellen Plaquebildungsrate (PFRI) die ihres Kindes ist gemäß einer Studie von Rahman und Günay mit über 80 % als Ɣ Kariesrisikobestimmung (Speichelparameter und mikrobiologische Auswertung), ggf. Keimreduktion (z.B durch CHX-Gel, -Lacke, Xylit-Kaugummis) groß einzuschätzen [54]. Die schon er- wähnte negative Entwicklung in der Ka- Ɣ Fluoridierung riesprävalenz von Kleinkindern bzw. Vor- Ɣ ausführliche Aufklärung über Zusammenhang zwischen der Mundgesundheit der Mutter und der ihres Kindes schulkindern macht außerdem einen drin- Æ die Reduktion der Oralpathogene (SM, Aa, Pg) bei der Schwangeren hat genden Handlungsbedarf deutlich [18, 22, Auswirkung auf das Kind! 64]. Zusammenfassend lassen sich die Maßnahmen des Frühpräventionskonzepts S2 – im letzen Drittel der Schwangerschaft* (günstig in der 28. bis 32. SSW) wie folgt beschreiben [30]: - Bestimmung des individuellen Risikos Ɣ erneute Befundaufnahme (inkl. Mundhygienestatus) (Keimbelastung) - professionelle Zahnreinigung - Reduktion oralpathogener Keime (z. B. Ɣ Bestimmung des Infektionsgrades (Übertragungsrisiko!) Streptococcus mutans – MS, Actinobacil- - ggf. Reduktion der Keimzahlen und Ernährungsberatung lus actinomycetemcomitans – Aa, Por- Æ das Risiko einer frühzeitigen Übertragung auf das Kind wird verhindert! phyromonas gingivalis – Pg) Ɣ Aufklärung über Infektionswege: Austausch von Speichel (Schnuller, Kuss, - Sanierung der Mundhöhle der werdenden Vorkosten, gemeinsamer Gebrauch von Zahnbürsten, Essbesteck) Bezugsperson! Æ die Entwicklung von Karies und entzündlichen Parodontalerkrankungen kann Mutter verhindert, bzw. verzögert werden! - Veränderung des Ernährungsverhaltens Ɣ Aufklärung über weitere postnatale präventive Betreuung von Mutter / Eltern / - Optimierung der Mundhygiene Bezugsperson / Kind - Aufklärung der Schwangeren über die In- * weitere Behandlungstermine nach individuellen Risikofaktoren fektionswege Um dies umzusetzen, werden während Tabelle 1 Empfohlene Untersuchungstermine und Betreuung/Maßnahmen während der Schwangerschaft. der Schwangerschaft zwei Untersuchungs- Table 1 Recommended examination and care/measures during pregnancy. termine empfohlen (Tab. 1). Der erste Ter- min (S1) sollte im ersten Drittel der Schwangerschaft, jedoch spätestens in der Kinder betrug nur 45 %, wohingegen bei 37 % punkt der Transmission von Mutans Strep- zwölften bis 16. Schwangerschaftswoche der untersuchten Kinder Behandlungsbe- tokokken („window of infectivity“ – 19. erfolgen. Im letzten Drittel, ungefähr zwi- darf bestand. Der dmft-Wert lag bei 2,33. bis 31. Lebensmonat) bestimmt [21]. Am schen der 28. bis 32. Schwangerschafts- Als Ursachen für die zum Teil erheblichen effektivsten lässt sich eine frühkindliche woche, sollte sich der zweite Termin (S2) Defizite in der Mundgesundheit werden die Karies durch eine Verhinderung bzw. Ver- anschließen (Abb. 4). frühkindliche Karies und mangelnde Sanie- zögerung der Keimübertragung und -be- Um eine gezielte individuelle präventi- rungsleistungen angegeben [18]. Die Pola- siedlung sowie durch Aufklärung, Ernäh- ve Betreuung durchzuführen, muss zu Be- risierung der Karies macht den hohen Auf- rungsberatung und -lenkung der Eltern ginn der S1 eine umfassende Anamnese klärungsbedarf insbesondere bei Familien vermeiden. Um diese Ziele zu erreichen, (Familienanamnese, allgemeine Anamne- mit einem niedrigen Niveau bezüglich so- muss eine zahnärztliche Frühförderung se) durchgeführt werden. Ziel der Famili- zioökonomischer Verhältnisse, Bildung, Le- schon in der Schwangerschaft beginnen. enanamnese ist die Feststellung der Moti- bensstil und Gesundheitsverhalten an- vierbarkeit, da ohne Mitarbeit der Schwan- schaulich. Diese aktuelle Entwicklung ver- geren keine dauerhafte Verbesserung ihrer deutlicht die Notwendigkeit und die Umset- Zahnärztliche Gesundheitsfrühförde- Mundgesundheit erreicht werden kann und zung eines zahnärztlichen Frühförderungs- rung in der Schwangerschaft somit auch keine guten Voraussetzungen konzepts zur Vermeidung der frühkindlichen für die Mundgesundheit des Kindes ge- Karies speziell auch für diese Familien. Aufbauend auf den Ergebnissen von schaffen werden können. Die allgemeine Das frühe Auftreten der Karies an den Goepel (1985) [28], welche die Notwen- Anamnese soll Aufschluss über möglicher- Milchzähnen wird wesentlich vom Zeit- digkeit einer Betreuung schwangerer Frau- weise bestehende allgemeinmedizinische Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1 31
024-035.qxd 08.03.2007 14:52 Seite 32 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept Kind ⇐ UZ 1* (6.- 9. LM) / PS 1* Mutter kann, neben einer professionellen Zahnrei- erster postnataler Termin bei Durchbruch der ersten Milchzähne nigung bzw. ggf. einer antiinfektiösen Par- Ziele: - Verhinderung/Verzögerung der Keimbesiedlung und der frühkindlichen odontaltherapie im Sinne einer „Gesamt- Karies Mund-Therapie“ (full mouth therapie -FMT-), - Ernährungslenkung (allg. Gesundheitsförderung) unter Anwendung von antibakteriellen Maßnahmen der UZ1: Spüllösungen oder Gels bzw. Lacken (z. B. - allgemeine Anamnese (Allgemeinerkrankungen, Medikamentenkonsum) - Ernährungs- und Fluoridanamnese Chlorhexidin -CHX-) erfolgen [35, 58]. Eine - Beeinflussung des Ernährungsverhaltens Studie hat deutlich gezeigt, dass sich bei - Inspektion der kindlichen Mundhöhle (Status der 1. Dentition, Anomalien?) der Anwendung eines Chlorhexidin-Fluorid - Information über Zahndurchbruch - Anleitung zur kindgerechten Mundhygiene Gels bei werdenden Müttern die MS Besie- - Beratung (Nuckel- Saugerwahl) delung so reduziert, dass sich das Kariesri- - falls keine S1 und S2 erfolgt: Beratung und Aufklärung (Übertragungsrisiko, siko des Kleinkindes signifikant verringert Übertragungswege kariogener und parodontalpathogener Keime, Ernährung, Fluoridprophylaxe, frühkindliche Karies - ECC) [62]. Empfehlenswert ist zur Keimreduktion ebenfalls die Anwendung von xylithaltigen Maßnahmen der PS1: - wie bei S1 Kaugummis [60]. Gegen den unterstützen- Æ Umfang geringer, wenn S1 und S2 erfolgt den Einsatz von CHX-Präparaten während der Schwangerschaft bestehen keine Be- Kind ⇐ UZ 2* (18.- 24. LM) / PS 2* Mutter denken. Um eine dauerhafte gesunde Ver- Termin bei Durchbruch der Milchmolaren änderung der mütterlichen Mundflora zu er- Ziele: - Verhinderung der Keimbesiedlung und der frühkindlichen Karies reichen, sollten neben der Reduktion oral- (Hauptinfektionsfenster von Mutans Streptokokken: 19.-31. LM) - ggf. Keime reduzieren und eliminieren pathogener Keime (SM, Aa, Pg) unter An- - Ernährungslenkung (allg. Gesundheitsförderung) wendung von CHX-Präparaten, eine Sanie- Maßnahmen der UZ2: rung aller offenen kariösen Läsionen, eine - Inspektion der Mundhöhle (Demineralisierung, Karies?) Änderung des Ernährungsverhaltens, eine - Ernährungs- und Fluoridanamnese Optimierung der häuslichen Mundhygiene, - ggf. Sanierungsmaßnahmen - Keimbestimmung bei hohem Kariesrisiko der Mutter sowie konsequente risikogesteuerte Kon- - Beratung (Ernährung, Fluoride, Sprachentwicklung, Lutschgewohnheiten, trollen durchgeführt werden. Habits) Bezüglich der Ursachen von Karies - Instruktion und Anleitung zu einer kindgerechten Mundhygiene (Nachputzen durch Eltern!) und Parodontalerkrankungen erhalten die Schwangeren eine ausführliche Aufklärung. Maßnahmen der PS2: - siehe PS1 Parodontale Infektionen müssen von Be- ginn der Schwangerschaft an behandelt Kind ⇐ UZ 3* (30.- 36. LM) / PS 3* Mutter und kontrolliert werden. Eine Kontrolle der Termin nach Abschluss der Milchzahndentition parodontalen Infektionen kann zusätzlich Ziele: ggf. Keime reduzieren und Verhinderung der Milchzahnkaries zu subgingivalem Scaling und Wurzelober- Maßnahmen der UZ3 und PS3: siehe UZ2, bzw. PS2 flächenglättung im Sinne der Gesamtmund- * weitere notwendige Kontrolluntersuchungen in Abhängigkeit von individuellen therapie und den oben genannten Maßnah- Risikofaktoren Æ ab dem dritten Lebensjahr Fortführung der Prophylaxe durch Individual- bzw. men zur gezielten Änderung der mütter- Gruppenprophylaxe lichen Mundflora (Sanierung der offenen kariösen Läsionen, Optimierung der häus- Tabelle 2 Empfohlene Termine für die postnatale präventive Betreuung/Maßnahmen von Mutter und Kind. lichen Mundhygiene, Ernährungslenkung) Table 2 Recommended postnatal preventive care/measures for mother and child. durch engmaschige risikogesteuerte Nach- sorgetherapie erfolgen. Zusätzlich findet eine intensive Ernäh- Probleme, wie Diabetes mellitus, geben, keit zu erreichen, kann ggf. anfangs eine rungsberatung und -lenkung statt. Neben welche sich ebenfalls auf die Mundgesund- Sanierung des Gebisses erforderlich sein. Empfehlungen zu einer ausgewogenen Er- heit problematisch auswirken könnten, Zur Bestimmung des Kariesrisikos der nährung mit ausreichend Vitamin-, Mine- damit der behandelnde Zahnarzt auch hier Schwangeren werden die Speichelparameter ral- und Ballaststoffzufuhr, muss auf eine beraten oder intervenieren kann. (Speichelfließrate, -pufferkapazität, -pH- Reduzierung der Zuckerzufuhr, insbesonde- Der aktuelle Mundgesundheitszustand Wert, semiquantitative Ermittlung der re der hoch kariogenen Saccharose, hinge- und ein eventuell nötiger Behandlungsbe- Keimzahlen im Speichel) herangezogen. wirkt werden [4, 26, 65]. In diesem Zu- darf der Schwangeren wird über einen Hierzu können handelsübliche mikrobiolo- sammenhang sollte man die Aufmerksam- Zahn-, Parodontal- und Schleimhautbe- gische Testverfahren (sog. Speicheltests) keit der Mütter auch auf die höhere Kario- fund beurteilt, worüber die Frauen ein- zur Anwendung kommen. Um das Übertra- genität von Milchfertigprodukten im dringlich aufgeklärt werden. Durch die An- gungsrisiko zu verringern, muss die Mund- Gegensatz zur Muttermilch mit geringerer wendung von Plaque- und Entzündungsin- gesundheit der Mutter optimiert und somit Kariogenität lenken [59]. Gleichzeitig muss dizes (beispielsweise HI oder API und PBI) ihre Keimbelastung (MS, Aa, Pg) minimiert jedoch eine Aufklärung über den richtigen wird die Mundhygiene objektiv ermittelt werden. Eine eventuell notwendige Keimre- Einsatz von Saugerflaschen erfolgen, damit und demonstriert. Um eine Hygienefähig- duktion in der mütterlichen Mundhöhle eine frühkindliche Karies im Sinne des „nur- 32 Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1
024-035.qxd 08.03.2007 14:52 Seite 33 H. Günay: Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung in der Schwangerschaft – ein Frühpräventionskonzept sing bottle syndroms“ verhindert werden struktion in Bezug auf Mundhygienemaß- sobald die erste Ecke Zahnhartsubstanz kann. Es ist empfehlenswert, die Flasche nahmen und Ernährungsverhalten. durchbricht (zwischen dem sechsten bis nur zu den Mahlzeiten und nicht zur Beru- Eine weitere wichtige Aufgabe im Rah- neunten Lebensmonat), da diese kario- higung oder Ruhigstellung des Kindes an- men des Frühpräventionskonzepts liegt in genen Keime für ihre Besiedlung die zubieten. Außerdem sollte dringend auf der Aufklärung der Schwangeren, dass es Zahnoberfläche als feste Struktur benöti- säure- oder zuckerhaltige Getränke in der sich bei Karies und Parodontitis um über- gen. Die seit 1. Juli 1999 gesetzlich ver- Flasche verzichtet werden. Des Weiteren ist tragbare Infektionserkrankungen handelt. ankerten zahnärztlichen Früherken- darauf zu achten, dem Kind die Flasche Die Frauen müssen ausführlich über die nungsuntersuchungen (FU1 – FU3) tre- nicht alleine zu überlassen [67]. Auch müs- möglichen Infektionswege informiert wer- ten leider erst ab dem 30. Lebensmonat sen die Schwangeren Informationen darü- den. Neuere Untersuchungen bestätigen, ein, obwohl wissenschaftliche Erkennt- ber erhalten, dass übermäßiges und langes dass hier ein Informationsbedarf besteht nisse belegen, dass eine Kolonisation Stillen ebenfalls zu einer frühkindlichen Ka- [53, 54]. Fast die Hälfte der befragten deutlich früher stattfindet. Um dieser ries führen kann. Die Saugerflaschen- und Schwangeren (45,7 %) sind nicht darüber Gefahr entgegenzuwirken, sollte der er- Stillphase muss, damit keine psychische informiert, dass sie selbst als Kariesüberträ- ste postnatale Termin schon beim Durch- „Flaschenabhängigkeit“ entsteht, bis zum ger auf ihre Kinder wirken können [54]. bruch der ersten Milchzähne erfolgen, al- neunten Lebensmonat beendet sein [67]. Nicht nur Mutans Streptokokken, sondern so ungefähr ab dem sechsten Lebensmo- Im Rahmen der Ernährungsberatung sollte auch parodontalpathogene Keime, wie z. B. nat (LM) des Kindes. Analog zu den kin- auch auf die Gefahren von Übergewicht und Aa und Pg werden von Mensch zu Mensch derärztlichen Frühuntersuchungen (U) Adipositas und die damit verbundenen Risi- übertragen. So ist ebenfalls eine Übertra- wäre es empfehlenswert, zahnärztliche ken (Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, gung dieser Parodontalpathogene von der Untersuchungen (UZ) zur Vermeidung der Bluthochdruck) aufmerksam gemacht und parodontal erkrankten Mutter oder dem Va- frühkindlichen Karies an drei Terminen auf die negative Relation bezüglich Über- ter auf das Kind möglich [1, 50, 66]. Die (UZ1 bis UZ3) im Sinne einer Primär-Pro- gewicht bzw. Adipositas und Mundgesund- Etablierung parodontalpathogener Keime phylaxe stattfinden zu lassen [31]. Eine heit hingewiesen werden [71]. erfolgt im Wechselgebiss. Die Übertragung besonders intensive Betreuung muss zum Als eine weitere wichtige präventive kariogener und parodontalpathogener Kei- Zeitpunkt der UZ2 und UZ3 erfolgen, Maßnahme empfiehlt sich eine Fluoridie- me findet über den Austausch von Speichel denn das Hauptinfektionsfenster von rung der Zähne. Während einer Schwanger- (Schnuller, Kuss), Vorkosten, gemeinsamen Mutans Streptokokken liegt ungefähr in schaft sind die Zähne verstärkt dem Angriff Gebrauch von Zahnbürsten und Essbesteck diesem Zeitraum [21]. Je früher eine In- von Säuren ausgesetzt. Durch das Erbre- statt [11, 26, 42, 45, 47, 62]. Diese Über- fektion erfolgt, desto mehr Karies (ECC) chen besonders in der Frühschwangerschaft tragungsmöglichkeiten sind nicht nur auf ist im frühkindlichen Alter, besonders im und das veränderte Ernährungsverhalten die Mutter beschränkt, sondern als Überträ- Alter von vier Jahren zu erwarten [43]. mit Heißhunger auf Süßes oder Saures, ger der kariogenen und parodontalpathoge- Das kritische Alter liegt also zwischen kommt es zu einer Verschiebung des pH- nen Keime kommen neben den Familienan- dem ersten und vierten Lebensjahr. Wertes des Speichels und der Plaque (Säu- gehörigen auch andere Kontaktpersonen in Zeitgleich zu den zahnärztlichen re-Plaque-Milieu) in den sauren Bereich. Frage [42]. In diesem Zusammenhang muss Untersuchungen des Kindes werden die Pistorius et al. haben diesbezüglich bestä- der Schwangeren nochmals verdeutlicht Untersuchungen der Mutter (Post tigt, dass 60 % der befragten Schwangeren werden, dass ihre Mundgesundheit im di- Schwangerschaft – PS1-PS3) (Abb. 2, 5, regelmäßig Zwischenmahlzeiten zu sich rekten Zusammenhang mit der Mundge- 6 und Tab. 2) empfohlen [35]. Ab dem nehmen [53]. Durch das saure Mundmilieu sundheit ihres Kindes steht und dass sich dritten Lebensjahr sollte das Kind in die besteht erhöhtes Erosions- und Kariesrisi- eine Minimierung bzw. Verhinderung der gruppen-, bzw. individualprophylakti- ko. Deshalb sollte in der Schwangerschaft Keimetablierung im Munde ihres Kindes nur sche Betreuung übergeben werden. eine regelmäßige zusätzliche Fluoridierung durch eine Keimreduktion in ihrem eigenen stattfinden, um eine Demineralisation des Mund erreichen lässt. Außerdem ist ein sol- Zahnschmelzes zu verhindern und eine Re- ches Präventionskonzept gleichzeitig eine Fazit mineralisation zu fördern [70]. Bei ungenü- wirksame Prophylaxe der Schwanger- gender Mundhygiene führt außerdem der schaftsgingivitis. Trotz des Erfolgs in der allgemeinmedizi- Konsum von Zwischenmahlzeiten zu einer Natürlich sollte nicht versäumt werden, nischen Schwangerenvorsorge gibt es erhöhten Plaqueakkumulation, was wiede- die werdende Mutter über die Möglichkei- Problembereiche, insbesondere zahnme- rum eine Gingivitis begünstigt. ten und Zeitpunkte der postnatalen präven- dizinische, die nicht ausreichend beach- Die Maßnahmen der S1 werden teil- tiven Betreuung von Mutter und Kind (UZ tet werden. Die prä- und postnatale Be- weise bei dem zweiten Zahnarztbesuch und PS) zu informieren. treuung und Beratung der Mütter im Sin- während der Schwangerschaft (S2) wieder- ne einer Gesundheitsfrühförderung hat holt. So erfolgen eine erneute Befundauf- das Potential, karies-, parodontitis-, und nahme, inklusive eventueller Sanierung Postnatale präventive Betreuung von ernährungsbedingte Folgeerkrankungen und professioneller Zahnreinigung, die Be- Mutter und Kind erfolgreich zu minimieren. Die Effizienz stimmung des Infektionsgrades der einer Gesundheitsfrühförderung während Schwangeren zur Feststellung des Übertra- Die Gefahr der Kolonisation mit dem der Schwangerschaft in Bezug auf die gungsrisikos (ggf. Reduktion der Keimzah- Hauptkarieskeim Mutans Streptokokken Mundgesundheit von Kleinkindern, Kin- len), sowie eine Remotivation und -in- in der kindlichen Mundhöhle beginnt, dern und Jugendlichen konnte deutlich Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 29 (2007) 1 33
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