Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten - Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beimBundesministeriumderFinanzen 02/2018

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Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten - Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beimBundesministeriumderFinanzen 02/2018
Zur Reform der Besteuerung
von Ehegatten

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
beim Bundesministerium der Finanzen        02/2018
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten - Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beimBundesministeriumderFinanzen 02/2018
Zur Reform der Besteuerung
             von Ehegatten

         Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
            beim Bundesministerium der Finanzen

                                September 2018
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 3

Inhalt

			                                                                           Seite
Kurzfassung                                                                      5
1.   Einleitung                                                                  7
2.   Bestehende Regelungen                                                       9
3.   Wandel in Ehe, Familie und Erwerbstätigkeit                                12
4.   Ökonomische Wirkungen des Ehegattensplittings                              17
4.1 Steuerbelastung und Leistungsfähigkeit                                      17
4.2 Steuerbelastung und Arbeitsangebot                                          18
4.3 Arbeitsteilung in der Ehe                                                   21
4.4 Heirat, Partnerwahl und voreheliche Entscheidungen                          22
4.5 Zusammenfassung der ökonomischen Effekte                                    23
5.   Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen                                    24
6.   Reformvorschläge                                                           31
6.1 Modell des übertragbaren Grundfreibetrags                                   32
6.2 Eherealsplitting                                                            33
6.3 Wirkung auf das Arbeitsangebot                                              34
6.4 Ein Modell des Ehezusatzfreibetrags                                         36
6.5 Sozialversicherungspflicht und Minijobs                                     41
6.6 Fiskalische Effekte und Implikationen für die Steuererhebung                42
6.7 Belastungseffekte und Vertrauensschutz für bestehende Ehen                  43
7.   Schlussfolgerungen                                                         45
8.   Literaturverzeichnis                                                       47
Anhang		                                                                        52
Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats                       54
Seite 4
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 5

      Kurzfassung

Seit 1958 steht Ehepaaren in Deutschland         ting impliziert somit gegenüber der Einzel-
der Splittingtarif zur Verfügung. Beim Split-    veranlagung eine höhere Steuerbelastung
tingtarif spielt lediglich das Gesamteinkom-     auf die Erwerbseinkünfte des Zweitver-
men des Ehepaares eine Rolle bei der Be-         dieners. Die dadurch gesetzten negativen
steuerung, unabhängig davon, wie es von          Arbeitsangebotseffekte werden in der em-
beiden Ehepartnern erwirtschaftet wird.          pirischen Literatur klar nachgewiesen. Die
Diese Regelung war eingeführt worden, um         Regelung begünstigt im Vergleich zur Ein-
die bis dahin bestehende steuerliche Diskri-     zelveranlagung die Spezialisierung in der
minierung von Eheleuten zu beseitigen.           Ehe im Sinne der Erwerbstätigkeit des einen
    Seit Einführung des Ehegattensplit-          Partners und der Bereitstellung häuslicher
tings vor 60 Jahren hat sich die gesellschaft-   Dienste durch den anderen Partner. Dies
liche Realität in Deutschland stark verän-       dürfte indes mit Effizienzkosten verbunden
dert. Drei Viertel der verheirateten Frauen      sein und steht im Widerspruch zum Ziel der
sind inzwischen erwerbstätig. Die Zunahme        Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
der Erwerbstätigkeit ging jedoch einher mit          Wenn der Gesetzgeber vor dem Hinter-
einem Rückgang der Arbeitsstunden pro            grund dieses Befundes und unter Abwä-
verheirateter erwerbstätiger Frau, die in        gung der unterschiedlichen Effekte eine Re-
Deutschland im internationalen Vergleich         form des Ehegattensplittings anstrebt, die
sehr niedrig sind.                               eine geringere Belastung der Erwerbstätig-
    Im Zuge der gesellschaftlichen Verän-        keit des Zweitverdieners zum Ziel hat, muss
derungen wird das Ehegattensplitting ver-        er berücksichtigen, dass der Ausgestaltung
mehrt kritisiert. Das Ehegattensplitting         der Besteuerung von Eheleuten durch die
bedeutet für den Erstverdiener eine Verrin-      Verfassung enge Grenzen gesetzt sind. Aller-
gerung des Grenzsteuersatzes gegenüber der       dings ist das Verfassungsrecht im Hinblick
Einzelveranlagung, für den Zweitverdiener        auf die Verfassungsmäßigkeit alternativer
jedoch eine Erhöhung des Grenzsteuersat-         Modelle weniger restriktiv, als vielfach un-
zes. Die Zusammenveranlagung mit Split-          terstellt wird.
Seite 6   Kurzfassung

                            Das Ehegattengattensplitting verursacht
                        die hohe Steuerbelastung auf die Erwerbs-
                        einkünfte des Zweitverdieners nur im Zu-
                        sammenwirken mit der Einkommensteuer-
                        progression. Eine Flat Tax würde daher die
                        unterschiedlichen Arbeitsanreize des Ehe-
                        gattensplittings für Erst- und Zweitverdie-
                        ner aufheben. Lehnt man eine solche Lö-
                        sung ab, so bleibt vor dem Hintergrund der
                        verfassungsrechtlichen Vorgaben als zweite
                        Lösung ein Ersatz des Ehegattensplittings
                        durch einen Übergang zur Einzelveranla-
                        gung mit geeigneter Berücksichtigung der
                        Unterhaltspflichten der Ehepartner. Zwei
                        bereits in der Diskussion befindliche Vor-
                        schläge sind das Modell des übertragbaren
                        Grundfreibetrags und das Eherealsplitting.
                        Diese Vorschläge bieten jedoch nur eine ver-
                        gleichsweise geringe steuerliche Entlastung
                        für den Zweitverdiener.
                            Der Wissenschaftliche Beirat weist dar-
                        auf hin, dass auch andere Modelle denkbar
                        sind, und entwickelt in seinem Gutachten
                        das Modell eines zusätzlichen übertragba-
                        ren Freibetrags für Eheleute. Bei diesem Mo-
                        dell haben die Partner die Möglichkeit, bei
                        der Besteuerung eines der beiden Partner
                        diesen Ehefreibetrag geltend zu machen.
                        Um eine hohe Grenzbelastung für den
                        Zweitverdiener bei der Arbeitsaufnahme
                        zu vermeiden, wird anders als beim Mo-
                        dell des übertragbaren Grundfreibetrags das
                        Einkommen des Partners bei der Berech-
                        nung des Ehefreibetrags maximal hälftig
                        und degressiv angerechnet. Dies ermöglicht
                        eine deutliche Senkung der Steuerlast beim
                        Zweitverdiener.
                            Der Beirat weist aber auch darauf hin,
                        dass eine umfassende Reform unter Ein-
                        beziehung der sozialen Sicherungssysteme
                        die Abgabenlast auf das Einkommen des
                        Zweitverdieners noch deutlicher verringern
                        könnte als eine isolierte Reform der Besteu-
                        erung von Ehegatten.
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 7

      1. Einleitung

Vor 60 Jahren wurde mit der Einführung               Mit Ausnahme Belgiens liegt die Belastung
des Splittingtarifs die Besteuerung von Ehe-         in allen OECD Ländern niedriger. Diesen
paaren grundlegend neu geregelt. Die Ziel-           Spitzenwert erklärt die OECD auch mit dem
setzung war, eine steuerliche Diskriminie-           Ehegattensplitting.
rung von Eheleuten zu beseitigen. Mit der                Die hohe Belastung des Einkommens
Regelung sollte aber auch erreicht werden,           des Zweitverdieners könnte die Erwerbs-
dass die hohe Abgabenbelastung auf er-               tätigkeit vor allem von Frauen erschweren
werbstätige Ehefrauen reduziert wird. Ob-            und daher im Konflikt mit dem Ziel der Ver-
schon seine Einführung daher durchaus als            einbarkeit von Familie und Beruf stehen.
ein wichtiger Schritt zur Gleichberechti-            Dieses Ziel hat politisch und gesellschaft-
gung von Mann und Frau betrachtet wer-               lich stark an Bedeutung gewonnen. Auch
den kann, wird an dieser Regelung kritisiert,        der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
dass sie zu einem niedrigen Arbeitsanreiz            und SPD vom März 2018 widmet sich die-
für verheiratete Frauen führe und damit der          ser Zielsetzung und beinhaltet Maßnah-
Erwerbstätigkeit von Frauen entgegenwirke.           men zur Verbesserung dieser Vereinbarkeit;
In der Tat nimmt die für die Erwerbstätig-           u.a. sieht er die Gründung einer Bundesstif-
keit der Frauen wichtige Abgabenbelastung            tung vor, die sich wissenschaftlich fundiert
auf das Erwerbseinkommen des Zweitver-               insbesondere Fragen der gerechten Partizi-
dieners in einer Ehe in Deutschland inter-           pation von Frauen in Gesellschaft, Politik,
national einen Spitzenplatz ein. Nach Be-            Wirtschaft und Wissenschaft widmen soll.2
rechnungen der OECD (2016) liegt die Belas-
tung mit Steuern und Sozialabgaben beim
Eintritt des Zweitverdieners in ein Beschäf-         durch die Erwerbsaufnahme des Zweitverdieners
tigungsverhältnis in Deutschland bei 55 %.1          wird durch die Bruttoeinkünfte des Zweitverdieners
                                                     (einschließlich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozial-
                                                     versicherung) geteilt. Die resultierende prozentuale
1 Hierbei wird die Veränderung der Belastung         Belastung (der ``average tax wedge‘‘ laut der OECD)
durch Steuern und Sozialabgaben (Arbeitnehmer-       liegt bei 55 % sowohl für ein Ehepaar ohne Kinder
und Arbeitgeberbeiträge) eines Ehepaares berech-     als auch für ein Ehepaar mit zwei Kindern.
net, in dem der Erstverdiener den Durchschnitts-     2 „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dy-
lohn verdient, und der Zweitverdiener die Erwerbs-   namik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt
tätigkeit aufnimmt und 67 % des Durchschnitts-       für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU,
lohns verdient. Diese Veränderung der Belastung      CSU und SPD“, Stand 7.2.2018.
Seite 8   Einleitung

                       Dass man trotz der anhaltenden Kritik am
                       Ehegattensplitting festgehalten hat, dürfte
                       auch daran liegen, dass das Grundgesetz
                       dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der
                       Ehegattenbesteuerung nicht freie Hand
                       lässt. In diesem Gutachten nimmt der Beirat
                       die Diskussion um das Ehegattensplitting
                       zum Anlass, die bestehenden Regelungen
                       zur Besteuerung von Ehegatten aus ökono-
                       mischer und juristischer Perspektive kri-
                       tisch zu bewerten und mögliche Alternati-
                       ven aufzuzeigen.
                           Im folgenden Abschnitt werden zu-
                       nächst die bestehenden Regelungen der
                       Ehegattenbesteuerung      vorgestellt. Ab-
                       schnitt 3 liefert eine deskriptive Darstel-
                       lung von bedeutsamen Veränderungen im
                       Ehebild der Gesellschaft seit der Einfüh-
                       rung des Ehegattensplittings und referiert
                       die Einschätzung der Ehegattenbesteuerung
                       aus ehe- und familienpolitischer Sicht. Ab-
                       schnitt 4 bietet einen Überblick der ökono-
                       mischen Wirkungen der Zusammenveranla-
                       gung beim Ehegattensplitting im Vergleich
                       zur Einzelveranlagung. Abschnitt 5 zeigt
                       die verfassungsmäßigen Rahmenbedingun-
                       gen für die Besteuerung von Ehegatten auf.
                       Abschnitt 6 geht auf konkrete Reformvor-
                       schläge ein. Abschnitt 7 liefert schließlich
                       Empfehlungen.
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 9

     2. Bestehende Regelungen

Eheleute können in Deutschland bei                 Die Berechnung der Steuerlast verdeut-
der Einkommensteuer zwischen getrenn-          licht, dass es bei der Zusammenveranlagung
ter oder Zusammenveranlagung wählen.           keine Rolle spielt, wem der beiden Partner
Im Falle der getrennten bzw. Einzelveran-      bestimmte Einkünfte zugeordnet sind. Die
lagung werden sie vom Grundsatz her wie        Einkunftsarten werden als Gesamtbeträge
Alleinstehende behandelt. Die getrennte        errechnet. Diese Eigenschaft der gemeinsa-
Veranlagung bedeutet, dass das zu versteu-     men Veranlagung wird gelegentlich als Glo-
ernde Einkommen jedes Ehegatten dem            baleinkommensprinzip bezeichnet.3 Auch
Grundtarif unterworfen wird. Bei der Zu-       Abzugsbeträge wirken sich in gleicher Weise
sammenveranlagung wird indes ein einheit-      steuermindernd aus, unabhängig davon,
licher Tarif auf die gemeinsamen Einkünfte     welchem Partner sie zugeordnet sind.
angewendet. Um zu vermeiden, dass Ehe-             Durch den progressiven Tarif der Ein-
leute hierbei höher belastet werden als un-    kommensteuer kommt es bei Anwendung
verheiratete Paare, hat der Gesetzgeber den    des Splittings im Vergleich zur getrenn-
Splittingtarif eingeführt. Dieser entspricht   ten Veranlagung je nach der Höhe der Ein-
der Steuerbelastung, die sich ergibt, wenn     künfte der Partner zu Änderungen in der
zweimal der Grundtarif auf die Hälfte der      Steuerbelastung.4 Im Grenzfall, wenn die
Summe der zu versteuernden Einkommen           Eheleute die gleichen Einkünfte erzielen
angewendet wird.                               und auch sonst symmetrische Bedingun-
    Zur Verdeutlichung des Verfahrens sei      gen vorliegen, entspricht die Steuerbelas-
das Einkommen der Partner mit YE und           tung der Belastung, die sich bei Einzelveran-
YZ bezeichnet, wobei das Einkommen des
Erstverdieners über dem des Zweitverdie-       3 Z. B. Scherf (1999) und Homburg (2000).
                                               4 Dies gilt zwar in allen Steuersystemen, die
ners liegt, YE>YZ. Sieht man von besonde-
                                               ein Splitting bei progressiven Tarifen vorsehen.
ren Abzugsbeträgen ab, ist die Steuerlast      In Deutschland sind diese Belastungswirkungen
bei getrennter Veranlagung T(YE)+T(YZ). Bei    aber von besonderer Bedeutung, weil der Grenz-
                                               steuersatz nicht wie in anderen Ländern innerhalb
gemeinsamer Veranlagung und der entspre-       eines Einkommensintervalls konstant ist, sondern
chenden Anwendung des Splittingtarifs ist      bis zum Spitzensteuersatz kontinuierlich mit dem
                                               Einkommen steigt. In Großbritannien zum Beispiel,
die Gesamtbelastung 2∙T(½∙(YE+YZ)). Durch
                                               dessen Grenzsteuersatz in breiten Stufen ansteigt,
Anwendung eines sogenannten Splitting-         hat der Übergang von einer gemeinsamen zur
Divisors von 2 folgt, dass der Tarif auf die   getrennten Besteuerung in den 1990er Jahren für
                                               viele Ehepaare keine Auswirkungen gehabt, weil die
Hälfte der Summe der Einkommen bezo-           Einkommen beider Ehepartner in ein Einkommens-
gen wird.                                      intervall mit gleichem Grenzsteuersatz fielen.
Seite 10   Bestehende Regelungen

                        lagung insgesamt ergeben würde. Dies gilt                Die Unterschiede in der Gesamtbelas-
                        auch, wenn die Einkommen beider Ehepart-             tung bei Einzel- und Zusammenveranla-
                        ner in den Einkommensbereich des Spit-               gung sind verbunden mit Unterschieden
                        zensteuersatzes von 42 % bzw. 45 % fallen.           in der Belastung des jeweiligen Einkom-
                        Unterscheiden sich die Einkommen, ist die            mens beider Ehepartner. Bei Einzelveran-
                        Gesamtbelastung durch die Einkommen-                 lagung richtet sich die Belastung nach der
                        steuer demgegenüber in aller Regel niedri-           Höhe der von den Ehegatten jeweils erziel-
                        ger als bei der Einzelveranlagung.5 Der mit-         ten Einkünfte. Sie unterscheidet sich daher
                        unter als „Splittingvorteil“ charakterisierte        und liegt beim Partner mit geringeren Ein-
                        Unterschied in der Belastung ist umso grö-           künften niedriger. Dies gilt auch für die so-
                        ßer, je weiter die Einkommen auseinan-               genannte Grenzsteuerbelastung, also die
                        derliegen, und erreicht bei gegebenem Ge-            zusätzliche Steuerlast, die sich bei einem Zu-
                        samteinkommen ein Maximum, wenn das                  wachs der Einkünfte ergibt. Bei Zusammen-
                        Einkommen eines der Ehepartner Null be-              veranlagung ist demgegenüber die Grenzbe-
                        trägt. Im Veranlagungszeitraum 2018 er-              lastung für beide Partner stets gleich hoch.
                        reicht der Unterschiedsbetrag im Vergleich           Damit wird der Zuverdienst des Zweitver-
                        zur getrennten Besteuerung ein Maximum               dieners steuerlich genauso belastet wie ein
                        von ca. 16.500 Euro. Dieser Betrag ergibt sich       Zuverdienst des Hauptverdieners. Zusätzlich
                        allerdings erst bei einem zu versteuernden           ist eine Folge der Zusammenveranlagung,
                        Einkommen oberhalb von 500 Tsd. Euro. Bei            dass die Veränderung der Einkünfte eines
                        einem Alleinverdienerhaushalt mit Durch-             Partners jeweils Effekte auf die Besteuerung
                        schnittseinkommen liegt der Unterschieds-            auch der Einkünfte des anderen Partners
                        betrag demgegenüber deutlich niedriger bei           hat. Steigen die Einkünfte des einen, erge-
                        knapp 3.900 Euro.6                                   ben sich auch für die Einkünfte des anderen
                            Ehegatten haben ein Wahlrecht zwi-               höhere Abzüge.7
                        schen der Einzelveranlagung und der Zu-                  Ob das Ehepaar Kinder hat, spielt bei der
                        sammenveranlagung. Bei Unterschieden in              Anwendung des Ehegattensplittings keine
                        den Einkünften der Ehepartner führt die              Rolle. Daher wird im Folgenden nicht weiter
                        Zusammenveranlagung wie dargestellt zu               untersucht, ob und wie Kinder in der Ein-
                        einer niedrigeren Gesamtbelastung. Die Op-           kommensteuer berücksichtigt werden. Hier
                        tion zur Einzelveranlagung ist daher aus             genügt es, anzumerken, dass die Minderung
                        steuerlicher Perspektive regelmäßig un-              der steuerlichen Leistungsfähigkeit auf-
                        günstig.                                             grund von Kindern durch Freibeträge be-
                                                                             rücksichtigt wird. 8
                                                                                 Vom Ehegattensplitting zu unterschei-
                        5 Von Unterschieden in den für die Einkom-
                        menserzielung aufgewendeten und abzugsfähigen        den ist das sogenannte Realsplitting, wel-
                        Aufwendungen wird der Einfachheit halber hier        ches für geschiedene Ehepaare Anwendung
                        abgesehen.
                                                                             findet. Es sieht vor, dass unter bestimmten
                        6 Bei dem auf Basis der Verdiensterhebung 2017
                        und der Gemeinschaftsdiagnose für 2018 erwar-        Voraussetzungen Unterhaltsleistungen an
                        teten Durchschnittsarbeitseinkommen eines voll-
                        zeitbeschäftigten Arbeitnehmers ist das Jahresein-
                        kommen 2018 51.286 Euro. In einem Standardfall       7 Vgl. Rees (2015).
                        ohne besondere Umstände entspricht dies einem
                        zu versteuernden Einkommen von 42.570 Euro.          8 Der Anspruch auf die Einräumung von Kinder-
                        Bezieht der Erstverdiener ein zu versteuerndes       freibeträgen ist ehestandsunabhängig. Im Wege
                        Einkommen in dieser Höhe und hat der Zweitver-       einer Günstigerprüfung wird sichergestellt, dass
                        diener keine Einkünfte, so beträgt der Unterschied   die Entlastungswirkung mindestens die Höhe des
                        in der Einkommensteuerlast zwischen Einzel- und      Kindergeldes erreicht. Bei Einzelveranlagung wird
                        Zusammenveranlagung 3.970 Euro. Die zusätzliche      den Partnern nur jeweils die Hälfte des Kinderfrei-
                        Belastung durch den Solidaritätszuschlag ist hier-   betrags zugerechnet.
                        bei nicht berücksichtigt.
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 11

den geschiedenen oder getrennt lebenden           nen der gemeinsamen Veranlagung für die
Ehepartner bis zu einer bestimmten Grenze         Steuerbelastung ihrer Einkünfte.10 Im Ver-
als Sonderausgaben steuermindernd gel-            gleich zu der ohne Antrag angewendeten
tend gemacht werden können und beim               Steuerklasse IV für beide Partner zeigt sich
Empfänger als Einkommen zu versteuern             für den Erstverdiener eine Verringerung
sind.9                                            der Abzüge, für den Zweitverdiener aber ein
    In der Bundesrepublik wurde der Split-        deutlicher Anstieg.
tingtarif 1957 als Folge einer Entscheidung       Mit dem Lohnsteuerabzug 2010 wurde als
des Bundesverfassungsgerichts eingeführt.         zusätzliche Option das sogenannte Faktor-
Zwar erfolgte bereits davor eine Zusam-           verfahren eingeführt. Darin werden beide
menveranlagung von Ehegatten. Allerdings          Ehepartner der Lohnsteuerklasse IV zuge-
richtete sich die Besteuerung der Gesamt-         rechnet, aber durch einen vom Finanzamt
einkünfte der Ehepartner nach dem Indi-           ermittelten individuellen Faktor wird die
vidualtarif und führte aufgrund der Pro-          steuermindernde Wirkung des Splitting-
gression zu einer Schlechterstellung von          verfahrens bereits beim Lohnsteuerabzug
verheirateten im Vergleich zu nichtverhei-        berücksichtigt. In der Praxis wird dieses Ver-
rateten Paaren.                                   fahren bislang aber kaum genutzt.11
    Aufgrund des Ehegattensplitting bei der
Einkommensteuer sah sich der Gesetzgeber
veranlasst, auch die Regelungen zum Lohn-
steuerabzug anzupassen. Eheleute kön-
nen daher auf Antrag anstelle der symme-
trischen Behandlung der Lohneinkünfte
im Rahmen der Lohnsteuerklasse IV Ein-
künften aus abhängiger Arbeit eines Part-
ners im Rahmen der Lohnsteuerklasse III
begünstigt besteuern lassen. Der andere
Partner wird dann im Rahmen der Lohn-
steuerklasse V stärker besteuert. Durch die
Wahl der Lohnsteuerklassen kann ein Ehe-
paar mit unterschiedlichen Arbeitseinkünf-
ten die Höhe der Vorauszahlungen im Rah-
men der Lohnsteuer reduzieren und so an
die Belastung durch die Einkommensteuer
heranführen. Eine materielle Bedeutung der
Wahl der Lohnsteuerklassen ergibt sich da-
her in erster Linie durch einen Liquiditätsef-    10 Bei der Berechnung der Steuer bei Lohnsteuer-
fekt, da nur der Lohnsteuerabzug, nicht aber      klasse III wird unterstellt, dass der jeweilige Steu-
                                                  erzahler Alleinverdiener ist. Bei der Berechnung der
die endgültige Einkommensteuer betrof-            Steuer in Lohnsteuerklasse V wird unterstellt, dass
fen ist. Allerdings nimmt der Lohnsteuerab-       das gemeinsame zu versteuernde Einkommen der
zug bei Wahl der Steuerklassen III und V die      Ehegatten sich auf das 2,5-fache des zu versteuern-
                                                  den Einkommens beläuft. Vgl. §39b EStG.
Wirkung des Splittingtarifs vorweg und gibt
                                                  11 Nach der Auskunft der Bundesregierung
so den Partnern schon bei der Lohnabrech-         wurde das Verfahren 2015 von 75.577 Personen
nung einen Eindruck von den Implikatio-           genutzt. Vgl. Bundestagsdrucksache 18/7170 18.
                                                  Wahlperiode 28.12.2015 Antwort der Bundesre-
                                                  gierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten
                                                  Lisa Paus, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer
9 Dieses Verfahren ist im Prinzip zustimmungs-    Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
pflichtig, wird aber oft vom Gericht auferlegt.   GRÜNEN.
Seite 12   Wandel in Ehe, Familie und Erwerbstätigkeit

                              3. Wandel in Ehe, Familie und Erwerbstätigkeit

                         Seit der Einführung des Ehegattensplittings    60.12 Gleichzeitig stieg die Zahl der Schei-
                         vor 60 Jahren haben sich Stellenwert und       dungen: Für 1965 geschlossene Ehen lag die
                         Funktion der Ehe und die Arbeitsteilung        Scheidungswahrscheinlichkeit nach 25 Jah-
                         zwischen den Geschlechtern erheblich ver-      ren z. B. bei 20,8 %, für 1985 geschlossene
                         ändert. Für die Diskussion um die Besteu-      Ehen schon bei 30 %. In der European Va-
                         erung von Eheleuten spielen insbesondere       lues Study (EVS), einer repräsentativen Um-
                         die geänderte Bedeutung der Ehe als Form       frage, die 1981 zum ersten Mal durchge-
                         der Partnerschaft und als Form der Eltern-     führt wurde, stimmten 1981 nur 15 % der
                         schaft und die stark gestiegene Erwerbstä-     Deutschen der Aussage zu, dass die Ehe
                         tigkeit der Frauen eine Rolle.                 eine veraltete Institution sei, 2008 jedoch
                             Stellten in den 50er Jahren die Partner-   bereits 27 %. Trotz dieses Anstiegs unter-
                         schaft in Form der Ehe und die Elternschaft    stützt immer noch die große Mehrheit der
                         von Eheleuten noch die vorherrschende Fa-      Deutschen die Ehe als wichtige Institution.
                         milienkonstellation dar, so sind die Fami-     Gleichzeitig wird aber auch das außerehe-
                         lienkonstellationen heutzutage wesentlich      liche Zusammenleben als gesellschaftli-
                         heterogener. Nicht alle Paare entscheiden
                         sich für die Ehe, die Zahl der Scheidungen
                                                                        12 Die zusammengefasste Erstheiratsziffer ist
                         ist heute erheblich höher, und Kinder fin-     eine komplexe Maßzahl der Heiratshäufigkeit.
                         den sich vermehrt auch in nichtehelichen       Analog zur zusammengefassten Geburtenziffer
                         Partnerschaften, bei alleinerziehenden El-     werden für jedes Altersjahr zwischen 15 und 50
                                                                        Jahren altersspezifische Eheschließungsziffern für
                         tern oder in sogenannten Patchwork-Fami-       ein Kalenderjahr errechnet, wobei die ledigen ehe-
                         lien wieder.                                   schließenden Frauen und Männer im jeweiligen
                                                                        Alter auf die gesamte Personenzahl (unabhängig
                             Im Zeitverlauf wurden immer weniger        vom Familienstand) in der entsprechenden Alters-
                         Ehen geschlossen, und die Zahl der Schei-      gruppe bezogen werden. Diese altersspezifischen
                         dungen nahm erheblich zu. Die zusammen-        Eheschließungsziffern werden zur zusammenge-
                                                                        fassten Erstheiratsziffer addiert. Durch Vorziehen
                         gesetzte Erstheiratsziffer pro 100 Frauen      bzw. Nachholen von Eheschließungen ist es in
                         lag 1970 bei 98, 2015 jedoch nur noch bei      Zeiten mit hoher Heiratsneigung möglich, dass die
                                                                        Werte über 100 liegen (Quelle: Bundesinstitut für
                                                                        Bevölkerungsforschung).
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 13

che Realität anerkannt. 2008 lag die durch-          in den 1970er Jahren der Anteil der Frauen
schnittliche Zustimmung zu der Aussage,              bei den Hochschulabsolventen noch bei ei-
dass es in Ordnung sei, wenn ein Paar zu-            nem Drittel, so stieg er bereits Ende der
sammenlebe, ohne zu heiraten, bei 1,8 auf            2000er Jahre auf über 50 % an. Abbildung 1
einer Skala von 1 „starke Zustimmung“ bis 5          zeigt anhand der Zahlen des deutschen Mi-
„starke Ablehnung“. Hier wird deutlich, dass         krozensus, dass diese Entwicklung mit ei-
sich die Bindungswirkung der Ehe als dau-            ner deutlich erhöhten Erwerbstätigenquote
erhafte und zumindest vom Ansatz her auf             einherging.14 In der Altersgruppe der 25-
Lebenszeit geschlossene Einrichtung verrin-          bis 55-jährigen Frauen lag die Erwerbstäti-
gert hat. Die Hürden für eine Scheidung ha-          genquote von ledigen Frauen bereits 1983
ben abgenommen. Demzufolge hat die Be-               bei 78 %, und stieg über die folgenden drei
deutung der wirtschaftlichen Absicherung             Jahrzehnte um weitere 4 Prozentpunkte
unabhängig vom Ehepartner zugenommen.                an. Die Erwerbstätigenquote verheirate-
    Die veränderte Bedeutung der Ehe als             ter Frauen verzeichnete im gleichen Zeit-
typische Familienkonstellation der Eltern-           raum einen ungleich deutlicheren Anstieg.
schaft geht einher mit einem starken Rück-           Sie lag 1983 bei unter 50 %, das heißt die
gang in der Zahl der Geburten. 1930 gebo-            Hälfte der verheirateten Frauen war nicht
rene Frauen bekamen im Durchschnitt 2,12             erwerbstätig. 2013 lag die Erwerbstätigen-
Kinder, 1971 geborene Frauen nur noch                quote von verheirateten Frauen dagegen
1,51. Dieser Rückgang ist verbunden mit ei-          bei über 75 %. Einen sprunghaften Anstieg
ner gleichzeitigen Abnahme des Anteils der           zeigt die Abbildung um 1990 herum: Dies
Geburten, bei denen die Eltern verheira-             liegt an der deutschen Wiedervereinigung,
tet sind. Wurden 1950 noch 90 % der Kinder           da es für ostdeutsche Ehefrauen der Nor-
in Ehen geboren, so sank dieser Anteil bis           malfall war und blieb, am Erwerbsleben teil-
2015 auf 65 %. Ein Drittel der Kinder wird           zunehmen. Dennoch lag Anfang der 1990er
heutzutage also in Familien geboren, in de-          Jahre die Erwerbstätigenquote von verhei-
nen die Eltern nicht verheiratet sind.13 Auch        rateten Frauen für Deutschland insgesamt
hier zeigt sich eine höhere Wahrscheinlich-          nur bei etwas über 60 %, stieg also auch seit-
keit für nicht eheliche Familienkonstellati-         dem noch um knapp 14 Prozentpunkte an.15
onen. Während 1981 im EVS noch 57 % der              Die Erwerbstätigenquote von verheirateten
befragten Deutschen angaben, dass sie es             Müttern mit Kindern zwischen 0 und 4 Jah-
nicht gutheißen, wenn eine alleinstehende            ren lag im Zeitraum zwischen der Wieder-
Frau ihren Kinderwunsch umsetzt und be-              vereinigung und dem Jahre 2005 unter 45 %,
wusst Mutter wird, so antworteten dies 2008          stieg aber seitdem auf fast 60 % an. Auch für
nur noch 47 % der Befragten. Als Folge die-          die verheirateten Mütter älterer Kinder stieg
ses Wandels sind andere Formen der Eltern-           die Erwerbstätigenquote seit 2005 stärker als
schaft neben die eheliche getreten, und die          für Frauen ohne Kinder unter 14 Jahren.
traditionelle Verbindung zwischen der Ehe
und Elternschaft ist deutlich gelockert.
    Der Wandel in Ehe und Familie ging ein-
her mit einem starken Anstieg sowohl des
durchschnittlichen Bildungsgrades als auch           14 Der Mikrozensus ist eine repräsentative ein-
der Erwerbstätigenquote von Frauen. Lag              prozentige Stichprobe der deutschen Bevölkerung.
                                                     Die Daten umfassen daher nicht nur sozialversiche-
                                                     rungspflichtig Beschäftigte, sondern auch Beamte
13 Es ist dabei natürlich durchaus möglich, dass     und Selbständige.
die Eltern in einer festen Partnerschaft leben und   15 Bis 2005 erfolgte dieser Anstieg nur in den
möglicherweise nach der Geburt des Kindes heira-     westlichen, danach auch in den östlichen Bundes-
ten.                                                 ländern.
Seite 14   Wandel in Ehe, Familie und Erwerbstätigkeit

Abbildung 1:          Erwerbsverhalten von 25- bis 55-jährigen Frauen nach Familienstand

             Erwerbstätigenquote (in %)                                                  Stunden pro Woche
100                                                                50

  80                                                               40

  60                                                               30

  40                                                               20

  20                                                               10

   0                                                                0
    1980     1985   1990    1995   2000     2005   2010   2015          1980     1985   1990    1995     2000    2005    2010    2015

          Gesamt (25-55 Jahre)         Ledig         Verheiratet               Gesamt (25-55 Jahre)         Ledig         Verheiratet

Quelle: Mikrozensus, eigene Berechnungen.

                                      Die Zunahme der Erwerbsbeteiligung                nahezu konstant bei ca. 18 Stunden pro Wo-
                                   von Frauen ging einher mit einer Zunahme             che.17
                                   der Teilzeitarbeit. Dies drückt sich in einer           Umfrageergebnisse spiegeln wider, dass
                                   Abnahme der durchschnittlichen Arbeits-              die Erwerbstätigkeit von verheirateten
                                   stundenzahl pro erwerbstätiger Frau aus.             Frauen und Müttern zunehmend gesell-
                                   Für ledige Frauen lag diese durchschnittli-          schaftlich akzeptiert wird. 1990 gaben noch
                                   che Arbeitsstundenzahl 1983 bei 38 Stun-             36 % der Deutschen an, dass bei Arbeits-
                                   den, 2013 jedoch nur noch bei 32 Stunden.            platzknappheit Männer eher ein Recht auf
                                   Noch etwas stärker fiel der Rückgang bei             einen Arbeitsplatz haben sollten als Frauen,
                                   den verheirateten Frauen aus: 1983 lag ihre          bereits 18 Jahre später nur noch 23 %.
                                   durchschnittliche Stundenzahl bei 32 Stun-           Gleichzeitig drückt inzwischen die Mehr-
                                   den, 30 Jahre später bei 24 Stunden.16 Als           heit der Befragten ihre Zustimmung dazu
                                   Resultat der unterschiedlichen Entwick-              aus, dass beide Ehepartner zum Haushalts-
                                   lung der Erwerbsbeteiligung und der durch-           einkommen beitragen sollen und dass die
                                   schnittlichen Arbeitsstunden pro arbei-              Berufstätigkeit der beste Garant für die Un-
                                   tender Frau lagen die Arbeitsstunden pro             abhängigkeit für eine Frau sei; 1990 war das
                                   verheirateter Frau zwischen 1990 und 2013            noch eine Minderheit.

                                   16 Für verheiratete Männer der Altersgruppe          17 Auch vor der Wiedervereinigung waren die
                                   25-54 lag die durchschnittliche Stundenzahl je       durchschnittlichen Arbeitsstunden pro verheira-
                                   Erwerbstätigen bis zum Jahre 2000 konstant bei 42    teter Frau im betrachteten Zeitraum konstant und
                                   Stunden, und ist seitdem auf 38 Stunden gesunken.    stiegen lediglich durch die Wiedervereinigung an.
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 15

    Doch obwohl die große Mehrheit der               Teilzeitbeschäftigung.20 Durch den „Gender
verheirateten Frauen in Deutschland heute            Pay Gap“ erhöht sich die Wahrscheinlich-
am Erwerbsleben teilnimmt, liegen die                keit, dass die Ehefrau die Rolle des Zweitver-
durchschnittlichen jährlichen Arbeitsstun-           dieners in einer Ehe einnimmt. Gleichzeitig
den pro verheirateter Frau im internationa-          ist es aber auch möglich, dass die Zweitver-
len Vergleich immer noch weit unter dem              dienerrolle der Ehefrauen den „Gender Pay
EU-Durchschnitt.18 Das dominante Beschäf-            Gap“ verstärkt, wenn Zweitverdiener weni-
tigungsverhältnis eines verheirateten Paa-           ger flexibel sind als Erstverdiener, was die
res zeichnet sich in Deutschland durch die           Verdienstmöglichkeiten beschränkt.
Vollzeitbeschäftigung des Mannes und die                  Die Familienpolitik in Deutschland hat
Teilzeitbeschäftigung der Frau aus. Inner-           auf den Wandel in Ehe und Familie und in
halb der EU gehört Deutschland zu den Län-           der Frauenerwerbstätigkeit mittlerweile mit
dern mit dem geringsten Anteil an Ehen, in           einer Vielzahl von Maßnahmen reagiert. So
denen beide Partner einer Vollzeitbeschäfti-         ist die Vereinbarkeit von Familie und Be-
gung nachgehen.19                                    ruf heute familienpolitisches Ziel aller po-
    Unterschiede zwischen den Geschlech-             litischen Parteien. In der Folge der verän-
tern zeigen sich nicht nur beim Arbeitsvo-           derten Arbeitsteilung in der Ehe und der
lumen, sondern auch bei den Stundenlöh-              höheren Frauenerwerbstätigkeit wurde vor
nen. Die Lücke zwischen den Verdiensten              allem die Kinderbetreuung in den letzten
von Männern und Frauen, der sogenann-                zwei Jahrzehnten erheblich ausgebaut. 1996
ten „Gender Pay Gap“, betrug im Jahr 2016            wurde der Rechtsanspruch auf einen Kin-
21 % gemessen am durchschnittlichen Brut-            dergartenplatz für Kinder ab dem Alter von
tostundenverdienst. Diese Zahl von 21 % ist          3 Jahren eingeführt, und 2013 um einen
das Resultat von vielen verschiedenen Effek-         Rechtsanspruch für Kinder ab 12 Monaten
ten. Dabei werden zwei Drittel der Lohnun-           erweitert. Letzterer wurde vorbereitet durch
terschiede in Deutschland vom Statistischen          einen starken Ausbau der Kinderbetreu-
Bundesamt auf beobachtbare Unterschiede              ung durch das Tagesbetreuungsausbauge-
in für die Entlohnung relevanten Merk-               setz (2005) und das Kinderförderungsgesetz
malen von Männern und Frauen zurück-                 (2008). Der fünfte Bericht zur Evaluation des
geführt, darunter unterschiedliche Leis-             Kinderförderungsgesetzes aus dem Jahre
tungsgruppen, Berufs- beziehungsweise                2015 weist eine Betreuungsquote von 27 %
Branchenwahl, aber auch Ausbildung und               bzw. 53 % für Kinder zwischen 1 und 2 Jah-
                                                     ren in West- bzw. Ostdeutschland aus, und
                                                     eine Betreuungsquote von 65 % bzw. 87 %
18 Im Jahr 2016 liegen die durchschnittlichen        für Kinder zwischen 2 und 3 Jahren. Es wird
Arbeitsstunden pro verheirateter Frau 248 Stunden    aber auch klar, dass die Betreuungsquote für
unter dem Durchschnitt aus 17 EU-Ländern und
den USA, die durchschnittlichen Arbeitsstunden
                                                     unter dreijährige Kinder noch immer unter
pro verheiratetem Mann aber nur 42 Stunden (ei-      dem erwünschten Betreuungsbedarf liegt:
gene Berechnungen basierend auf Daten des Cur-       In Westdeutschland steht zum Beispiel der
rent Population Surveys und des EU Labor Force
Surveys).                                            Betreuungsquote von 27 % bei Kindern zwi-
19 Im internationalen Vergleich fallen vor allem     schen 1 und 2 Jahren ein Betreuungsbedarf
die Arbeitsstunden pro verheirateter Frau mit Kin-
dern im Schul- oder Vorschulalter ab, mit 310 bzw.
300 niedrigeren Stunden als der Durchschnitt aus
17 EU-Ländern bzw. den USA, aber auch die Ar-        20 Eine Teilzeitbeschäftigung führt nicht nur zu
beitsstunden pro verheirateter Frau ohne Kinder im   geringeren Einkommen aufgrund der niedrigeren
Schul- oder Vorschulalter liegen 136 Stunden unter   Stundenzahl, sondern in der Regel auch zu einem
dem internationalen Durchschnitt (eigene Berech-     niedrigeren Stundenlohn (vgl. Finke, Dumpert,
nungen für das Jahr 2016).                           Beck, 2017).
Seite 16   Wandel in Ehe, Familie und Erwerbstätigkeit

                         von 45 % gegenüber.21 Der Ausbau der Kin-
                         derbetreuung ist jedoch nur die bekannteste
                         Politikmaßnahme der jüngeren Zeit: Das
                         Bundesministerium für Familie, Senioren,
                         Frauen und Jugend zählt für das Jahr 2012
                         insgesamt über 150 ehe- und familienbezo-
                         gene Leistungen auf.
                              In dieser großen Zahl von Maßnahmen
                         kommt der hohe Stellenwert zum Ausdruck,
                         den die Politik Zielen wie der Vereinbarkeit
                         von Familie und Beruf und der wirtschaft-
                         lichen Stabilität von Familien einräumt.
                         Mit der Vereinbarkeit von Familie und Be-
                         ruf ist das Ziel angesprochen, dass beide El-
                         tern die Möglichkeit haben sollen, sowohl
                         am Erwerbs- als auch am Familienleben teil-
                         zunehmen. Unter wirtschaftlicher Stabilität
                         wird der Schutz der Familien vor monetä-
                         rer Armut verstanden.22 In der familienpo-
                         litischen Diskussion wird immer wieder auf
                         die Bedeutung der steuerlichen Rahmen-
                         bedingungen verwiesen und insbesondere
                         das Ehegattensplitting als nicht zielkon-
                         form herausgestellt. Gemessen an dem po-
                         litisch vorgegebenen Zielkatalog kommt
                         die Gesamtevaluation der ehe- und famili-
                         enpolitischen Maßnahmen im Jahre 2014
                         unter Beteiligung von DIW, ifo und ZEW
                         zu einer kritischen Bewertung des Ehegat-
                         tensplitting.23 Das Ehegattensplitting wirke
                         insbesondere den Zielen der Vereinbarkeit
                         von Familie und Beruf und der wirtschaft-
                         lichen Stabilität der Familien entgegen.24
                         Zentraler Kritikpunkt ist dabei die Wirkung
                         auf das Arbeitsangebot.

                         21 Bundesministerium für Familie, Senioren,
                         Frauen und Jugend (2015): Fünfter Bericht zur Eva-
                         luation des Kinderförderungsgesetzes.
                         22 Zu den Definitionen der familienpolitischen
                         Ziele siehe Prognos (2014): Endbericht Gesamteva-
                         luation der ehe- und familienbezogenen Maßnah-
                         men und Leistungen in Deutschland.
                         23 Vgl. Prognos (2014), ibid.
                         24 Im Hinblick auf andere Ziele der Familien-
                         politik wie die Förderung und das Wohlergehen
                         von Kindern oder die Geburtenwahrscheinlichkeit
                         findet die Gesamtevaluation demgegenüber un-
                         eindeutige oder keine statistisch nachweisbaren
                         Effekte des Ehegattensplittings.
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 17

      4. Ökonomische Wirkungen des Ehegatten-
         splittings

4.1 Steuerbelastung und 		                       ner separat ermittelt werden. Es ergibt sich
                                                 dann eine verringerte Leistungsfähigkeit des
    Leistungsfähigkeit                           Erstverdieners, da die Hälfte des Einkom-
                                                 mensunterschieds dem Zweitverdiener zu-
Sind die Einkommen der Eheleute unter-           fällt. Da der Zweitverdiener an den Einkünf-
schiedlich, ergibt sich in den meisten Fällen    ten des Partners partizipiert, reflektiert die
durch das Splitting bei gemeinsamer Veran-       gegenüber der Einzelveranlagung höhere
lagung im Vergleich zur Einzelveranlagung        Belastung des Zweitverdieners auch eine
eine geringere Gesamtbelastung.25 Bezogen        höhere Leistungsfähigkeit. Bei der Zusam-
auf die Einkünfte der Partner ist die Än-        menveranlagung stellt das Splitting dann si-
derung der Steuerbelastung im Vergleich          cher, dass die Steuerzahlung des Ehepaars
zur Einzelveranlagung unterschiedlich. Be-       genau der zweifachen Anwendung des In-
zeichnet man den Partner mit dem höhe-           dividualtarifs auf die Hälfte der Einkünfte
ren Einkommen als Erstverdiener und den          entspricht. Auch dass die Entlastungswir-
anderen Partner als Zweitverdiener, kommt        kung beim Einkommen des Erstverdie-
es, wie oben ausgeführt, insbesondere zu ei-     ners mit der Höhe des Gesamteinkom-
ner geringeren Belastung der Einkünfte des       mens steigt, erscheint in dieser Sichtweise
Erstverdieners und zu einer höheren Belas-       als sachgerecht, weil dem Zweitverdiener
tung der Einkünfte des Zweitverdieners.          ein größerer Einkommensbetrag zufällt. Bei
    Die Verteilungswirkung im Vergleich zur      näherer Betrachtung bestehen indes Zwei-
Einzelveranlagung muss jedoch im Zusam-          fel an der Charakterisierung des Ehegatten-
menhang mit einer etwaigen durch die Ehe         splittings als Instrument zur Sicherung der
bedingten Veränderung der steuerlichen           Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
Leistungsfähigkeit bewertet werden. Wird             Ob eine Übertragung der Hälfte des Un-
die Ehe als reine Erwerbsgemeinschaft gese-      terschieds der Einkünfte den tatsächlichen
hen26, kann die Leistungsfähigkeit der Part-     Familienverhältnissen entspricht, sei dahin-
                                                 gestellt. Tatsächlich haben Eheleute aber ei-
25 Ausnahme ist wiederum der Fall, in dem die    nen Unterhaltsanspruch gegeneinander.
Einkommen beider Ehepartner in den Bereich des
Grenzsteuersatzes von 42 % oder 45 % fallen.     Söhn (2000) verweist auf die zivilrechtliche
26 Z. B. Kirchhof (2003).                        Praxis beim Unterhaltsstreit und führt aus,
Seite 18   Ökonomische Wirkungen des Ehegattensplittings

                         dass dem erwerbstätigen Ehegatten regel-            ersten Paar im Regelfall größer sein, was
                         mäßig eine Übertragung von 3/7 des Ein-             eine höhere gemeinsame Leistungsfähigkeit
                         kommens auferlegt wird. Von dieser Regel            nahelegt.
                         werde allerdings bei hohen Einkommen ab-
                         gewichen. Dies wirft Zweifel an der Anwen-
                                                                             4.2 Steuerbelastung und
                         dung des Splittings bei hohen Einkommen                 Arbeitsangebot
                         auf.
                             Sieht man vom Unterhaltsstreit ab, ist          Die Besteuerung der Einkünfte der Ehe-
                         die Ehe aber nicht nur eine Erwerbs-, son-          gatten bei gemeinsamer Veranlagung hat
                         dern auch eine Verbrauchsgemeinschaft. Bei          im Vergleich zur Einzelveranlagung nicht
                         der gemeinsamen Nutzung von Konsumgü-               nur Implikationen für die Gesamtbelas-
                         tern ergeben sich daher Kostenersparnisse,          tung mit Steuern, sondern auch für die
                         die sich positiv auf die gemeinsame Leis-           Grenzsteuerlast auf die von den Ehegatten
                         tungsfähigkeit der Partner auswirken (z. B.         jeweils erzielten Einkünfte. Während die
                         Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 1967).          Grenzsteuerlast für den Partner mit dem
                         Dies legt nahe, dass ein Splitting-Divisor          geringeren Einkommen (Zweitverdiener)
                         von 2 die gemeinsame Leistungsfähigkeit             bei Einzelveranlagung in aller Regel gerin-
                         von Eheleuten bei der Zusammenveranla-              ger ist als diejenige des Partners mit dem
                         gung systematisch unterschätzt.27                   höheren Einkommen, ist die Grenzbelas-
                             Eine weitere Problematik in der Recht-          tung der Einkommen der Ehegatten bei ge-
                         fertigung der Belastungsunterschiede durch          meinsamer Veranlagung gleich hoch. Damit
                         das Prinzip der Leistungsfähigkeit ergibt           wird der Zuverdienst des Zweitverdieners
                         sich auch durch die Produktion im Haus-             steuerlich genauso belastet wie ein Zuver-
                         halt, also m.a.W. durch die selbst erbrach-         dienst des Hauptverdieners. Die Wirkung
                         ten häuslichen Dienste. Zwar werden diese           auf die Grenzbelastung hat Implikationen
                         bei der Berechnung der Einkommensteuer              für das Arbeitsangebot der Ehegatten. Da
                         grundsätzlich nicht erfasst. Gleichwohl gibt        die Grenzbelastung auf das Einkommen des
                         es hier je nach Arbeitsteilung zwischen den         Erstverdieners durch das Ehegattensplit-
                         Eheleuten erhebliche Unterschiede. Durch            ting niedriger ist, und auf das Einkommen
                         das Splitting ist die Steuerlast bei gemein-        des Zweitverdieners durch das Ehegatten-
                         sam veranlagten Eheleuten davon unabhän-            splitting höher, kommt es bei gemeinsamer
                         gig, wie sich die Einkünfte auf die Eheleute        Veranlagung im Vergleich zur Einzelveran-
                         verteilen. Vergleicht man aber eine traditi-        lagung zu einem positiven Effekt auf das
                         onelle Ehe mit einem Alleinverdiener und            Arbeitsangebot des Erstverdieners und zu
                         der Ehefrau als Hausfrau mit einer Ehe, in          einem negativen Effekt auf das Arbeitsange-
                         denen beide Partner einer Erwerbstätig-             bot des Zweitverdieners.
                         keit nachgehen und die gleichen Gesamt-                 Dabei trennt die mikroökonomische
                         einkünfte aufweisen, dürfte der Umfang der          Analyse der Steuerwirkungen zwei Effekte.
                         selbst erstellten häuslichen Dienste bei dem        Die Grenzbelastung ist entscheidungsrele-
                                                                             vant für die Frage einer Ausweitung des Ar-
                                                                             beitsangebotes. Demnach führt eine höhere
                         27 Wird für Einkommensvergleiche zwischen
                         Haushalten die OECD Äquivalenzskala ange-           Grenzbelastung dazu, dass die Arbeitszeit
                         wendet, entspricht das Einkommensniveau der         bei sonst gleichen Bedingungen verringert
                         Ehepartner der Summe der Einkommen dividiert
                                                                             wird.28
                         durch einen Divisor von 1,5. Die Vorteile einer
                         Verbrauchsgemeinschaft fallen allerdings auch bei
                         nicht verheirateten Paaren oder Lebensgemein-       28 Die mikroökonomische Analyse unterschei-
                         schaften an und werden bei der Besteuerung außer    det hier zwei gegensätzliche Wirkungskanäle, den
                         Acht gelassen.                                      Einkommens- und den Substitutionseffekt. Die
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 19

Für die Frage ob überhaupt eine Erwerbstä-               gumentationslinie, könnte eine Reform der
tigkeit aufgenommen wird, ist demgegen-                  Besteuerung der Ehe nicht nur die wirt-
über die gesamte zusätzliche Steuerbelas-                schaftliche Leistungsfähigkeit, sondern auch
tung im Verhältnis zum zusätzlichen Ein-                 das Wachstum erhöhen.32
kommen relevant. Entsprechend ermittelt                      Die im Vergleich zur Individualbesteu-
die OECD (2016) die Steuer- und Abgaben-                 erung hohe Belastung des stärker auf die
last auf das Einkommen des Zweitverdie-                  Steuer reagierenden Arbeitsangebotes der
ners als Verhältnis der Zunahme der Ge-                  Ehefrau als Zweitverdiener legt nahe, dass
samtbelastung durch Steuern und Abgaben                  die im Splitting angelegte Gleichheit der
zur Zunahme des Bruttoeinkommens der                     Grenzsteuersätze im Vergleich zur Einzel-
Familie bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit.               veranlagung mit höheren Effizienzkosten
Eine höhere Belastung führt unter sonst                  der Besteuerung verbunden ist. Um die Effi-
gleichen Umständen dazu, dass keine Er-                  zienzkosten zu verringern, müsste die Belas-
werbstätigkeit aufgenommen wird. Da zu-                  tung dort verringert werden, wo die Zusatz-
meist die Ehefrau der Zweitverdiener mit                 last der Besteuerung vergleichsweise hoch
dem geringeren Einkommen ist, wird bei                   ist. Im Hinblick auf die hohe Arbeitsange-
gemeinsamer Veranlagung de facto gerade                  botselastizität von Frauen und insbesondere
das Arbeitsangebot der verheirateten Frauen              von verheirateten Frauen wird deshalb in
steuerlich stärker belastet als bei Einzelver-           der ökonomischen Literatur mitunter eine
anlagung.29                                              generell niedrigere Belastung auf die Ar-
    Eine umfangreiche empirische Litera-                 beitseinkünfte von Frauen gefordert.33 Al-
tur bestätigt die Effekte der steuerlichen
Belastung auf das Arbeitsangebot.30 Dabei                nomics, 106(4), 745-763; Bick, A., Fuchs-Schündeln,
zeigt die empirische Literatur für Deutsch-              N. (2017b). Taxation and Labor Supply of Married
land und andere Länder in großer Über-                   Couples across Countries: A Macroeconomic Ana-
                                                         lysis. Review of Economic Studies (im Erscheinen).
einstimmung, dass das Arbeitsangebot von                 Dass die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen
Frauen wesentlich stärker auf den Verdienst              trotz der hohen tariflichen Belastung angestiegen
                                                         ist kann teilweise durch spezifische Regelungen bei
(nach Steuern) reagiert als das Arbeitsange-             geringfügiger Beschäftigung erklärt werden. Die
bot von Männern. In der ökonomischen Li-                 sogenannten Mini-Jobs in Deutschland führen zu
teratur wird das international bemerkens-                einer geringen Belastung durch Steuern und Sozi-
                                                         alabgaben bei Arbeitsaufnahme, solange das mo-
wert geringe Arbeitsangebot von Frauen in                natliche Einkommen 450 Euro nicht übersteigt. Die
Deutschland daher auch mit dem Ehegat-                   Belastung steigt dann aber oberhalb dieser Grenze
                                                         stark an.
tensplitting erklärt.31 Folgt man dieser Ar-
                                                         32 Geht man von einer Gleichverteilung der Ta-
                                                         lente im Markt zwischen den Geschlechtern aus,
empirische Forschung belegt allerdings, dass der         so geht der Wirtschaft erhebliches Talent verloren,
Substitutionseffekt überwiegt. Demnach führt eine        indem Frauen deutlich weniger als Männer in den
Verringerung des Nettolohns zu einem Rückgang            Arbeitsmarkt integriert werden. So kommen Hsieh,
des Arbeitsangebots. Siehe z. B. Michael P. Keane,       Hurst, Jones und Klenow (2013) zu dem Ergebnis,
Labor Supply and Taxes: a Survey, Journal of Eco-        dass rund ein Viertel des amerikanischen Wirt-
nomic Literature 49, no. 4, December 2011, S. 961-       schaftswachstums pro Person von 1960 bis 2010
1075.                                                    auf die erhöhte Erwerbsbeteiligung von Frauen und
                                                         das bessere Matching von spezifischen Talenten
29 Dass die Ehefrau in der vorherrschenden Rol-          und Berufen durch einen Rückgang der Diskrimi-
lenverteilung nach wie vor der Zweitverdiener ist,       nierung und eine gleichmäßigere Beteiligung von
wird auch daran deutlich, dass Frauen den weitaus        Frauen in allen Berufen zurückzuführen ist.
überwiegenden Anteil der Arbeitnehmer mit Lohn-
steuerklasse V stellen. Im Jahr 2016 waren 90 % der      33 Ist die höhere Arbeitsangebotselastizität
Steuerzahler mit Lohnsteuerklasse V Frauen (vgl.         durch die Präferenzen bestimmt (z. B. Boskin und
BMF, 2017, S.43).                                        Sheshinski, 1983), sind lediglich Annahmen zur Ver-
                                                         teilungswirkung der Besteuerung erforderlich, um
30 Siehe Michael P. Keane (2011) ibid.                   diese Effizienzaussage zu treffen (siehe hierzu Apps
31 Vgl. Apps, P., Rees, R. (2004). Fertility, taxation   und Rees, 2009, S.208). Wie Alesina, Ichino, Kara-
and family policy. The Scandinavian Journal of Eco-      barbournis (2011) zeigen, ergibt sich die Forderung
Seite 20   Ökonomische Wirkungen des Ehegattensplittings

                        lerdings betont die theoretische Forschung         Besteuerung übergehen würden. Ähnliche
                        zur Besteuerung, dass ein optimales Steu-          Effekte dieser hypothetischen Steuerreform
                        ersystem einen Ausgleich zwischen Effizi-          für die USA finden Bick und Fuchs-Schün-
                        enz- und Verteilungszielen beinhaltet. Je          deln (2017a), die noch größere Effekte einer
                        nach den Konstellationen der Verdienst-            solchen Reform für Deutschland vorhersa-
                        möglichkeiten der Ehegatten und der Ein-           gen.
                        kommensverteilung spricht sich die theore-             Die Wirkung der gemeinsamen Veran-
                        tische Literatur daher mitunter auch für die       lagung auf das Arbeitsangebot der Eheleute
                        gemeinsame Veranlagung der Ehegatten in            wird möglicherweise durch verhaltensöko-
                        Verbindung mit Splitting aus.34                    nomische Effekte verstärkt. Zwar mag die
                            Empirische Studien von Steuerreformen,         Wirkung des Splittings auf die Steuerbelas-
                        die teilweise oder vollständig die gemein-         tung für den einzelnen Steuerzahler nicht
                        same Besteuerung von Ehegatten verringer-          immer transparent sein. Bei den mit Lohn-
                        ten, finden signifikante Effekte auf das Ar-       steuer belasteten Arbeitseinkommen ist die
                        beitsangebot von Frauen. LaLumia (2008)            Wirkung der gemeinsamen Veranlagung im
                        stellt eine Reduzierung des Arbeitsange-           Rahmen der vorausgezahlten Lohnsteuer
                        bots von hochqualifizierten Frauen um 2 %          jedoch unmittelbar sichtbar. Während die
                        durch die Einführung der gemeinsamen Be-           Steuerklasse IV im Wesentlichen der Einzel-
                        steuerung in den USA 1948 fest. Die ande-          veranlagung entspricht, wird bei der Wahl
                        ren analysierten Steuerreformen beinhalten         von Steuerklasse III/V die bei der gemeinsa-
                        eine starke Verringerung der Progressivität        men Veranlagung gegenüber der Einzelver-
                        in einem System der gemeinsamen Besteue-           anlagung geringere Belastung der Einkünfte
                        rung. Im Zuge der diesem Muster folgenden          des Erstverdiener vorweggenommen. Der
                        kanadischen Steuerreform dokumentieren             Zweitverdiener hat demgegenüber einen
                        Crossley und Jeon (2007) eine signifikante         deutlich höheren Abzug auf dem Lohnzet-
                        Erhöhung des Arbeitsangebots betroffener           tel. Es ist daher davon auszugehen, dass die
                        Frauen um 10 Prozentpunkte. Eissa (1995)           steuerlichen Implikationen des Splittingver-
                        analysiert die Verringerung des maxima-            fahrens so hervorstechend („salient“) sind,
                        len Grenzsteuersatzes in den USA und fin-          dass die Steuerzahler den Unterschied in der
                        det eine Erhöhung des Arbeitsangebots von          Belastung sehr wohl wahrnehmen und ent-
                        Frauen, die mit gutverdienenden Männern            sprechend stark reagieren.
                        verheiratet sind, um 3,7 Prozentpunkte. Die
                        betroffenen Frauen reagieren also in star-
                        kem Maße auf die Reformen. Basierend auf
                        einem quantitativen makroökonomischen
                        Modell leiten Guner et al. (2012) eine Erhö-
                        hung der Erwerbsbeteiligung aller verhei-
                        rateten Frauen um 10 % und eine Erhöhung
                        ihrer Arbeitsstunden um 11 % her, wenn die
                        USA von dem derzeitigen System gemeinsa-
                        mer Besteuerung auf ein System getrennter

                        nach einer geringen Belastung des Arbeitseinkom-
                        mens der Frau allerdings auch in einem Verhand-
                        lungsmodell der Familie mit Haushaltsproduktion
                        unter verschiedenen realistischen Annahmen, bei-
                        spielsweise bei Vorliegen eines Gender Pay Gap.
                        34 Vgl. Apps und Rees, 2009, ibid.
Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten   Seite 21

4.3 Arbeitsteilung in der Ehe                      chen Umständen insgesamt besserstellen,
                                                   wenn dieser Partner sich mehr in der Er-
                                                   werbstätigkeit engagiert und mithin weni-
Die familienökonomische Literatur betont,          ger im Haushalt. Die Entscheidung über die
dass die Erwerbstätigkeit der Eheleute in          Arbeitsteilung der Eheleute im Hinblick auf
einem Kontext mit verschiedenen inner-             Erwerbstätigkeit und unentgeltlicher Arbeit
ehelichen Entscheidungen gesehen werden            im Haushalt oder in der Familie würde also
muss. So bringt sich der nicht erwerbstätige       bei unterschiedlichen Grenzsteuersätzen,
Partner in der Regel stärker in der Bereit-        die sich bei der Einzelveranlagung ergeben
stellung selbst erstellter Leistungen (häus-       würden, durch einen steuerlichen Anreiz
licher Dienste) ein, wie der Hausarbeit, der       verzerrt. Vor diesem Hintergrund legt die
Betreuung von Familienangehörigen und              gemeinsame Nutzenoptimierung bei selbst
der Erziehung der Kinder. Bezieht man              erstellten Leistungen die gemeinsame Ver-
diese Leistungen ein, betreffen wirtschaft-        anlagung mit einheitlichen Grenzsteuersät-
liche Entscheidungen in der Ehe nicht nur          zen nahe. Sie sichert nach dieser Sichtweise
Art und Umfang der Erwerbstätigkeit der            eine unverzerrte Arbeitsteilung und die effi-
Ehepartner, sondern auch die Arbeit im             ziente Ausnutzung der Spezialisierungsvor-
Haushalt. Nach dieser Sichtweise greift eine       teile in der Ehe.36 Da unterstellt wird, dass
Betrachtung des Arbeitsangebotes von ver-          die Ehe auf Dauer Bestand hat, beziehen
heirateten Männern und Frauen zu kurz,             sich diese Effizienzaussagen zur innerehe-
und es ist insbesondere zu berücksichtigen,        lichen Arbeitsteilung auch auf intertempo-
dass sich mit dem Arbeitsangebot auch die          rale Entscheidungen, wie beispielweise die
Arbeitsteilung im Hinblick auf die häus-           Entscheidung für oder gegen eine berufli-
lichen Dienste verändert. Allerdings hängt         che Karriere.
die Wirkungsweise der Besteuerung in die-               Angesichts der geringeren Bindungs-
ser breiteren Perspektive entscheidend von         wirkung der Ehe als dauerhafte Form der
der Entscheidungsfindung in der Ehe ab.            Partnerschaft und des höheren Stellenwer-
    Verhält sich die Familie wie ein einzelner     tes der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der
rationaler Akteur, werden Entscheidungen           Eheleute ist fragwürdig, ob diese Effizienz-
bezüglich des Arbeitsangebots ebenso wie           aussagen für die konkrete Ausgestaltung der
bezüglich der innerehelichen Arbeitsteilung        Ehegattenbesteuerung herangezogen wer-
und des Konsums konfliktfrei so getrof-            den können. Ohnehin bestehen Zweifel da-
fen, dass ein gemeinsamer familiärer Nut-          ran, dass Modellansätze, in denen die Fa-
zen maximiert wird.35 In einer Welt ohne           milie wie ein einzelner rationaler Akteur
Steuern würde der Ehepartner, der ein hö-          handelt, tatsächliche Entscheidungen erklä-
heres Markteinkommen erzielen kann, sich           ren können. So dürfte es nach dieser Sicht-
eher auf die Erwerbstätigkeit spezialisieren.      weise keine Rolle spielen, welcher der bei-
Unterschiedliche Grenzsteuersätze auf Er-          den Ehepartner welches Einkommen erzielt.
werbseinkommen würden diese Entschei-              Die Einkommen würden zusammengelegt
dung über die innereheliche Arbeitsteilung         und die Konsumausgaben würden gemein-
beeinflussen. Denn werden die Erwerbsein-          schaftlich bestimmt. Die empirische Lite-
künfte eines Ehepartners geringer besteu-          ratur zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall
ert, wird die Familie sich unter sonst glei-       ist. So zeigen sich deutliche Unterschiede je

                                                   36 In einem Modell ohne Haushaltsproduktion
35 In der familienökonomischen Literatur ist
                                                   sind einheitliche Grenzsteuersätze nur in theore-
dieser Ansatz zur Analyse der Entscheidungen von
                                                   tischen Grenzfällen optimal (vgl. Apps und Rees,
Ehepaaren mit den Arbeiten von Samuelson (1956)
                                                   2009, 210f.).
und Becker (1981) verbunden.
Seite 22   Ökonomische Wirkungen des Ehegattensplittings

                        nachdem, ob staatliche Transferleistungen               Die Folge des Ehegattensplittings in Ver-
                        der Frau oder dem Mann gutgeschrieben                handlungsmodellen ist indes nicht nur eine
                        werden.37 Bekommt z. B. die Frau anstelle            Veränderung der Verhandlungspositionen.
                        des Mannes das Kindergeld gutgeschrieben,            Da die Eheleute mit der Heirat letztlich ei-
                        so erhöhen sich die Ausgaben für Frauen-             nen unvollständigen Vertrag schließen, der
                        und Kinderkleidung und die Ausgaben für              nicht im Vorfeld alle Eventualitäten be-
                        Männerkleidung gehen zurück. Die Trans-              rücksichtigt, ergeben sich ineffiziente Ent-
                        fers nehmen offenbar Einfluss darauf, wel-           scheidungen der Familie.38 Gleiche Grenz-
                        che Entscheidungen die Eheleute treffen:             steuersätze auf die Erwerbseinkommen der
                        steigt die relative Einkommensposition ei-           Ehegatten sind dann allenfalls in besonde-
                        nes Partners, so kann dieser seine Präferen-         ren Konstellationen Teil einer optimalen
                        zen verstärkt durchsetzen.                           Besteuerung der Familie.
                            Die familienökonomische Literatur zieht
                        dementsprechend        Verhandlungsmodelle
                        zur Beschreibung der Entscheidungen der
                                                                             4.4 Heirat, Partnerwahl und
                        Eheleute heran. Demnach ist die Entschei-                voreheliche
                        dungsfindung davon abhängig, welcher
                        Zustand erreicht wird, wenn keine Eini-                  Entscheidungen
                        gung erfolgt. Der Partner, der im Konflikt-
                        fall eine vergleichsweise günstige Situation         Die Regeln zur Besteuerung von Ehegatten
                        erreicht, hat dann eine bessere Verhand-             beeinflussen nicht nur die Entscheidungen
                        lungsposition. Da der Beitrag des Zweitver-          innerhalb einer Ehe, sondern auch die Ent-
                        dieners zum Familieneinkommen durch die              scheidung, überhaupt eine Ehe einzugehen.
                        Steuer stärker verringert wird als bei Einzel-       So stand die vor Einführung des Splittings
                        veranlagung, wird sich der Zweitverdiener            geltende gemeinsame Veranlagung in der
                        bei gemeinsamer Veranlagung tendenziell              Kritik, dass sie das Eingehen der Ehe durch
                        stärker auf die häusliche Arbeit spezialisie-        die höhere Steuerbelastung behindere. Un-
                        ren. Wenn sich in der Folge die Chancen auf          ter Anwendung des Splittingtarifs wird al-
                        dem Arbeitsmarkt verringern, ist auch die            lerdings nicht nur eine höhere Belastung
                        wirtschaftliche Lage im Konfliktfall un-             von Ehen verhindert, sondern es resultiert
                        günstig und es resultiert für den Zweitver-          in aller Regel eine geringere Belastung im
                        diener eine Verschlechterung seiner Ver-             Vergleich zu nichtehelichen Partnerschaf-
                        handlungsposition. In diesem Kontext ist             ten. Wenn die Ehe die Leistungsfähigkeit
                        auch die 2008 erfolgte Reform des nach-              nicht entsprechend verringert, entsteht ein
                        ehelichen Unterhaltsrechts relevant, die die         steuerlicher Anreiz zur Heirat. Gleichzeitig
                        nachehelichen Unterhaltsansprüche für ge-            werden aber auch Scheidungen verhindert,
                        schiedene Ehepartner deutlich verringert             die von den Partnern ohne die finanziellen
                        hat. Diese Reform vermindert die Verhand-            Anreize des Splittings für optimal empfun-
                        lungsposition des Zweitverdieners, indem             den würden.
                        sie seine Lage im Konfliktfall verschlechtert.           Die Regeln zur Besteuerung von Ehegat-
                        Im Grundsatz steht diese Reform des Unter-           ten haben auch Implikationen für die Part-
                        haltsrechts daher einer Spezialisierung in           nerwahl und strahlen auf andere vorehe-
                        der Ehe klar entgegen.                               liche Entscheidungen aus. Im Hinblick auf
                                                                             die Partnerwahl ist zu vermuten, dass die
                                                                             bei der gemeinsamen Veranlagung ange-
                        37 Vgl. zum Beispiel Hoddinott und Haddad
                        (1995), Lundberg, Pollak und Wales (1997) und Lise
                        und Seitz (2011).                                    38 Siehe Konrad und Lommerud (1995) und
                                                                             Lundberg und Pollak (1993).
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