Miteinander - Canisiuswerk

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Miteinander - Canisiuswerk
miteinander
3–4/2020 | 92. Jahrgang | € 1,50                         Das Magazin des Canisiuswerkes

4 Essay
Über biblische
Geschichten und
erzählte Wahrheiten

12 Ratgeber
Wie finde ich
den Platz in
meinem Leben?

18 Reportage
Bildung gegen
Armut: Besuch
in Rumänien

                                    Aufwärts!
                                    Das Leben spielt sich buchstäblich zwischen Himmel
                                    und Erde ab: Mit dem Frühling strebt alles der
                                    ­Sonne entgegen. Zeit, einmal Kopf und Geist zu
                                     heben und den Blick himmelwärts zu richten.
Miteinander - Canisiuswerk
In diesem miteinander

 4                                           12                                           18

     Thema                                        Glaube & Leben                               Welt & Berufung

 3 Den Sehenden Augen öffnen                 7 Blickwinkel                               12 Wo ist mein Platz?
   Blinder Bergsteiger                         Kolumne                                      Die eigene Berufung finden
 4 Begeisternde Geschichten                  8 Göttliche Medienprofis                    15 Neustart in Neustadt
   Über erzählte Wahrheiten                    Serie Biblische Berufe                       Kapuziner
 6 Verlorene Zukunft                        11 Ewige Stadt                               17 Leidenschaftlicher Gottsucher
   Geliebte Sternenkinder                      Arbeiten für vatikanische Medien             Priesterseminarist im Porträt
 9 Luftige Höhen                            14 Mit leichtem Gepäck                       18 Bildung als Schlüssel
   Bischöfe über Lieblingsorte                 Pilgerreise nach Assisi                      Einsatz für Rumänien
 9 Aufwärts                                 16 Bleibe bei uns!                           20 Aus den Diözesen
   Lyrik                                       Emmausjünger                                 Vielfältige Angebote
11 Auf der Kirchturmspitze                  19 Aus dem Seitenschiff                            Standards
   Porträt eines Spenglers                     Kinder und die Klimakrise
                                                                                          2   Editorial
                                                                                         21   Aus der Redaktion
                                                                                         22   Impressum
                                                                                         22   Canisiuswerk aktuell
                                                                                         23   Gebet
                                                                                         24   Bild & Wort
     Editorial

D
         as Glück liegt auf 2.704                     Das eigentlich Gute sprießt fürAnders gesagt: Wer vom österlichen Auf-
         Metern. Nach einem                           den Bauern von unten. Und      wärts des Menschen sprechen möchte, darf
         langen Anstieg über Geröll-                  welcher Flugpassagier ist nichtvon seinem Ende, vom Verstummen ange-
und Schneefelder und einem steilen Grat     froh, wenn er endlich wieder Boden un-   sichts der Realität des Todes, von seinem
hält der Gipfel einen atemberaubenden                                                irdischen Hinab nicht schweigen. Was wir
                                            ter den Füßen hat. Ist alles also nur eine
Blick bereit. Der Himmel tiefblau. Voll-    Frage der Perspektive? Oder gibt es ein  biografisch oft aushalten müssen – das Le-
kommene Ruhe. Erschöpfung und Glück         verbindendes Moment?                     ben in dieser permanenten Spannung von
pur. Das war vor fast 30 Jahren, als ich                                             oben und unten – täte wohl auch der Kir-
zum ersten Mal auf der Roten Wand im        Eine mögliche Antwort bietet ein Blick che und ihrer Verkündigung gut: ein wenig
Großen Walsertal stand. Glück bedeutete     auf Ostern, das Fest der Auferstehung, mehr Umsicht in der Rede von der Aufer-
für mich seither oft aufwärts, nach oben,   des „Aufwärts“ par excellence. Das meine stehung; theologisch gesprochen: ein wenig
                                                                                                                                     Titelbild: Adobe Stock/sergeytimofeev | Klingen: Sulzer/SHW

in die Berge. Zugleich wuchs in den letz-   ich nicht spirituell                                               mehr „Karsams-

                                                                    »
ten Jahren die Liebe zur Ebene, zu den      überhöht, sondern                                                  tagschristologie“.
endlosen Radwegen meiner Jugend, zur        ganz und gar ge-             Aufwärts geht’s nur,                  Denn Hoffnung
Weite des flachen Landes, das bis heute     erdet, weil in der                                                 speist sich aus ih-
den Geschmack vom Glück der Kindheit        Spannung von un-
                                                                       wenn     man   den    Boden             rer Herkunft, aus

                                                                                              «
für mich trägt.                             ten und oben ste-          unter den Füßen                         dem Jammertal
                                            hend: Denn bevor           nicht verliert.                         mehr als aus der
Ähnlich Gegenläufiges zwischen oben         in der Osternacht                                                  Vision. Aufwärts
und unten lässt sich auch in vielen ande-   in einem liturgi-                                                  geht’s nur, wenn
ren Lebensbereichen beobachten: Wenn        schen Vorgriff die Auferstehung gefeiert man den Boden unter den Füßen nicht ver-
sich der Bauer nach Regen sehnt oder der    wird, kennt der Glaube den Tiefpunkt des liert. Das gilt für den Glauben ebenso wie
Sonnenanbeter nach Wärme, richten bei-      Karfreitags und das Verstummen des Kar- für eine glückversprechende Bergtour.
de ihre Blicke nach oben. Andererseits:     samstags.                                                      Henning Klingen

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Miteinander - Canisiuswerk
Porträt

                       Jeder hat seinen Everest
                       Andy Holzer ist von Geburt an blind. Doch Ohren, Nase, Mund und vor allem
                       Hände reichen ihm, um sich ein präzises Bild von der Welt zu machen.
                       Der „Blind Climber“ bestieg die „Seven Summits“, die höchsten Berge aller Kontinente.
                       Von Robert Sonnleitner

                       W
                                      as dem Mount Everest          halt raufsteigen und sie erfühlen.“ Sei-      lich, alle „Seven Summits“, die jeweils
                                      nicht gelang, schaffte am     ne Blindheit empfindet er hier sogar als      höchsten Berge der sieben Kontinente, zu
                                      26. Jänner 2019 der Teles­    Vorteil: „Als Blinder orientierst du dich     bezwingen. Beim letzten in seiner Liste,
                       kop-Funkmast in seinem Garten: Andy          viel mit den Händen, das ist im aufrech-      dem Mount Everest, musste er 2014 und
                       Holzer stürzte 20 Meter in die Tiefe, als    ten Gang schwierig. Am Fels hatte ich die     2015 wegen einer Lawine und einer Erd-
                       die Stahlkonstruktion bei Reparaturarbei-    Welt plötzlich unter Kontrolle. Und des-      bebenkatastrophe umkehren, beim drit-
                       ten nachgab und den begeisterten Hob-        halb ist das Bergsteigen bis zum heutigen     ten Versuch 2017 klappte der Gipfelsieg.
                       byfunker unter sich begrub. Holzer muss-     Tag die sichere Variante für mich.“
                       te von der Feuerwehr geborgen werden;                                                      Den Sehenden Augen öffnen
                       beide Unterarme waren eingeklemmt            Eine große Hilfe ist ihm seine Frau Sa-       Bereits 2010 machte sich der als „Blind
                       und mehrfach gebrochen. Er musste ope-       bine, mit der er seit 1990 verheiratet ist    Climber“ international bekannt geworde-
                       riert werden, verbrachte viele Monate        und mit der er in Tristach im Bezirk Li-      ne Holzer als Bergsteiger und Vortragen-
                       in Rehabilitation. Der rechte Zeigefinger    enz lebt. Gemeinsam planen sie jede Tour      der selbstständig. Sein Motto lautet: Den
                       war allerdings nicht zu retten und wur-      voraus, „so entsteht eine virtuelle Skizze    Sehenden die Augen öffnen. Holzer möch-
                       de amputiert – ein Verlust, der Holzer       in meinem Kopf“, sagt Holzer. Dazu stu-       te das nicht als überhebliche Ansage ver-
                       schwer traf, denn „die Fingerspitzen sind
                       mein Horizont“.

                       Andy Holzer ist aufgrund einer Netz-
                       hauterkrankung seit Geburt blind. Doch
                       das hat den Osttiroler nie abgehalten, das
                       zu tun, was er tun wollte. Fahrradfahren
                       zum Beispiel. „Der zum Radfahren nötige
                       Gleichgewichtssinn war bei mir schon im-
                       mer gut ausgeprägt“, erzählt er. Das Pro-
                       blem war eher, mögliche Hindernisse auf
                       der Straße wahrzunehmen. Zum Glück
                       gab es im Dorf kaum Autos und so lern-
                       te der junge Andy alle Gemeindestraßen
                       und Wege auswendig. Autos oder Trak-
                       toren erkannte er aufgrund ihrer Moto-
                       ren- und Reifengeräusche. Bis heute zäh-
                       len Sportarten wie Langlauf, Surfen und
                       Mountainbiken zu seinen Hobbys.              diere er die Berichte von anderen Berg-       standen wissen, sondern es bedeutet, dass
                                                                    steigern. „Ich werte sie aus, präge mir       „man seine scheinbaren Schwächen einmal
                       Blindheit als Vorteil                        alles ein: Wo rauscht ein Bach, nach wie      von einer anderen Seite betrachten sollte
                       Das Bergsteigen fasziniert ihn seit Kind-    viel Kletterstunden muss man wo abbie-        und sie dadurch vielleicht sogar zu einem
                       heitstagen. „Als ich ein kleiner Junge       gen, wie ist der Zugang zum Fels?“ Auf        Werkzeug machen kann“. Jeder habe einen
Andreas Unterkreuter

                       war, haben mir meine Spielkameraden          dem Berg selbst ist der blinde Alpinist im-   Everest, also eine Herausforderung, der
                       von den Zacken der Dolomiten erzählt“,       mer in Begleitung; Holzer „liest“ oft den     man sich im Leben stellen muss. Für Hol-
                       erinnert sich Holzer. „Ich wusste, wenn      Untergrund über die Bewegungen seines         zer war es im Vorjahr der harte Weg nach
                       ich die auch sehen möchte, muss ich          Vordermanns. So gelang es ihm tatsäch-        seinem Unfall zurück auf den Berg.

                       miteinander 3–4/2020                                                                                                              3
Miteinander - Canisiuswerk
Essay

Über erzählte Wahrheiten
Fantasy-Serien bedienen sich häufig religiöser Narrative von Leiden, Sterben
und Erlösung. Warum gelingt aber ihnen, was den biblischen Überlieferungen
immer weniger gelingt, nämlich Menschen zu faszinieren?
Von Aaron Langenfeld

G
          ehörnte und gehufte Halbmen-         Einrichtungen als Statue abgebildet ist –     gengeschichte zu tun. Es ist aber kaum zu
          schen ziehen durch die Straßen,      überlebensgroße Darstellungen eines bru-      bestreiten, dass diese Geschichten unse-
          Feen organisieren sich im Unter-     tal Erhängten. Die drastische Exekutions-     re selbstverständlichen Wahrheiten an-
grund gegen die rassistische Diskriminie-      darstellung provoziert recht unmittelbar      greifen oder sogar zerstören und uns so
rung ihrer Art – die Serie Carnival Row        die Frage, welch perverser Anblick dort ei-   offenkundig etwas über die Wirklichkeit
(USA, 2019) erhebt augenscheinlich nicht       gentlich verehrt wird. Und natürlich spielt   sagen können. Kann man also auch etwas
den Anspruch, uns über reale Ereignisse        sie so mit einer Verfremdung christlicher     Positives aus diesen Narrativen ziehen?
zu informieren. Merkwürdig ist es dann         Corpus-Kreuze, die uns zumeist selbstver-     Erzählen Lügen Wahrheit?
aber doch, all diese Gestalten

                                       »
nicht in dem für sie vorgesehe-                                                                     Man könnte mit der Frage begin-
nen Fantasy-Reservat zu sehen,                 Warum fällt es uns so schwer,                        nen, warum eine Religion einen
in dem wir sie normalerweise                                                                        grausam Getöteten in ihr Zent-
                                              die biblischen Geschichten
vermuten würden, sondern in                                                                         rum stellt. Es ist doch interessant,
einer viktorianischen Großstadt,              vom Tod und der Auferstehung                          dass hier nicht ein Übermensch
die zwar verfremdet, aber doch                Jesu erst einmal als Erzählungen                      verehrt wird, der mit sonderba-

                                                                                       «
zugleich historisch völlig vertraut           zu begreifen, die uns Wahres über ren magischen Fähigkeiten aus-
erscheint. Alles ist so, wie man es                                                                 gestattet ist, sondern dass das
kennt, und zugleich ist alles ganz
                                              unser Leben sagen können?                             eigentlich Entscheidende eine
anders. Durch die Verfremdung                                                                       scheiternde Kreatur ist, die nicht
entsteht ein Zerrspiegeleffekt –                                                                    einmal sich selbst vor dem Tod
man sieht die eigene, bekannte Welt an-        ständlich sind, bei denen wir nicht mehr bewahren kann. Und natürlich irrlichtern
ders, weil man feststellt, dass sie grund-     sehen, dass sie an einen Tod und ein Ster- die Protagonisten der Carnival Row schei-
sätzlich auch ganz anders sein könnte.         ben erinnern, die in Brutalität einer Stran- ternd und sterbend durch die Gegend –
                                               gulation in nichts nachstehen.               auf der Suche nach sich selbst und nach
Einen solchen Effekt erzielt die Serie auch                                                 einander; eine Suche, bei der keine Magie
beeindruckend bei ihrer Darstellung von        Wahrheit in der Lüge?                        zu helfen scheint. Auch in der Harry-Pot-
Religion: Angebetet wird der Märtyrer,         Eigentlich haben wir es bei dieser Serie ter-Reihe ist es ja bemerkenswerterweise
der in religiösen Gebäuden und sozialen        also mit einer erdachten, ja, mit einer Lü- das ganz alltägliche Phänomen der Liebe,

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Miteinander - Canisiuswerk
das größer ist als alle Zauberkraft. Gerät   über den Tod und die Auferstehung Jesu?        Lebens ist. Sie erzählen vom Versprechen
                                              also durch die Verzerrung etwas in den       Warum fällt es selbst Christen so schwer,      des Lebens, das den Tod unvernünftig er-
                                              Blick, das wir in unserer durch und durch    sie erst einmal als Erzählungen zu begrei-     scheinen lässt und über denselben auf ei-
                                              entmythologisierten Welt nicht oder zu       fen, die uns Wahres über unser Leben           ne Wirklichkeit ausgreift, die unsere Ge-
                                              wenig wahrnehmen, weil es zu selbstver-      sagen können – selbst dann oder gerade         schichten vollenden und versöhnen kann.
                                              ständlich ist?                               weil sie sicherlich nicht so passiert sind,
                                                                                           wie sie überliefert wurden? Vielleicht hilft   Wenn wir unsere Geschichten in den Er-
                                              Wir mögen es, diese Erzählungen zu           es unserem Zutrauen in diese Erzählun-         zählungen unserer Zeit gespiegelt sehen
                                              sehen, zu lesen und zu hören, weil Ge-       gen, wenn wir sie mit der erzählerischen       und wenn wir uns die biblischen Texte
                                              schichten des Scheiterns und Sterbens,       Vernunft anderer großer Geschichten ver-       von Karfreitag und Ostern im Spiegel die-
                                              aber auch der Liebe und des momenta-         gleichen, um von da aus neu ihre Einzig-       ser Erzählungen aneignen, dann können
                                              nen Glücks Geschichten über uns selber       artigkeit würdigen zu lernen.                  sie zurückspiegeln – in unsere Erzählun-
                                              sind. Verfremdet sind sie zwar und ins                                                      gen, aber auch in die Geschichten unseres
                                              Extreme getrieben, dadurch aber gerade       Karfreitag, so könnte man sagen, erzählt       Lebens.
                                              offen für alltägliche und extreme Erfah-     in ganz eigener Weise die Geschichte von
                                              rungen gleichermaßen; Erfahrungen, die       Harry Potter und Jon Snow und so in ge-
                                              wir machen und die nur schwer nachvoll-      wisser Weise auch die Geschichte des Lei-
                                              ziehbar sind, wenn man sie nicht selbst      dens und Sterbens aller Menschen. Um-
                                              erlebt hat. In Erzählungen finden wir uns    gekehrt erzählen aber natürlich auch Har-
istockphoto/SunnyGraph | Langenfeld: privat

                                              wieder, fühlen uns verstanden, identifi-     ry Potter, Game of Thrones und in diesem
                                              zieren uns mit Figuren und Situationen       Sinne unser aller Lebens- und Leidensge-
                                                                                                                                          Dr. Aaron
                                              und genau darin können wir noch in den       schichten vom Karfreitag. Und genauso          Langenfeld
                                              absurdesten Vorstellungswelten Wahr-         erzählen diese Geschichten von der Hoff-
                                              heiten über unser Leben entdecken.           nung, dass nicht der Tod, sondern das          ist wissenschaftlicher
                                                                                                                                          Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systema­
                                                                                           Leben das letzte Wort hat, dass noch gut
                                                                                                                                          tische Theologie der Universität ­Paderborn
                                              Biblische Geschichten neu lesen              werden kann, was noch nicht gut ist, dass      und Geschäftsführer des Zentrums für
                                              Warum gelingt uns das eigentlich so          auch angesichts des Todes nicht der Tod,       Komparative Theologie und Kulturwissen-
                                              schlecht mit den biblischen Geschichten      sondern das Leben das Eigentliche des          schaften.

                                              miteinander 3–4/2020                                                                                                                 5
Miteinander - Canisiuswerk
Sternenkinder

Wenn Leben endet,
bevor es begonnen hat
Kinder, die vor, während oder bald nach der Geburt sterben, werden
Sternenkinder genannt. Für deren Eltern bricht damit eine Welt zusammen –
und der Weg zurück ins Leben muss mühsam erkämpft werden.
Von Daniel Seper

D
         as Kinderzimmer wird einge-          Schockzustand überwindet und erst lang-        dürften überhaupt kei-
         richtet, erste Kleidung in den       sam realisiert, was geschehen ist – oft ist    ne Freude mehr zeigen
         kleinsten Größen gekauft und         da bei Verwandten und Freunden bereits         – und es wird für sie
womöglich die Wohnung schon kindge-           wieder der Alltag eingekehrt, erzählt die      dann schwieriger, zu la-
recht gemacht. Es gibt wohl kaum eine         Tirolerin.                                     chen als zu weinen.
größere Vorfreude als jene von werden-
den Eltern. Neun Monate freudiger Er-         Sie wollte, ja konnte nicht stehenbleiben      Ein solcher Verlust for-
wartung: Das Glücksgefühl ist so groß,        und sich ihrer Trauer tatenlos ergeben. Sie    dert Beziehungen her-
dass man es am liebsten gleich mit allen      entschloss sich für eine Ausbildung zum        aus – und wirkt sich auf
teilen und ihnen vom heranwachsenden          Mentalcoach, zunächst für sich selbst, wie     die Familienplanung
Baby erzählen möchte.                         sie sagt. Doch dann haben Menschen ihre        aus. Es gilt zunächst,
                                              Begleitung in Anspruch genommen, die           das verloren gegangene
Dem errechneten Geburtstermin wird            ein ähnliches Schicksal erfahren mussten.      Vertrauen in das Leben
entgegengefiebert – und dann: Das Kind        Betroffene Familien, Eltern, Geschwister       wiederzugewinnen ,
stirbt. Plötzlich ist alles anders, von ei-   mussten nicht alles erklären, bevor sie ih-    ohne dabei den tief sit-
nem Moment zum anderen verwandelt             nen helfen konnte. Natürlich musste Osl        zenden Schmerz ein-
sich die stärkste Freude in tiefste Trauer.   davor mit ihrer eigenen Geschichte im          fach zu überdecken, er-
Das junge Leben endet, bevor es richtig       Reinen sein, wie sie sagt. So kann sie nun     klärt Osl. Viele Männer zeigen ihre Trauer
begonnen hat.                                 ihre Erfahrungen bei der Begleitung Be-        anders als Frauen. Ihre Partnerinnen den-
                                              troffener einbringen, ohne die Gescheh-        ken, dass sie gar nicht trauern, weil sie
Gestohlene Zukunft                            nisse zu vermischen.                           dies nicht offen zeigen und denken, stark
Monika Osl kennt dieses Gefühl, wenn                                                         sein zu müssen. Dabei weinen sie dann
die Welt zusammenbricht, „einem die           Erfahrungen teilen                             oft im Geheimen. Der Austausch darüber
Zukunft gestohlen wird“. Sie hat drei         In Trauergruppen für verwaiste Eltern          hilft sehr.
Kinder vor der Geburt verloren – und          geht es vor allem darum, über die eige-
mit ihnen viele Träume: „Alles wird auf       nen Gefühle und Erfahrungen zu spre-           Zweifel, Widerspruch und Trost
den Kopf gestellt.“ Es dauert, bis man den    chen. „Der Weg der Trauer kann nicht           Die Hilfsangebote für Familien von
                                              abgekürzt werden, aber es beruhigt,            Sternenkindern nehmen zu – auch sei-
                                              wenn man hört, dass es anderen ähn-            tens der Kirche. So gibt es in vielen
    Verein Regenbogen Österreich              lich geht“, erzählt Osl. Da geht es nicht      Kirchen am zweiten Sonntag im De-
    ist eine Selbsthilfegruppe von Eltern,    nur um Trauer, Wut oder Unverständnis,         zember, dem Weltgedenktag für ver-
    deren Kinder früh verstorben sind:        auch Neid kann ein Thema sein – wenn           storbene Kinder, einen speziellen Got-
    ▶▶www.shg-regenbogen.at
                                              betroffene Eltern andere mit einem Kin-        tesdienst. Tatsächlich sehen sich gera-
    In vielen Pfarren und Kranken-
    häusern bieten Seelsorger spezielle       derwagen sehen oder im Umfeld ein Kind         de gläubige Eltern von Sternenkindern
    Angebote für verwaiste Eltern an.         geboren wird. Wenn ein Paar ein Kind           in besonderer Weise mit der Frage
                                              verliert, haben sie oft auch das Gefühl, sie   nach dem Warum konfrontiert: Wa-

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Miteinander - Canisiuswerk
Blickwinkel

                                                                       Schluss mit der
                                                                       Kuckucksuhr-Pastoral
                                                                       Von Martin F. Riederer OPraem

                                                                       K
                                                                                aum eine Woche vergeht oh-        denden Seelsorgeeinheiten nicht in Ku-
                                                                                ne personelle oder strukturelle   ckucksuhr-Manier geschehen: Pünktlich
                                                                                Veränderungen in den heimi-       zur festgesetzten Zeit kommt der Ver-
                                                                       schen Diözesen. Der hohe Altersdurch-      antwortliche aus der Tür, um nach ge-
                                                                       schnitt der Priester, der Mangel an Be-    machtem Schrei punktgenau sofort wie-
                                                                       rufungen, der Anstieg der Kirchenaus-      der zu verschwinden. Solch distanzierte,
                                                                       tritte, der rasante Vertrauensverlust in   entmenschlichte Kuckucksuhr-Pasto-
                                                                       die Institution …                          ral wird schnell hohl und burn-out-ge-
                                                                                                                  fährlich! Es kann auch nicht sein, dass
                                                                       Gründe für notwendige Ein-                      Selbstverwirklichung und persönli-
                                                                       griffe und Anpassungen                                cher Geltungsdrang in Liturgie
                                                                       gibt es viele. Ra-                                      übersetzt werden und man-
                                                                       d i k a l e Ve rä n -                                           che Gemeinden zer-
                                                                       derungen sind                                                   reißen.
                                                                       wohl unumgäng-
                                                                       lich. Dabei gilt                                                 Kirche definiert
                                                                       es mehr denn je,                                                 sich zentral von
                                                                       die Sakramentali-                                              der Feier der Eu-
                                                                       tät der Kirche und                                           charistie. Daraus ent-
                                                                       die zentrale Bedeu-                                          faltet sie ihre verkün-
                                                                       tung der Sakramente                                          denden, liturgischen,
                         rum musste gerade ihr Kind sterben?           im Bewusstsein und                                            karitativen und hei-
                         Wieso ließ Gott das zu? Solche Fragen         in den Herzen zu be-                                           lenden Aufgaben
                         können den Glauben massiv ins Wan-            wahren. Damit bei al-                                          als Dienende in der
                         ken bringen, alles infrage stellen. An-       ler Veränderung weder                                       Welt. Ein Dienst, der
                         deren bietet der Glaube nach einer Zeit       die Menschlichkeit noch                                  – in vielen Ländern ge-
                         des Haderns, Zweifelns und des Wider-         die gewachsene, kirchliche Ge-                       hasst und sogar verfolgt –
                         spruchs aber auch Hilfe und Trost. Sie        stalt zerstört werden, braucht                       zum Kreuzweg wird. Ein
                         hegen die Hoffnung, dass ihr Sternen-         es ein hohes Maß an Geduld,                          Dienst, der ohne verantwor-
                         kind in Gott geborgen bleibt, dass sein       viel Gespräch, vor allem aber                        tungsbereiten Blick und oh-
                         Tod nicht umsonst war.                        die Liebe zu Gott und zu den                         ne Haltung des Dienens aller
                                                                       Menschen. Wir sind – in der                          Getauften stirbt. Die Kirche
                         Monika Osl hat dem Leben wieder ver-          Gemeinschaft mit Jesus – ei-                         braucht mehr denn je das ge-
                         traut. Sie begleitet heute nicht nur andere   nander anvertraut und so für-                        meinsame Gebet. In diesen
                         Betroffene, sondern hat drei weitere Kinder   einander und miteinander un-                         Tagen den Kreuzweg Jesu
Adobe Stock | MH STOCK

                         bekommen. Und sie erzählt offen von ih-       terwegs. Leider ist das nicht                        täglich zu betrachten und
                         ren Erfahrungen, damit sie Menschen die       immer spürbar.                                       zu beten, ist in diesem Jahr
                         Angst nimmt, mit betroffenen Familien                                                              mein konkreter Vorsatz für
                         über ihre Sternenkinder zu sprechen.          So kann und darf die konkrete                        den Weg nach Golgota – hi-
                         ▶▶www.kopfstark.at                            pastorale Arbeit in größer wer-                       nein ins Ostern 2020.

                         miteinander 3–4/2020                                                                                                            7
Miteinander - Canisiuswerk
Serie: Biblische Berufe

                                                                                              medial inszenierter Auftritt besser. Ein
                                                                                              bisschen Show muss sein. Die Engelslei-
                                                                                              ter des Jakob oder das Feuerschwert der
                                                                                              Kerubim zählen zu besonders gelungen
                                                                                              Inszenierungen, die lange im Gedächtnis

                                 Göttliche                                                    bleiben.

                                                                                              Printmedien für die Ewigkeit

                              Medienprofis                                                    Erfolgreich waren die biblischen Medien-
                                                                                              fachleute aber vor allem dadurch, dass sie
                                                                                              auch die Printmedien bedienten und da-
                                                                                              durch ihre Botschaften in die Archive ka-
                               Medienberufe sind durch und durch moderne                      men. Manche waren von dieser Form der
                                                Berufe – mag man meinen.                      Botschaft so begeistert, dass sie sie buch-
                                                Tatsächlich gibt es für viele                 stäblich verschlangen wie Ezechiel.
                                           Medienjobs biblische Vorbilder.
                                                                                              Der größte Medienprofi ist natürlich Gott
                                                        Von Elisabeth Birnbaum
                                                                                              selbst. Er bedient sich einerseits Wortbot-

M
                                                                                              schaften, andererseits aber auch audiovi-
             edienfachleute haben die Auf-       sagen können, wer der Vater des Kindes       suellen Materials wie der „Visionen“. Ziel-
             gabe, Inhalte gekonnt zu ver-       seiner Verlobten ist, hätte Josef Maria      gruppenorientiert verändert er die Form
             breiten. Dazu recherchieren         wohl verlassen. Glaubwürdigkeit ist alles.   der Vermittlung je nach Bedarf. Laute
sie, erstellen Texte, Video- und Audiobei-       Deshalb war ja auch der Prophet Jona so      und leise Formate, mithilfe seiner Mitar-
träge und sorgen für effiziente Öffentlich-      böse, dass seine ohnehin nicht begeistert    beiter/innen oder allein. Dazu sind seine
keitsarbeit. Ihre Tätigkeit überschneidet        vorgetragene Botschaft von der bevorste-     Botschaften immer tagesaktuell und er ist
sich da und dort auch mit der von Journa-        henden Zerstörung Ninives sich durch         selbstverständlich immer bestens infor-
listinnen und Journalisten bzw. Korrespon-       Gottes Barmherzigkeit im Nachhinein als      miert. Er setzt auch sehr darauf, dass sei-
denten. Einige der ältesten Medienfachleu-       „Fake News“ herausstellte.                   ne Botschaften in gedruckter Form Ver-
te entstammen der Bibel: Sie beherrschten                                                     breitung finden, vor allem in dem Buch
ihre Aufgabe perfekt. Manche von ihnen           Timing ist alles                             schlechthin, der Bibel. Und die Auflage
waren so erfolgreich, dass man sie „Engel“       Dann ist da die Frage des richtigen Ti-      dieses Printproduktes ist noch von nichts
nannte. Propheten übten neben ihrer „Be-         mings: Richtige Medienprofis suchen den      anderem übertroffen worden.
ratertätigkeit“ (vgl. Teil 1 der Serie im mit-   einen, den passenden Moment, wo sie ih-
einander 1-2/2020) ebenfalls viele Tätig-        re Botschaft wirksam einsetzen können.
keiten von Medienfachleuten aus.                 Wenn die Botschaft dann zudem überra-
                                                 schend und neu ist, steigert das die un-
Was zeichnet diese Medienprofis aus? Der         geteilte Aufmerksamkeit noch mehr. Bei-        Berufe der Bibel heute
wichtigste Aspekt ist: Die Botschaft muss        spiel Abraham: Er soll seinen Sohn Isaak       Berater, Biobauer, Family-Manager –
stimmen, sie muss genau recherchiert             opfern. Gehorsam wie er ist, nimmt er          die Vielfalt an Berufsbildern ist heute
                                                                                                schier unüberschaubar. Und doch
sein. Hätte der „Engel“ Josef nicht genau        seinen Sohn, bereitet alles für das Opfer
                                                                                                haben viele dieser Berufe biblische
                                                 vor und schreitet zur Tat. Erst als er dem
                                                                                                                                            Birnbaum: Bibelwerk | Adobe Stock/Anastasia Turshina

                                                                                                Vorbilder. In unserer neuen Serie
                                                 Jungen buchstäblich das Messer ansetzt         stellt Dr. Elisabeth Birnbaum im Laufe
                                                 und die Spannung auf dem Höhepunkt             dieses Jahres sechs dieser Berufe und
                                                 ist, schreitet der Engel ein und ruft ihm      ihre biblischen Entsprechungen vor.
                                                 das erlösende „Halt ein!“ entgegen.            Wer dieses oder
                                                                                                andere biblische
Dr. Elisabeth                                                                                   Themen
Birnbaum                                         Auch das Medienformat muss gut be-             vertiefen
                                                 dacht sein. Manches lässt sich einfach         möchte, findet
 ist promovierte Alt­
                                                 durch Worte sagen, wenn man sich da-           im Übrigen viele
 testamentlerin und seit
                                                 bei auf „eine verlässliche Quelle“ stützen     Anregungen in den
 2017 Direktorin des ­Österreichischen
                                                 kann. „So spricht der Herr“ ist immer ein      laufenden „Jahren der Bibel“.
­Katholischen Bibelwerkes.
                                                                                                ▶▶www.jahrederbibel.at
 ▶▶www.bibelwerk.at                              guter Anfang. Manchmal wirkt aber ein

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Miteinander - Canisiuswerk
Aufwärts                                                                                      Lyrik

                                                                           Hoch über den                                                                                   Aufwärts
                                                                           ­Dächern der Stadt
                                                                                                                                                                           Wenn die Tage allmählich wieder
                                                                           Nicht nur der Glaube strebt „aufwärts“, auch die Kirchen                                        länger werden und uns mehr
                                                                           ragen mit ihren Spitzen oftmals weit über andere Gebäude                                        Licht schenken, spüren viele Menschen,
                                                                           hinaus. Wir haben zwei Bischöfe gebeten, uns an                                                 dass es langsam aufwärts geht.
                                                                           besonders luftige Orte in ihrer Diözese mitzunehmen.
                                                                                                                                                                           Wenn wir nach einer schweren
                                                                                                                                                                           Zeit, einer inneren Trockenheit
                                                                                                                                                                           oder harten Schlägen wieder
                                                                                                                                                                           neue Kräfte schöpfen, merken wir,
                                                                                                                                                                           dass es wieder aufwärts geht.

                                                                                                                                                                           Wenn wir manche Altlasten und
                                                                                                                                                                           Ärgerliches hinter uns lassen können,
                                                                                                                                                                           haben wir das Gefühl,
                                                                                                                                                                           dass es stetig aufwärts geht.

                                                                           D
                                                                                                                                                                           Wenn es uns gelingt, einen
                                                                                    er Turm des Mariendoms wird            Stadtlandschaft zu blicken. Der Linzer          niedergeschlagenen Mitmenschen
                                                                                    derzeit saniert und war bis vor        Mariendom verkörpert beides: Er ist             aufzurichten und aufzubauen,
                                                                                    Kurzem bis zum Turmkreuz hi-           oberösterreichisches Wahrzeichen und            wünschen wir uns sehnlichst,
                                                                           nauf eingerüstet. Damit bot sich für mich       Ort der Gottesbegegnung zugleich. Glau-         dass es weiter aufwärts geht.
                                                                           eine einmalige Gelegenheit, vom höchs-          be und Gesellschaft begegnen sich in ihm
                                                                           ten Punkt der größten Kirche Oberös-            und um ihn herum in bereichernder Wei-          Wenn jemand nach einer langen
                                                                           terreichs auf die darunterliegende Ar-          se.                                             Krankheit allmählich wieder zu
                                                                           chitektur des Domes und auf die Linzer                     Bischof Manfred Scheuer              Kräften kommt und es ihm wieder
                                                                                                                                                                           besser geht, hoffen wir inständig,
                                                                                                                                                                           dass es mit ihm aufwärts geht.

                                                                                                                                                                                          Paul Weismantel
Bischof Scheuer: Mariendom | Bischof Glettler: Sigl | istockphoto/momnoi

                                                                                                                                                                           aus: Paul Weismantel,
                                                                                                                                                                           Mut zum Leben – Fastenkalender 2017,
                                                                                                                                                                           weis-texte Verlag, Klemmern 2017

                                                                           D
                                                                                    ie Terrasse auf dem neuen „Haus        ben wir bei den imposanten Gebäuden hän-
                                                                                    der Musik“ in Innsbruck ist eine       gen, aber das Leben spielt sich meist in vie-
                                                                                    herrliche Schaustelle, die nicht nur   len anderen Räumen ab. Von Zeit zu Zeit ge-
                                                                           einen coolen Blick auf Hofburg, Kuppel und      nieße ich den schönen Blick über die Stadt
                                                                           Turm des Domes St. Jakob ermöglicht. Im         – er vermittelt mir ein Gefühl von Freiheit
                                                                           Hintergrund sieht man im Stadtteil Hötting      und zugleich auch eine Verbundenheit mit
                                                                           einige kleine Häuser, darunter auch das bi-     allen, die im Gemenge heutiger Gesellschaft
                                                                           schöfliche Ordinariat und Priesterseminar.      ihr Leben meistern müssen.
                                                                           Ja, man muss genau hinschauen. Leicht blei-                Bischof Hermann Glettler

                                                                           miteinander 3–4/2020                                                                                                                 9
Miteinander - Canisiuswerk
Ewige Stadt

Als »Papst-Erklärerin« in Rom
Zwei Monate lang arbeitete die österreichische Journalistin Ines Schaberger bei Radio Vatikan in Rom.
Ein Erfahrungsbericht über die vatikanischen Medien und den Alltag in der „Ewigen Stadt“.
Von Ines Schaberger

L
       audetur Jesus Christus – hier ist    tun, ist nicht einfach Papst-PR, also blo-   war, bekamen alle Kinder schulfrei: Rie-
       Radio Vatikan“: Vielleicht kennen    ße Öffentlichkeitsarbeit. Ganz unabhängig    sige Wasserlacken vor den Zebrastreifen
       Sie die berühmten Worte, mit de-     schalten und walten dürfen die Redaktio-     machte ein sicheres Überqueren der Stra-
nen jede vatikanische Radiosendung und      nen aber nicht. So müssen sie beispiels-     ßen unmöglich.
Live-Übertragung beginnt. Seit der Grün-    weise über alle Reden und Aktivitäten des
dung im Jahr 1931 als „Auslandsrundfunk     Papstes berichten, aber Berichte, die den    Weihnachten im Vatikan
des Heiligen Stuhles“ hat sich bei Radio    diplomatischen Beziehungen des Heili-        Umso schöner war die Advents- und
Vatikan viel getan. Unter dem Namen „Va-    gen Stuhles zu anderen Ländern schaden       Weihnachtszeit im Vatikan: Am 25. De-
tican News“ bespielen die Journalistinnen   könnten, sind nicht erlaubt. „Wir sind die   zember durfte ich Papst Franziskus nach
und Journalisten mittlerweile eine multi-   Papst-Erklärer“, sagte ein Kollege dazu.     dem Segen „Urbi et Orbi“ treffen und
mediale Website in über 30 Sprachen so-                                                  ihm eine Fotocollage der über 100 Krip-
wie Facebook, Instagram oder auch Twit-     Also kommentierte ich Papst-Veranstal-       pen zeigen, die Menschen für die Face-
ter: Mein Arbeitsplatz für zwei Monate in   tungen fürs Fernsehen und den You-           book-Aktion #krippenchallenge einge-
der deutschsprachigen Redaktion.            Tube-Kanal von Vatican News, begleite-       reicht hatten. Der Papst freute sich über
                                            te deutschsprachige Theologiestudierende     die Krippen, hatte er doch diesen Advent
Mitten in einer Medienreform                auf die Uni und war dabei, als afrikani-     ein Schreiben mit dem Namen „Admi-
Das „Dikasterium für Kommunikation“,        sche Richterinnen in der päpstlichen Aka-    rabile Signum“ unterzeichnet, mit dem
zu dem auch Radio Vatikan gehört, muss      demie der Wissenschaften über Strate-        er die Krippe aus der Kitsch-Ecke holen
Personal und Kosten einsparen – wie viele   gien gegen den Menschenhandel berie-         möchte.
andere Medienhäuser auch. Ungewöhn-         ten.
lich ist jedoch seine Ausrichtung: Was                                                   Die Christmette feierte ich mit Mutter-
die Journalistinnen und Journalisten hier   Alltagsleben und -leiden in Rom              Teresa-Schwestern, die eine Suppenkü-
                                            Kurze Zeit in Rom zu leben, ist ein Pri-     che im Vatikan für die immer mehr wer-
                                            vileg: Ich genoss es, in jeder Kirche neue   denden Obdachlosen betreiben. Einige
                                            Kunstwerke kennenzulernen, auf den           der ehemaligen wohnungslosen Frauen,
                                            Spuren der alten Römer am Kolosseum          die jetzt bei ihnen leben, tanzten und
                                            und Forum Romanum vorbeizuspazie-            sangen mit Kerzen in der Hand, verklei-
                                            ren und neue Eissorten auch im Dezem-        det als Maria, Josef und Engelschor. Diese
                                            ber verkosten zu können ... Doch der ma-     authentische Weihnachtsdarbietung be-
                                            lerische Touristenmagnet hat auch seine      rührte mich mehr als die perfekt geplante
Ines
Schaberger                                  Kehrseiten: Rom ist laut (hupende Autos      Liturgie im Petersdom. Plötzlich waren
                                            und Alarmanlagen um 5.00 Uhr mor-            alle in heller Aufregung: Papst Franzis-
ist Journalistin, Religionspädagogin und    gens), Rom stinkt (Müllproblem) und an-      kus hatte ihnen Panettone, einen italie-
Mitglied der miteinander-Redaktion. Ihr
                                                                                                                                      Schaberger | Fibich

                                            statt Kaputtes zu reparieren, sperrt man     nischen Weihnachtskuchen, schicken las-
Praktikum wurde durch Stipendien des
Verbandes katholischer Publizistinnen       es lieber mit gelbem Band ab (ob Geh-        sen. „Er hat an uns gedacht!“, freuten
und Publizisten Österreichs und der         wege, Rolltreppen oder entwurzelte Bäu-      sich die Schwestern und ihre Mitbewoh-
­Katholischen Medien Akademie gefördert.    me). Als einmal starker Regen angesagt       nerinnen

10
Porträt

        Über den Kirchturmspitz
        schauen

        Die Kirche treibt Ulrich Sukup
        auf die Spitze. Im wahrsten
        Sinne des Wortes – denn er
        ist Bauspengler und renoviert
        Wiens Kirchendächer.
        Von Christopher Erben

        I
             ch habe aufgehört, die Kirchen zu
             zählen, auf deren Dächern und Tür-
             men ich schon war“, sagt Ulrich Su-
        kup. Der gelernte Bauspengler saniert seit
        über zwölf Jahren Dächer, Kreuze und
        Türme von Kirchen. Auf über 250 war
        er bisher. „Sehen Sie, hier bin ich auf der
        Schottenkirche“, sagt Sukup und zeigt auf
        ein Foto. Zwei Tage verbrachte er auf ei-
        nem der beiden Türme – in über 56 Me-
        tern Höhe –, um das schmiedeeiserne Kir-      Schwindelfrei, aber mit einer gesunden Höhenangst: Bauspengler Ulrich Sukup.
        chenkreuz abzumontieren und mithilfe
        eines Krans abzuseilen. Es wog 130 Kilo-      außerdem eine hohe Genauigkeit. Jeder        Preis für das beste Sanierungsprojekt Ös-
        gramm und war drei Meter hoch.                Fehler in dieser Höhe könnte einer zu viel   terreichs.
                                                      sein. Das sei ihm jedes Mal bewusst. Was
        Nach der Matura an der HTL für Elekt-         ist das für ein Gefühl, wenn er auf einem    Pfarrfest zum Abschluss
        rotechnik und dem anschließenden Psy-         Turm steht? „Für mich hat es etwas un-       Auf den Kirchen der Erzdiözese Wien
        chologiestudium wollte Ulrich Sukup et-       glaublich Befreiendes“, sagt Sukup.          übernehme er heute sämtliche Arbeiten –
        was „Handwerkliches“ machen. Also                                                          angefangen von Baumeisterarbeiten, über
        lernte er Bauspengler. Schon nach einem       Auch in seiner Freizeit drängt es den        Zimmererarbeiten und Dachdeckungen
        Jahr trat er zur Gesellenprüfung an. 2008     Bauspengler in luftige Höhen, sprich: in     von steilen Kirchendächern; selbstver-
        übernahm Ulrich Sukup das seit 50 Jah-        die Berge. Und so bezeichnet der pas-        ständlich saniert er auch Kirchenkreuze.
        ren bestehende Unternehmen von seinen         sionierte Hobby-Kletterer simplere Sa-       „Wir sind die Aasgeier der Spengler“, sagt
        Schwiegereltern.                              nierungen auch gerne als eine Bergtour,      Sukup augenzwinkernd. „Wir machen
                                                      herausfordernde Aufgaben dagegen als         das, was andere nicht übernehmen.“ Oft
        Fehlerlos befreiend                           Expeditionen. Für manche Sanierungen         setze er ein saniertes Kirchenkreuz auch
        Schwindelfrei muss er bei seinem Job          brauche er mehrere Jahre, da er sich erst    an einem Sonntag auf, damit die Pfarre
        über den Dächern der Stadt sein. „Aber        an eine Lösung heranarbeiten muss. Bei       den Abschluss der Arbeiten mit einem
        ich habe eine gesunde Höhenangst“ –           der Sanierung der Rudolfsheimer Pfarr-       Fest feiern kann. Während er oben steht,
        man könnte es wohl auch Respekt vor der       kirche im 15. Wiener Gemeindebezirk          winken ihm dann viele begeistert zu –
        Aufgabe nennen, räumt der 48-Jährige          war das etwa der Fall. Für die spezielle     und Sukup strahlt zurück und weiß dabei:
Erben

        ein. Auf Kirchtürmen zu arbeiten verlangt     Ausführung gewann er später sogar den        „Mein Werk macht einen Sinn.“

        miteinander 3–4/2020                                                                                                              11
Berufung finden

Wo ist mein Platz?
Wenn man Kinder fragt, was sie später einmal werden möchten, kommt meist
eine schnelle Antwort als Reaktion. Doch diese frühe Gewissheit schwindet irgendwann –
die Suche nach der eigenen Berufung beginnt. Wie kann man dabei unterstützen?
Von Sr. Luise Ziegler

I
      m Rahmen meiner Tätigkeit bei der         denjenigen bei der Suche nach einer Ant-     ren Menschen zusammen ist. Die Frage:
      Diözesanstelle „Berufe der Kirche“        wort weiterbringen können.                   „Kann ich das, was ich will?“ sollte man
      der Diözese Rottenburg-Stuttgart                                                       sich selbst möglichst ehrlich beantworten
spreche ich oft mit Menschen, die an ei-        Freude: Jemand sagte einmal, was ande-       und vielleicht auch Vertrauenspersonen,
nem Punkt angekommen sind, an dem               re Berufung nennen, sei für ihn einfach      die einen gut kennen, nach ihrer Mei-
sie fragen: „Und wie finde ich nun her-         etwas, das er tut, weil es ihm Spaß ma-      nung fragen.
aus, was mein Platz ist?“ Manche Men-           che. Doch Berufung macht nicht immer
schen können von einem Berufungsereig-          nur Spaß. Manchmal kann es ganz schön        Wirkung: Wenn ich meine Berufung
nis erzählen, wo sie von einem Augen-           schwer sein und es braucht dann die Erin-    wirklich lebe, dann wirkt das auf andere
blick auf den anderen wussten, was für          nerung daran, warum man sich ursprüng-       Menschen ansteckend. Ich staune immer
sie der richtige Weg, der richtige Platz ist.   lich einmal dafür entschieden hat. Aber      wieder, wenn ich mitbekomme, wie be-
Bei vielen ist es aber ein längerer Prozess,    genau das ist der Punkt: Ich muss beim       geistert unsere Theologie- oder Religions-
der auch nie wirklich ganz abgeschlossen        Gedanken daran, mich auf diesen Weg zu       pädagogikstudierenden sind und dadurch
ist, sondern manchmal Korrekturen oder          begeben, innere Freude spüren, etwas,        Altersgenossen auf die Idee bringen, dass
die Rücknahme früherer Entscheidungen           das mir das Herz aufgehen lässt. Wenn        das auch etwas für sie sein könnte. Da-
erfordert, weil sie sich als nicht tragfähig    ich mich zähneknirschend und missmu-         bei machen sie nicht einmal explizit Wer-
erwiesen haben.                                 tig auf den Weg mache, habe ich keine        bung. Sie leben einfach das, was sie zu
                                                Grundlage, auf die ich in schwierigen Zei-   diesem Zeitpunkt als ihre Berufung er-
Was sie alle gemeinsam haben: Sie su-           ten zurückgreifen kann. Gott ist ein Gott    kannt haben. Berufung trägt Früchte und
chen nach ihrer Berufung. Was aber ist          des Lebens, und wenn er mich auf einen       bleibt nicht ohne Wirkung: „Ich habe
berufen sein? Das Wort Berufung taucht          Weg ruft, dann auf einen, auf dem ich        euch erwählt und dazu bestimmt, dass
auch in einigen nichtreligiösen Kontexten       wachsen, reifen und mich weiterentwi-        ihr euch aufmacht und Frucht bringt“
auf, etwa bei Richtern oder Professoren.        ckeln kann.                                  (Joh 15, 16b).
Eine Gemeinsamkeit dabei ist, dass man
sich nicht selbst berufen kann. Berufung        Können: Umgangssprachlich wird der           Objektivität: Was auch Sicherheit ge-
ist immer ein Ruf von außen her. In den         Begriff „Berufung“ manchmal auch ver-        ben kann, ist, wenn ich weiß: Nicht nur
nichtreligiösen Kontexten wird jemand           wendet, wenn jemand auf einem Gebiet         ich denke, dass das meine Berufung sein
durch andere Menschen oder Gremien              ein offensichtliches Talent mitbringt, et-   könnte, sondern andere sehen es auch in
berufen. Im religiösen Kontext ist der, der     was auffallend gut kann. Auch das macht      mir. Bei Berufungen, die eine Entschei-
beruft, immer Gott.                             nicht die ganze Berufung aus und ist den-    dung für einen kirchlichen Beruf oder für
                                                noch ein wichtiger Aspekt. Wenn ich Pro-     eine bestimmte Lebensform implizieren,
Innere Freude spüren                            fibergsteiger werden möchte, aber un-        müssen immer andere Menschen die Be-
Wenn also nun jemand zum Gespräch zu            überwindbare Höhenangst habe, dann           rufung bestätigen, sei es der Bischof, der
mir kommt und die Frage mitbringt „Was          passt das nicht gut zusammen. Ebenso ist     jemanden zum pastoralen Dienst beauf-
sollte ich mit meinem Leben anfangen?“,         es, wenn jemand in den pastoralen Dienst     tragt, oder eine Ordensleitung, die jeman-
dann gibt es verschiedene Aspekte, die          gehen möchte, aber nicht gerne mit ande-     den zu den Gelübden zulässt. Das bedeu-

12
»     Was meint berufen sein? In nichtreligiösen
                                                          Kontexten wird jemand durch andere

                                                                                                     «
                                                          Menschen berufen. Im religiösen Kontext ist
                                                          der, der beruft, immer Gott.

                                          tet eine große Verantwortung, einerseits       Was willst du heute von mir?                   derlaufen, der Wille Gottes zeigt, weil wir
                                          dem einzelnen Menschen gerecht zu wer-         Bei all dem sind wir mit der Frage nach        dazu herausgefordert werden, nicht uns
                                          den und andererseits zu verhindern, dass       unserer Berufung nie fertig. Natürlich sind    selbst an die erste Stelle zu setzen, son-
                                          jemand sich in etwas verrennt, das ihn         die großen Lebensentscheidungen irgend-        dern zu tun, was die Situation erfordert.
                                          und die Menschen, mit denen er zu tun          wann getroffen, manchmal auch revidiert,
                                          hat, nicht glücklich macht.                    aber wenn die Frage nach der eigenen Be-       Diese beiden Gedanken können für uns
                                                                                         rufung gleichbedeutend ist mit der Fra-        alle, unabhängig von unserer beruflichen
                                          Herausforderung: Es wäre ein Miss-             ge nach Gottes Willen in meinem Leben,         Tätigkeit, ein Impuls sein, unserer eige-
                                          verständnis, zu denken, dass alles immer       dann muss ich jeden Tag die Frage stellen:     nen Berufung jeden Tag neu auf die Spur
                                          glattgehen muss, wenn ich zu etwas be-         „Und was willst du, Gott, heute von mir?“      zu kommen und zu folgen.
                                          rufen bin. Misserfolge und Zeiten, wo es
                                          eben nicht „läuft“, gehören dazu. Viele        Dazu fallen mir zwei Aussagen des heili-
                                          große Heilige kannten solche Phasen in         gen Vinzenz von Paul ein: „Alles gut tun,
                                          ihrem Leben. Wie sie damit umgingen,           was man nach seinem Beruf zu tun ver-
                                          lehrt auch uns: Erstens nicht aufgeben,        pflichtet ist – das ist die wahre und gründ-
istockphoto/pixdeluxe | Ziegler: privat

                                          sondern sich daran festhalten, dass Gott       liche Heiligkeit.“ Das beinhaltet, dass an-
                                                                                                                                        Sr. Luise
                                          den Weg mitgeht, und zweitens aus den          dere Menschen sich darauf verlassen, dass      Ziegler
                                          Situationen lernen, die schwierig waren.       man seine eigenen Aufgaben zum Wohl
                                          Schwierige Zeiten auf einem Berufungs-         der anderen ausübt. Und zweitens: „Die         ist Vinzentinerin, Ge-
                                                                                                                                        meindereferentin, Refe-
                                          weg fordern uns dazu heraus, etwas zu          Ereignisse sind unsere Herren.“ Dadurch
                                                                                                                                        rentin bei der Diözesanstelle „Berufe der
                                          ändern. Aber bevor wir das ändern, was         kommt zum Ausdruck, dass sich oft in           Kirche“ der deutschen Diözese Rotten-
                                          wir tun, ist es besser, zuerst einmal zu än-   den unvorhergesehenen Dingen des All-          burg-Stuttgart und geistliche Begleiterin
                                          dern, wie wir das tun, was wir tun.            tags, die unseren eigenen Plänen zuwi-         am Ambrosianum Tübingen.

                                          miteinander 3–4/2020                                                                                                                  13
Pilgerreise

                                                           Wenn das Leben
                                                            in einen Ruck-
                                                                 sack passt
                                                                                      Was machen zwei, die ihr Studium
                                                                               abgeschlossen haben und erspüren wollen,
                                                                                     was es wirklich zum Leben braucht?
                                                                                          Sie gehen pilgern. Bericht einer
                                                                                             gemeinsamen Wegerfahrung
                                                                                               von Österreich nach Assisi.
                                                                                                       Von Ines Schaberger

D
         a standen wir nun vor der im-        sere Körper sich an die Anstrengung ge-     vor Regen, Bänke zum Ausruhen und oft
         posanten Franziskus-Basilika in      wöhnten. Und wir merkten: Wenn man          auch einen Pilgerstempel für unseren Pil-
         Assisi – nach 53 Tagen mit Ruck-     nur jeden Tag ein bisschen geht, Schritt    gerpass.
sack und Wanderschuhen quer durch Ös-         für Schritt, mal einen Pausentag einlegt,
terreich und Italien. 1.300 Kilometer hat-    aber nicht aufgibt, egal wie langsam man    Je weiter südlich wir kamen, desto mehr
ten wir zu Fuß zurückgelegt, weitere 300      vorankommt – dann gelangt man schluss-      Kirchen waren indes verschlossen: Die
Kilometer mit Zug, Bus und Seilbahn.          endlich doch ans Ziel.                      Kirche, in der Michelangelo getauft wur-
Nun waren wir am Ziel unserer Pilgerrei-                                                  de? Geschlossen. Die moderne Paulus-Kir-
se. Und wir fühlten – nichts … Die große      Klöster und Pilgerherbergen                 che in Sansepolcro? Geschlossen. Die ehe-
Erleichterung, endlich angekommen zu          Bei den Kapuzinern in Salzburg hätte un-    malige Benediktinerabtei San Benedetto
sein, setzte nicht ein. Etwas benommen        sere Pilgerreise beinahe geendet. Die ge-   bei Pietralunga? Geschlossen. Kein Pries-
beobachteten wir die vielen Menschen,         meinsamen Gebete und die unkompli-          ter mehr vor Ort, Angst vor Vandalismus
die an diesem Sonntagmorgen                                                                        und Diebstahl oder nicht genug

                                      »
Selfies vor der Kirchenfassade                                                                     Freiwillige aus dem Dorf, die
mit sich, ihren Hunden und ih-                                                                     Schlüsseldienste übernehmen –
                                              Endlich waren wir am Ziel
ren Kindern machten. Da merk-                                                                      die Gründe dafür mögen nach-
ten wir, dass unser eigentliches             unserer Pilgerreise.                                  vollziehbar sein, doch uns tat es
Ziel der Weg selbst gewesen ist.             Und wir fühlten – nichts.                             jedes Mal weh, vor verschlosse-
                                             Da merkten wir, dass das                              nen Kirchentüren zu stehen.

                                                              «
Unsere Pilgerreise begann vor
der Haustür in Hafnerbach, Nie-
                                             eigentliche Ziel der Weg selbst                      Besondere Begegnungen
derösterreich. Doch statt uns                gewesen ist.                                         Umso schöner waren die Begeg-
langsam an das Gewicht der                                                                        nungen auf dem Weg: Eine Fran-
Rucksäcke auf unseren Schul-                                                                      ziskanerin im oberösterreichi-
tern zu gewöhnen, machten wir am ers-         zierte Gastfreundschaft der dort lebenden   schen Vöcklabruck servierte uns ein liebe-
ten Tag 28 Kilometer – Mitte August bei       Brüder gefielen uns so gut, dass wir am     voll hergerichtetes Frühstück, als wären
Mittagshitze, ohne Sonnencreme, ohne          liebsten geblieben wären. Doch wir gin-     wir Adelige; Bäuerin Anna erklärte uns,
Kopfbedeckung. Abends: Kopfschmer-            gen weiter – und lernten auf unserem        wie sie selbst Butter herstellt, und Fran-
zen, Muskelkater und eine Blase am gro-       Weg viele Ordensgemeinschaften und          cesco, der als Freiwilliger in einer Pilger-
                                                                                                                                         Schaberger

ßen Zeh. Doch mit jedem Tag, den wir          Klöster kennen. Viele Kirchentüren stan-    herberge kochte, ließ uns selbst gemach-
unterwegs waren, spürten wir, wie un-         den uns offen: Wir fanden darin Schutz      ten Grappa kosten.

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Angebot

                            Eines Abends suchten wir nach einer             ber hinauswachsen. Auch die Pilgerstem-
                            Übernachtungsmöglichkeit. Als eine alte         pel, die wir in unserem selbst gemachten
                            Dame an uns vorbeiradelte, fragten wir          Pilgerausweis sammelten, veränderten
                            sie, ob wir unser Zelt auf ihrem Grund-         sich mit dem Weg: Am österreichischen
                            stück aufstellen dürften. Signora Clara war     Jakobsweg fanden wir in vielen Kirchen
                            zunächst zögerlich. Den Haustürschlüssel        kunstvolle Stempel mit Jakobsmuschel,

                                                                                                                         Neustart
                            trug sie um den Hals und schloss die Tür        zwischen Brenner und Padua begnügten
                            ab, auch wenn sie nur einige Meter weit         wir uns meist mit den Adress-Stempeln
                            ging. „Es treibt sich ja so viel Gesindel he-   der Unterkünfte, in denen wir schliefen.
                            rum“, meinte sie. Ich war mir nicht sicher,
                            ob sie damit auch uns meinte – doch als sie
                                                                            Für die Nächte im Zelt gab es nichts. Da-
                                                                            für erhielten wir wieder besondere Stem-     in Neustadt
                                                                                                                         E
                            sah, wie wir erfolglos versuchten, Brot auf     pel in den Pilgerherbergen, die wir ab
                            unserem kleinen Kocher zu backen, brach-        dem „Cammino di Assisi” aufsuchten. Der              in gemütlicher Tag, an dem
                            te sie uns ordentliche „Panini“, Tomaten,       prachtvolle Stempel der Franziskus-Basili-           man neue Leute trifft“: Mit die-
                            Olivenöl und Balsamico-Essig. Am nächs-         ka bestätigte unsere Ankunft in Assisi.              sen Worten beschreibt Kapu-
                            ten Morgen schließlich lud sie uns auf ei-                                                   zinerbruder Matthias Reich das neue
                            nen Frühstückskaffee in ihr Haus ein.           Ein wenig traurig macht es schon, dass       Angebot „AusTAUsch Neusta(r)dt“ in
                                                                            dieser Pilgerweg zu Ende ist. Der eigent-    Wiener Neustadt. Für die Mitglieder
                            Der Pilgerweg geht weiter                       liche Pilgerweg geht jedoch weiter – nur     der franziskanischen Jugend ist das
                            Der Weg veränderte uns, zeigte uns unse-        ohne Stempel.                                Kapuzinerkloster Wiener Neustadt
                            re Grenzen – und ließ uns ein Stück darü-                                                    seit Jahren ein Stück Lebensraum.
                                                                                                                         Diesen wollen sie auch anderen jun-
                                                                                                                         gen Erwachsenen zugänglich machen.
                               Nach zwei Monaten Pilgern am                                                              Aus diesem Wunsch heraus ist „Aus-
                               Ziel ihrer Reise: Ines Schaberger                                                         TAUsch Neusta(r)dt“ entstanden.
                               und René Ochsenbein.
                                                                                                                         Ab März lädt die franziskanische Ju-
                                                                                                                         gend daher an bestimmten Tagen ins
                                                                                                                         Kapuzinerkloster zu einem gemütli-
                                                                                                                         chen gemeinsamen Tag ein. Vorgese-
                                                                                                                         hen ist eine Einheit zum persönlichen
                                                                                                                         Kennenlernen, auch das gemeinsame
                                                                                                                         Kochen und die Mahlzeiten bringen
                                                                                                                         die Teilnehmer näher. „Am Nachmit-
                                                                                                                         tag stehen Aktivitäten am Programm,
                                                                                                                         die Spaß machen und Nutzen brin-
                                                                                                                         gen“, berichtet Br. Matthias. Mögliche
                                                                                                                         Programmpunkte sind Sport, Musik,
                                                                                                                         Handwerk und auch Imkerei. Der Tag
                                                                                                                         schließt mit einem Abendgebet. Für
                                                                                                                         Interessierte besteht die Möglichkeit,
                                                                                                                         bis Sonntag zu bleiben und gemein-
                                                                                                                         sam mit dem Vorbereitungsteam den
                                                                                                                         Gottesdienst zu besuchen.
Schaberger | M. Kowalczuk

                                                                                                                         Nächste Termine: 7. März und 2. Mai,
                                                                                                                         jeweils 10.00-20.00 Uhr.

                                                                                                                                      Sarah Kanzian-Schuller

                            miteinander 3–4/2020                                                                                                             15
Gedanken zu Ostern

                                                        Bleibe
                                                        bei uns!

I
     mmer wieder lese ich mit Freude        Auch und gerade deswegen frage ich mich       unsere Mitte einzuladen. Dann öffnen wir
     das Osterevangelium von den beiden     manchmal, warum Jesus in Emmaus nicht         unser Herz bereitwilliger und sind offe-
     Emmausjüngern. Es ist für mich In-     unaufgefordert das Haus der beiden Jün-       ner für die Begegnung mit ihm. Durch die
begriff für die Dynamik, die vom Karfrei-   ger betritt. Ist sein Handeln ein Akt der     ausgesprochenen Worte „Komm zu uns“
tag zum Ostermorgen führt. Es nimmt         Höflichkeit, in ein fremdes Haus nicht oh-    oder „Bleib bei uns“ betonen und bitten
unsere Ängste und Sorgen ernst, führt       ne Einladung hineinzugehen? Warum tut         wir, dass wir es wirklich wollen und nicht
uns behutsam und hilft uns, sogar mitten    Jesus, als wolle er weitergehen? Manch-       nur nebenbei etwas mit Jesus zu tun ha-
im Leid die Augen für die Gegenwart Got-    mal denke ich mir: Jesus hat es nicht nö-     ben wollen. Diese Worte ändern und be-
tes zu öffnen. Neue Wege und neue Tü-       tig, sich bitten zu lassen. Es ist vielmehr   stärken unsere Aufmerksamkeit.
ren tun sich auf.                           für unser Beten wichtig, Jesus bewusst in
                                                                                          Wie gut tut es, zu wissen, dass der Auf-

     »
                                                                                          erstandene bei uns bleibt und nicht ver-
         So erreichten sie das Dorf, zu dem sie                                           schwindet, wenn es langweilig wird oder
        unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er                                          wenn Gefahren drohen. Gerade in solchen
                                                                                          Situationen bleibt er bei uns. Wie tröstlich
        weitergehen, aber sie drängten ihn und                                            ist die Zusage Jesu, mit der das Matthäus-
        sagten: Bleibe bei uns; denn es wird Abend,                                       evangelium schließt: Ich bin mit euch alle
        der Tag hat sich schon geneigt! Da ging er                                        Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28,20).
                                                                                          Wer glaubt, ist nicht allein.
        mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und
                                                                                                                      Franz Troyer
        es geschah, als er mit ihnen bei Tisch war,
        nahm er das Brot, sprach den Lobpreis,                                            aus: Franz Troyer, Beten verwandelt,
        brach das Brot und gab es ihnen. Da wurden                                        Kraftvolle Impulse und Gebete

                                                          «
                                                                                          aus der Bibel, 160 Seiten, Tyrolia-Verlag,
                                                                                                                                         kathbild.at/Rupprecht

        ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn;                                        Innsbruck–Wien 2019
        und er entschwand ihren Blicken.

                                                    Lukas 24,28–31

16
Porträt

        Berufung
        mit
        Wow-
        Effekt
                                                  L
        Matthias Ruzicka ist leiden­                       ässiger Dreitagebart, jugendliches    alen Seelsorge der Erzdiözese Wien. Dies
        schaftlicher Gottsucher –                          Auftreten, das Smartphone auf         gefiel ihm so gut, dass er noch ein halbes
        auch und gerade im digitalen                       dem Tisch: Der 24-jährige Matthi-     Jahr als Projektassistent in der Stabstelle
        Raum. Als Priester möchte                 as Ruzicka ist ein ganz normaler moder-        APG – dem diözesanen Reformprozess –
        er dieses Feuer auch                      ner junger Mann – und: er möchte Pries-        anhängte.
        an andere weitergeben.                    ter werden. 2018 hat er an der Universität
                                                  Wien sein Theologiestudium begonnen.           Seine Berufungsgeschichte kennt indes
        Von Christopher Erben
                                                  Derzeit absolviert er das einjährige Propä-    ein konkretes Datum, erinnert sich Ru-
                                                  deutikum in Linz – das Vorbereitungsjahr       zicka: einen Gottesdienst im November
                                                  für alle Priesteramtskandidaten.               2009. „Damals spürte ich auf einmal: Er
                                                                                                 ist da.“ Es war ein regelrechtes „Wow-Er-
                                                  Während des Gesprächs geht der Blick im-       lebnis“, das ihn damals erfasst und seit-
                                                  mer wieder zum Handy: Social Media ist         her nicht mehr losgelassen habe. Die Fir-
                                                  sein Ding. Auf diese Weise kommuniziert        mung im darauffolgenden Jahr war nur
                                                  und vernetzt er sich. „Das Handy ist für       ein Schritt auf einem Weg, der ihm im-
                                                  mich ein wichtiger Wegbegleiter“, räumt        mer klarer vor Augen stand. 2013 schließ-
                                                  Ruzicka ein – und zwar gerade auch in          lich, beim Weltjugendtag in Rio de Janei-
                                                  Glaubensfragen: „Das, was ich von Gott         ro, merkte er zum ersten Mal seine Beru-
                                                  empfange, gebe ich damit meiner Um-            fung zum Priester.
                                                  welt weiter.“ Auf diese Weise erreiche er
          Ihre Spende wirkt!                      auch einen großen Kreis an Menschen,           2024 will Matthias Ruzicka sein Theolo-
          Seit bereits 102 Jahren begleitet       die mit dem Glauben zunächst einmal            giestudium abschließen – ein noch langer
          das Canisiuswerk Menschen               wenig oder nichts mehr anfangen kön-           Weg, zugleich aber ist sich Ruzicka sicher,
          unterschiedlichen Alters in vielerlei
                                                  nen. Doch nicht nur die Kommunikation          den richtigen Weg eingeschlagen zu ha-
          Formen auf der Suche nach Sinn und
          (geistlicher) Berufung.
                                                  läuft bei ihm digital – auch die Bibel liest   ben. Und wieder greift der junge Mann
                                                  er unterwegs am Handy.                         zum Smartphone: „Der Herr gab mir die
          Möglich ist das nur mithilfe                                                           Berufung, andere zu bewegen und zu
          Ihrer Unterstützung – herzlichen        „Er ist da“                                    begeistern“ – eine Berufung, der er ger-
          Dank! Rufen Sie uns an unter            Seine Heimat ist Winzendorf im südli-          ne und aus vollem Herzen nachkommen
          01/516 11-1500 oder schauen Sie
                                                  chen Niederösterreich. Nach der Matura         wolle. Auch als digitaler Menschenfischer.
          auf unsere Homepage:
          ▶▶www.canisius.at/spenden               am BORG Ternitz absolvierte Ruzicka zu-        900 Follower zählt sein Instagram-Kanal
Erben

                                                  nächst seinen Zivildienst in der Kategori-     bereits – Tendenz steigend.

        miteinander 3–4/2020                                                                                                             17
Rumänien

Ruth gehört einfach dazu
Elend und Not, Glaube und Lebensfreude: Bei den Roma im Herzen Siebenbürgens
findet sich alles in konzentrierter Form. Für die deutsche Sozialmanagerin und
Religionspädagogin Ruth Zenkert wurde der Einsatz für die Roma zur Lebensaufgabe.
Von Georg Pulling

V
          or neun Jahren steht die da-        in der Gegend leben. Vielleicht kann sie    ohne Strom und Wasser; keine Toiletten,
          mals 49-jährige Ruth Zenkert        ihnen helfen.                               keine Wannen, um Wäsche zu waschen,
          eines Tages mit ihrem Ruck-                                                     kein Geschirr, oft nichts zu essen. Im
sack in einem kleinen Dorf im rumäni-         Ruth findet ein kleines Häuschen. „Ein      Winter wird mit der verdreckten Wäsche
schen Siebenbürgen. 20 Jahre hat sie sich     Zimmer war bewohnbar, mit einem             die Hütte isoliert. Die Menschen haben
da schon in Rumänien für Straßenkinder        kleinen Holzofen darin. Seit dem ersten     nichts – außer viele Kinder. „Bis zu zehn
eingesetzt, nun beginnt ein neuer Le-         Winter mit minus 30 Grad weiß ich, was      sind keine Seltenheit. Und dann gibt es
bensabschnitt: „Ich hatte nichts mit, nur     der Winter für viele hier bedeutet.“ Ruth   ein oder zwei Betten in den Hütten. Man
die Frage: Wo ist die Not am größten?“        besucht die Roma-Familien in den Dör-       kann sich gar nicht vorstellen, wie sie alle
Sie weiß, dass unzählige Roma-Familien        fern. Die Menschen leben in Baracken        die Nächte verbringen.“

  Der Verein »Elijah«                                                                     Wie kann Ruth die Menschen aus die-
  ist mittlerweile in fünf Dörfern in der Umgebung von Sibiu und in der Stadt             sem Teufelskreis des Elends befreien?
  selbst tätig. Es gibt zahlreiche Sozialzentren, Musikschulen, Lehrwerkstätten und       Bald merkt sie: gar nicht. Die Menschen
  Arztpraxen. „Elijah“ unterhält eine Tischlerei, eine Gärtnerei, eine Landwirtschaft,
                                                                                          müssen es selbst wollen. Doch Ruth
  eine Fleischerei, eine Hauswirtschaftsschule, eine Bäckerei, eine Weberei, einen
  Bauhof und eine Keramikwerkstatt. Die eigene Gärtnerei versorgt alle „Elijah“–
                                                                                          kann ihnen dabei helfen. Und sie ist
  Einrichtungen mit Gemüse, die Möbel der Einrichtungen werden in der eigenen             bald nicht mehr allein. Einige ehemali-
  Tischlerei gefertigt. Im Dorf Nocrich wurden die Hütten in der Roma-Siedlung            ge Straßenkinder aus Bukarest stoßen zu
  durch neue, wetterfeste Häuser ersetzt. Zu den 60 fixen Mitarbeitern von Elijah         ihr, für die Ruth einst da war. Und dann
  kommen noch rund 20 Volontäre.                                                          taucht auch noch P. Georg Sporschill auf
                                                                                                                                         Pulling

  ▶▶www.elijah.ro
                                                                                          – und bleibt.

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