Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
Zum Volkstrauertag
am 18. November 2018
Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten
Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
INHALT

Inhalt
		 ZUM GELEIT                               		KIRCHLICHE
 4 Geleitwort                               		GEDENKFEIERN
		 Wolfgang Schneiderhan,                   14 Bekenntnistreue wider
		 Präsident des Volksbundes Deutscher      		Menschenverachtung
		 Kriegsgräberfürsorge e.V.                		 Predigtmeditation zu
 6 Gemeinsames Grußwort                     		 Offenbarung 2, 8–11
		 von Kardinal Prof. Dr. Reinhard Marx,    		 Dr. Irmgard Schwaetzer,
		 dem Vorsitzenden der Deutschen           		 Präses der Synode der EKD
		Bischofskonferenz                         18		 Fürbitte                               Kriegsgräberstätte Kiew, 2018
                                                                                          Volksbund/Uwe Zucchi
		 und Landesbischof                        20 Die Höllen auf Erden verpflichten –
		 Prof. Dr. Heinrich Bedford Strohm,       		 zur konsequenten Friedenssuche
		 dem Vorsitzenden des Rates der EKD       		 Predigtmeditation zu Markus 13, 24–32
                                            		 Dr. Felix Genn, Bischof von Münster      		 REDEN BEI GEDENK-                       		 AUS DER BILDUNGSARBEIT
 8 TOTENGEDENKEN                            24 Fürbitte                                 		VERANSTALTUNGEN                          42 Kriegsende. Und dann?
                                                                                        32 Die Opfer wegen ihrer Würde             45 World War One
		 GEDENKEN GESTALTEN                       		 LITERARISCHE TEXTE                       		 als Menschen ehren                      		 and European Identity

10 Gedenkveranstaltungen                    26 Kometenjahre (Auszug)                    		 Prof. Dr. Gesine Schwan,                48 In Flanders Fields
		 Ablauf und Gestaltung                    		 Daniel Schönpflug 		                     		 Präsidentin der Humboldt-Viadrina       50 Jugendbegegnungs- und
                                            28 Loretto                                  		 Governance Platform                     		Bildungsstätten

                                            		 Edlef Köppen
                                            		Kriegsgrab                                36 Zwischen Erinnerung                     		INFORMATION
                                            		 August Stramm                            		 und Geschichte                          		 UND REFLEXION
                                            29 Zukunft ist ein blindes Spiel (Auszug)   		 Dr. Elise Julien, Wissen schaftlicher   52		 Über den Volkstrauertag
Bild Titelseite:
                                             Martin Feuchtwanger                        		 Beirat des Volksbundes                  54 Der Volksbund Deutsche
Die Kirchenruine und der stark
beschädigte Friedhof von Flirey bei
                                            30 Der Graben                                                                          		 Kriegsgräberfürsorge e.V.

                                            		 Kurt Tucholsky                                                                      56 Den Volksbund kontaktieren
St. Mihiel, 1916. Die strategisch wichtig
gelegene ­Ortschaft südöstlich von          		 (Vorschlag zur Lesung)                                                              58 Sammlungs- und Kollektenbitte
Verdun war mehrfach heftig umkämpft.                                                                                               59 Impressum
   Jacques Agié/ECPAD/Défense
                                                                                                                                   60 Wussten Sie schon …?
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ZUM GELEIT                                                                                                                                                                              ZUM GELEIT

                                                                                                   Ersten Weltkriegs hielten sie und die vielen Deutschen, von
                                                                                                   denen sie unterstützt wurden, davon nicht ab. Im Gegen-
                                                                                                   teil: Sie nahmen die Gefallenen als Rechtfertigung für eine

    Geleitwort
                                                                                                   „Vergeltung“, verklärten sie zu Helden und schufen so eine
                                                                                                   mentale Basis für ihre kriegerische Rhetorik, der der Krieg
                                                                                                   dann auf dem Fuß folgte.

    WOLFGANG SCHNEIDERHAN                                                                          Das mahnt uns heute, aller Opfer von Krieg und Gewaltherr-
    Präsident des Volksbundes                                                                      schaft zu gedenken, ihren Tod aber in einen historischen
    Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.                                                            Kontext zu stellen und die Lektion der Geschichte zu lernen
                                                                                                   und zu lehren. Nur Versöhnung, Kooperation und Verständi-

                                   D
                                                                                                   gung schaffen einen dauerhaften Frieden. Glücklicherweise
                                             er diesjährige Volkstrauertag findet eine Woche       durften wir diese Erfahrung in den letzten gut 70 Jahren, der
                                             nach dem 100. Jahrestag des Endes des Ersten          längsten Friedensperiode in der europäischen Geschichte,
                                             ­Weltkrieges statt. 17 Millionen Menschen ließen in   machen. Diese Errungenschaft müssen wir bewusst machen
                                     diesen Völkerschlachten zwischen 1914 und 1918 ihr Leben,     und bewahren, gerade in Zeiten, in denen der Chauvinismus
                                     die großen Kriegsgräberstätten in vielen Teilen Europas       zunimmt und nationalistisch-fremdenfeindliche Parolen in
                                     zeugen davon. Am 11. November 1918 kam diese Katastro-        den öffentlichen Raum vordringen.
                                     phe an ihr Ende. Aber: Die Ruhe nach dem Sturm war, wie
                                     wir heute wissen, die Ruhe vor dem Sturm, der gut 20 Jahre
                                     später ein Vierfaches an Menschenleben kostete. Fassungs-            »Ein Tag des Gedenkens, aber auch
                                     los angesichts des Leids der Menschen fragen wir uns, wie              der kritischen Reflexion – für ein
                                     das geschehen konnte. Man war sich in den Jahren nach                                                                          WOLFGANG
                                     dem Ersten Weltkrieg doch bewusst, wie viele Opfer er
                                                                                                                 Miteinander in Europa.«                            SCHNEIDERHAN
                                    gekostet, wie viel Elend er angerichtet hatte. Die Toten                     WOLFGANG SCHNEIDERHAN                              General a. D. und Präsident
                                    ­waren nicht vergessen. Im Gegenteil: Ihrer wurde gedacht,                                                                      des Volksbundes,
                                     der Volkstrauertag selbst zeugt davon. Er wurde seit 1922,                                                                     *1946 in Riedlingen/Donau
                                     auf Vorschlag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfür-       Der Volkstrauertag ist ein Tag des Gedenkens, der stillen Ein-      Volksbund/Uwe Zucchi
                                     sorge, der 1919 gegründet worden war, begangen.               kehr und der Trauer, aber er ist auch ein Tag der ­kritischen
                                                                                                   Reflexion, der Immunisierung gegen billige Parolen, die          Nach der Offiziersausbildung in
                                    Wie konnte es geschehen, dass sich schnell nach dem Ersten     Menschen anderer Herkunft, Religion oder Hautfarbe               verschiedenen ­Verwendungen
                                    Weltkrieg in vielen Staaten Europas autoritäre und diktato-    ­abwerten. Er ist ein Tag des Engagements für ein gelingen-      für die Bundeswehr, das
                                    rische Regime etablieren konnten, darunter das der Faschis-     des Miteinander in Europa.                                      Bundesverteidigungsministe-
                                    ten in Italien, der Falangisten in Spanien, der Kommunisten                                                                     rium sowie für die NATO in den
                                    in der Sowjetunion und eben der Nationalsozialisten in         Am Volkstrauertag schauen wir zurück auf die S
                                                                                                                                                ­ chrecken          Niederlanden und Brüssel tätig.
                                    Deutschland?                                                   des Krieges, aber auch voraus auf die Bewahrung von              Von 2002 bis 2009 General-
                                                                                                   Frieden, Demokratie und Menschenrechten. Das bringt              inspekteur der Bundeswehr.
                                    Die Nazis begannen sofort nach ihrer Machtübernahme, den       uns keinen einzigen Gefallenen zurück, aber es kann              Seit 2014 stellvertretender
                                    Angriffs- und Vernichtungskrieg zu planen, den sie dann        verhindern, dass die nächste Generation wiederum                 Präsident und seit 2016
                                    1939 mit dem Überfall auf Polen auslösten. Die Opfer des       Gefallene beklagen muss.                                         Präsident des Volksbundes.

4                                                                                                                                                                                                     5
Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
ZUM GELEIT                                                                                                                                                                            ZUM GELEIT

    Gemeinsames
    Grußwort
    KARDINAL PROF. DR. REINHARD MARX
    Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

    LANDESBISCHOF PROF. DR. HEINRICH BEDFORD-STROHM
    Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
                                                                                                    KARDINAL                                     LANDESBISCHOF

D
                                                                                                    PROF. DR. REINHARD MARX                      PROF. DR. HEINRICH BEDFORD-STROHM
               as Jahr 2018 steht historisch im      Zeugenberichte beider Kriege beschrei-           Erzbischöfliches Ordinariat München          epd/mck/ekd.de
               Zeichen zweier Kriege, die in ihrer   ben unfassbare Szenen mit zerwühlten
               Zeit unermessliches Leid über         Landschaften voller Toter, die bis zur
    die Menschen brachten. Der Dreißigjäh-           ­Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Doch       ter Frieden braucht Offenheit, Beharr-       Prof. Dr. Reinhard Marx, Erzbischof von
    rige Krieg (1618-1648) wie auch der Erste         während im 17. Jahrhundert die Kriegs-        lichkeit und Vertrauen – im Gebet und im     München und Freising und Vorsitzender
    Weltkrieg (1914-1918) entfesselten eine
    ­                                                 toten anonym in Massengräbern ver-            Engagement für unsere Welt. Zu diesem        der Deutschen Bischofskonferenz, *1953 in
    ­Gewaltgeschichte, die nicht nur tief in die      scharrt wurden, unternahmen Angehörige,       Engagement gehört auch, die Ursachen von     Geseke/Westfalen. 1989 theologische Promo-
     Kampfgebiete, sondern in die ganze Gesell-       Gräberoffiziere und Geistliche im Ersten
                                                      ­                                             Kriegen zu verstehen, Schuld zu benennen     tion und 1996 Professor an der Universität
     schaft wirkte. Der Krieg brachte Hunger,         Weltkrieg beträchtliche Anstrengungen,
                                                      ­                                             und einzugestehen. Eine verdrängte Ver-      Paderborn. 2001 Ernennung zum Bischof von
     Flucht und Epidemien bis in weit entfernte       um die Toten zu identifizieren und würdig     gangenheit oder eine verordnete Versöh-      Trier und 2007 zum Erzbischof von München
     Gegenden. Er hinterließ Tod, Trauer und
     ­                                                zu bestatten. Dieses breite gesellschaftli-   nung werden hingegen scheitern.              und Freising sowie 2010 zum Kardinal.
     ­tiefe Wunden in den Seelen, die aus dem         che Engagement führte unter anderem zur
      Kreislauf des Hasses und der Unversöhnt-        Gründung des Volksbundes. So bekamen          Für viele von uns, die wir in Deutschland    Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm,
      heit oft nicht mehr herausfanden.               viele Familien in ihrem Schmerz zumindest     in Frieden leben, scheint Krieg vermeint-    ­Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzender,
                                                      Gewissheit und einen Ort der Trauer. Die      lich fern. Doch die heutigen Konflikte in    *1960 in Memmingen. 1992 theologische
    Die Welt war aus den Fugen geraten. Und           große Spendenbereitschaft und die v ­ ielen   der Welt mit ihren vielen Geflüchteten,      Promotion an der Universität H
                                                                                                                                                                              ­ eidelberg
    sogar die biblische Botschaft, die im Kern        Angehörigenreisen zu den Friedhöfen           ­Vermissten und Toten zeigen uns an diesem   und 2004 Professur an der ­Universität
    eine Botschaft der Liebe, des Friedens und        zeigen, wie wichtig dieses Anliegen war        Volkstrauertag, wie nah und dringlich die   Gießen. Seit 2011 Landesbischof der
    der Versöhnung mit Gott und unter den             und ist.                                       Friedensaufgabe tatsächlich ist. Der Weg    ­Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
    Menschen ist, wurde missverstanden und                                                           der Versöhnung und des Friedens ist nie
    in ihr Gegenteil verkehrt, wenn Christen         Das Jahr 2018 steht auch im Zeichen             abgeschlossen. Wir sind dem ­Volksbund in
    sich gegeneinander erhoben und einander          der ­
                                                         Friedensschlüsse von Münster und            besonderer Weise dankbar, dass er Fried-
    ­bekämpften.                                     Osnabrück sowie des Kriegsendes vor­
                                                     ­                                               höfe als Gedenk- und Lernorte für eine
                                                     100 Jahren. Ein dauerhafter und gerech-
                                                     ­­­                                             friedlichere Welt pflegt und erhält.

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
Totengedenken
                                                                        Wir denken heute an die Opfer von Gewalt
                                                                        und Krieg, an Kinder, Frauen
                                                                        und Männer aller Völker.

                                                                        Wir gedenken der Soldaten, die in den
                                                                        Weltkriegen starben, der Menschen, die
                                                                        durch Kriegshandlungen oder danach in
                                                                        Gefangenschaft, als Vertriebene
                                                                        und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

                                                                        Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet
                                                                        wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten,
                                                                        einer anderen Rasse zugerechnet wurden,
                                                                        Teil einer Minderheit waren oder deren Leben
                                                                        wegen einer Krankheit oder Behinderung als
                                                                        lebensunwert bezeichnet wurde.

                                                                        Wir gedenken derer, die ums Leben kamen,
                                                                        weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft
                                                                        geleistet haben, und derer, die den Tod fanden,
                                                                        weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem
                                                                        Glauben festhielten.

                                                                        Wir trauern um die Opfer der Kriege und
                                                                        Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von
                                                                        Terrorismus und politischer Verfolgung, um die
                                                                        Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte,
                                                                        die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

                                                                        Wir gedenken heute auch derer, die bei uns
                                                                        durch Hass und Gewalt gegen Fremde und
                                                                        Schwache Opfer geworden sind. Wir trauern
                                                                        mit allen, die Leid tragen um die Toten,
                                                                        und teilen ihren Schmerz.                         Das Sprechen des
                                                                                                                          ­Totengedenkens durch den
                                                                        Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung
    Deutsche Kriegsgefangene warten auf die Verteilung von Decken.                                                        ­Bundespräsidenten am
                                                                        auf Versöhnung unter den Menschen und
    Die Lebensumstände sind prekär, doch die unmittelbare Todesge-                                                        Volkstrauertag wurde von
                                                                        Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem
    fahr an der Front ist vorerst gebannt. Durchgangslager Souilly in                                                     Bundespräsident Theodor
                                                                        Frieden unter den Menschen zu Hause
    der Moselregion Dezember, 1916.     ECPAD/Albert Samama-Chikli                                                        Heuss 1952 eingeführt.
                                                                        und in der ganzen Welt.

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
GEDENKEN GESTALTEN                                                                                                                   GEDENKEN GESTALTEN

 Gedenkveranstaltungen
 Ablauf und Gestaltung
                     Liebe Leserin, lieber Leser,

                     wir freuen uns, dass Sie eine Gedenkveranstaltung zum
                     Volkstrauertag organisieren. Die Vorschläge, die wir Ihnen
                     in dieser Handreichung unterbreiten, skizzieren grob einen
                     von vielen möglichen Abläufen – Gedenken und Trauern ist
                     vielfältig und kann vielfältig gestaltet werden.

                                                                                                                               Kriegsgräberstätte Kiew, 2018
                        Die Gliederung dieser Handreichung                        Zu Ihrer Vorbereitung haben wir vorab          Volksbund/Uwe Zucchi

                        folgt in etwa dem Ablauf einer                            Bausteine für eine Gedenkfeier
                        Gedenkveranstaltung:                                      zusammengetragen:

                          Begrüßung der Anwesenden                                 Totengedenken
                          Einstimmung: Gedicht, literarischer Text,
                          Zitat aus Feldpost oder Tagebuch                         Predigtmeditation – für Veranstalter, die
                          Musikstück                                               christliche Gedenkfeiern ausrichten und
                          Verlesen des Totengedenkens                              hierfür Anregungen oder Predigtvor-
                          Nennung der Namen einzelner Kriegstoter                  schläge suchen.
                          aus der jeweiligen Ortschaft
                          Gedenkrede                                               „Gedichte und Lesungsvorschlag“ – diese
                          Gebet                                                    Texte eignen sich zum Vorlesen während
                          Kranzniederlegung                                        der Gedenkveranstaltung, beispielsweise
                          Schweigeminute                                           durch Schüler oder Jugendliche.
                          Gesang oder Musikstück
                          (z. B. National- und/oder Europahymne,                   „Redevorschlag“ – kann von dem ­
                          Der gute Kamerad)                                        jeweiligen Hauptredner auf die örtlichen
                          Dank an Unterstützer                                     ­Gegebenheiten angepasst und entspre-
                          Verabschiedung                                            chend verwendet werden.

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
GEDENKEN GESTALTEN                                                                                                                                    GEDENKEN GESTALTEN

 Für die musikalische ­Gestaltung haben wir    Hier können Sie auch einzelne Texte aus der   Internationales Gedenken an die Toten des
 auf der Webseite www.volkstrauertag.de        Broschüre im DIN-A4-Format herunterladen      Ersten Weltkriegs auf der deutschen Kriegsgräberstätte
 eine Liste von geeigneten Liedern und Mu-     und ausdrucken. Falls Sie keinen Zugang zu    im belgischen Menen, 2017    Volksbund/Uwe Zucchi
 sikstücken gesammelt.                         den digitalen Angeboten haben, bitten wir
                                               Sie, sich an uns zu wenden. Die Kontakt-
 Der hier vorgeschlagene Ablauf ist als Vor-   daten der Landesverbände des Volksbundes
 schlag zu verstehen, Sie als Veranstalter     Deutsche ­Kriegsgräberfürsorge e. V. finden      VOLKSBUND VERANSTALTUNGEN
 werden ihn an die Anforderungen und           Sie in diesem Heft.
 Gegebenheiten vor Ort anpassen. Diese
 ­                                                                                              Kontakt und Info
 Handreichung kann Ihnen als Leitfaden         Viele Volksbund-Aktivitäten beziehen
 für die Gedenkveranstaltung dienen. Sie       sich im laufenden Gedenkjahr 2018 auf            Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen.
 ­erscheint jährlich neu. Zum Download steht   den Ausgang des Ersten Weltkriegs mit-           Bei Fragen helfen wir gern.
  sie Ihnen auf der erwähnten Website zur      samt der weitreichenden Folgen – bis hin         Bitte wenden Sie sich an:
  Verfügung: www.volkstrauertag.de             zu ­aktuellen Fragen nach der europäischen
                                               Integration. Hierzu arbeitet der Volksbund       Tel.      030 2309 3622
                                               in zahlreichen Bildungs- und Begegnungs-
                                               projekten unter dem Motto „Europa, der           erinnerungskultur@volksbund.de
                                               Krieg und ich“. Einige davon stellen wir
                                               Ihnen hier vor.

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
KIRCHLICHE GEDENKFEIERN                                                                                                       KIRCHLICHE GEDENKFEIERN

                                                             Jüdische Grabsteine in                          schrieben worden, an dem der Opfer von
                                                             einer Verteidigungsmauer                        Krieg und Gewalt gedacht wird. Doch vor
                                                             bei Metz im März 1945.                          diesem zentralen Satz formuliert der Se-
                                                             Zum Ende des Zweiten Weltkriegs                 her Johannes in Vers 9 das Wort von der
                                                             verpflichtete die deutsche Besat-               „Synagoge des Satans“, ein Wort, das eine
                                                             zung die Bevölkerung, die Stadt                 eigene, verheerende Wirkungsgeschichte
                                                             zu befestigen. Oft wurden auf                   hat. Der Text lautet in der Übersetzung der
                                                             Jüdischen Friedhöfen Steine als                 Lutherbibel 2017: „Ich kenne deine Be-
                                                             Baumaterial entwendet.                          drängnis und deine Armut – du bist aber
                                                                Ernest Staché/ECPAD/Défense                  reich – und die Lästerung von denen, die
                                                                                                             sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht,
                                                                                                             sondern sind die Versammlung des
                                                                                                             ­

                                                             A
                                                                                                             ­Satans.“ Wer sind diejenigen, die „sagen,
                                                                        m Beginn des Buches der Offen-        dass sie ­Juden“ seien? In der Literatur gibt
                                                                        barung des Sehers Johannes wer-       es verschiedene D ­ eutungen. Exemplarisch
                                                                        den „die sieben Gemeinden in          seien drei genannt: Als „Versammlung des
                                                             der ­   Provinz Asien“ (1,4) als Adressaten      Satans“ könnten hier die Juden benannt
                                                                                                              ­
                                                             genannt, eine von ihnen ist Smyrna. Die          sein, die sich nicht zu Christus bekehrt
                                                             „sieben Sendschreiben“ zeichnen das Bild         ­haben oder die Teile der jüdischen Gemein-
                                                             einer ­  bedrängten und zahlenmäßig klei-         de in Smyrna, die Christinnen und Christen
                                                             nen ­Kirche, die ganz auf die Treue ihres         denunzierten oder vielleicht sind Christen
                                                             Herrn angewiesen und nur aus dieser Treue         gemeint, die sich als Juden ausgeben, um
                                                             heraus lebensfähig ist. Wie können wir
                                                             ­                                                 der Verfolgung zu entgehen.
                                                             ­umgehen mit diesem Text am Volkstrauer-
                                                              tag 2018, dem Tag, an dem der ­Menschen        Welche mögliche Lesart auch am ehesten

 Bekenntnistreue wider
                                                              gedacht wird, die Opfer von Krieg und          einleuchtet: Es sind Sätze wie dieser, die
                                                              ­Gewalt wurden? Hundert Jahre nach dem         es den Nationalsozialisten leicht gemacht
                                                               Ende des Ersten Weltkriegs zeigen uns         haben, Christinnen und Christen mit ­ihrer

 Menschenverachtung
                                                               ­regionale Konflikte in Europa, dem Nahen     menschenverachtenden         Botschaft    zu
                                                                Osten und an vielen Orten dieser Welt, wie   ­infizieren. Sie konnten sich dabei auch auf
                                                                schwer es ist, friedlich zusammenzuleben,     judenfeindliche Schriften Martin Luthers
                                                                wie sehr Hass – auch religiös motivierter     berufen. Dieser Geschichte müssen wir

 Predigtmeditation
                                                                Hass – zu Gewalt führt.                       uns stellen, denn sie ist auch heute noch
                                                                                                              wirksam. Die Synode der Evangelischen

 zu Offenbarung 2, 8-11
                                                             „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir      Kirche in Deutschland hat deshalb vor den
                                                             die Krone des Lebens geben.“ Diese Bot-          Feierlichkeiten zum 500. Reformations-
                                                             schaft kennen wir von unzähligen Kon-            jubiläum die Abkehr von den judenfeindli-
 DR. IRMGARD SCHWAETZER                                      firmationssprüchen, Trauerfeiern und             chen Schriften Luthers in einem Beschluss
 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland   Kriegerdenkmalen. Der Satz klingt, als sei       festgehalten.1
                                                             er speziell für einen Volkstrauertag aufge-

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
KIRCHLICHE GEDENKFEIERN                                                                                                                                                                                 KIRCHLICHE GEDENKFEIERN

 In der Auseinandersetzung mit den Schrif-        nug als Treue gegenüber einem Staat, einer            Die Christen in Smyrna waren vermutlich durch den wach-
 ten Luthers, gerade im Dialog mit jüdischen      Ideologie verstanden.                                 senden Kaiserkult im Römischen Reich unter Druck gera-
 Geschwistern, wurde mir immer wieder                                                                   ten. So kann der Predigttext auch als herrschaftskritische
 deutlich, dass es für Jüdinnen und Juden         Die verhängnisvolle antijudaistische Les-             „Literatur der Unterdrückten“ (Klaus Wengst) gelesen wer-
 unerträglich ist, wenn wir die antijüdischen     art des Textes aus der Offenbarung des                den. Diese Situation der Unterdrückung ist heute Reali-
 Gedanken in der Bibel und in unserer Tra-        ­Johannes verbindet sich im 20. Jahrhundert           tät für unzählige Christinnen und Christen weltweit, die
 dition einfach übergehen und als „Zeichen         mit dem missverständlichen Bezug des Tex-            auf Grund ihres Glaubens verfolgt werden und Not leiden.
 der Zeit“ abtun. Schon wegen der bis heute        tes zu Nationalstolz und Vaterlandsliebe.            Vielleicht finden manche von ihnen Halt in den Worten
 spürbaren Wirkungsgeschichte des unseli-          Wie viel Leid ist aus dem Hochmut ent-               der Offenbarung: „Fürchte dich nicht vor dem, was du lei-
 gen Antijudaismus gilt es, heute klar dem         standen, zu dem diese Missdeutung der                den wirst!“ (Vers 10). Unsere Berufung, als Christinnen
 wieder stärker in die Öffentlichkeit drän-        Treue beigetragen hat! In der Offenbarung            und Christen in der beschriebenen Treue zu leben und sie
 genden Antisemitismus in unserer Gesell-          des Sehers Johannes geht es aber um nichts           dem Tod entgegenzuhalten, ist ein Hoffnungszeichen:­­
 schaft entgegenzutreten.                          anderes als um die Treue Christi als „erstem         Bei Gott triumphieren nicht die Reichen und Mächtigen die-
 				                                              Zeugen“ der Wirklichkeit Gottes gegenüber            ser Welt.
 In Vers 10 setzt der Seher andere Zeichen.        seinen Gemeinden und daraus folgend die
 Er stellt Treue in den Mittelpunkt der            Treue der Gemeinde zu Gott. Die Gemein-              Doch auch für uns, die wir – Gott sei Dank – nicht in einer
 ­Hoffnung für die, die leiden und verfolgt        de erhält aus dieser Treue die Kraft, den            Situation leben, in der wir täglich mit einer Bedrohung für
  werden: „Sei getreu bis an den Tod, so will      ­Bedrängnissen zu widerstehen.                       Leib und Leben rechnen müssen, hat dieses Wort der „Treue“
  ich dir die Krone des Lebens geben.“ Gerade                                                           seine Bedeutung. Und ich will nur einen Aspekt aufgreifen:
  im Kontext des Volkstrauertags sehen sicher                                                           Das Schreiben an die Gemeinde in Smyrna fängt unmissver-
  viele, wenn sie diesen Satz lesen oder hören,                »In Treue für die,                       ständlich an: „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war
  Kriegerdenkmäler vor sich. Die „Treue bis in      die leiden und verfolgt werden.«                    und ist lebendig geworden.“ Es geht also um Tod und Leben,
  den Tod“ wird in unserer Geschichte oft ge-                                                           Gericht und Gnade, Schuld und B   ­ efreiung. Treue zu unse-                                    DR. IRMGARD
                                                          DR. IRMGARD SCHWAETZER
                                                                                                        rem Bekenntnis bedeutet dann, das Evangelium von Chris-                                         SCHWAETZER
                                                                                                        tus als Zuspruch und Anspruch Gottes an uns selbst und                                          Bundesministerin a. D. und
                                                                                                        unser ganzes Leben – wie ­Bonhoeffer es formuliert – ernst                                      Präses der EKD-Synode,
                                                  Brüsseler Friedhof, Dezember 1918.                    zu nehmen. Das bedeutet dann auch zum Beispiel, gegen                                           *1942 in Münster
                                                  Hier wurden ­Hinrichtungsopfer der deutschen          Rassismus und Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlich-                                              Andreas Schoelzel
                                                  Militärverwaltung beerdigt, darunter Edith Cavell.    keit und Ausgrenzung aufzustehen und für Menschen, die
                                                  Die britische Krankenschwester pflegte auch           das Ziel dieser menschenverachtenden Haltungen sind, ein-                                       Nach dem Pharmaziestudium
                                                  während der deutschen Besatzung Kriegsver-            zustehen.                                                                                       1971 Promotion. Die langjährige
                                                  wundete und half alliierten Soldaten, die hinter                                                                                                      FDP-Bundestagsabgeordnete
                                                  den Linien geblieben waren, zur Flucht in die         Am Volkstrauertag blicken wir zurück auf den Schmerz, den                                       fungierte 1987 zunächst als
                                                  neutralen Niederlande. Ein deutsches Feldgericht      zwei Weltkriege und viele kriegerische Auseinandersetzun-                                       Staatsministerin im Auswärti-
                                                  verurteilte sie trotz internationaler Proteste 1915   gen und Ausbrüche von Gewalt mit sich gebracht haben.                                           gen Amt und war von 1991 bis
                                                  zum Tod. Unter Berufung auf Gott bekannte sie         Aber das kann kein Selbstzweck sein. Erinnerung dient dem                                       1994 Bundesbauministerin.
                                                  vor ihrem Tod: „Stolz auf die Heimat reicht nicht     Frieden heute.                                                                                  Seit November 2013 leitet sie
                                                  aus, ich darf nicht hassen und keine Bitterkeit                                                                                                       als Präses die Synode der
                                                                                                        Vgl. Mikuláš Vymêtal, Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres: Offb 2,8-11, Trost auf Kosten
                                                                                                        1
                                                  gegen irgendjemanden in mir tragen.“ 1919 wurde       der anderen?, in: Studium in Israel e.V. (Hrsg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen
                                                                                                                                                                                                        Evangelischen­ ­Kirche
                                                  ihr Leichnam nach Großbritannien überführt.           Kontext, S. 388 ff.                                                                             in Deutschland.
                                                     Fotograf unbekannt/ECPAD/Défense

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Zum Volkstrauertag am 18. November 2018 - Gedenkstunden und Gottesdienste gestalten - Volksbund Deutsche ...
KIRCHLICHE GEDENKFEIERN

     Fürbitte
     Gott, Du kennst unsere Bedrängnis
     und unsere Armut.

     Gewalt und Krieg hinterlassen
     tiefe Spuren, die bleiben,
     auch wenn die Schüsse lange verhallt sind.
     Wir bitten Dich,
     sei bei denen, die an Gewalt und
     ihren Folgen leiden,
     und lass uns aus unserer
     Geschichte lernen, damit die Welt
     friedlicher wird.

     Weltweit werden Menschen
     wegen ihres Glaubens verfolgt,
     auch bei uns.
     Wir bitten Dich,
     sei bei denen, die in Bedrängnis sind,
     und gib uns den Mut, für sie einzustehen.

     Du sagst: Sei getreu bis in den Tod.
     Manchmal richten wir uns
     nach anderen Dingen aus.
     Wir bitten Dich,
     richte unseren Blick auf Dich,
     damit wir unsere Treue nicht
     dem Falschen schenken.

     Auf der Kriegsgräberstätte Golm
     in Kamminke/Usedom, 2018
       Volksbund/Uwe Zucchi

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KIRCHLICHE GEDENKFEIERN                                                                                                                                           KIRCHLICHE GEDENKFEIERN

 Die Höllen auf
                                                                                                                                                 als 100 Jahre danach, ein Begriff, der stellver-
                                                                                                                                                 tretend für den gesamten Ersten W   ­ eltkrieg
                                                                                                                                                 und für Krieg überhaupt stehen kann. Die

 Erden verpflichten –
                                                                                                                                                 Berichte derjenigen, die dieser Hölle ent-
                                                                                                                                                 kamen, und die Foto- und Filmzeugnisse
                                                                                                                                                 zeichnen das Bild einer tief ­verwundeten

 zur konsequenten
                                                                                                                                                 Landschaft voller Schlamm und Dreck, in
                                                                                                                                                 die nicht enden wollendes G   ­ eschützfeuer
                                                                                                                                                 Krater reißt, durch die mehr tot als leben-

 Friedenssuche
                                                                                                                                                 dig menschliche Wesen taumeln, schreiend
                                                                                                                                                 und starrend, in der Leichen liegen, die man
                                                                                                                                                 nicht bergen kann, in welcher der dauernde
                                                                                                                                                 Lärm der Artillerie einen zum Wahnsinn

 Predigtmeditation zu Markus 13, 24-32
                                                                                                                                                 treibt, in der man töten soll und selbst je-
                                                                                                                                                 derzeit dem Tod ins Auge sieht. Der Einzel-
                                                                                                                                                 ne ist der Hölle dieses Krieges ausgeliefert
 DR. FELIX GENN                                                                                 Schlachtfeld bei Verdun, Februar 1917            und in seiner Würde als Mensch kaum noch
 Bischof von Münster                                                                              Albert Samama-Chikl/ECPAD/Défense              ­erkennbar.

E
        s ist kein gemütliches, kein Wohlfühl-   Seine Worte und seine Herrschaft sind          vorkommen, als wüssten sie schon Tag und                »Seid wachsam – für das,
        Evangelium, das wir am heutigen          gültig für ewig, über dieses beschriebe-       Stunde, als wären die genau jetzt, in der             was in unserer Welt um uns
        Sonntag hören. Es ist vielmehr eines,    ne Weltenende hinaus. Mit dem Satz             Zeit und an dem Ort, den sie erlebten? Wa-
 welches das Ende der Welt beschreibt, und       „Doch jenen Tag und jene Stunde kennt          ren um sie herum nicht schon Sonne und                       herum passiert.«
 zwar als Schreckensszenario: Nachdem die        niemand, auch nicht die Engel im Himmel,       Mond verdunkelt vom Rauch der Granaten?                        DR. FELIX GENN
 Menschen eine „Schreckenszeit“ hinter sich      nicht einmal der Sohn, sondern nur der         ­Blitzte nicht das endlose Feuer der Geschüt-
 gebracht haben, schildert der Evangelist        Vater“, endet das Evangelium.                   ze wie fallende Sterne? Und die Ordnung des
 jetzt einen sich verdunkelnden Himmel, an                                                       Himmels und der ganzen Welt – sie galt hier     In Dantes „Göttlicher Komödie“ heißt es
 dem weder Sonne noch Mond zu sehen sind         Wenn wir im Jahr 2018 den Volkstrauer-          schon lange nicht mehr, von Himmel und          am Höllentor: „Lasst, die ihr eintretet, alle
 und von dem die Sterne fallen. Er schreibt      tag begehen, dann gehört der Blick auf          Welt war mitten in diesem Krieg nichts mehr     Hoffnung fahren!“ Die Hölle als Ort abso-
 von der zusammenbrechenden Ordnung              das Ende des Ersten Weltkriegs dazu. Am­­       zu sehen und von menschlicher ­Ordnung          luter Hoffnungslosigkeit: Das mögen auch
 des Himmels, die zugleich für die zusam-        11. November 1918, vor fast genau 100 Jah-      nichts zu spüren – ganz ­abgesehen davon,       die Menschen im Ersten Weltkrieg gefühlt
 menbrechende Weltordnung steht.                 ren, endete der bis dahin verheerendste         dass auch in gesellschaftlicher ­   Hinsicht    haben.
                                                 Krieg der Menschheitsgeschichte.                ­dieser Krieg nahezu alle alten ­Ordnungen
 Inmitten dieses Chaos erscheint dann laut                                                        umwerfen würde.                                Und doch: Wenn wir auf das Markus-
 Markus der Weltrichter, der M­ enschensohn,     Diesen Jahrestag im Blick und das Evan-                                                         Evangelium blicken, dann bleibt es nicht
 „auf den Wolken mit Macht und göttlicher        gelium vor Augen frage ich mich, was die       Das Wort von der „Hölle von Verdun“ –            dabei, dann wird die Hoffnungslosigkeit
                                                                                                                                                 ­
 Herrlichkeit“, für alle gut sichtbar und er-    Menschen, die damals den Krieg an der          ­bezogen auf eine besonders sinnlose und         eben doch überwunden. Chaos, Schreckens-
 kennbar, und lässt die M­ enschen zu sich ho-   Front erlebten, zum letzten Satz des Evange-    in jeder Hinsicht aufreibende Schlacht des      zeit, Verlust der Ordnung: All das wird auf-
 len, die er erwählt hat. ­                      liums gesagt hätten. Musste es ihnen nicht      ­Ersten Weltkriegs – ist uns noch heute, mehr   gehoben durch und in Jesus Christus.

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KIRCHLICHE GEDENKFEIERN                                                                                                                                                   KIRCHLICHE GEDENKFEIERN

                                                  Erscheinen in dieser Welt, aber auch für das,     tag: nicht nur, um zu erinnern, sondern
                                                  was in unserer Welt um uns herum passiert.        auch, um uns für Gegenwart und Zukunft
                                                  Wir sind aufgerufen, Zeichen wahrzuneh-           zu verpflichten.
                                                  men, zu deuten und in christlichem Sinne
                                                  zu handeln.                                       Im Bestand des Deutschen Historischen
                                                                                                    Museums in Berlin findet sich der Bericht
                                                  Wenn heute wieder Nationalismen erstar-           eines Frontsoldaten, aufgezeichnet im
                                                  ken, wie sie den Ersten Weltkrieg und alle        ­Poesiealbum einer Lazarettkrankenschwes-
                                                  danach folgenden Fehlentwicklungen erst            ter aus Berlin. Der Soldat, eingesetzt in einer
                                                  ermöglicht haben – dann sind Christen              Stellung zwischen Maas und Mosel, berich-
                                                  ­gefragt, sich vorurteilsfrei für ein Miteinan-    tet vom traurigen Osterfest – a ­ usgerechnet
 Französischer Soldat an einem Feldgrab in         der aller einzusetzen. Wenn heute wieder          Ostern, das Fest des Lebens – im Jahr 1915:
 Souain östlich von Reims im Juli 1916.            Staatsmänner, deren Handeln das Leben             „An jedem Ostertag wird mir das traurige
     Albert Samama-Chikl/ECPAD/Défense             von Abermillionen Menschen beeinflusst,           Bild vor Augen schweben, wie mein Regi-
                                                   sich unbedacht oder gezielt einer hasserfüll-     ment zur Besichtigung antreten mußte.
                                                   ten, waffenklirrenden Rhetorik bedienen           9 von 10, die ausgegangen waren, lagen
 Er holt alle zu sich, die er auserwählt hat,      – dann sind Christen gefragt, sich für eine       draußen auf dem Schlachtfeld und tränkten
 und überlässt sie nicht der Hoffnungslosig-       andere Politik stark zu machen.                   mit ihrem Blut die unersättliche Erde. Und
 keit. Und: Er ruft Menschen zu sich, er kennt                                                       wir – Überlebenden? Todmüde, statt Kleider
 sie. Hier ist der Einzelne – anders als inmit-   Tausende von Katholiken haben das im Mai           nur Fetzen, lehm- und blutbesudelt auf dem
 ten der Kriegsmaschinerie – wahrnehm-            beim Katholikentag in der Friedensstadt            Platz. Unfähig, einen klaren Gedanken zu
 bar, Gott geht es konkret um die einzelne        Münster, in der einst das Ende des 30-jäh-         fassen, war jeder darauf bedacht, ein Plätz-
 Person.                                          rigen Kriegs beschlossen wurde, unter              chen zu finden, um zu schlafen – schlafen
                                                  dem Leitwort „Suche Frieden“ bekräftigt.           – schlafen, zu vergessen all das Schreckli-
 Was heißt das für uns, die wir im seit mehr      Nicht nur der Katholikentag hat gezeigt:           che der letzten Tage, glücklich der, den der
 als 70 Jahren kriegsfreien Deutschland den       Die ­Sehnsucht nach Frieden ist wach, auch         Traumgott heimtrug zu Muttern, bis – die          DR. FELIX GENN
 Volkstrauertag begehen? Was heißt das            und gerade heute. Denn auch wir, die wir im        Wirklichkeit beim Erwachen wieder auch            Bischof von Münster
 für uns, die wir auch nach einem Jahrhun-        Frieden leben, wissen, dass die Welt um uns        an ihn herantrat. […] möge mich ein gütiges          Bistum Münster
 dert noch mit den Auswirkungen des Ers-          herum nicht friedlich ist. Umso mehr sind          Geschick behüten und mir ein 2. Erleben all
 ten Weltkriegs konfrontiert sind – denken        wir, aus unserer privilegierten Situation          des Grausigen ersparen.“                          Dr. Felix Genn, Theologe und Bischof
 wir nur an den Nahost-Konflikt, der gerade       ­heraus, in der Pflicht.                                                                             von Münster, *1950 in Burgbrohl/Rheinland-Pfalz
 in jüngster Zeit an Schärfe gewonnen und                                                           Genau das ist unsere Verpflichtung, die
 ­Dutzende Menschen­leben gefordert hat.          Unser Ziel als Christen ist der Himmel, das       aus dem Volkstrauertag erwächst: Dieses            Studium der Theologie in Regensburg
                                                  ewige Leben bei und mit dem Dreieinigen           ­„Grausige“, diese Hölle auf Erden sind wir        und Trier, dort 1985 promoviert.
 Wenn man über das heutige Tagesevange-           Gott. Auf dem Weg dahin dürfen wir aber            alle verpflichtet, uns und allen Menschen         1999 Ernennung zum Weihbischof
 lium hinaus bei Markus weiterliest, findet       nicht blind sein für die Höllen, die viele         zu ersparen. Das gelingt uns, wenn wir            im Bistum Trier, 2003 zum Bischof von
 man dort Jesu unmissverständliche Auffor-        ­Menschen hier auf Erden erleben und die           unseren Blick richten auf und uns ausrich-        Essen. Seit 2008 ist er Bischof von ­Münster.
 derung: „Seid wachsam!“ Sie gilt auch uns         andere Menschen in Kauf nehmen oder               ten an J­ esus Christus, der am Ende der Tage     In der Stadt des Westfälischen Friedens
 heute: Auch wir sind aufgerufen, wachsam          anstreben um des eigenen Vorteils willen.         ­kommen und den einen, wahren, ewigen             fand in diesem Frühjahr der Katholikentag
 zu sein für das Kommen des Herrn, für sein        Auch deshalb begehen wir den Volkstrauer-          Frieden bringen wird. Amen.                      unter dem Leitwort „Suche Frieden“ statt.

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KIRCHLICHE GEDENKFEIERN

                                     Fürbitte
                                     Gott unser Vater, Du bist ein Gott      Für uns, die wir in Frieden leben
                                     des F
                                         ­ riedens und der Versöhnung,       dürfen: Schenke uns offene Augen
                                     der das L­ eben für alle Menschen       und Ohren, vor allem aber ein
                                     will. Dich bitten wir:                  offenes Herz für alle, denen dieses
                                                                             nicht vergönnt ist, und lass uns
                                     Für alle Menschen, die in den           nicht müde werden, uns Tag für
                                     Kriegen der Vergangenheit ihr           Tag auch in ­unserem Alltag für den
                                     Leben, ihre Gesundheit, ihre            Frieden stark zu machen.
                                     Heimat, ihre Eltern, Kinder, Partner,
                                     ­Geschwister, Freunde verloren          Wir bitten Dich, erhöre uns.
                                      haben: Nimm Du die Toten zu Dir
                                      und heile alle Verletzungen der        Für alle, die Hass und Vorbehalte
                                      Überlebenden.                          zwischen den Menschen befeuern
                                                                             und instrumentalisieren: Schicke
                                     Wir bitten Dich, erhöre uns.            ihnen Deinen Geist, damit auch sie
                                                                             sich dem Frieden zuwenden.
                                     Für alle Menschen, die unter
                                     den Kriegen der Gegenwart oder          Wir bitten Dich, erhöre uns.
                                     unter Gewalt, Verfolgung und
                                     Unterdrückung leiden: Sei Du ihnen      Gott, mit unserer Sehnsucht nach
                                     nahe in all ihrer Verzweiflung und      ­Frieden, aber auch mit unserer
                                     Angst und schütze sie.                   Schwäche, ihn ganz zu leben, stehen
                                                                              wir vor Dir. Du willst L
                                                                                                     ­ eben und
                                     Wir bitten Dich, erhöre uns.             Frieden für alle Menschen. Dafür
                                                                              ­danken wir Dir und loben Dich,
                                                                               heute und alle Tage unseres Lebens.
                                                                               Amen.

     Frauen kehren nach dem
     deutschen Rückzug zu Fuß in
     ihr Heimatdorf zurück.
     Sommer 1918 auf der
     Landstraße bei Vendières
     südöstlich von Reims.
       Edgar Blineau/ECPAD/Défense

24                                                                                                                 25
LITERARISCHE TEXTE                                                                                                                                 LITERARISCHE TEXTE

 Kometenjahre
 DANIEL SCHÖNPFLUG

 […] hatte nicht auch der britische Maler       j­ enem 11. November 1918 um 11 Uhr befin-
 Briton Rivière sich den Sieg des Guten
 ­                                               den. Sie sind so erschöpft vom Kämpfen,
 in der Figur eines völlig erschöpft neben       so überfordert von der Unmenschlichkeit
 seinem toten Pferd liegenden Ritters
 ­                                               des Krieges und der Allgegenwart des To-
 Georg ­vorgestellt, der zwar den Drachen        des, dass s­ ogar den Siegreichen die Kraft
 besiegt hat, dabei aber über die Grenzen        zum Triumph fehlt. Die Strategien der
 seiner Kraft hinausgegangen ist? Das            Kriegslenker, ­Diplomaten und Staatsmän-
 Bild des ausgelaugten Helden in schim-          ner, für die sie gekämpft ­haben, interessie-
 mernder Rüstung ist vor dem Weltkrieg           ren sie jetzt nur noch ­herzlich wenig: Sie
 entstanden, scheint jedoch jenen Tag und        wollen nach Hause, in Geborgenheit und
 jene Stunde vorwegzunehmen in gerade-           Sicherheit, sie wollen das Zurückliegende
 zu berückender Weise. Denn tatsächlich          vergessen. Manchen ist noch nicht einmal
 haben sich die Sieger und Verlierer der         zum Feiern zumute. […]
 weltumspannenden Schlacht gleicher-
 maßen verausgabt und liegen 1918, um                                                            Briton Rivière, St. George and the Dragon
 in der Symbolik des Bildes zu bleiben,                                                             [PD-Old], aus: King Albert‘s Book
 in einem Zustand zwischen Leben und                                                             Daily Telegraph u.a., London 1914
 Tod nebeneinander. 1914 hatte n   ­ ationale   Daniel Schönpflug, Kometenjahre. © S. Fischer    Quelle: Wikimedia Commons/ Scan: Dave Pape
 und imperiale Konkurrenz, herrscher-           Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2017. Mit
 licher Leichtsinn und am Ende die starre       freundlicher Genehmigung des Autors und der      Briton Rivière, Maler und Illustrator,
 ­Mechanik der Bündnissysteme die Welt in       S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.       *1840 in London, †20 April 1920 in London
  den Krieg gerissen. 1918 ist von den einst
  hochfliegenden Kriegszielen nur noch die      Anhand ganz unterschiedlicher Lebensläufe        St. George and the Dragon zeigt entgegen­­
  Hoffnung der Sieger geblieben, sich für       erzählt der Historiker Daniel Schönpflug vom     ­üblicher Darstellungen den siegreichen
  die unglaublichen Kosten aus der Kon-         Kriegsausgang 1918, der kometengleich einen      Drachentöter eher abgekämpft denn auftrump-
  kursmasse der Verlierer zu entschädigen.      Schweif aus Hoffnungen und modernen Auf-         fend. Das Bild wurde 1914 im King Albert‘s Book
  Der heilige Georg kann gleichzeitig auch      bruchsvisionen nach sich zieht – und in dem      abgedruckt, mit dem von Großbritannien aus das
  als ­Verkörperung jenes Zustands gesehen      sich zugleich unter der Last so schwerer Ge-     besetzte Belgien und sein König Albert unter-
  werden, in dem sich viele Soldaten an
  ­                                             walterfahrung schon neue Abgründe auftun.        stützt werden sollten.

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LITERARISCHE TEXTE                                                                                                                                                                      LITERARISCHE TEXTE

                                                                                                         Zukunft ist ein
 Loretto                                            Kriegsgrab                                           blindes Spiel
 EDLEF KÖPPEN                                       AUGUST STRAMM                                        MARTIN FEUCHTWANGER

 Einen Tag lang in                                  Stäbe flehen kreuze Arme                             Nach mehrstündigem Marsch kamen wir              Martin Feuchtwanger, Publizist, *1886 in
 Stille untergehen!                                 Schrift zagt blasses U
                                                                         ­ nbekannt                      in ein großes Zeltlager. […] Der Boden war       München, †1952 in Tel Aviv. Nach anfänglicher

                                                    Blumen frechen                                       Morast, innen war nichts, keine Decke,           Kriegseuphorie zunehmende Zweifel während
 Einen Tag lang den Kopf
                                                                                                         kein Brett, kein Stroh. Das war eines der        der Zeit an der Front. Geriet 1916 in französische
 in Blumen kühlen und                               Staube schüchtern.
                                                                                                         vielen sogenannten Hungerlager direkt            Kriegsgefangenschaft, aus der er nur kurzzeitig
 die Hände fallen lassen                            Flimmer                                              hinter der Front. […] Man konnte entwe-          fliehen konnte. Erst 1920 kommt er in ein Rück-
 und träumen:                                       Tränet                                               der stehen oder im Morast liegen, schla-         kehrerlager in Deutschland. Schildert in seinen
 diesen schwarzsamtnen,                             Glast                                                fen. […] D
                                                                                                                  ­ reimal am Tag erhielt jedes Zelt      Memoiren eindrücklich diese Zeit. Flüchtet 1933

                                                    Vergessen.                                           eine große Schüssel voll Essen. Die Schüs-       vor der NS-Verfolgung über Prag nach Palästina,
 ­singenden Traum:
                                                                                                         sel wurde auf die Erde gestellt, die acht        wo er Exil-Verlage gründet.
  Einen Tag lang nicht töten.
                                                                                                         Mann mussten sich ringsherum auf den
                                                                                                         Bauch legen und aus der Schüssel schlür-         Insgesamt gerieten im Ersten Weltkrieg rund acht
                                                                                                         fen, wie Hunde. […]                              Millionen Menschen in Kriegsgefangenschaft,
 Das Gedicht erscheint 1915 in „Die Aktion“         Das Gedicht erscheint 1915 in der                                                                     viele wurden nicht vor 1922 entlassen.
 (Nr. 5, 25. September 1915).                       avantgardistischen Kunstzeitschrift „Der
                                                    ­                                                    Textauszüge aus: Martin ­Feuchtwan­­ger,
                                                    Sturm“ (Februar 1915). In der Vorkriegs-             ­Zukunft ist ein blindes Spiel. E
                                                                                                                                         ­ rinnerungen.
 Die Loretto-Schlacht im nordfranzösischen          zeit ­
                                                         veröffentlichten hier deutsche und               Der Abdruck erfolgt mit ­freundlicher Ge-
 Artois brachte 1915 trotz zehntausender Tote       französische Künstler. Die anfängliche
                                                    ­                                                     nehmigung der Agentur ­          Lianne Kolf,
 keine strategische Kriegswende.                    Kriegsbegeisterung vieler Expressionisten             ­München.
                                                    unterbricht diesen Austausch bis in die
 Joachim Edlef Köppen, Schriftsteller und           1920er Jahre.
 ­Redakteur, *1893 in Genthin, †1939 in G
                                        ­ ießen.                                                                                                                            Französische Soldaten bei
 Meldete sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst.     August Stramm, Postbeamter und ­Lyriker, *1874                                                                          Verdun. Trotz starken Frosts
 Nach mehrfacher Verwundung entwickelte             in Münster/Westfalen, †1915 bei Brest-Litowsk.                                                                          beginnen im Februar 1917 nach
 sich Köppen zum P
                 ­ azifisten, ­weigerte sich 1918   Nahm als Hauptmann der Reserve freiwillig am                                                                            längerer Gefechtspause wieder
 weiterzukämpfen, w
                  ­ orauf er wenige Wochen vor      Krieg teil und starb bei einem Sturmangriff. Ent-                                                                       die Kämpfe.
 Kriegsende in die Psychiatrie eingewiesen wurde.   wickelte sich erst in seinen letzten Lebensjahren                                                                          Albert Samama-Chikli/
 Sein Antikriegsroman „Heeresbericht“ wird in der   zu einem der wichtigsten Vertreter expressionisti-                                                                       ECPAD/Défense
 NS-Zeit verbrannt und verboten.                    scher Dichtung in Deutschland.

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LITERARISCHE TEXTE                                                                                                                                                               LITERARISCHE TEXTE

Der Graben
KURT TUCHOLSKY

[Vorschlag zur Lesung mit verteilten Rollen,
je nach Anzahl der Lesenden]

[Leser 1]                                      [Leser 4]
Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?        Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?        Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,        In die Gräben schickten euch die Junker,
und du hast ihm leise was erzählt?             Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Bis sie ihn dir weggenommen haben.             Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
Für den Graben, Mutter, für den Graben.        für das Grab, Kameraden, für den Graben!

[Leser 2]                                      [Leser 5]                                                                                                                      Französische Soldaten in
Junge, kannst du noch an Vater denken?         Werft die Fahnen fort!                                                                                                             einem Unterstand des
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.            Die Militärkapellen                                                                                                              Fort Vaucherauville bei
Und er wollt dir einen Groschen schenken,      spielen auf zu euerm Todestanz.                                                                                                  Verdun im Februar 1917
und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.     Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen –                                                                                          Albert Samama-Chikli/
Bis sie ihn dir weggenommen haben.             das ist dann der Dank des Vaterlands.                                                                                                   ECPAD/Défense
Für den Graben, Junge, für den Graben.
                                               Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
[Leser 3]                                      Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
Drüben die französischen Genossen              schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben.     Das Gedicht erscheint erstmals 1926 in der            ­unmittelbaren Fronteinsatz vermeiden. Kehrte
lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.          Wollt ihr denen nicht die Hände geben?           pazifistischen und republikanischen Zeit-             als Pazifist aus dem Krieg zurück und entwickelte
Alle haben sie ihr Blut vergossen,             Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben   schrift „Das Andere Deutschland“ (Ausgabe             sich zu einem der wichtigsten sozialkritischen
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.       übern Graben, Leute, übern Graben –!             20.11.1926).                                          Publizisten in der Weimarer Republik. Der profi-
Alte Leute, Männer, mancher Knabe                                                                                                                     lierte NS-Gegner emigrierte 1929 nach Schweden,
in dem einen großen Massengrabe.                                                                Kurt Tucholsky, Schriftsteller und Journalist,        wo er sich vermutlich das Leben nahm.
                                                                                                *1886 in Berlin, †1935 bei Göteborg. ­Entgegen vie-
                                                                                                ler anderer Schriftsteller ist Tucholsky von Beginn
                                                                                                an kriegsskeptisch. Er wird an die Ostfront einge-
                                                                                                zogen, kann aber später als Armee-Redakteur den

30                                                                                                                                                                                                       31
REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN                                                                                                                       REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN

 Die Opfer wegen                                                                                 der unberechtigten, illegitimen Verherrli-
                                                                                                 chung der eigenen nationalen Sache, für

 ihrer Würde als
                                                                                                 die sie in den Tod geschickt worden sind, die
                                                                                                 aber heute als Rechtfertigung nicht mehr
                                                                                                 trägt, ist gedanklich und gefühlsmäßig

 Menschen ehren
                                                                                                 nicht einfach, aber notwendig.

                                                                                                 Es ist nicht einfach, weil es so scheinen
                                                                                                 könnte, dass mit der Infragestellung der

 Redevorschlag 1
                                                                                                 „objektiven“ Rechtfertigung der Kriege und
                                                                                                 der mit ihnen verbundenen Opfer auch die
                                                                                                 Würdigung ihres subjektiven Opfers ver-
 PROF. DR. GESINE SCHWAN                                                                         loren ginge. Aber das stimmt nicht. Denn
                                                                                                 die moralische Würdigung der Personen,

 J
                                                                                                 die sich geopfert haben oder sich opfern
          edes Jahr in der dunklen Zeit erinnern   Über viele Jahre hinweg ist aus der Trauer    mussten, auch die Würdigung ihrer eigenen
          wir uns am Volkstrauertag der Toten,     um die Toten und aus ihrer Würdigung          Motive ist unabhängig von der Berechti-
                                                                                                 ­
          die durch die Weltkriege und in ihnen    immer wieder das Bedürfnis entstanden,        gung der Entscheidungen, die in die Kriege
 den Tod erlitten haben. Diese Kriege ­wurden      ihr Opfer auch dadurch zu ehren, dass         geführt haben.
 von Völkern, genauer: von Staaten und             man Gründe für die Rechtfertigung ihres
 ihren Regierungen gegeneinander geführt.          ­Todes vortrug. Damit hat man, oft implizit
 Wir sollen und wollen diese Toten ehren,           und jedenfalls nicht immer gewollt, auch        »Menschen wegen ihrer Würde                  Teilnehmer der ersten deutsch-mazedonischen
 die sehr oft nicht freiwillig das Opfer ihres      die Gründe für die Kriege, denen sie zum                                                     Jugendbegegnung erneuern Inschriften auf der
                                                                                                       als Menschen ehren, ohne
 Lebens gebracht haben. Was sie gedacht
 ­                                                  ­Opfer gefallen sind, gerechtfertigt.                                                        Kriegsgräberstätte Prilep. Die dem Volksbund
 oder gefühlt haben, was sie bewegt und                                                            falsche Rechtfertigung für einen              bekannten Namen aller ­Kriegstoten werden hier
 ­motiviert hat, wissen wir meistens nicht.        Damit können wir heute nicht fortfahren,               ungerechten Krieg.«                    aufgeführt. Die ­Kriegs­gräberstätte wurde 1916
  Unser Gedenken hängt auch nicht davon ab,        müssen es vielmehr in Zweifel ziehen. Wir                                                     ­angelegt. Hier ruhen vor allem Kriegstote des
  ob wir ihren Vorstellungen oder Gefühlen         müssen uns der herausfordernden Wahr-                PROF. DR. GESINE SCHWAN                  Ersten Weltkriegs, darunter der Sohn Friedrich
  zustimmen. Es ehrt vielmehr das Leid, das        heit stellen, dass wir Leid und Opfer von                                                     Eberts. Nahezu vollständig zerstört, konnte der
  Opfer, das Unglück, das sie tragen muss-         Menschen wegen ihrer Würde als Menschen                                                       Volksbund die Anlage 2014 wieder herichten.
  ten, und es ehrt darin prinzipiell die Würde     ehren, auch wenn sie in einem ungerechten     Diese Unterscheidung ist sogar umgekehrt
  und die Unersetzbarkeit ihrer Person, aller      und nicht zu rechtfertigenden Krieg gestor-   notwendig, wenn wir – auch und gerade           Projektpartner ist die Jörg-Zürn-Gewerbeschule
  ­Personen, aller Menschen als Personen. Das      ben sind, auch wenn sie aus heutiger Sicht    um der Opfer willen – Schlussfolgerungen        aus Überlingen/Baden-Württemberg. Das Projekt
   ist die Grundüberzeugung unserer Kultur,        ein sinnloses Opfer gebracht haben.           zum Volkstrauertag ziehen wollen, die für       verbindet die praktische Arbeit mit S
                                                                                                                                                                                     ­ eminaren
   die sich auf die Menschen- und Bürger-                                                        die ­Zukunft sinnlose Kriegsopfer vermeiden     zur Geschichte auf dem Westbalkan.
   rechte jedes Individuums gründet, nicht auf     Dieser Gedanke: zu unterscheiden zwischen     ­helfen. Denn die resignative Idee, dass es       Volksbund
   besondere Missionen oder Privilegien von        dem subjektiven Sinn, den die Toten selbst     eben immer Kriege geben werde und man
   Nationen oder Staaten.                          oder ihre Angehörigen ihrem Opfergang          sie deshalb hinnehmen müsse, wird dem
                                                   ­zugesprochen haben, und den Illusionen,       grauen­haften Geschehen,

32                                                                                                                                                                                                 33
REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN                                                                                                                            REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN

                                                                                                   Aber die Zuspitzungen in der Vorkriegszeit, welche die Kriegs-
                                                                                                   gefahr immer erhöhen, das leichtfertige Schüren ­nationaler
                                                                                                   Vorurteile und Ressentiments – sie haben ihren Ursprung in
                                                                                                   der Unfähigkeit oder im mangelnden Willen zur Verständi-
                                                                                                   gung. Immer wieder fehlte es in Europa an der ­Bereitschaft, die
                                                                                                   Perspektive, die Wahrnehmung, die Erfahrungen, die Sicht-
                                                                                                   weise der Nachbarn, die uns ganz fremd zu sein ­schienen, zu
                                                                                                   verstehen, sich an ihre Stelle zu setzen, mit ihnen empathisch
                                                                                                   zu sein.

                                                                                                   Mit wie viel Geringschätzung sind zum Beispiel Deutsche zwi-
                                                                                                   schen den Weltkriegen ihren polnischen oder auch ­russischen
                                                                                                   Nachbarn begegnet, wie haben sie sich als „­ Herrenmenschen“
                                                                                                   gefühlt, haben damit oft ihr eigenes ­geringes Selbstwertgefühl
                                                                                                   kompensiert, und dann kein ­Problem mit der ­Unterdrückung
                                                                                                   und Ermordung dieser Nachbarn gehabt. Reste dieser schlim-
                                                                                                   men Mentalität ­bestehen immer noch, aber sie sind doch durch
                                                                                                   intensives gegenseitiges K
                                                                                                                            ­ ennenlernen und durch h   ­ istorische
                                                                                                   Forschungen und A  ­ useinandersetzungen deutlich zurückge-
                                                                                                   gangen.                                                             PROF. DR.
                                                                                                                                                                       GESINE SCHWAN
                                                                                                   Leider hat es in den letzten Jahren in der ­Europäischen ­Union     Politikwissenschaftlerin,
                                                                                                   in der Folge der B   ­anken- und der Wirtschaftskrise eine          *1943 in Berlin
 Teilnehmer eines Bildungsseminars gedenken der Opfer der                                          ­Renaissance von nationalen Vorurteilen g  ­ egeben. Gerade bei        Privat/Gesine Schwan
 Bombardierung von Swinemünde im Zweiten Weltkrieg. März 2018,                                      uns in Deutschland sind Selbstherrlichkeit und Überlegen-
 ­Jugendbegegnungstätte Golm auf Usedom.     Volksbund/Uwe Zucchi                                   heitsdünkel wiedererstanden. Die das vorangetrieben oder           Nach einer Professur an
                                                                                                    nahegelegt haben, sind der historischen Versuchung der Deut-       der Freien Universität
                                                                                                    schen erlegen, den Wert von Menschen und G      ­ esellschaften    ­Berlin ­Präsidentin der
 dem Leid­und den oft ungesühnten Ver-             interessen ins Feld geführt. Mit historischem    nicht an ihrem demokratischen Wertebewusstsein, an ihrer           ­Europa-Universität ­Viadrina
 brechen, denen Kriege den Boden b  ­ ereiten,     Abstand betrachtet trafen sie nur in seltenen    Kultur, an ihrem Freiheitswillen oder ihrer Kreativität zu mes-    in Frankfurt (Oder). 2004 und
 nicht gerecht. Im Ursprung der Kriege des         Fällen zu. ­Allerdings ­müssen wir Deutsche      sen, sondern an ihrer wirtschaftlichen Effizienz. Viele haben      2009 ­Kandidatin zur Bundes-
 20. Jahr­  hunderts, die zwischen National-        uns immer wieder ins Gedächtnis zurück-         diese einfach mit Verantwortungsbewusstsein gleichgesetzt          präsidentenwahl. Heute
 staaten ausgefochten wurden, ­    lagen in        rufen, dass insbesondere der Zweite              und damit viele unserer Nachbarn g ­ ekränkt.                      leitet sie als Mit-­Gründerin
 der Regel Verblendungen und einseiti-             Weltkrieg ­
                                                   ­           als Angriffskrieg gegen unsere                                                                          und Präsidentin die Humboldt-­
 ge E ­ inschätzungen der eigenen Sache im         überfallenen Nachbarn ihnen keine ande-         Der Volkstrauertag gibt uns einen wichtigen Anstoß, diesen          Viadrina Governance
 ­Vergleich zu jener der Gegner. Oft w­ urden      re Wahl ließ, als sich gegen die deutsche       Irrweg um des Leids der europäischen Weltkriegsopfer willen         ­Platform. Gesine Schwan
  historische Ansprüche auf L   ­änder und         ­Aggression und ­Besatzung mit Waffenge-        entschieden wieder zu verlassen im Sinne der Maxime, die Im-        erhielt zahl­reiche Auszeich-
  Reichtümer oder missionarische politische         walt zu wehren.                                manuel Kant für den Gemeinsinn formuliert hat: Uns ­jederzeit       nungen für ihr Engagement,
  Ziele, ­angeblich unverzichtbare nationale                                                       an die Stelle der anderen zu setzen, um ihnen G­ erechtigkeit       insbesondere in den deutsch-­
  Interessen oder sogenannte Überlebens-                                                           wider­fahren zu lassen.                                             polnischen ­Beziehungen.

34                                                                                                                                                                                                     35
REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN

 Zwischen Erinnerung
 und Geschichte
 Redevorschlag 2
 DR. ELISE JULIEN

 Ein Jahrhundert des Gedenkens an
 die Toten des Ersten Weltkrieges

N
          ovember 1918 steht für das Ende des     hat inzwischen der Wald wieder in B  ­ esitz
          Ersten Weltkrieges – zumindest an      ­genommen. Um Verdun herum gibt es sechs
          der Westfront, denn der Konflikt        vollständig verwüstete Kommunen, die den                                                                        Französische Soldaten nach
 setzt sich damals andernorts und ander-          Titel „für Frankreich gefallen“ tragen; sie                                                                     einem deutschen Angriff im
 weitig fort, insbesondere für das revolutio-     existieren noch als Kommunen, haben noch                                                                        stark zerstörten Waldgebiet
 näre Deutschland, das noch in die Kämpfe         einen ernannten Bürgermeister – doch                                                                            Bois des Caurières nordöstlich
 im ­Osten verwickelt ist und sich auf dem        Menschen leben dort heute keine mehr.                                                                           von Verdun. Februar 1917.
 Weg der Demokratie vorantastet. Ein Jahr-                                                                                                                           Albert Samama-­Chikli/
 hundert später sind die Militärfriedhöfe, die   Zur Zeit des Ersten Weltkrieges haben Sol-                                                                       ECPAD/Défense
 sich entlang der alten Kampflinien dieses       daten den Wunsch, ihre Kameraden würdig
 Konflikts erstrecken, erneut Gegenstand der     zu begraben, und Familien fordern genaue        und der Pflege der einzelnen Gräber; soweit     (­Nach-)Kriegsgesellschaften befinden sich
 Aufmerksamkeit: im Westen von der Nord-         Informationen, um ihrer Angehörigen in-         dies überhaupt möglich gewesen ist.              die Kriegsdenkmäler der Gemeinden oder
 see bis zu den Vogesen; im Osten von der        dividuell gedenken zu können. Obwohl der                                                         der verschiedenen vom Krieg betroffenen
 Ostsee bis ans Schwarze Meer; und bis weit      Tod auf außerordentlich brutale Art und         Auch wenn die großen Massenfriedhöfe der         Institutionen (Schulen, Unternehmen, Ver-
 nach Kleinasien und Afrika oder darüber hi-     Weise in den kriegsführenden Staaten Ein-       1920er Jahre den Tod kollektivieren, eine na-    eine). Sie sollen je auf ihre Art ein individu-
 naus. Dieser Krieg ist ein weltumspannen-       zug gehalten hat, entwickelt sich zu jener      tionale Einheit schaffen und die Gleichheit      elles Andenken vermitteln.
 des Ereignis.                                   Zeit eine Individualisierung der Bestat-        im patriotisch erbrachten Opfer unterstrei-
                                                 tungsriten und der Kriegsgräber: Es entsteht    chen sollen, sind sie unausbleiblich immer      All diese Spuren in der Landschaft, insbe-
 Heute, hundert Jahre später, ist die Land-      ein neues Verhältnis zum Kriegstod. Deut-       auch ein (zumindest ersehnter) Trauerort        sondere die Gräber und Denkmäler, zeugen
 schaft in der Nähe dieser Friedhöfe oft im-     lich wird dies durch neue Gepflogenheiten       für den persönlichen Verlust. Gleiches gilt     – wenn auch verblasst – von Verletzungen
 mer noch durch die Kämpfe geprägt: von          bei der Identifizierung jedes Verstorbenen,     auch für die zahlreichen Begräbnisorte          tief hinein in unsere Gesellschaften. Je wei-
 Granaten geformte Mondlandschaften,             der Zusammenführung seines Habes, der           weit von den ehemaligen Frontlinien – ne-       ter das Leben der im Krieg Gefallenen in die
 Überbleibsel aus Beton oder Stacheldraht,       Benachrichtigung seiner Familie – die fort-     ben Kriegslazaretten, in den zerbombten         Ferne rückt, desto endloser erscheinen die
 Abfälle aller Art ... Die Gebiete der „Roten    an umsichtiger und systematischer erfolgt       Städten oder auf kommunalen Friedhö-            Trauer und der Schmerz, der in jeder wei-
 Zone“, immer noch zum Teil nicht nutzbar,       – sowie der Organisation des Begräbnisses       fen. In der Heimat und damit inmitten der       teren Generation aufs Neue erwachen

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REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN                                                                                                                               REDEN BEI GEDENKVERANSTALTUNGEN

 kann. In diesem Sinne bleibt die Erinne-         Robert Hébras durch den Ort des Massakers
 rung an den Ersten Weltkrieg sehr lebendig.      von Oradour-sur-Glane. Die ersten Treffen
 ­Dennoch hat sich die Bedeutung, die man         der Staatsmänner sind zwar bildmäch-
  den unterschiedlichen Spuren beimisst,          tig, bleiben aber auf gewisse Weise noch
  in den vergangenen hundert Jahren stets         „stumm“. Ihre Symbolik gründet allein auf
  weiterentwickelt; so sind aus Symbolen des      dem Ort – der an Zerstörung und Tod erin-
  Konflikts Orte der Versöhnung geworden.         nert – und auf den Gesten – die vom Willen
                                                  der Annäherung zeugen. Eine schlichte wie
 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es nicht      starke Botschaft der Ablehnung des Krieges
 mehr möglich, sich nur auf nationaler            und der Bereitschaft zur Versöhnung. Erst
 Ebene zu erinnern: Gedenkfeiern finden
 ­                                                ab der Jahrtausendwende gehen die Staats-
 heute z­ unehmend in einem internationalen       oberhäupter in Reden näher auf die politi-
 Rahmen statt. Angesichts dieser wechsel-         schen Lehren ein, die es zu ziehen gilt, wenn
 seitigen Aufgeschlossenheit nehmen die           man sich gemeinsam dieser ­      Geschichte
 deutsch-französischen Beziehungen eine           stellt.
 besondere Stellung ein. Nach der erbitter-
 ten Feindschaft ist die heutige Annähe-          Auch wenn dieser Verständigungspro-
 rung bemerkenswert: Aus dem Erbe einer           zess nicht frei von unterschiedlichen
 konfliktreichen Geschichte erwächst eine         ­Bewertungen der Vergangenheit ist, zeugt er
 umso e­ ngere Zusammenarbeit – nicht nur          dennoch von einer umfassenden Verände-
 ­zwischen den beiden Ländern, sondern in          rung und schafft erst das Fundament für ei-
  ganz Europa.                                     nen wirklichen Dialog. Über die reine Ableh-
                                                   nung des Krieges hinaus sind Perspektiven       Jugendliche aus Frankreich und Deutschland legen eine
                                                   getreten, die zwar immer noch auf persönli-     ­zugewachsene Stellung auf dem Hartmannsweilerkopf ­
     »Aus Symbolen des Konflikts                   chen Erfahrungen beruhen, die nun aber da-      im Elsass frei. Bildungsprojekt des Landesverbands ­

       sind Orte der Versöhnung                    rauf abzielen, Licht in die Vergangenheit zu    Baden-Württemberg im Mai 2018.       Volksbund
                                                   bringen, um gemeinsam aus ihr zu lernen –­­
                geworden.«                         bis hin zur konkreten Ausgestaltung
              DR. ELISE JULIEN                     des Friedensprojekts in einem vereinten         weil sie so leicht in die falsche Richtung wei-        Dieser multiperspektivische Ansatz ermög-
                                                   Europa. Dies zeigt die ganze politische Trag-   sen oder missverstanden werden können.                 licht erst ein wechselseitiges Verständnis.
                                                   weite, die sich hinter den Fragen der Erinne-                                                          Unter diesen Gesichtspunkten ist die in Er-
 Das ist nicht neu, sondern steht in einer ganz    rung auftut.                                    Um sich die Ereignisse der Vergangenheit               innerung an den Ersten Weltkrieg eröffne-
 eigenen Tradition des gemeinsamen Geden-                                                          wieder ins Gedächtnis zu rufen, sie in ihrem           te Gedenkstätte am Hartmannswillerkopf
 kens: von Konrad Adenauers und Charles de        Zur Gestaltung sinnvoller und auf ihre           historischen Zusammenhang zu verstehen                 ­(Elsass) für die deutsch-französischen Bezie-
 Gaulles Besuch der Kathedrale von Reims          ­Weise wirksamer Gedenkfeiern muss man           und zu klären, ist die Arbeit von Historikern           hungen ein großer Erfolg. Nach mehrjähri-
 über den ikonischen Handschlag zwischen           sich dennoch der konkreten Gegebenheiten        und Historikerinnen von entscheidender                  ger Arbeit eines wissenschaftlichen Beirats,
 Helmut Kohl und François Mitterrand vor           und sensiblen Komplexität der Situation         Bedeutung. Sie kann eine solide Wissens-                der sich aus Experten beiderseits des Rheins
 dem Beinhaus von Douaumont bis zum ge-            bewusst sein. Sonst laufen diese Anlässe        und Erfahrungsbasis zur Verfügung stel-                 zusammensetzte, wurde die Gedenkstätte
 meinsamen Gang von Joachim Gauck und              Gefahr, aufgrund schlecht verankerter oder      len, die so gut wie möglich von normativen              im Jahr 2017 eingeweiht.
 François Hollande mit dem Überlebenden            schlecht vermittelter Symbole zu scheitern,     oder nationalen Engführungen befreit ist.

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