Zahnfarbene Kunststoffe als Gerüstmaterialien bei abnehmbarem Zahnersatz - ePaper
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TECHNIK Zahnfarbene Kunststoffe als Gerüstmaterialien bei abnehmbarem Zahnersatz Ein Fachbeitrag von Priv.-Doz. Dr. Oliver Schierz, Wolfgang Bidmon, Leonie Schmohl und Priv.-Doz. Dr. med. dent. Angelika Rauch, M.Sc. MATERIALIEN /// Wenn Patienten über klinisch nicht nachvollziehbare Symptome nach Ein- gliederung von Zahnersatz klagen, ist guter Rat schnell recht teuer. Unter dem Leidens- druck der Patienten und der Fehlinterpretation von Symptomen werden teilweise unüberlegt Veränderungen am Zahnersatz vorgenommen. Dieser Beitrag soll Anregungen für die tem- poräre Versorgung von Patienten mit einem zahnfarbenen Kunststoff geben. An einem Pa- tientenbeispiel mit Verdacht auf Materialunverträglichkeit wird die Anwendung verdeutlicht. Kunststoffe für abnehmbaren Zahnersatz Bei abnehmbarem Zahnersatz ist, außer bei Interims- und Totalprothesen, die Verwendung von Metalllegierungen zur Herstellung rigider Gerüststrukturen die Regel. Typischerweise kommen in Deutschland hierzu vorwiegend Kobalt- Chrom-Molybdän-Legierungen, aber auch goldbasierte und Titanlegierungen zur Anwendung. Die Nachfrage nach metall 1 armem bzw. metallfreiem Zahnersatz nimmt stetig zu. Die individuellen Gründe sind hierbei sehr verschieden. Während für einige Patienten der ästhetische Nutzen im Vordergrund steht, sind es bei anderen Personen die Sorgen vor Vergiftung, elektrischen Strömen oder auch Unverträglichkeitsreaktionen und Allergien. Wer diesen Patienten begegnet, steht allerdings vor einem schwer zu über- schauenden Angebot unterschiedlicher Ma terialalternativen. Die verfügbaren Werkstoffe unterscheiden sich in der chemischen Zusammensetzung (meth acrylatfreie vs. methacrylathaltige Ma terialien), den physikalischen (Abriebfes- 2 tigkeit, Elastizität, Wasseraufnahmever- mögen) und optischen Eigenschaften Abb. 1: Chemische Zusammensetzung der Polyoxymethylene, blau markiert die Methylen-Gruppe der Copolymerbestandteile. POM-C besitzt die gleiche Grundstruktur wie POM-H, es wurden jedoch zyklische Ether und Methylen-Gruppen hinzugefügt. (opak vs. transluzent; zahnfarben vs. Abb. 2: Materialzusammensetzung der prothetischen Versorgung im Oberkiefer bei Erstvorstellung. (Fotos: Ingolf Riemer) nicht zahnfarben). Auch die Verarbeit- 22 ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor – 2/2021
3 4 5 barkeit (chemisch härtend, lichthärtend, thermoplastisch verformbar, fräsbar) ist Im Nachfolgenden wird unterschiedlich möglich.1 ein Patientenfall prä- Grundsätzlich zeigen Werkstücke, wel- sentiert, in dem Polyoxy- che aus industriell gepressten Rohlingen erfahrungen methylen als monolithi- gefräst werden, erheblich bessere Ma- bestehen, ist sches Material bei der Herstel- terialeigenschaften als Werkstücke, die dies für die ande- lung von semipermanentem, abnehm- thermoplastisch oder im Polymerisations- ren beiden Materialien nicht gegeben. barem Zahnersatz genutzt wurde. verfahren hergestellt wurden.2 Insofern PC ist bezüglich der Mundverweildauer möglich sollte bei Materialien, die CAD/ auf zwölf Monate beschränkt und eben- Chemische Zusammensetzung CAM-Fertigung bevorzugt verwendet falls, wenn auch in geringerem Umfang von Polyoxymethylen (POM) werden. als PMMA, frakturgefährdet. PC werden Bei den zahnfarbenen, kunststoffbasier- deshalb vorwiegend für zahnfarbene POM ist im industriellen Bereich seit über ten Werkstoffen stehen uns die Poly- Schienen, aber weniger für abnehmbaren 30 Jahren verfügbar und wird vor allem methylmethacrylate (PMMA), die Poly- Zahnersatz verwendet. POM (Synonym: in der Automobilindustrie und Elektro- carbonate (PC) und die Polyoxymethy- Polyacetal), das durch seine polykristal- technik zum Beispiel zur Herstellung von lene (POM) zur Verfügung. PMMA ist in line Struktur opake Eigenschaften hat, ist Präzisions- und Formteilen verwendet. vielen Färbungen und auch als mehr- in diversen Zahnfarben verfügbar. Es ist Chemisch wird das Material sowohl schichtig eingefärbtes Material verfügbar, sehr bruchresistent und bei abnehmba- durch Polyether- (–C–O–) als auch Acetal- eignet sich durch seine Sprödigkeit aller- rem Zahnersatz auch als permanentes Gruppen (–O–C–O–) charakterisiert. POM dings nur bei höheren Schichtstärken Material zugelassen. Durch seine einge- kann aus Formaldehyd- oder Trioxan- zur Fertigung von abnehmbarem Zahn- schränkte Verschleißfestigkeit ist es je- Monomeren hergestellt werden (Abb. 1). ersatz. Während mit PMMA-basierten doch langfristig nicht im okklusionstra- Es stehen zwei POM-Varianten zur Ver- Kunststoffen ausgedehnte Langzeit- genden Bereich zu empfehlen. fügung: POM als Homopolymer (POM-H) 6a 6b Abb. 3: Prothetische Versorgung des Unterkiefers bei Erstvorstellung mittels hochgoldhaltigem, teilverblendetem, festsitzendem Zahnersatz. (Foto: Ingolf Riemer) Abb. 4: Versuch der Digitalisierung der mit Titanoxid gepuderten Sekundärkonstruktion. Abb. 5: Oberkiefermodell mit Registrierschablone. Abb. 6a und b: Sekundärkonstruktion aus Polyoxymethy- len auf dem Modell (a) und eingefügt im Mund (b). ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor – 2/2021 23
TECHNIK arzt mit Bitte um Überweisung an die Dermatologie und Testung auf zahnärzt- lich relevante Allergene der Standardreihe (u. a. Chrom, Kobalt, Nickel, Perubalsam, Kolophonium), Dentalmetalle (u. a. Amal- 7 gam, Gold, Palladium, Platin, Zinn, Kupfer, Quecksilber) und Zahntechniker-Haupt- reihe (div. Acrylate, Benzoylperoxid, Me- laminharze). Hypoallergene Übergangsprothese Gemeinsam mit der Patientin erfolgte der Entschluss, parallel eine Übergangspro- these aus einem hypoallergenen, zahn- farbenen Material anzufertigen, ohne die bestehende Konstruktion dabei zu zer- stören. Der Versuch, die vorhandene ab- nehmbare Sekundärkonstruktion direkt zu digitalisieren, war nicht erfolgreich (Abb. 4). Die Ursache lag hierbei in der unvollständigen dreidimensionalen Er- fassung des Werkstücks. Es erfolgte deshalb die konventionelle Abformung beider Kiefer, eine Kieferrelationsbestim- mung und die digitale Neukonstruktion des Zahnersatzes (Abb. 5). Um die Frik- tion der Teleskope besser einstellen zu 8 können, wurden zwei Käppchen aus POM (Zirlux Acetal, Henry Schein) mit un- und als Copolymer (POM-C). POM-H ist bleme aufgetreten, weshalb die abnehm- terschiedlich eingestelltem Spaltmaß ge- ein hochkristallines, thermoplastisches bare Brücke mehrfach umgearbeitet fräst und intraoral auf ihren Halt geprüft. Material mit einer helikalen Struktur.3 Für wurde. Als Konsequenz wäre das da- Zur Minimierung potenzieller Allergene die Herstellung von POM-C werden durch freiliegende Metall mit Feingold wurde zunächst auf eine Charakterisie- kleine Mengen anderer zyklischer Ether überzogen wurden. Beim Tragen der Pro- rung und Glasur der neu gefertigten Se- (–C–O–) und zusätzliche Methylen-Grup- these empfinde sie Stromschläge, spüre kundärkonstruktion aus POM verzichtet. pen zugefügt. Diese Methylen-Gruppen einen sauren Geschmack, leide unter Es erfolgte ausschließlich eine manuelle erhöhen die thermische und hydrolyti- Mundtrockenheit und habe eine chroni- Politur. Bei Eingliederung wurde die Ok- sche Stabilität.4 Die im zahnärztlichen Be- sche Schleimproduktion im Hals. Corti- klusion eingestellt und der Patientin der reich verwendeten Materialien basieren son-Spray lindere ihre Symptome. Sie sei temporäre Zahnersatz zum Probetragen auf POM-C. bezüglich der Probleme in den letzten mitgegeben (Abb. 6). Jahren schon bei vielen Ärzten gewesen. Bereits zur Kontrolle nach einer Woche Fallbeispiel – Polyoxymethylen als Die Prothese könne sie nur über kürzere zeigte sich ein spür- und sichtbares Auf- abnehmbare Brücke Zeit im Mund tolerieren und trage diese rauen der okklusalen Seitenzahnbereiche nachts nie. Aufgrund eines chronischen (Abb. 7). Temporär auftretende Verfär- Im Dezember 2020 stellte sich eine Hustenreizes sei sie aktuell arbeitsunfähig. bungen durch intensiv färbende Spei- 57-jährige Patientin in der Sprechstunde sen (Rote Bete, Rotwein) haben sich für dentale Materialunverträglichkeiten Verdacht auf Materialallergie durch normale Reinigungsmaßnahmen der Universität Leipzig vor. Sie war im Aus den mitgebrachten Unterlagen konnte und Reinigungstabletten als reversibel Oberkiefer seit zehn Jahren mit einer entnommen werden, dass das unspezi- erwiesen. Auch das Essen harter Spei- abnehmbaren, teleskopierenden Brücke fische Immunglobulin E wiederholt erhöht sen (z. B. Nüsse) war für die Patientin und im Unterkiefer mit festsitzendem vorlag (Referenzbereich < 100 U/ml, T est- problemlos möglich. Bereits nach einer Zahnersatz versorgt (Materialzusammen- ergebnis Juni 2020: 264 U/ml). Ein Woche fühlte sie sich erheblich wohler. setzung siehe Abb. 2 und 3). Allergietest auf dentale Materialien lag Zwar sei der Husten- und Räusperreiz Unmittelbar nach Eingliederung der Ver- nicht vor. Wir erstellten daher ein An- noch präsent, aber sowohl der saure sorgung im Oberkiefer seien erste Pro schreiben an den niedergelassenen Haus- Geschmack, die Stromschläge, als auch 24 ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor – 2/2021
NP GQ QUATTRO DISC ANZEIGE TECHNIK die Schleimbildung im Rachenbereich Abb. 7: Kaufläche nach einwöchiger Trage- seien verschwunden. dauer. Gut erkennbar das Aufrauen der Kau- flächen gegenüber den Vestibulärflächen. (Foto: Ingolf Riemer) Langfristige Lösung Abb. 8: Kolorierte, dauerhafte Versor- gung aus Polyaryletherketon-basierten Vor weiteren Behandlungsmaßnahmen Käppchen, welche mittels Polyoxymethy- sollen die Ergebnisse des Epikutan-Tests len (POM) überpresst wurden. Die Innen- abgewartet werden. Falls der Epikutan- teleskope wurden aus Zirkoniumdioxid gefertigt. Um der erhöhten Attrition von Test keine Reaktion auf Methacrylate he POM im okklusalen Bereich entgegenzu- rausstellen sollte, ist es vorgesehen, die wirken, wurden konfektionierte Prothesen- zähne verwendet. Prothese probeweise mit einer MMA-hal (Foto: ZTM Sebastian Schierz) tigen Glasur- und Farbmasse zu beschich- ten, um die klinische Verträglichkeit zu validieren. Langfristig sind zunächst In- Literaturhinweise nenteleskope aus Zirkoniumdioxid mit einer Sekundärkonstruktion aus einem Polyaryletherketon (PAEK) geplant, wel- ches mit Komposit verblendet werden kann. Hierdurch wäre eine Reduktion der GEBOREN intraoralen Metalle auf die hochgoldhaltige IM FEUER. Legierung im Unterkiefer möglich. Ein Bei- spiel für eine derartige Konstruktion ist in VERARBEITET INFORMATION /// Abbildung 8 dargestellt. Bei dieser Res- ZU HÖCHSTER tauration wurden die Außenteleskope Priv.-Doz. Dr. Oliver Schierz aus einem PAEK (hier PEEK) mit POM QUALITÄT! Universität Leipzig überpresst. Im kaulasttragenden Bereich Poliklinik für Zahnärztliche wurden dabei konfektionierte, PMMA- Prothetik und Werkstoffkunde Die GQ Quattro Disc NP ist bei der Wahl einer basierte Prothesenzähne eingearbeitet Liebigstraße 12, 04103 Leipzig NEM-Disc die wirtschaftliche Alternative mit und die Oberfläche mit MMA-haltigem Tel.: +49 341 97-21310 starker Leistung. Sie bietet eine Top-Qualität Primer versiegelt und koloriert. Ein Vorteil oliver.schierz@medizin.uni-leipzig.de und Verarbeitungssicherheit sowie gute Ver- dieser Konstruktion ist die geringfügige arbeitungseigenschaften: Deformierbarkeit, welche die Eingliede- Wolfgang Bidmon rung bei eingeschränkter Kieferöffnung • leicht zu fräsen (255 HV 10) Universität Leipzig erleichtert. • homegene Materialqualität Poliklinik für Zahnärztliche • hohe Korrosionsbeständigkeit Prothetik und Werkstoffkunde Fazit • hohe Biokompatibilität wolfgang.bidmon@medizin.uni-leipzig.de • nickel- und berylliumfrei • verblendbar mit Noritake EX-3 und Polyoxymethylen, im klinischen Alltag Leonie Schmohl handelsüblichen, normalexpandierenden auch als Polyacetal bezeichnet, erweitert Universität Leipzig Keramiken das Spektrum der zahnfarbähnlichen, Poliklinik für Zahnärztliche metallfreien Materialien für abnehmbaren ab € 88,– Prothetik und Werkstoffkunde Zahnersatz. Durch seine hohe Bruchfes- zzgl. MwSt. leonie.schmohl@medizin.uni-leipzig.de tigkeit gegenüber MMA-basierten Kunst- ADR AT. DE GOLDQU stoffen und Polycarbonat ist es im zahn- Priv.-Doz. Dr. med. dent. ärztlichen Anwendungsspektrum auch für brückenähnliche Konstruktionen trotz IMMER ONLINE Angelika Rauch, M.Sc. Universität Leipzig geringer Schichtstärke nutzbar. Erhöhte DENTAL · TECHNIK · PARTNER Poliklinik für Zahnärztliche Belastungen im okklusionstragenden Prothetik und Werkstoffkunde Bereich sorgen jedoch für eine verstärkte DENTALLEGIERUNGEN CAD/CAM angelika.rauch@medizin.uni-leipzig.de EDELMETALLE 3D-DRUCK Verschleißanfälligkeit, sodass es bei die- sen Patientenfällen nur als temporäres KERAMIK DESINFEKTION Priv.-Doz. Dr. Oliver Schierz ZIRKONOXID SCHUTZ Material geeignet scheint. Bei zahnärzt lichen Rekonstruktionen mit längerfristi- DENTALZUBEHÖR FORTBILDUNG gem Einsatz sollten im kaulasttragenden Bereich kaustabilere Werkstoffe zum Ein- satz kommen. 25 info@goldquadrat.de · www.goldquadrat.de
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