Epidemiologisches Bulletin 23 2021 - RKI
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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 23 Epidemiologisches 2021 Bulletin 10. Juni 2021 STIKO: 6. Aktualisierung der COVID-19- Impfempfehlung | Empfehlung bei Lieferengpässen von Impfstoffen
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 2 Inhalt Beschluss der STIKO zur 6. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung 3 Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen COVID-19 mit einem der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer, COVID-19-Vaccine von Moderna) oder einer der beiden zugelassenen Vektor- basierten Impfstoffe (Vaxzevria von AstraZeneca, COVID-19 Vaccine Janssen von Janssen-Cilag International). Die STIKO empfiehlt bei Kindern und Jugendlichen mit Vorerkrankungen aufgrund eines anzunehmenden erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung eine Impfung mit dem mRNA-Impf- stoff Comirnaty (BioNTech/Pfizer). Der Einsatz von Comirnaty bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 – 17 Jahren ohne Vorerkrankungen wird derzeit nicht allgemein empfohlen, ist aber nach ärztlicher Aufklä- rung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz möglich. Beschluss der STIKO zu Lieferengpässen von Impfstoffen 33 Das Paul-Ehrlich-Institut informiert auf seinen Internetseiten über Lieferengpässe von Impfstoffen sowie die voraussichtliche Dauer der Nicht-Verfügbarkeit. Diese Informationen beruhen auf Mitteilungen der pharma- zeutischen Unternehmen, die einen Lieferengpass melden, sobald die Lieferkette für die Auslieferung eines Impfstoffes für einen Zeitraum von mindestens 2 Wochen unterbrochen ist. Die STIKO hat Empfehlungen für die häufigsten bzw. relevantesten Lieferengpässe entwickelt, in denen kein alternativer Impfstoff mit ver- gleichbarer Zusammensetzung zur Verfügung steht. Auch 2021 Mückenübertragungen von West-Nil-Virus in Deutschland zu erwarten 40 Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 20 autochthone symptomatische und 2 asymptomatische Infektionen mit dem West-Nil-Virus (WNV) bei Menschen festgestellt. Es ist davon auszugehen, dass es auch 2021 zur Zirkulation des Virus zwischen Stechmücken und Vögeln, und in geringerem Maße auch zu mückenüber- tragenen Infektionen bei Menschen und Pferden kommt. Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 22. Woche 2021 42 Impressum Herausgeber Allgemeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon 030 18754 – 0 Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise Redaktion die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dr. med. Jamela Seedat Dr. med. Maren Winkler (Vertretung) Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Telefon: 030 18754 – 23 24 Namensnennung 4.0 International Lizenz. E-Mail: SeedatJ@rki.de Nadja Harendt (Redaktionsassistenz) Telefon: 030 18754 – 24 55 Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) ISSN 2569-5266 E-Mail: EpiBull@rki.de Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 3 Mitteilung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut Beschluss der STIKO zur 6. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung Aktualisierung vom 10. Juni 2021 Empfehlung für Personen ab 18 Jahren Jahren anstelle der zweiten Vaxzevria-Impfstoff- Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen C OVID-19. dosis eine Dosis eines mRNA-Impfstoffs 9 – 12 Wo- Für die Impfung soll einer der beiden zugelassenen chen nach der Erstimpfung zu verabreichen (siehe mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer, unten: Hinweise zur praktischen Umsetzung). COVID-19-Vaccine-Moderna der Firma Moderna) oder einer der beiden zugelassenen Vektor-basierten Impfstoffe (Vaxzevria von AstraZeneca, COVID-19 Empfehlung für Kinder und Jugendliche Vaccine Janssen von Janssen-Cilag International) ver- im Alter von 12 – 17 Jahren wendet werden. Bei keinem dieser Impfstoffe han- Die STIKO spricht nach der Zulassung für Comir delt es sich um einen Lebendimpfstoff. Die Impfstof- naty für 12 – 15-Jährige eine gemeinsame Empfeh- fe werden hinsichtlich des Individualschutzes und lung für die Altersgruppe der 12 – 17-jährigen Kinder der Bekämpfung der Pandemie nach derzeitigem und Jugendlichen aus. Bereits begonnene Impfse Wissen als geeignet beurteilt. Direkte Vergleichsstu- rien bei 16 – 17-Jährigen sollen vervollständigt wer- dien zwischen den verschiedenen Impfstoffen sind den. Aufgrund eines anzunehmenden erhöhten Ri- nur begrenzt verfügbar. Die beiden mRNA-Impfstoffe sikos für einen schweren Verlauf der COVID-19- können in allen Alters- und Indikationsgruppen ein- Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen mit gesetzt werden, für die sie zugelassen sind. Eine be- Vorerkrankungen empfiehlt die STIKO dieser Grup- gonnene Impfserie muss gegenwärtig mit demsel- pe eine Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comir- ben Produkt abgeschlossen werden; eine Ausnahme naty (BioNTech/Pfizer). Es sollen zwei Impfstoff gilt bei der Impfung von Personen < 60 Jahren, die dosen im Abstand von 3 – 6 Wochen gegeben werden. bereits eine 1. Dosis Vaxzevria erhalten haben. Zu dieser Gruppe gehören Kinder und Jugendliche Auf Basis der derzeit verfügbaren, allerdings noch mit folgenden Vorerkrankungen:* begrenzten Evidenz und unter Berücksichtigung der ▶▶ Adipositas (> 97. Perzentile des Body Mass gegenwärtigen pandemischen Lage empfiehlt die Index (BMI)) STIKO, die beiden Vektor-basierten Impfstoffe (Vax- ▶▶ angeborene oder erworbene Immundefizienz zevria und COVID-19 Vaccine Janssen) für Personen oder relevante Immunsuppression im Alter ≥ 60 Jahren zu verwenden. Der Einsatz von ▶▶ angeborene zyanotische Herzfehler (O2-Ruhe- Vaxzevria für eine 1. oder 2. Impfstoffdosis und der sättigung < 80 %) COVID-19 Vaccine Janssen als einmalige Impfung ▶▶ schwere Herzinsuffizienz unterhalb dieser Altersgrenze ist jedoch nach ärztli- ▶▶ schwere pulmonale Hypertonie cher Aufklärung und bei individueller Risikoakzep- ▶▶ chronische Lungenerkrankungen mit einer an- tanz durch die impfwillige Person möglich. Die haltenden Einschränkung der Lungenfunktion STIKO empfiehlt derzeit, bei Personen im Alter < 60 ▶▶ chronische Niereninsuffizienz
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 4 ▶▶ chronische neurologische oder neuromusku können oder bei denen der begründete Verdacht auf läre Erkrankungen einen nicht ausreichenden Schutz nach Impfung ▶▶ maligne Tumorerkrankungen besteht (z. B. Menschen unter relevanter immun ▶▶ Trisomie 21 suppressiver Therapie). ▶▶ syndromale Erkrankungen mit schwerer Beein- trächtigung Eine berufliche Indikation aufgrund eines arbeits- ▶▶ Diabetes mellitus** bedingt erhöhten Expositionsrisikos besteht für * Die Vorerkrankungen sind nicht nach Relevanz geordnet. Jugendliche entsprechend den beruflichen Impf ** Ein erhöhtes Risiko besteht bei einem nicht gut einge- indikationsgruppen im Stufenplan. stellten Diabetes mellitus mit HbA1c-Werten > 9,0 %. Der Einsatz von Comirnaty bei Kindern und Jugend- Zusätzlich wird die Impfung Kindern und Jugend- lichen im Alter von 12 – 17 Jahren ohne Vorerkran- lichen ab 12 Jahren empfohlen, in deren Umfeld kungen wird derzeit nicht allgemein empfohlen, ist sich Angehörige oder andere Kontaktpersonen mit aber nach ärztlicher Aufklärung und bei individuel- hoher Gefährdung für einen schweren COVID-19- lem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder Verlauf befinden, die selbst nicht geimpft werden Jugendlichen bzw. der Sorgeberechtigten möglich. Stufe Personengruppen 1 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 80 Jahren ▶▶ BewohnerInnen von SeniorInnen- und Altenpflegeheimen ▶▶ Personal mit besonders hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen° ▶▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen° ▶▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationären Altenpflege ▶▶ Andere Tätige in SeniorInnen- und Altenpflegeheimen mit Kontakt zu den BewohnerInnen 2 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 75–79 Jahren ▶▶ Personen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) ▶▶ Personen mit dialysepflichtiger, chronischer Nierenerkrankung ▶▶ Personal mit hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen° ▶▶ Personen mit einer Demenz oder geistigen Behinderung, die in Institutionen wohnen oder betreut werden ▶▶ Tätige in der ambulanten oder stationären Versorgung von Personen mit Demenz oder geistiger Behinderung 3 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 70–74 Jahren ▶▶ Personen mit Vorerkrankungen mit hohem Risiko (z. B. Zustand nach Organtransplantation, aktive maligne hämatologische Erkrankungen, fortgeschrittene solide Tumorerkrankungen, die nicht in Remission sind, sowie Tumorerkrankungen unter aktueller systemischer Therapie (ausgenommen ausschließlich antihormonelle Monotherapie), interstitielle Lungenerkrankungen, psychiatrische Erkrankungen (bipolare Störung, Schizophrenie und schwere Depression), Demenz, Diabetes mellitus mit einem HbA1c ≥ 58 mmol/mol bzw. ≥ 7,5 %, COPD und andere ähnlich schwere Lungenerkrankungen, Adipositas (BMI >30kg/m2), chronische Lebererkrankungen inkl. Leberzirrhose, chronische nicht-dialysepflichtige Nierenerkrankungen) ▶▶ BewohnerInnen und Tätige in Gemeinschaftsunterkünften ▶▶ Enge Kontaktpersonen von Schwangeren ▶▶ Enge Kontaktpersonen bzw. Pflegende von Personen mit hohem Risiko ▶▶ Personal mit moderatem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen° und in Positionen, die für die Aufrechterhaltung der Krankenhausinfrastruktur besonders relevant sind ▶▶ Teilbereiche des ÖGD 4 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 65–69 Jahren ▶▶ Personen mit Vorerkrankungen mit erhöhtem Risiko (z. B. Diabetes mellitus mit HbA1c < 58 mmol/mol bzw. < 7,5 %, Arrhythmie/ Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, HIV-Infektion, Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen in behandlungsfreier Remission, arterielle Hypertonie, rheumatologische Erkrankungen, Asthma bronchiale, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen/Apoplex und andere chronische neurologische Erkrankungen) ▶▶ Enge Kontaktpersonen bzw. Pflegende von Personen mit erhöhtem Risiko ▶▶ Personal mit niedrigem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen° ▶▶ LehrerInnen ▶▶ ErzieherInnen ▶▶ sonstige Personen, bei denen aufgrund ihrer Arbeits- oder Lebensumstände ein signifikant erhöhtes Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder eines schweren Verlaufs von COVID-19 besteht 5 ▶▶ Personen im Alter von ≥ 60–64 Jahren ▶▶ Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und Bundesregierungen ▶▶ Beschäftigte im Einzelhandel ▶▶ Beschäftigte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit mit erhöhtem Expositionsrisiko ▶▶ Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur 6 ▶▶ Alle übrigen Personen im Alter von < 60 Jahren Tabelle | Stufenplan und Impfindikationsgruppen zur Priorisierung der COVID-19-Impfung in Deutschland ° Zur Einteilung des Personals in medizinischen Einrichtungen wird auf die 4. Aktualisierung der wissenschaftlichen Begründung zur COVID-19-Impfempfehlung der STIKO verwiesen1
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 5 Empfehlung zur Priorisierung Es handelt sich dabei um zwei mRNA-Impfstoffe Aufgrund der immer noch begrenzten Impfstoffver- (Comirnaty der Firma BioNTech/Pfizer und fügbarkeit soll die Impfung zügig denjenigen Perso- COVID-19-Vaccine-Moderna der Firma Moderna ) nengruppen angeboten werden, die entweder ein ho- und zwei Vektor-basierte Impfstoffe (Vaxzevria der hes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer Firma Astra-Zeneca und COVID-19 Vaccine Janssen COVID-19-Erkrankung haben oder die arbeitsbe- der Firma Janssen-Cilag International). Für eine voll- dingt entweder besonders exponiert sind oder engen ständige Impfserie der beiden mRNA-Impfstoffe Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben. und von Vaxzevria sind zwei intramuskulär (i. m.) zu applizierende Impfstoffdosen notwendig. Die Da in Bezug auf die Höhe des Risikos Unterschiede COVID-19 Vaccine Janssen ist derzeit als Einzeldosis bestehen, hat die STIKO zunächst ein stufenweises i. m. anzuwenden. Unter Berücksichtigung der Zu- Vorgehen (Priorisierungsempfehlung) empfohlen. lassungen und der vorliegenden Wirksamkeitsdaten In der folgenden Tabelle ist unter Berücksichtigung empfiehlt die STIKO für die mRNA-Impfstoffe der Impfziele, des individuellen Risikos für einen einen Abstand zwischen den beiden Impfungen von schweren COVID-19-Verlauf und des arbeitsbeding- 6 Wochen und für Vaxzevria einen Abstand von ten Infektionsrisikos ein Stufenplan abgebildet, der 12 Wochen. Sobald weitere Impfstoffe zugelassen die Personengruppen in 6 Stufen einordnet. Nach und verfügbar sind oder neue Erkenntnisse mit Ein- Zulassung des ersten COVID-19-Impfstoffs Ende fluss auf diese Empfehlung bekannt werden, wird 2020 wurde das bundesweite Impfprogramm mit die STIKO ihre C OVID-19-Impfempfehlung aktuali- der Impfung der Personengruppen der 1. Stufe mit sieren und ggf. Indikationsgruppen anpassen. Die dem höchsten Risiko begonnen. Publikation jeder Aktualisierung erfolgt im Epide miologischen Bulletin und wird auf der Webseite des Bei zunehmender, aber weiterhin limitierter Impf- Robert Koch-Instituts (RKI) bekannt gegeben. stoffverfügbarkeit sollen Personengruppen der 2. Stufe geimpft werden, gefolgt von den Menschen in der jeweils nachfolgenden Stufe. Zu welchem Zeit- Hinweise zur praktischen Umsetzung punkt von einer Stufe zur nächsten gewechselt wer- ▶▶ Für die Umsetzung der Empfehlung sind die den kann, soll lokal entschieden werden. Dies richtet Bundesländer bzw. die von ihnen beauftragten sich nach der Verfügbarkeit der Impfstoffe und da- Stellen verantwortlich. nach, ob alle Impfwilligen der jeweiligen Prio ▶▶ Bei der Priorisierung innerhalb der COVID-19- risierungsstufe das Angebot einer Impfung erhalten Impfempfehlung der STIKO können nicht alle haben. Neue Erkenntnisse zu den Risiken für schwe- Krankheitsbilder oder Impfindikationen expli- re Erkrankung werden fortlaufend weiter bewertet zit genannt werden. Es obliegt daher den für die und die Risikogruppen ggf. entsprechend angepasst. Priorisierung in den Bundesländern Verant- wortlichen, in Einzelfällen Personen, die nicht Es handelt sich während der Pandemie um eine In- ausdrücklich im Stufenplan genannt sind, an- dikationsimpfempfehlung im Rahmen der epidemi- gemessen zu priorisieren. Dies betrifft z. B. Per- schen Lage von nationaler Tragweite. Ob es in Zu- sonen mit seltenen, schweren Vorerkrankun- kunft eine Standardimpfempfehlung oder eine an- gen oder auch schweren Behinderungen, für derslautende Indikationsimpfempfehlung geben die bisher zwar keine ausreichende wissen- wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt der Pandemie schaftliche Evidenz bzgl. des Verlaufes einer noch nicht beurteilt werden. Die Priorisierungsemp- COVID-19-Erkrankung vorliegt, für die aber ein fehlung hat nur solange Gültigkeit, bis genügend deutlich erhöhtes Risiko angenommen werden Impfstoff verfügbar ist, um allen eine Impfung an- muss. Dies trifft auch für Personen zu, die zu bieten zu können. Mittelfristig ist es das Ziel, allen einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu einer nicht mehr gleich wirksam geimpft werden Impfung gegen COVID-19 anbieten zu können. Für können (z. B. bei unmittelbar bevorstehender die Impfung gegen COVID-19 sind aktuell in der Eu- Chemotherapie). Darüber hinaus sind Einzel- ropäischen Union (EU) vier Impfstoffe zugelassen. fallentscheidungen möglich, wenn berufliche
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 6 Tätigkeiten bzw. Lebensumstände mit einem leadmin/MRI/Themen/Stillkommission/Emp- nachvollziehbaren, unvermeidbar sehr hohen fehlung_Impfung_Covid_Stillen_final.pdf Infektionsrisiko einhergehen. Diese Öffnungs- ▶▶ Zu anderen planbaren Impfungen soll ein Min- klausel darf nicht missbraucht werden, um un- destabstand von 14 Tagen vor und nach jeder gerechtfertigt eine Impfung durchzuführen COVID-19-Impfstoffdosis eingehalten werden und somit stärker gefährdeten Personen die (Notfallimpfungen sind davon ausgenommen). Impfung vorzuenthalten. ▶▶ Es besteht keine Notwendigkeit, vor Verabrei- ▶▶ Eine COVID-19-Impfung setzt eine sorgfältige chung einer COVID-19-Impfung das Vorliegen Aufklärung der zu impfenden Person bzw. des einer akuten asymptomatischen oder (uner- Vorsorgebevollmächtigten oder Sorgeberechtig- kannt) durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion ten voraus. Die STIKO verweist hierzu auf Ka- labordiagnostisch auszuschließen. Bei Perso- pitel 4.1 der STIKO-Impfempfehlungen 2020/ nen mit durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion 2021 (Epid Bull 34/2020). kann es nach Impfung zu vorübergehenden ver- ▶▶ Bei der Impfung sind die Anwendungshinwei- stärkten systemischen Reaktionen kommen. se in den Fachinformationen zum jeweiligen Nach den bisher vorliegenden Daten gibt es aber Impfstoff zu beachten. keinen Hinweis darauf, dass die Impfung in die- ▶▶ Auch bei sehr alten Menschen oder Menschen sen Fällen eine relevante Gefährdung darstellt. mit progredienten Krankheiten, die sich in ei- Aufgrund der Immunität nach durchgemachter nem schlechten Allgemeinzustand befinden, SARS-CoV-2-Infektion und in Anbetracht des muss die Impffähigkeit gegeben sein. Bei die- weiterhin bestehenden Impfstoffmangels soll- sen Gruppen sollte ärztlich geprüft werden, ob ten immungesunde Personen unabhängig vom ihnen die Impfung empfohlen werden kann. Alter, die eine durch direkten Erregernachweis ▶▶ Zur Anwendung der COVID-19-Impfstoffe in (PCR) gesicherte SARS-CoV-2-Infektion durch- der Schwangerschaft liegen aktuell sehr limi- gemacht haben, nach Ansicht der STIKO zu- tierte Daten vor. Die STIKO empfiehlt die gene- nächst nicht geimpft werden. Die derzeit verfüg- relle Impfung in der Schwangerschaft derzeit baren klinischen und immunologischen Daten nicht. Eine akzidentelle Impfung in der belegen eine Schutzwirkung für mindestens Schwangerschaft ist jedoch keine Indikation für 6 – 9 Monate nach überstandener SARS-CoV-2- einen Schwangerschaftsabbruch. Schwangeren Infektion. Entsprechend sollte in der Regel mit Vorerkrankungen und einem daraus resul- 6 Monate nach Genesung bzw. Diagnosestel- tierenden hohen Risiko für eine schwere lung eine COVID-19-Impfung unter Berück- COVID-19-Erkrankung oder mit einem erhöh- sichtigung der Priorisierung durchgeführt wer- ten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebens- den. Auch wenn mehr als 6 Monate seit der umstände kann nach Risiko-Nutzen-Abwägung Diagnosestellung vergangen sind, reicht eine und nach ausführlicher Aufklärung eine Imp- Impfstoffdosis zur vollständigen Grundimmu- fung mit einem mRNA-Impfstoff ab dem 2. Tri- nisierung aus, da sich dadurch bereits hohe menon angeboten werden. Bisher liegen zur Antikörperkonzentrationen erzielen lassen, die Anwendung der COVID-19-Impfstoffe in der durch eine 2. Impfstoffdosis nicht weiter ge- Stillzeit aktuell nur wenige Daten vor und diese steigert werden. Ob und wann später eine auch nur zum Gebrauch von mRNA-Impfstof- 2. COVID-19-Impfung notwendig ist, lässt sich fen. Die STIKO hält es jedoch für sehr unwahr- gegenwärtig nicht sagen. Hingegen muss bei scheinlich, dass eine Impfung der Mutter wäh- Personen mit eingeschränkter Immunfunk rend der Stillzeit ein Risiko für den Säugling tion im Einzelfall entschieden werden, ob eine darstellt. Hierzu wird auch auf die gemeinsa- 1-malige Impfung ausreicht oder eine vollstän- men Empfehlung der Deutschen Gesellschaft dige Impfserie verabreicht werden sollte. Dies für Perinatale Medizin (DGPM), der Deutschen hängt maßgeblich von Art und Ausprägung der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Immundefizienz ab. (DGGG) und der Nationalen Stillkommission ▶▶ Die Gabe der 2. Impfstoffdosis soll für die (NSK) verwiesen: https://www.mri.bund.de/fi- mRNA-Impfstoffe nach 6 Wochen und für Vax-
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 7 zevria nach 12 Wochen erfolgen, da dadurch so- ▶▶ Postmarketing- und Real-Life-Studien haben wohl eine sehr gute individuelle Schutzwirkung gezeigt, dass die Virusausscheidung bei Perso- als auch ein größerer Effekt der Impfung auf nen, die sich trotz einer abgeschlossenen Impf- Bevölkerungsebene zu erzielen ist. Nach Fachin- serie mit SARS-CoV-2 infiziert haben, stark re- formation ist die Gabe der 2. Impfstoffdosis von duziert ist und damit das Transmissionsrisiko Comirnaty in einem Abstand von 3 Wochen deutlich vermindert ist. Es muss jedoch davon nach der 1. Impfstoffdosis bzw. von COVID-19 ausgegangen werden, dass Menschen nach ent- Vaccine Moderna von 4 Wochen nach der sprechender Exposition trotz Impfung sympto- 1. Impfstoffdosis möglich. Die längeren Impfab- matisch oder asymptomatisch infiziert werden stände sind von der STIKO empfohlen, um ak- können und dabei SARS-CoV-2 ausscheiden tuell mehr Menschen frühzeitig eine erste Imp- (nachgewiesen durch PCR-Testung). fung zu ermöglichen. Zudem liegen Hinweise ▶▶ Die Impfung ist strikt intramuskulär (i. m.) und auf einen besseren Impfschutz bei einem länge- keinesfalls intradermal, subkutan oder intra ren Impfintervall vor. vaskulär zu verabreichen. Bei PatientInnen unter ▶▶ Sollte der empfohlene maximale Abstand zwi- Antikoagulation soll die Impfung ebenfalls i. m. schen der 1. und 2. Impfstoffdosis überschritten mit einer sehr feinen Injektionskanüle und einer worden sein, kann die Impfserie dennoch fort- anschließenden festen Kompression der Ein- gesetzt werden und muss nicht neu begonnen stichstelle über mindestens 2 Minuten erfolgen. werden. Eine begonnene Grundimmunisie- ▶▶ Im Allgemeinen wird eine Nachbeobachtungs- rung muss nach derzeitigem Erkenntnisstand zeit nach der COVID-19-Impfung von mindes- mit dem gleichen Produkt abgeschlossen wer- tens 15 Minuten empfohlen. Längere Nachbeob- den. Eine Ausnahme gilt für Personen im Alter achtungszeiten (30 Minuten) sollten vorsichts- < 60 Jahren, die bereits eine 1. Impfung mit halber bei bestimmten Risikopersonen eingehal- Vaxzevria erhalten haben. Für diese Personen ten werden, z. B. bei Personen mit schweren wird empfohlen, anstelle der 2. Vaxzevria-Dosis kardialen oder respiratorischen Grunderkran- eine Dosis eines mRNA-Impfstoffs 9 – 12 Wo- kungen oder mit stärkeren oder anaphylakti- chen nach der Erstimpfung zu verabreichen. schen Reaktionen auf Impfungen in der Anam- Hintergrund für diese heterologe Impfserie nese. Maßgeblich für diese Entscheidungen sind und den gewählten Zeitabstand ist das Auftre- die Angaben der Person selbst sowie die ärztli- ten von seltenen thromboembolischen Ereig- che Einschätzung des Gesundheitszustands. nissen nach Vaxzevria (siehe unten) und die be- ▶▶ Nach der Zulassung von Comirnaty sind einzel- ginnende Abnahme des von einer einmaligen ne schwerwiegende, allergische Unverträglich- Vaxzevria-Impfung ausgelösten Schutzes nach keitsreaktionen aufgetreten. Nach der derzeiti- 12 Wochen. Der Impfzeitraum 9 – 12 Wochen gen Datenlage ist ein generell erhöhtes Risiko nach der Erstimpfung wurde gewählt, um hier für schwerwiegende unerwünschte Wirkungen eine organisatorische Flexibilität bei der Impf- für Personen mit vorbekannten allergischen Er- durchführung zu ermöglichen. krankungen bei Impfung mit mRNA-Impfstof- ▶▶ Unabhängig davon, ob eine Person ungeimpft fen nicht anzunehmen, sofern keine Allergie ge- oder einmalig gegen COVID-19 geimpft ist, emp- gen einen Inhaltsstoff der jeweiligen Vakzine fiehlt die STIKO nach einer durch direkten Er vorliegt (z. B. Polyethylenglykol im Falle der regernachweis (PCR) gesicherten SARS-CoV-2- COVID-19 mRNA-Impfstoffe). Zur weiteren In- Infektion die Verabreichung einer Impfstoff formation wird auf die „Empfehlung zur dosis in der Regel 6 Monate nach Genesung Coronaimpfung für Allergikerinnen und Aller- bzw. Diagnosestellung. giker“ des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) verwie- ▶▶ Es ist aktuell nicht bekannt, ob man nach sen: https://www.pei.de/SharedDocs/Down- SARS-CoV-2-Exposition durch eine postexposi- loads/DE/newsroom/mitteilungen/201223-stel- tionelle Impfung den Verlauf der Infektion lungnahme-empfehlung-allergiker.pdf ?__ günstig beeinflussen oder die Erkrankung noch blob=publicationFile&v=6 und das Flussdia- verhindern kann. gramm zum Vorgehen bei positiver Allergie-
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 8 anamnese vor COVID-19-Impfung verwiesen: STIKO). Der Einsatz der beiden Vektor-basier- https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/CO- ten Impfstoffe unterhalb dieser Altersgrenze VID-Impfen/Flowchart_Allergieanamnese. bleibt indes nach ärztlicher Aufklärung und bei pdf?__blob=publicationFile individueller Risikoakzeptanz durch die impf- ▶▶ Nach der Impfung mit Vaxzevria sind in willige Person möglich. Deutschland und in anderen Ländern sehr sel- ▶▶ Mit den Vektor-basierten Impfstoffen Geimpfte tene Fälle von Thrombosen in Kombination mit sollten darüber aufgeklärt werden, dass sie bei Thrombozytopenien bei Geimpften aufgetreten Symptomen wie starken anhaltenden Kopf- (sog. Thrombose mit Thrombozytopenie Syn- schmerzen, Kurzatmigkeit, Beinschwellungen, drom [TTS], in der wissenschaftlichen Literatur anhaltenden Bauchschmerzen, neurologischen auch als Vakzine-induzierte immunthromboti- Symptomen oder punktförmigen Hautblutun- sche Thrombozytopenie [VITT] bekannt). Auf- gen umgehend ärztliche Hilfe in Anspruch neh- gefallen sind vor allem Hirnvenenthrombosen men sollten. ÄrztInnen sollten auf Anzeichen (sogenannte Sinus venosus Thrombosen; SVT). und Symptome einer Thromboembolie in Kom- Aber auch andere thrombotische Ereignisse, bination mit einer Thrombozytopenie achten, wie Mesenterialvenenthrombosen und Lungen wenn sich PatientInnen vorstellen, die kürzlich embolien sind berichtet worden. Einzelne Fälle mit Vektor-basierten COVID-19-Impfstoffen waren auch kombiniert mit erhöhter Gerin- geimpft wurden. Dies gilt insbesondere, wenn nungsaktivität oder Blutungen im ganzen Kör- PatientInnen über später als drei Tage nach der per. Die Symptome traten 4 bis 21 Tage nach der Impfung beginnende und dann anhaltende Impfung auf. Bisher wurden diese schweren Kopfschmerzen klagen oder punktförmige und teilweise tödlich verlaufenden Nebenwir- Hautblutungen auftreten. Weitere Informatio- kungen überwiegend bei Frauen im Alter ≤ 55 nen und Hinweise zur Diagnostik und Therapie Jahren beobachtet, aber auch Männer und Älte- findet man in der Stellungnahme der Gesell- re waren betroffen. Das PEI und die Europäi- schaft für Thrombose- und Hämostasefor- sche Arzneimittelbehörde (EMA) führen weite- schung (GTH): https://gth-online.org/wp-cont- re Untersuchungen durch. Auch nach Anwen- ent/uploads/2021/03/GTH-Stellungnahme-As- dung der COVID-19 Vaccine Janssen sind in traZeneca_3-29-2021.pdf den USA sehr seltene Fälle von TTS überwie- ▶▶ Die STIKO bekräftigt die Empfehlung, das bun- gend bei jüngeren Geimpften aufgetreten. Aus desweite Monitoring von Impfquoten weiterzu- Europa gibt es hierzu noch keine Beobachtun- führen, damit auch in Zukunft verlässliche Da- gen, weil der Impfstoff hier erst seit Kurzem ten zur Risiko-Nutzen-Analyse zeitnah verfüg- und bisher nur in kleinen Mengen zur Anwen- bar sind. dung gekommen ist. Basierend auf der mo- ▶▶ Für die Meldungen von über das übliche Maß mentanen Datenlage empfiehlt die STIKO im hinausgehenden Impfreaktionen und -kompli- Regelfall die Impfung mit den beiden Vektor kationen soll das etablierte Verfahren verwen- basierten Impfstoffen Vaxzevria und der det werden (siehe Kapitel 4.9 „Impfkomplikati- COVID-19 Vaccine Janssen nur für Menschen onen und deren Meldung“ in den STIKO-Imp- im Alter ≥ 60 Jahre, da in dieser Altersgruppe fempfehlungen 2020/2021; Meldeformular des aufgrund der ansteigenden Letalität einer PEI: https://www.pei.de/DE/arzneimittelsi- COVID-19- E rkrankung die Risiko-Nutzen- cherheit/pharmakovigilanz/meldeformula- Abwägung eindeutig zu Gunsten der Impfung re-online-meldung/meldeformulare-on- ausfällt. Obwohl bisher deutlich mehr Frauen line-meldung-node.html). Regelmäßige Berich- betroffen waren, schränkt die STIKO ihre Emp- te des PEI zur Sicherheit von COVID-19-Impf- fehlung nach Risiko-Nutzen-Abwägung für stoffen sind unter folgendem Link zu finden: beide Geschlechter ein, zumal alternative Impf- https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/co- stoffe ohne dieses Sicherheitssignal verfügbar ronavirus/arzneimittelsicherheit.html sind (siehe auch Kapitel 7.2.1.1 in der 4. Aktua- lisierung der COVID-19-Impfempfehlung der
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 9 Wissenschaftliche Begründung der STIKO für die Empfehlung zur Impfung gegen COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen von 12 – 17 Jahren Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund.................................................. 9 3.3. Seroprävalenzdaten zu Kindern und Jugendlichen................................................. 20 2. Krankheitsbild............................................... 9 3.4. Fazit zur Epidemiologie von COVID-19 2.1. Symptomatik einer SARS-CoV-2- bei Kindern und Jugendlichen im Alter Infektion bei Kindern und Jugendlichen...... 9 von 12 – 17 Jahren in Deutschland................ 21 2.2. Immunantwort nach COVID-19- Infektion versus Immunantwort 4. COVID-19-Impfung....................................... 21 nach COVID-19-Impfung.............................. 10 4.1. Immunobridging.......................................... 23 2.3. Transmission von SARS-CoV-2 bei 4.2. Wirksamkeit.................................................. 23 Kindern und Jugendlichen............................ 11 4.3. Sicherheit...................................................... 23 2.4. Infektionsquelle für SARS-CoV-2- 4.4. Fazit zur Wirksamkeit und Sicherheit Infektionen bei Kindern und Jugendlichen... 11 von Cormirnaty bei Kindern und Jugend- 2.5. Risikofaktoren für eine schwere COVID-19- lichen im Alter von 12 – 17 Jahren................. 25 Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen... 12 5. Modellierungsergebnisse der Effekte 2.6. Pediatric Inflammatory Multisystem einer Impfung für Kinder und Jugendliche Syndrome (PIMS)......................................... 13 im Alter von 12 – 17 Jahren............................ 26 2.7. Long-COVID................................................. 13 6. Akzeptanz bei Eltern und Jugendlichen....... 27 3. Epidemiologie von SARS-CoV-2- 7. Impfempfehlung und Fazit........................... 28 Infektionen und COVID-19-Erkrankungen Referenzen.................................................... 29 bei 12 – 17-Jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland....................... 15 3.1. IfSG-Meldedaten.......................................... 15 3.2. Erhebungsdaten der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI).......... 19 1. Hintergrund 2. Krankheitsbild Cormirnaty (BioNTech/Pfizer), ein mRNA-Impf- 2.1. Symptomatik einer SARS-CoV-2-Infektion stoff zur Impfung gegen COVID-19, wurde am bei Kindern und Jugendlichen 21. Dezember 2020 für ≥ 16-Jährige von der EMA zu- Kinder aller Altersgruppen können sich mit SARS- gelassen. Es ist bisher der einzige Impfstoff, der im CoV-2 infizieren, an COVID-19 erkranken und zu Alter < 18 Jahren angewendet werden kann. Seit Überträgern der SARS-CoV-2 werden. Die Inzidenz dem 31.05.2021 ist dieser Impfstoff mit identischer der Erkrankung steigt mit zunehmendem Alter an. Dosierung auch für Kinder und Jugendliche im Al- Obwohl schwere COVID-19-Erkrankungen auch im ter von 12 – 15 Jahren zugelassen. Die STIKO gibt im Kindes- und Jugendalter vorkommen können, zeigt Folgenden einen Überblick über die Evidenz, die sie der überwiegende Teil einen asymptomatischen bei ihrer Entscheidung über die Empfehlung be- oder milden bzw. moderaten Krankheitsverlauf von rücksichtigt hat. ein- bis zweiwöchiger Dauer. Im Rahmen eines sys-
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 10 tematischen Reviews, der Studien aus China, Iran, tor- und Gedächtnis-T-Zellen umfasst, unter ande- Italien, Malaysia, Spanien, Südkorea, USA und rem gegen das Spike- und Nukleokapsid-Protein Vietnam mit Daten von insgesamt 7.480 Kindern von SARS-CoV-2 gerichtet ist 7 – 9 und für mindestens und Jugendlichen im Alter von 0 – 18 Jahren ein- 9 Monate anhält (längster berichteter Beobachtungs schloss, hatten 15% einen asymptomatischen, 42,5% zeitraum).10 – 11 einen milden und 39,6 % einen moderaten Infek tionsverlauf; bei 2 % verlief die Erkrankung schwer Die derzeit in Deutschland zugelassenen und ver- und 0,7 % waren kritisch krank.3 Zwei große Stu fügbaren COVID-19-Impfstoffe lösen eine T- und dien aus England (n = 365.104)4 und Spanien B-Lymphozyten-basierte Immunantwort gegen das (n = 61.075)5 untersuchten in einer repräsentativen Spike-Protein von SARS-CoV-2 aus, da sowohl die Bevölkerungsstichprobe mittels Antikörpernach- mRNA- als auch die Vektor-Impfstoffe nur dieses weis den Anteil asymptomatischer Fälle und stellten Oberflächenprotein von SARS-CoV-2 als Antigen nahezu identische Werte fest. In England betrug der nutzen. Die Impfung von immunologisch naiven Anteil asymptomatischer Infektionen unter allen Personen mit e inem dieser Impfstoffe bewirkt vor Infizierten 32,4 % und in Spanien 33 %. allem die Bildung von Spike-Protein-spezifischen Typ 1 T-Helfer-Zellen und B-Lymphozyten sowie von Viner et al. führten einen Umbrella-Review zur Sym- neutralisierenden Antikörpern gegen das Spike- ptomatik von COVID-19 bei < 20-Jährigen durch.6 In Protein. Darüber hinaus werden durch die Impfung dieser systematischen Übersicht wurden aus- auch CD8+ T-Lymphozyten aktiviert, wobei dies bei schließlich systematische Reviews berücksichtigt, den Vektorimpfstoffen deutlicher zu sein scheint als die über laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektionen bei den mRNA-Impfstoffen.12 – 15 bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 19 Jahren berichteten. Insgesamt wurden nach Die Impfung von Personen, die eine SARS-CoV-2- Abstract- und Volltext-Screening 18 Studien einge- Infektion durchgemacht haben, führt bereits nach schlossen, die wiederum Studien aus China, Italien, einer Impfung zu einer ausgeprägten T-Zell-, B-Zell- Spanien, Südkorea, Malaysia, Singapur, Vietnam, und Antikörper-Antwort, die durch eine weitere dem Iran und den USA einschlossen. Nach den Er- Impfung weder qualitativ noch quantitativ verän- gebnissen, die Daten von > 34.000 Personen be- dert wird.16 Besonders bemerkenswert hierbei ist, rücksichtigten, sind Fieber und Husten, die bei dass sich die CD4+ T-Zell-Immunantwort nach Imp- 40 – 60 % der infizierten Kinder und Jugendlichen fung von Rekonvaleszenten im Vergleich zu naiven vorkommen, die vorherrschenden Symptome von Personen durch eine verstärkte Expression von Ge- COVID-19. Die Prävalenz dieser Symptome ist un- dächtnis-T-Zellmarkern sowie von Markern, die mit abhängig vom Alter und oft treten diese beiden einer verbesserten Migration von T-Lymphozyten in Symptome auch gemeinsam auf. Die gängigen den respiratorischen Trakt einhergehen, auszeich- Symptome einer Erkrankung der oberen Atemwege net.17 Ebenso war bei Impflingen mit durchgemach- wie Schnupfen und Halsschmerzen sind bei ter COVID-19-Infektion bereits nach der ersten COVID-19 im Kindesalter eher ungewöhnlich. An- Impfung eine markante Gedächtnis-B-Zell-Antwort dere Symptome wie Kopfschmerzen, Abgeschlagen- vorzufinden.18 heit, Muskelschmerzen und gastrointestinale Symp tome (Erbrechen und Durchfall) traten ebenfalls Diese Befunde deuten darauf hin, dass eine durch- deutlich seltener auf und zeigten sich bei weniger gemachte Infektion (plus ggf. eine zu einem späte- als 10 – 20 % der Erkrankten. ren Zeitpunkt durchgeführte Impfung) zu einer ro- busten und breiten SARS-CoV-2-spezifischen Im- 2.2. Immunantwort nach COVID-19- munantwort führt. Bei Personengruppen, die nach Infektion versus Immunantwort nach einer SARS-CoV-2-Infektion nur ein extrem gerin- COVID-19-Impfung ges Risiko für eine schwere oder gar tödlich verlau- Ungeimpfte rekonvaleszente Personen weisen eine fende COVID-19-Erkrankung haben und bei denen breite B- und T-Zell-Immunantwort auf, die sowohl gleichzeitig noch keine ausreichenden Sicherheits- neutralisierende Antikörper als auch Helfer-, Effek- daten zur COVID-19-Impfung vorliegen, kann des-
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 11 halb aus immunologischer Sicht mit der Durchfüh- seropositiv als Haushalte ohne Kinder. Es wurden rung einer zweimaligen COVID-19-Impfung gewar- aber keine differenzierten Ergebnisse nach Alters- tet werden. Es muss darauf hingewiesen werden, gruppen berichtet. dass in den o. g. Studien überwiegend Erwachsene eingeschlossen waren. Eine Studie aus Rheinland-Pfalz untersuchte das Übertragungsrisiko von COVID-19 in Kitas und 2.3. Transmission von SARS-CoV-2 bei Kindern Schulen zwischen August und Dezember 2020.21 und Jugendlichen Dabei wurde analysiert, zu wie vielen Folgefällen ein Ein systematischer Review untersuchte die Suszep- Indexfall beiträgt. Auf Basis der Meldedaten und den tibilität für und Transmission von SARS-CoV-2 unter Informationen der Kontaktnachverfolgung zeigte Kindern und Jugendlichen, verglichen mit Erwach- sich, dass das Übertragungsrisiko in diesen Einrich- senen.19 Es wurden 32 Studien aus 21 Ländern einge- tungen niedrig ist und dass die sekundäre Erkran- schlossen, die Daten von 41.640 Kindern (0 – 13 Jah- kungsrate) lediglich 1,34% (95%-KI: 1,16 – 1,54) be- re) und Jugendlichen (10 – 19 Jahre) und 268.945 Er- trägt. Außerdem wurde festgestellt, dass eine Über- wachsenen auswerteten. Die AutorInnen resümie- tragung in Schulen durch LehrerInnen häufiger vor- ren, dass die Evidenz aus 15 Kontaktnachverfol- kommt als durch SchülerInnen (Incidence Rate Ratio gungsstudien darauf hinweist, dass Kinder eine ge- 3,23; 95%-KI: 1,76 – 5,91) und dass das Übertragungs- ringere Suszeptibilität für SARS-CoV-2-Infektionen risiko in Schulen geringer ist als in Kitas. haben als Erwachsene, Jugendliche dagegen ähnlich empfänglich sind wie Erwachsene. Die Ergebnisse An einer weiterführenden Schule in Sachsen wur- aus den eingeschlossenen Seroprävalenzstudien wa- den in einer Seroprävalenzstudie acht Wochen nach ren dagegen heterogen. Allerdings wurde in keiner Bekanntwerden einer SARS-CoV-2-Infektion bei ei- Studie eine höhere Seroprävalenz bei Kindern und nem Schüler erstmalig im November 2020 Seren Jugendlichen als bei Erwachsenen beobachtet. Wenn von 247 SchülerInnen und 55 LehrerInnen und ein Kinder getrennt von Jugendlichen untersucht wur- zweites Mal etwa fünf Wochen später bei 197 Schü- den, zeigte sich in den meisten Studien, dass Kinder lerInnen und 40 LehrerInnen untersucht.22 Die Se- niedrigere Seroprävalenzen hatten, während die der roprävalenz stieg zwischen den beiden Untersu- Jugendlichen den Seroprävalenzen der Erwachsenen chungszeitpunkten von 1,7 % auf 6,8 % an. Das Ver- ähnlich waren. Die verfügbaren Studien zur Trans- hältnis zwischen unerkannten und erkannten mission weisen darauf hin, dass Kinder und Jugend- SARS-CoV-2-Infektionen hat sich zwischen den bei- liche eine untergeordnete Rolle bei der Weiterver- den Erhebungszeitpunkten kaum verändert (0,25 breitung von SARS-CoV-2 spielen.19 bzw. 0,33). Es ergaben sich keine Hinweise auf eine relevante, unerkannte SARS-CoV-2-Transmission in Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die AutorIn- der Schule. Studienergebnisse wie diese legen nahe, nen einer Seroprävalenzstudie aus Sachsen,20 in die dass es unwahrscheinlich ist, dass Bildungseinrich- n = 150 Haushalte eingeschlossen waren. Transmis- tungen eine zentrale Rolle für das Infektionsgesche- sionsraten unter Haushaltsmitgliedern von erwach- hen in der Pandemie spielen. senen IndexpatientInnen wurden mit denen von kindlichen und jugendlichen IndexpatientInnen Einige Studien wurden zu einer Zeit durchgeführt, verglichen. Die sekundären Erkrankungsraten bevor die ersten ansteckenderen Virusvarianten de- (attack rates) von < 18-Jährigen Indexfällen waren tektiert wurden und zu der bereits Infektionsschutz- signifikant niedriger als die von erwachsenen Index- maßnahmen, Kontaktbeschränkungen und teilwei- fällen. In dieser Studie wurden keine Transmissio- se Schulschließungen bestanden, die die Transmis- nen von Indexpersonen im Alter von < 18 Jahren auf sion beeinflusst haben. Kinder und Jugendliche beobachtet, aber eine be- trächtliche Anzahl (n = 26) von Transmissionen von 2.4. Infektionsquelle für SARS-CoV-2- erwachsenen Indexfällen auf Haushaltskontakte im Infektionen bei Kindern und Jugendlichen Alter von < 18 Jahren. Haushalte mit Kindern und In einem Survey der Deutschen Gesellschaft für Jugendlichen waren signifikant seltener vollständig pädiatrische Infektiologie (DGPI) wurde die Exposi-
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 12 tion bei 146 COVID-19-PatientInnen im Alter von Eine Studie in den USA untersuchte ebenfalls Risi- 12 – 17 Jahren erfragt: 73,3 % hatten sich im Haushalt kofaktoren für einen schweren Verlauf bei Kindern angesteckt, 18,5 % in der Schule, 4,1 % im Kranken- und Jugendlichen mit SARS-CoV-2-Infektion.24 In haus und 4,1 % auf einer Reise oder anderswo diese retrospektive Kohortenstudie wurden n = 454 (persönliche Kommunikation Dr. J. Armann, DGPI PatientInnen im Alter < 21 Jahren (medianes Alter: Survey, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Ju- 11 Jahre) eingeschlossen, die im Zeitraum vom gendmedizin am Uniklinikum Dresden). 15. März bis 8. Juli 2020 aufgrund einer SARS-CoV-2- Infektion in der Kinderklinik von Colorado vorstellig 2.5. Risikofaktoren für eine schwere geworden waren. Mithilfe der multivariablen logis- COVID-19-Erkrankung bei Kindern und tischen Regression wurden Risikofaktoren für einen Jugendlichen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, der eine COVID-19 ist in der Regel eine milde Erkrankung stationäre Therapie erforderlich machte, identifi- im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Bei einem ziert. Das Säuglingsalter (0 – 3 Monate) (OR 7,86; geringen Anteil der betroffenen Kinder und Jugend- 95 %-KI: 3,0 – 20,4) und junge Erwachsenenalter lichen kann sich ein schwerer Krankheitsverlauf > 20 Jahre (OR 5,1; 95 %-KI: 1,2 – 20,7) stellte sich im entwickeln, der eine intensivmedizinische Versor- Vergleich zu einem Alter von 11 – 15 Jahren als Risi- gung und eventuell eine invasive Beatmung erfor- kofaktor heraus. Außerdem waren das Vorliegen ei- derlich macht. Todesfälle sind im Kindes- und Ju- ner Vorerkrankung (Asthma (OR 2,17; 95 %-KI: gendalter jedoch sehr selten. In einer Kohortenstudie 1,4 – 4,5), gastrointestinale Erkrankungen (OR 2,71; wurden im April 2020 Daten von stationär behan- 95 %-KI: 1,3 – 5,17), Diabetes mellitus (OR 6,6; 95 %- delten Kindern und Jugendlichen mit PCR-bestätig- KI: 1,1 – 39,8), Immunsuppression (OR 3,47; 95 %- ter SARS-CoV-2-Infektion im Alter < 18 Jahren aus KI: 1,5 – 8,1), Adipositas (> 95 % Perzentile) (OR 2,48; 25 europäischen Ländern gesammelt und hinsicht- 95 %-KI: 1,2 – 5,1), schwere Adipositas (> 120 % Per- lich prädisponierender Risikofaktoren für einen zentile) (OR 4,8; 95 %-KI: 1,9 – 12,1) und Frühgeburt- schweren Verlauf (Aufnahme auf die Intensivsta lichkeit (OR 3,82; 95 %-KI: 2,0 – 7,4) mit Kranken- tion) mittels multivariabler logistischer Regression hausaufnahme assoziiert. Retrospektive Kohorten- analysiert.23 Es wurden n = 582 Personen mit einem studien aus England25 und den USA,26 die Risikofak- medianen Alter von 5,0 Jahren (Spanne: 3 Tage bis toren für einen schweren COVID-19-Verlauf 18 Jahre) eingeschlossen. Ohne vorbestehende Er- erwachsener PatientInnen untersuchten, sowie pä- krankung waren n = 437 (75 %). Von den übrigen diatrische Einzelfallberichte27 belegen die Schwere n = 145 (25 %) hatten n = 29 eine chronische Lungen von COVID-19 bei Patient Innen mit Down- erkrankung, n = 27 eine malige Tumorerkrankung, Syndrom. Die Autoren weisen darauf hin, dass die- n = 26 eine neurologische Beeinträchtigung, n = 25 se PatientInnen auch aufgrund der zahlreichen risi- eine angeborene Herzerkrankung, n = 10 eine chro- kobehafteten Komorbiditäten (z. B. schwere angebo- mosomale Anomalie und n = 9 eine chronische Nie- rene Herzfehler, Störungen der Immun- und Lun- renerkrankung. Insgesamt hatten n = 17 (3 %) ≥ 2 be- genfunktion) ein erhöhtes Risiko für einen schweren stehende Vorerkrankungen. Eine immunsuppres oder tödlichen Verlauf haben. Das Alter (0 – 3 Monate sive Therapie erhielten 5 % und chemotherapeu- oder > 20 Jahre), Asthma und gastrointestinale Vorer- tisch behandelt wurden 4 %. Bei n = 10 trat ein Acute krankung stellten sich als prädisponierende Faktoren Respiratory Distress Syndrom (ARDS) auf und mach- für eine notwendige unterstützende Beatmung dar. te eine maschinelle Beatmung erforderlich. In der Die Mortalität von C OVID-19 wird bei 0 – 19-Jährigen multivariablen Analyse wurden als prädisponieren- seit Beginn fortlaufend durch eine englische For- de Faktoren für eine intensivmedizinische Versor- schergruppe in 7 Ländern (USA, UK, Italien, gung Alter < 1 Monat (OR 5,6; 95 %-KI: 1,72 – 14,87), Deutschland, Spanien, Frankreich und Südkorea) männliches Geschlecht (OR 2,1; 95 %-KI: 1,6 – 4,21), untersucht und beträgt 0,17/100.000 Einwohner.28 Zeichen einer unteren Atemwegsinfektion bei Vor- stellung (OR 10,46; 95 %-KI: 5,16 – 21,23) und eine Auf Grundlage der Daten von 1.501 wegen oder mit vorbestehende Erkrankung (OR 3,27; 95 %-KI: einer SARS-CoV-2-Infektion hospitalisierten Kin- 1,67 – 6,42) identifiziert. dern und Jugendlichen in Deutschland, die durch
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 13 den COVID-19-Survey der DGPI erfasst wurden, In einem systematischen Review, der 39 Studien wurden Risikofaktoren für eine intensivmedizini- mit insgesamt 662 PatientInnen mit PIMS ein- sche Behandlung ermittelt (in Publikation befindli- schloss, wurden epidemiologische und klinische ches Manuskript Dr. J. Armann et al., Klinik und Charakteristika von PIMS beschrieben.31 Das mitt- Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am lere Alter lag bei 9,3 ± 0,5 Jahren und 52,3 % der Uniklinikum Dresden). Signifikant erhöhte relative Kinder und Jugendlichen waren männlich. Etwa die Risiken (RR) im vollständig adjustierten Modell hat- Hälfte der PatientInnen hatte Vorerkrankungen ten PatientInnen mit Trisomie 21 (RR: 4,24; 95 %- oder war übergewichtig. Fieber (100 %), Bauch- KI: 1,42 – 12,64), PatientInnen, die zusätzlich zu der schmerzen/Diarrhoe (74 %) und Erbrechen (68 %) SARS-CoV-2-Infektion eine weitere Koinfektion hat- waren die häufigsten Symptome. Auch Konjunktivi- ten (RR: 4,16; 95 %-KI: 2,03 – 8,50), sowie PatientIn- tiden (52 %) und Exantheme (56 %) wurden häufig nen mit einem primären Immundefekt (RR: 2,68; beobachtet. Etwa 60 % der PatientInnen wurde we- 95 %-KI: 1,15 – 6,24). In der bivariaten Analyse wur- gen einer Schocksymptomatik mit Katecholaminen den folgende Risikofaktoren ermittelt: Fettleber und Infusionen behandelt. Mehr als die Hälfte (RR: 7,98; 95 %-KI: 4,09 – 15,55), pulmonale Hyper- (54 %) der PatientInnen hatte einen auffälligen tonie (RR: 7,82; 95 %-KI: 4,24 – 14,43), Zustand nach Echokardiografiebefund, zumeist mit eingeschränk- Herzoperation (RR: 7,82; 95 %-KI: 4,24 – 14,43), ter linksventrikulärer Funktion. Auch Koronar zyanotische Herzerkrankungen (RR: 6,20; 95 %-KI: aneurysmen wurden beobachtet. Eine akute Nieren- 2,92 – 13,16), psychomotorische Retardierungen (RR: schädigung trat bei 16 % der Fälle auf. Bei den La- 4,80; 95%-KI: 2,90 – 7,93) und Epilepsie (RR: 2,33; borbefunden waren die stark erhöhten Entzün- 95%-KI: 1,09 – 4,94). Von den in Deutschland leben- dungs- und kardialen Marker auffällig. Ein hoher den 4,5 Mio. 12 – 17-Jährigen haben Schätzungen zu- Anteil (71 %) der PIMS-PatientInnen benötigte eine folge ca. 8,4% (n = 379.000) Vorerkrankungen.45 intensivmedizinische Versorgung und eine maschi- nelle Beatmung (22 %), 4,4 % sogar eine extrakor 2.6. Pediatric Inflammatory Multisystem porale Membranoxygenierung (ECMO). Im unter- Syndrome (PIMS) suchten PatientInnenkollektiv lag die Sterblichkeit Aus vielen von der SARS-CoV-2-Pandemie betroffe- bei 1,7 %. Klinisch ähnelt das PIMS dem Kawasaki- nen Ländern gibt es seit Ende April 2020 Berichte Syndrom (KS) und dem toxischen Schocksyndrom über Kindern mit einem schweren inflammatori- (TSS). Allerdings ist das Inflammationsgeschehen schen Krankheitsbild. Das sog. Pediatric Inflamma beim PIMS in der Regel ausgeprägter als bei KS und tory Multisystem Syndrome (PIMS) ist ein seltenes, TSS, die PatientInnen sind in der Regel älter und aber schwerwiegendes Krankheitsbild, das sich in Schocksymptomatik, Erbrechen, Durchfall und der Regel 3 – 4 Wochen nach einer symptomatischen Bauchschmerzen sind häufiger. Neben der supporti- oder asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektion ma- ven Therapie kommen Immunglobuline und im- nifestiert und in vielen Fällen mit Schocksymptoma- munmodulatorische Medikamente zum Einsatz. Das tik und in der Regel passagerer kardiorespiratori- zunächst neue Krankheitsbild wird von den behan- scher Insuffizienz einhergeht.29 Die Ätiologie ist un- delnden ÄrztInnen zunehmend besser verstanden klar, zur Häufigkeit gibt es noch keine verlässlichen und ist inzwischen in den meisten Fällen gut behan- Zahlen. Die DGPI definiert PIMS wie folgt:30 Fälle delbar (persönliche Kommunikation Prof. R. Berner, werden als PIMS gewertet, wenn neben (1) Fieber, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin (2) erhöhte systemische Inflammationsparameter am Uniklinikum Dresden). In Deutschland ist nach (CRP oder PCT), (3) mindestens zwei Organbeteili- der Erhebung der DGPI bis heute kein Kind oder gungen und (4) eine aktuelle (positiver SARS-CoV-2 Jugendlicher an PIMS verstorben.30 PCR- oder Antigen-Nachweis) oder stattgehabte (po- sitive SARS-CoV-2-Serologie) SARS-CoV-2-Infek 2.7. Long-COVID tion oder ein SARS-CoV-2-Kontakt nachzuweisen Es handelt sich bei Long-COVID nicht um ein ein- waren, sowie (5) andere infektiologische Ursachen heitliches Krankheitsbild. Als Long-COVID bzw. ausgeschlossen werden konnten. Post-COVID-19-Syndrom werden Krankheitszei- chen und Symptome beschrieben, die mehr als
Epidemiologisches Bulletin 23 | 2021 10. Juni 2021 14 12 Wochen nach Krankheitsbeginn bestehen bzw. präsentativen Bevölkerungsstichprobe.34 Der Anteil mehr als 12 Wochen nach Infektion auftreten, deren an TeilnehmerInnen, die über Long-COVID mit Pathogenese bisher nicht geklärt ist und für die kei- dem Fortbestehen einer Symptomatik über 12 Wo- ne andere Erklärung als die Folge einer SARS-CoV-2- chen nach Infektion berichteten, war bei den Infektion festzustellen ist. Vorläufige Erkenntnisse 25 – 34-Jährigen (18,2 %) am höchsten und bei den aus einem Review, das mehrheitlich Studien zum 2 – 11-Jährigen (7,4 %) und 12 – 16-Jährigen (8,2 %) Krankheitsbild bei Erwachsenen einschloss, deuten am niedrigsten. Die Prävalenz von Long-COVID darauf hin, dass Long-COVID schwere Auswirkun- war bei Frauen (14,7 %) höher als bei Männern gen auf die psychische Gesundheit, die Lebensqua- (12,7 %). Zu den häufigsten Symptomen gehörten lität, das soziale Leben und das Familienleben hat.32 Abgeschlagenheit (8,3 %), Kopfschmerzen (7,2 %), Husten (7,0 %) und Myalgien (5,6 %). Die Symptomatik von Long-COVID ist sehr variabel. Häufig sind Erschöpfungszustände (Fatigue), Atem- Eine Fallserie aus Schweden untersuchte die Lang- beschwerden, Geruchs- und Geschmacksstörungen, zeitfolgen bei 5 Kindern.35 Die Kinder hatten ein Konzentrations- und Schlafstörungen, Kopfschmer- mittleres Alter von 12 Jahren (Spanne 9 – 15 Jahre), zen, depressive Verstimmung und Herzrhyth- 4 waren Mädchen. Alle PatientInnen litten unter musstörungen. Die Symptome können über Wo- Abgeschlagenheit, Kurzatmigkeit, Herzrhyth- chen bis Monate anhalten. Bisher wurden größten- musstörungen und Thoraxschmerzen, vier litten an teils Studien zu Long-COVID bei Erwachsenen pub- Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Muskel- liziert, wohingegen die Datenlage bei Kindern noch schwäche, Schwindel und Halsschmerzen. sehr limitiert ist. Langzeitsymptome werden grund- sätzlich auch bei Infizierten beobachtet, die einen In einer Längsschnittstudie in Sachsen wurden milden bzw. wenig symptomatischen COVID-19- SchülerInnen der Klassenstufen 8 bis 12 an 14 wei- Krankheitsverlauf zeigen. Der Anteil an PatientIn- terführenden Schulen untersucht und im März/ nen mit Spätfolgen ist jedoch bei Personen, die im April 2021 mit einem validierten Fragebogen hin- Vorfeld schwer erkrankt waren, höher. sichtlich Auftreten und Häufigkeit von Long- COVID-Symptomen wie Konzentrations- oder Ge- Eine Studie aus Italien berichtete über 129 Kinder, dächtnisschwierigkeiten, Kopf-, Bauch- oder Glieder- deren COVID-19-Erkrankungen zwischen März und schmerzen, Fatigue, Schlafstörungen und Stim- November 2020 diagnostiziert worden waren.33 Es mungsschwankungen befragt.36 Von den teilneh- waren n = 62 (48,1 %) der Kinder weiblich und das menden 1.560 SchülerInnen mit einem Altersme mittlere Alter betrug 11 Jahre. Die akute COVID-19- dian von 15 Jahren waren 1.365 (88%) seronegativ, 188 Erkrankung war bei n = 33 (25,6 %) asymptomatisch (12%) seropositiv bzgl. SARS-CoV-2-Antikörper. An- und bei n = 96 (74,4 %) symptomatisch verlaufen; sonsten waren die SchülerInnen den gleichen Be- n = 6 (4,7 %) wurden stationär und n = 3 (2,3 %) in- dingungen von restriktiven Infektionsschutzmaß- tensivmedizinisch behandelt. Die Befragung zum nahmen und Homeschooling ausgesetzt. In keinem Heilungsprozess wurde im Mittel 162,5 Tage nach der abgefragten Merkmale fand sich ein Unterschied der Diagnosestellung durchgeführt. Es waren 41,8 % zwischen seropositiven und seronegativen Kindern vollständig genesen, 35,7 % hatten noch 1 oder 2 bzw. Jugendlichen. Symptome und 22,5 % ≥ 3 Symptome: Schlaflosig- keit (18,6 %), respiratorische Symptome (14,7 %), Es gibt bisher keine eindeutigen Hinweise für Risi- verstopfte Nase (12,4 %), Abgeschlagenheit (10,8 %) kofaktoren, die ein Long-COVID begünstigen. Das Myalgien (10,1 %) und Gelenkbeschwerden (6,9 %) weibliche Geschlecht, zunehmendes Alter, beste- waren die häufigsten Symptome. Eltern von 12 % hende Komorbiditäten, die Schwere der durchge- der Kinder gaben an, dass die andauernden Symp- machten COVID-19-Erkrankung und Adipositas tome die Kinder deutlich belasteten. werden als mögliche Risikofaktoren diskutiert. Au- ßerdem wird vermutet, dass eine COVID-19-Erkran- Eine Studie aus dem Vereinigten Königreich unter- kung, die mehr als 5 verschiedene Symptome auf- suchte die Prävalenz von Long-COVID in einer re- wies, häufiger mit dem Übergang in Long-COVID
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