ZERTIFIZIERT - UND DANN IST ALLES GUT? - Arbeitsbedingungen im Fairtrade-Baumwollanbau in Indien - SÜDWIND ...

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NACHHALTIGE BESCHAFFUNG

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                      ZERTIFIZIERT – UND DANN IST ALLES GUT?
                      Arbeitsbedingungen im Fairtrade-Baumwollanbau in Indien

                      VON SABINE FERENSCHILD

                                                                                                                                     204 FELDARBEI-

                              W
                                          eltweit arbeiten viele Millionen Men-        Ort-Recherche nachgegangen. Das vor-              TER*INNEN VON
                                          schen auf Baumwollfeldern. Sie tun           liegende Fact-Sheet fasst die Ergebnisse          FAIRTRADE-
                                          dies in der Regel ohne Arbeitsverträge       dieser Recherche zusammen, die CLRA               ZERTIFIZIERTEN
                              oder Gesundheitsschutz, auf mit Pestiziden be-           unter dem Titel „Agriculture Workers in           BAUMWOLL-
                              lasteten Feldern, zu niedrigsten Löhnen bei über-        Fair Trade Certified Cotton Farms“ vorge-
                                                                                                                                         FARMEN IN
                              langen Arbeitszeiten, um sich und ihre Familien          legt hat, ergänzt durch weitere Quellen.
                                                                                                                                         INDIEN WURDEN
                              zu ernähren. Verbraucher*innen, die sich nicht               Im Fokus der Untersuchung standen
                              damit abfinden wollen, dass die Baumwolle im T-          Lebens- und Arbeitsbedingungen der
                                                                                                                                         VON SÜDWIND
                              Shirt oder in der Bettwäsche unter Verletzung von        Feldarbeiter*innen von Fairtrade-zertifi-         UND CLRA ZU
                              Umweltschutz und Arbeitsrechten angebaut wird,           zierten Kooperativen. Insgesamt wurden            IHREN ARBEITS-
                              können aktuell nur auf zertifizierte Baumwolle           268 Feldarbeiter*innen zu ihren Lebens-           BEDINGUNGEN
                              aus einem Nachhaltigkeitsstandard zurückgrei-            und Arbeitsbedingungen befragt. 204 der           BEFRAGT.
                              fen. Private oder staatliche Nachhaltigkeitsstan-        befragten Arbeiter*innen (149 Männer,
                              dards überprüfen in regelmäßigen Abständen               55 Frauen) arbeiteten für Fairtrade-Far-
                              die Einhaltung der jeweiligen sozialen und / oder        men, die Bio-Baumwolle anbauten. Weitere 64
                              ökologischen Standardkriterien. Der anspruchs-           Arbeiter*innen (44 Männer, 20 Frauen) waren auf
                              vollste Standard im sozialen Bereich ist dabei der       Farmen beschäftigt, die im sozialen Bereich kon-
                                                                                                                                                Siehe
                              Fairtrade-Standard und im Umweltbereich der              ventionell, d.h. ohne soziale Zertifizierung, pro-    Tabelle 1
                              Bio-Standard (kontrolliert ökologischer Anbau).          duzierten. Wer von den letzteren eine Bio-Zerti-
                                  Aber ist wirklich alles gut bzw. fair, wenn in       fizierung hat, wurde nicht überprüft.
                              meinem T-Shirt oder meiner Bettwäsche bio-fair-
                              trade Baumwolle steckt? Dieser Frage ist SÜD-            DER STANDARD / DIE ZERTIFIZIERUNG
Foto: Jörg Böthling

                              WIND Ende des Jahres 2020 in Kooperation mit             Die vier Kooperativen, mit deren Arbeiter*innen
                              dem indischen Partner „Center for Labour Re-             die Interviews stattfanden, sind alle nach dem
                              search and Action“ (CLRA) im Rahmen einer Vor-           „Fairtrade Standard for Contract Production“

                                                                                   1
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ZERTIFIZIERT – UND DANN IST ALLES GUT?

               (Fairtrade CP) zertifiziert. Dieser Standard könnte                        Löhne und Lohnsteigerungen, Arbeitsverträge,
               auch als „Einstiegsstandard“ für die kleinbäuerli-                         Mutterschutz und Sicherheit und Gesundheit am
               chen Farmer*innen bezeichnet werden, die nicht                             Arbeitsplatz (u.a. Trinkwasserversorgung).
               organisiert sind oder nur informell kooperieren.
               Diese Farmer*innen benötigen eine Partnerschaft                            DIE UNTERSUCHUNG
               mit einer Organisation (sog. „promoting body“ –                            Zentrales Interesse der SÜDWIND/CLRA-Untersu-
               beispielsweise ein privates Unternehmen), die sie                          chung war die Frage, wie die Arbeitsbedingungen
               auf dem Weg zur Gründung einer Produzent*in-                               von Fairtrade-Feldarbeiter*innen insgesamt aus-
               nenorganisation (PO) unterstützt. Das langfristi-                          sehen – nicht nur in den Bereichen, die vom Stan-
               ge Ziel ist die Zertifizierung nach dem „Fairtrade                         dard abgedeckt werden. Deshalb beschränkte sich
               Standard for Small Scale Producer Organizations“                           die Befragung nicht nur auf die arbeitsrechtlichen
               (Fairtrade SPO). Dieser Schritt hat bei den vier                           Themen, die vom Fairtrade CP-Standard abge-
               untersuchten Kooperativen allerdings – trotz teils                         deckt sind. Vielmehr beinhaltete der Interviewleit-
               langjähriger Zertifizierung nach dem Fairtrade                             faden alle arbeitsrechtlich relevanten Themen-
                                                                                                                                                     siehe
               CP-Standard – bisher nicht stattgefunden.                                  felder und erhob außerdem den sozialen Status           Tabelle 2
                   Mit Bezug auf die Arbeitsbedingungen der                               sowie den Bildungsstand der Arbeiter*innen.
               Feldarbeiter*innen formuliert der Fairtrade CP-                            SÜDWIND und CLRA wählten auf Grundlage des
               Standard, in Anlehnung an die Kernarbeitsnor-                              Fairtrade-Produzentenfinders und der lokalen
               men der Internationalen Arbeitsorganisation                                Möglichkeiten (Identifizierung der spezifischen
               (ILO), Anforderungen zu Anti-Diskriminierung,                              Fairtrade-Farmen, Zugang zu Beschäftigten) vier
               dem Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit.                              Fairtrade-Kooperativen für die Untersuchung aus.
               Damit enthält der Standard Anforderungen zu                                Die folgende Kurzfassung bietet einen Überblick
               sechs der insgesamt acht ILO-Kernarbeitsnormen.                            über die ausgewählten Produzenten sowie zentra-
               Kriterien zur Vereinigungsfreiheit und zum Recht                           le Ergebnisse der Untersuchung.
               auf Kollektivverhandlungen fehlen. Auch zur
               Höhe der Löhne und weiteren Arbeitsbedingun-                               DIE PRODUZENT*INNEN /
               gen, wie z.B. Arbeitszeiten oder Arbeitsverträgen,                         DIE KOOPERATIVEN
               stellt der CP-Standard keine Anforderungen.                                Obwohl der Blick auf die ausgewählten Fairtrade-
                   Damit unterscheidet sich der Fairtrade CP-                             Kooperativen zeigt, dass diese schon sehr lange
               Standard deutlich vom Fairtrade SPO-Standard.                              Fairtrade-zertifiziert sind, ist keine von ihnen nach
               Letzterer formuliert spezifischere Anforderungen                           dem Fairtrade SPO-Standard zertifiziert. Geprüft
               in den Bereichen Anti-Diskriminierung, Kinder-                             werden bei Audits also nur die weniger strengen
               arbeit (inkl. Wiedergutmachung) und Zwangs-                                bzw. ausführlichen Sozialstandards des Fairtrade
               arbeit als der Fairtrade CP-Standard. Der Fairtrade                        CP-Standards. Der folgende Kurzüberblick über               siehe
                                                                                                                                                  Literatur,
               SPO-Standard umfasst zusätzlich weitere Themen                             die vier untersuchten Produzentengruppen ba-               Seite 8
               wie Vereinigungsfreiheit, Kollektivverhandlungen,                          siert auf den Websites von Fairtrade Deutsch-
                                                                                          land sowie der zertifizierten Produzent*innen.

                                                                                          (1) OM ORGANIC COTTON PVT. LTD
TABELLE 1: INTERVIEWPARTNER*INNEN NACH REGION,                                            Bundesstaat:                              Odisha
ZERTIFIZIERUNG UND GESCHLECHT
                                                                                          Mitglieder(2014):       ca. 4.000 Produzent*innen
                                                                                          FLO-ID:                                     26204
                            Beschäftigte      Beschäftigte                                Interviewte Feldarbeiter*innen:                51
          Region             Fairtrade-       konventionelle        Gesamt
                              Farmen             Farmen
                              M       F        M        F          M         F            Die Om Organic Cotton Pvt. Ltd. liegt im Westen
                                                                                          des ostindischen Bundesstaats Odisha in der Re-
                             Om Organic
    Odisha                                     17       5          44       29            gion Balangir. Diese Region ist wenig entwickelt,
                             27       24
                           Pratima Organic
                                                                                          die Bevölkerung hängt von der Landwirtschaft
    Odisha                                      0       0          44        6            und insbesondere vom Baumwollanbau ab. Die
                             44       6
                           Pratibha-Vasudha
                                                                                          durchschnittliche Farmgröße liegt bei weniger als
    Madhya-Pradesh                             11       0          62        7            zwei Hektar, wovon in der Regel etwas mehr als
                              51      7
                           Suminter India
                                                                                          ein Hektar für den Baumwollanbau genutzt wird.
    Gujarat                Organic             16       15         43       33            Laut eigener Website verarbeitet und vermarktet
                             27       18                                                  Om Organic Bio-Fairtrade-Baumwolle, die von der
    Gesamt                   149      55       44      20         193       75
                                                                                          Bansal Organic Grower Group angebaut wird. Om
                                                                                          Organic ist nach dem Fairtrade CP-Standard zerti-
M = Männer; F = Frauen                                         Quelle: CLRA-Bericht       fiziert. Aus der Bio-Fairtrade-Baumwolle von Om

1
    Der Recherchebericht liegt SÜDWIND vor und wird von CLRA voraussichtlich im Laufe des Jahres 2021 veröffentlicht.

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ZERTIFIZIERT - UND DANN IST ALLES GUT? - Arbeitsbedingungen im Fairtrade-Baumwollanbau in Indien - SÜDWIND ...
Fotos: UNCTAD

                                                                                                         Feldarbeiter bei der Baumwollernte

                Organic wurden u.a. Tragetaschen, Jeggins und              ist Pratibha-Vasudha Fairtrade-zertifiziert (Fairtra-
                Jeans von Lidl produziert.                                 de CP-Standard). Die Bio-Fairtrade-Baumwolle von
                                                                           Vasudha wird von Pratibha-Syntex zu vielfältigen
                (2) PRATIMA AGRO & PAPER PVT. LTD.                         Textilien (u.a. T-Shirts, Hosen, Handtücher) ver-
                Bundesstaat: Odisha                                       arbeitet und wurde u.a. an Lidl und Aldi verkauft.
                Mitglieder:          3.679 Produzent*innen (2021)
                FLO-ID:19221                                              (4) SUMINTER INDIA ORGANICS PVT. LTD.
                Interviewte Feldarbeiter*innen: 50                        Bundesstaat:                     Gujarat
                                                                           Mitglieder:        5.480 Produzent*innen             DIE BAUMWOLLE
                Auch die im Jahr 2003 gegründete Pratima Agro              FLO-ID: 18612
                                                                                                                                 DER FAIRTRADE-
                & Paper Pvt. Ltd. liegt im Bundesstaat Odisha in           Interviewte Feldarbeiter*innen: 45
                                                                                                                                 FARMEN WIRD
                der Region Balangir. Bei Fairtrade wird sie auch als
                Pratima Organic Grower Group geführt. Seit 2010            Suminter India Organics Pvt. Ltd. hat sei-            ZU TEXTILIEN
                ist die Produzentengemeinschaft nach dem Fair-             nen Sitz in Mumbai im Westen Indiens und              U.A. VON ALDI,
                trade CP-Standard zertifiziert. Aus der Bio-Baum-          ist auf Bio-Produkte spezialisiert, darunter          LIDL, 3FREUNDE,
                wolle von Pratima Organic wurde u.a. (Berufs-)Be-          Baumwolle. Suminter kooperiert laut Fair-             CWS-BOCO UND
                kleidung für 3Freunde und CWS-boco hergestellt.            trade International mit der Surendrana-               COMAZO WEITER-
                                                                           gar Farmers Producer Company. Diese ist               VERARBEITET.
                                                                           hauptsächlich im Distrikt Surendranagar
                (3) PRATIBHA SYNTEX LTD.                                   tätig, bewirtschaftet aber auch Felder im
                BundesstaatMadhya-Pradesh                                 Nachbardistrikt Kutch. Auf den Feldern in Kutch
                Mitglieder:          über 4.000 Produzent*innen           hat die Befragung stattgefunden. Produkte mit
                FLO-ID:4531                                               Fairtrade-Bio-Baumwolle von Suminter wurden
                Interviewte Feldarbeiter*innen:58                         in Deutschland u.a. von Comazo (Wäsche), Lidl (T-
                                                                           Shirts) und Aldi (Handtücher) verkauft.
                Bereits 1999 gründete das integrierte Textilunter-              Fairtrade Deutschland nennt unter der FLO-ID
                nehmen Pratibha Syntex Ltd. die Kleinbauernko-             18612 außerdem eine Kooperation zwischen Su-
                operative Pratibha-Vasudha Jaivik Krishi Kalyan Sa-        minter und einer Gujarat Sustainable & Organic
                miti, die in der Region Khargone im Südwesten von          Farmers Association, gibt aber keinen Hinweis auf
                Madhya-Pradesh Bio-Baumwolle anbaut. Seit 2006             die Surendranagar Farmers Producer Company.

                                                                       3
ZERTIFIZIERT - UND DANN IST ALLES GUT? - Arbeitsbedingungen im Fairtrade-Baumwollanbau in Indien - SÜDWIND ...
ZERTIFIZIERT – UND DANN IST ALLES GUT?

TABELLE 2:                                                                                      in Indien können die Personen mit Primarschul-
BILDUNGSNIVEAU DER INTERVIEWPARTNER*INNEN                                                       bildung als funktionale Analphabet*innen be-
                                                                                                trachtet werden.
Bildungs-            Odisha           Madhya-     Gujarat         Total          in %
niveau                                Pradesh                                                   BESCHÄFTIGUNGSFORMEN
Analpha-                                                                                        Die Mehrheit der 268 Befragten (244) war kurzfris-
                           30           47             52            129         48%
bet*innen                                                                                       tig beschäftigt, lediglich 22 von ihnen langfristig.
                                                                                                Langfristig bedeutet dabei die Beschäftigung für
Primarschul-               85           21             18            124         46%            eine ganze Saison, kurzfristig die Beschäftigung
bildung
                                                                                                zum Beispiel nur für Erntearbeiten. Während in
Sekundar-
schulbildung               8             1              6            15          6%             Odisha und Madhya-Pradesh alle Befragten kurz-
                                                                                                fristig beschäftigt waren, gaben 22 Befragte in Gu-
Gesamt                     123          69             76         268            100%           jarat an, langfristig beschäftigt zu sein. Wenn lang-
                                                                                                fristige Arbeitsverhältnisse mit einem finanziellen
                                                                                                Vorschuss von Seiten des*r Landbesitzer*in ver-
TABELLE 3: ANZAHL DER ARBEITSTAGE DER BEFRAGTEN                                                 bunden sind, bergen sie das Risiko der Verschul-
                                                                                                dung, die in Schuldknechtschaft münden kann.
                                                                                                    Die kurzfristig Beschäftigten wurden überwie-
                            ANTEIL DER ARBEITER*INNEN
                                                                                                gend über Nachbar*innen im Dorf oder Verwandte,
   Arbeitstage
   Anzahl der

                                             Madhya-                                            seltener über die Farmbesitzer*innen oder sog. Ver-
                                                                                   Gesamt

                     Odisha                                    Gujarat
                                             Pradesh                                            mittler*innen (contractors) angeworben. Dorfge-
                             kon-                 kon-                  kon-                    meinschaften und Familiennetzwerke sind folglich
                   Fair-                 Fair-               Fair-
                  trade     ventio-     trade    ventio-    trade      ventio-                  elementar für die Farmbesitzer*innen, um in der
                             nell                 nell                  nell
                                                                                                Hochsaison ausreichend Arbeitskräfte zu finden.
   0-30           37%            /       9%        /        78%            59%    43%           Schriftliche Arbeitsverträge bildeten die absolute
  30-60           42%          56%      25%       55%       15%            26%    33%           Ausnahme, sowohl bei Fairtrade-Farmen als auch
                                                                                                bei konventionellen Farmen. Bei kurzfristig Be-
  60-90            7%            /      43%       45%        7%            15%    13%
                                                                                                schäftigten von Fairtrade-Farmen fanden sich al-
  90-120           1%          44%      19%        /          /             /      9%           lerdings deutlich häufiger als auf konventionellen
                                                                                                Farmen sogenannte diaries, eine Form von Tage-
 120-150          12%            /       2%        /          /             /      1%
                                                                                                buch. Insgesamt gaben 52 der 268 Befragten an, ein
> 150 bis 180      1%            /       2%        /          /             /      1%           solches diary zu haben, davon 51 Beschäftigte von
 Gesamt                                                                                         Fairtrade-Farmen. Diese Praxis fand sich vor allem
                   99            22      58        11        27            27     244
 (n=244)                                                                                        in Odisha. In einem solchen Tagebuch werden die
                                                                                                Lohnvereinbarung, die Art der Arbeit und die zu
                                                                                                bearbeitende Fläche festgehalten. Es dient daher
                                                                                                als ein Mittel, das Risiko unfairer Bezahlung durch
                 Nach Rücksprache mit Fairtrade spiegelt sich hier-                             die Farmbesitzer*innen zu reduzieren. Es hat aber
                 in lediglich ein veralteter Stand der Website.                                 keinen unmittelbaren Einfluss auf die Lohnhöhe.
                                                                                                    Von den 22 langfristig Beschäftigten arbeite-
                 DIE ARBEITER*INNEN                                                             ten zehn als bhagiyas (share-croppers). Dies ist
                 In allen drei Regionen stammen die befragten                                   eine Form der Pacht, bei der ein*e Pächter*in mit
                 Feldarbeiter*innen fast ausschließlich aus be-                                 der Bearbeitung eines Stücks Land beauftragt
                 nachteiligten Gemeinschaften am unteren Ende                                   und für die geleistete Arbeit am Ende der Saison
                 des indischen Kastensystems oder aus marginali-                                mit einem Anteil an der Ernte (ein Viertel bis ein
                 sierten Volksgruppen (Odisha, Madhya-Pradesh).                                 Drittel) entlohnt wird. Sechs der befragten bha-
                 Nur in der betrachteten Region des Bundesstaats                                giyas arbeiteten für Fairtrade-Baumwollfarmen,
                 Gujarats wurden Wanderarbeiter*innen in signifi-                               vier für konventionelle Farmen. Sieben der zehn
                 kanter Anzahl beobachtet. In den beiden anderen                                bhagiyas (davon 3 Fairtrade-Beschäftigte) erhiel-
                 Regionen (Odisha und Madhya Pradesh) zählten                                   ten einen finanziellen Vorschuss zur Bestreitung
                 die Befragten fast ausschließlich zur einheimi-                                unvorhergesehener Kosten während der Saison.
                 schen Bevölkerung, die wiederum von marginali-                                 Die bhagiyas arbeiteten zusammen mit ihren Fa-
                 sierten Kasten und Volksgruppen geprägt ist.                                   milienmitgliedern, einschließlich der Kinder, auf
                     Entsprechend ihrer sozialen Position am Ran-                               der Farm. Die anderen 12 langfristig beschäftigten
                 de der Gesellschaft ist der Bildungsstand der be-                              Feldarbeiter*innen aus der Befragung waren loka-
                 fragten Arbeiter*innen sehr niedrig. Mehr als                                  le Arbeiter*innen, die alle auf Fairtrade-Bio-Fel-
                 90 % verfügten über gar keine Schulbildung oder                                dern in Gujarat auf Tageslohnbasis tätig sind.
                 lediglich über eine Primarschulbildung. In Anbe-                               Die meisten langfristig Beschäftigten arbeite-
                 tracht des Zustands des öffentlichen Schulsystems                              ten mehrere Jahre (2 – 5 Jahre, einige länger) für

                                                                                            4
siehe
                                                                                      regional bedingt als auf Unterschiede zwischen        Tabelle 3
                                                                                      Fairtrade-Farmen und konventionellen Far-
                                                                                      men zurückzuführen zu sein.
                                                                                          In der Regel arbeiten die Feldarbeiter*innen
                                                                                      mehr als 8 Stunden und bis zu 11 Stunden täglich.
                                                                                      In Gujarat beispielsweise beginnt das Baumwoll-
                                                                                      pflücken um 7 Uhr morgens und endet gegen 18
                                                                                      Uhr abends. Normalerweise gibt es weniger als
                                                                                      eine Stunde Pause für Mittagessen und Tee.

                                                                                      ALLGEMEINE ARBEITSBEDINGUNGEN
                                                                                          Feldarbeit ist harte Arbeit, die lange Aufent-
                                                                                      halte in der prallen Sonne bei großer Hitze erfor-
                                                                                      dert. Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und
                                                                                      sanitären Einrichtungen ist unter diesen Umstän-
                                                                                      den umso wichtiger. Deshalb ist ein gutes Ergeb-
                                                                                      nis der Befragung, dass alle Arbeiter*innen bei der
                                                                                                                                                 siehe
                                                                                      Arbeit mit Trinkwasser versorgt wurden. In ande-        Tabelle 4
                                                                                      ren relevanten Bereichen wie der Versorgung mit
                                                                                      sonstigem Wasser oder Lebensmitteln sieht die
                                                                                      Versorgung deutlich schlechter aus. Für Arbei-
                                                                                      ter*innen, die den ganzen Tag auf den Feldern
                                                                                      arbeiten, bedeutet dies, dass sie neben ihrer Arbeit
                                                                                      noch einigen Aufwand haben, um z.B. Wasser und
                                                                                      Lebensmittel zu besorgen. Für beides müssen in
                       Produktion von Fairtrade-Taschen für den Discounter Lidl       ländlichen Gegenden oft erhebliche Wegstrecken
                                                                                      zurückgelegt werden.
                                                                                          Außerdem gab niemand an, dass sanitäre Ein-
                                                                                      richtungen wie Toiletten oder eine medizinische
Fotos: Jörg Böthling

                                                                                      Versorgung / Erste-Hilfe-Kästen zur Verfügung
                       denselben Farmbesitzer. Überwiegend gaben sie                  stünden. Zwar empfanden die Befragten ihre
                       das freundliche Verhalten des Farmbesitzers als                Arbeit im Allgemeinen nicht als gefährlich, doch
                       Grund dafür an, zwei Befragte nannten aber auch                wurde vereinzelt von Schlangenbissen oder Ver-
                       Verschuldung als Grund.                                        letzungen der Hände durch die spitzen Baumwoll-
                                                                                      blüten berichtet.
                       ARBEITSABLÄUFE UND ARBEITSZEITEN                                   Die Arbeiter*innen lebten in der Mehrzahl zu
                       Zum Zeitpunkt der Befragung war Erntezeit und                  Hause, da sie aus der Umgebung stamm-
                       damit Hochsaison. Das Pflücken der Baumwolle,                  ten. Nur in Gujarat gehörten Wander­
                       aber auch das Ausbringen natürlicher Pestizide                 arbeiter*innen (aus den Bundesstaaten
                       gehörte deshalb zu den wichtigsten Tätigkeiten                 Haryana, Punjab, Rajasthan und Gujarat
                                                                                                                                          EIN VIERTEL DER
                       der Feldarbeiter*innen. Auf den konventionellen                selbst) zu den Befragten. Sie lebten ent-           BEFRAGTEN
                       Farmen waren alle Befragten als Baumwollpflü-                  weder in sog. Kutcha-Häusern (aus Lehm,             GAB AN, SCHON
                       cker*innen tätig, während viele Arbeiter*innen                 Bambus, Gras oder ungebrannten Ziegeln              GEWALT AM
                       der Fairtrade-Farmen auch über das Anlegen von                 gebaut und keine permanente Behausung)              ARBEITSPLATZ
                       Ackerfurchen berichteten. Dies hing zu diesem                  oder in offenen Zelten (Plastikplane) auf           ERFAHREN ZU
                       Zeitpunkt vermutlich mit der Arbeit in anderen                 der Farm.                                           HABEN.
                       Anbauprodukten zusammen.                                           Knapp ein Viertel der Befragten (62)
                           Knapp 80 % der kurzfristig Beschäftigten, vor              gab an, schon Gewalt am Arbeitsplatz er-
                       allem aus Odisha und Gujarat, gaben an, weniger                fahren zu haben, davon waren 24 Frauen. Mehr
                       als zwei Monate (bis zu 60 Tage) in der Saison im              als 100 Befragte berichteten von verbaler Gewalt,
                       Baumwollanbau zu arbeiten. Rund 10 %, über-                    die sich in Beschimpfungen und kastenbezogenen
                       wiegend aus Madhya-Pradesh, arbeiteten bis zu                  Verunglimpfungen äußerte. Vor allem die Befrag-
                       drei Monate (60 – 90 Tage). Auffällig im Fall von              ten in Odisha, ob sie nun auf Fairtrade- oder kon-
                       Odisha ist der deutliche Unterschied in der An-                ventionellen Farmen arbeiteten, bejahten die Fra-
                       zahl der Arbeitstage von kurzfristig Beschäftigten             gen nach Gewalterfahrungen und verbaler Gewalt.
                       auf konventionellen Farmen im Vergleich zu Fair-               Auch in Gujarat berichteten Befragte von Diskri-
                       trade-Farmen (44 % versus 1 % mit 90-120 Tage                  minierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit. Sie
                       Beschäftigung). Abgesehen davon scheinen die                   hatten Unberührbarkeit im Zusammenhang mit
                       Unterschiede in der Beschäftigungsdauer eher                   Nahrung und Wasser während der Arbeit erlebt.

                                                                                  5
überwiegende Mehrheit der Beschäftigten auf kon-
                                                                     ventionellen Farmen annähernd die Tagessätze des
                                                                     NREGA, aber nur ein knappes Drittel der Fairtrade-
                                                                     Beschäftigten. In Madhya-Pradesh lagen die Tages-
                                                                     löhne aller Beschäftigten erschreckend niedrig.
                                                                         Einer der Befragten aus Gujarat erläuterte, dass
                                                                     die Pflücker*innen pro kg Baumwolle 7-13 INR
                                                                     verdienen und so auf einen Tageslohn von 145-
                                                                     200 INR kommen könnten. Der Pflücklohn pro kg
                                                                     Baumwolle variiere von Farm zu Farm und auch
                                                                     mit der Jahreszeit. Die Löhne werden in der Regel
                                                                     am Ende des Tages ausgezahlt, ohne Lohnzettel.

                                                                                                                                        Fotos: Lau Rey via flickr.com
                                                                         In Bezug auf Lohndiskriminierung ergab die
                                                                     Befragung kein schlüssiges Bild. Viele beant-
                                                                     worteten die Fragen zu diesem Thema nicht und
                                                                     knapp 100 Arbeiter*innen gaben an, dass es keine
                                                                     Diskriminierung, also unterschiedliche Löhne für
                                                                     die gleiche Arbeit, gäbe, wohl aber Unterschiede
                                                                     in der Lohnhöhe für unterschiedliche Arbeiten.
                                                                     Knapp 100 Befragte sagten aber auch, dass Frauen
                                                                     im Allgemeinen weniger Lohn erhalten als Män-
            Alle Arbeiter*innen werden bei der Arbeit                ner. Nur ein Befragter konkretisierte seine Ant-
            mit Wasser versorgt                                      wort und erwähnte niedrigere Löhne für Frauen
                                                                     bei vergleichbarer Tätigkeit und Arbeitszeit.
                                                                         Da von allen 268 befragten Feldarbeiter*innen
                                                                     nur zehn (!) angaben, Verbindung zu einer Arbeits-
                                                                     organisation zu haben (und dies nicht zu Landar-
            LÖHNE                                                    beiterorganisation, sondern zu einer Gewerkschaft
            In Indien gibt es ein komplexes Mindestlohnsys-          von Ziegeleiarbeiter*innen) und das Wissen um
            tem mit regionalen, sektoralen und tätigkeits-           Arbeitsrechte unter den Befragten extrem gering
            bezogenen Unterschieden. Zusätzlich wurde im             war, bestehen in naher Zukunft wenig Chancen,
            Jahr 2005 ein nationales Gesetz zur garantierten         die schwierige Lohnsituation durch gemeinsames,
            Beschäftigung in der Landwirtschaft (NREGA –             organisiertes Engagement zu verbessern.
            National Rural Employment Guarantee Act) ein-
            geführt, das der ländlichen Bevölkerung 100 Be-          KINDERARBEIT
            schäftigungstage pro Jahr zu festen Tagessätzen          Kinderarbeit (unter 15 Jahre) ist weit verbreitet in
            garantiert. Die Höhe der Tagessätze unterscheidet        Indien, die Landwirtschaft macht da keine Aus-
            sich je nach Bundesstaat. Für Odisha, Madhya-Pra-        nahme. Der rechtliche Rahmen wird durch ein Ge-
            desh und Gujarat sind die zum Zeitpunkt der Be-          setz zur Kinderarbeit (Child Labour (Prohibition &
   Siehe
Tabelle 5   fragung gültigen Mindestlöhne sowie die NRE-             Regulation) Act, 1986), das 2016 aktualisiert wurde
            GA-Tagessätze in Tabelle 5 festgehalten.                 (Child Labour (Prohibition & Regulation) Amend-
                Obwohl die NREGA-Sätze in einigen indischen          ment Act, 2016) gesetzt. Dieser gesetzliche Rah-
            Bundesstaaten die jeweils geltenden Mindestlöhne         men verbietet die Beschäftigung von Kindern in
            deutlich unterschreiten (was zu kritischen Debat-        allen Tätigkeiten und sieht lediglich Ausnahmen
            ten innerhalb Indiens führt), lässt sich mit Hilfe       für die Beschäftigung von Kindern in Familien
            dieser beiden Lohngrößen doch ein Gespür dafür           oder Familienbetrieben vor. Aber auch in diesem
   Siehe
Tabelle 6   entwickeln, wie die tatsächlich gezahlten Tages-         Fall muss die Arbeit ungefährlich sein und darf
            löhne der befragten Feldarbeiter*innen auf               die Ausbildung des Kindes nicht beeinträchtigen.
            Fairtrade- und konventionellen Baumwollfarmen            Das Gesetz legt außerdem fest, dass kein Kind län-
            einzuordnen sind.                                        ger als drei Stunden am Stück arbeiten darf, dann
                Das Ergebnis der Befragung ist ernüchternd.          mindestens eine Stunde Pause machen muss und
            Nur in Gujarat erhielt die Mehrheit der befragten        täglich höchstens sechs Stunden einschließlich
            Feldarbeiter*innen einen Tageslohn, der etwas            Wartezeit arbeiten darf.
                                                                                                                               siehe
            über dem Mindestlohn lag. Der Lohn von knapp                 Die Befragung von SÜDWIND und CLRA zeigt,          Tabelle 7
            20 % der Befragten von Fairtrade-Farmen reichte          dass mehrheitlich von Kinderarbeit auf den
            an den vom NREGA gesetzten Tageslohn heran. In           Baumwollfeldern berichtet wird. In Odisha war
            den beiden anderen Bundesstaaten verdienten alle         der Anteil der Befragten, die Kinder auf den Fel-
            Befragten deutlich weniger als den gesetzlichen          dern arbeiten sahen, besonders hoch (85 % bei
            Mindestlohn. In Odisha erreichte immerhin die            Fairtrade-Farmen, 100 % bei konventionellen Far-

                                                                 6
ZERTIFIZIERT – UND DANN IST ALLES GUT?

TABELLE 4: VERSORGUNG AM ARBEITSPLATZ                                              men), in Madhya-Pradesh besonders niedrig (7 % /
                                                                                   0 %) und in Gujarat war das Bild gemischt.
Versorgung mit …                                 Fairtrade        konven-              26 Befragte gaben an, dass die Kinderarbeit
                                                                   tionell         auf der elterlichen Farm stattfand (23 Befragte von
Trinkwasser                                        100%             100%           Fairtrade-Farmen, 3 von konventionellen Farmen).
Wasser für anderen Gebrauch                         12%             25%
                                                                                   Diese Befragten kamen aus Odisha (17) und Guja-
                                                                                   rat (9). 12 der Befragten gaben an, dass die Kinder
Strom                                               6%               6%            acht Stunden täglich auf dem Feld arbeiteten. Die
Lebensmittel vom Farmbesitzer                       2%              23%            anderen Befragten gaben an, dass die Kinder der
                                                                                   Farmbesitzer*innen weniger als acht,
Tee vom Farmbesitzer                                5%              15%            aber mehr als zwei Stunden täglich auf
Transport von und zum Arbeitsplatz

Total
                                                    2%

                                                  N=204
                                                                     3%

                                                                    N=64
                                                                                   dem Feld arbeiteten.
                                                                                       Die Diskrepanz zwischen dem gro-
                                                                                   ßen Anteil der Befragten, der von Kin-
                                                                                                                                    100%
                                                                                                                                  der Befragten von Fair­
                                                                                                                                trade-Farmen aus Odisha
                                                                                   derarbeit berichtet, und der geringen           und Madhiya-Pradesh
                                                                                                                                 erhalten weniger als den
                                                                                   Zahl der Befragten, die dies im Kontext              Mindestlohn.
TABELLE 5: MINDESTLÖHNE UND NREGA-TAGES-                                           von Familienbetrieben beobachtet ha-
SÄTZE NACH BUNDESSTAAT (2020)                                                      ben, weist auf ein Risiko auch für Fair-

                                                                                                                                       37%
                                                                                   trade-Farmen hin, dass Kinder in der
                                                                                   Baumwollernte mitarbeiten, die nicht
                                                          NREGA
Bundesstaat             Mindestlohn pro Tag                                        zur Familie gehören und die deutlich
                                                     (ab 01.04.2020)
                                                                                                                                    der Befragten von
Odisha                         308 INR                     207 INR                 länger als gesetzlich erlaubt arbeiten.         Fairtrade-Farmen aus
                                                                                                                                    Gujarat erhalten weniger
                                                                                                                                      als den Mindestlohn.
Madhya-Pradesh                 228 INR                     190 INR                 EMPFEHLUNGEN
Gujarat                        178 INR                     224 INR                 Die Untersuchung von SÜDWIND und
                                                                                   CLRA vermittelt einen Einblick in die Arbeitsbe-
100 INR entsprachen am 01.10.2020 rund 1,16 Euro (oanda.com).                      dingungen von Feldarbeiter*innen auf Fairtrade-
                                                                                   Farmen im Vergleich zu konventionellen Farmen
                                                                                   im indischen Baumwollsektor. Die Ergebnisse sind
                                                                                   ernüchternd. Lediglich bei der Führung lohnbe-
TABELLE 6: ANTEIL DER BEFRAGTEN PRO LOHNGRUPPE
AUF FAIRTRADE- UND KONVENTIONELLEN FARMEN IN
                                                                                   zogener Tagebücher gab es in einer Region einen
ODISHA, MADHYA-PRADESH UND GUJARAT (2020)                                          deutlichen, positiven Unterschied zu den konven-
                                                                                   tionellen Farmen. Ansonsten waren eher Unter-
                                                                                   schiede zwischen den Regionen (mehr Gewalt und
                        Odisha            Madhya-             Gujarat
                                          Pradesh                                  Diskriminierung in Odisha, Wanderarbeiter*in-
         Löhne                                                                     nen nur in Gujarat) festzustellen als zwischen Fair-
        (in INR)               kon-               kon-                kon-
                      Fair-              Fair-              Fair-
                     trade    ventio-   trade    ventio-   trade     ventio-       trade-Anbau und konventionellem Anbau. Damit
                               nell               nell                nell
                                                                                   erzielt die Untersuchung ähnliche Ergebnisse wie
        120-150       61%      18%       92%     100%       0%        0%           frühere Studien (SOAS 2014, Meemken et. al. 2019),
        150-178       0%       0%        3%       0%       37%        19%          auch wenn negative Auswirkungen der Covid-
                                                                                   19-Pandemie auf die Arbeitsbedingungen auf den
        178-210       29%      82%       5%       0%       44%        78%
                                                                                   indischen Baumwollfeldern in der Saison 2020/21
   210 und mehr       10%      0%        0%       0%        19%       3%           insbesondere im Bereich Kinderarbeit, erschwe-
                                                                                   rend hinzu gekommen sein könnten.
 Gesamt (n=244)        99       22       58        11        27        27
                                                                                       Ausgehend von diesen Ergebnissen sollte
                                                                                   Fairtrade dringend seine Zertifizierungs- und
                                                                                   Auditverfahren überprüfen und verbessern.
TABELLE 7: BEOBACHTUNGEN VON KINDERARBEIT AUF                                      Da sowohl indische Gesetze (u.a. Mindestlohnge-
DEN BAUMWOLLFELDERN                                                                setz, Regulierung und Verbot von Kinderarbeit) als
                                                                                   auch die minimalen Arbeitsrechtsbestimmungen
                                                                                   des Fairtrade CP-Standards (Verbot von Kinder-
                        Odisha            Madhya-             Gujarat
                                          Pradesh                                  arbeit) verletzt werden, besteht hier erheblicher
   Kinderarbeit                kon-               kon-                kon-         Handlungsbedarf. Das Risiko von Kinderarbeit
                      Fair-              Fair-              Fair-
                     trade    ventio-   trade    ventio-   trade     ventio-       vor allem in Odisha, die Unterschreitung von Min-
                               nell               nell                nell
                                                                                   destlöhnen in allen untersuchten Regionen, die
           Ja         85%     100%       7%       0%       42%        29%          fehlenden Toiletten für die Arbeiter*innen, die
         Nein         15%      0%        93%     100%      58%        71%          problematische Unterbringung der Wanderarbei-
                                                                                   ter*innen in Gujarat und die Gewalterfahrungen,
 Gesamt (n=268)       101       22       58        11        45        31
                                                                                   die Beschäftigte vor allem in Odisha und Gujarat

                                                                               7
ZERTIFIZIERT – UND DANN IST ALLES GUT?

                                                                                                     SÜDWIND setzt sich für
            machen mussten – dies alles unterstreicht den                                            wirtschaftliche, soziale und
            Handlungsbedarf.                                                                         ökologische Gerechtigkeit ein
                Zusätzlich sollte Fairtrade allen Nutzer*in-                                         – weltweit. Wir recherchieren,
            nen des Fairtrade CP-Standard einen klaren                                               decken ungerechte Strukturen
            Zeitplan zur Erreichung des Fairtrade SPO-                                               auf, machen sie öffentlich
            Standards vorgeben. Die untersuchten Fairtra-
                                                                                                     und bieten Handlungsalterna-
            de-Unternehmen / Produzentenorganisationen
                                                                                                     tiven. Wir verbinden entwick-
            sind schon viele Jahre nach dem Fairtrade CP-
            Standard als „Einstiegsstandard“ zertifiziert. Es ist                                    lungspolitische Bildungs-,
            nicht nachvollziehbar, warum keine Zeitvorgabe                                           Öffentlichkeits- und Lobbyar-
            für ein „Upgrade“ zum arbeitsrechtlich anspruchs-                                        beit und tragen Forderungen
            volleren Fairtrade SPO-Standard existiert. Falls                                         in Kampagnen, Gesellschaft,
            diese Vorgabe existiert, dann muss sie öffentlich                                        Unternehmen und Politik.
            zugänglich sein.                                                                         Seit 30 Jahren.
                Fairtrade sollte die Trainings für Produ-
            zent*innen durch arbeitsrechtliche Schulun-
            gen für Feldarbeiter*innen ergänzen. Die Unter-
            suchung wies auf den gravierenden Missstand hin,
            dass die meisten Feldarbeiter*innen keinerlei Wis-
            sen über ihre Rechte haben. CLRA hat deshalb zu-            mindestens in Höhe der gesetzlichen Mindestlöh-
            sätzlich zu der Befragung in jeder Region eine 1-2          ne erhalten. In der verarbeitenden Industrie hat
            tägige Schulung zu Arbeitsrechten durchgeführt.             Fairtrade mit der Forderung von existenzsichern-
            Dies sollte aber ein regelmäßiges Angebot von               den Löhnen im Fairtrade Textilstandard Maßstäbe
            Fairtrade bzw. der Produzentenorganisationen für            gesetzt. Es wird Zeit, diese Forderung in alle Fair-
            alle Beschäftigten sein. Denn nur, wenn die Feld-           trade-Standards zu integrieren.
            arbeiter*innen ihre Rechte kennen, können sie in
            Audits auch Auskunft dazu geben, ob diese ver-              DIALOG MIT FAIRTRADE
            letzt werden. Schulungen zu Arbeitsrechten sind             Fairtrade hat nach Redaktionsschluss auf die Er-
            außerdem ein wichtiger Schritt zur Organisierung            gebnisse der Studie reagiert. Die Reaktion be-
            der Beschäftigten, ohne die die Einhaltung von              inhaltete vor allem Fragen an die Methodik der
            Arbeitsrechten in der Regel dauerhaft nicht gesi-           Vor-Ort-Befragung und die Auswirkungen der
            chert werden kann.                                          Corona-Pandemie. CLRA hat die erwünschten me-
                Faire Preise für Produzent*innen müssen                 thodischen Erläuterungen gegeben. Eine inhaltli-
            ergänzt werden durch faire Löhne für Feld-                  che Reaktion Fairtrades steht noch aus. Der Dialog
            arbeiter*innen. Eines der zentralen Argumente,              mit Fairtrade wird fortgesetzt.
            mit denen der Faire Handel für sich wirbt, sind fai-
            re Preise für Produzent*innen. Die Untersuchung
            hat gezeigt, dass die Feldarbeiter*innen bisher
            nicht an den fairen Preisen teilhaben. Dies muss                LITERATUR
            sich dringend ändern. Fairtrade muss sicherstel-
                                                                        Das Literaturverzeichnis ist abrufbar
            len, dass Feldarbeiter*innen auch bei Zahlung               unter https://bit.ly/37evwn1
            von Stücklöhnen (pro kg Baumwolle) einen Lohn               oder unter diesem QR-Code:

     FÖRDERER                          IMPRESSUM

                                    Bonn, September 2021            AUTORIN:                                    factsheet
                                                                    Dr. Sabine Ferenschild                      Zertifiziert - und dann ist alles
                                    HERAUSGEBER:
                                                                                                                gut? Arbeitsbedingungen im
                                    SÜDWIND e.V.                    REDAKTION UND LEKTORAT:                     Fairtrade-Baumwollanbau in
                                    Kaiserstraße 201, 53113 Bonn    Vera Schumacher, Ines Bresler,              Indien
                                    Tel.: +49(0)228-763698-0        Nina Kleemeyer
                                                                                                                2021-16
                                    info@suedwind-institut.de       V.i.S.d.P.: Dr. Ulrike Dufner
                                    www.suedwind-institut.de
                                                                    GESTALTUNG:
                                    BANKVERBINDUNG SÜDWIND:         twotype design, Hamburg
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