ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT - 15/2021 Henning Wilts
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ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS A D I S K U R S 15/2021 Henning Wilts ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT
WISO DISKURS FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2 15/2021 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditions- reichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demo- kratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungs- empfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politik- beratung leisten. Über den Autor dieser Ausgabe Dr. Henning Wilts ist Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und dort mit den Herausforderungen einer Transfor- mation vom linearen Wirtschaften hin zu geschlossenen und ressourceneffizien- ten Stoffkreisläufen beschäftigt. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Max Ostermayer ist Referent für Klima-, Umwelt-, Energie- und Strukturpolitik in der Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er leitet den Arbeitskreis Nachhaltige Strukturpolitik.
15/2021 WISO DISKURS Henning Wilts ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT 3 VORWORT 5 KURZGEFASST: 4 THESEN FÜR DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT 7 1 WO STEHEN WIR AUF DEM WEG ZUR KREISLAUFWIRTSCHAFT? 7 1.1 Status quo der Kreislaufwirtschaft 10 1.2 Grenzen der klassischen Umweltpolitik 10 1.3 Europa als Taktgeber 12 2 INSTRUMENTE EINER KREISLAUFWIRTSCHAFT ALS INTEGRIERTER POLITIKANSATZ 12 2.1 Innovationspolitik und Forschung 13 2.2 Industrie- und Wirtschaftspolitik 14 2.3 Sozialpolitik 15 2.4 Notwendigkeit eines Policy Mix entlang der Wertschöpfungskette 18 3 AUSBLICK: ECKPUNKTE EINER KREISLAUFWIRTSCHAFTSSTRATEGIE 22 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 23 Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2
ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS 3 VORWORT Mit dem Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der Europäischen Laufe der Zeit zahlreiche Pfadabhängigkeiten geschaffen, Kommission und der Fortschreibung des Deutschen Res- die überwunden werden müssen, um zirkuläre Lösungen sourceneffizienzprogramms durch die Bundesregierung wur- und Produkte konkurrenzfähig zu machen. Es hat sich ein sich den im vergangenen Jahr zwei wichtige politische Zeichen selbst reproduzierendes System entwickelt, das aufgrund gegen die Übernutzung natürlicher Ressourcen gesetzt. Die technologischer und institutioneller Lock-in-Effekte zwar sehr Abkehr vom linearen Wirtschaften – vom Produzieren, Kon kosteneffizient ist, dessen preisliche Überlegenheit jedoch sumieren und Wegwerfen – ist neben der Dekarbonisierung auf der immensen Externalisierung von Umwelt- und Sozial- die zweite Säule der Transformation unseres bestehenden kosten beruht, die von der Gesellschaft getragen werden. Wertschöpfungsmodells hin zu einer ökologisch nachhaltigen Zur Ehrlichkeit gehört zu sagen, dass dessen Umbau hohe Wirtschaftsweise, die die materiellen Grenzen unseres Pla Transaktionskosten verursachen wird. Es bedarf daher mutiger neten respektiert. und ambitionierter politischer Steuerung, um die notwen Der Klimaschutz ist in Deutschland und Europa bereits dige Transformation und damit nichts weniger als den Fort- ein etabliertes und öffentlich akzeptiertes Politikziel. Das bestand unserer Lebensgrundlagen zu gewährleisten. deutsche Klimaschutzgesetz, der deutsche Klimaschutzplan Wo aber stehen wir auf diesem Weg? Der Arbeitskreis und der Green Deal der Europäischen Kommission zeugen Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung davon, dass das Ziel der Klimaneutralität bis zur Mitte des hat sich im letzten Jahr dieser Frage im Rahmen der Fachge- 21. Jahrhunderts eine handfeste politische Strategie mit sprächsreihe „Zirkuläre Wertschöpfung“ angenommen. Auf konkreten Zwischenschritten und Instrumenten bekommen drei Veranstaltungen wurden folgende Teilaspekte einer um- hat, die über die klassische Umweltpolitik hinausgeht. Es fassenden Transformationsstrategie diskutiert: „Herausfor lässt sich daher konstatieren: Im Hinblick auf den Klimaschutz derungen für die Industrie-, Technologie- und Innovations haben wir die umfassende Transformationsaufgabe ange- politik“, „Herausforderungen für globale Wertschöpfungsketten nommen, soweit es die Dimension verbindlicher Ziele betrifft. und internationale Handelspolitik“ sowie „Eckpunkte einer Im Vergleich dazu steckt die Transformation zur Kreis wirtschafts- und fiskalpolitischen Rahmensetzung“. Das Ziel laufwirtschaft sprichwörtlich noch in den Kinderschuhen. war dabei, eine erste Vermessung der notwendigen poli Zwar ist in den letzten Jahren viel passiert. Dennoch fehlt es tischen Rahmensetzung jenseits von umweltpolitischen und derzeit an einem ähnlich ambitionierten politischen Rah- abfallwirtschaftlichen Fragen vorzunehmen. men, der das Thema jenseits von umweltpolitischen und ab- Die vorliegende Veröffentlichung ist das Ergebnis dieser fallwirtschaftlichen Fragestellungen in allen Politikfeldern Diskussionsreihe. Sie arbeitet den politischen Status quo her- verankert. aus, identifiziert wesentliche Handlungsbedarfe und Politik- Dabei weisen die beiden Politikfelder zahlreiche inhaltliche felder für das Gelingen der Transformation und konkretisiert Parallelen und gegenseitige Abhängigkeiten auf: Beide Handlungsbedarfe für die Integration des Themas „Zirkuläre erfordern politische, strukturelle und wirtschaftliche Transfor- Wertschöpfung“ unter anderem in Innovations-, Industrie- und mationen, die mit sozioökonomischen Potenzialen s owie Wirtschaftspolitik. Es wird deutlich: Die lineare Wirtschafts- Herausforderungen verbunden sind. Die Kreislaufwirtschaft weise ist eine Sackgasse, die es schnellstens zu verlassen gilt. kann vom Klimaschutz lernen und Synergieeffekte nutzen, Dabei ist die Transformation zu einer Kreislaufw irtschaft damit die Diskurse zukünftig zusammengedacht werden und nicht nur notwendig, sondern sie birgt auch enorm es Wert- die Transformation gelingt. Denn klar ist auch: Eine erfolg schöpfungs- und Beschäftigungspotenzial. Entscheidend reiche Dekarbonisierung der Wirtschaft kann nur durch zirku- wird sein, schnell zu handeln, um als First Mover im globalen läre Wertschöpfungsmodelle erreicht werden. Wettbewerb zu bestehen und den potenziellen Verlust alter Der Umbau unserer Wirtschaft stellt uns vor enorme Her- Stärken im linearen Wirtschaftsmodell zu kompensieren. ausforderungen, denn das lineare Wirtschaftsmodell hat im Damit der Übergang zur Kreislaufwirtschaft gelingt, muss die
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4 Wettbewerbsfähigkeit zirkulärer Geschäftsmodelle auch durch innovative Formen der Politikgestaltung sichergestellt werden. Das erfordert eine ressortübergreifende Kreislaufwirtschafts- strategie mit klaren Zuständigkeiten, Prioritäten und Prozessen. Neben allen Teilnehmenden möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den Referent_innen der Fachgesprächs- reihe bedanken: Peter Börkey, Sandra Bränzel, Dr. Christoph Epping, Prof. Dr. Heike Joebges, Prof. Dr. Helmut Maurer, Ulrich Reifenhäuser, Carolin Schenuit, Michael Thews und Prof. Dr. Rainer Walz. Unser besonderer Dank gilt außerdem Henning Wilts, der die Veranstaltungsreihe wissenschaftlich beglei- tet und die vorliegende Studie verfasst hat. Allen Leser_innen wünschen wir eine spannende Lektüre. HANS EICHEL Bundesfinanzminister a. D. und Sprecher des Arbeitskreises Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung MAX OSTERMAYER Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung
ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS 5 KURZGEFASST: 4 THESEN FÜR DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT Der Wunsch nach mehr Kreislaufwirtschaft und die damit ver nachsorgenden Umweltschutz, in Deponien und Müllver- bundene Abkehr vom linearen Wirtschaften – Produzieren, brennungsanlagen. Konsumieren, Wegwerfen – ist mittlerweile allgemein akzep- Dieses Wirtschaftsmodell, das auf immer höheren Ressour- tiert. Wer würde widersprechen, wenn es darum geht, die cenverbräuchen basiert, stößt erkennbar an seine Grenzen: Übernutzung der Ressourcen unseres Planeten zu beenden? 2019 hat die Menschheit erstmals über 100 Milliarden Tonnen Eine weitere Publikation zu den Grundlagen der Kreislauf- natürlicher Ressourcen in Anspruch genommen, diese Menge wirtschaft würde sich in einen langen Katalog einreihen und ist für über 50 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen daher nur einen geringen Mehrwert stiften. Dieser WISO Dis- und über 90 Prozent der Biodiversitätsverluste verantwortlich kurs soll stattdessen die Rahmenbedingungen für die tat- (Oberle et al. 2019). Ein Leben innerhalb der planetarischen sächliche Transformation zur Kreislaufwirtschaft diskutieren: Grenzen mit einer Weltbevölkerung von bald über 10 Milliarden Wie kommen wir zur Kreislaufwirtschaft, und das so schnell Menschen wird ohne den Übergang zur Kreislaufwirtschaft wie möglich? Wo wird diskutiert, wer von diesem Prozess profi- daher nicht möglich sein. Schon jetzt würde der globale Res- tieren wird und wer verliert? Und was wären notwendige sourcenverbrauch 1,75 Erden benötigen; würde die ganze Eckpunkte einer Politik, die solche Prozesse so gestaltet, dass Welt so ressourcenintensiv leben wie Deutschland, wären sogar die erhofften ökologischen, ökonomischen und auch sozialen drei Erden notwendig (Global Footprint Network 2021). Vorteile tatsächlich erreicht werden? These 2: Es tut sich was – aber zu langsam Im Fokus dieser Publikation stehen daher die folgenden Dass die lineare Wegwerfgesellschaft eine selbstzerstörerische vier Thesen: Sackgasse ist, hat mittlerweile auch die Politik verstanden. Mit dem Aktionsplan Kreislaufwirtschaft hat die Europäische These 1: Die lineare Wegwerfgesellschaft als Sackgasse Kommission ihren Willen zur Transformation bekundet, und Die grundlegende Idee zirkulären Wirtschaftens ist weder auch die Bundesregierung hat mit dem Deutschen Ressourcen neu noch sonderlich schwer nachvollziehbar: Alle Produkte effizienzprogramm (ProgRess) unterstrichen, dass sie willens sollen so genutzt werden, dass am Ende ihrer Nutzung ist, die Wirtschaft zu transformieren – doch bislang hapert es möglichst keine Abfälle entstehen oder Ressourcen verschwen- gerade in Deutschland an der Umsetzung (vgl. Kapitel 2). det werden. Die in ihnen enthaltenen Rohstoffe sollen mög- Der Faktor Zeit wird in der politischen Debatte deutlich lichst optimal zurückgewonnen werden, die nicht verwertbaren unterschätzt, seit über einem Jahrzehnt stehen eher konzep- Reste sich wieder in natürliche Kreisläufe einfügen können. tionelle Fragen der angemessenen Definition von Kreislauf- Eine solche Wirtschaftsform war für die längste Zeit der mensch- wirtschaft oder der Abgrenzung von zirkulärer Wertschöpfung lichen Entwicklungsgeschichte ganz selbstverständlich und und Circular Economy im Vordergrund. Diese Fragen sind Grundlage menschlichen Überlebens (Krausmann et al. 2016). wichtig, weil sie eng verknüpft sind mit konkurrierenden Inte- Unsere aktuelle überwiegend lineare „Wegwerfgesell- ressen und Zuständigkeiten – viel wichtiger ist aber die Frage, schaft“ ist dagegen eine Erfindung der Neuzeit, die nur durch wie sich die Transformation beschleunigen lässt: aus umwelt- vielfaches Marktversagen ermöglicht wurde: die massive politischen Gründen, insbesondere aber weil die Kreislaufwirt- E xternalisierung von Umwelt- und Sozialkosten, die für viele schaft eine wirtschafts- und industriepolitische Chance bedeu- Jahrzehnte billige Rohstoffe garantiert hat, die Globalisie- tet, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und rung, die die Wertschöpfungsketten zergliedert hat, und eine damit auch Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu erhalten. Politik, die es lange Zeit erlaubt hat, Produkte auf den Markt zu bringen, die nicht recycelbar waren bzw. für die es kein These 3: Die Kreislaufwirtschaft rechnet sich, aber Recycling gab. Die lineare Wirtschaft wurde ermöglicht durch neben Gewinnern wird es auch Verlierer geben massive, von der Gesellschaft getragene Investitionen in Wenn eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft tatsächlich so
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 deutliche ökonomische Vorteile bringt, wie dies immer mehr Ziel und Struktur dieser Publikation Studien, zum Beispiel der Ellen MacArthur Foundation oder Vor dem Hintergrund dieser Thesen sollen hier die folgenden der Circular Economy Initiative Deutschland (Weber/Stuchtey Leitfragen adressiert werden, um so einen Beitrag für die wei- 2019), zu belegen scheinen – die Europäische Kommission tere politische Diskussion zu leisten: erwartet allein von der Umsetzung des Aktionsplans Kreislauf- wirtschaft eine um 80 Milliarden Euro höhere Wertschöpfung 1. Wo stehen wir auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft? pro Jahr –, dann ist klar, dass die sozioökonomischen Vorteile Was hat sich in den letzten Jahren getan? Wo ist vor allem denjenigen Ländern und Regionen zugutekommen Deutschland „zirkulärer“ geworden, wo ist noch Hand- werden, die den Umbau ihrer Volkswirtschaften am schnells- lungsbedarf? Welchen Beitrag leistet der EU Green Deal ten vorantreiben und sich damit im globalen Wettbewerb bzw. welche Lücken lässt er? um Investitionen und Arbeitsplätze am besten positionieren. Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft wird disruptiv – damit 2. Wie müsste eine umfassende Kreislaufwirtschaftspolitik sind Chancen verbunden, aber ebenso das Risiko des Verlusts aussehen? Welche Themen, Aspekte und Politikfelder alter Stärken, was sich ganz konkret im Niedergang klassisch müsste sie beinhalten? Wo müsste sie ansetzen und wel- linearer Wirtschaftszweige zeigen wird. Die Kreislaufwirtschaft che Hürden müsste sie überwinden? ist kein Nullsummenspiel, aber im globalen Wettbewerb wird es Gewinner und Verlierer geben – abhängig davon, wer 3. Was bedeutet das für konkrete Handlungsfelder? sich als First Mover oder Early Follower die entsprechende Wie ließe sich Kreislaufwirtschaft konkret in Innovations- Ausgangsposition sichern kann. politik, Industriepolitik oder auch Finanzpolitik integrieren? Welche Voraussetzungen und Formate braucht es dafür? These 4: Eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft braucht innovative Politikgestaltung Die Kapitel zum Status quo, zu Instrumenten und Eckpunkten Die lineare Wirtschaft ist auch deshalb so erfolgreich und da- einer Gesamtstrategie basieren inhaltlich auf den exzellenten mit so schwierig zu überwinden, weil sie auf ein in sich ge- Inputs und Debatten im Rahmen der FES-Diskussionsreihe schlossenes und damit konsistentes Regulierungssystem auf- „Zirkuläre Wertschöpfung“. Interpretation und Schlussfolge- bauen konnte, das über Jahrzehnte immer wieder angepasst rungen sind natürlich die persönliche Meinung des Autors und optimiert wurde. Daraus ergeben sich massive Pfadab und an vielen Stellen explizit als Hypothesen formuliert, die hängigkeiten, die selbst allgemein als überholt geltende, line- es in der weiteren Diskussion entweder zu präzisieren und are Geschäftsmodelle weiterhin rentabel erscheinen lassen. zu stärken oder eben auch zu verwerfen gilt. Gleichzeitig fällt es immer noch schwer, innovative zirkuläre Die 2020er Jahre werden entscheiden, ob die in langen Geschäftsmodelle in die entsprechenden Logiken der buch- Prozessen entwickelten Ziele wie die Sustainable Develop- halterischen Risikobewertung einzugliedern: Wie bestimmt man ment Goals der Vereinten Nationen oder die Pariser Klimaziele rechtssicher den Restwert einer Anlage, die sich über Re tatsächlich erreicht werden. Vor uns liegt ein Jahrzehnt der manufacturing-Prozesse (Aufbereitungsprozesse, die Anlagen notwendigen Umsetzung – und hierzu möchte dieses Doku- oder Produkte in einen „fast neuen“ Zustand versetzen) immer ment einen Beitrag leisten. wieder instand setzen lässt? Oder welche Haftungsregeln sollen bei Sharing-Modellen gelten? Solche Fragen lassen sich lösen, verursachen aber im Vergleich zu den eingespielten Modellen der Wegwerfgesellschaft massive Transaktionskosten. Damit ist völlig klar, dass sich der Übergang zur Kreislauf- wirtschaft nicht allein durch Umweltpolitik erreichen lässt. Kreis- laufwirtschaft ist ein geradezu klassisches Querschnittsthema, das sowohl im Steuerrecht als auch in der Forschungs- und der Industriepolitik verankert werden müsste. Ein erfolgreiches Beispiel ist hier die Klimapolitik, die ganz neue Prozesse und institutionelle Regelungen hervorgebracht hat. Unglücklicher weise sind Kreislaufwirtschaft und Klimapolitik in Deutschland aber bisher noch weitestgehend getrennte Diskurse – trotz aller inhaltlichen Schnittstellen und möglicher Lern- und Synergie effekte (vgl. Kapitel 4 zu konkreten Ansatzpunkten). Gefragt sind daher innovative Ansätze, um das Thema Kreislaufwirtschaft in weiteren relevanten Politikfeldern stärker als bisher zu verankern. Wirtschafts-, Industrie- und Forschungs- politik müssen die radikale Umgestaltung von Produktions- und Konsumstrukturen nicht nur wohlwollend flankieren, die Integration dieser Themenfelder wird eine Schlüsselheraus forderung, wenn dieser Prozess nicht nur hinreichend schnell, sondern auch mit Blick auf sozialpolitische Verteilungsfragen gerecht und mit der notwendigen Akzeptanz umgesetzt werden soll.
ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS 7 1 WO STEHEN WIR AUF DEM WEG ZUR KREISLAUFWIRTSCHAFT? 1.1 STATUS QUO DER KREISLAUF- der Vorgaben der „Technischen Anleitung Siedlungsabfall“ WIRTSCHAFT praktisch verboten. In Kombination mit der Einführung der erweiterten Herstellerverantwortung für Verpackungsabfälle Bestandsaufnahmen zum Thema Kreislaufwirtschaft versuchen oder dem „Dosenpfand“ war Deutschland in den 1980er häufig, komplexe Transformationsprozesse in einfach zu und 1990er Jahren damit weltweit Taktgeber für eine umfas- kommunizierende Zahlen herunterzubrechen. So kommt der sende Abfallpolitik, die am Ziel der Entsorgungssicherheit Circular Gap Report 2020 zu der klaren Aussage, dass die ausgerichtet war: Von Abfällen sollten keinerlei direkte Gefah- Welt nur zu 8,6 Prozent „zirkulär“ sei, also nur ein Bruchteil der ren mehr für die Umwelt und insbesondere für die deutsche verbrauchten Rohstoffe tatsächlich wiederverwendet werde Bevölkerung ausgehen. Daher wurden zum Beispiel auch die (Circularity Gap Reporting Initiative 2020). Es besteht also un- Vorgaben für die Schadstoffbelastung durch Müllverbren- bestreitbarer Handlungsbedarf, aber wo genau? Um diese nungsanlagen deutlich verschärft – bei der Herstellung der Frage zu beantworten, soll im Folgenden zwischen verschie- dafür notwendigen Technologien ist Deutschland bis heute denen Zielsetzungen der Kreislaufwirtschaft differenziert auch im globalen Wettbewerb sehr gut aufgestellt, entspre- werden – der Abfallvermeidung, der Schließung von Stoffkreis- chende Anlagen werden in fast alle Länder der Welt expor- läufen und als übergeordnetem Ziel dem Beitrag zum Res- tiert und tragen dort zum Schutz der Umwelt bei. Der „Status- sourcenschutz. Die Komplexität der Kreislaufwirtschaft rührt bericht der deutschen Kreislaufwirtschaft“ verzeichnet für auch daher, dass diese Ziele auch einander widersprechen das Jahr 2018 Exporte entsprechender Umwelttechnik im Wert können: Dünnere Verpackungen reduzieren das Abfallauf- von über 5 Milliarden Euro. Insgesamt sind in diesen Feldern kommen, können gleichzeitig aber das Recycling erschweren. der Kreislaufwirtschaft in Deutschland über 300.000 Menschen Hierbei ist es zentral, die Ebenen von Instrumenten und beschäftigt, die eine Bruttowertschöpfung von über 28 Milli Zielen klar zu unterscheiden: Weder einzelne Recyclingquoten arden Euro generieren (Bundesverband Sekundärrohstoffe und noch die Kreislaufwirtschaft als Ganzes sind in sich begrün- Entsorgung e. V. 2020: 18). dete Ziele, sie sind Instrumente für die Transformation zu einer Dem Erfolg eines solchen nachsorgenden Umweltschutzes klimaneutralen und gleichzeitig ressourcenschonenden Ge- stehen jedoch verschiedene Kernaspekte der Kreislaufwirt- sellschaft.1 schaft gegenüber, bei deren Berücksichtigung Deutschland auf Bereits 1996 trat in Deutschland das Kreislaufwirtschafts- der Stelle tritt: die Vermeidung von Abfällen, die hochwertige und Abfallgesetz (heutige Bezeichnung: Kreislaufwirtschafts- Schließung von Stoffkreisläufen und das Denken in Kreisläufen gesetz [KrWG]) in Kraft, das die Förderung der Kreislaufwirt- als Leitprinzip innovativer Geschäftsmodelle. schaft als explizites Ziel benannte. Dort wurde auch die sogenannte Abfallhierarchie definiert, wonach Abfälle in erster VERMEIDUNG VON ABFÄLLEN Linie zu vermeiden sind und auch die abfallwirtschaftliche Planung an diesem Ziel ausgerichtet werden soll. Nur wenn „Maßnahmen der Vermeidung und der Abfallbewirtschaf dies nicht realisierbar ist, sollen Abfälle möglichst wieder tung stehen in folgender Rangfolge: 1. Vermeidung [...].“ verwendet, recycelt oder (in letzter Konsequenz) verbrannt (§ 6 Abs. 1 KrWG) werden. Die Deponierung von Abfällen ohne vorherige Behandlung ist in Deutschland bereits seit 2006 aufgrund Die folgende Abbildung verdeutlicht, dass trotz der unmiss- verständlichen gesetzlichen Vorgabe das Abfallaufkommen seit Jahren kontinuierlich steigt – wenn auch nicht ganz so 1 Die Definition allgemeiner, quantifizierter Ziele für den Ressourcen- schutz ist aus vielfältigen Gründen methodisch schwierig; das Umwelt- schnell wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Analog steigt bundesamt benennt als einen möglichen Korridor eine Zielgröße von acht auch der Rohstoffkonsum (Raw Material Consumption [RMC]) bis zehn Tonnen RMC pro Kopf und Jahr, vgl. Günther/Golde (2015). kontinuierlich weiter an und liegt inzwischen bei über
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8 Abbildung 1 Entwicklung des jährlichen Abfallaufkommens in Deutschland (in Millionen Tonnen) 417,2 450 401,0 402,2 411,5 412,2 (362,3)1 406,7 386,9 382,8 386,7 380,6 385,7 (358,9)1 (358,9)1 395,2 372,9 373,0 (350,3)1 (351,3)1 (351,1)1 (344,6)1 (342,8)1 (338,7)1 400 381,3 366,4 (340,9)1 359,4 (332,7)1 (333,6)1 (322,3)1 339,4 350 331,9 300 250 200 150 100 50 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Siedlungsabfälle Abfälle aus der Gewinnung und Behandlung von Bodenschätzen; alle Abfallarten des Abfallkapitels 01 EAV 2 Übrige Abfälle (insbes. aus Produktion und Gewerbe) Bau- und Abbruchabfälle (einschließlich Straßenaufbruch) Abfälle aus Abfallbehandlungsanlagen 3 1 Nettoabfallaufkommen, ohne Abfälle aus Abfallbehandlungsanlagen; 2006 erstmals als Bestandteil des Abfallaufkommens erhoben. 2 Abfälle aus der Gewinnung und Behandlung von Bodenschätzen. 3 Ohne Abfälle aus Abwasserbehandlungsanlagen (EAV 1908), Abfälle aus der Zubereitung von Wasser für den menschlichen Gebrauch oder industriellem Brauchwasser (EAV 1909), Abfälle aus der Sanierung von Böden und Grundwasser (EAV 1913) und Sekundärabfälle, die als Rohstoffe/Produkte aus dem Entsorgungsprozess herausgehen. Quelle: Umweltbundesamt (2020a). 1,3 Milliarden Tonnen (Lutter et al. 2018: 40). Diese „relative Deutschland gehört nach wie vor zu den Ländern mit den Entkopplung“2 ist jedoch zum Beispiel auf den Rückgang der weltweit höchsten Verwertungs- bzw. Recyclingquoten für Abfälle aus dem Bergbau zurückzuführen, also eher eine Folge die meisten Abfallströme. Es zeigt sich jedoch, dass die damit des Strukturwandels als Erfolg konkreter Abfallvermeidungs- gemessenen Anteile an Abfällen, die einem Recycling zu maßnahmen. 3 In vielen Bereichen lässt sich zeigen, dass die geführt werden, nicht zwingend etwas darüber aussagen, Industrie natürlich bemüht ist, Materialeinsatz und Abfall- ob die Industrie die dabei zurückgewonnenen Sekundär mengen pro Produkt zu reduzieren, zum Beispiel durch immer rohstoffe auch tatsächlich einsetzen will – die Qualität der dünnere Verpackungen (Schüler 2020); solche Effizienzge- Recyclingprozesse und damit auch der zurückgewonnenen winne werden jedoch durch die Steigerung von Produktions- Rohstoffe spielt für die klassischen Recyclingquoten keine und Absatzmengen regelmäßig überkompensiert. So hat sich Rolle. Betrachtet man beispielsweise die Circular Material das Aufkommen an Kunststoffverpackungen in den letzten Use Rate 4 , einen der Kernindikatoren der Europäischen 20 Jahren mehr als verdoppelt, getrieben unter anderem Kommission für die Transformation zur Kreislaufwirtschaft, durch veränderte Konsumgewohnheiten wie das Essen und s o zeigt sich, dass die Entwicklung in Deutschland seit Trinken „to go“. Jahren stagniert und Länder wie die Niederlande – aus unter schiedlichen Gründen – mittlerweile an Deutschland deut- SCHLIESSUNG VON STOFFKREISLÄUFEN lich vorbeigezogen sind. Trotz beeindruckend hoher Verwertungsquoten – von bei- „Für die Betrachtung der Auswirkungen auf Mensch und Um spielsweise über 90 Prozent bei Verpackungen – liegt der welt nach Satz 1 ist der gesamte Lebenszyklus des Abfalls Anteil recycelter Materialien zum Beispiel bei den Kunststoff- zugrunde zu legen. Hierbei sind insbesondere zu berücksich verpackungen bei circa elf Prozent; ein Großteil wird hier tigen […] 2. das Maß der Schonung der natürlichen Res noch immer nur „thermisch verwertet“ – also schlichtweg sourcen […]. (§ 6 Abs. 2 KrWG) verbrannt. Die deutsche Wirtschaft basiert damit noch immer größtenteils auf primären Rohstoffen, deren Versor- gungslage die Europäische Kommission als kritisch einschätzt 2 Das Abfallaufkommen pro Euro BIP sinkt, infolge des Wirtschafts- wachstums steigen die Abfallmengen aber weiterhin – notwendig wäre 4 Die Circular Material Use Rate, auch als Zirkularitätsrate bekannt, ist also eine „absolute Entkopplung“. definiert als das Verhältnis der zirkulären Verwendung von Materialien 3 Auch auf europäischer Ebene ist eine solche langsame „Entkopplung“ zu der gesamten Materialverwendung. Der Indikator misst den Anteil des zu beobachten, das Gesamtaufkommen steigt auf mittlerweile über zurückgewonnenen und wieder in die Wirtschaft eingespeisten Materials, 2,5 Milliarden Tonnen pro Jahr, vgl. European Environment Agency (2021). vgl. Eurostat (2021).
ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS 9 (Europäische Kommission 2020a), die importiert werden müs- DENKEN IN KREISLÄUFEN sen und die immer häufiger Preisschwankungen ausgesetzt sind. Betrachtet man den im Deutschen Ressourceneffizienz- „[Bei der Umsetzung der Abfallhierarchie sind] die tech programm genannten Indikator für Kreislaufwirtschaft nische Möglichkeit, die wirtschaftliche Zumutbarkeit „ Direkte und indirekte Ressourceneinspareffekte durch Recy- und die sozialen Folgen der Maßnahme […] zu beachten.“ cling“ (DIEREC) – damit ist die Schonung natürlicher Res (§ 6 Abs. 2 KrWG) sourcen durch den Einsatz recycelter Materialien gemeint –, so liegt dieser bei unter 20 Prozent. In Deutschland wird viel Das Geschäftsmodell der linearen Wirtschaft basiert auf der recycelt, um Quoten zu erfüllen, davon profitieren bisher aber Maximierung von Stoffdurchsätzen, die nach einer möglichst weder die Industrie noch die Umwelt in ausreichendem Maße. kurzen Nutzungsphase von Produkten zu Abfall werden. Nach dieser Logik ist Abfallvermeidung in erster Linie geschäfts- Abbildung 2 schädigend: Wenn Produkte länger halten oder einfacher zu Circular Material Use Rate, 2018 (in %) reparieren sind, sinkt der Absatz neuer Produkte und damit der Gewinn des Unternehmens. Es bedarf daher der Entwick- Niederlande 29,0 lung neuer, zirkulärer Geschäftsmodelle, damit sich aus Sicht Belgien 21,8 der Wirtschaft Investitionen in zirkuläres Design oder Rücknah- 19,6 mesysteme für ihre Produkte tatsächlich rechnen. Frankreich Untersuchungen der OECD oder auch der Circular Economy Italien 18,7 Initiative Deutschland (2020) verweisen auf die Potenziale Vereinigtes Königreich 16,3 solcher Geschäftsmodelle, die häufig mit höheren Anfangs Estland 13,8 investitionen verbunden sind, dafür mittel- und langfristig EU – 28 Länder (2013–2019) 12,2 aber deutlich höhere Renditen erzielen können. Fakt ist aber, Deutschland 12,0 dass zu ihrer tatsächlichen Verbreitung und Marktrelevanz EU – 27 Länder (ab 2020) 11,6 entw eder kaum Daten vorliegen oder ihnen sonst eher ein „Nischendasein“ attestiert wird (European Environment Quelle: Eurostat (2021). Agency 2018, 2021). Tabelle 1 Zirkuläre Geschäftsmodelle Rundum- Ressourcen- Verlängerung Teilen Produkt-Service- versorgung rückgewinnung der Produkt- System lebensdauer Haupt- Traditionelle Material- Sekundärrohstoffe Produktlebens- Erhöhung der Auslastung Bereitstellung von Dienst- merkmale inputs durch erneuer- aus Abfällen herstellen dauer verlängern bestehender Produkte leistungen und nicht von bare, biobasierte oder und Anlagen Produkten; das Eigentum wiedergewonnene am Produkt bleibt beim ersetzen Lieferanten Treiber der Materialkreisläufe Materialkreisläufe Langsame Material- Enge Ressourcen- Enge Ressourcen- Ressourcen- schließen schließen kreisläufe flüsse flüsse effizienz Untertypen Cradle to Cradle Industrielle Symbiose, Klassisch lange Lebens- Miteigentum, Produktorientiert, von Geschäfts- Recycling, Upcycling, dauer, direkte Wieder- Mitbenutzung anwenderorientiert, modellen Downcycling verwendung, Reparatur, ergebnisorientiert Aufarbeitung, Wieder- aufbereitung Aktuelle Haupt- Diverse Konsum- Metalle, Papier und Automobil, Schwer- Kurzzeitbelastung, Transport, Chemi- anwendungs- gütersektoren Pappe, Kunststoffe maschinen, Elektronik Transport, Maschinerie, kalien, Energie bereiche Konsumgüter Quelle: OECD (2019: 25).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 1.2 GRENZEN DER KLASSISCHEN sich aus den verschiedenen abfallrechtlichen Regelungen noch UMWELTPOLITIK kein konsistenter Rahmen, der die notwendige Transforma tion zur Kreislaufwirtschaft tatsächlich befördern könnte. Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft stockt in Deutschland Mit dem Deutschen Ressourceneffizienzprogramm also an verschiedenen Stellen – trotz immer neuer Verweise (ProgRess) hat die Bundesregierung eine umfassende Strategie auf die damit doch eigentlich verbundenen vielfältigen Vor- zum Schutz natürlicher Ressourcen vorgelegt, die entlang teile (Weber/Stuchtey 2019). Die Gründe dafür sind mit Sicher- der gesamten Wertschöpfungskette mögliche Ansatzpunkte heit vielschichtig, die klassischen umweltpolitischen Instru- identifiziert, unter anderem auch mit Blick auf das Thema mente scheinen dabei jedoch zunehmend an ihre Grenzen zu „Ressourcenschonende Geschäftsmodelle“. Hier soll ProgRess stoßen. Dies lässt sich exemplarisch erneut an den drei be- beispielsweise dazu beitragen, digitale Geschäftsmodelle zu reits oben diskutierten Handlungsfeldern darstellen. „unterstützen und dabei mögliche Risiken […] [zu] identifizieren Um Abfälle zu vermeiden (oberste Stufe der Abfallhierar- und [zu] berücksichtigen“ (BMU 2020: 47). Auf dieser Basis chie), verpflichtet die EU-Abfallrahmenrichtlinie alle Mitglieds- lassen sich zwar Forschungsvorhaben begründen oder ent- staaten, ein Abfallvermeidungsprogramm zu erstellen, in sprechende Verweise in der „Umweltpolitischen Digitalagen- dem sowohl bereits umgesetzte und noch geplante Maßnah- da“ des Bundesumweltministeriums verankern und damit men als auch mögliche Indikatoren und Ziele enthalten sind. indirekt und langfristig Rahmenbedingungen auch für zirkuläre In Deutschland haben Bund und Länder ein gemeinsames Geschäftsmodelle positiv beeinflussen – der oben konsta- Programm entwickelt, das Anfang 2021 fortgeschrieben wurde tierte Nischenstatus solcher Ansätze und die dafür verantwort (BMU 2021). Dem ging eine Evaluation des Vorläuferpro- lichen Hemmnisse lassen sich damit jedoch kaum ausrei- gramms voraus, die sehr deutlich hervorhob, dass das Abfall- chend adressieren. vermeidungsprogramm zwar als hilfreiche Informationsquelle Mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, der Hightech- wahrgenommen wird, in der Praxis jedoch kaum entschei- Strategie 2025 des Bundesforschungsministeriums, der Roh- dende Impulse setzen kann (Wilts et al. 2020). Hinzu kommt, stoffstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums oder dem dass den für die Vermeidung von Abfällen relevanten Ak „Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum“ existieren teuren wie Kommunen oder Verbänden häufig die finanziellen daneben eine ganze Reihe weiterer Strategien, die alle Schnitt- und personellen Ressourcen fehlen. Im Gegensatz dazu stellen zum Thema Kreislaufwirtschaft aufweisen, ohne dass werden die Kosten für Entsorgung über Müllgebühren umge- sich daraus ein konsistentes Gesamtbild ergäbe, das es bei- legt, ein vergleichbarer Mechanismus für die Vermeidung spielsweise Wirtschaftsakteuren erlauben würde, ihre In fehlt dagegen bislang. Es bleibt festzustellen, dass sich die vestitionen an einer gemeinsam getragenen Vision auszurich- Entstehung von Abfällen kaum mit abfallrechtlichen Instru- ten. Kreislaufwirtschaft ist kein Ziel an sich, sondern soll als menten verhindern lässt – diese basieren im Kern auf dem Instrument zu übergeordneten Zielen wie der Klimaneutralität Ansatz der Gefahrenabwehr, der für die Vermeidung von und dem Ressourcenschutz beitragen – im Gegensatz zum Abfällen aber nur in Ausnahmefällen greift. Das Abfallrecht Klimaschutz fehlt es dem Ressourcenschutz jedoch an kon- greift erst, wenn der Abfall längst entstanden ist; Anreize zur kreten und quantifizierten Zielvorgaben und Sanktionsme- Vermeidung müssten dagegen deutlich früher in der Wert- chanismen; für die Industrie ist er damit nur begrenzt hand- schöpfungskette geschaffen werden. lungsleitend (Umweltbundesamt 2020b). Um den Einsatz von Rezyklaten zu steigern, sieht beispiels- weise das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) in § 45 Abs. 2 nochmals verschärfte Vorgaben für Bundesbehörden 1.3 EUROPA ALS TAKTGEBER vor, im Rahmen der öffentlichen Beschaffung „Erzeugnissen den Vorzug zu geben, die [...] unter Einsatz von Rezyklaten [...] Beim Thema Kreislaufwirtschaft hat mittlerweile eindeutig die hergestellt worden sind“; Ausnahmen sind nur bei „unzumut- Europäische Kommission die Rolle des Taktgebers übernom- baren Mehrkosten“ vorgesehen. Auch hier zeigt sich jedoch in men. Für den Green Deal als wichtigste strategische Agenda der Praxis, dass öffentliche Vergabeentscheidungen nicht im der neuen Kommission und das damit verbundene Ziel der Kern durch das Abfallrecht gestaltet werden können – die Klimaneutralität Europas bis 2050 ist der Übergang zur Kreis- Anteile von Sekundärrohstoffen beispielsweise im Bausektor laufwirtschaft ein bedeutender Eckpfeiler (Europäische oder bei Kunststoffen verbleiben auf ihren noch zu niedrigen Kommission o. J.). Der im März 2020 erneuerte Aktionsplan Ausgangsniveaus. Analog gibt es in verschiedenen Gesetzen Kreislaufwirtschaft definiert dafür zentrale Handlungsfelder zu einzelnen Abfallströmen wie dem Verpackungsgesetz in Verbindung mit einem äußerst ambitionierten Zeitplan und oder dem Gesetz für Elektroaltgeräte Vorgaben, Produkte quantifizierten Zielvorgaben (Europäische Kommission 2020b): recycling- oder reparaturfreundlich zu gestalten – hier fehlt Bis 2030 soll das Restabfallaufkommen in Europa halbiert es jedoch komplett an Konkretisierungen, die es den Voll- und die Circular Material Use Rate, also der Anteil recycelter zugsbehörden ermöglichen würden, einzelnen Produkten den Materialien an den eingesetzten Rohstoffen, verdoppelt Marktzugang zu verbieten. Und selbst Regelungen im Kern- w erden. Um das zu erreichen, soll unter anderem durch ein bereich des Abfallrechts wie beispielsweise Vorgaben zur „Recht auf Reparatur“ die Kreislauffähigkeit von Produkten getrennten Erfassung von Abfällen in der Gewerbeabfallver- erhöht werden, für verschiedene zentrale Abfallströme wie ordnung entfalten in der Praxis nur begrenzte Wirkung, weil Textilien, IKT-Produkte oder Kunststoffe werden spezifische sie aufgrund fehlenden politischen Willens und fehlender Strategien angekündigt. Im Kontext der Kreislaufwirtschaft soll personeller Ressourcen kaum vollzogen werden; Sanktions- sowohl die Rolle der Konsument_innen als auch der Städte mechanismen sind hier kaum vorgesehen. Insgesamt ergibt und Regionen gestärkt werden, auch die Schnittstelle zu so-
ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS 11 zialpolitischen Themen wie neuen Jobs und dafür notwendi- gen Qualifikationsprofilen wird adressiert. Der vom Vize präsidenten Frans Timmermans koordinierte Aktionsplan ist aus Sicht der Kommission ein zentraler Beitrag zum Klima- schutz, im Kern aber auch eine industriepolitische Agenda, die die mittel- und langfristige Wettbewerbsfähigkeit der euro- päischen Wirtschaft sicherstellen soll. Europa ist in hohem Maße von Rohstoffimporten aus politisch instabilen Regionen abhängig, daher soll die Kreislaufwirtschaft einen Beitrag dazu leisten, diese Abhängigkeit zu verringern und die Kapital- produktivität im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsregio- nen, die eher auf Niedriglöhne und niedrige Sozial- und Um- weltstandards setzen, steigern. In vielen Bereichen ist auch der Aktionsplan bislang eine Ankündigung von Maßnahmen, die dann wiederum häufig von den Mitgliedsstaaten erst noch umgesetzt werden müssen. Mit der Einwegplastik-Richtlinie hat die Kommission aller- dings schon bewiesen, dass sie, um die Kreislaufwirtschaft zu fördern, zu massiven Markteingriffen bereit ist, zum Beispiel in Form von – wenn auch in der Gesamtbilanz eher symboli- schen – Produktverboten oder der Vorgabe von Mindest rezyklatquoten für PET-Getränkeflaschen (Europäische Kom- mission 2019). Der konkrete Zeitplan setzt die Kommission massiv unter Druck und schwächt sicherlich auch teilweise ihre Verhandlungsposition, gleichzeitig erhöht sie damit jedoch die Planungssicherheit für die Industrie, die daran ihre Investi- tionsentscheidungen ausrichten kann.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 2 INSTRUMENTE EINER KREISLAUFWIRTSCHAFT ALS INTEGRIERTER POLITIKANSATZ Umweltpolitische Instrumente wie das Abfallrecht allein werden laufwirtschaft, so kommt das Fraunhofer-Institut für System- eindeutig nicht ausreichen, um das bestehende und fest eta und Innovationsforschung (ISI) im Rahmen einer vom blierte lineare Wirtschaftssystem zu überwinden. Recycling- Umweltbundesamt beauftragten Studie zu der Einschätzung, quoten oder technische Mindeststandards für Behandlungs- „dass sich die Transformation in Richtung Circular Economy verfahren bilden wichtige Rahmenbedingungen und schaffen in Deutschland noch in einer frühen Entwicklungsphase mit indirekt ökonomische Anreize zu verbessertem Produkt geringer Dynamik befindet“ (Gandenberger 2021: 35). design oder Innovationen in Richtung zirkulärer Geschäfts- Hierzu wurden verschiedene Funktionen eines Innovations- modelle. Diese lassen sich auch mit Sicherheit noch besser systems betrachtet, beispielsweise die „Wissensentwick- aufeinander abstimmen und ambitionierter ausgestalten – lung und Diffusion“, die Unterstützung „unternehmerischen am Ende scheitert die Kreislaufwirtschaft in Deutschland aber Experimentierens“ oder die „Marktentwicklung“, die alle in erster Linie an der fehlenden Integration in andere wich nur sehr langsam an Relevanz gewinnen. Die Studie attestiert tige Politikfelder. ein hohes gesellschaftliches Interesse an Themen wie An Kreislaufwirtschaft ist ein politisches Querschnittsthema, geboten zur Verlängerung der Nutzungsdauer oder Abfall- das – ähnlich wie der Klimaschutz – einen integrierten Poli vermeidung (konkret ablesbar beispielsweise an der stark tikansatz erfordert. Im Rahmen der FES-Gesprächsreihe wurden steigenden Zahl an Unverpackt-Läden in Deutschland; vgl. eine Reihe von Schnittstellen benannt, die für den erfolg Kröger et al. 2020). Mit Blick auf die Funktion „Einfluss auf reichen Übergang zur Kreislaufwirtschaft adressiert werden die Suchrichtung“ – also die Herbeiführung eines Konsenses müssten. Die Debatte sowohl über die konkreten Inhalte als über notwendige Innovationen und Maßnahmen – wird auf auch über den Prozess einer solchen Politikintegration steht die Rolle der Europäischen Kommission verwiesen, hier lautet in Deutschland noch ganz am Anfang: Wo sind die zentralen jedoch das Fazit, dass „diese Initiativen in Deutschland – Stellschrauben für die Kreislaufwirtschaft jenseits der klassi- jenseits der staatlichen Forschungsförderung – bislang nicht schen Umweltpolitik? Was sind bislang die bedeutendsten zu einer signifikanten ,Mobilisierung von Ressourcen‘ bei Hemmnisse, was könnten in Zukunft entscheidende Treiber zutragen [scheinen] bzw. [sie] schlagen sich nicht in einer sein? Im Folgenden werden erste Ansätze und Eckpunkte ambitionierten politischen Steuerung nieder“ (Gandenberger sowohl auf nationaler als auch auf der EU-Ebene benannt. 2021: 36). Neben den eher traditionellen Themenbereichen wie der Inno- Ein wichtiger Punkt ist hier mit Sicherheit die Forschungs- vations- und Industriepolitik sollen dabei auch Politikthemen förderung, bei der das Thema Kreislaufwirtschaft als integ- in den Blick genommen werden, die bislang kaum syste- rierter Ansatz erst langsam in den Fokus gerät – auch wenn matisch aus der Perspektive der Kreislaufwirtschaft betrach- es erste Förderprogramme gibt, die innovativere Formen der tet wurden. Forschung unterstützen. Im Kontext des Rahmenprogramms „Forschung für Nachhaltigkeit“ hat das Bundesforschungs ministerium beispielsweise im Förderaufruf „Ressourceneffizi- ente Kreislaufwirtschaft – Kunststoffrecyclingtechnologien 2.1 INNOVATIONSPOLITIK UND FORSCHUNG (KuRT)“ explizit nicht nur interdisziplinäre Forschung und die Einbindung von Praxispartnern gefordert, sondern auch die Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ist im Kern eine Abdeckung ganzer Wertschöpfungsketten als Fördervoraus- innovationspolitische Herausforderung; zentral sind dabei setzung benannt. Im Gegensatz dazu sind die klassischen die Generierung und Umsetzung neuen Wissens mit Blick auf Förderinstrumente beispielsweise der Deutschen Forschungs- die Funktionsweise von Systemen und die Veränderung des gemeinschaft (DFG) in der Regel noch immer sehr disziplinär bestehenden linearen Systems (Schneidewind 2018). Be- ausgerichtet; auch in der universitären Ausbildung haben trachtet man jedoch die Innovationspolitik zum Thema Kreis- sich integrierte Studiengänge zum Thema Kreislaufwirtschaft
ZIRKULÄRE WERTSCHÖPFUNG – AUFBRUCH IN DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT WISO DISKURS 13 kaum etabliert. Dies schlägt sich zunehmend auch in den rungen durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen erzielt rückläufigen Patentanmeldungen deutscher Unternehmen der werden können als auch indirekte Effekte zum Tragen kommen, Kreislaufwirtschaft nieder. wie etwa die Etablierung neuer Geschäftsmodelle, eine er- höhte Innovationstätigkeit durch neue Kooperationsformen Abbildung 3 und verbesserte Zugänge zu Kapitalmärkten, auf denen Bei- Anteile von Ländern an den weltweit angemeldeten Patenten träge zum Klima- und Ressourcenschutz immer stärker gewich- im Teilmarkt der „Technik für die Abfallwirtschaft“, 2017 (in %) tet werden. Die Kreislaufwirtschaft wird hier auch als Gegenmodell zum modernen „Rohstoffkolonialismus“ gesehen, der bedeu- 2017 tet, dass einzelne Wirtschaftsmächte sich den Zugang zu Rohstoffen durch Direktinvestitionen in Schwellen- und Ent- wicklungsländern sichern, beispielsweise China in verschie- 17 denen afrikanischen Ländern. Stattdessen soll die Importab- 22 hängigkeit durch die Kreislaufführung von Rohstoffen redu- 3 ziert werden. 4 Auch die Industriestrategie 2030 des Bundeswirtschafts- ministeriums benennt in diesem Zusammenhang die Kreis- 5 laufwirtschaft als wichtiges Strategieelement und verweist dabei auf die Rohstoffstrategie: „Vor dem Hintergrund des 21 weltweit zunehmenden Rohstoffverbrauchs und der Endlich- 11 keit zahlreicher Primärrohstoffe rücken die Sekundärroh stoffe verstärkt in den Fokus“ (BMWi 2021b). Hier zeigt sich mit 17 Blick auf die einzelnen Maßnahmen jedoch ein deutlicher Unterschied zwischen der Rohstoffsicherung, die sehr konkret zum Beispiel durch Garantien für ungebundene Finanzkredite 2010–2017 oder die Einrichtung von Kompetenzzentren unterstützt wird, und dem Thema Kreislaufwirtschaft, bei dem relativ vage und unverbindlich von Dialogprozessen und der Unterstützung +3 Japan von Forschungsvorhaben die Rede ist (Maßnahmen 12 und –2 Vereinigte Staaten 13; vgl. BMWi 2019a). +12 China –4 Deutschland CE als Industriepolitik – das Beispiel China +1 Korea Ein Beispiel für die Entwicklung einer klaren industriepo- –1 Frankreich litischen Strategie findet sich in China. Dort wurde be- reits 2013 die branchenübergreifende China Association –1 Vereinigtes Königreich of Circular Economy (CACE) gegründet, die die Verwirkli- –8 übrige Länder chung der Kreislaufwirtschaft organisiert. Landesweit sind 700 Mitglieder beteiligt, allein das Sekretariat besteht aus 50 Mitarbeiter_innen. Im Rahmen des 12. Fünfjahres Quelle: Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (2020). plans für den Zeitraum 2011 bis 2015 wurde beispiels- weise die Strategie „10 – 100 – 1.000“ eingeführt, die die flächendeckende Implementierung der Kreislaufwirt- schaft vorbereiten sollte und dazu folgende Maßnahmen 2.2 INDUSTRIE- UND WIRTSCHAFTSPOLITIK beinhaltete: 10 Pilotprojekte der Kreislaufwirtschaft mit Schwerpunkt auf Recycling, 100 Pilotstädte wie Suzhou Wie dargestellt ist das Thema Kreislaufwirtschaft auf europä- und Guangzhou und landesweit 1.000 Pilotunternehmen ischer Ebene zentraler Bestandteil einer industriepolitischen bzw. Industrieparks (Dittrich et al. 2020: 52 ff.). Das Agenda: Durch die Transformation von der klassischen linearen D enken in Fünfjahresplänen ist sicherlich nur schwierig zur zirkulären Wirtschaft soll sichergestellt werden, dass die vereinbar mit der deutschen sozialen Marktwirtschaft, europäische Industrie auch in Zukunft ihre Wettbewerbsfähig- der sehr strategische Ansatz einer Kreislaufwirtschafts- keit behaupten kann. Mittel- und langfristig wird nämlich politik hat China allerdings in kürzester Zeit zu einem das Risiko gesehen, dass der aktuelle Effizienzvorsprung in der b edeutenden Player in vielen Technologiebereichen wer- linearen Produktion kaum gehalten werden kann, der ange- den lassen. Betrachtet man dagegen zum Beispiel das sichts hoher Löhne, Sozial- und Umweltstandards notwendig Corona-Konjunkturprogramm der Bundesregierung, so ist, um im globalisierten Wettbewerb zu bestehen. Die globa- hat der Staat hier die Chance verpasst, Impulse für die le Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Europa wird Entwicklung der Kreislaufwirtschaft zu setzen (Fischedick aus dieser Sicht zu sichern sein, wenn Europa zu einer Kreis- et al. 2020). laufwirtschaft übergeht, in der sowohl direkte Kosteneinspa-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 14 2.3 SOZIALPOLITIK in der Bruttobetrachtung zwei Arbeitsplätze in der linearen Industrie wegfallen und dafür drei neue zirkuläre Jobs ge- In der Diskussion über die Transformation zur Kreislaufwirt- schaffen werden – es kommt also zu massiven Strukturver- schaft liegt der Fokus bislang vor allem auf den damit auch änderungen (Morgan et al. 2015). Betrachtet man die dafür verbundenen sozioökonomischen Vorteilen, die Europäische notwendigen Qualifikationsprofile, so werden vor allem gut Kommission spricht beispielsweise von bis zu 700.000 und gering bezahlte Arbeitnehmer_innen vom Wandel zur n euen Arbeitsplätzen, die durch die Umsetzung des Aktions Kreislaufwirtschaft profitieren (im Hochlohnsektor zum Bei- plans Kreislaufwirtschaft bis 2030 entstehen sollen. Hinzu spiel die Bioökonomie, im Niedriglohnsektor die Logistik- kommt die Sicherung bestehender Arbeitsplätze durch die branche) – bei mittleren Einkommen könnte es dagegen zu Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Industrie- Nettoarbeitsplatzverlusten kommen (Mitchell 2015). sektoren (European Commission/Directorate-General for Damit die Kreislaufwirtschaft weiterhin als Chance und Communication 2020). Dieser Fokus auf den Nettonutzen darf nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, müssten solche jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Transfor- Strukturwandeleffekte langfristig antizipiert und durch ent- mation in der Größenordnung der Kreislaufwirtschaft massive sprechende sozialpolitische Maßnahmen abgefedert werden. Veränderungen beinhaltet, die dazu führen werden, dass Notwendig wären unter anderem massive Investitionen in relevante Teile der klassischen linearen Industrie in ökonomi- Aus- und Weiterbildung. Im Hinblick auf die Frage, wie ent- sche Schwierigkeiten geraten und zum massiven Abbau sprechende Maßnahmen ausgestaltet sein sollten, lohnt ein von Arbeitsplätzen gezwungen sein werden. Allein das Ver- Blick auf die bereits weiter fortgeschrittenen Debatten rund um bot von Einweggeschirr aus Plastik hat in der EU nach In die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Zukunft der Arbeit. dustrieaussagen zum Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen Analog wäre hier beispielsweise auch eine „Arbeits geführt (Skoda 2019). Dafür werden mit Sicherheit neue Versicherung“ denkbar, die entsprechende Risiken abfedern Jobs in der Herstellung von Mehrwegalternativen sowie in würde (Hans et al. 2017). Vergleicht man Energiewende der dafür notwendigen Reinigungs- und Logistikbranche und Kreislaufwirtschaft als zentrale Herausforderungen des entstanden sein – aber vermutlich an anderen Standorten und Strukturwandels in Deutschland, so werden bei der Trans- mit anderen Qualifikationsanforderungen. Untersuchungen formation zur Kreislaufwirtschaft die Belastungen sicherlich des UK Waste and Resource Action Programme (WRAP) haben nicht so räumlich zentriert ausfallen wie bei der Energie gezeigt, was ein zusätzlicher Nettoarbeitsplatz durch die wende zum Beispiel in den Kohleregionen, das Gesamtaus- Transformation zur Circular Economy letztlich bedeutet: dass maß der Verschiebungen dürfte aber ähnlich sein. Tabelle 2 Qualifikationsprofile in der Kreislaufwirtschaft Aktivität Wenig qualifiziert Qualifiziert Professionell Recycling im geschlossenen Kreislauf Recycling im offenen Kreislauf Servitisierung Wiederaufbereitung Wiederverwendung Bioraffination Quelle: Morgan et al. (2015).
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