Zum Verhältnis von Prospekthaftung und Einlagenrückgewähr beim Erwerb von Aktien auf dem Sekundärmarkt
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2 Juridicum Law Review Vol 1:1 Zum Verhältnis von Prospekthaftung und Einlagenrückgewähr beim Erwerb von Aktien auf dem Sekundärmarkt HANNES SCHLAGER* Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ______________________________________________________________ 3 I. Sachverhalt __________________________________________________________________________ 3 II. Höchstgerichtliche Entscheidung und Rechtsfrage ____________________________________________ 4 B. Prospekt und Prospekthaftung nach § 11 KMG _________________________________ 4 I. Allgemeines _________________________________________________________________________ 4 II. Inhalt und Kausalitätsproblem ___________________________________________________________ 4 a) Exkurs: Anlagestimmung ___________________________________________________ 5 b) Mitverschulden nach § 1304 ABGB ___________________________________________ 5 C. Verbot der Einlagenrückgewähr bei Aktiengesellschaften __________________________ 5 D. Das Spannungsfeld zwischen Prospekthaftung und Kapitalerhaltung __________________ 6 I. Meinungen und Lösungen der Lehre: _____________________________________________________ 6 a) Begrenzung auf ausschüttbare Mittel __________________________________________ 6 b) Unterscheidung zwischen Anlegern ___________________________________________ 8 c) Aktionär als bloßer Drittgläubiger _____________________________________________ 9 d) Lehre des fehlerhaften Verbands _____________________________________________ 9 e) Schadenersatzanspruch und das Verbot des Erwerbs eigener Aktien _________________ 10 II. Lösung der Rsp aus den beiden Grundsatzentscheidungen ____________________________________ 11 a) 7 Ob 77/10i_____________________________________________________________ 11 b) 6 Ob 28/12d ____________________________________________________________ 12 E. Deutsche Rechtslage (insb BGH II ZR 287/02) _________________________________ 13 I. Deutschland ________________________________________________________________________ 13 a) Historische Rechtsprechung ________________________________________________ 13 b) BGH II ZR 287/02 vom 9.5.2005 (EM.TV)____________________________________ 14 F. Haftungsanspruch in der Insolvenz __________________________________________ 15 G. Ausblick_______________________________________________________________ 16 I. Interessenwahrung aller Beteiligten _______________________________________________________ 16 II. (Marktrechtlicher) Gleichbehandlungsgrundsatz _____________________________________________ 17 III. Generalisierung der Schadensbewältigung _________________________________________________ 17 H. Organaußenhaftung als Alternative __________________________________________ 17 I. Richtlinienkonforme Interpretation und rechtspolitische Tendenzen _____________________________ 18 II. (Bleibende) Geltende Rechtslage in Österreich _____________________________________________ 18 I. Eigene Stellungnahme ____________________________________________________ 20 * Hannes Schlager, Student an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Juridicum Wien.
3 Juridicum Law Review Vol 1:1 A. Einleitung Dieser Artikel behandelt die im Titel genannte Problematik des Verhältnisses zwischen kapitalmarktrechtlicher Prospekthaftung und gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltungsmaßnahmen. Sogleich erfolgt eine kurze Zusammenfassung des Sachverhalts der Entscheidung des OGH vom 15.3.2012 mit der GZ 6 Ob 28/12d, welche die Grundlage dieser Erörterung darstellt. Anschließend möchte ich die Problematik auf theoretischer Ebene unter Bezugnahme der in Österreich vertretenen Meinungen und einschlägigen Entscheidungen detaillierter betrachten. Dazu passend werde ich noch den Gedanken (der Ausweitung) der Organaußenhaftung und der Behandlung der Prospekthaftungsansprüche in der Insolvenz betrachten und die Erwägungen für die zukünftige Neuausrichtung der Emittentenhaftung zusammenfassen. Abschließend folgt eine kurze Stellungnahme des Autors. I. Sachverhalt Der Kläger hat Aktien erworben, die mittlerweile mehr als die Hälfte an Wert eingebüßt haben. Er begehrt nun die Feststellung der Haftung der Emittentin als Beklagte für alle sich durch den Aktienkauf künftig in seinem Vermögen ergebenden Schäden. Das Schadenersatzbegehren stützt er auf die kapitalmarktrechtliche Prospekthaftung nach § 11 KMG. Außerdem wirft er der Beklagten vor, sie hätte unrichtige Kapitalmarktinformationen gestreut, ihre Immobilien überbewertet, wesentliche Informationen über die Geschäftsgebahrung nicht gemeldet und im Allgemeinen Marktmanipulation nach § 48a BörseG betrieben. Eigentlich wollte der Kläger sein Vermögen risikoarm und vernünftig anlegen. Bei Kenntnis der wahren Umstände, insbesondere der Verlustwahrscheinlichkeit der Aktien, hätte er diese nicht erworben. Genau diese wahren Umstände seien ihm von der Beklagten aber vorenthalten worden. Die Beklagte wandte daraufhin ein, dass ein Schadenersatzanspruch – sollte ein solcher bestehen – grundsätzlich gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 52 AktG verstoßen würde. Ihrer Meinung nach gingen die Interessen der sonstigen Gläubiger denjenigen des auf den Prospekt vertrauenden Aktionärs vor. Außerdem sei sie gar nicht passivlegitimiert. Aufgrund eines Spaltungs- und Übernahmsvertrages seien alle Ansprüche gegen sie im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihre Rechtsnachfolgerin, die I-Beteiligungsverwaltungs AG übergegangen. Das Erstgericht wies die Klage ab. Zum einen legt es dar, dass der Kläger den Anspruch gegen die Beklagte als Emittentin begehre. Diese hat aber einen Teil der klagsgegenständlichen Aktien gar nicht emittiert, wodurch bereits dadurch der Anspruch hinsichtlich dieser Aktien ins Leere gehen würde. Zum anderen bestätigt das Gericht den Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr. Das Berufungsgericht hingegen gibt der Berufung statt und führt aus, dass die Klage nicht allein schon wegen eines bloßen Verstoßes gegen das Verbot nach § 52 AktG abzuweisen sei. Es erteilt in gewissem Maße einen „Verbesserungsauftrag“ an den Kläger. Dieser möge das Klagebegehren konkretisieren, insb den Kausal- und Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der behaupteten Fehlinformation und dem dadurch eingetretenen Schaden darlegen.
4 Juridicum Law Review Vol 1:1 II. Höchstgerichtliche Entscheidung und Rechtsfrage1 Der OGH gab dem Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des OLG Wien, mit dem wiederum das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wurde, nicht statt. Kurz gesagt sieht er den Prospekthaftungsanspruch nach § 11 KMG gegenüber dem Kapitalerhaltungsgrundsatz als vorrangig an. Dieser Anspruch stellt seiner Meinung nach keine verbotene Einlagenrückgewähr dar, weil die Auszahlung nicht „causa societatis“ erfolge.2 Auf das Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtsinstituten soll nun im Folgenden näher eingegangen werden. B. Prospekt und Prospekthaftung nach § 11 KMG I. Allgemeines Bevor im Inland ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder Veranlagungen gestellt werden kann, ordnet § 2 KMG an, dass spätestens einen Werktag zuvor ein nach den Bestimmungen des KMG erstellter und kontrollierter („gebilligter“) Prospekt veröffentlicht werden muss. Ist dies nicht passiert und haben Anleger die Wertpapiere trotzdem erworben, kommt ihnen – sofern sie Verbraucher sind – das Rücktrittsrecht nach § 5 KMG zugute. Dieses erlischt erst eine Woche nach dem (späteren) Veröffentlichen des Prospekts.3 Neben dem Rücktrittsrecht und der allgemeinen schadenersatzrechtlichen Haftung bietet § 11 KMG gleichermaßen als „Nachfolgeregelung“ des § 80 BörseG4 einen besonderen Haftungstatbestand für mangelhafte Prospekte. Schon die Erläuterungen zu § 11 KMG geben das vorrangige Ziel der Prospekthaftung an:5 „Die Bestimmungen der Prospekthaftung sollen auch eine spezielle zivilrechtliche Schadloshaltung des Anlegers in Bezug auf gesetzwidrige Prospektinformationen gegenüber den Personen, die für den Prospekt Verantwortung tragen, sowie gegenüber Personen, die gewerbsmäßig mit Wertpapieren oder Veranlagungen handeln oder Verträge hierüber gewerbsmäßig vermitteln, ermöglichen. “ II. Inhalt und Kausalitätsproblem Die Prospekthaftung ist eine spezialgesetzlich vertypte Form der culpa in contrahendo, der Haftung aus der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten.6 Der Veräußerer muss den Anleger bereits vor Abschluss des Zeichnungsvertrags über die für den Aktienkauf relevanten Umstände informieren. Dies soll dem Funktionieren des Kapitalmarkts dienen. 7 Die Prospekthaftung greift eben genau dann, wenn diese Informationen und damit auch der Prospekt mangelhaft sind. Mangelhaft ist ein Prospekt dann, wenn er widersprüchlich, unverständlich, unvollständig oder schlicht unrichtig ist. Diese Mangelhaftigkeit muss kausal für die Erwerbsentscheidung gewesen sein, wobei ein prima-facie Beweis ausreicht.8 Die Höhe der Prospekthaftung hängt vom Verschulden der Emittentin ab, ist aber – außer 1 Siehe im Detail Punkt D.II.b). 2 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung bei der AG, der GmbH sowie GmbH&Co KG 364. 3 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 345. 4 Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, § 11 Rz 1ff. 5 EBRV 147 BlGNR 18. GP 20f. 6 Gruber, Prospekthaftung der AG versus Kapitalerhaltung, GesRZ 2010/2. 7 6 Ob 28/12d, OGH v. 15.3.2012 8 Lorenz in Zib/Russ/Lorenz, KMG, § 11 Rz 4.
5 Juridicum Law Review Vol 1:1 es liegt vorsätzliches Handeln vor – mit dem bezahlten Erwerbspreis zzgl Spesen und Zinsen begrenzt.9 a) Exkurs: Anlagestimmung Dieser angesprochene prima-facie Beweis muss aber nicht einmal die „eigene Kenntnis“, also jene des betroffenen Aktionärs, vom Prospekt nachweisen. In der Praxis zeigt sich, dass Anlageprospekte meist gar nicht gelesen werden. Vielmehr verlassen sich Anleger auf die Beratung ihrer Finanzexperten, Bankberater, oder aber auch auf Werbung, Artikel der Wirtschaftspresse oder gar auf Meinungen von Bekannten, die selbst so veranlagt haben.10 Damit der Kausalität nun genüge getan wird, reicht es der hM nach aus, wenn die durch die unrichtigen Prospektangaben generierte positive Anlagestimmung es ermöglicht, einen gelockerten Zusammenhang zwischen dem Prospekt und der Anlageentscheidung herzustellen. Der Anleger muss den Anscheinsbeweis somit nicht hinsichtlich seiner Kenntnis des Prospekts, sondern lediglich hinsichtlich der Tatsache führen, dass der Prospekt zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung erhältlich war. Je mehr Zeit aber zwischen dem Veröffentlichen des Prospekts und der Erwerbsentscheidung des Anlegers liegt, desto „schwächer“ wird der Beweis.11 Obwohl für Anleger vorteilhaft, findet das aus Deutschland kommende und von der österreichischen Rsp angewandte Rechtsinstitut der Anlagestimmung nicht uneingeschränkt Zustimmung.12 b) Mitverschulden nach § 1304 ABGB Mit dem bisher Gesagten einhergehend braucht der Anleger die Prospektangaben freilich auch nicht zu kontrollieren, was ihm aufgrund seiner regelmäßig mangelnden Fachkenntnis auch nicht möglich sein wird. Er darf sich also auf die im Prospekt enthaltenden Angaben verlassen.13 Dementsprechend führt die unterlassene Kontrolle auch nicht zu einem ihm anzulastenden Mitverschulden. Zutreffend wird aber darauf hingewiesen, dass der Anleger aber dann leer ausgeht, wenn er den Prospektfehler kannte. 14 C. Verbot der Einlagenrückgewähr bei Aktiengesellschaften Wie der Erwerb eigener Aktien gehört auch das Verbot der Einlagenrückgewähr zu den meistdiskutierten und wichtigsten Themen des Gesellschaftsrechts. Bei der Aktiengesellschaft wird dieses Verbot in § 52 AktG normiert. Grundsätzlich haben die Aktionäre nur Anspruch auf den Bilanzgewinn, der in Form einer Dividende ausgeschüttet wird. Darüber hinausgehende Zahlung sind zwar grundsätzlich zulässig, doch muss genauer überprüft werden, ob dem Aktionär nicht seine Einlage zurückbezahlt wird. Gerade bei Kapitalgesellschaften wären die umfangreichen Kapitalaufbringungsvorschriften nämlich nur von eingeschränktem Nutzen, würde man das aufgebrachte Kapital nachträglich nicht schützen.15 § 52 AktG möchte sicherstellen, dass das Anfangsvermögen der Gesellschaft nicht sogleich wieder an die Gesellschafter zurückgezahlt wird, sei es durch Geldleistungen oder durch andere (verdeckte) Vermögenszuwendungen. Der Fokus liegt klarerweise auf den weit weniger offensichtlichen 9 Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG I5 § 52 Rz 4. 10 Hofmann, Kausalitätserfordernis und „positive Anlagestimmung“ bei der Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen, GeS 2011, 317. 11 Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht I1, § 11 Rz 25. 12 Hofmann, Kausalitätserfordernis, GeS 2011, 317 (319f). 13 Dullinger, Aktuelle Fragen der Haftung wegen Beratungsfehlern bei der Vermögensanlage, JBl 2011, 693 (698). 14 Lorenz in Zib/Russ/Lorenz, KMG, § 11 Rz 14. 15 Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, zu § 52 Rz 1f.
6 Juridicum Law Review Vol 1:1 verdeckten Zuwendungen. Diese sind meist in ein rechtlich (anscheinend) zulässiges Umsatzgeschäft gekleidet. Ob ein Geschäft mit einem Aktionär unter das Verbot der Einlagenrückgewähr fällt, ist im Lichte des Drittvergleichs zu prüfen.16 Hiebei kommt es darauf an, ob das fragliche Geschäft auch mit einem an der Gesellschaft nicht beteiligten Dritten in der Form und – vor allem – zu den gleichen Konditionen geschlossen worden wäre.17 Um nicht unter das Verbot zu fallen, ist es also notwendig, dass der Aktionär wie ein Dritter behandelt wird („at arm’s length“).18 Da das Verbot der Einlagenrückgewähr normalerweise im Rahmen der universitären Lehrveranstaltungen eingehend behandelt wird, soll hier von einer detaillierteren Darstellung Abstand genommen werden. D. Das Spannungsfeld zwischen Prospekthaftung und Kapitalerhaltung Sofern die AG in einem öffentlichen Angebot unrichtige oder unvollständige Informationen über ihre Aktien erteilt, haftet sie bei Verschulden nach allgemeinem Schadenersatzrecht (§§ 1293 ff ABGB) und darüber hinaus verschuldensabhängig nach der besonderen kapitalmarktrechlichen Prospekthaftung des § 11 KMG. Die Zahlung des Ersatzes an den Aktionär führt aber dazu, dass er eine finanzielle Zuwendung von der Gesellschaft erhält, die naturgemäß kein Bilanzgewinn ist und daher gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen würde. Hier zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht. Während das Kapitalmarktrecht den Gesellschafter wie einen Gläubiger sieht – was auch daran zu erkennen ist, dass das KMG ihn gemäß § 1 Abs 1 Z 5 als „Anleger“ bezeichnet – wird er vom Gesellschaftsrecht eher als Risikoträger eingestuft, der seine Interessen nach jenen der Drittgläubiger einzureihen hat.19. Auf die Frage, welcher Norm nunmehr der Vorrang einzuräumen ist, lässt sich aus den jeweiligen Materialien bzw den zugrunde liegenden Richtlinien – Kapitalrichtlinie 77/91/EWG und Prospekt-Richtlinie 2003/71/EG – keine Antwort ableiten.20 Dementsprechend gibt es einige unterschiedliche Lösungsvorschläge, die in der Folge geordnet dargestellt werden sollen. I. Meinungen und Lösungen der Lehre: a) Begrenzung auf ausschüttbare Mittel Kalss, Zivny und auch Artmann setzen sich dafür ein, die Ersatzansprüche der Aktionäre nur insoweit zu gewähren, als sie aus freien Mitteln der AG, also allfälligen freien Rücklagen, dem Gewinn und dem Gewinnvortrag, bezahlt werden können.21 Die übrigen Aktionäre hätten dies ebenso zu dulden, wie bei einem „normalen“, anderweitig 16 Rüffler, Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen, in FS Straube (2009) 121. 17 Rieder/Huemer, Gesellschaftsrecht2, 286f. 18 Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, zu § 52 Rz 23. 19 Rüffler in FS Straube 121. 20 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 343f. 21 Kalss, Anlegerinteressen 221; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht I1, § 11 Rz 47; Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG I5 § 52 Rz 5; Zivny, KMG § 11 Rz 60; Lorenz in Zib/Russ/Lorenz, KMG § 11 Rz 31f; Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 52 Rz 19.
7 Juridicum Law Review Vol 1:1 aufgetretenen Schaden, der zur Kürzung der Dividende führen kann.22 Das Grundkapital sowie gebundene Rücklagen stünden ausnahmslos nicht zur Verfügung. In analoger Anwendung der verschmelzungsrechtlichen Bestimmungen über den Ausgleich bei einem unangemessenen Umtauschverhältnis (§§ 225e Abs 3 iVm 225j Abs 2 AktG) treten Doralt/Winner dafür ein, dem Aktionär in Höhe seines Ersatzanspruches primär zusätzliche Aktien, die entweder aus dem eigenen Bestand oder aus einer nominellen Kapitalerhöhung stammen sollen, zu übertragen.23 EXKURS: Überprüfung des Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen Wesentliche Merkmale einer Verschmelzung von Gesellschaften sind, dass das Vermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht, wobei die übertragende Gesellschaft selbst (unter Ausschluss der Abwicklung) aufgelöst wird.24 Da die Aktionäre einer im Nachhinein aufgelösten übertragenden Gesellschaft nicht einfach so ihre Anteile verlieren können, werden ihnen Anteile an der übernehmenden Gesellschaft gewährt. Dabei muss aber beachtet werden, dass die „neuen“ Anteile dem Wert entsprechen, den ihre „alten“ Anteile hatten. MaW: Die mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre dürfen durch die Verschmelzung und das Umtauschen ihrer Anteile nicht verwässert werden.25 Um aber die Verschmelzung – die vorher schon von den Aktionären in der HV beschlossen wurde – rasch durchführen zu können, wird den Aktionären in § 225b AktG26 die Anfechtung eben genau dieses Beschlusses verwehrt, wenn als Anfechtungsgrund die „Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses oder der allfälligen baren Zuzahlungen“ behauptet wird.27 Das verschmelzungsrechtliche Überprüfungsverfahren, das in den §§ 225c AktG geregelt ist, dient dazu, dieses Umtauschverhältnis nachträglich doch noch gerichtlich überprüfen zu lassen. Grundsätzlich soll die subjektive Wertäquivalenz der Anteile durch die Zahlung eines Barausgleichs an die Aktionäre erreicht werden.28 In § 225e Abs 3 S 2 AktG wird der übernehmenden Gesellschaft aber das Recht eingeräumt, bei Gericht einen Antrag zu stellen, sie zu ermächtigen, statt des Barausgleichs zusätzliche Aktien zu leisten. Hat das Gericht diesen Antrag bewilligt, normiert § 225j Abs 2 AktG, dass hierfür vorrangig eigene Aktien zu verwenden sind. Erst wenn diese nicht ausreichen, dürfen neue ausgegeben werden. Nach Doralt/Winner müsste der Aktionär die ihm gewährten Aktien gleichsam als Naturalrestitution annehmen, was einen Vermögensabfluss bei der leistungspflichtigen AG verhindern würde. 29 Erst wenn das nicht möglich ist, dürfe man auf die freien Mittel der AG greifen. Dieser Meinung wird zutreffend entgegengehalten, dass der Aktionär grundsätzlich das Recht habe, frei zu wählen, welche Befriedigungsmöglichkeit er in Anspruch nehmen möchte. 30 In den wenigsten Fällen wird es wohl gewünscht sein, noch mehr von jenen Wertpapieren zu erhalten, über die man angeblich getäuscht wurde. Außerdem würde das 22 Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG I5 § 52 Rz 4. 23 Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 52 Rz 18; Doralt/Winner in MünchKomm AktG2, § 57 Rz 227ff; ablehnend Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG I5 § 52 Rz 4. 24 Rieder/Huemer, Gesellschaftsrecht2 423. 25 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 225c Rz 2. 26 Siehe auch § 195 Abs 4 S 2 AktG. 27 Helbich/Wiesner/Bruckner, Handbuch der Umgründungen Rz 164. 28 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 225c Rz 7. 29 Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 52 Rz 18. 30 Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 52 Rz 19; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 364.
8 Juridicum Law Review Vol 1:1 Prozedere der Schaffung von zusätzlichen Aktien im Wege der Kapitalberichtigung einerseits erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, weswegen der Aktionär mit seinem Ersatzanspruch zuwarten müsse, was aber abzulehnen ist.31 Andererseits sieht § 3 Abs 4 KapBG vor, dass „die neuen Anteilsrechte […] den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Anteile am bisherigen Nennkapital kraft Gesetzes zu[stehen]“ und „ein entgegenstehender Beschluß […] nichtig [ist]“. De lege lata ist es daher – außer unter Umgehung des (auch) hier angeordneten Gleichbehandlungsgrundsatzes – nicht möglich, die durch eine nominelle Kapitalerhöhung geschaffenen Aktien lediglich zur Befriedigung des Schadenersatzanspruchs eines oder weniger Aktionäre zu verwenden, da jene Aktionäre die nicht geschädigt wurden, gleichermaßen um ihren Anteil „umfallen“ würden. b) Unterscheidung zwischen Anlegern Reich-Rohrwig möchte hinsichtlich der Schutzwürdigkeit der Anleger differenzieren und befindet – ähnlich wie Jabornegg32 – Kleinanleger schutzwürdiger als Großanleger. Kleinanlegern könne man die gesetzlichen Informationspflichten und das Informationsrisiko nicht zumuten. Außerdem würden die Kosten des Prüfungsaufwands für diese Anleger wirtschaftlich unvertretbar sein. Das Vertrauen der Klein- und Kleinstanleger auf die Richtigkeit des Prospekts ist daher besonders stark zu schützen. Aus diesem Grund ist ihnen der Prospekthaftungsanspruch „mit vollem Gläubigerstatus“ zu gewähren.33 Zur Unterscheidung zwischen Klein- und Großanlegern soll § 3 KMG dienen. Dieser normiert Ausnahmen von der in § 2 KMG normierten Prospektpflicht. Reich-Rohrwig bezieht sich auf §§ 3 Abs 1 Z 9 und 11 KMG.34 Großanleger wären demnach einerseits jene Anleger, die Veranlagungen ab einem Mindestbetrag von EUR 100.000 (im Zeitpunkt des Verfassens – EUR 40.000) bzw solche mit einer Mindeststückellung von EUR 100.000 (im Zeitpunkt des Verfassens – EUR 40.000) erwerben und andererseits sog qualifizierte Anleger iSd § 1 Abs 1 Z 5a KMG iVm §§ 58, 59 WAG. Dass für diese Anleger schon gar kein Prospekt erstellt werden muss, stelle klar, dass sie vom Gesetz als weniger schutzwürdig erachtet werden. Dies bedeutet aber freilich nicht, dass man ihnen den Prospekthaftungsanspruch komplett verwehren würde. Vielmehr können sie insoweit von der AG Ersatz verlangen, als durch den Vermögensabfluss nicht die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit („im konkursrechtlichen Sinn“; nach geltender Rechtslage § 66 und 67 IO) der AG herbeigeführt werde.35 Durch den Prospekthaftungsanspruch darf also das Bestehen der Gesellschaft bzw des Unternehmens nicht gefährdet werden. Für Kleinanleger ergibt sich der erhöhte Schutz aus dem Ziel der Emissionsprospektrichtlinie. Diese soll einen „wirksamen Schutz der Sparer bei der Anlage von Geldern in Wertpapieren […]“36 bewirken. Aus dem Terminus „Sparer“ leitet Reich- Rohrwig einen Bezug auf Klein- und Kleinstanleger ab. Obgleich die Rechtsprechung der Meinung Reich-Rohrwigs nicht folgt (siehe Punkt D.II.a)), findet er doch Zustimmung von Rüffler. Dieser vermeint ebenfalls, dass die Bestimmungen über Großanleger jene Aktionäre betreffen, die vom KMG eindeutig als 31 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 364. 32 Jabornegg in Schiemer/Jabornegg/Strasser, AktG3 § 65 Rz 24. 33 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 366. 34 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 366. 35 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 366. 36 RL 89/298/EWG v. 17.4.1989 (Erwägungsgrund 1).
9 Juridicum Law Review Vol 1:1 weniger schutzwürdig angesehen werden. Wenn man nun die Schutzwürdigkeit für diese Personen verneint, verneint man auch die Ableitungsbasis für den Vorrang der Prospekthaftung. Man könnte somit die Anwendung von § 52 AktG annehmen und einen Schadenersatzanspruch verwehren.37 c) Aktionär als bloßer Drittgläubiger Rüffler vertritt eine prominentere These, nach der er den Aktionär im Falle von Prospekthaftungsansprüchen vollkommen von seiner Gesellschafterstellung loslöst. Er stützt sich dazu auf eine frühere Arbeit Martens’, die schon die Frage behandelt, ob die haftungsbegründende Informationspflichtverletzung einem Aktionärsrecht oder einem Gläubigerrecht näher steht.38 Rüffler spricht sich für die Nähe zum Gläubigerrecht aus. Dies, weil das KMG Verhaltenspflichten der Gesellschaft am Markt gegenüber potentiellen Anlegern normiert.39 Da das Verbot der Einlagenrückgewähr einen Gesellschafter, der in dieser Hinsicht die Stellung eines Drittgläubigers genießt, nicht tangiert, ist es auch nicht notwendig, Schadenersatzansprüche auf das ausschüttbare Vermögen zu beschränken. Oft wird auch davon gesprochen, dass die Schadenersatzzahlung nicht causa societatis erfolgen würde.40 Der Gewährung im Ausmaß von verfügbarem weil ausschüttbarem Vermögen, seien überdies praktische Folgeprobleme (wie etwa Bewertungen) immanent.41 d) Lehre des fehlerhaften Verbands Es verwundert nicht, dass Rüffler bezeichnend davon spricht, dass bestimmte Autoren im Zuge der gegenständlichen Diskussion bereits zu „moving targets“ geworden sind.42 Gruber wettert regelrecht gegen die Meinung Rüfflers. Seiner Meinung nach handelt es sich bei einem Zeichnungsvertrag um einen organsationsrechtlichen bzw korporationsrechtlichen Vertrag und nicht um ein bloßes Drittgeschäft. Entscheidend ist für ihn, dass den Aktionär die Pflicht zur Einlageleistung treffe und er damit nicht als bloßer Gläubiger sondern als Verbandsmitglied und Risikoträger gelte.43 Als Aktionär kann bei der Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen aber die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft einschlägig sein. Diese Lehre behandelt das Problem, dass eine Gesellschaft ex-tunc aufzulösen wäre, wenn ein Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag wegen Irrtums gemäß § 871 ABGB anficht. Das hätte aber die unbillige Folge, dass den Gläubigern der Gesellschaft auf einmal kein Vertragspartner mehr gegenüberstünde bzw rechtlich nie gegenüberstand. Auch die im Innenverhältnis der Gesellschaft auftretenden Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung – Beschlüsse sind gefasst, Leistungen erbracht und Gewinne entnommen worden44 – haben dazu veranlasst, die Irrtumsanfechtung des Gesellschafters ins Leere laufen zu lassen. Demnach ist eine Anfechtung und ex-tunc Auflösung der Gesellschaft dann nicht möglich, wenn diese bereits in Vollzug gesetzt wurde und keine gewichtigen Interessen der 37 Rüffler in FS Straube 127f. 38 Martens, Die Anzeigepflicht des Verlustes des Garantiekapitals nach dem AktG und dem GmbHG, ZGR 1982, 254ff; Rüffler in FS Straube 124f. 39 Rüffler in FS Straube 124f. 40 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 364, so auch 6 Ob 28/12d. 41 Rüffler in FS Straube 125. 42 Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung und Gesellschaftsrecht 1. 43 Gruber, Prospekthaftung, GesRZ 2010/2. 44 Rüffler in FS Straube 126.
10 Juridicum Law Review Vol 1:1 Allgemeinheit bzw besonders schutzwürdiger Personen für eine Auflösung sprechen würden.45 Mängel in der Gesellschaftsgründung oder des fehlerhaften Beitritts können nur im Wege der Kündigung bzw der Auflösung ex-nunc geltend gemacht werden.46 Gruber konstatiert, dass die Prospekthaftung nach § 11 KMG nur eine sondergesetzlich vertypte Haftung aus culpa in contrahendo darstelle.47 Als solche ist sie einer irrtumsrechtlichen Anfechtung sehr nahe. Wertungsmäßig könne daher für einen Anspruch aus der Prospekthaftung nichts anderes gelten, wie auch für die Irrtumsanfechtung. Die Geltendmachung von beiden sollte ins Leere laufen. Rüffler spricht sich gegen die Anwendung der Lehre der fehlerhaften Gesellschaft aus. Er konstatiert, dass ein Schadenersatzanspruch, der mittels Rückgabe der Aktien an die Gesellschaft einerseits und andererseits durch Rückzahlung des Erwerbspreises abgewickelt wird, gar keine ex-tunc-Abwicklung darstellt. Der geschädigte Aktionär sei ja bis zur Rückgabe der Aktien Aktionär der Gesellschaft geblieben. Es kommt damit weder zu Rückabwicklungsschwierigkeiten im Innenverhältnis, noch wird den Gläubigern ein Haftungssubjekt entzogen. Was allerdings schon Beachtung erfordert, ist, dass mit dem Ausscheiden des Aktionärs (zwar kein Haftungssubjekt aber doch) Vermögen zugunsten einzelner Aktionäre entzogen wird. Dass ein geschädigter Aktionär „sein“ Vermögen aus der Gesellschaft abziehen kann, widerspricht der dieser Lehre immanenten Teleologie, dass die Interessen des Aktionärs hinter jene der Gläubiger zurückzutreten haben. Gleichwohl kann man diesen Widerspruch auflösen, weil eben nur jene Ansprüche vom „Zurücktreten“ erfasst sind, die mit der Mitgliedschaft, dem Beitritt oder der Stellung als Aktionär in Zusammenhang stehen. Wie Rüffler aber umfangreich ausführt (siehe Punkt D.I.c)), wird der Aktionär aber bezüglich seines Prospekthaftungsanspruchs als Drittgläubiger angesehen, weswegen er nicht „hinter anderen Gläubigern zurückstehen muss“.48 e) Schadenersatzanspruch und das Verbot des Erwerbs eigener Aktien Wird die Emittentin zum Ersatz des Schadens verurteilt, muss sie – sofern der Kläger die Aktien noch hält – Zug-um-Zug die Aktien des Klägers gegen Zahlung des Erwerbspreises zurücknehmen. § 52 AktG sieht die Rückzahlung des Erwerbspreises prinzipiell als verbotene Einlagenrückgewähr an, die nur dann zulässig ist, wenn man den Erwerb eigener Aktien unter einen der Ausnahmetatbestände der §§ 65 ff AktG subsumieren könnte. Die Lehre sieht die Ausnahmetatbestände des § 65 Abs 1 Z 1 – zur Abwendung eines schweren, unmittelbar bevorstehenden Schadens – oder Z 5 AktG – zur Entschädigung von Minderheitsaktionären – als einschlägig an.49 Gruber führt aus, dass § 65 Abs 1 Z 1 schon deswegen nicht in Betracht kommt, weil es bei dem vorausgesetzten „schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden“ um einen Schaden der AG geht und nicht um einen Schaden des Aktionärs. Macht der geschädigte Aktionär legitime Aktionärsrechte – darunter wird auch ein Prospekthaftungsanspruch verstanden – geltend, so ist die Ausnahme nach Z 1 nicht gerechtfertigt.50 45 Rieder/Huemer, Gesellschaftsrecht2 59f. 46 Rüffler in FS Straube 126; EBRV 147 BlGNR 18. GP 21. 47 Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung der Aktiengesellschaft und Kapitalerhaltungsgrundsatz, JBl 2007, 2; Rüffler in FS Straube 125. 48 Rüffler in FS Straube 126f. 49 Rüffler in FS Straube 121. 50 Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung, JBl 2007, 2 (8).
11 Juridicum Law Review Vol 1:1 Vielmehr sei die Anwendung der Z 5 „wohl hM“. Der Erwerb ist demnach zur Entschädigung von Minderheitsaktionären zulässig, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist. Es wird vertreten, dass die Z 5 auch per analogiam auf Fälle angewendet werden kann, in denen die Rücknahmeverpflichtung auf einem Prospekthaftungsanspruch beruht. Für Gruber ist aber zweifelhaft, ob mit dem Prospekthaftungsfall eine Rücknahmeverpflichtung einhergeht.51 Einerseits sieht er die Übernahme eigener Aktien durch die Gesellschaft – wie schon in der Entscheidung „EM-TV“ (zur Entscheidung siehe auch E.I.b)) angesprochen – lediglich als eine Folge der Besonderheiten der kapitalmarktrechtlichen Naturalrestitution. Andererseits möchte er die Zulässigkeit der Rückgabe der Aktien mit einer Rückgabeverpflichtung des Aktionärs begründen. Diese resultiere aus dem schadenersatzrechtlichen Bereicherungsverbot. Erhielte der Aktionär nämlich den zugesprochenen Kaufpreis, ohne die Aktien zurückgeben zu müssen, so würde auf Seiten des Aktionärs eine ungerechtfertigte Bereicherung eintreten.52 Für Rüffler erübrigt sich das Finden einer Lösung des Konflikts zwischen § 52 und § 65 AktG, da – seiner Meinung nach – das KMG den Anleger sowieso als Drittgläubiger sieht. Bei einem Drittgläubiger kann aber wiederum kein Verstoß gegen § 52 AktG vorliegen, womit sich eine Prüfung der Ausnahmetatbestände nach §§ 65 ff AktG erübrigt.53 II. Lösung der Rsp aus den beiden Grundsatzentscheidungen Da die gegenständliche Entscheidung bzw deren Argumentation im Wesentlichen auf der Grundsatzentscheidung 7 Ob 77/10i fußt, werde ich zunächst deren Lösungsweg aufzeigen. Anschließend werde ich etwaige Differenzen oder weiterführende Argumentation der gegenständlichen Entscheidung des 6. Senats darlegen. a) 7 Ob 77/10i54 Ähnlich wie in 6 Ob 28/12d, möchte die Klägerin einen Prospekthaftungsanspruch geltend machen. Sie stützt ihr Klagebegehren demnach auf § 11 KMG und bringt vor, dass „die Darstellung der Tätigkeit, Strategie und Risikofaktoren in den Kapitalerhöhungsprospekten 2006 und 2007 […] unrichtig, in jedem Fall irreführend, verkürzt oder verklausuliert gewesen [sei].“ Anders als in der E des 6. Senats hat die Klägerin die Aktien hier am Primärmarkt, konkret im Rahmen der Kapitalerhöhungen 2006 und 2007 gezeichnet. i. Der OGH spricht aus, dass die Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen dem Verbot der Einlagenrückgewähr nicht entgegensteht. Der 7. Senat folgt hier der Meinung Rüfflers und behandelt den Aktionär als bloßen Drittgläubiger. Und gerade weil die Zahlung nicht causa societatis erfolge, sieht er auch die Beschränkung auf das ausschüttbare Vermögen als nicht geboten. Außerdem stellt sich dann das Problem der Gleichbehandlung der Aktionäre gemäß § 47 AktG nicht. ii. Die Meinung Grubers zur Anwendbarkeit der Lehre der fehlerhaften Gesellschaft wird abgelehnt (siehe Punkt D.I.d)), denn diese Lehre stehe einem Prospekthaftungsanspruch nicht entgegen. Zum einen stimmt er Rüffler zu, der 51 Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung, JBl 2007, 2 (9). 52 Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung, JBl 2007, 2 (7). 53 Rüffler in FS Straube 125. 54 Sofern im Folgenden nicht gesondert zitiert, beziehen sich die Ausführungen in diesem Punkt ausschließlich auf den Inhalt der E 7 Ob 77/10i vom 30.3.2011.
12 Juridicum Law Review Vol 1:1 darlegt, dass ein Schadenersatzanspruch in Form einer Naturalrestitution – also Rückgabe der Aktien Zug-um-Zug gegen Rückzahlung des Erwerbspreises – keine Rückabwicklung ex-tunc bedeutet, weil der Gesellschafter bis zum Schluss Gesellschafter bleibt und der Rückabwicklung im Innenverhältnis keine Schwierigkeiten entgegenstehen.55 Zum anderen erkennt der OGH, dass der Gesellschaft mit dem Ausscheiden eines Aktionärs nachträglich kein Haftungssubjekt entzogen wird. Problematisch ist aber, dass uU ein nicht unerheblicher Vermögensabfluss stattfinden kann. Diesbezüglich spricht er aus, dass der Teleologie des Gesellschaftsrechts – demzufolge die Interessen des Verbandsmitglieds hinter jene der Drittgläubiger zurückzutreten haben – selbstverständlich zu folgen sei. Allerdings werden nur jene Ansprüche erfasst, die im Zusammenhang mit entweder (i) der Mitgliedschaft, (ii) der Stellung als Aktionär oder (iii) dem Beitritt desselben zur Gesellschaft stehen. Demgegenüber statuieren die kapitalmarktrechtlichen Normen aber Verhaltenspflichten der Emittentin gegenüber dem Anleger und behandeln ihn daher als Drittgläubiger. Für einen Drittgläubiger ist die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft aber irrelevant und daher hier auch nicht einschlägig. iii. Explizit lehnt der OGH die Auffassung Reich-Rohrwigs ab, zwischen Anlegern zu differenzieren und den Prospekthaftungsanspruch nur für Kleinanleger (siehe Punkt D.I.b)) zu gewähren. Eine Befreiung von der Prospektpflicht sei dem KMG – auch nur für bestimmte Gruppen – nicht zu entnehmen und daher abzulehnen. b) 6 Ob 28/12d56 i. Die E 6 Ob 28/12d unterscheidet sich in dem ihr zu Grunde gelegten Sachverhalt nur leicht. Hier hat der Kläger die Aktien vom Sekundärmarkt – also weder im Zuge eines Börsenganges noch einer Kapitalerhöhung57 – erworben (dazu siehe unten). Der 6. Senat folgt in ihrer Argumentation im Wesentlichen der zuvor ergangenen Grundsatzentscheidung 7 Ob 77/10i, denn er findet „keinen Grund, von der der zitierten Entscheidung des 7. Senats zu Grunde liegenden Rechtsansicht abzugehen“. Zusätzlich zu den Erwägungen der E 7 Ob 77/10i hält der OGH hier fest, dass der Prospekthaftung schon deshalb der Vorrang gebührt, weil § 11 KMG die spätere Norm ist (lex-posterior). Erstmalig wurde 1989 mit § 80 AktG eine Prospekthaftung normiert. Mit § 11 KMG wurde auch die AG als Emittentin miteinbezogen und mit der KMG- Novelle 2005 wurde § 80 AktG schließlich aufgehoben. Das Verbot der Einlagenrückgewähr wurde hingegen erstmalig durch das BGBl. Nr. 98/1965 erlassen. Gerade weil mit § 11 KMG bezweckt werden sollte, dass auch die AG als Emittentin von der Haftung erfasst wäre, könne man nicht unterstellen, dass der Gesetzgeber den wichtigsten (und hier gegenständlichen) Anwendungsfall nicht bedacht haben wollte. Die Verpflichtung der AG, einen richtigen Prospekt zu publizieren wäre dann sinnlos, weil eben genau dieser Fall zu keiner wirksamen Sanktion führen würde. 55 Rüffler in FS Straube S 126. 56 Sofern im Folgenden nicht gesondert zitiert, beziehen sich die Ausführungen in diesem Punkt ausschließlich auf den Inhalt der E 6 Ob 28/12d. 57 www.deloittetax.at/2013/01/14/kapitalerhaltung-versus-anlegerschutz-was-hat-vorrang; (abgerufen am 16.4.2013).
13 Juridicum Law Review Vol 1:1 ii. Weiters hindere der Erwerb auf dem Sekundärmarkt den Prospekthaftungsanspruch nicht. Es wurde nämlich argumentiert, dass dieser zu verneinen sei, weil der Emittentin durch den Erwerb am Sekundärmarkt keine neuen Mittel zuflossen – Veräußerer sei ja nicht die Emittentin sondern ein anderer Marktakteur (zB Altaktionär).58 Gerade hier knüpft der 6. Senat aber an und spricht aus, dass dies für den Schadenersatzanspruch irrelevant sei. Es kommt ja für den Umfang des Ersatzes ganz allgemein nur darauf an, wie hoch der Schaden ist, der dem Geschädigten erwachsen ist und nicht, in welcher Höhe der Schädiger eine Zuwendung erhalten hat. Außerdem erkennt der OGH, dass der Kauf vom Sekundärmarkt „nicht gesellschaftsrechtlich geprägt“ sei und dass die „Ersatzforderung jener Aktionäre, die ihre Aktien auf dem Sekundärmarkt von dritten Marktteilnehmern erworben haben, in erster Linie nicht auf ihrer mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung als Aktionäre, sondern auf ihrer Stellung als Drittgläubiger“ beruhen. Dies spricht ebenfalls (und mE umso mehr) für das Gewähren des Anspruchs und weist noch einmal deutlich darauf hin, dass die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft hier nicht zur Anwendung gelangen soll. E. Deutsche Rechtslage (insb BGH II ZR 287/02) I. Deutschland a) Historische Rechtsprechung Bereits im Jahre 1900 hatte das deutsche Reichsgericht die Prospekthaftung einer Aktiengesellschaft bejaht, allerdings unter völliger Außerachtlassung des Verhältnisses dieses Anspruchs zum Kapitalerhaltungsrecht.59 Nur 3 Jahre später holte es dies aber nach und verneinte einen gleichgelagerten Anspruch mit der Begründung, dass die Kapitalerhaltungsvorschriften zu beachten seien, was dazu führe, dass dem Aktionär nur die im Aktienrecht geregelten Ansprüche zustehen. Mit der Beteiligung an einer AG erlange man nämlich nicht zugleich auch ein Gläubigerrecht.60 1905 urteilte das Reichsgericht in einem ähnlichen Fall auch zugunsten der AG und bestätigte seine Auffassung, dass Schadenersatzansprüche des Anlegers mit dem Wesen der AG unvereinbar seien.61 58 Der Primärmarkt ist der Handelsplatz für Wertpapiere, die erstmals ausgegeben werden (durch Börsegang oder Kapitalerhöhung), während auf dem Sekundärmarkt bereits ausgegebene, auf dem Markt befindliche Wertpapiere gehandelt werden; www.deloittetax.at/2013/01/14/kapitalerhaltung- versus-anlegerschutz-was-hat-vorrang; (abgerufen am 16.4.2013). 59 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 347. 60 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 347. 61 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 347.
14 Juridicum Law Review Vol 1:1 Etwas später differenzierte das Reichsgericht zwischen originärem – durch Zeichnung – und derivativem Erwerb – durch Umsatzgeschäft – der Aktien und legte damit den Grundstein für die heute in Deutschland hM.62 Demnach sind die börsen- und kapitalmarktrechtlichen Regelungen lex-posterior63 und lex-specialis64 zu den aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsvorschriften. Beim originären Erwerb käme direkt zwischen Anleger/Aktionär und emittierender AG ein Zeichnungsvertrag zustande, dessen Bestandskraft nicht durch die Prospekthaftung unterlaufen werden dürfe. Beim derivativen Erwerb allerdings sei eine Prospekthaftung nicht per se ausgeschlossen. Hier ist der Aktionär nicht Partei des Zeichnungsvertrages. Vielmehr kommt dieser zwischen der Emittentin und dem dazwischengeschalteten Emissionsunternehmen zustande. Von diesem erwirbt dann der Aktionär derivativ. Wie in Österreich bestehen auch in Deutschland unzählige alternative Meinungen, die vom „Verbot der Prospekthaftung auch beim derivativem Erwerb“ bis zum „vollständigen Vorrang der Prospekthaftung gegenüber der Kapitalerhaltung“ – und jeder Nuance dazwischen – reichen.65 b) BGH II ZR 287/02 vom 9.5.2005 (EM.TV)66 Der BGH hat in Deutschland mit der E II ZR 287/02 eine (weitere)67 Grundsatzentscheidung getroffen. Ob allerdings die bisherige Unterscheidung zwischen originärem und derivativem Erwerb für die Rechtfertigung der Haftung aufrecht bleiben soll, hat er ausdrücklich dahingestellt, weil er im vorliegenden Fall die Haftung wegen einer sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB entscheiden musste (Parallelbestimmung § 1295 Abs 2 ABGB).68 § 826 BGB ist aber unabhängig von der Erwerbsart als ein Schutzgesetz zugunsten der Anleger iSv § 823 Abs 2 BGB (Parallelbestimmung § 1311 ABGB) zu qualifizieren. Der Kapitalerhaltungsgedanke hat in diesem Fall in den Hintergrund zu treten. Wichtig war für den BGH – wie auch in weiterer Folge für den OGH – die Erkenntnis, dass den Anlegern die Stellung von Drittgläubigern zukommt. Im gegenständlichen Fall ist das umso klarer, weil die „Aktionäre“ ihre Aktien im Zuge von Umsatzgeschäften und außerdem von dritten Marktteilnehmern erworben haben. Ausdrücklich erkennt der BGH, dass das Gesellschaftsvermögen bei diesem Anspruch nicht anders belastet wird, als bei einem sonstigen Deliktsanspruch eines außenstehenden Gläubigers.69 Zusammenfassend ergibt sich für den BGH also kein Grund eine Haftung zu verneinen bzw auch nur auf das freie Vermögen zu beschränken. 62 BGH II ZR 287/02, Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 348. 63 Für Österreich: bejahend Rüffler, GeS 2010, 4 (7); 6 Ob 28/12d; ablehnend Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung, JBl 2007, 2 (13). 64 Für Österreich: Artmann in Jabornegg/Strasser AktG I5 § 52 Rz 4, Ablehnend 7 Ob 77/10i. 65 Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen 349. 66 Sofern im Folgenden nicht gesondert zitiert, beziehen sich die Ausführungen dieses Punktes ausschließlich auf den Inhalt der E des BGH II ZR 287/02. 67 Auf die übrigen Grundsatzentscheidungen Comroad I – VIII und Infomatec soll hier nicht eingegangen werden, da die Thematik rund um den Kapitalerhaltungsgrundsatz in der EM.TV- Entscheidung ausführlich behandelt wird. Siehe dazu auch Möllers, Das Verhältnis der Haftung wegen sittenwidriger Schädigung zum gesellschaftlichen Kapitalerhaltungsgrundsatz - EM.TV und Comroad, BB 2005, 1637. 68 Fleischer, Konturen der kapitalmarktrechtlichen Informationsdeliktshaftung, ZIP 2005, 1805. 69 Fleischer, Konturen, ZIP 2005, 1805.
15 Juridicum Law Review Vol 1:1 F. Haftungsanspruch in der Insolvenz Ein mangelhafter Prospekt kann zu unzähligen Klagen und Verfahren mit teils hohem Streitwert führen. Durch das Prozessieren und allfällige Ersatzpflichten kann die beklagte AG mit einem erheblichen Vermögensabfluss konfrontiert sein. Deswegen gebietet sich auch ein Blick auf die insolvenzrechtliche Betrachtung von Prospekthaftungsansprüchen. Die E 6 Ob 28/12d unterscheidet bei der Gewährung von Prospekthaftungsansprüchen zwischen Aktionären und Drittgläubigern. Obwohl dem OGH nach die geschädigten Anleger eher Drittgläubiger als Aktionäre sind, gebietet sich die Frage, ob man ihre Prospekthaftungsansprüche in der Insolvenz mit anderen Gläubigeransprüchen als gleichrangig betrachten will. Der OGH hat diese Frage bislang offengelassen. Die teils umstrittene Meinung in Österreich möchte bei dieser insolvenzrechtlichen Betrachtung nicht eine zweigliedrige (Aktionär – Drittgläubiger) sondern vielmehr eine dreigliedrige Unterscheidung in „Aktionär“ – „Drittgläubiger“ – „echter Drittgläubiger“ treffen. In Deutschland sehen Teile der Lehre in Anlehnung an § 39 dInsO und auf Grundlage des US Bankruptcy Code 11 USC 510b („a claim arising from rescission of a purchase or sale of a security of the debtor […] shall be subordinated to all claims or interests that are senior to or equal the claim or interest “) Anlegerforderungen in der Insolvenz gegenüber den Forderungen „echter“ Drittgläubiger als nachrangig an.70 Teile der österreichischen Lehre sprechen sich in Anlehnung an Deutschland und die USA ebenfalls für eine Differenzierung aus. Dies deshalb, weil die „Anleger-Drittgläubiger“ trotz allem als Eigenkapitalgeber fungiert haben und sie deswegen auch das endgültige Ausfallsrisiko der Gesellschaft treffen soll.71 Die „echten“ Drittgläubiger hingegen haben sich nicht nur nie auf die Gewährung von nachrangigem Eigenkapital eingelassen, sie haben auch in der Überzeugung der unbedingten Nachrangigkeit der Gesellschafteransprüche disponiert, weswegen sie in der Insolvenz auch bevorzugt zu behandeln sind.72 Aktuell möchte auch Trenker die Prospekthaftungsansprüche wie nachrangige Forderung aus eigenkapitalersetzenden Darlehen gemäß § 57a IO (Parallelbestimmung zu § 39 dInsO) behandeln. Das „nachrangige“ an den Forderungen gemäß § 57a IO ist, dass diese zwar wie Insolvenzforderungen behandelt werden, allerdings nur dann beim Insolvenzgericht angemeldet werden können, wenn noch so viel Masse vorhanden ist, dass es voraussichtlich zu einer Befriedigung von nachrangigen Forderungen kommen kann und wird. Erst wenn letzteres festgestellt wird, ist überhaupt ein diesbezüglicher Gläubigeraufruf zu veröffentlichen.73 Diese Meinung wird begründeterweise dahingehend kritisiert, dass es eben gerade nicht nachvollziehbar ist, warum der Aktionär, der seinen Prospekthaftungsanspruch bei einer „gesunden“ Gesellschaft geltend macht, wie ein Drittgläubiger behandelt wird; sobald die Gesellschaft aber insolvent wird, er wieder eine Verwandlung in Richtung Eigenkapitalgeber und Verbandsträger und weg von seiner davon losgelösten Gläubigerstellung vollzieht und dementsprechend bei der Geltendmachung 70 6 Ob 28/12d, Baums, Haftung wegen Falschinformation des Sekundärmarktes, ZHR 167, 139 (170); Möllers, EM.TV und Comroad, BB 2005, 1637 (1642); Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung - Recht und Reform in der Europäischen Union, der Schweiz und den USA, WM 2004, 1801. 71 Langenbacher, Kapitalerhaltung und Kapitalmarkthaftung, ZIP 2005, 239. 72 Trenker, Nachrangigkeit kapitalmarktrechtlicher Ansprüche in der Insolvenz der emittierenden AG, ÖBA 2013, 187; ablehnend Told, Noch offene Fragen zur Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen nach 6 Ob 28/12d, GeS 2012, 333. 73 Told, Noch offene Fragen, GeS 2012, 333.
16 Juridicum Law Review Vol 1:1 seines Prospekthaftungsanspruchs gegenüber echten Drittgläubigern benachteiligt ist.74 G. Ausblick Obwohl der OGH den gegenständlichen Konflikt jüngst mit anlegerfreundlichen Entscheidungen „gelöst“ hat, zeigt die heftige Diskussion der vergangenen Monate, dass eine Neuausrichtung der Emittentenhaftung unbedingt geboten ist. Auch bleibt mit Spannung zu erwarten, wie der EuGH in dieser Sache entscheiden wird. Das HG Wien hat nämlich mit seinem Vorlagebeschluss zur GZ 51 Cg 243/11h vom 26. 3. 2012 mehrere diesbezügliche Fragen zur Vorabentscheidung eingebracht75. Ein möglicher Vorschlag für die Neuausrichtung ist beispielsweise die Anwendung der Meinung von Doralt/Winner (siehe Punkt D.I.a)), den geschädigten Aktionären vorzugsweise eigene Aktien als Ersatz zu gewähren.76 Ein interessanter Vorschlag kommt auch von Peter Hadler, dem Präsidenten des Wiener Handelsgerichts. Nicht zuletzt um die Welle an Anlegerverfahren einzudämmen – mit Ende letzten Jahres waren ja immer noch rund 8700 anhängig – möchte er dem eigentlichen Gerichtsverfahren ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorschalten.77 Das Gericht könne einen „Organwalter bestellen, der Ansprüche sichtet und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (des Beklagten, Anm.) im Auge behält“. Ziel dieses Schlichtungsverfahren soll ein vor Gericht vollstreckbarer Vergleich sein. Eine Weiterleitung zur richterlichen Beurteilung käme dann nur für bestimmte „relevante Ansprüche“ in Frage.78 Dieses Modell findet auch unter Praktikern breite Zustimmung.79 Ganz gleich in welche Richtung die Neuausrichtung erfolgt; nach Kalss80 sollte sie de lege ferenda auf einigen (folgenden) Grundsätzen aufbauen, getragen vor allem von einer – aufgrund der Anzahl von immer wieder gleichgelagerten Anlegerverfahren gebotenen – Generalisierung: I. Interessenwahrung aller Beteiligten Im Rahmen einer Umgestaltung der Emittentenhaftung ist zu beachten, dass entgegengesetzte Interessen nicht nur zwischen den geschädigten Anleger und der Gesellschaft bzw der momentanen Aktionäre bestehen. Neben dem nämlichen Verlangen der Ersten, ihren Schadenersatzanspruch möglichst rasch und kostengünstig zu erlangen, und der Zweiten, einen Vermögensabfluss der Gesellschaft möglichst zu verhindern, sind auch die bereits ausgeschiedenen Aktionäre zu beachten, die ihre Aktien gewinnbringend veräußert haben. Diese haben selbstverständlich Interesse daran, nicht zum Ausgleich herangezogen zu werden respektive ihren Gewinn behalten zu dürfen. Weiters darf das volkswirtschaftliche Interesse nicht außer Acht gelassen werden. Demnach dürfen die 74 Gruber, Sehr geehrte Damen und Herren!, Editorial in ZFR 2012, 149. 75 Das Vorabentscheidungsverfahren ist beim EuGH unter C-174/12 anhängig; siehe Gruber, Prospekthaftung und Einlagenrückgewähr, ZFR 2012/103. 76 Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 139f. 77 Jaindl, Gerichtspräsident schlägt „Anlegerschiedsrichter“ vor, Wirtschaftsblatt vom 30.8.2012. 78 Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 136f. 79 Ergänzender Beitrag „Anwälte, WKÖ, VKI können sich Schlichtung vorstellen“ in Jaindl, Gerichtspräsident schlägt „Anlegerschiedsrichter“ vor, Wirtschaftsblatt vom 30.8.2012. 80 Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 136ff.
17 Juridicum Law Review Vol 1:1 Kosten der Schadensbewältigung nicht auf Dritte oder die Öffentlichkeit überwälzt werden.81 II. (Marktrechtlicher) Gleichbehandlungsgrundsatz Gerade weil das Gesellschaftsrecht wie auch das Kapitalmarktrecht Gleichbehandlungsgebote vorsehen, müssen diese ebenfalls bei der Emittentenhaftung beachtet werden. Anders als der aktienrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 47 AktG, der nur zwischen der Gesellschaft bzw deren Organen und den aktuellen Aktionären gilt, geht das kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsgebot jedoch weiter. Es gilt darüber hinaus für außenstehende Marktteilnehmer und Einrichtung, aber auch für Emittenten und – vor allem – gegenüber allen Anlegern, die „sich in gleichen Verhältnissen“ befinden. Dieses Gleichbehandlungsgebot findet sich nur verstreut in mehreren Gesetzen und zeigt sich am Deutlichsten durch die gleichzeitige Informationsversorgung aller Marktteilnehmer und Anleger.82 III. Generalisierung der Schadensbewältigung Mit jedem Schadenersatzanspruch erfolgt nach geltendem Zivilrecht eine Einzelfallbetrachtung des Schadensfalls. Gerade bei Ansprüchen aus dem Kapitalmarktrecht sollte diese individuelle Betrachtung zu einer generalisierenden fortentwickelt werden. Immerhin ist sowohl dem Gesellschaftsrecht als auch dem Kapitalmarktrecht eine Generalisierung immanent. Einerseits durch das Mehrheitsprinzip des Gesellschaftsrechts (Organbeschlüsse, Gesellschafterbeschlüsse) und andererseits dadurch, dass sich kapitalmarktrechtliche Informationen nur an die Gesamtheit der Anleger als generellen und anonymen Adressatenkreis richten. Es kommt nicht einmal auf die Fähigkeit des einzelnen Anlegers an, den Informationsgehalt richtig deuten zu können, zumal das Kapitalmarktrecht von der Maßfigur eines durchschnittlich verständigen Anlegers ausgeht.83 Mit der Generalisierung der Schadensbewältigung einhergehend, befürwortet Kalss84 die Entscheidung der wertungsmäßigen Gleichbehandlung von Transaktionen am Primär- und Sekundärmarkt. Es darf nicht darauf abgestellt werden, wem nun die finanziellen Mittel aus der Transaktion zukommen (Primärmarkt – Emittent; Sekundärmarkt – Altaktionär). Dies ist für den Anleger ja in der Regel irrelevant. Diese einheitliche Lösung muss auch bei der Neuausrichtung der Emittentenhaftung beibehalten werden. H. Organaußenhaftung als Alternative Da eine nicht unerhebliche Meinung den kapitalerhaltungsrechtlichen Regeln den Vorrang gegenüber der Prospekthaftung einräumt und somit den Anspruch des Anlegers gegenüber der Emittentin verwehrt, hat man versucht, eine Außenhaftung der Organe als alternative Ersatzquelle zu konstruieren. 81 Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 136f. 82 Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 137; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht I1, § 1 Rz 31. 83 Kalss, Ausprägung und Auswirkung des Transparenzgebots im Kapitalmarkt-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, in FS Doralt (2004) 288f; Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 138f; Kalss, Anlegerstimmung, GesRZ 2010, 245. 84 Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalerhaltung und Gesellschaftsrecht 139.
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