ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin

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ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
ZFA
                                                                                                                    5 I 2020
                                                                                                                    96. JAHRGANG

                                  Zeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine

                          Antikörpertests
                          gegen SARS-CoV-2:
                          sinnvoll oder nicht?
                          SEITE 230
ZFA 5/2020 96. JAHRGANG

                          Gesundheitsversorgung
                          im ländlichen Raum
                          SEITE 198

                          Assessment of Burden
                          of COPD
                          SEITE 205

                          Ambulantes PJ-Quartal: was
                          würden Studierende wählen?
                          SEITE 220

                                                                           This journal is regularly listed in
                                                                 EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/LIVIVO.
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HERAUSGEBENDE GESELLSCHAFTEN / PUBLISHING INSTITUTIONS

ZFA
Organ der/des ... / Official journal of the ...

Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
German College of General Practitioners and Family Physicians
Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA)
Society of Professors and University Lecturers of Family Medicine
Niederösterreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (NÖGAM)
Lower Austrian Society of Family Medicine
Österreichischen Instituts für Allgemeinmedizin (ÖIfAM)
Austrian Institute of Family Medicine
Salzburger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (SAGAM)
Salzburg Society of Family Medicine
Steierischen Akademie für Allgemeinmedizin (STAFAM)
Styrian College of Family Medicine
Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM)
Southern Tyrolean Society of Family Medicine
Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM)
Tyrolean Society of Family Medicine
Vorarlberger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (VGAM)
Vorarlberg Society of Family Medicine

                                                                                  Titelbildhinweis: picture alliance/AP Photo

© Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
EDITORIAL / EDITORIAL                                                                                                                                    193

Nackter Protest
Nacktheit als Zeichen des Protests und um Aufmerksamkeit für politische Ziele
zu erregen, begegnet uns häufig. In den letzten Jahren waren es vielfach die
FEMEN-Aktivistinnen, die sich mit Nacktaktionen für Gleichberechtigung und
gegen sexuelle Gewalt einsetzten.
    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte mindestens einmal mit nack-
ten Frauen zu tun, als im April 2019 zwei FEMEN-Aktivistinnen eine Veranstal-
tung in Dithmarschen in Schleswig-Holstein störten, um gegen die Neurege-
lung des §219 zu protestieren. Sie sangen ein Lied („Das ist Wahnsinn“) und be-
warfen ihn mit Papierschnipseln, auf denen Vorschläge zu lesen waren, was
man mit fünf Millionen Euro bezahlen könnte. Diese Summe hatte Spahn zu-
vor für eine Studie über die seelischen Folgen von Abtreibungen bewilligt. Er
konterte gelassen: „Bei mir kommt ihr mit Ausziehen nicht so weit. Das tut mir
leid.“
    Ein Jahr später hat er es erneut mit Nackten zu tun, und zwar mit Hausärz-
tinnen und Hausärzten. Unter dem Stichwort „blankebedenken“ machen sie
nackt in und vor ihren Praxen auf den massiven Mangel an Schutzausrüstung
aufmerksam. In einer Petition an die Gesundheitsminister/innen der Länder
fordern sie neben einer suffizienten Ausstattung mit Schutzausrüstung den
Einbezug von Hausärztinnen und Hausärzten in die Entscheidungen zur Siche-
rung der Versorgung. Zu oft sind in letzter Zeit Beschlüsse gefasst worden, wel-
che die hausärztliche Versorgung eher gefährden als unterstützen. Man denke
nur an den Stopp der Telefon-AU oder Zwangsverpflichtungen von Hausärz-
tinnen und Hausärzten, die die Systematik der Versorgung durcheinander-
bringen und die Kontinuität des Arzt-Patienten-Verhältnisses gefährden. Unter
www.blankebedenken.org können Sie die Petition einsehen.
    Verglichen mit den kurzen, radikalen Protestaktionen der FEMEN-Aktivistin-
nen wahrt der nackte Protest der Hausärztinnen und Hausärzte den professio-
nellen Rahmen; Patientinnen und Patienten sollen nicht beschämt werden.
Auch im Protest zeigen sich die Hausärztinnen und Hausärzte „als hingebungs-
und vertrauensvolle Primärversorger, die die Gesundheit ihrer Patientinnen und
Patienten an die erste Stelle setzten und bereit sind, dafür notfalls auch Widrig-
keiten in Kauf zu nehmen.“ Dieses Zitat stammt aus dem Aufsatz von Wangler
und Jansky in diesem Heft zum „Hausärztemangel im Spiegel der Medien“ – er
passt sehr gut zu der Nackt-Aktion.
    Dass Diskussion wichtig ist, zeigen in diesem Heft gleich zwei Original-
arbeiten, die gemeinsam mit direkten Kommentaren veröffentlicht werden. Es
sind die Studien von Berghöfer et al. zu „Innovativen Modellen zur Sicherung der
Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ und von Klosterhalfen et al. zum
„Assessment of Burden of COPD (ABC) Tool“ in der hausärztlichen Praxis.
    Blankenfeld et al. diskutieren in der Arbeit „Antikörpertests gegen SARS-CoV-2:
Warum ein guter Test nicht immer gute Ergebnisse produziert“ über den Sinn und
Unsinn dieser Tests in der aktuellen Situation. Die zugrunde gelegten Sensitivi-
täten und Spezifitäten werden in den nächsten Tagen und Wochen sicher ak-
tualisiert werden, auch die Prävalenz von Menschen mit durchgemachter Infek-
tion wird sich verändern. Welche Folgen diese Aktualisierungen für den positi-
ven und negativen prädiktiven Wert des Testergebnisses haben werden …das
auszurechnen überlassen wir Ihren Rechenkünsten. Die Anleitung finden Sie in
den Abbildungen der o.g. Übersichtsarbeit.
    Ich wünsche Ihnen gutes Rechnen und Diskutieren, viel Erfolg und Freude
weiterhin bei der Versorgung Ihrer Patientinnen und Patienten – und Gesund-
heit!
                                                                            Ihre
                                                             Hanna Kaduszkiewicz

                                                                       © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
194   INHALTSANGABE / TABLE OF CONTENTS

      EDITORIAL / EDITORIAL
                      Hanna Kaduszkiewicz
      193             Nackter Protest

      DEGAM-BENEFITS / DEGAM BENEFITS
                      Michael M. Kochen
      195             Die ZFA – Zeitschrift für Allgemeinmedizin braucht, wie alle Zeitschriften mit einem
                      Peer-Review-System, laufend neue Gutachter/innen
      195             Wirksamkeit von kurzen Interventionen bei Alkoholkranken in der hausärztlichen Praxis
                      Efficacy of Short Interventions for Patients with Alcoholism in Primary Care
      196             Der primäre Hyperaldosteronismus ist die häufigste Ursache der sekundären Hypertonie
                      Primary Hyperaldosteronism: the Most Frequent Underlying Condition for Secondary Hypertension
      197             Schusswaffenepidemie in den USA
                      Firearm Epidemic in the US
      197             Verschreibungskosten für Antidepressiva: Was bekommen wir für 266 Millionen
                      britische Pfund pro Jahr?
                      NHS Antidepressant Prescribing: What do We Get for £266m a Year?

      ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE
                      Anne Berghöfer, Carolin Auschra, Jana Deisner, Jörg Sydow
      198             Innovative Modelle zur Sicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
                      Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas

      KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION
                      Uwe Kurzke
      203             Innovativ? Kommentar zu Berghöfer A et al., Innovative Modelle zur Sicherung
                      der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
                      Innovative? Commentary to Berghöfer A et al., Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas

      ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE
                      Stephanie Klosterhalfen, Christian Funke, Antonius Schneider, Daniel Kotz
      205             Das „Assessment of Burden of COPD (ABC) Tool“ in der hausärztlichen Praxis
                      Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie
                      The „Assessment of Burden of COPD (ABC) Tool“ in Family Medicine: Results of a Feasibility Study

      KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION
                      Thomas Hausen
      211             Die Betreuung von COPD-Patienten in Deutschland: Problematik einer individuellen Therapie
                      Caring for COPD Patients in Germany – Problems of Individualized Treatment

      ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE
                      Julian Wangler, Michael Jansky
      214             Hausärztemangel im Spiegel der Medien. Eine inhaltsanalytische Studie zu
                      Darstellungsmustern in der Nachrichtenberichterstattung
                      Family Physician Shortage from the Perspective of the Media
                      A Content-analytic Study on Presentation Patterns in News Reporting
                      Inga Petruschke, Sven Schulz, Michelle Kaufmann, Miriam Hesse, Jutta Bleidorn
      220             Ambulantes Quartal im Praktischen Jahr: Welches Fach würden Medizinstudierende wählen?
                      Practical Year Training in Outpatient Care: Which Subject Would Medical Students Choose?
                      Andreas Fichtner
      225             Krankheitsspektrum und Konsultationsgründe von Gästen und Angestellten in der
                      gehobenen internationalen Resort-Hotellerie einer zentralafrikanischen Safaridestination
                      Disease Spectrum and Reasons for Medical Consultation among Guests and Staff in a High Level Remote
                      Safari Hotel Setting in Central Africa

      ÜBERSICHTSARBEITARBEIT / REVIEW ARTICLE
                      Hannes Blankenfeld, Eva Grill, Hanna Kaduszkiewicz, Josef Pömsl, Michael M. Kochen
      230             Antikörpertests gegen SARS-CoV-2: Warum ein guter Test nicht immer
                      gute Ergebnisse produziert
                      Antibody Assays Against SARS-CoV-2: Why a Good Test Does not Always Produce Proper Results
      234             LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR
      236             DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS
      238             DESAM-NACHRICHTEN / DESAM NEWS
      239             DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND / GERMAN ASSOCIATION OF FAMILY PHYSICIANS
      240             IMPRESSUM / IMPRINT

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
DEGAM-BENEFITS / DEGAM BENEFITS                                                                                                                                                           195

DEGAM-Benefits
DEGAM Benefits
Ausgewählt und verfasst von Prof. Dr. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP, Freiburg

Die ZFA – Zeitschrift für Allgemeinmedizin braucht,
wie alle Zeitschriften mit einem Peer-Review-System,
laufend neue Gutachter/innen

Wenn Sie sich eine solche gelegentli-                                                          10700 plus Ihre 5-stellige DEGAM-
che – ehrenamtliche – Tätigkeit vor-                                                           Mitgliedsnummer, z.B. 1070025022),
stellen können (detaillierte Informa-                                                          die Sie auf dem Adresslabel der ZFA
tionen unter www.online-zfa.de/file                                                            finden (die Zahlen zwischen den Rau-
admin/user_upload/media/Informati                                                              ten). Mitglieder anderer Fachgesell-
onen_fuer_Gutachter.pdf), melden Sie                                                           schaften haben eine andere „Vor-
sich bitte bei mir mit kurzen Angaben                                                          spann“-Nummer, die Sie im Verlag er-
über Ihren Werdegang und ggf. spe-                                                             fragen können.
zielle Interessen: mkochen@gwdg.de.                                                                Mit Hilfe der ZFA, die Sie vielleicht
    Übrigens: Die volle Nutzung der                                                            gerade in der Hand halten, können
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nur dann möglich, wenn Sie sich ein-                                                           gleich vornehmen. Danach sind die
malig registrieren unter www.online-                                                           Seiten auch auf peripheren Geräten
zfa.de/registrierung/ – und das erfordert                                                      wie Tablet oder Smartphone ohne
Ihre DEGAM-Mitgliedsnummer (bzw.                                                               Einschränkung nutzbar.

Wirksamkeit von kurzen Interventionen bei Alkoholkranken
in der hausärztlichen Praxis
Efficacy of Short Interventions for Patients with Alcoholism in Primary Care

Ein gerade veröffentlichter Cochrane           Nach einem Jahr tranken die-
Review beschäftigt sich mit der Wirk-       jenigen, bei denen interveniert
samkeit von kurzen Interventionen           wurde, pro Woche rund einen hal-
bei Alkoholkranken in der hausärztli-       ben Liter Bier bzw. 250 ml Wein we-
chen Praxis (z.T. auch in Notfallambu-      niger.
lanzen).
    Die Autoren schlossen 69 Studien        Den Abstract des Reviews finden Sie un-
(33.642 Patienten) ein, die kurze In-       ter http://onlinelibrary.wiley.com/doi/
                                                                                                                                                           Foto: Tobias/stock.adobe.com

terventionen mit keinen oder nur mi-        10.1002/14651858.CD004148.pub4/ab
nimalen „Eingriffen“ verglichen. In         stract;jsessionid=1449A6513182D57
                                            F512EC8BD4594F0D0.f03t04,
87 % der Untersuchungen wurde die
                                            den Volltext wie immer über DEGAM
Finanzierungsquelle angegeben; bis          intern unter http://onlinelibrary.wiley.
auf zwei Studien waren keine kom-           com/doi/10.1002/14651858.
merziellen Sponsoren beteiligt.             CD004148.pub4/full

                                                                         © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
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196                                            DEGAM-BENEFITS / DEGAM BENEFITS

                                               Der primäre Hyperaldosteronismus ist die häufigste Ursache
                                               der sekundären Hypertonie
                                               Primary Hyperaldosteronism: the Most Frequent Underlying Condition
                                               for Secondary Hypertension

                                               Vor wenigen Jahren hat die US-ame-                                                                                aufwiesen. Nach Aus-
                                               rikanische Endocrine Society in der füh-                                                                          schluss von 3457 Patien-
                                               renden endokrinologischen Zeit-                                                                                   ten (u.a. wegen Alters < 18
                                               schrift (Journal of Clinical Endocrinolo-                                                                         Jahren, vorbestehendem
                                               gy and Metabolism) eine Leitlinie zur                                                                 Hochdruck, Einnahme von Anti-
                                               Diagnostik und Behandlung des pri-                                                                    hypertensiva oder Komorbidität wie
                                               mären Hyperaldosteronismus publi-                                                                     Diabetes, Nieren- oder Herzinsuffi-
                                               ziert. Wie Sie gleich sehen werden, ist                                                               zienz) verblieben 3748 Personen.
                                               nicht nur der Inhalt der Leitlinie, son-                                                                  Da die hausärztliche Leitlinie
                                               dern auch die herausgebende Fachge-                                                                   „Bluthochdruck“ der holländischen
                                               sellschaft ... sagen wir, be-                                                                         Kolleginnen und Kollegen – im Ge-
                                               merkenswert.                                                                                          gensatz zur Endocrine Society – emp-
                                               • Die Endocrine Society sagt                                                                          fiehlt, nur diejenigen Patienten einer
                                                 von sich in eindrucksvoller                                                                         Aldosteron- bzw. Reninbestimmung
                                                 Bescheidenheit: „We are … energized                         terweise für eine erheblich größere     zu unterziehen, die Hypertonie und
                                                 by the promise of unravelling the mys-                      Anzahl von Patienten, nämlich u.a.      gleichzeitige Hyperkaliämie oder eine
                                                 teries of hormone disorders to care for                     solchen                                 Therapieresistenz aufweisen, wurden
                                                 patients and cure disease“.                                 • mit anhaltendem Blutdruck > 150/      die 361 Personen (9,6 % von 3748)
                                               • We are devoted to … excellence in the                         100;                                  untersucht, welche diese Kriterien er-
                                                 clinical practice of endocrinology …                        • mit einem Blutdruck > 140/90 trotz    füllten.
                                                 Simply put: we unite, lead, and grow                          Gabe von drei Antihypertensiva
                                                 the endocrine community to accelerate                         (inkl. einem Diuretikum);             Ergebnisse
                                                 scientific breakthroughs and improve                        • mit einem Blutdruck < 140/90, der     • 92 der 361 untersuchten Patienten
                                                 health worldwide“. Wow!                                       mit mindestens vier Arzneimitteln       waren positiv und wurden einem
                                                                                                               kontrolliert ist;                       SIT unterzogen.
                                               Als ob diese marketingorientierte Dar-                        • mit Hypertonie und spontaner          • Von diesen 92 Verdachtsfällen wie-
                                               stellung nicht genug wäre. Hinzu                                oder diuretikainduzierter Hypoka-       sen ganze neun (n = 9) einen positi-
                                               kommen die finanziellen Verflech-                               liämie;                                 ven SIT auf, bei weiteren sechs war
                                               tungen etlicher Autoren mit der phar-                         • mit Hypertonie und Schlaf-Apnoe.        das Testergebnis unklar und 59 wa-
                                               mazeutischen Industrie, die man am                                                                      ren testnegativ.
                                               Ende der Veröffentlichung auf sich                            Angesichts dieser Daten, welche die     • Die Prävalenz eines gesicherten, pri-
                                               wirken lassen kann ...                                        Autoren fälschlicherweise als evi-        mären Hyperaldosteronismus in
                                                   Die initiale Diagnostik des primä-                        denzbasiert erachten, kommt – genau       diesem hausärztlichen Patienten-
                                               ren Hyperaldosteronismus besteht                              zum richtigen Zeitpunkt – eine Wider-     kollektiv von annähernd 4000 Pa-
                                               aus der Bestimmung von Aldosteron                             legung aus der universitären All-         tienten betrug also ... 0,24 %!
                                               und Renin im Plasma. Alle Patienten                           gemeinmedizin: Wissenschaftler von
                                               mit einer erhöhten Aldosteron/Re-                             der Radboud-Universität im holländi-    Funder JW, Carey RM, Mantero F, et al.
                                               nin-Ratio werden dann zur Diagnose-                           schen Nijmegen haben im British Jour-   The management of primary aldostero-
                                               bestätigung einem Kochsalzinfusi-                             nal of General Practice eine Quer-      nism: case detection, diagnosis, and
                                               onstest (SIT) unterzogen. Nur falls                           schnittsstudie zur Prävalenz des pri-   treatment. An Endocrine Society Clinical
                                                                                                                                                     Practice Guideline. J Clin Endocrinol
                                               dieser Test positiv ausfällt, steht die                       mären Hyperaldosteronismus in der
                                                                                                                                                     Metab 2016; 101: 1889–1916.
      Abbildung: molekuul.be/stock.adobe.com

                                               Diagnose eines primären Hyperaldos-                           Primärmedizin publiziert.               https://academic.oup.com/jcem/
                                               teronismus fest.                                                                                      article-pdf/101/5/1889/20287850/
                                                   Während hausärztliche Empfeh-                             Methoden                                jcem1889.pdf
                                               lungen aus gutem Grunde nur rela-                             Eingeschlossen waren 55 hausärzt-
                                               tiv wenige Hypertoniker für die-                              liche Gemeinschaftspraxen mit nicht     Käyser SC, Deinum J, de Grauw WJC, et
                                                                                                                                                     al. Prevalence of primary aldosteronism
                                               se Laboruntersuchungen vorsehen                               weniger als 7205 Patienten, die eine
                                                                                                                                                     in primary care: a cross-sectional study.
                                               (s.u.), empfiehlt die Leitlinie der En-                       neu entdeckte, noch nicht behandel-     Br J Gen Pract 2018; 68: e114-e122.
                                               docrine Society [Funder et al. 2016]                          te Hypertonie nach den Kriterien der    http://bjgp.org/content/early/2018/
                                               die Untersuchung bemerkenswer-                                Europäischen Hochdruckgesellschaft      01/15/bjgp18X694589/tab-pdf

                                               © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
DEGAM-BENEFITS / DEGAM BENEFITS                                                                                                                                                            197

Schusswaffenepidemie in den USA
Firearm Epidemic in the US

„Eine Epidemie“, heißt es in Wikipe-
dia, „ist die zeitliche und örtliche Häu-
fung einer Krankheit innerhalb einer
menschlichen Population“.
    Betroffen von einer Epidemie sind
nicht nur deren Todesopfer, sondern
auch diejenigen, welche die Über-
lebenden (mit z.T. lebenslangen kör-
perlichen und seelischen Folgen) ver-
sorgen müssen, in erster Linie Ärztin-
nen und Ärzte. Und: Bei Epidemien
geht es keineswegs immer nur um In-
fekte; auch andere Krankheiten und
„Ereignisse“ (z.B. Verkehrsunfälle)         in der Süddeutschen Zeitung unter                desstaaten und den Einfluss der Waf-

                                                                                                                                                         Abbildung: PT88/stock.adobe.com
können sich epidemisch ausbreiten.          www.sueddeutsche.de/panorama/usa-                fenlobby National Rifle Association
Sie ahnen schon, was jetzt kommt ...        ein-land-unter-waffen-in-sieben-grafi-           (NRA).
    In den USA gab es 2017 325,7 Mil-       ken-1.3694023.                                        Nach einem der letzten Massaker
lionen Einwohner und 300 Millionen              Eine detaillierte, auch sozialwis-           mit einem Sturmgewehr an der Marjo-
Schusswaffen (92 Waffen pro 100 Per-        senschaftliche, Analyse des Problems             ry Stoneman Douglas High School in
sonen; Deutschland: 32, Österreich:         zeigt das Pew Research Center in Wa-             Florida aber haben sich Schüler im
30). 43 % aller Amerikaner leben in ei-     shington, D.C. unter http://assets.              ganzen Land zu einem lauten und of-
nem Haushalt mit mindestens einer           pewresearch.org/wp-content/uploads/              fenbar nachhaltigen Protest zusam-
Schusswaffe.                                sites/3/2017/06/06151541/Guns-Re-                mengeschlossen. Und ... die Stim-
    Im Jahre 2017 gab es durch              port-FOR-WEBSITE-PDF-6-21.pdf.                   mung scheint sich zu drehen.
Schusswaffen 15.590 Tote (25 % da-              Nach Massenschießereien gibt es                   Die New York Times berichtete
von Kinder und Jugendliche) und             in den USA meist die üblichen Trau-              über einen von Schülern verfassten
31.181 Verletzte.                           erbekundungen sowie kurzfristige                 Aufruf, der den Nagel auf den Kopf
    Einige anschauliche Grafiken zu         und erfolglose Proteste gegen die la-            trifft: „Dear National Rifle Association:
diesen erschreckenden Zahlen gibt es        xen Waffengesetze der meisten Bun-               We Won’t Let You Win.“

Verschreibungskosten für Antidepressiva:
Was bekommen wir für 266 Millionen britische Pfund pro Jahr?
NHS Antidepressant Prescribing: What do We Get for £266m a Year?

Derek Summerfield ist ein in Südafri-       • „Das Royal College of Psychiatrists            • Kann irgendjemand ernsthaft ar-
ka geborener Psychiater, der am Lon-          und die Medien behaupten routi-                  gumentieren, dass die britische
doner Institute of Psychiatry, Psychology     nemäßig, dass es eine „Epidemie“                 Bevölkerung als Ergebnis unserer
and Neuroscience arbeitet. Bekannt ist        mentaler Erkrankungen gebe,                      Epidemie von Antidepressiva-Ver-
er nicht nur für seine internationale         dass im UK jeder Vierte betrof-                  ordnungen gesünder und glück-
Tätigkeit, sondern auch ... für seine         fen sei und drei von vier Pa-                    licher ist – 64,7 Millionen Rezepte
kritischen Einschätzungen des eige-           tienten nicht die Behandlung er-                 im Jahre 2016, ein „Aufstieg“ von
nen Fachgebiets.                              hielten, die sie bräuchten. Die-                 den rund neun Millionen Ver-
    In einem Kommentar für das British        se „Krankheitsvermarktungs-Be-                   ordnungen in den Neunziger Jah-
Medical Journal fragt er provokativ, was      hauptungen“ (disease-mongering                   ren?“
denn das Ergebnis der im National             assertions) würden so oft wieder-
Health System für Antidepressiva aus-         holt, dass sie als ungeprüfte gesell-          Summerfield D. NHS antidepressant pres-
gegebenen 310 Millionen Euro sei.             schaftliche Binsenweisheiten gel-              cribing: what do we get for £266m a year?
Wörtlich schreibt er u.a.:                    ten“.                                          BMJ 2018; 360: k1019

                                                                       © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
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198   ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE

      Innovative Modelle zur Sicherung
      der Gesundheitsversorgung
      im ländlichen Raum
      Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas
      Anne Berghöfer1, Carolin Auschra2, Jana Deisner3, Jörg Sydow2

      Hintergrund                                                                          Background
      Die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung in ländli-                        Securing health care in rural areas is becoming increasingly dif-
      chen Regionen gestaltet sich zunehmend schwieriger. Inzwi-                           ficult. In the meantime, a variety of models and measures has
      schen wurde eine Vielfalt von Modellen und Maßnahmen ent-                            been developed to ensure the long-term provision of health
      wickelt, die eine langfristige Sicherstellung der gesundheitli-                      care in rural areas beyond the scope of traditional planning by
      chen Versorgung im ländlichen Raum jenseits der klassischen                          the association of statutory health insurance physicians.
      Bedarfsplanung ermöglichen sollen.                                                   Methods
      Methoden                                                                             Using systematic research in different databases and selected
      Mittels einer systematischen Recherche in verschiedenen Da-                          medical journals, innovative models for health care in rural
      tenbanken und ausgewählten Zeitschriften wurden innovative                           areas in Germany were identified and systematised from an or-
      Modelle für die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum in                          ganisational point of view. In 33 interviews with 35 selected
      Deutschland identifiziert und unter organisationalen Gesichts-                       experts, barriers and facilitators for the development and im-
      punkten systematisiert. In 33 Interviews mit 35 ausgewählten                         plementation of the models were explored and potentials for
      Experten wurden Barrieren und förderliche Aspekte für die Ent-                       their use were identified. The interviews were qualitatively ana-
      wicklung und Implementierung der Modelle exploriert sowie                            lysed and the results triangulated with literature and docu-
      Potenziale ihres Einsatzes identifiziert. Die Interviews wurden                      ments.
      qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet und die Ergebnisse mit                      Results
      Literatur und Dokumenten validiert.                                                  90 models in the outpatient or inpatient sector, cross-sectoral,
      Ergebnisse                                                                           or context measures were identified. The largest part used clas-
      90 Modelle im ambulanten oder stationären Sektor, sektor-                            sical or newer (medical care centre) practice organisation
      übergreifend, oder Kontextmaßnahmen wurden identifiziert.                            forms and combined these with design elements such as dele-
      Der größte Teil bediente sich klassischer oder neuerer (MVZ)                         gation, telemedicine, mobility, networking or supporting con-
      Praxisorganisationsformen und kombinierte diese mit Gestal-                          text measures. Implementation experiences and perceived
      tungselementen wie Delegation, Telemedizin, Mobilität, Netz-                         barriers arose at the level of the model, in the local environ-
      werkarbeit oder unterstützenden Kontextmaßnahmen. Imple-                             ment and at the level of the health system.
      mentierungserfahrungen und wahrgenommene Barrieren                                   Conclusions
      entstanden auf der Ebene der Modelle, in der lokalen Umwelt                          None of the models can yet be regarded as a blueprint for solv-
      sowie auf der Ebene des Gesundheitssystems.                                          ing health care problems in rural areas. Changed forms of ac-
      Schlussfolgerungen                                                                   tivity in the medical profession (part-time work, employment
      Keines der Modelle kann bislang als Blaupause für die Lösung                         contracts, networking), distance-bridging solutions (telemedi-
      von Versorgungsproblemen im ländlichen Raum angesehen                                cine) and inter-professional cooperation (networking, dele-
      werden. Veränderte Tätigkeitsformen in der Ärzteschaft (Teil-                        gation) have potential. The expansion of management com-
      zeit, Angestelltenverhältnis, Vernetzung), distanzüberbrücken-                       petencies for work with and within complex models and the
      de Lösungen (Telemedizin) und interprofessionelle Zusam-                             prospect of transfer to standard care when the effectiveness of
      menarbeit (Vernetzung, Delegation) besitzen Potenzial. Der                           innovative models has been scientifically proved is necessary.
      Ausbau von Managementkompetenzen für die Arbeit mit und                              Keywords
      in komplexen Modellen sowie die Aussicht auf Überführung in                          health care model; rural area; organisational form; context
      die Regelversorgung bei positiver wissenschaftlicher Evaluati-                       design
      on der Wirksamkeit innovativer Modelle ist erforderlich.
      Schlüsselwörter
      Versorgungsmodell; ländlicher Raum; Organisationsform;
      Kontextgestaltung

      1Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
      2Management-Department, Freie Universität Berlin
      3Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute“, Institut für Soziologie, Technische Universität Berlin
      Peer reviewed article eingereicht: 16.12.2019, akzeptiert 30.01.2020
      DOI 10.3238/zfa.2020.0198–0202

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
Berghöfer et al.:
Innovative Modelle zur Sicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas                                                                                             199

Hintergrund                               lang in vergleichbaren Untersuchun-             die geförderte Innovationsfondspro-
Die Sicherstellung der gesundheitli-      gen zu kurz gekommen sind [6]. Da-              jekte im Bereich „Neue Versorgungs-
chen Versorgung in ländlichen Regio-      rüber hinaus wurden Barrieren und               formen“ darstellt, beim Bundesminis-
nen gestaltet sich zunehmend              förderliche Aspekte für die Entwick-            terium für Bildung und Forschung im
schwieriger. Für eine drohende oder       lung und Implementierung innovati-              Bereich Gesundheitsforschung, in der
bereits wahrgenommene Unterver-           ver Versorgungsmodelle exploriert so-           MSD-Gesundheitspreis-Datenbank
sorgung werden demografischer             wie Potenziale des Einsatzes der un-            und im Deutschen Ärzteblatt.
Wandel, Abwanderung jüngerer Men-         terschiedlichen Modelle identifiziert.              In einem zweiten Schritt wurden
schen in strukturstärkere Regionen        Nicht im Fokus der Studie stand die             die identifizierten Modelle hinsicht-
sowie eine infrastrukturelle Benach-      Frage nach der Wirksamkeit der iden-            lich ihrer organisationalen Merkmale,
teiligung ländlicher Regionen als ur-     tifizierten Modelle auf die Verbes-             der beteiligten Akteure und ihrer
sächlich angesehen. Damit verbun-         serung der Versorgungssituation.                Kontextfaktoren systematisiert.
den ist ein zunehmender Fachkräfte-                                                           Schließlich wurden unter Verwen-
mangel, der alle für die Versorgung       Methodik                                        dung eines semistrukturierten Inter-
kritischen Professionen betrifft. So      Die Studie erfolgte aus einer in den            viewleitfadens mit ausgewählten Re-
auch Ärzte und Pflegekräfte, die sich     Sozialwissenschaften verankerten or-            präsentanten der identifizierten Mo-
zunehmend in städtischen Räumen           ganisationstheoretischen Perspektive            delle Expertengespräche geführt zu
konzentrieren [1]. Die Verteilung der     und verwendete eine qualitative For-            Aspekten der Entwicklung des jeweili-
Leistungserbringer im Gesundheits-        schungsmethodik. Ergebnisse der In-             gen Modells sowie zu Barrieren und
wesen wird jedoch nicht in ausrei-        terviews wurden mithilfe von Sekun-             förderlichen Einflüssen auf Imple-
chend flexiblem Maße angepasst [2].       därdokumenten und wissenschaftli-               mentierung und Verstetigung. Zwi-
     Die Bedarfsplanung der ambulan-      chen Publikationen validiert.                   schen Juni 2018 und Dezember 2019
ten vertragsärztlichen Versorgung             Mittels einer Literaturrecherche            fanden 33 Interviews mit 35 Experten
wurde mehrfach an die o.g. veränder-      wurden in deutschsprachigen Daten-              statt. Nach informierter Einwilligung
ten Bedingungen adjustiert, zuletzt       banken und Fachzeitschriften bis                durch die Interviewpartner wurden
auch unter Berücksichtigung der Er-       März 2018 Publikationen zu Gesund-              die Interviews aufgezeichnet, pseudo-
reichbarkeit von Leistungserbringern      heitsversorgungsmodellen identifi-              nymisiert transkribiert und qualitativ
[3], ermöglicht jedoch kaum effektive     ziert. Folgende Einschlusskriterien             inhaltsanalytisch ausgewertet.
Maßnahmen für eine flexible und           mussten vollständig erfüllt sein:
kurzfristige Anpassung von fehlver-       • Region nach eigenen Angaben von               Ergebnisse
teilten Ressourcen [2]. Die Bedarfspla-     Unterversorgung bedroht oder be-
nung der stationären Versorgung er-         troffen                                       Identifikation und
folgt vielmehr völlig unabhängig da-      • Laufende oder abgeschlossene Mo-              Systematisierung innovativer
von durch die Bundesländer. Die Bet-        delle mit Schwerpunkt auf ärzt-               Versorgungsmodelle
tenanzahl in Deutschland ist im in-         licher Akut- und Langzeitversor-              Insgesamt wurden 90 relevante Mo-
ternationalen Vergleich weit über-          gung                                          delle und Maßnahmen identifiziert,
durchschnittlich, bestehende Fehl-        • Erprobung der Modelle in Deutsch-             die der Verbesserung der Gesund-
verteilung im stationären Sektor wird       land                                          heitsversorgung im ländlichen Raum
jedoch bislang nicht wirksam adres-       • Einsatz zur Abwendung drohender               dienen und bestehende oder drohen-
siert [4].                                  oder bestehender Unterversorgung              de Unterversorgung abwenden soll-
     Der Sachverständigenrat zur Be-      • Einsatz zur Gesundheitsversorgung             ten (eTab. – online). Die Modelle lie-
gutachtung der Entwicklung im Ge-           im ländlichen Raum [7] (u.a. nied-            ßen sich hinsichtlich der Kontext-
sundheitswesen erkannte bereits             rigere Bevölkerungsdichte, land-              gestaltung, der grundlegenden Orga-
2014 die Notwendigkeit und die              wirtschaftliche Prägung, Klein- und           nisationsform, der Verwendung spe-
Möglichkeiten der Anpassung der             Mittelstädte)                                 zifischer Gestaltungselemente und
Versorgung an veränderte demogra-                                                         der beteiligten Akteure systematisie-
fische und epidemiologische Bedin-        Ausgeschlossen wurden dementspre-               ren (Abb. 1).
gungen durch innovative Versor-           chend Modelle mit Einsatz im städti-                Am weitaus häufigsten fanden
gungsformen [5]. Inzwischen wurde         schen Raum oder in Metropolregio-               sich innovative Versorgungsmodelle,
eine Vielfalt von Modellen und Maß-       nen, Modelle zur Sicherstellung des             die unter Verwendung verschiedener
nahmen entwickelt, die eine langfris-     Rettungsdienstes, Versorgung im                 Gestaltungselemente nur im ambu-
tige Sicherstellung der gesundheitli-     Rahmen der gesetzlichen Pflegever-              lanten Sektor implementiert wurden.
chen Versorgung jenseits der klassi-      sicherung, Rehabilitation und Arznei-           Hierbei dominierte der Einsatz neuer
schen Bedarfsplanung ermöglichen          mittelversorgung.                               Praxisorganisationsformen, der at-
sollen. Diese innovativen Modelle             Die Recherche erfolgte in der Da-           traktivere Arbeitsbedingungen für
sollten im Rahmen unserer Studie          tenbank „Innovative Gesundheits-                Ärzte schaffen und dem Fachkräfte-
identifiziert und systematisiert wer-     modelle“ des Instituts für Allgemein-           und Nachwuchsmangel im ländli-
den. Hierbei sollte der Schwerpunkt       medizin der Johann-Wolfgang-Goe-                chen Raum begegnen soll. Weniger
auf organisationale Aspekte der Mo-       the-Universität, in der Datenbank des           häufig wurde die Bildung von Ärzte-
delle gelegt werden, weil diese bis-      Gemeinsamen Bundesausschusses,                  netzen in ländlichen Regionen iden-

                                                                    © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
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Berghöfer et al.:
      Innovative Modelle zur Sicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
200   Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas

      Abbildung 1 Systematisierung der Organisationsformen, Gestaltungselemente und Kontextmaßnahmen bei Modellen zur gesund-
      heitlichen Versorgung der Bevölkerung in ländlichen Regionen, eigene Darstellung nach [8]

      tifiziert. In einigen Regionen sind                           modelle begegnete einer Vielzahl von        werden musste. Schließlich ge-
      auch Delegationsmodelle verbreitet                            Barrieren auf der Modellebene, im Be-       lingt ein Modell – bei aller Bereit-
      [9, 10]. Treiber der Innovation sind                          reich der lokalen Umwelt und auf der        schaft der Akteure zur Kooperati-
      neben regionalen kassenärztlichen                             Ebene des Gesamtsystems.                    on – nur, wenn die oft wider-
      Vereinigungen auch Akteure auf                                1. Die Implementierung eines kom-           sprüchlichen und heterogenen
      Kommunalebene sowie einzelne Ver-                                plexen Modells führte die beteilig-      Ziele miteinander vereinbart wer-
      tragsärzte. Weniger häufig fanden                                ten Akteure häufig an die Gren-          den können. Wichtig ist, hierfür
      sich Modelle, die ausgehend von der                              zen ihres jeweiligen Kompetenz-          alle potenziell interessierten Stake-
      traditionellen Organisationsform des                             bereichs, weil den Beteiligten der       holder im Vorfeld zu identifizie-
      Krankenhauses mit einer innovativen                              Überblick über die vielfältigen Ab-      ren und insbesondere zentrale Ak-
      Versorgungsform vorrangig den Fach-                              hängigkeiten im Gesundheitssys-          teure unbedingt in einen Entwick-
      arztmangel in der Region adressieren                             tem fehlte, insbesondere, wenn           lungsprozess zu integrieren, da sie
      und dabei Telemedizin oder die Ko-                               Sektorengrenzen oder Landes-             ansonsten das Potenzial hätten,
      operation von Krankenhäusern [11]                                grenzen mit unterschiedlichen            eine Innovation zu blockieren.
      integrieren. Nur selten fanden sich                              Abrechnungsbedingungen oder           2. Im lokalen Umfeld bedarf es der
      sektorenübergreifend arbeitende Mo-                              rechtlichen Rahmenbedingungen            Herstellung der Legitimität des
      delle, die sich z.B. aus dem Kranken-                            berührt sind. Der erhöhte Auf-           Modells als Lösung für ein Versor-
      haus durch Öffnung in die ambulan-                               wand für ein Management der Zu-          gungsproblem, ansonsten kann es
      te Versorgung [12] entwickelten, um                              sammenarbeit der verschiedenen           zu Misstrauen gegenüber dem
      fachärztliche Versorgung in der Regi-                            Akteure wird jedoch in der Regel         Modell oder zur Boykottierung
      on zu erhalten und eine Alternative                              nicht vergütet. Für die Zusam-           des Modells kommen. Das ist ins-
      zur Krankenhausschließung zu bie-                                menarbeit bedarf es zudem einer          besondere der Fall, wenn durch
      ten.                                                             einheitlichen Kommunikations-            die Innovation eine drohende
                                                                       form zwischen den zumeist sehr           Konkurrenz oder ein Positionsver-
      Implementierungserfahrungen                                      unterschiedlichen Akteuren, die          lust befürchtet wird. Herausforde-
      Die Entwicklung und Implementie-                                 sowohl hinsichtlich der Struktur         rungen ganz anderer Art sind eine
      rung der innovativen Versorgungs-                                als auch der Kultur erst etabliert       unzulängliche Infrastruktur, wie

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Berghöfer et al.:
Innovative Modelle zur Sicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas                                                                                               201

   z.B. fehlender öffentlicher Per-      [13]. Von großer Relevanz wären also               tig bedeutet dies aber häufig auch,
   sonennahverkehr oder notwendi-        zunächst Messungen von Zielparame-                 dass eine bisherige Arztstelle nicht
   ge andere Versorgungsstrukturen       tern, die über Patientenzufriedenheit              mehr durch eine einzelne Person aus-
   für die Bevölkerung.                  mit Erreichbarkeit und Versorgungs-                gefüllt werden kann und intensive
3. Herausforderungen auf der Ge-         dichte hinaus auch medizinische Ver-               Nachwuchsförderung nötig wird.
   samtsystemebene wurden zumeist        sorgungsqualität abbilden, wie z.B.                     Distanzüberbrückende         Versor-
   im Bereich der Finanzierung und       Morbiditäts- oder Mortalitätsdaten                 gungslösungen, seien sie auf ver-
   der rechtlichen Rahmenbedin-          auf Ebene der regionalen Bevölke-                  änderter Mobilität oder auf Einsatz
   gungen identifiziert. Notwendige      rung. Auch erwiesen sich bisherige                 von Telemedizin basierend, scheinen
   Anschub-Investitionen sind durch      Ansätze zur Messbarkeit von objekti-               ebenfalls großes Potenzial zu haben,
   die Regelvergütungssysteme nicht      ver Unterversorgung als unzurei-                   als elementar verstandene Bestandtei-
   abbildbar. Da nur wenigen Initia-     chend.                                             le primärärztlicher Versorgung kön-
   toren Eigenmittel zur Verfügung                                                          nen sie jedoch vermutlich so nicht
   stehen, bedarf es zunächst der Ge-                                                       abgedeckt werden. Eine mobile Praxis
   winnung der notwendigen Res-                                                             ist bisher mit einem ineffizienten
   sourcen im Zusammenspiel der                                                             Einsatz der knappen Ressource Arzt
   unterschiedlichen Stakeholder,                                                           verbunden, da Fahrzeiten und orga-
   was jedoch häufig durch eine Ver-                                                        nisatorische Tätigkeiten im Praxisbus
   antwortungsdiffusion zwischen                                                            die effektiven Patientenkontaktzeiten
   den Akteuren erschwert wird.                                                             deutlich reduzieren. Auch Patienten-
   Analog kann auch das Fehlen                                                              busse konnten sich nicht nachhaltig
   rechtlicher Rahmenbedingungen                                                            als Modelle durchsetzen. Die Delega-
   eine Barriere sein, weil geltendes                                                       tion von Versorgungsanteilen an qua-
   Recht nur die Regelversorgung                                                            lifiziertes Fachpersonal hingegen,
                                         PD Dr. med. Anne Berghöfer …
   umfasst und innovative Versor-                                                           idealerweise unter Verwendung tele-
                                         … ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
   gungsmodelle dann vorläufig in                                                           medizinischer Komponenten, fand
                                         und Lehrkoordinatorin im Projekt-
   einem rechtlichen Vakuum ope-         bereich Gesundheitsökonomie und                    rege Anwendung und hat das Poten-
   rieren müssen (z.B. telemedizi-       Gesundheitssystemforschung am                      zial, sich langfristig zu etablieren.
   nische Gestaltungselemente, Fern-     Institut für Sozialmedizin, Epidemio-
   behandlung, Datenschutz).             logie und Gesundheitsökonomie der                  Limitationen
                                         Charité – Universitätsmedizin Berlin.
   Schließlich wurde die im ländli-                                                         Die Studie besitzt einige Limitatio-
                                         Sie hat Medizin studiert und sich
   chen Raum teilweise unzurei-          nach langjähriger klinischer Tätig-                nen, die bei der Verallgemeinerung
   chende digitale Infrastruktur (z.B.   keit in der Psychiatrie im Fach Sozial-            der Ergebnisse zu berücksichtigen
   schlechte Mobilfunknetzabde-          medizin und Epidemiologie habili-                  sind. Zunächst kann nicht aus-
   ckung, mangelnde Interoperabili-      tiert. Ihr Forschungsschwerpunkt                   geschlossen werden, dass Modelle
                                         liegt in der psychiatrischen Versor-
   tät bestehender IT-Systeme) als er-                                                      nicht erhoben wurden, weil sie nicht
                                         gungsforschung und Evaluation
   hebliche Barriere angesehen.          innovativer Versorgungsformen
                                                                                            publiziert oder beworben wurden,
                                         im Gesundheitswesen.                               oder infolge unzureichender Infor-
Diskussion                               Foto: Foto Kirsch, Berlin                          mationen unscharf abgrenzbar wa-
Die Studie konnte 90 ambulant, sta-                                                         ren. Zudem war es erforderlich, Mo-
tionär und sektorenübergreifend ope-                                                        delle auszuschließen, die nicht pri-
rierende Modelle und Maßnahmen                                                              mär mit der Versorgungssicherung im
zur Verbesserung der Gesundheitsver-         Vor dem Hintergrund einer zu-                  ländlichen Raum verbunden waren,
sorgung im ländlichen Raum identifi-     nehmenden Anzahl von Ärzten im                     dort aber durchaus auch angewendet
zieren. Experteninterviews mit Ver-      Angestelltenverhältnis [14] zeigen die             werden, wie z.B. Regionalbudgets
tretern diverser Stakeholdergruppen      Modelle sowie die Erfahrungen der                  (Modellvorhaben Psychiatrie § 64b
offenbarten Implementierungserfah-       Experten das Potenzial, attraktivere               SGB V [15], „Gesundes Kinzigtal“
rungen, die durch Barrieren auf der      Tätigkeiten im ländlichen Raum an-                 [16]). Weiterhin musste ein Schnitt
Modellebene, der lokalen Umgebung        bieten zu können. Insbesondere                     gesetzt werden zu Modellen der Arz-
und dem Gesamtsystem gezeichnet          neuere Praxisorganisationsformen in                neimittelversorgung, des Rettungswe-
waren.                                   Kombination mit Vernetzung und                     sens oder der psychosozialen Versor-
                                         Unterstützung durch Delegation und                 gung, um den Rahmen der Studie
Identifikation von Potenzialen           Telemedizin ermöglichen flexible Ar-               nicht zu sprengen.
Die identifizierten Modelle und Maß-     beitszeiten, Verantwortungsteilung,                    Experteninterviews wurden nur
nahmen werden, abgesehen von             kollegialen Austausch und interdis-                exemplarisch geführt, wobei auch die
Innovationsfondsprojekten, bislang       ziplinäre Zusammenarbeit sowie ein                 Frage der inhaltlichen Sättigung bei
nicht regelhaft wissenschaftlich hin-    verringertes wirtschaftliches Risiko.              der Anzahl der Interviewpartner be-
sichtlich ihrer Wirksamkeit auf die      Zudem kommen sie damit den ver-                    rücksichtigt wurde. Daher ist hier
Gesundheitsversorgung der Bevölke-       änderten Ansprüchen einer jüngeren                 von einer guten Repräsentativität der
rung im ländlichen Raum untersucht       Ärztegeneration entgegen. Gleichzei-               Interviewergebnisse auszugehen.

                                                                      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
Berghöfer et al.:
      Innovative Modelle zur Sicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
202   Innovative Models for Securing Health Care in Rural Areas

          Schließlich waren im Verlauf der                          • Erfolgreiche, wissenschaftlich posi-           gründe zum Leben und Arbeiten in
      Studie sehr unterschiedliche Ver-                               tiv evaluierte Versorgungsmodelle              ländlichen Regionen. Berlin, 2016
      ständnisse und Wahrnehmungen                                    müssen die Aussicht auf Überfüh-           8. Auschra C, Deisner J, Berghöfer A, Sy-
      von Unterversorgung oder drohender                              rung in die Regelversorgung haben,            dow J. Sicherstellung der Gesund-
                                                                                                                    heitsversorgung in ländlich gepräg-
      Unterversorgung     im    ländlichen                            nicht zuletzt um Anreize für weitere
                                                                                                                    ten Regionen: Neue Organisations-
      Raum identifizierbar. Zukünftige Eva-                           Innovation zu schaffen.                       modelle und Maßnahmen. Berlin:
      luationen bedürfen einer präziseren                                                                           Stiftung Münch, 2018
      Definition und Operationalisierung                            Zusatzmaterial im Internet                   9. Mergenthal K, Leifermann M, Beyer
      des Begriffs der Unterversorgung,                             (www.online-zfa.de)                             M, Gerlach FM, Güthlin C. Delegati-
      auch auf der Basis objektiver quanti-                         eTabelle Im Rahmen einer system-                on hausärztlicher Tätigkeiten an qua-
      tativer Messparameter.                                        atischen Recherche 2018 identifizierte in-      lifiziertes medizinisches Fachpersonal
                                                                    novative Modelle zur Sicherung der Ge-          in Deutschland – eine Übersicht. Ge-
                                                                    sundheitsversorgung im ländlichen Raum          sundheitswesen 2016; 78: e62–8
      Schlussfolgerungen
                                                                                                                 10. Schmiedhofer MH, Brandner S, Kuhl-
      Die identifizierten innovativen Mo-                                                                            mey A. Delegation ärztlicher Leistun-
      delle zur Gesundheitsversorgung im                            Interessenkonflikte:                             gen an nichtärztliche Fachkräfte: Der
      ländlichen Raum variieren stark hin-                          Carolin Auschra und Jörg Sydow erhiel-           Versorgungsansatz agneszwei in
      sichtlich ihrer Ausgestaltung und auf-                        ten für das Projekt im Jahr 2018 eine För-       Brandenburg – eine qualitative Ak-
                                                                    derung durch die Stiftung Münch. Die             zeptanzanalyse. Gesundheitswesen
      grund ihres regionalen Bezuges und
                                                                    Autoren danken der Stiftung für die              2017; 79: 453–60
      spezifischer Erfordernisse und eignen
                                                                    finanzielle Unterstützung. Die weiteren      11. van den Berg N, Schmidt S, Stentzel
      sich vermutlich eher nicht als verall-                        Autoren haben keine Interessenkonflikte          U, Mühlan H, Hoffmann W. Telemedi-
      gemeinerbare Blaupause für die Lö-                            angegeben.                                       zinische Versorgungskonzepte in der
      sung von Versorgungsproblemen im                                                                               regionalen Versorgung ländlicher Ge-
      ländlichen Raum. Ausgehend von                                Literatur                                        biete: Möglichkeiten, Einschränkun-
                                                                                                                     gen, Perspektiven. Bundesgesund-
      den in der qualitativen Auswertung                            1. Knieps F, Amelung VE, Wolf S. Die             heitsblatt, Gesundheitsforschung,
      der Experteninterviews gewonnenen                                Gesundheitsversorgung in schwer zu            Gesundheitsschutz 2015; 58: 367–73
      Perspektiven können aber für die zu-                             versorgenden Regionen – Grund-
                                                                                                                 12. Schmid A, Hacker J, Rinsche F, Distler
      künftige Diskussion und Forschung                                lagen, Definitionen, Problemanalyse.
                                                                                                                     F. Intersektorale Gesundheitszentren.
      folgende Thesen abgeleitet werden:                               Gesundheits- und Sozialpolitik 2012;
                                                                                                                     Bayreuth: Epub, 2018
                                                                       66: 8–19
      • Die Tätigkeit von Ärzten in Teilzeit-                                                                    13. Amelung VE, Eble S, Hildebrandt H,
        und Angestelltenpositionen mit                              2. Klose J, Rehbein I. Ärzteatlas 2017:          et al. (Hrsg). Innovationsfonds: Im-
                                                                       Daten zur Versorgungsdichte von               pulse für das deutsche Gesundheits-
        größerer Flexibilität, kollegialem
                                                                       Vertragsärzten. Berlin: Wissenschaftli-       system. Berlin: Medizinisch Wissen-
        Austausch, interdisziplinärer Zu-                              ches Institut der AOK, 2017                   schaftliche Verlagsgesellschaft, 2017
        sammenarbeit und Ermöglichung
                                                                    3. Gemeinsamer Bundesausschuss. Be-          14. Kassenärztliche Bundesvereinigung.
        von Work-Life-Balance wird zuneh-                              schluss des Gemeinsamen Bundes-               4. MVZ Survey der KBV. Medizinische
        mend stärker nachgefragt werden.                               ausschusses über eine Änderung der            Versorgungszentren in Deutschland.
      • Distanzüberbrückende telemedizi-                               Bedarfsplanungs-Richtlinie: Änderun-          Berlin: Kassenärztliche Bundesvereini-
        nische Versorgungslösungen incl.                               gen zur Weiterentwicklung der Be-             gung, 2016
                                                                       darfsplanungs-Richtlinie. Bundes-
        Patientenmonitoring und primär-                                                                          15. Deister A, Wilms B. Regionale Verant-
                                                                       anzeiger Amtlicher Teil. Berlin: Bun-
        ärztlich-fachärztliche   Telekonsile                                                                         wortung übernehmen. Modellprojek-
                                                                       desministerium für Gesundheit, 2019
        werden weiter an Bedeutung gewin-                                                                            te in Psychiatrie und Psychotherapie
                                                                    4. Neubauer G. Die ökonomische Zu-               nach § 64b SGB V. Köln: Psychiatrie
        nen.                                                                                                         Verlag, 2014
                                                                       kunft der Krankenhäuser in Deutsch-
      • Krankenhäuser im ländlichen Raum                               land. Gesundh ökon Qual manag             16. Hildebrandt H, Pimperl A, Schulte T,
        könnten eine stärkere ambulant-                                2014; 19: 26–35                               et al. Triple Aim – Evaluation in der
        fachärztliche Versorgerrolle über-                          5. Sachverständigenrat zur Begutach-             Integrierten Versorgung Gesundes
        nehmen.                                                        tung der Entwicklung im Gesund-               Kinzigtal – Gesundheitszustand, Ver-
      • Managementkompetenzen für die                                  heitswesen. Bedarfsgerechte Versor-           sorgungserleben und Wirtschaftlich-
                                                                       gung: Perspektiven für ländliche Re-          keit. Bundesgesundheitsblatt, Ge-
        Organisation und Kommunikation
                                                                       gionen und ausgewählte Leistungs-             sundheitsforschung, Gesundheits-
        in komplexen Modellen müssen in                                                                              schutz 2015; 58: 383–92
                                                                       bereiche. Bern: Huber, 2014
        Zukunft in den leistungserbringen-
                                                                    6. Müller BS, Leiferman M, Wilke D,
        den Professionen ausgebaut und
                                                                       Gerlach FM, Erler A. Innovative Ver-      Korrespondenzadresse
        mitfinanziert werden.                                          sorgungsmodelle in Deutschland –
      • Ein weiteres Experimentieren mit                                                                         PD Dr. med. Anne Berghöfer
                                                                       Erfolgsfaktoren, Barrieren und Über-
                                                                                                                 Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie
        innovativen Organisationsmodel-                                tragbarkeit. Z Evid Fortbild Qual Ge-
                                                                                                                 und Gesundheitsökonomie, Charité –
        len zur Bewältigung der Unter- bzw.                            sundhwes 2016; 115–116: 49–55
                                                                                                                 Universitätsmedizin Berlin
        Fehlversorgung auf dem Lande soll-                          7. Bundesministerium für Ernährung           Luisenstr. 57, 10117 Berlin
        te weiter öffentlich gefördert wer-                            und Landwirtschaft. Ländliche Regio-      Tel.: 030 450529034
        den.                                                           nen verstehen: Fakten und Hinter-         anne.berghoefer@charite.de

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION                                                                                                                              203

Innovativ?
Kommentar zu Berghöfer A et al., Innovative Modelle zur Sicherung
der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
Innovative?
Commentary to Berghöfer A et al., Innovative Models for
Securing Health Care in Rural Areas
Uwe Kurzke

Der ländliche Raum ist „in“, mal als                   „Ländliche Regionen verstehen“ [3]               ben der KBV [7] waren 2018 knapp
Sehnsuchtsort mit Zeitschriften wie                    selbst erklärt, dass es eine allgemein           35 % aller Allgemeinärzt*innen älter
Landlust, LandLeben oder LandIDEE,                     anerkannte Definition des Begriffs               als 60 Jahre. Wenn von den 40.776
zunehmend aber auch als Gegen-                         ländlicher Raum nicht gibt. Dort be-             ambulant tätigen Allgemeinärzt*in-
stand der allgemeinmedizinischen                       schränkt man sich eher auf eine Be-              nen innerhalb der nächsten fünf Jah-
Versorgungsforschung. Eine nur ori-                    schreibung dessen, was ländlicher                re gut ein Drittel ausscheiden sollte
entierende Suche bei Google Scho-                      Raum sei, ohne klare Kriterien zu                und von diesem Drittel nur 30 %
lar mit den Suchbegriffen „Länd-                       benennen. Eindeutiger, mit klar de-              durch Allgemeinärzt*innen ersetzt
licher Raum“ und „Medizinische                         finierten Kriterien, ist die Definition          werden sollte, ergäbe sich ein zusätz-
Versorgung“ zeigt mehr als 100                         des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-             licher Bedarf von gut 18.000 Haus-
deutschsprachige Veröffentlichun-                      und Raumforschung (BBSR) [4]. Bes-               ärzt*innen. Wie dies trotz ansteigen-
gen in den zurückliegenden 5 Jah-                      ser für die Fragestellung, wie es um             der Facharztanerkennungen im Be-
ren. So haben sich die Autoren der                     die medizinische Versorgung im                   reich Allgemeinmedizin durch inten-
vorliegenden Arbeit [1] auch die                       ländlichen Raum gestellt ist, wäre               sive Nachwuchsförderung gelingen
Mühe gemacht, nach „innovativen                        allerdings die von Steinhäuser et al.            soll, bleibt schleierhaft.
Modellen“ zur medizinischen Ver-                       für Deutschland adaptierte neusee-                   Die These der Autoren, „Kranken-
sorgung im ländlichen Raum zu su-                      ländische Rural Ranking Scale [5]                häuser im ländlichen Raum könnten
chen.                                                  sinnvoller, die konkret auf die (haus-           eine stärkere ambulant-fachärztliche
    Auch wenn gegenwärtig, aus wel-                    ärztliche) medizinische Versorgung               Versorgerrolle übernehmen“ blendet
chen Gründen auch immer, der                           eingeht. Die eTabelle (Online-Mate-              aus, dass Krankenhausschließungen
„ländliche Raum“ als vorrangiges                       rial) wirft zudem Fragen auf. Soweit             vorwiegend den ländlichen Raum be-
Notstandsgebiet der hausärztlichen                     bei der KBV Daten zum hausärzt-                  treffen und in einem Großteil der be-
Versorgung beschrieben wird, gibt es                   lichen Versorgungsgrad [6] zu erfah-             sonders ländlich geprägten Regionen
auch in verdichteten Gebieten und                      ren sind, liegen lediglich 5 der 90              bereits heute Fahrzeiten von mehr als
Großstädten erhebliche Versorgungs-                    untersuchten Modelle in Gebieten                 25 Minuten bis zum nächsten Kran-
mängel. So liegt der Versorgungsgrad                   mit einem Versorgungsgrad < 90 %                 kenhaus in Kauf genommen werden
mit Allgemeinärzt*innen im Mittel-                     [7]. Gleichzeitig finden sich in der             müssen [8].
bereich Bremerhaven bei 73,6 %,                        Tabelle eine ganze Reihe von Model-                  Inwieweit telemedizinische Ver-
selbst für das Kreisgebiet der Stadt                   len, bei denen eine ausschließliche              sorgungslösungen entstehende Lü-
Aachen wird seitens der KBV ein Ver-                   Zuordnung zum ländlichen Raum                    cken füllen können, ist umstritten.
sorgungsgrad von lediglich 67 % an-                    nicht immer nachvollziehbar ist                  Gerade für die als Grundlage der all-
gegeben. Das Hamburger Abendblatt                      (z.B. Landkreis „Bundesweit“ bzw.                gemeinmedizinischen Betreuung er-
[2] berichtet von 20 Hamburger                         Zuordnung zu einem gesamten Bun-                 achteten Aspekte wie Beziehung, er-
Stadtteilen ohne Hausärzt*in und das                   desland).                                        lebte Anamnese und kontinuierliche
in einer Millionenstadt, die als „über-                    Aus Sicht der Autoren haben die              Betreuung eines Patienten werden
versorgt“ gilt.                                        gefundenen Modelle u.a. das Potenzi-             rein telemedizinische Lösungen al-
    Die Autoren haben als Grund-                       al, „den veränderten Ansprüchen ei-              lenfalls in Ausnahmefällen einen
lage ihrer Recherche eine Definition                   ner jüngeren Ärztegeneration“ ent-               sinnvollen Ersatz bieten [9]. Zudem
des Bundesministeriums für Ernäh-                      gegen zu kommen. Da eine bisherige               wird mit Blick auf die zunehmende
rung und Landwirtschaft zugrunde                       Arztstelle „nicht mehr durch eine                Alterung gerade der Bevölkerung in
gelegt, wobei das Bundesministeri-                     einzelne Person ausgefüllt werden                ländlich geprägten Regionen eine
um für Ernährung und Landwirt-                         kann“, würde eine intensive Nach-                derart technische Lösung nicht uner-
schaft (BMEL) in seiner Broschüre                      wuchsförderung nötig. Nach Anga-                 hebliche Probleme in der Anwen-

Arzt für Allgemeinmedizin, Pellworm und St. Jakob in Defereggen
DOI 10.3238/zfa.2020.0203–0204

                                                                                  © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
Kurzke:
      Innovativ? Kommentar zu Berghöfer A et al.
204   Innovative? Commentary to Berghöfer A et al.

      dung in der Arzt-Patientenkom-                                                                         3. www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/
      munikation bereiten.                                                                                      Broschueren/LR-verstehen.pdf?__
                                                                                                                blob=publicationFile S. 8 (letzter Zu-
          Es mag für die Autoren sicherlich
                                                                                                                griff am 02.02.2020)
      schwierig sein, diese komplexen Zu-
                                                                                                             4. www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Raum
      sammenhänge im Rahmen der vor-                                                                            beobachtung/Raumabgrenzungen/
      gegebenen Limitierungen für einen                                                                         deutschland/gemeinden/Raum-
      ZFA-Artikel aufzubereiten, dennoch                                                                        typen2010_vbg/raumtypen2010_no-
      darf eine kritische Kommentierung                                                                         de.html (letzter Zugriff am
                                                                                                                10.02.2020)
      nicht fehlen.
          Die eigentliche Frage ist nämlich,                        Dr. med. Uwe Kurzke ...                  5. Steinhäuser J, Otto P, Götz K, Her-
                                                                                                                mann K, Szecsenyi J, Jobs S. Rural
      wie „innovativ“ die vorgestellten                             ... Arzt für Allgemeinmedizin, Not-         Ranking Scala-Germany – ein Instru-
      Modelle und die aus ihnen ermittel-                           fallmedizin, Sportmedizin. Rund 30          ment zur Identifikation von ländli-
      ten Potenziale tatsächlich sind. Es                           Jahre als alleiniger Arzt auf der           chem Raum aus medizinischer Per-
                                                                    Nordseeinsel Pellworm tätig, arbei-         spektive. Z Allg Med 2012: 88:
      sind „Innovationen“, ohne dass das
                                                                    tet jetzt seit einigen Jahren in einer      S1-V1.4 [Abstract]
      zugrundeliegende System verändert                             Teampraxis in den Osttiroler Bergen.
                                                                                                             6. https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/
      oder gar erneuert würde, Nischenlö-
                                                                                                                html/17016.php (letzter Zugriff am
      sungen und Flicken auf einem Ver-                                                                         02.02.2020)
      sorgungssystem, das offensichtlich
                                                                                                             7. https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/
      auf mittlere Sicht nicht in der Lage                                                                      html/16397.php (letzter Zugriff
      sein wird, bisherige Versorgungs-                             mindest des hausärztlichen Bereichs         02.02.2020
      strukturen aufrecht zu erhalten und                           aussehen könnte, hat die DEGAM in        8. https://de.statista.com/statistik/daten/
      eine gut erreichbare flächendeckende                          einem Positionspapier dargelegt             studie/216583/umfrage/durch-
      hausärztliche Versorgung zu sichern.                          [10]. Insgesamt sind aber innovative        schnittliche-fahrtzeit-zu-krankenhaeu-
                                                                                                                sern-in-deutschland/ (letzter Zugriff
      Auch wenn gegenwärtig, aus wel-                               Lösungen gefragt, die den Blick auf         am 02.02.2020)
      chen Gründen auch immer, der                                  das große Ganze, die allgemeine
                                                                                                             9. Leserbrief Dr. Günther Egidi zu Sche-
      „ländliche Raum“ als vorrangiges                              Versorgungssituation und nicht nur          rer M, Szecsenyi J, Gerlach FM. Digi-
      Notstandsgebiet der hausärztlichen                            auf den hausärztlichen Bereich rich-        talisierung in der Medizin – wer
      Versorgung beschrieben wird, gibt es                          ten.                                        schreitet voran, wer schaut hinter-
                                                                                                                her? Ein Plädoyer für eine DEGAM-Di-
      auch in verdichteten Gebieten und
                                                                                                                gitalstrategie. Z Allg Med 2019; 95:
      Großstädten erhebliche Versorgungs-                           Interessenkonflikte:
                                                                                                                165–168. Z Allg Med 2019; 95: 283
      mängel. Gleichzeitig betrifft der                             Keine angegeben.
                                                                                                             10. Popert UW. Wir brauchen ein Primär-
      Mangel nicht nur den hausärztlichen                                                                        arztsystem DEGAM-Positionspapier.
      Bereich, sondern in ähnlichem Um-                             Literatur                                    Z Allg Med 2018; 94: 248–249
      fang den Rettungsdienst, die ambu-                            1. Berghöfer A, Auschra C, Deisner J,
      lanten Pflegedienste und stationäre                              Sydow J. Innovative Modelle zur Si-
                                                                       cherung der Gesundheitsversorgung     Korrespondenzadresse
      Pflegeeinrichtungen.
                                                                       im ländlichen Raum. Z Allg Med        Dr. Uwe Kurzke
          Modelle, die lediglich Löcher                                                                      Arzt für Allgemeinmedizin
                                                                       2020; 96: 198–202
      stopfen und woanders neue aufrei-                                                                      Notfallmedizin – Sportmedizin –
                                                                    2. www.abendblatt.de/hamburg/arti        Balneologie
      ßen, sind nur schwerlich als innova-
                                                                       cle227599837/Hausarzt-Kinderarzt-     Schulstraße 5, 25849 Pellworm;
      tiv zu bezeichnen. Wie eine Innova-                              Hamburg-medizinische-Versor-          Unterrotte 105,
      tion mit der Option auf eine deutli-                             gung.html (letzter Zugriff am         A 9963 St. Jakob in Defereggen
      che Besserung der Verhältnisse zu-                               02.02.2020)                           praxis@akkupellworm.de

                                                            Ständig aktualisierte Veranstaltungstermine von den
                                                              „Tagen der Allgemeinmedizin“ finden Sie unter

                                                           www.tag-der-allgemeinmedizin.de

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (5)
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