Besser gleich! Ein Aktionsplan zur Bekämpfung - Oxfam Deutschland
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besser gleich! SCHLIESST DIE LÜCKE ZWISCHEN ARM UND REICH! Ein Aktionsplan zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit
Impressum Oxfam Deutschland e. V. ist eine unabhängige Nothilfe- und Entwicklungsorganisation. Im internationalen Oxfam- Verbund setzen sich 19 Oxfam-Organisationen mit rund 3 000 lokalen Partnern in mehr als 90 Ländern als Teil einer globalen Bewegung für eine gerechte Welt ohne Armut ein. HERAUSGEBER Oxfam Deutschland e. V. 5. Auflage Januar 2019 V.i.S.d.P.: Marion Lieser Oxfam Deutschland e. V. Am Köllnischen Park 1 10179 Berlin Tel.: +49 (0)30 45 30 69 0 E-Mail: info@oxfam.de Aktualisierte deutsche Zusammenfassung des Kampagnen- reports „Even It Up – Time to end extreme inequality“ Vollständiger Text unter: http://www.oxfam.de/publikationen/even-it-up KONZEPTION Tobias Hauschild und Sandra Dworack ÜBERSETZUNG Reinhard Hermle REDAKTION Julia Jahnz, Charlotte Becker und Barbara Fürst LAYOUT Marischka Lutz, www.marischkalutz.de
Inhalt Die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich – ein Kernproblem des 21. Jahrhunderts 4 Triebfedern sozialer Ungleichheit 8 Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit 10 1. Politik im Sinne der Bevölkerung gestalten 11 2. Chancengleichheit für Frauen schaffen 12 3. Einkommen angleichen 14 4. Fair besteuern 16 5. Internationale Steuerschlupflöcher schließen 17 6. Bildung für alle erreichen 19 7. Das Recht auf Gesundheit durchsetzen 21 8. Monopole auf Herstellung von Medikamenten abschaffen 23 9. Soziale Sicherung für alle schaffen 24 10. Entwicklungsfinanzierung neu ausrichten 25 Anmerkungen27
4 © David Levene/Oxfam Die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich – ein Kernproblem des 21. Jahrhunderts Weltweit hat die soziale Ungleichheit extrem zugenommen: 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern, in denen die Lücke zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist. In vielen Staaten eignet sich eine wohlhabende Minderheit einen immer größer werdenden Anteil am Nationaleinkommen an. Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast die Hälfte des Weltvermögens. Es ist an der Zeit soziale Ungleichheit entschieden zu bekämpfen.
BESSER GLEICH! Die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich – ein Kernproblem des 21. Jahrhunderts 5 Ein globaler Trend und seine Folgen Das Weltwirtschaftsforum hat wiederholt festgestellt, dass „gravierende Einkommensdisparitäten“ eines der Die wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit globalen Schlüsselrisiken des kommenden Jahrzehnts ist eines der größten globalen wirtschaftlichen, sozialen sind,3 ähnlich haben sich der Internationale Währungs- und politischen Probleme. Bereits bestehende Ungleich- fonds und die Weltbank9 geäußert – Institutionen, die heiten aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit normalerweise keine allzu kritische Sicht auf soziale und Religion werden durch sie noch verstärkt. In Südafrika Ungleichheit haben. Auch die OECD hat in einem viel etwa ist das soziale Ungleichgewicht heute größer als zum beachteten Bericht zur steigenden sozialen Schieflage Ende der Apartheid.1 darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen Ungleichheit „ in das Zentrum der politischen Debatte rücken müsse.10 Privatpersonen mit extrem hohen Vermögen leben nicht nur in reichen Ländern. Der Mexikaner Carlos Slim gehört seit Jahren zu den sieben reichsten Menschen weltweit. In Afrika gibt es laut Forbes-Liste 19 Milliardärinnen und Seit 20 Jahren tobt ein Klassenkampf, Milliardäre. Diesem extremen Reichtum stehen 437 Millionen und meine Klasse hat gewonnen. Afrikanerinnen und Afrikaner gegenüber, die in extremer Armut leben müssen – Tendenz steigend.2 WARREN BUFFETT DRITTREICHSTER MENSCH AUF ERDEN 11 “ Auch in den Industrieländern, Deutschland eingeschlos- sen, wird wachsende soziale Ungleichheit zum Problem. Regeln im Interesse der Elite Zahlen und Fakten Die unverhältnismäßige Konzentration von Vermögen ist Fol- • Sieben von zehn Menschen leben in Ländern, in denen die soziale Ungleichheit heute größer ge eines blinden Glaubens an die Kräfte des Marktes, und sie verstärkt sich weiter durch die Einflussnahme reicher ist als vor 35 Jahren.4 Eliten. Diese besitzen immer mehr Macht – die Reichen • 2018 wuchs das Vermögen der Milliardäre und Milliardärinnen um 12 Prozent an. Das Vermö- schaffen sich ihre Regeln: Finanzinstitutionen geben allein für Lobbyarbeit auf EU-Ebene 120 Millionen Euro pro Jahr gen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung aus. Zum Vergleich: Der Etat für Aktivitäten in Brüssel von sank gleichzeitig um 11 Prozent. Die Zahl der NRO, Verbraucherschutzorganisationen und Gewerkschaf- Milliardäre und Milliardärinnen hat sich in den ten zusammen liegt pro Jahr bei rund 4 Millionen Euro!12 vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt: Sie 70 Prozent der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt wuchs von 1125 im Jahr 2008 auf 2208 im Jahr haben Niederlassungen in Steuerparadiesen13 und nach 2018.5 • Schätzungen des französischen Steuerexperten Gabriel Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast Zucman drückt sich das reichste Prozent der Weltbevöl die Hälfte des Weltvermögens.6 • Nach Schätzungen von Oxfam besaßen im Jahr 2018 die reichsten 26 Personen auf der Welt kerung durch Steuertricks um Steuerzahlungen von etwa 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr.14 genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, d. h. 3,8 Milliarden Menschen.7 • Das Vermögen von Jeff Bezos, Besitzer von Amazon und derzeit reichster Mann der Welt, Extreme soziale Ungleichheit schadet allen beträgt 112 Milliarden US-Dollar. Nur ein Extreme Ungleichheit hat gravierende Auswirkungen auf Prozent seines Vermögens entspricht den den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft. Sie schä- Gesundheitsausgaben Äthiopiens, einem Land digt das Vertrauen in die Politik und die Demokratie. Sie mit 115 Millionen Einwohner(inne)n.8 beeinträchtigt das wirtschaftliche Wachstum und hemmt die soziale Mobilität. Sie fördert soziale und gesundheit- liche Probleme, wie z. B. psychische Erkrankungen.
6 BESSER GLEICH! Die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich – ein Kernproblem des 21. Jahrhunderts Sie schürt Kriminalität und gewaltsame Konflikte. Nicht Hunderte Millionen von Menschen haben heute keinen zufällig ist die Weltregion mit der höchsten sozialen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser und Nahrung. Viele Ungleichheit, Lateinamerika, auch eine der unsichersten: arbeiten bis zur völligen Erschöpfung, um sich und ihre Dort befinden sich 41 der 50 gefährlichsten Städte der Familien zu ernähren, ohne Aussicht auf sozialen Aufstieg. Welt; zwischen 2000 und 2010 gab es eine Million Morde.15 Gerade die Ärmsten können sich keine private Vorsorge Länder mit extremer Ungleichheit weisen fast viermal leisten und leben in unsicheren sozialen Verhältnissen. höhere Mordraten auf als Staaten, in denen die Kluft nicht In vielen Ländern erhalten sie wenig Schutz und Hilfe von so tief ist.16 Polizei oder Justiz. Katastrophen treffen diejenigen, die weder Geld noch Einfluss haben, meist am heftigsten. Viele der von starker Ungleichheit geprägten Länder leiden Auch fällt es ihnen am schwersten, hinterher wieder auf unter Konflikten oder instabilen Verhältnissen. Ein Beispiel die Beine zu kommen. ist Syrien. Neben einer Vielzahl politischer Faktoren war auch die wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit Die meisten dieser Menschen können ihre Situation kaum für die versteckte Instabilität vor 2011 verantwortlich. verbessern, solange Reichtum und Macht in den Händen Kürzungen staatlicher Zuschüsse und eine Verringerung der Eliten konzentriert bleiben. Es gilt, dieses Ungleich der Beschäftigtenzahl im öffentlichen Sektor trafen einige gewicht durch eine gerechtere Verteilung im Interesse der Gruppen weitaus stärker als andere.17 Dies zeigt: Soziale Allgemeinheit aufzulösen. Ungleichheit erschüttert die Grundfesten der Gesellschaft und schadet allen. Untersuchungen von Oxfam haben ergeben, dass sich beispielsweise in Kenia, Indonesien und Indien Millionen von Menschen aus der Armut befreien könnten, würde die Ein Hindernis für die Überwindung von Armut Einkommensungleichheit reduziert. Schöbe Indien der steigenden Ungleichheit einen Riegel vor, könnten in nur Vor allem behindert die sich immer weiter öffnende Schere fünf Jahren 90 Millionen Menschen ihre extreme Armut zwischen Arm und Reich eine Überwindung der globalen überwinden.20 Die US-Organisation Brookings Institution Armut. Sie zerstört die Chancen der bedürftigsten Menschen kommt zu ähnlichen Ergebnissen. In den von ihr entwickel „ auf ein Leben in Würde und Wohlstand. ten Szenarien gelingt bei reduzierter sozialer Ungleichheit 463 Millionen mehr Menschen weltweit der Weg aus der Armut als bei steigender Ungleichheit.21 Extreme Einkommensunterschiede verlangsamen den Kampf gegen Armut Eine neue Politik ist nötig und behindern die Entwicklung eines breiten Wirtschaftswachstums. Armut und extreme soziale Ungleichheit sind nicht unver- meidlich. Sie sind Folgen bewusster politischer Entschei- KOFI ANNAN 19 dungen. Regierungen können die Schere zwischen Arm und “ Reich schließen, indem sie sich vom reinen Marktglauben lossagen und sich den Interessen mächtiger Eliten ent gegenstellen. Sie müssen die Strukturen ändern, die zum rasanten Anstieg der Ungleichheit geführt haben, sie Die Einkommensverteilung innerhalb eines Landes hat müssen durch eine Umverteilung von Geld und Macht gute großen Einfluss auf die Lebenserwartung. Bangladesch und Lebensbedingungen für die gesamte Bevölkerung schaffen Nigeria etwa haben ähnliche Durchschnittseinkommen; sowie das Recht auf Bildung, Gesundheit und soziale im nur unwesentlich reicheren Nigeria klaffen die Gehälter Sicherung – und damit gerechte Chancen für alle – durch- aber deutlich weiter auseinander. Für ein in Nigeria setzen. geborenes Kind ist das Risiko, vor seinem fünften Geburts- tag zu sterben, dreimal höher als für ein in Bangladesch Dafür müssen unter anderem transnational tätige Unter- geborenes.18 nehmen und Vermögende stärker in die Verantwortung
BESSER GLEICH! Die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich – ein Kernproblem des 21. Jahrhunderts 7 genommen werden. Insbesondere große Konzerne leisten Ländern mit einem ambitionierten Maßnahmenkatalog bisher einen zu geringen Anteil an der Finanzierung von umgesetzt werden. sozialen Leistungen in armen Ländern, weil sie Steuer- schlupflöcher nutzen. Die Ebola-Epidemie in Sierra Leone Im Herbst 2014 startete Oxfams weltweite Kampagne beispielsweise ist 2014 auch aufgrund eines unterfinan- „Even It Up!“ (in Deutschland: „Besser Gleich! Schließt die zierten und damit unzureichenden Gesundheitssystems Lücke zwischen Arm und Reich!“), um die Bekämpfung außer Kontrolle geraten. Im Glauben, für Investoren durch sozialer Ungleichheit auf die politische Tagesordnung zu Steuervorteile attraktiver zu sein, hat das Land sechs setzen. Ein zehn Punkte umfassender Aktionsplan fordert Unternehmen Steuererleichterungen gewährt, die in der konkrete Schritte zur Bekämpfung der sozialen Ungleich- Summe dem Achtfachen seines staatlichen Gesund- heit. heitsetats entsprechen, obwohl es Hinweise gibt, dass Steuererleichterungen nicht der entscheidende Grund für Wir müssen die Spielregeln und Systeme ändern, welche Investitionen sind.22 die Ungleichheit derzeit explodieren lassen. Es gilt, durch zügige Maßnahmen Verteilungsgerechtigkeit in der Ge sellschaft herzustellen, um gute Lebensbedingungen und Gemeinsam gegen soziale Ungleichheit Chancen für alle zu schaffen. Dieses Anliegen teilen wir mit den Kirchen, mit Gewerkschaften, sozialen Bewegun Um ein gerechteres wirtschaftliches und politisches gen, Frauenorganisationen und Millionen von Menschen System zum Wohle der Menschen zu errichten, sind in aller Welt. Gemeinsam fordern wir politische Entschei- weltweite konzertierte Aktionen nötig. Die Bekämpfung dungsträger/-innen auf, etwas gegen die wachsende der Ungleichheit ist eines der im September 2015 ver Ungleichheit zu tun. – Besser Gleich! abschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs, Sustainable Development Goals). Es muss nun von allen © Tom Pietrasik/Oxfam
8 BESSER GLEICH! Triebfedern sozialer Ungleichheit Triebfedern sozialer Ungleichheit Viele Menschen denken, Einkommensungleichheit sei unver meidbar oder eine notwendige Folge der Globalisierung und des technischen Fortschritts. Es sind jedoch vor allem gezielte politische und wirtschaftliche Entscheidungen, die Ungleichheit vergrößern. Zwei wirtschaftliche und politische Faktoren erklären zum großen Teil die Extreme, mit denen wir es heute zu tun haben: der übertriebene Glaube an die Kräfte des Marktes und die Machtübernahme durch Eliten. Deregulierte Marktkräfte sind eine nomischer Ungleichheit sind Wachstumsphasen kürzer Hauptu rsache für wachsende soziale und zukünftiges Wachstum wird ausgebremst.25 Laut OECD Ungleichheit ist etwa in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 1990 und 2010 inflationsbereinigt um etwa Zweifelsohne hat die Marktwirtschaft in vielen Ländern für 26 Prozent gewachsen. Das Pro-Kopf-Wachstum wäre breiten Wohlstand gesorgt. Sie brachte aber auch immer – aber ohne steigende Ungleichheit um fast sechs Prozent- teilweise extreme – soziale Schieflagen mit sich. Wie der punkte höher ausgefallen.26 Extreme Ungleichheit verrin- Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch „Das Kapital im gert auch die armutsmindernde Wirkung von Wachstum. 21. Jahrhundert“ nachweist, neigt dieses System dazu, In vielen Ländern erzeugt Wirtschaftswachstum vor allem Vermögen in den Händen einer kleinen Minderheit zu kon- Vorteile für die reichste Bevölkerungsschicht. Ein Beispiel: zentrieren und die soziale Ungleichheit zu vergrößern.23 Sambias Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nahm zwischen 2004 und 2013 um durchschnittlich drei Prozent jährlich zu. Der neoliberale Ansatz, der das wirtschaftspolitische Nach den Kriterien der Weltbank wurde Sambia so zu einem Denken in den vergangenen Dekaden beherrschte, hat Land mit mittlerem Einkommen. Trotzdem stieg der Anteil diese Entwicklung beschleunigt. Er geht davon aus, dass der Menschen in extremer Armut hier von 65 Prozent der Wirtschaftswachstum nur dann anhält, wenn der Staat Bevölkerung in 2003 auf 74 Prozent in 2010: eine Folge des dereguliert und das freie Spiel der Kräfte am Markt erhalten hohen Grads an Ungleichheit im Land.27 bleibt. Wirtschaftswachstum komme dann der gesamten Gesellschaft zugute. Maßnahmen gegen Einkommens Dies ist kein neues Phänomen. In den 1980er und 1990er ungleichheit hingegen würden sich nachteilig auf das Wirt- Jahren sahen sich Länder in Lateinamerika, Asien und schaftswachstum auswirken. Osteuropa unter dem Druck der Schuldenkrisen Maßnah- men wie Deregulierung, Kürzung der öffentlichen Ausga- Das Gegenteil ist der Fall: Nach neuen wissenschaftlichen ben, Privatisierung, Liberalisierung des Handels und der Erkenntnissen ist wachsende Ungleichheit sogar schädlich Finanzmärkte, großzügigen Steuererleichterungen für für wirtschaftliches Wachstum.24 In Ländern mit großer öko- Unternehmen und Reiche sowie einem Abbau von Arbeits-
BESSER GLEICH! Triebfedern sozialer Ungleichheit 9 rechten ausgesetzt. Die Einkommensungleichheit nahm erschweren die Finanzierung öffentlicher Dienstleis- entsprechend zu. Um das Jahr 2000 erreichte sie in Latein tungen wie Bildung und Gesundheit sowie Investitionen amerika ein Rekordhoch.28 Die Zunahme der Armut während in die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die für den Abbau dieser Zeit wurde Schätzungen zufolge zur Hälfte durch von Armut und sozialer Ungleichheit enorm wichtig eine Umverteilung des Wohlstands zugunsten der reichen wären. Bevölkerungsschichten verursacht.29 In den 20 Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die Zahlen und Fakten Ungleichheit in Russland aufgrund von Liberalisierung und „ • Deregulierung fast verdoppelt.30 Finanzinstitute und ihre Lobbyvertretungen geben jährlich über 120 Millionen Euro aus und beschäftigen über 1 700 Mitarbeiter/-innen, um die Politik der EU in ihrem Sinne zu beein- Einer der Fehler des Markt- flussen. NRO, Verbraucherschutzorganisa- fundamentalismus ist, dass er die tionen und Gewerkschaften geben für Aktivi- Einkommensverteilung und die Idee einer täten in Brüssel pro Jahr rund 4 Millionen Euro solidarischen Gesellschaft ignoriert. aus.33 JOSEPH STIGLITZ 31 • Um den Dodd-Frank Act zur Stabilisierung des Finanzmarktes zu schwächen und zu “ verzögern, gab die US-amerikanische Finanz industrie rund eine Milliarde US-Dollar aus und beschäftigte Hunderte Lobbyisten.34 Obwohl neoliberale Politik zur Entstehung der jüngsten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise beigetragen hat32, • In Pakistan beträgt das durchschnittliche Nettovermögen von Parlamentsabgeordneten bleibt sie die weltweit vorherrschende Ideologie. Diese 900.000 US-Dollar, doch Steuern zahlen nur Geisteshaltung bestimmt beispielsweise die Bedingungen, wenige.35 die den verschuldeten europäischen Staaten im Zuge der Krise auferlegt wurden: Deregulierung, Privatisierung und eine Kürzung der Sozialleistungen für die Ärmsten. Gleich- zeitig wurden die Steuern für die reiche Bevölkerung zum Der gewaltige Lobbyeinfluss großer Unternehmen, der es Teil gesenkt. Die soziale Ungleichheit ist auch hier massiv ihnen erlaubt, die Spielregeln zu ihren Gunsten zu ändern, gestiegen! verstärkt die Konzentration von Macht und Geld in den Händen weniger. Viele der reichsten Menschen haben ihr Fazit: Regulierung und eine faire Besteuerung sind not Vermögen dank exklusiver staatlicher Konzessionen und wendig, um die Ungleichheit einzudämmen. im Zuge von Privatisierungen gemacht. So wurden nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Insider durch die Privatisierung in Russland und der Ukraine über Nacht zu Gesetzgebung im Interesse der Eliten Milliardär(inn)en. Carlos Slim erzielte seine Milliarden, indem er sich die Exklusivrechte für Mexikos Telekommunikations- Der Einfluss wirtschaftlicher und politischer Eliten ver Sektor sicherte, als dieser in den 1990er Jahren privatisiert festigt seit langer Zeit die Ungleichheit. Geld bedeutet wurde.36 politische Macht, die genutzt wird, um Vorteile zu sichern. In reichen wie armen Ländern nutzen Eliten ihren poli- Das blinde Vertrauen in die Marktkräfte und die politische tischen Einfluss, um mit den jeweiligen Regierungen Vereinnahmung durch Eliten haben zu mehr sozialer Un- Vergünstigungen auf Kosten aller anderen Bevölkerungs- gleichheit geführt und die Regeln so geändert, dass die gruppen auszuhandeln. Dazu zählen Steuererleichterun in größter Armut und am Rande der Gesellschaft lebenden gen, Verträge zu Vorzugskonditionen, Landrechte oder Menschen keine faire Chance haben, es zu Wohlstand zu Subventionen sowie schwache, Korruption begünstigen- bringen. de Kontrollmechanismen. Fehlende Steuereinnahmen
10 © Rajendra Shaw/Oxfam Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit Oxfams Zehn-Punkte-Programm fordert ein konzertiertes Vorgehen zum Aufbau eines transparenteren wirtschaftlichen und politischen Systems, das die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger sichert. Regierungen, Organisationen und Unternehmen haben die Pflicht, sich dem drängenden Problem der Ungleichheit zu stellen. Sie müssen eine Politik verfolgen, die eine gerechte Verteilung von Geld und Macht zum Ziel hat.
BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit 11 Politik im Sinne der 1 . Bevölkerung gestalten Menschen streben nach Ausgleich Zahlen und Fakten Wie Befragungen zeigen, meinen Menschen kultur- und ge- sellschaftsübergreifend, dass zu große soziale Unterschiede • Eine von Oxfam in Auftrag gegebene welt weite Umfrage zeigt, dass die Sorge aufgrund unfair, unmoralisch und schlecht für die Gesellschaft sind. der sozialen Ungleichheit groß ist. Von 70 000 Befragten in zehn Ländern sehen knapp zwei Um erfolgreich der galoppierenden Ungleichheit zu begeg- Drittel die Schere zwischen Arm und Reich als nen, müssen Regierungen auf ihre Bürger/-innen hören. drängendes Problem an.40 Die dafür nötige breite Mobilisierung der Öffentlichkeit hat bereits begonnen: In vielen Staaten treten Menschen für • In einer repräsentativen Umfrage der Fried- rich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2016 gaben Änderungen ein. Hunderttausende sind frustriert, weil sie 82 Prozent der Befragten an, dass die soziale keinen adäquaten Zugang zu sozialen Grunddiensten haben Ungleichheit in Deutschland zu groß sei.41 und ihre Stimmen kaum Gehör finden. Diese Unzufrieden- heit ist global. • 71 Prozent der Bundesbürger/-innen wünschen sich laut AWO-Sozialberometer aus dem Jahr 2014, dass der Staat stärker steuert und regulierend eingreift, um mehr Ausgleich zu Die Macht des Volkes schaffen.42 In Chile, dem OECD-Land mit der größten Einkommens ungleichheit37, lösten 2011 die hohen Kosten für Bildung Landes. Die Regierung, die den unteren und mittleren Ein- Massenproteste aus. In ihrem Verlauf wuchs der Unmut kommensgruppen Schutz vor den schlimmsten Folgen der über die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermö- Finanzkrise versprochen hatte, sah sich gezwungen, ein gen sowie den Einfluss großer Konzerne auf die Politik.38 Referendum durchzuführen. 93 Prozent der Bevölkerung Eine Koalition von Vertreter(inne)n von Studentenorgani lehnten den Vorschlag ab, dass die Steuerzahler/-innen sationen und Gewerkschaften organisierte einen zwei und nicht die Banken für den Bankrott aufkommen sollten. tägigen Streik, dem sich 600 000 Menschen anschlossen. Dies führte 2012 zu einer neuen Verfassung mit Bestim- Ende 2013 wurde eine neue Regierung gewählt, der auch mungen zu Gleichheit, Informationsfreiheit und der Durch- Schlüsselfiguren der Protestbewegung angehören. Sie führung von Referenden.43 sind dem Kampf gegen Ungleichheit und einer Reform des Bildungssystems verpflichtet.39 Fazit: Politik und Gesellschaft können aus dem Würge- griff der Eliten befreit werden, wenn sich Bürgerinnen und 2010 gab es in Island große Demonstrationen gegen die Bürger zusammentun und entschlossen für eine fort- Rettungspakete für drei der wichtigsten Banken des schrittliche Politik eintreten. Maßnahmen Oxfam fordert Der Abbau sozialer Ungleichheit • ein klares Bekenntnis nationaler Regierungen und internationaler Organisationen zum Ziel, bis 2030 extreme Ungleichheit zu überwinden; liegt im Interesse der Allgemein- heit und muss Leitprinzip aller • die Verabschiedung und Umsetzung nationaler Aktionspläne zur Bekämpfung der Ungleichheit; internationalen Vereinbarungen • die umfassende Offenlegung von Lobbyaktivitäten; und Ziel nationaler Politik werden. • Meinungs- und Pressefreiheit.
12 BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit Chancengleichheit 2. für Frauen schaffen Einkommensungleichheit: ein Rückschlag Ungleichheiten verstärken einander für die Geschlechtergerechtigkeit Weitere Dimensionen der Ungleichheit, wie z. B. Hautfarbe, Eine der allgegenwärtigsten und ältesten Formen sozialer Religion, Kaste, ethnische Zugehörigkeit und andere Zu Ungleichheit ist diejenige zwischen Männern und Frauen. ordnungen, die Menschen bei ihrer Geburt erfahren, ver- Geschlechter- und Einkommensungleichheit hängen sehr stärken diese Benachteiligung noch. In Mexiko zum Beispiel eng zusammen und verstärken sich gegenseitig. beträgt die Müttersterblichkeitsrate bei indigenen Frauen das Sechsfache des nationalen Durchschnitts und ist so Männer sind an der Spitze der Einkommensskala über hoch wie in vielen Ländern Afrikas.48 repräsentiert und besitzen durch hohe Positionen in Politik und Wirtschaft deutlich mehr Macht. Frauen hingegen stellen die überwältigende Mehrheit bei Niedriglohnjobs und in sehr prekären Beschäftigungsbereichen. Zahlen und Fakten 2235 GLEICHES GEHALT UND GLEICHE • BERUFSCHANCEN Weltweit verdienen Frauen im Durchschnitt 23 Prozent weniger als Männer, in Deutsch- 4 220 land sind es 21 Prozent.44 • Weltweit leisten Frauen unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit in Höhe von jährlich 10 Billio 215 nen US-Dollar.45 6 • In nur vier Tagen verdient ein Vorstands 7 208 vorsitzender eines der fünf größten Textil- konzerne so viel wie eine Näherin in Bangladesch in ihrem ganzen Leben.46 203 8 • In Bangladesch sind 85 Prozent der in der 9 Bekleidungsindustrie Beschäftigten Frauen. 201 Diese Jobs bieten kaum Arbeitsplatzsicher- heit und sind oft mit Gefahr für Leib und Leben verbunden. Die meisten Opfer des Einsturzes der Rana-Plaza-Bekleidungsfabrik BLEIBT DIE ENTWICKLUNG WIE SIE DERZEIT IST, im April 2013 waren Frauen. WIRD ES NOCH 216 JAHRE DAUERN, BIS FRAUEN WELTWEIT GENAUSO VIEL VERDIENEN UND DIE GLEICHEN BERUFSCHANCEN HABEN Studien haben ergeben, dass in Gesellschaften mit starker WIE MÄNNER. 49 Einkommensungleichheit weniger Mädchen einen höheren Schulabschluss erreichen, weniger Frauen in den Parlamen- ten vertreten sind und das Lohngefälle zwischen den Die ärmsten 20 Prozent der äthiopischen Bevölkerung ha- Geschlechtern größer ist.47 Die weltweit wachsende Einkom- ben dreimal geringere Chancen auf Bildung als die reichs- mensungleichheit bedeutet daher einen schweren Rück- ten 20 Prozent. Unterschiede zwischen Stadt und Land schlag für die Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit. verschärfen diese Ungleichheit drastisch – insbesondere
13 © Rajendra Shaw/Oxfam zu Ungunsten von Frauen und Mädchen. Die ärmsten auf Fazit: Die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter dem Land lebenden Frauen haben eine sechsmal geringere und Einkommensungleichheit greifen ineinander und ver- Chance, jemals eine Schule zu besuchen, als die reichsten stärken sich im Zusammenspiel mit anderen sozialen Un- Männer, die in der Stadt wohnen.50 Ohne gezielte Verbes- gleichheiten gegenseitig. Dies schafft „Benachteiligungs- serungen wird es ihren Töchtern und Enkelinnen ebenso fallen“, die die ärmsten und am weitesten an den Rand ergehen. gedrängten Menschen, insbesondere Frauen und Mädchen, tiefer in die Armut treiben – und dort festhalten. Maßnahmen Oxfam fordert • verstärkte Anstrengungen zur Beendigung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen; Die Wirtschafts- und Sozialpolitik • gleiche Rechte für Männer und Frauen, beispielsweise bei den Erb- und Landrechten; muss Einkommensungleichheit ver- ringern und dadurch Geschlechter- • einen finanziellen Ausgleich für unbezahlte Pflege- und Betreuungsdienste; gerechtigkeit fördern. Denn von der sozialen Schieflage sind besonders • eine gerechtere Aufteilung von Pflege und Betreuung zwischen den Geschlechtern; Frauen betroffen. • spezifische Datenerhebungen, um die Auswirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf Frauen und Mädchen besser abschätzen zu können.
14 BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit Einkommen 3. angleichen Arm bleibt arm – und Reich wird immer reicher Zahlen und Fakten Eine weitverbreitete Annahme lautet, ein gewisses Maß an Einkommensungleichheit sei hinnehmbar, solange diejeni- • In Pakistan hat ein Junge, der in einer länd- lichen Gegend geboren wurde und dessen gen, die etwas lernen und hart arbeiten, Erfolg haben und Eltern den ärmsten 20 Prozent der Bevölke zu Wohlstand kommen können. In Ländern mit extremer rung angehören, nur eine 1,9-prozentige Ungleichheit sieht die Wirklichkeit jedoch anders aus. Die Chance, in die Gruppe der reichsten 20 Pro- Kinder der reichen Bevölkerung ersetzen zum großen Teil zent der Bevölkerung aufzusteigen.53 ihre Eltern in der wirtschaftlichen Hierarchie; ebenso folgen die Kinder der in Armut lebenden Menschen ihren Eltern • In den USA wird nahezu die Hälfte der Kinder von Geringverdienenden später als Erwach- nach – unabhängig davon, wie begabt sie sind oder wie sene selbst nur ein niedriges Einkommen hart sie arbeiten. erzielen.54 Forschungen haben länderübergreifend nachgewiesen, • Bleibt die Entwicklung wie sie derzeit ist, wird es noch 216 Jahre dauern, bis Frauen dass extreme Einkommensungleichheit und geringe soziale weltweit genauso viel verdienen und die Mobilität stark miteinander korrelieren.51 Wer in einem Land gleichen Berufschancen haben wie Männer.55 mit hoher Ungleichheit in armen Verhältnissen geboren wird, stirbt höchstwahrscheinlich auch arm, und seine/ihre Nachkommen werden ebenfalls in Armut leben. Anteil Erwerbse inkommen 70 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) weltweit und 65 % nach Ländergruppen 52 60 % 55 % Weltweit G20 Länder mit 50 % hohem Einkommen G20 Länder mit mittlerem und niedrigem mittleren Einkommen 45 % Ländergruppen außerhalb der G20 40 % 90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 10 12 19 20 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20
BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit 15 Keine Aussicht auf sozialen Aufstieg Zahlen und Fakten Einkommen aus Erwerbsarbeit bestimmt die wirtschaft- liche Lage und die Zukunftschancen der meisten Men- • Zwischen 1980 und 2016 gingen 27 Prozent des weltweiten Einkommenswachstums an schen. Aber große Teile der in extremer Armut Lebenden die globalen Spitzenverdiener/-innen (das haben keine Chance, der Armut zu entkommen, egal wie oberste Prozent). Die ärmere Hälfte der Welt hart sie arbeiten, denn zu viele erhalten Hungerlöhne. bevölkerung musste sich untereinander Frauen sind hiervon wesentlich stärker betroffen als gerade einmal 13 Prozent des gesamten Männer. Die Reichsten hingegen verfügen über hohe und Einkommenswachstums teilen.58 schnell steigende Einkommen sowie zusätzliche Erträge aus ihren angesammelten Vermögen – die soziale Schere • In Südafrika müsste ein Arbeiter in einer Platin-Mine 93 Jahre schuften, um die durch- öffnet sich immer weiter. schnittlichen jährlichen Bonuszahlungen des Minenchefs zu verdienen.59 Seit 1990 nimmt der Anteil des Einkommens aus Erwerbs- arbeit am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ab, und zwar gleicher • Rund 40 Prozent der Arbeitskräfte – darunter deutlich mehr Frauen als Männer – sind im in- maßen in Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem formellen Sektor tätig, wo keine Mindestlöhne Einkommen, und weltweit bringen einfache Angestellte bezahlt und Arbeitsrechte missachtet werden.60 ein immer kleineres Stück vom Kuchen nach Hause, während diejenigen an der Einkommensspitze mehr und mehr bekommen.56 und Nichtachtung von Arbeitsrechten jedoch umkehren. In Brasilien etwa stieg der Mindestlohn zwischen 1995 und Existenzsichernde Löhne zählen zu den wichtigsten An 2011 real um beinahe 50 Prozent. Parallel dazu verringerten liegen von Arbeiter(inne)n in armen Ländern. Gewerkschaf- sich Armut und Einkommensdisparitäten. ten verbessern die Chance auf faire Bezahlung. Das Lohn- niveau gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter ist Einige fortschrittliche Unternehmen und Genossenschaften durchschnittlich 20 Prozent höher als in vergleichbaren schränken exorbitante Vorstandsvergütungen mittlerweile Betrieben und Industriezweigen, in denen es keine Gewerk- ein. Der brasilianische Mischkonzern SEMCO SA zum Bei- schaften gibt.57 Jedoch gibt es in vielen armen Ländern spiel beschäftigt mehr als 3 000 Menschen in mehreren keine starken Gewerkschaften, denn Arbeiter/-innen, die Produktionsstätten und hält eine Lohnquote von 10:1 ein: sich organisieren wollen, sehen sich häufig Repressionen Das höchste Gehalt darf maximal zehnmal größer sein als ausgesetzt. der niedrigste Verdienst.61 Fazit: Weltweit macht extreme Ungleichheit für Millionen Eine andere Arbeitswelt ist möglich in Armut lebender Menschen die Chancen auf ein besseres Leben zunichte. Es gibt Wege, dies zu verhindern. Eingrei Einige Länder konnten den negativen Trend in Bezug auf fen von Seiten der politisch Verantwortlichen ist dazu niedrige Löhne, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen unerlässlich. Maßnahmen Oxfam fordert Wenn Unternehmen Gewinne erwirtschaften, • weltweit gesetzliche Mindestlöhne in existenzsichernder Höhe einzuführen; dürfen nicht die Vorstandsvergütungen steigen, während Angestellte zu Löhnen • Unternehmen auf ein Verhältnis von höchster zu durch- schnittlicher Bezahlung von maximal 20:1 zu verpflichten; unter dem Existenzminimum und zu menschen- unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. • die Gewerkschafts- und Streikrechte von Arbeiter(inne)n zu gewährleisten.
16 BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit Fair Zahlen und Fakten 4. besteuern • Oxfam schätzt, dass die Einnahmen aus einer weltweiten Steuer in Höhe von nur 0,5 Prozent auf das Vermögen des reichsten Prozents Steuern können Ausgleich schaffen der Bevölkerung in allen Ländern ausreichen würden, um allen 262 Millionen Kindern, Das Steuersystem ist eines der wichtigsten Instrumente, mit die derzeit nicht zur Schule gehen, einen denen Regierungen etwas gegen Einkommensungleichheit Schulbesuch zu ermöglichen und um staat- unternehmen können. Durch eine gerechtere Besteuerung liche Gesundheitsversorgung zu schaffen, sowie Sozialtransfers kann die von Marktkräften getriebene die 3,3 Millionen Menschen das Leben retten Einkommensungleichheit signifikant korrigiert werden. Finn- könnte.65 land etwa hat durch eine progressive Besteuerung und ge- • In den G20-Ländern haben die Regierungen den durchschnittlichen Unternehmens zielte Sozialausgaben die Ungleichheit halbieren können.62 steuersatz von 40 Prozent im Jahr 1990 auf rund 30 Prozent im Jahr 2015 gesenkt.66 Die Reichsten in die Pflicht nehmen Einige Länder haben mittlerweile Steuergesetze eingeführt, Finanztransaktionssteuer auf möglichst viele Finanz die auf den Abbau von Ungleichheit ausgerichtet sind. produkte einzuführen. In der EU lag dies auch am fehlenden So wurde 2012 in Senegal ein neues Steuergesetz verab- Elan der deutschen Bundesregierung. Dabei hätte die schiedet, das Vermögende und Unternehmen stärker in die Steuer allein in Deutschland zwischen 11 und 36 Milliarden Pflicht nimmt, um zusätzliche Mittel für staatliche Dienst- Euro pro Jahr einbringen können.64 Nun wollen Deutschland leistungen zu generieren.63 und neun weitere EU-Partner lediglich eine Steuer auf Aktiengeschäfte einführen, die nur einen Bruchteil der Ein In einigen Ländern werden zudem Vermögenssteuern nahmen bringt. diskutiert. Thomas Pikettys Empfehlungen haben breite öffentliche und politische Resonanz gefunden und die Fazit: Eine stärkere Besteuerung von großen Unternehmen Debatte über eine globale Vermögenssteuer belebt. In der und Vermögenden ist zur Bekämpfung der Ungleichheit Tat würde bereits eine geringfügige Besteuerung extremer unabdingbar. Jedoch sind die Kräfte, die sich aus Eigen Vermögen immensen Nutzen bringen. interessen gegen derartige Reformen wenden, sehr mäch- tig. Die Gefahr besteht, dass Lücken im internationalen Auch neue Abgaben, die vor allem den unterbesteuerten Steuersystem nicht geschlossen werden und die reichs- Finanzsektor in die Verantwortung nehmen würden, wur- ten Unternehmen und Privatpersonen unbehelligt weiter den nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise seit Schlupflöcher ausnutzen können, keinen angemessenen 2008 diskutiert. Leider sind seitdem alle Versuche auf Steueranteil zahlen und sich so auch zukünftig ihrer ge- G20-Ebene und in der EU gescheitert, eine umfassende sellschaftlichen Verantwortung entziehen. Maßnahmen Oxfam fordert Regierungen im Globalen Norden und Süden müssen gemeinsam internationale Regelungen schaffen, um das • Einkünfte aus Vermögen stärker zu besteuern; Ungleichgewicht bei der Besteuerung ärmerer Menschen im Vergleich zu den reichsten Unternehmen und Privatpersonen • nationale Vermögenssteuern einzuführen; zu korrigieren. Neben Arbeitseinkommen und Konsum müssen Vermögen angemessen an der Besteuerung beteiligt werden. • eine globale Vermögenssteuer zu prüfen.
BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit 17 Internationale Steuer 5. schlupflöcher schließen Milliardenverluste durch Steuervermeidung um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Solche Anreize werden immer häufiger geschaffen und haben in In armen Ländern, wo Sozialtransfers und Umverteilung be- einigen der ärmsten Länder die Grundlagen für eine ange- „ sonders nötig wären, sind die Steuersysteme leider oft nur messene Unternehmensbesteuerung ausgehöhlt. ansatzweise in der Lage, das nationale Einnahmepotenzial auszuschöpfen. Zahlen und Fakten Wir können und müssen den Kurs ändern hin • Entwicklungsländer verlieren durch die Steu- ervermeidung von multinationalen Konzernen zu einer fairen Besteuerung, zur Austrocknung von Steueroasen jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar sowie zum gleichberechtigten an Steuereinnahmen.67 Zugang zu sozialen Grunddiensten wie • Nach einer Oxfam-Schätzung haben neun von zehn großen Unternehmen mindestens eine Gesundheit und Bildung. Niederlassung in einer Steueroase.68 JEFFREY SACHS 72 • “ Oxfam schätzt, dass die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen – China ausge- nommen – fast eine Billion US-Dollar zusätz- lich einnehmen könnten, würden sie Steuer- Oft ist der Handlungsspielraum von nationalen Regierun lücken auch nur zur Hälfte schließen.69 gen durch internationale Steuerschlupflöcher, zulässige • Reiche Einzelpersonen haben laut einer Schätzung des französischen Wirtschaftswis- Steuervermeidungspraktiken und fehlende internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen stark eingeschränkt. senschaftlers Gabriel Zucman derzeit Vermö- Keine Regierung ist allein mächtig genug, um Industrie- gen in Höhe von rund 7,6 Billionen US-Dollar giganten ihre Vorteile streitig zu machen. Große Unter- in Steueroasen angelegt. Den Heimatländern nehmen können sich unzählige sachkundige Wirtschafts- dieser Personen entgehen dadurch rund 200 prüfer/-innen leisten, um die Steuern kleinzurechnen. Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen.70 • Multinationale Konzerne wie Apple oder Starbucks73 haben Bangladesch wird durch Steueroasen jähr- durch die Nutzung von Steueroasen bereits Abgaben in lich um Einnahmen in Höhe von 310 Millionen Milliardenhöhe umgangen. Gleiches gilt für vermögende US-Dollar gebracht. Das wäre genug, um fast Privatpersonen. Multimilliardär Warren Buffet nennt das 20 Prozent des Budgets für Grundbildung zu derzeitige Steuersystem unfair, da es ihm ermöglicht, finanzieren – in einem Land, wo auf 75 Kinder weniger Steuern zu zahlen als sein Sekretär. im Grundschulalter nur eine Lehrkraft kommt.71 Steueroasen garantieren Geheimhaltung und niedrige Steuersätze. Eine reale Geschäftstätigkeit ist hier keine Voraussetzung für die Registrierung eines Unternehmens Einen großen Teil des Problems macht der zunehmende oder einer Bank. Ein Paradebeispiel für diese eklatante Rückgang bei der Erhebung von Unternehmenssteuern Praxis ist Ugland House, ein Bürogebäude auf den Kaiman aus. Multilaterale Organisationen und Finanzinstitutionen, inseln. Es ist Sitz von 18 857 Firmen, was Barack Obama z. B. Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank, zu der treffenden Bemerkung veranlasste, dass es sich empfehlen armen Ländern, Steuerentlastungen, Steuer- „entweder um das größte Bauwerk oder den größten befreiungen und Sonderwirtschaftszonen einzuführen, Steuerbetrug der Welt“ handeln müsse.74
18 BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? nicht vertreten sind –, aber immerhin zeugt der Plan von einer wachsenden Einsicht, dass das System geändert Durch Steueroasen ermöglichte Betrügereien treffen werden muss. arme Länder überproportional. Erfreulicherweise beginnt die internationale Staatengemeinschaft mittlerweile, Auch der IWF widmet sich der Besteuerung multinationa- Maßnahmen zu ergreifen. Im Rahmen des sogenannten ler Unternehmen und weist auf die Notwendigkeit hin, BEPS-Prozesses (BEPS, Base Erosion and Profit Shifting) das Steueraufkommen zugunsten der armen Länder haben die G20 und die OECD im Jahr 2013 einen Aktions- zu verändern.77 Zudem erwägt der IWF eine weltweite „ plan gegen Gewinnkürzung und -verlagerung multinational Gesamtkonzernbesteuerung.78 Sie soll sicherstellen, dass Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie wirtschaftlich tätig sind und ihre Gewinne erzielen. Die Kluft zwischen den Reichsten Fazit: Die internationale Staatengemeinschaft macht Fort- und den Ärmsten anzugehen, schritte, z. B. in Bezug auf Steuertransparenz und einen ist der Imperativ unserer Zeit. automatischen globalen Austausch von Steuerinformatio nen. Dies soll den Schleier der Geheimhaltung lüften, der GRAÇA MACHEL 75 Steuervermeidung erleichtert. Ein gravierendes Manko aber “ ist, dass die armen Länder nicht mit am Verhandlungstisch sitzen und nur unzureichend einbezogen werden. Dies muss sich ändern. tätiger Unternehmen verabschiedet.76 Zwar dürften die ergriffenen Maßnahmen kaum ausreichen, um auch armen Ländern höhere Einnahmen aus der Besteuerung von Unternehmen zu ermöglichen – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass diese in dem exklusiven Verhandlungskreis Maßnahmen Oxfam fordert • Unternehmen dort zu besteuern, wo sie wirtschaftlich aktiv sind und Gewinne erwirtschaften; • eine öffentliche länderbezogene Rechnungslegung von Unternehmen über Gewinne und Steuern; Das Wirtschaftssystem darf nicht länger • ein öffentliches Register für wirtschaftliches Eigentum und wirtschaftlich Begünstigte; Steuervermeidung multinationaler Unternehmen und reicher Einzelpersonen • den automatisierten internationalen Austausch von Steuer informationen auch mit armen Ländern, die selbst keine begünstigen, denn dadurch werden die Informationen weitergeben können; öffentlichen Haushalte ausgehöhlt und die Möglichkeiten von Regierungen be- • Steueroasen durch Maßnahmen wie die Einführung schwarzer Listen und Sanktionen zu unterbinden; schnitten, mehr gegen soziale Ungleich- heit zu tun. • Transparenz über bestehende Steueranreize für Unternehmen und Investoren herzustellen – auch über die damit verbun- denen Steuerausfälle; • die Initiierung eines Reformprozesses auf Augenhöhe mit armen Ländern und die Schaffung eines inklusiveren inter nationalen Steuerregimes.
19 © Simon Rawles Bildung für alle 6. erreichen Soziale Grunddienste sorgen für Einkommen Zahlen und Fakten • Öffentliche Schulen mit gut ausgebildeten Lehrkräften Öffentliche Leistungen stocken das Netto sowie Krankenhäuser und Gesundheitszentren mit qua- einkommen der ärmsten Bevölkerungs lifiziertem Fachpersonal helfen, Einkommens- und Ver- schichten in den OECD-Ländern indirekt um mögensarmut zu überwinden. Bildung und Gesundheits- bis zu 76 Prozent auf.79 • Zwischen 2000 und 2007 verminderte das auf staatliche Dienstleistungen zurückzuführen- fürsorge sind Menschenrechte, und ihre gebührenfreie Bereitstellung mildert die schlimmsten Folgen der unglei- de „virtuelle Einkommen“ die Einkommens chen Verteilung von Einkommen und Reichtum. Drückt man ungleichheit in allen OECD-Staaten um durch- diese öffentlichen Dienstleistungen in einem monetären schnittlich 20 Prozent.80 Wert aus („virtuelles Einkommen“) und rechnet diesen dem • In Argentinien, Bolivien, Brasilien, Mexiko und Uruguay führte allein das „virtuelle Einkom- faktischen Einkommen hinzu, dann ist festzustellen, dass insbesondere die ärmsten Bevölkerungsgruppen durch men“ aus dem Gesundheits- und Bildungs eine indirekte Aufstockung ihres Gesamteinkommens pro- bereich zu einem Rückgang der Ungleichheit fitieren. um 10 bis 20 Prozent.81 • Eine pakistanische Familie, die zu den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung zählt, Bessere Bildung – weniger Ungleichheit müsste Finanzmittel in Höhe von 127 Prozent ihres Einkommens aufbringen, um alle ihre Insbesondere Bildung ist ein Kernelement, um soziale Kinder auf eine vermeintlich billige Privat- Ungleichheit zu verringern. Zugang zu guter, gebühren- schule zu schicken.82 Ähnliches gilt für Malawi freier öffentlicher Bildung erhöht die Chancen jedes und Indien.83 Menschen, ein selbstbestimmteres, gesünderes und pro- • Frauen und Mädchen sind meist als erste ausgeschlossen, wenn für soziale Grund- duktiveres Leben zu führen. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven gewendet. Seit Beginn des dienste bezahlt werden muss. internationalen Aktionsprogramms „Bildung für alle“ und der Verabschiedung der Millennium-Entwicklungsziele im
20 BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit Jahr 2000 gab es bemerkenswerte Fortschritte im Bereich Gebühren und Privatisierung vernichten der Grundbildung. Chancen Länder wie Äthiopien, Mosambik oder Vietnam haben Aus- Mangelnde Finanzierung sowie die Berücksichtigung von gaben für ihre öffentliche Bildungssysteme priorisiert und Partikularinteressen verschärfen soziale Ungleichheit. damit gute Erfolge erzielt. Vietnam etwa gibt 18 Prozent der Zu viele Länder leiden unter den Folgen einer Politik, die Staatsausgaben für Bildung aus – dadurch konnten nicht Bildung, Gesundheitsfürsorge und andere öffentliche nur Ungleichheiten beim Bildungszugang angegangen, Dienstleistungen gebührenpflichtig macht und privatisiert. sondern auch die Qualität des Unterrichts verbessert werden. Äthiopien und Mosambik gehen einen ähnlichen Werden Gebühren für soziale Grunddienste erhoben, Weg und haben Ausgaben für Bildung priorisiert – sie können Millionen von Kindern, Frauen und Männern diese wenden rund 22 Prozent ihrer Etats für Bildung auf. Das nicht nutzen. Dass die Weltbank jahrelang genau dies zeigt, dass Fortschritte möglich sind. empfohlen hat, sieht ihr derzeitiger Präsident Jim Yong Kim mittlerweile als ideologisch bedingten Fehler an. Trotz des Weltweit sank die Zahl der Kinder, die keine Schule be- Schadens, den solche Gebühren anrichten, sind sie jedoch suchen, zwischen 1999 und 2011 um fast die Hälfte. Eine immer noch weit verbreitet. In einigen Ländern haben sich große Rolle spielte dabei in vielen Ländern die Abschaffung in den letzten Jahren vermehrt private, gewinnorientierte von Schulgebühren. In Uganda beispielsweise stieg die Schulen ausgebreitet, die armen Familien den Zugang zu Einschulungsquote danach in nur einem Jahr um 73 Pro- Bildung zu vermeintlich günstigen Gebühren anbieten. zent, von 3,1 Millionen auf 5,3 Millionen eingeschulte Die Realität sieht allerdings oft anders aus, denn die an Kinder.84 fallenden Gebühren belasten Familien schwer: In Ghana z. B. müssen die ärmsten Familien durchschnittlich Dennoch haben weltweit noch immer mehr als 260 Millionen 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens aufwenden, um Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 17 Jahren wenigstens eines ihrer Kinder auf solch eine Schule keinen Zugang zu Bildung. Entwicklungsländer müssen schicken zu können.86 mehr eigene Ressourcen in Bildung investieren – minde- stens 20 Prozent der öffentlichen Mittel sollten in diesen Fazit: Um Chancengerechtigkeit herzustellen, sind starke Bereich fließen. Derzeit geben die Länder im Schnitt gut öffentliche Bildungssysteme nötig. Die Qualität des Unter- 14 Prozent für Bildung aus. Das reicht nicht aus, um allen richts muss durch eine Förderung der Lehramtsausbildung Kindern Zugang zu guter Bildung zu ermöglichen und be- sowie gute Einrichtungen und Ausstattung verbessert sonders einkommensschwache Familien zu unterstützen.85 werden. Zudem müssen Maßnahmen ergriffen werden, um So wird Millionen Kindern ihr Recht auf Bildung verwehrt den am stärksten benachteiligten Kindern den Anschluss und Einkommensschwache werden tiefer in die Armutsfalle zu ermöglichen. getrieben. Maßnahmen Oxfam fordert • die Abschaffung von Gebühren für den Schulbesuch, mindestens bis zur Sekundarstufe; Allgemeiner Zugang zu qualitativ guten Bildungs- • arme und reiche Länder müssen ihre Finanzierungsverpflichtungen im Bildungsbereich einhalten. Arme Länder sollten 20 Prozent ihrer nationalen angeboten ist für die Haushalte für Bildung aufwenden, davon die Hälfte für Grundbildung. Reduzierung sozialer Geberländer sollten entsprechend den Anteil der Hilfe für Bildung erhöhen; Ungleichheit unerlässlich. • gewinnorientierte Initiativen von Privatunternehmen im Bildungsbereich sollten nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert und kritisch begleitet werden.
BESSER GLEICH! Zehn Punkte gegen soziale Ungleichheit 21 Das Recht auf 7. Gesundheit durchsetzen Bessere Gesundheitsfürsorge – Budgets für Gesundheitsdienste im ländlichen Bereich weniger Ungleichheit immer kleiner, obwohl gerade dort die Menschen in größter Armut leben.89 Dies führt zwangsläufig zu einer weiteren Gesundheit ist ein Menschenrecht; sie ist ebenso eine Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich. Grundvoraussetzung, um arbeiten zu können und Geld zu verdienen. Eine gute öffentliche Gesundheitsfürsorge ist eines der wichtigsten Elemente zur Bekämpfung sozialer Zahlen und Fakten Ungleichheit. Zwischen 2008 und 2012 kürzten allerdings zwei Drittel aller Entwicklungsländer aufgrund der welt- weiten Finanz- und Wirtschaftskrise die Mittel für Gesund- • Jedes Jahr verarmen 100 Millionen Menschen, weil sie für Gesundheitsfürsorge bezahlen heit.87 Solche Einschnitte treffen vor allem diejenigen, die müssen.90 bereits zu den Ärmsten der Armen gehören. • 2015 starben 303 000 Frauen während der Schwangerschaft bzw. bei der Geburt. Das sind rund 830 Frauen pro Tag. 99 Prozent Privatisierung – der falsche Weg! der Frauen lebten in Entwicklungsländern.91 Die vermeintlichen Lösungsansätze weisen Parallelen • 2017 starben 5,4 Millionen Kinder weltweit vor ihrem fünften Geburtstag. Das sind rund zum Bildungsbereich auf: Der Privatsektor soll es in vielen 15 000 Kinder jeden Tag.92 Fällen richten. Geberländer, unter anderem Deutschland, und Geberorganisationen wie die Weltbank drängen da- rauf, dass der Privatsektor eine größere Rolle im Gesund- heitssektor spielt, obwohl dadurch erwiesenermaßen die Ungleichheit oft wächst. In den allermeisten Fällen bietet Starke öffentliche Gesundheitssysteme der Privatsektor keine Versorgung für die gesamte Bevölke- schaffen! rung, sondern es entsteht ein Parallelsystem: Die Reichen können aus den staatlichen Dienstleistungen aussteigen Die dynamische Debatte zur Schaffung einer allgemeinen und haben daher kein Interesse mehr, diese durch Steuer- Gesundheitsabsicherung (Universal Health Coverage, zahlungen zu unterstützen. UHC)93 bietet neue Chancen, den Zugang zu medizinischer Versorgung weltweit zu verbessern. Weltbank-Präsident Erhebliche Summen, die in den Abbau von sozialer Un- Jim Yong Kim hat unmissverständlich festgestellt, dass gleichheit investiert werden könnten, enden durch Steuer UHC beim Abbau von Ungleichheit und der Beseitigung von vorteile und sogenannte „Public-Private-Partnerships“ Armut bis zum Jahr 2030 eine entscheidende Rolle spielt.94 (PPPs, Partnerschaften der öffentlichen Entwicklungs zusammenarbeit und der privaten Wirtschaft) in den Und es gibt vielversprechende Fortschritte: Schwellen falschen Händen. In Indien wurden beispielsweise zahl- länder wie China, Thailand, Südafrika und Mexiko erhöhen reichen privaten Krankenhäusern Steueranreize für eine die Investitionen in den öffentlichen Gesundheitsbereich kostenfreie Behandlung mittelloser Patient(inn)en gewährt, deutlich, viele Länder mit niedrigen Einkommen haben die dann aber nicht erfolgte.88 Das im Rahmen einer PPP die Ungleichheit durch Einführung einer gebührenfreien finanzierte Queen Mamohato Memorial Hospital in Lesothos und steuerfinanzierten Gesundheitsfürsorge verringert. Hauptstadt Maseru verschlingt schon jetzt die Hälfte des Thailand konnte die Gesundheitsausgaben der ärmsten gesamten Gesundheitsbudgets des Landes – und die Bevölkerungsschichten innerhalb eines Jahres halbieren; Kostenspirale dreht sich weiter. In der Folge werden die Kinder- und Müttersterblichkeit sanken.95 Sri Lanka,
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