PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern

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PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern
8 | 8.2019

            pharmaJournal                               Schweizer Apothekerzeitung
                                                        Journal Suisse de Pharmacie
                                                        Giornale Svizzero di Farmacia

             Bern, 29.08.2019, 157. Jahrgang

             Herstellungsprobleme: Formulierung
             eines anästhesierenden Oralgels
             Preisüberprüfungen: Jetzt reicht‘s!
             Petition: ein starkes politisches Signal
             Freiburg: Offizinpraktikum für
             Medizinstudierende
             Carla Meyer-Massetti: Apothekerin
             an der Schnittstelle Spital-Spitex

00_cover dt [P]_432705.indd 101                                                22.08.2019 05:58:33
PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern
→   Porträt

              Dr. Carla Meyer-Massetti

              Einsatz von Apothekern an Schnittstellen:
              wichtig und richtig
              Ta n j a A eb li

              Tritt ein Patient aus dem Spital aus           sicherheit effektiv sind und welche Inter-
              und wird von der Spitex weiterbe-              ventionen es braucht.»
              treut, ist das Risiko für Medikations-
              fehler erheblich: Verordnungen sind            Patientensicherheit verbessern
              teils unklar oder Medikamente gar
              nicht erst verfügbar. Dr. Carla Meyer-         Das 2016 lancierte und in der Forschungs-
              Massetti untersucht im Rahmen des              gruppe von Prof. Christoph Meier (Klini-
              Projekts doMESTIC die Medikations-             sche Pharmazie und Epidemiologie der
              sicherheit an solchen Schnittstellen.          Universität Basel) angesiedelte Projekt
              Die Spitalapothekerin FPH ist                  doMESTIC – Study of Medication Safety in
              ­ü berzeugt, dass pharmazeutisches             Home Care, das vom LOA-Fonds, dem
               Fachwissen im Bereich Home Care               Gesundheitsdepartement des Kantons
               gros­s es Potenzial hat.                      Luzern, dem Spitex Verband Luzern und
                                                             der Spitex der Stadt Luzern finanziert
                                                             wird, setzt bei solchen Grundlagen an.

              D
                         er demografische Wandel, die        Als Modell-Organisation für die Erhebun-
                         zunehmende Verlagerung vom          gen der Daten diente die Spitex Stadt Lu-
                         stationären in den ambulanten       zern, die 300 Mitarbeitende engagiert, fast
              Sektor wie auch der Wunsch vieler Pfle-        2000 Personen betreut und Medikations-
              gebedürftiger, möglichst lange in den ei-      fehler systematisch mittels CIRS erfasst.
              genen vier Wänden zu verweilen, lassen             Die ersten Resultate einer Teilstudie     Ein grosser Teil von Medikationsfehlern an der
              die Nachfrage nach Leistungen, wie sie         des bis im Sommer 2020 andauernden            Schnittstelle Spital-Spitex lässt sich durch opti-
              Home Care-Unternehmen erbringen,                                                             mierte Prozesse und den Einsatz von Pharma­
                                                             Projekts zeigen: Die Fehlerquellen an der
                                                                                                           zeuten in Home Care-Teams verhindern. Dies
              kontinuierlich steigen. «Die Spitex beglei-    Schnittstelle Spital-Spitex sind mannig-      konnte Dr. Carla Meyer-Massetti, Spitalapothekerin
              tet immer mehr ältere Personen, die auf-       faltig. So übermittelt das Spital etwa nur    FPH und Postdoktorandin, im Projekt doMESTIC
              grund verschiedener Beschwerden viele          in der Hälfte der Fälle eine komplette        aufzeigen. © Marco Zanoni
              Medikamente verordnet bekommen»,               Medikamentenliste an die Spitex, was zu
              sagt Carla Meyer-Massetti. Doch gerade         Unklarheiten bezüglich der Weiterver-
              hohes Alter und Polypharmazie sind die         wendung der nicht spezifisch erwähnten
              grössten Risikofaktoren für Medikations-       Medikamente führen kann. Weiter fehlen        Ideales Wirkungsfeld für Apotheken
              assoziierte Probleme. Was ebenso hin-          etablierte Kommunikationswege an die-
              länglich bekannt ist: Medikationsfehler        ser Schnittstelle und grundlegende Infor-     Die bisherigen Resultate des Projekts
              an Schnittstellen sind nicht nur häufig,       mationen zur Medikamententherapie in          doMESTIC bestätigen damit auch inter-
              sondern oft auch vermeidbar.                   der Spitex-Datenbank.                         nationale Studienergebnisse, wonach
                  In der Schweiz existierten lange prak-         «Ein grosses Problem beim Übergang        Medikations-assoziierte Probleme im Be-
              tisch keine Daten zur Medikationssicher-       Spital-Spitex ist die Kommunikation;          reich Home Care häufig sind, und der
              heit im Home Care-Bereich. Für Carla           wichtige Informationen zur Medikation         Einsatz von gezielten klinisch-pharma-
              Meyer-Massetti, die nach der Fachapo­          werden oft nicht korrekt oder zeitgerecht     zeutischen Dienstleistungen die Patien-
              theker-Ausbildung in Spitalpharmazie           übermittelt. Hier wären ein systemati-        tensicherheit verbessern kann. Carla
              zum Thema Medikationssicherheit in             scher Medikationsabgleich und der Ein-        Meyer-Massetti ist davon überzeugt, dass
              Basel und San Francisco dissertiert hat,
              ­                                              satz einer pharmazeutischen Fachkraft         das Fachwissen von Apothekerinnen und
              Grund genug, hier Abhilfe zu schaffen:         sinnvoll, denn gerade bei polymedizierten     Apothekern an solchen Schnittstellen
              «Eine solide Datengrundlage zur Medika-        Spitex-Patienten besteht oft Klärungsbe-      von grosser Relevanz ist: «Im Bereich
              tionssicherheit an der Schnittstelle Spital-   darf und Optimierungspotenzial bezüg-         Home Care können neue Dienstleistun-
              Spitex ist unabdingbar, um aufzuzeigen,        lich Therapie», bilanziert die klinische      gen beim Medikamentenmanagement
              wie gross die Probleme für die Patienten-      Pharmazeutin.                                 einerseits die Patientensicherheit signifi-

   30                                                                                                                                    pharmaJournal 8 | 2019

08_Portrait_dt [P]_435203.indd 30                                                                                                                        22.08.2019 06:47:32
PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern
→   Porträt

             kant verbessern, andererseits aber auch              Organisation setzt auf flache Hierarchien     ­inanzierung ein interessanter Ansatz,
                                                                                                                F
             dazu beitragen, die Apotheken mit ihrem              und selbstorganisierte Pflegeteams, die       setzt doch das dezentral angelegte Sys-
             Fachwissen besser zu positionieren.»                 auf einen Pool mit Experten in den Berei-     tem auf zentralisierte Fachexpertisen,
                Das holländische Modell Buurtzorg                 chen Wundversorgung, Psychiatrie oder         bzw. eine direkte Anstellung dieser Per-
             hat bereits verwirklicht, was Carla Meyer-           Arzneimittel zurückgreifen können. Laut       sonen bei der Organisation selbst. «In
             Massetti vorschwebt. Die Home Care-                  Carla Meyer-Massetti auch bezüglich           Selbstdispensationskantonen wie Luzern
                                                                                                                lassen sich pharmazeutische Dienstleis-
                                                                                                                tungen nicht mit Margen querfinanzie-
                Mehr Sicherheit im Umgang mit Medikamenten: Luzerner Spitex
                                                                                                                ren, deshalb braucht es andere Abgel-
                engagiert Pharmazeutin                                                                          tungsmodelle», präzisiert die 43-Jährige.
                                                                                                                Denkbar wäre aber auch eine Abgeltung
                Seit vergangenem März nutzt die Spitex Stadt Luzern die Expertise einer Pharmazeutin in
                ihrem Team: Carla Meyer-Massetti arbeitet neben ihrem Engagement als Projektleiterin in
                                                                                                                im Rahmen der leistungsorientierten
                der Spitaldirektion des Universitätsspitals Zürich und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am   ­Abgeltung LOA V plus oder mittels Spar-
                Universitätsspital Basel zu zehn Prozent im Prozess- und Qualitätsmanagement der Spitex         modellen für einzelne Versicherte, welche
                Stadt Luzern. «Ich hoffe, dass dieses Beispiel Schule macht», sagt Carla Meyer-Massetti. Die    beispielsweise eine pharmazeutische
                ersten Monate haben gezeigt: Ein Grossteil der Mitarbeitenden schätzt die Verfügbarkeit          Medikationsanalyse in halbjährlichen In-
                ­einer Pharmazeutin im Team. Oder in den Worten von Spitex-Fachfrau Franziska Durrer:            tervallen oder an Schnittstellen wie dem
                 «Das Fachwissen einer Apothekerin ist für uns eine grosse Unterstützung. Es ist wichtig,
                                                                                                                 Spitalaustritt vorsehen.
                 dass jemand den Gesamtüberblick bezüglich Medikation hat.»
                Auch Carla Meyer-Massetti zieht nach den ersten vier Monaten eine positive Bilanz: «Für         Langfristig Kosten senken
                Apotheker ist das ein überaus spannendes Feld, um sich zu engagieren.» Sei es als fach-
                technisch verantwortliche Person im Bereich Medikationsprozesse oder bei klinisch-
                pharmazeutischen Aufgaben wie etwa der Kontaktaufnahme mit Hausärzten zwecks                    Zwar steigen durch ein professionelles
                Therapieklärung. Welche pharmazeutischen Dienstleistungen im Home Care-Bereich                  Medikamentenmanagement in einem ers-
                sinnvoll sein könnten, wird im Rahmen von doMESTIC derzeit eingehend untersucht. Seit           ten Schritt die Kosten. «Wenn es jedoch
                Juli gelangt zudem ein Tool zum Einsatz, das Patienten identifizieren soll, die besonders       gelingt, dadurch Medikations-assoziierte
                gefährdet sind für Medikations-assoziierte Probleme. Auch Anliegen von Patienten und            Risiken zu detektieren, lassen sich teure
                Angehörigen werden in einem nächsten Schritt nochmals ganz gezielt eruiert. Am Ende             Spitaleinweisungen verhindern», gibt die
                des Projekts ist die Veröffentlichung eines Leitfadens zur Implementierung von pharma-
                                                                                                                gebürtige Luzernerin zu bedenken. Das
                zeutischen Dienstleistungen bei der Spitex geplant, der in Zukunft auch Apotheken zur
                Verfügung stehen soll.                                                                          Interesse seitens der Versicherer an einem
                                                                                                                professionellen Medikamentenmanage-
                «Für Offizinen scheint mir die Zusammenarbeit mit einer Spitex-Organisation ein interes-
                                                                                                                ment an Schnittstellen sei zwar vorhan-
                santer Ansatz zu sein, um das eigene Fachwissen einzubringen und neue Dienstleistungen
                zu etablieren: beispielsweise mit Schulungen für Pflegefachkräfte, Patienten oder Ange­         den, der Nachweis der Kriterien zur
                hörige, mit Medikationsanalysen oder mittels Rücksprachen mit zuweisenden Ärzten oder           ­Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirt-
                Spitälern», bilanziert Carla Meyer-Massetti. Empfehlenswert sei in dieser Hinsicht die           schaftlichkeit solcher pharmazeutischer
                ­Weiterbildung Pharmazeutische Betreuung von Institutionen des Gesundheitswesens.                Dienstleistungen bei der Spitex jedoch
                                                                                                                 noch ausstehend.
                                                                                                                     Für Carla Meyer-Massetti ist klar, dass
                                                                                                                die Apotheken sich im Bereich Patienten-
                                                                                                                sicherheit an Schnittstellen aktiv einbrin-
                                                                                                                gen müssen: «Gerade in der Pflege ist man
                                                                                                                lange Zeit davon ausgegangen, dass es mit
                                                                                                                 diesen Problemen an Schnittstellen zu le-
                                                                                                                 ben gilt. Diese Resignation ist heute nicht
                                                                                                                 mehr angebracht, denn mittlerweile wis-
                                                                                                                 sen wir: Es gibt zwar viele medikations­
                                                                                                                 basierte Probleme, aber ebenso viele Mög-
                                                                                                                 lichkeiten, die Situation zu verbessern.
                                                                                                                 Wir müssen das Thema systematischer
                                                                                                                 Medikationsabgleich beim Übertritt vom
                                                                                                                 Spital zur Spitex unbedingt proaktiv
                                                                                                                 und interprofessionell angehen.» Der Um-
                                                                                                                 stand, dass bei der Spitex bereits viele
                                                                                                                 Prozesse digitalisiert sind und das elektro-
                                                                                                                 nische Patientendossier auf der Zielgera-
                                                                                                                 den ist, dürfte eine gute Ausgangslage für
                Pharmazeutisches Know-how im Spitex-Team: Carla Meyer-Massetti arbeitet seit März im Prozess-    die Zusammenarbeit an dieser fehleran­
                und Qualitätsmanagement der Spitex Stadt Luzern. © Marco Zanoni
                                                                                                                 fälligen Schnittstelle sein.             n

             pharmaJournal 8 | 2019                                                                                                                                   31

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PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern PharmaJournal Schweizer Apothekerzeitung - Spitex Stadt Luzern
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