Fisch und Vogel Rundbrief aus christlicher Solidarität mit den Philippinen
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April 2013 Nr. 80 Fisch und Vogel Rundbrief aus christlicher Solidarität mit den Philippinen Foto: Zacharias Steinmetz Inhalt Nachrichten 3 Babaylanes historisch und heute 10 Neu-altes Konfliktpotential 6 Der Fall Zara Alvarez 12 Gleichberechtigung in Gesellschaft und 7 Manilas beschwiegenes Massaker: Moro- 14 Kirche Widerstand vor 45 Jahren Schreib-Weisen: „Warum wir gendern“ 9 Letzte Seite 16 ISSN 1860-7152
Vorwort 2 Liebe Leser_innen, schlechter bezahlt als bei Männern. Diese soge- ein unscheinbarer Unterstrich mit großer Wir- nannte „gläserne Decke“ ist auch in Deutschland kung. Bereits zum dritten Mal erscheint Fisch ein Thema. Darüber hinaus klagen in Europa zu- und Vogel nun durchgehend in geschlechterge- nehmend auch Männer über die Nachteile klassi- rechter Sprache. Der Unterstrich, die sogenannte scher Rollenbilder, die sie als die ausschließliche „gender gap“, soll weg von einer Dominanz des Verantwortung tragenden Machos frei von jegli- maskulinen Genus hin zu einer inklusiven Spra- chen Schwächen stilisieren. che führen, in der sich Frauen, Männer, Trans- Das Titelbild dieser Ausgabe ist in einem Fi- und Intersexuelle gleichermaßen wiederfinden scherdorf auf Silaki Island, einer kleinen Insel vor können (s. S. 9) Bolinao (Provinz Pangasinan) entstanden. Wäh- rend die Männer Karten spielten und tranken, wusch diese Frau die Wäsche anderer Leute, um ihrer Familie ein Einkommen zu ermöglichen. Viel Spaß beim Lesen und eine besinnliche nachösterliche Zeit wünscht die Redaktion von Fisch und Vogel Der Name "Fisch und Vogel" bezieht sich auf zwei Symbole: Fisch (griechisch: Ichthys) steht für Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter und Vogel (phil- Neben dieser rein formalen Änderung widmet ippinisch: Ibon malaya) für den Widerstand sich die diesjährige Oster-Ausgabe auch inhalt- gegen die Marcos-Diktatur lich dem Thema Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland und in den Philippinen. Seit den 1970er und 80er Jahren kämpfen Frauen (und Männer) beider Länder verstärkt für Gleichbe- Impressum: rechtigung in Gesellschaft, Wirtschaft und Poli- tik. Bis dato waren vor allem Männer in der Öf- Herausgeber: Arbeitskreis Ökumenische Philippinen Konferenz fentlichkeit präsent. Nun forderten deutsche c/o Dorothea Seeliger, Jahnstr. 82, 56179 Vallendar Frauen und Filipinas zunehmend ihre Rechte ein. Website: www.fisch-und-vogel.de Vieles ist mittlerweile erreicht worden, doch es bleibt auch weiterhin einiges zu tun. In der phil- Redaktionsteam: Carolin Blöcher, Zacharias Steinmetz, Martina Seltmann ippinischen Gesellschaft herrscht seit jeher eine Email: redaktion@fisch-und-vogel.de klare Rollenverteilung zwischen männlich und Nachrichtenredaktion: weiblich sozialisierten Personen. Frauen küm- Gabriele Hafner und Philippinenbüro im Asienhaus mern sich in erster Linie um häusliche und fami- Ständige Mitarbeit: Dr. Rainer Werning und Dieter Zabel liäre Angelegenheiten. Als Heimarbeiterinnen Wir freuen uns über Ihren Unkostenbeitrag, der das Er- oder Inhaberinnen von Sari-Sari-Stores tragen sie scheinen von Fisch & Vogel garantieren hilft: maßgeblich zur finanziellen Unterstützung der Kontoinhaber: Bischöfliches Ordinariat Limburg Konto 3700010 Familie bei. Finden Männer keine Arbeit in tradi- BLZ 51140029 (Commerzbank Limburg) tionell männlich dominierten Berufen, bleiben IBAN: DE08511400290379027600 sie oft gänzlich zu Hause und überlassen der Frau BIC: COBADEFFXXX Verwendungszweck: Fisch & Vogel 2013 das Geldverdienen. Aufstiegschancen in klassi- Kostenstelle: 2140 1016 20 (bitte immer angeben) schen Angestelltenverhältnissen sind für Frauen schwerer zu verwirklichen und Jobs in der Regel Die nächste Ausgabe von Fisch & Vogel, Nr. 81, erscheint im August 2013 Fisch & Vogel 80 – April 2013
3 Nachrichten Moratorium für Familienplanungsgesetz pin@s. Die USA lehnten eine Parteinahme in dem Kon- flikt ab. Das Oberste Gericht der Philippinen hat das umstrittene Inzwischen haben einige Senats-Kandidat_innen Sympa- Gesetz zur Familienplanung bis zur Anhörung von sechs thien für die Territorialforderungen geäußert. Andere Poli- Petitionen katholischer Lebensschützer Mitte Juni ausge- tiker_innen sind nach Sabah gereist und haben Verständnis setzt. für die Forderungen des Sultans gezeigt. Präsident Aquino Das Gesetz war im Dezember in Kraft getreten. Es ermög- wird vor allem dafür kritisiert, dass er nicht schon früher licht auch der ärmeren Bevölkerung Zugang zu Verhü- auf einen Brief des Sultans mit einem Gesprächsangebot tungsmitteln und erlaubt Sexualaufklärung an Schulen, Fa- reagiert habe. milienplanungsprogramme, bessere gesundheitliche Ver- Die Familie des Sultans von Sulu und Nord-Borneo hat in- sorgung von Schwangeren und Müttern sowie die Behand- zwischen die muslimische Welt um Hilfe bei der Wieder- lung von Komplikationen nach Schwangerschaftsabbrü- gewinnung von Sabah gebeten, das unrechtmäßig Teil des chen. Abtreibungen sind in den Philippinen weiterhin aus- Staats Malaysia sei. Sie riefen die UN, die OIC (Organiza- nahmslos illegal. Politik und Gesellschaft hatten in den tion of Islamic Cooperation) und die ASEAN zur Interven- vergangenen 15 Jahren eine zeitweise erbitterte Debatte tion auf, um den bewaffneten Konflikt zu beenden. über die gesetzlichen Grundlagen der Familienplanung ge- führt. Nach Ansicht der katholischen Kirche in den Philip- vgl. MB 22.02., 06.03., 09.03., 23.03., 26.03.2013 Spiegel pinen verstößt das Gesetz gegen die Verfassung, da sie den online 05.03.2013, UCAN 19.03.2013 und 21.03.2013, vgl. PDI 24.03.2013 Schutz des Lebens garantiert. Vertreter der Bischöflichen Kommission für Familie begrüßten das Moratorium und drangen auf eine entschiedene Kampagne gegen das Ge- Weiter Bestnoten für Präsidenten setz während des Wahlkampfs. Der Präsident und sein Vize bleiben nach einer Umfrage vgl. KNA 19.03.2013, CBCPnews 19.03.2013 von Ende Februar die vertrauenswürdigsten Politiker. 72 Prozent der 1.800 Befragten vertrauten dem Staatsober- haupt am meisten, 69 Prozent seinem Vize Jejomar Binay. Landnahme nach Sultansart 70 bzw. 68 Prozent bescheinigten den beiden, gute Arbeit Um „friedlich wieder in ihrer alten Heimat zu siedeln“, geleistet zu haben. Dieses Ergebnis zieht sich quer durch landeten Anfang Februar rund 200 Männer unter dem Schichten und Landesteile. Die Kritik an der abwartenden Kommando des Kronprinzen des Sultanats von Sulu in Sa- Haltung des Präsidenten in der Sabah-Krise hat sich auf bah, dem Nordteil der Insel Borneo. Der in Manila residie- die Umfrageergebnisse offenbar nicht negativ ausgewirkt. rende Sultan Kiram hegt offenbar schon seit längerem den Hoch ist die Zufriedenheit auch mit dem Obersten Ge- Gedanken, Territorialansprüche auf Sabah geltend zu ma- richtshof, der in den letzten Monaten immer wieder heikle chen. Entscheidungen zu treffen hatte. Bis 1878 hatte der heutige malaysische Bundesstaat Sabah vgl. MB 21.03.2013, PDI 21.03.2013 zum Sultanat von Sulu gehört. 1963 wurde Sabah ein Teil Malaysias. Bis heute zahlt die malaysische Regierung den Nachkommen des Sultans von Sulu angeblich eine symbo- Studentinnen-Selbstmord aus Geldmangel lische Pacht von 1.700 US-Dollar im Jahr. Sabah hat etwa die Größe von Irland, ist reich an Öl- und Edelholzvor- Weil sie nicht die Mittel hatte, um die fälligen Studienge- kommen und verfügt über riesige Palmölplantagen. Rund bühren für ihr zweites Semester zu bezahlen, hat die UP- 800.000 Filipin@s haben sich in dem prosperierenden Studentin Kristel Tejada Selbstmord begangen. Die Uni- Nachbarstaat niedergelassen um Kämpfen und Perspektiv- versität hatte sie wie in solchen Fällen üblich benachrich- losigkeit im philippinischen Mindanao zu entgehen. tigt, dass sie eine Zwangspause einlegen müsse, bis die Präsident Aquino rief dazu auf, Gewalt zu vermeiden und Gebühren in Höhe von 245 Dollar überwiesen seien. Der vor allem das Leben der regulär in Sabah lebenden Fili- Tod der 16-Jährigen löste landesweit Proteste und Kritik pin@s zu schützen. Anfang März reagierte die malaysi- an der Studienfinanzierung aus. sche Armee mit Luftangriffen auf die Eindringlinge. Acht Die Gebühren für ein komplettes Studium an einer öffent- malaysische Polizisten und 63 Filipin@s sollen seit An- lichen Hochschule wie der University of the Philippines fang Februar getötet worden sein. Nach den Angriffen flo- werden auf 6.000 Dollar geschätzt. Das entspricht dem ge- hen mehrere tausend philippinische Zivilist_innen per genwärtigen Jahreseinkommen einer Durchschnittsfamilie Schiff nach Mindanao. Ehemalige Kämpfer der Muslimi- in den Philippinen. Ein Drittel der Bevölkerung hat aber schen Befreiungsarmee MNLF, die kürzlich mit der Regie- nur ein Jahreseinkommen von 1.700 Dollar zur Verfügung. rung ein Friedensabkommen unterzeichnet hat, verstärken Kristel Tejada kam aus dem Armenviertel Tondo. Ihr Vater inzwischen die Kräfte des Sultans. Zahlreiche frühere arbeitet als Taxifahrer. Einer ihrer Dozentinnen hatte Teja- MNLF-Kämpfer wurden auf Sabah trainiert und haben da anvertraut, an der Uni könne sie die Probleme zu Hause sich später dort niedergelassen. MNLF-Gründer Nur Mi- vergessen. suari besuchte Sultan Kiram in Manila und bekräftigte, Sa- Bei der Beerdigung versicherte der Universitätspräsident, bah sei Heimatland und gehöre den muslimischen Fili- qualifizierten Studierenden sollte die Ausbildung nicht we- Fisch & Vogel 80 – April 2013
Nachrichten 4 gen Geldproblemen verwehrt bleiben. Caritas Manila wird Hoffnung auf Papstbesuch 2016 einen Fonds für bedürftige Studenten einrichten, der zu- Der Internationale Eucharistische Kongress in Cebu 2016 nächst mit einer halben Million Peso ausgestattet sein soll. wird als möglicher Termin für einen Besuch des neuen Der Vorsitzende der Parlamentskommission für höhere Er- Papstes auf den Philippinen gehandelt. Manilas Erzbischof ziehung versprach Abhilfe zu schaffen. Kristel Tejada Kardinal Luis Antonio Tagle berichtete aus Rom, Franzis- durfte entgegen sonstiger Gepflogenheiten in geweihter kus habe ihm gesagt, er hege große Hoffnungen für das Erde bestattet werden. Land. Die Menschen sollten ihre Glauben festigen, ihre vgl. UCAN 18.03. u. 25.03.2013, PDI 20.03.2013 Hingabe an die Gottesmutter und für die Armen vertiefen. vgl. CBCPnews 21.03.2013 Kirchenmänner: Landreform beschleunigen Ende Januar forderten achtzig katholische Würdenträger Umweltminister warnt vor Tricksereien bei Land- den Präsidenten in einem Brief auf, die amtierende Füh- verkäufen rung des Landreform-Ministeriums abzulösen. Zu den Un- Nachdem Verkaufsangebote für Areale in einem Wasser- terzeichnern gehört auch der Erzbischof von Manila, Kar- schutzgebiet am Oberen Marikina-Fluss entdeckt worden dinal Luis Antonio Tagle. Der Brief gilt als die deutlichste waren, stellte Umweltminister Ramon Paje klar, alle ge- direkt an den Präsidenten gerichtete politische Einmi- schützten Gebiete seien öffentliches Eigentum und könn- schung der Kirche in den letzten Jahren. Sie seien höchst ten in keiner Weise gehandelt werden. Zuvor hatte eine alarmiert, schrieben die Priester, dass die Leistungen des Fernsehsendung auf die illegalen Geschäfte einer Stiftung Ministeriums anderthalb Jahre vor dem Auslaufen des ver- mit dem blumigen Namen „Vorreiter für erfindungsreiche längerten Agrarreformgesetzes noch immer jämmerlich und eigenständige Lebensunterhalts- und Siedlungsprojek- seien. Viele Versprechungen, die Aquino persönlich im te“ aufmerksam gemacht. Ein leitender Angestellter wurde Dialog mit Bauern zugestanden hatte, seien bisher nicht daraufhin verhaftet. Die Firma hatte sogenannte „Certifi- umgesetzt worden. Auch nach der Verlängerung des ur- cates of Stewardship Contracts“ von Hochlandfarmern ge- sprünglichen Zeitraums für die Verteilung von Land an kauft, um die Grundstücke auf dem Markt zu handeln. Seit Kleinbauern, habe das Ministerium seine Ziele verfehlt. den 1980er Jahren können berechtigte Waldnutzer_innen Auch die dafür im Haushalt veranschlagten Mittel wurden eine Nutzungslizenz über 25 Jahre erhalten, die ihnen er- nicht in vollem Umfang bereitgestellt. Eine abermalige laubt, dort zu siedeln und das Bergland zu bewirtschaften. Verlängerung des Gesetzes ist unwahrscheinlich. Wenn die Diese Lizenzen dürfen aber nicht weitergegeben oder gar Versprechungen des Präsidenten nicht umgesetzt würden, verkauft werden. hieße das, dass er es selbst nicht wolle, folgerte ein Bi- schof. vgl. PDI 23.03.2013 vgl. MT 08.02.2013 Wasserversorgung der Ifugao zukunftsträchtig Das System, mit dem die Ifugao im Norden der Philippi- Umweltbescheinigung für Tagebau-Projekt nen seit jeher Wasser für ihre Reisterrassen und als Trink- Im Genehmigungsverfahren für das höchst umstrittene wasser gewinnen, halten internationale Experten für eine Bergbauprojekt zum Abbau von Kupfer und Gold in Tam- auch heute hervorragend geeignete Strategie einer nach- pakan wurde Sagittarius Mines Umweltverträglichkeit be- haltigen Wasserversorgung. Nach dem „Muyong-System“ scheinigt. Die Firma beabsichtigt, die Vorkommen im of- versorgt ein gemeinschaftliches Wassereinzugsgebiet von fenen Tagebau auszubeuten. Das Umweltministerium hatte fünf Hektar Größe die Felder und Brunnen. Das starke Ge- zuvor gegen das Projekt entschieden und war aufgefordert fälle zu den Teichen auf den terrassierten Hängen sorge worden, diese Entscheidung zu überprüfen. Das Ministeri- automatisch für eine Filterung und Reinigung des Wassers. um betonte, in der Bescheinigung seien etliche Bedingun- Die Befestigung der Terrassen verhindere Erosion. Die gen enthalten, die eingehalten werden müssten. Erst wenn Ethnologen schlugen vor, dass die Verwaltung von Wasse- alle Anforderungen erfüllt seien, könne die Firma mit der reinzugsgebieten gesetzlich geregelt werden solle. Die Ei- Realisierung des Projekts beginnen. So müsse ein Nach- gentümer_innen großer Gebiete im Hochland könnten weis erbracht werden, dass keine Gebiete beeinträchtigt Land für die gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung würden, in denen Bergbau untersagt ist. Falls die Behör- stellen, wie es die Ifugao traditionell praktizieren. den der Provinz das Projekt nicht befürworten, könne auch dies ein Grund für die Annullierung der Erlaubnis sein. vgl. PDI 20.03.2013 Der Gouverneur der Provinz Süd-Cotabato will das Pro- jekt aufgrund des Verbots von offenem Tagebau bisher nicht erlauben. Bauern als Wasserwächter 42 Farmer aus dem Hochland rund um den Mount Tipolog vgl. Business World 19.02.2013 in Mindanao sind formell zu Forstwächtern ernannt wor- Fisch & Vogel 80 – April 2013
5 Nachrichten den. Sie waren mit Mitteln der amerikanischen USAID Reserven zu haben für die Senatsnachwahlen am 13. Mai. letztes Jahr ausgebildet worden. Die Farmer sollen in ihrer vgl. PST 24.03.3013, MindaNews 24.03.2013 Heimatgegend mithelfen, die Einhaltung der Regeln für Wassereinzugsgebiete zu überwachen und die Behörden mit ihren Beobachtungen, Fotos und Berichten in Schutz- Deutschland will philippinische Pflegekräfte anwer- und Waldwirtschaftsgebieten unterstützen. ben vgl. MindaNews 22.03.2013 Angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege hat die deut- sche Bundesagentur für Arbeit mit der Arbeitsverwaltung der Philippinen eine Vermittlungsabsprache zur Anwerbung von Energieknappheit in Mindanao Pflegekräften vereinbart. Die Vereinbarung orientiert sich Während viele Regionen der Philippinen zur Earth Hour am demnach am Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisati- 23. März für eine Stunde die Lichter ausknipsten und in Bu- on (WHO). Dieser sieht vor, dass eine länderübergreifende tuan City sogar über 100 enthusiastische Radler darauf auf- Anwerbung von Gesundheitspersonal nur erfolgen soll, wenn merksam machten, klagen die Bewohner Mindanaos über im Ausgangsland kein Fachkräftemangel besteht. Die Pflege- eine permanente und unfreiwillige Earth Hour. Mindanao lei- kräfte sollen in ihrer Heimat sprachlich und kulturell geschult det unter akuter Stromknappheit, acht- bis zehnstündige werden und dieselben Vertragsbedingungen wie deutsche Stromausfälle sind in manchen Regionen keine Seltenheit. Pflegekräfte erhalten. Derartige Absprachen gab es bisher nur Erschwerend kommt hinzu, dass zurzeit wenig Wasser aus mit den Arbeitsverwaltungen von Kroatien und Serbien. dem Lake Lanao zur Stromgewinnung abgelassen wird, um vgl. KNA 20.03.2013, MB 22.03.2013 Ökumenische Philippinenkonferenz in Bonn, 25. – 27. Oktober 2013 zum Thema „Friedensprozess in Mindanao“ Mit dem Bangsamoro-Rahmenabkommen vom 15. Oktober 2012 hat der Friedensprozess in Mindanao eine neue Dynamik gewonnen. Die weiteren Entwicklungen in diesem Jahr, insbesondere nach den Wahlen im Mai, werden spannend. Die Ökumenische Philippinenkonferenz plant, sich mit der Rolle und dem Beitrag von zivilgesellschaft- lichen Initiativen zum Friedensprozess, der Aussöhnung und des friedlichen Zusammenlebens von Moro, Lumad und Christen zu beschäftigen. Wir wollen über den Tellerrand Mindanaos schauen und uns fragen, ob wir in Deutschland etwas von solchen Konflikten lernen können. Die ÖPK lädt hiermit ein zur Diskussion auf der 29. Jahrestagung vom 25. – 27.10.2013. Getagt wird im Haus der Begegnung der Evangelischen Akademie im Rheinland auf dem Heiderhof in Bonn - Bad Godesberg. Das Pro- gramm wird rechtzeitig bekanntgegeben. ____________________________________ Lory Obal kommt nach Deutschland 7. Juni – 7. Juli 2013 Lory Obal wird vom 7. Juni bis 7. Juli 2013 neben diversen Terminen in Brüssel und Berlin etliche Diözesen Süd- deutschlands (u. a. Augsburg, Bamberg, München, Speyer und Würzburg) besuchen. Die Führungspersönlichkeit etlicher NGOs aus Kidapawan, Mindanao macht sich stark für eine nachhaltige, gerechte und friedliche Entwick- lung der Philippinen. Sie vertritt dabei gleichermaßen die Interessen der indigenen, muslimischen wie auch christli- chen Bevölkerung. Weitere Informationen und Kontakt: Dieter Zabel (dieter.zabel@gmx.net) Fisch & Vogel 80 – April 2013
Politik 6 Neu-altes Konfliktpotenzial Im ostmalaysischen Bundesstaat Sabah sorgen Mitglieder der „Königlichen Armee des Sultanats von Sulu“ für Unruhe Von Rainer Werning Seit dem zweiten Februarwochenende herrscht Missstim- ängig gewordenen Republik der Philippinen, der jeweiligen mung zwischen den südostasiatischen Nachbarländern Ma- Regierung in Manila das Recht, seinen Anspruch auf Sabah laysia und den Philippinen. Die Diplomaten in den Haupt- politisch und diplomatisch durchzusetzen. Zwar betrachtet städten Kuala Lumpur und Manila sind tunlichst bemüht, Manila deshalb Sabah nach wie vor als philippinisches Ter- die Wogen zu glätten und die ansonsten reibungslosen ritorium, eine Rechtsauffassung, die der Oberste Gerichtshof nachbarschaftlichen Beziehungen wieder ins Lot zu bringen. des Landes noch in einem Urteil vom 16. Juli 2011 bekräftig- Grund für die Missstimmung: Am 9. Februar landeten zwi- te, wenngleich man sich in Regierungskreisen stillschwei- schen 100 und 300 – teils bewaffnete – Mitglieder (beide Sei- gend damit abgefunden hatte, die Sabah-Frage als nicht ten geben unterschiedliche Zahlen an) der „Königlichen Ar- pressierend beziehungsweise „schlafend“ einzustufen und mee des Sultanats von Sulu“ mit Motorbooten in Lahad Datu sie in Zukunft einvernehmlich zu lösen. Schließlich wollte und anderen Orten Sabahs an. Sie seien gekommen, ließ Sul- man in beiderseitigem Interesse die zwischenzeitlich guten tan Jamalul Kiram III durch seinen Sprecher verkünden, Beziehungen nicht unnötig belasten. ihre seit langem bestehenden Landbesitzrechte durchzuset- Malaysia lehnt es ab, die Sabah-Frage vor dem Internatio- zen und ihr „Heimatland wieder in Besitz zu nehmen“. nalen Gerichtshof klären zu lassen, wie es beispielsweise Bislang sind nach unterschiedlichen Berichten zwischen 66 Nur Misuari, der Gründungsvorsitzende der Moro Nationa- und 80 Menschen bei den Auseinandersetzungen ums Leben len Befreiungsfront (MNLF) vorgeschlagen hat. In Kuala gekommen. Während die malaysischen Behörden diese Er- Lumpur hält man eine Debatte darüber als gegenstandslos. eignisse herunterspielen und bereits von einem Rückzug Auffällig zurückhaltend ist das Echo seitens der ASEAN- der Anhänger des Sultans sprechen, bezeichnet dieser dies Staatengemeinschaft. Mit gutem Grund: Diese 1967 in der im Gegenzug als Propaganda. Gegenüber der auflagenstar- thailändischen Metropole Bangkok geschaffene Vereinigung ken Tageszeitung Philippine Daily Inquirer erklärte Jamalul südostasiatischer Staaten, der neben den Grün- Kiram III kürzlich: „Wir bleiben vor Ort. Warum sollten wir dungsmitgliedern Malaysia und den Philippinen mittler- unsere Heimat verlassen? Tatsächlich bezahlen uns die Ma- weile acht weitere Länder angehören, betrachtet jede Art laysier dafür bis heute Miete.“ Diese beträgt jährlich 5.300 von Grenzverschiebung als tabu und wahrt in diesem Sinne malaysische Ringgit (umgerechnet gut 1.700 US-Dollar oder strikt eine Politik der Nichteinmischung in die inneren An- 77.000 Philippinische Peso) und wird von der Botschaft Ma- gelegenheiten eines jeden Mitgliedslandes. laysias in Manila per Scheck bezahlt. Seit Anfang der 1970er Jahre sind der Sulu-Archipel und die Zum Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung: Im Hauptinsel Mindanao die höchstmilitarisierten Gebiete im Jahre 1658 vermachte der Sultan von Brunei seinem Kolle- Süden der Philippinen. Lange Zeit herrschte dort ein erbit- gen in Sulu jenes Territorium, das sich heute Sabah nennt – tert geführter Bürgerkrieg. Zunächst war es die MNLF, die als Dank dafür, dass Letzterer durch Entsendung von Trup- für einen unabhängigen Staat kämpfte, dann aber endgültig pen entscheidend dazu beigetragen hatte, eine Revolte in im September 1996 ihren Frieden mit der Zentralregierung Brunei niederzuschlagen. Am 22. Januar 1878 unterzeichne- in Manila schloss. In all den Jahren hatte der Vorsitzende te schließlich der Sultan von Sulu mit Vertretern der British der MNLF, Nur Misuari, im libyschen Exil gelebt und wurde North Borneo Company ein Abkommen, das Letzterer Sabah in den Ländern des Nahen und Mittleren Osten als gern ge- auf unbestimmte Zeit gegen eine jährliche Zahlung von sehener Gast empfangen. Um sich wegen des Jabidah-Massa- 5.000 malaiischen Dollar „überließ“. Der Knackpunkt ist der kers (siehe F&V 80, S. 14) zu revanchieren und Marcos bloß- in der Tausug-Übersetzung verwendete Begriff „padjak“, zustellen, gestatteten die Regierungen in Kuala Lumpur was wörtlich „überlassen“, „verpachten“ oder „mieten“ Kombattanten der MNLF, Sabah als Trainingslager und heißt. Im englischen Text indes ist von „grant and cede“ die Rückzugsgebiet zu nutzen. Für diese und zahlreiche aus der Rede, was hingegen „übertragen“ bzw. „abtreten“ bedeutet. Sulu-See vor den Kampfhandlungen geflohenen Tausug er- öffnete die gesellschaftliche Integration in Sabah als Teil des 1946 trat die British North Borneo Company ihrerseits Sa- multiethnischen Malaysia eine neue Lebensperspektive. bah an die Regierung in London ab, woraufhin der Sultan von Sulu elf Jahre später das (Pacht-)Abkommen aufkündig- Als Misuari und die MNLF von Manila kooptiert waren, sat- te. Während die Bevölkerung in Sabah 1963 mehrheitlich für telte Kuala Lumpur um und hofierte fortan die Moro Islami- den Anschluss der Region an die neugeschaffene Föderation sche Befreiungsfront (MILF), eine Abspaltung von der MNLF. Malaysia votierte und dem Beitritt Sabahs als ostmalaysi- Die MILF war mittlerweile zur größten und bedeutsamsten schem Bundesstaat in diese zustimmte, übertrug der Sultan muslimischen Gruppierung im Süden der Philippinen avan- von Sulu, seit 1946 integraler Bestandteil der gerade unabh- ciert. So fanden pikanterweise ausgerechnet unter der Ägi- Fisch & Vogel 80 – April 2013
7 Gesellschaft de der malaysischen Regierung in Kuala Lumpur seit 1997 ten daraufhin, dass einige politische Protagonisten starkes zunächst Waffenstillstands- und später Friedensverhand- Interesse daran haben, eine solche Friedensregelung zu ka- lungen zwischen der MILF und der Regierung in Manila tapultieren. Schließlich stehen in Malaysia und den Phil- statt. ippinen in wenigen Wochen Wahlen an, die bestimmte Poli- tiker auch und gerade dazu nutzen werden, aus Eigenintere- Zum Durchbruch kam es dabei am 15. Oktober des vergan- ssen nationalistische Sentiments zu schüren. genen Jahres. Ein von Manila und der MILF ausgehandeltes Rahmenabkommen sieht vor, bis Mitte 2016 eine friedens- Der Autor ist Ko-Herausgeber des kürzlich in 4. Auflage im vertragliche Regelung zu finden, die den Moros volle Auto- Berliner Horlemann Verlag erschienenen Handbuch Philippi- nomie gewährt. Doch die aktuellen Ereignisse in Sabah deu- nen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Der Wunsch nach Gleichberechtigung In der 2000-jährigen Geschichte der Christenheit waren führende Tätigkeiten in Politik, Gesell- schaft und Kirche überwiegend maskulin besetzt. Frauen koordinierten vorwiegend den Haus- halt und waren im Alltag mit Reproduktion und Erziehungsaufgaben beschäftigt. Ein Streifzug durch Widerstandsbewegungen. von Sophia Steinmetz und Carolin Blöcher Die erste Welle der europäischen Frauenbewegung Zweite und dritte Welle unter veränderten gesell- Erst mit der Französischen Revolution 1789 kristallisierte schaftlichen Bedingungen sich eine Bewegung heraus, die sich von den klassisch Ausgehend von der Sozialistin Sigrid Rüger erhob sich in verteilen Rollenbildern und dazu gehörigen Aufgaben den 1970er Jahren eine neue Frauenbewegung, die den verabschieden wollte, um eine Gesellschaft anzustreben, Fokus auf das Recht des eigenen Körpers lenkte und mit in der nicht nur Männer, sondern auch Frauen entschei- der Kampagne „Ich habe abgetrieben“ für Aufsehen sorg- den, regieren und Verantwortung tragen dürfen. Dürre- te. In Demonstrationen und Streiks stritten die Akti- perioden und Ernteausfälle führten in Kombination mit vist_innen gegen konservative und patriarchale Züge in angestiegenen Abgaben dazu, dass die Bevölkerung unter der Gesellschaft. starken Hungersnöten litt. Obwohl der „Zug der Markt- Im Zuge dessen klagten die Frauen ihr Recht ein, in allen frauen nach Versailles“ im Juni 1798 zwar ursprünglich Instanzen mitentscheiden, den eigenen Körper verteidi- daraus entstand [1], dass die Frauen schlichtweg um Nah- gen und das Leben nach eigenen Vorstellungen mitge- rung für ihre Familien flehten, löste er als erste „Frauen- stalten zu dürfen. Ende der 1990er Jahre entflammte zu- bewegung“ einen Wandel in der Gesellschaft aus. sätzlich der Wunsch nach gleichen Löhnen, gleichen Kar- rierechancen und dem Abbau der „gläsernen Decke“ [3]. Die Nachkriegszeit Zahlreiche Versuche von Frauen in Wissenschaft und Po- Daraus resultierte eine allgemeine Gesellschafts- und litik folgten in den nächsten 150 Jahren. Insbesondere die Wirtschaftskritik der „neuen“ Frauenbewegung, die ih- Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges prägte ein neues Frau- ren Ursprung in der Hinterfragung der Macht des Man- enbild und brachte eine kurzzeitige gesellschaftliche nes, der kapitalistischen Ausbeute der Frauen und der Veränderung. Stellung der Frau in der Gesellschaft hatte. Es war mitt- lerweile nicht nur Frauen, sondern auch Männern ein Be- Während unzählige Männer die Nachkriegsjahre in Ge- dürfnis, die Herkunft von klassischen Rollenbildern zu fangenschaft verbrachten oder im Krieg fielen, organi- erforschen und herauszufinden, weshalb der Typ „Frau“ sierten die hinterbliebenen Frauen den Wiederaufbau beziehungsweise der Typ „Mann“ gesellschaftlich exis- Deutschlands. Im Zuge der von den Alliierten initiierten tierte oder gar zelebriert wurde. Damit war der Grund- Demokratie wollten sogenannte „Frauenausschüsse“ ak- stein für den wissenschaftlichen Bereich der „gender stu- tiv an dem Aufbau der Demokratie teilhaben und den dies“ geschaffen, der sich mit dem Themenkomplex des Staat so mitgestalten, wie es bislang nur Männer taten biologischen Geschlechtes in Zusammenhang mit der da- [2]. Das Resultat war gigantisch: In der neuen Verfassung mit verbundenen, gesellschaftlichen Assoziation beschäf- der Bundesrepublik wurde die Gleichberechtigung von tigt. Seitdem wird zwischen „sex“ (dem biologischen Ge- Mann und Frau fest verankert. Doch die Gesellschaft ver- schlecht) und „gender“ (dem sozialen Geschlecht) unter- harrt nach wie vor in alten, patriarchalen Strukturen. schieden. Es wird erforscht, wie sich Rollenbilder in All- tag und Sprache wiederfinden, welchen Einfluss Medien Fisch & Vogel 80 – April 2013
Gesellschaft 8 auf die Wahrnehmung von Sexualität und Geschlecht verde, eine presbyterianische Studentin aus Iloilo [7]. Es nehmen und wie der individuelle Mensch versuchen ist nicht bekannt, ob und wann sie ordiniert wurde. 1955 kann, aus Rollen-Festlegungen auszusteigen. wurde die erste Frau in der Philippinische Zentralkonfe- renz der Bischöflichen Methodistenkirche Gemeindedia- Zudem schaffen seit den 1970er Jahren von vielen Seiten konin, was in dieser Kirche als hohes Amt angesehen organisierte Gruppen und Frauenforen Rückzugsräume wird, das mit einer Ordination verbunden ist [8]. Diese und geben ihnen Raum. Hier kann das Thema „sex und methodistische Kirche war eine der Vorläuferinnen der gender“ immer wieder von anderen Standpunkten be- heutigen UCCP. Ein Jahr gewährte die Kirche Diakonin- trachtet werden, um der Utopie einer Gesellschaft, in der nen das volle Ordinationsrecht, sodass sie nun auch Ge- Geschlecht keine Rolle mehr spielt, einen Rahmen zu bie- meindeälteste werden konnten. 1971 wurde mit Cornelia ten. Mauyao die erste Älteste in der Philippinischen Zentral- konferenz gewählt. Gleichberechtigung im Raum der weltweiten Rö- Nach Rev. Vertucio wurde in den Vorläuferkirchen der misch-katholischen Kirche UCCP 1936 die erste Frau als Pastorin ordiniert [9]. Die In der römisch-katholischen Kirche können Frauen bis Verfassung der UCCP (entstanden 1948) ebenso wie wei- heute nicht als Priesterinnen tätig sein, auf den Philippi- tere Dokumente erlaubten dies von Anfang an. Erste Bi- nen wie in Deutschland. Trotz dieses Mankos sind sie oft schöfin der UCCP wurde 1998 Rev. Nelinda Primavera- aktiv an der Gestaltung des Gemeindelebens beteiligt und Briones. Die einzige weibliche Bischöfin, die heute in den übernehmen ehrenamtliche Funktionen. Des Weiteren Philippinen lebt, ist Bishop Dulce Pia Rose vom Bezirk gibt es katholische Theologinnen, von denen einige auch Ost-Visayas. als Professorinnen tätig sind, und aktive Gruppen und Die einzelnen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Bewegungen, die sich für mehr Gleichberechtigung ein- Deutschland (EKD) erlaubten Frauenordination ungefähr setzen. ab den 1950er Jahren. Je nach Landeskirche variierte der Auf den Philippinen gibt es im Bereich Kirche und Frau- Zeitpunkt. Zuerst taten diesen Schritt die Evangelischen enempowerment die Frauenabteilung der Gesellschaft Kirchen der Pfalz und in Hessen und Nassau. Wie auch in der Kirchenoberen der Philippinen (AMRSP [4]), der lan- Staat und Betrieben hatten Frauen in der Kirche in er- ge Sr. Mary John Mananzan vorstand. Dieselbe war auch heblichem Umfang den Gemeindedienst an der Stelle von Direktorin des Frauen-Studieninstituts des St. Scholastica einberufenen Pfarrern versehen. College in Manila und Vorsitzende der Organisation GA- BRIELA. Das Institute for Women’s Studies bietet viele Allerdings konnten lediglich unverheiratete (!) Theolo- Kurse zu empowerment an und hat mittlerweile auch an- ginnen im Angestelltenverhältnis, nicht als Beamtinnen gefangen, Männer in die Arbeit mit einzubeziehen. wie ihre männlichen Kollegen, bestimmte Stellen über- nehmen. Sukzessive weitete sich der Aufgabenbereich In Deutschland erreichen die beiden großen katholischen aus und bald wurde gleiches Gehalt für Männer und Frau- Frauenverbände Breitenwirkung. Die Katholische Frau- en im Pfarrdienst vorgeschrieben. Erst in den 1960er und engemeinschaft Deutschlands (kfd) und der Katholische 70er-Jahren wurde die volle rechtliche Gleichstellung Frauenbund Deutschlands (KDFB) setzen sich für die ge- von Pfarrerinnen erreicht [6]. Seither wächst die Zahl der rechte Teilhabe von Frauen in der Kirche ein. Sie wollen Studentinnen, Pfarrerinnen, Dekaninnen und Bischöfin- Frauen stärken und in der Kirche Raum für ihre Bega- nen stetig an. Zurzeit liegt die Zahl der Frauen im Pfarr- bungen schaffen. Interessant ist aus dem Spektrum der dienst in Evangelischen Landeskirchen bei etwas mehr Kirchenvolksbewegungen die Aktion Lila Stola. Sie setzt als 30 Prozent. sich seit 1997 „für die volle Gleichberechtigung der Frau- Seit den Anfängen der „Frauenbewegung“ im Raum der en in der römisch-katholischen Kirche ein, das heißt Öff- Kirchen wurde theologisch zum Thema Gleichstellung nung des Ständigen Diakonats und des Priesteramts für gearbeitet. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde ein Frauen- Frauen und gleichberechtigter Zugang zu allen Leitungs- studien- und bildungszentrum der EKD eingerichtet. ämtern“ ein [5]. Frauenreferate oder Gleichstellungsstellen in den ver- schiedenen Regionen kümmern sich um die Anliegen von Gleichberechtigung im Raum der Protestantischen Frauen, je nach Ausrichtung sind Männer gleichermaßen Kirchen auf den Philippinen und in Deutschland im Blick. Die Ansätze und Anliegen werden mittlerweile In vielen Kirchen des Philippinischen Nationalen Kir- auch in der universitären theologischen Forschung mehr chenrates (NCCP) gibt es seit mehreren Jahrzehnten die oder weniger zur Kenntnis genommen. Frauenordination. Obwohl die Anzahl von Frauen in kirchlichen Ämtern, vor allem in Leitungsfunktionen, Ausblick immer noch gering ist, nehmen diese selbstbewusst neue Dennoch sind zum jetzigen Stand Frauen und Männer Rollen ein. noch nicht gleichberechtigt. Allein in Deutschland liegt Schon 1922 vergab das Union Theological Seminary der nach wie vor die Lohndifferenz („gender pay gap“) von UCCP einen Bachelor in Theologie an Macaria Cemonte- Frauen im Vergleich zu Männern bei gleichem Angestell- Fisch & Vogel 80 – April 2013
9 In eigener Sache tenverhältnis und vergleichbarer Qualifikation bei etwa Carolin Blöcher studiert Evangelische Theologie in Berlin und 23 Prozent [10]. Zudem wird das Recht des eigenen Kör- ist Mitherausgeberin von Fisch und Vogel. Sie hat 2008-09 in pers häufig in Frage gestellt. Frauen oder Männer fühlen Manila gelebt und in der United Church of Christ in the Philip- pines (UCCP) gearbeitet. Im Rahmen ihres Studiums be- sich vom jeweils anderen Geschlecht bedrängt, angegrif- schäftigt sie sich auch mit Geschlechtergerechtigkeit und fen oder sehen persönliche Grenzen als überschritten an. Identität. Daher sieht es die aktuelle Frauen- und Genderbewegung [1]www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewe- nach wie vor als ihre Aufgabe an, patriarchale Strukturen gung/35252/wie-alles-begann-frauen-um-1800. aufzuklären und damit zu brechen und das Recht des [2]www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewe- Körpers in den Fokus von kulturellen Debatten zu stellen. gung/35275/neuanfang-im-westen. Neuere Themen sind unter anderem das Infragestellen [3] www.zeit.de/karriere/beruf/2012-06/frauen-management. problematischer Identitätskonzepte, von Geschlechtsi- [4] www.amrsp.org. [5]www.kfd-bundesverband.de; www.frauenbund.de; www.wir- dentität und Sexualität. sind-kirche.de. Sophia Steinmetz setzt sich seit ihrem 16. Lebensjahr in der [6]www.ekd.de/bevollmaechtigter/stellungnahmen/52400.html. Frauen- und Genderbewegung im Rahmen ihres politischen [7]www.uts-registrar.blogspot.com/2004/09/directory-uts-gra- Engagements bei der GRÜNEN Jugend und der BUND Ju- duates-d-f.html. gend für die Überwindung des Geschlechts und die Gleich- [8]www.umc.org/site/apps/nlnet/content3.aspx?c=lw- berechtigung aller Menschen ein und agierte 2011 als Frau- L4KnN1LtH&b=5765535&ct=8116849. en- und Genderpolitische Sprecherin der GRÜNEN Jugend [9] Teresita B. Vertucio. "Leaders yet Subordinate: The Place Rheinland-Pfalz. of Women Ministers in the Church“ [10] www.equalpayday.de. Schreib-Weisen oder „Warum wir gendern“ von Carolin Blöcher Die Diskussion um das gesellschaftliche Geschlecht und die („Liebe Leser_innen“) entsteht ein Zwischenraum, in dem Festlegung von Männern und Frauen auf bestimmte Rollen- Menschen Platz haben, die aus der bipolaren Geschlechter- bilder hat seit den 1970er Jahren auch die Sprache erreicht. ordnung herausfallen. Gesprochen werden kann diese Form Nach dem Philosophen Ludwig Wittgenstein schafft Sprache mit Glottisstop (Kehlkopfverschlusslaut). Eine Sonderform Wirklichkeit. Frauen stellten fest, dass sie sich durch ist die Schreibweise „Filipin@s“ (sprich z.B. „Filipinos und Sprechweisen von Bürgern, Studenten oder Lesern nicht re- Filipinas“), die wir durchgehend verwenden. präsentiert, nicht „gemeint“ fühlten - und begannen zu pro- Es geht dabei nicht um Verkomplizierung von Sprache, son- testieren. Neue Sprachformen zu entwickeln war ein Akt, dern um ein kreatives Einbeziehen und die Veränderung des Sichtbarkeit einzufordern und Raum für sich einzunehmen. Bewusstseins. An welche Menschen denke ich beim Lesen Dabei entstanden mehrere Schreib- und Sprechweisen mit oder Hören eines Textes? Das Verständnis des generischen unterschiedlichen Vor- und Nachteilen: Die Nennung beider Maskulinums als alle Geschlechter einschließend setzt ein Geschlechter („Liebe Leserinnen und Leser“) macht alle hohes Abstraktionsvermögen voraus. Viele Menschen haben sicht- und hörbar. Das Binnen-I („Liebe LeserInnen“) sorgt bei „Studenten“ vor allem Männer („male bias“) vor Augen. für ein nicht wesentlich längeres Schriftbild und betont ex- Durch gegenderte Sprache kann dies bewusst gemacht und plizit die weiblichen Angeredeten. Ähnlich sind Schräg- verändert werden. Es geht um die Umsetzung von sprachli- strich und Klammer zu verstehen („Liebe Leser/innen“, cher Gleichstellung, um die Teilnahme von Frauen und an- „Student(innen)“). Die Partizipialform („Studierende“) deren Gruppen an gesellschaftlichen Aktivitäten zu signali- schafft ein neues neutrales Wort, das weder exklusiv masku- sieren. Dies erfordert Kreativität, Sprachgefühl und die Be- lin noch feminin besetzt war. Auch Synonyme (Kollegium reitschaft, Formulierungsgewohnheiten zu verändern. statt Lehrer) werden gebraucht. Ebenso gibt es abwechseln- Die deutsche Sprache legt Geschlecht grammatikalisch fest. de Nennungen von femininen und maskulinen Gruppen Im Englischen ist dies anders. Hier gibt es nur selten unter- (Professorinnen und Studenten). In jüngerer Zeit findet eine schiedliche Bezeichnungen für Frauen und Männer. In Öffnung hin zu Geschlechterpluralität statt: Nicht alle Men- Tagalog, einer der philippinischen Sprachen, besteht für die schen werden mit eindeutigen Geschlechtsmerkmalen gebo- dritte Person Singular statt zwei oder mehr Personalprono- ren. Es gibt viele verschiedene Formen der Intersexualität. men nur eines: „siya“. Daher auch die häufige Verwechslung Die Angaben über Zahlen im deutschen Raum gehen weit von „he“ und „she“ im Englischen durch Filipin@s. Insofern auseinander. Aus solchen und anderen Identitäten (wie bei- ist Tagalog in Bezug auf geschlechtsspezifische Bezeichnun- spielsweise Transsexualität) entstand der Wunsch, die vor- gen sprachlich offener. handenen Formen der inklusiven Sprache zu erweitern. Allerdings sieht dies bei den gesellschaftlichen Rollen auf Durch einen Unterstrich, die sogenannte “gender gap“ den Philippinen anders aus: Festgefügte Gender-Rollen fin- Fisch & Vogel 80 – April 2013
In eigener Sache 10 den sich in der Schule, beim Daten, in Ehe und Familie. 2011 „denn ihr seid alle eins in Christus Jesus“. Was früher Sta- besetzte der Inselstaat Platz 8 von 135 auf dem Global Gen- tusunterschiede waren, spielt jetzt keine Rolle mehr. So be- der Gap Index, bemerkenswerterweise vor Deutschland gründet sich auch aus der Bibel die Gleichheit der Ge- (Platz 11) [1]. Es gab auf den Philippinen keinen Unterschied schlechter. Maßgeblich ist ebenso die biblische Geschichte mehr zwischen den Geschlechtern, was Bildung und Ge- vom Ostermorgen. Der auferstandene Christus erscheint zu- sundheit betrifft. Außerdem wurden politische Partizipation erst den Frauen und schickt sie zu den Jüngern, um ihnen und ökonomische Führung von Frauen hervorgehoben. die Botschaft von seiner Auferstehung zu verkündigen. Wel- Auch wenn es also einen hohen weiblichen Anteil in Füh- che größere Wertschätzung von Frauen in der Gemeinde rungspositionen gibt werden diese Frauen oft erst durch kann man sich vorstellen? Verwandte oder Ehepartner populär, die bereits in Politik Ein Weg hin zu einer Gesellschaft, in der das eigene Ge- und Gesellschaft engagiert sind. Traditionelle Zuschreibun- schlecht kein Hindernis für Partizipation mehr ist, ist gen von Dominanz und Unterordnung findet sich weiterhin. sprachliche Einbeziehung. Dasselbe gilt für den kirchlichen Außerdem gehen immer noch nur 51 Prozent der Frauen ar- Raum. Menschen unterschiedlicher Gruppen wollen nicht beiten, im Gegensatz zu 80 Prozent der Männer [1]. mehr „mitgemeint“ sein (so ein häufig angeführtes Argu- Auch in Deutschland liegt noch einiges im Argen. Beispiel- ment gegen geschlechtersensible Sprache), sondern aktiv in haft sei der Einkommensunterschied genannt. Innerhalb der Sprache vorkommen. Dem möchten wir als Redaktion von EU nehmen Deutschland, Österreich und Großbritannien die Fisch und Vogel Rechnung tragen. hinteren Rangplätze im Hinblick auf die Angleichung der In Deutschland verwenden heute viele öffentliche Institu- Einkommen von Frauen und Männern ein. Viele Bürger_in- tionen, Universitäten, Zeitungen und Einzelpersonen ge- nen sind sich nicht bewusst, dass diese Ungleichbehandlung schlechtergerechte Sprache in der einen oder anderen im 21. Jahrhundert immer noch besteht. Form. Ministerien und Kirchen empfehlen sie. Das Thema Theologisch begründet sich das Nachdenken über Ge- „Gender“ ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und schlechtergerechtigkeit daraus, dass alle Menschen als wird uns weiter beschäftigen. Fisch und Vogel möchte dabei Ebenbild Gottes geschaffen sind. Hierauf beruht nicht zu- richtungsweisend mitgestalten. Wir freuen uns über Ihre letzt auch die Idee von der unveräußerlichen Menschen- Unterstützung, liebe Leser_innen! würde im säkularen Raum. In Genesis 1,27 werden explizit Mann und Frau gemeinsam als Geschöpfe Gottes bezeichnet, [1]http://www3.weforum.org/docs/WEF_GenderGap_Report_ die Gottes Bild gleich sind. Galater 3,26-28 konstatiert, dass 2011.pdf; vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, in der christlichen Gemeinde „nicht mehr Jude noch Grie- Frauen und Jugend, Gender Datenreport, Kommentierter Da- che, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau“ sind tenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland, München 2005. Fremde Nähe – nahe Fremdheit Filipinas in Deutschland von Mary Lou U. Hardillo Die ersten Ankömmlinge aus den Philippinen in Deutsch- nie darum, Devisen – D-Mark und Dollars – in großem Stil zu land waren medizinisches Personal. Krankenschwestern, ergattern, um die in noch größerem Stil verursachten Kos- Ärztinnen, medizinisch-technische Assistentinnen (MTAs) ten der Auslandsverschuldung zu tilgen. Allein im Jahr 2012 und Krankenpflegerinnen kamen um Engpässe in der bun- betrugen die von der Philippinischen Zentralbank offiziell desdeutschen Gesundheitsversorgung zu schließen. Das ge- erfassten Rücküberweisungen von Filipin@s, den so ge- schah Mitte der 1960er Jahre und dauerte bis etwa 1975. Au- nannten OFWs oder Overseas Contract Workers (OCWs), in ihre ßerdem kamen damals zahlreiche philippinische Seeleute Heimat umgerechnet über 20 Milliarden US-Dollar – der mit nach Deutschland und Europa. Mit der Ölkrise Mitte der Abstand größte Devisenbringer für das Land! 1970er Jahre endete die gezielte Anwerbung und Beschäfti- Aus diesem Grund titulierte bereits Präsidentin Corazon gung von „Gastarbeiter_innen“. Diese Krise vermochte den Aquino (1986 – 92) die OFWs als „neue Helden“, während unternehmungslustigen Geist der Filipin@s, insbesondere Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–2010) diese der Filipinas, keineswegs zu dämpfen, die gleichzeitig mit auch gern als „lebende Helden“ bezeichnete. Angemessener ihrer eigenen Krise, Unterbeschäftigung und Arbeitslosig- wäre es indes, von „Märtyrer_innen“ zu sprechen, weil sie keit während der Kriegsrechtsära unter dem Marcos-Re- ihre Familien, Freunde, Sicherheit und Gewohnheiten auf gime (1972 – 81) zu kämpfen hatten. der Suche nach Arbeitsstellen im Ausland opfer(te)n und Overseas Filipino Workers (OFWs) vielfach riskier(t)en. Nach ihrer Rückkehr finden sie nur all- zu oft aus den Fugen geratene Familien vor: Männer, zwi- Vermittlungsbüros für Arbeiten im Nahen Osten und Europa schenzeitlich zu Alkoholikern geworden sind, Kinder mit schossen damals wie Pilze nach einem warmen Regenguss abgebrochener Schulausbildung oder enge Verwandte, die aus dem Boden. Die philippinische Regierung unterstützte das überwiesene Geld verspielen oder anderweitig unpro- solche Maßnahmen gezielt. Ihr nämlich ging es in erster Li- Fisch & Vogel 80 – April 2013
11 Gesellschaft duktiv einsetzen. Viele OFWs leben im Ausland in ständiger nil José, als „350 Jahre im Konventsmief“ beschrieb, und 50 Angst, deportiert zu werden, ihre Jobs zu verlieren oder in Jahren US-amerikanischer Herrschaft (1898 – 1946), also prekären Situationen, die Gewalterfahrungen mit einschlie- „nahezu ein halbes Jahrhundert unter Hollywood“, geriet ßen. Und diese Lebensverhältnisse dulden sie nicht nur für diese wichtige Rolle der Frauen in Vergessenheit. Immerhin sich, sondern mehr noch für die Belange der daheim geblie- bedarf es keiner großen Vorstellungskraft, um zu verstehen, benen Familienmitglieder. weshalb philippinische Ehefrauen auch als Kumander, Be- fehlshaberin, gelten. Leben in Germoney Mit dem Konzept von Gleichberechtigung folgen wir Werten Nach dem Anwerbestopp von „Gastarbeiter_innen“ folgte und Traditionen im Sinne von Bayanihan, ehrenamtliche Tä- eine relativ romantische Zeit zwischen Deutschland und den tigkeiten gemäß dem Prinzip der Gegenseitigkeit von Geben Philippinen. Viele deutsche Männer waren zu der Zeit ge- und Nehmen, sowie Damayan, dem Mitgefühl für Menschen sund, hatten gute Jobs und waren auf der Suche nach je- in misslichen Situationen. Filipin@s sind überaus gesellige mandem, mit der oder dem sie ihr Glück teilen wollten. Die Wesen, die das Gefühl schätzen, einem kleinen Freundes- so genannte Heiratsmigration erlebte eine Hoch-Zeit – kreis, einer Gemeinde oder einem eingetragenen Verein zu- durch entsprechende Vermittlungsbüros oder persönliche gehörig zu sein. Das ist sehr wichtig für uns. So können wir Kontakte. Solche Geschäfte sind zwar in den Philippinen uns jederzeit über Probleme zu Hause austauschen und ver- verboten, florieren aber besonders in Zeiten des Internets, ständigen, die von den kleinsten Dingen des Lebens bis hin wo Mann per Mausklick Frauen aller Nationalitäten ansehen zu Erfolgsgeschichten von Verwandten und Nachbarn rei- und als Partner „ordern“ kann. chen. Heute findet man Filipinas in Deutschland als Kranken- Wir fühlen uns buchstäblich inter-connected mit anderen schwestern, Verkäuferinnen, Sängerinnen, Krankenpflege- Menschen. Es gibt gewiss auch Frauen, die aus Angst und rinnen, Hausfrauen, Studentinnen, domestic workers, Hilfs- Furcht vor Tsismis, der brodelnden Gerüchteküche, keine kräfte und Geschäftsfrauen. Als Sprösslinge einer Umge- engen freundschaftlichen Beziehungen pflegen (wollen). bung mit einer reichen Tradition von Fiestas, Geselligkeiten Doch ein Leben ohne Tsismis, ohne Tratschen – besonders und verwestlichtem Lebensstil gelingt es den meisten Filipi- am Telefon – ist überaus langweilig und läuft letztlich auch nas mühelos, sich an das hiesige Leben zu gewöhnen und unserer Tradition als oral society zuwider. sich anzupassen – zumal dann, wenn solche Begegnungen innerhalb einer familiären Umgebung, in Freundeskreisen Selbstorganisation und politische Anliegen – Europa oder in christlichen Gemeinden stattfinden. weit und national Beobachtet man diese sozialen Begegnungen näher, so stellt Seit nunmehr über 20 Jahren existiert mit Babaylan ein Phil- sich vielfach heraus, dass sie meistens von Filipinas initiiert ippinisches Frauennetzwerk in Europa mit Mitgliedern aus und durchgeführt werden. Wir feiern Fiestas, Kulturfeste zehn Ländern. und Tanzabende zur Unterstützung karitativer Projekte in Im September 1992 wurde in Barcelona auf einer ersten eu- den Philippinen. Viele Organisationen behaupten, sie unter- ropaweiten Tagung philippinischer Migrantinnen, deren stützen den Bau von Kirchen, Schulen, Krankenhäusern zu Mitglieder auf bundesrepublikanischer Ebene im Philippine Hause und helfen Straßenkindern sowie Opfern von Natur- Women's Forum Germany e. V. zusammengeschlossen sind, in katastrophen. Sie schicken Kleidungsstücke, medizinisches der Resolution festgehalten: „Nachdem wir unsere Er- Gerät, Medikamente und andere wohltätige Dinge. Es gibt fahrungen ausgetauscht und die Berichte unserer Schwes- mittlerweile auch Filipinas, die Mitglieder lokaler Auslän- tern gehört haben, haben wir erkannt, dass die sich ver- derbeiräte sind und sich ehrenamtlich für die Belange ihrer schlechternde ökonomische Situation in den Philippinen, Ko-Filipinas und anderer Migrantinnen engagieren. die soziale und politische Krise uns dazu getrieben haben, Pflegenswerte Tradition das Land zu verlassen – die einzige Möglichkeit, ein besseres Leben zu führen. Die neue internationale ökonomische Ord- Im Gegensatz zu dem verbreiteten Klischee unterwürfiger nung, welche die Kluft zwischen reichen und armen Län- und anschmiegsamer asiatischer Frauen existiert eine Tra- dern weiter vertieft, hat den Bedarf an Arbeitskräften aus dition der starken einheimischen Frau. In unserer philippi- Dritte-Welt-Ländern noch vergrößert, und es zeigt sich ein nischen Gesellschaft gab es eine Tradition der Gleichberech- Trend der verstärkten Migration von Frauen [...]. Unsere Er- tigung zwischen Mann und Frau schon bevor die spanischen fahrungen sind lebendige Zeugnisse der verschiedenen For- Konquistadoren ihren Fuß auf unsere Inseln setzten (1521 – men von Unterdrückung und Ausbeutung, vom Durchhalte- 1898). Frauen konnten Kinder bekommen, ohne verheiratet vermögen als Frauen, als Migrantinnen, als Frauen in zu sein. Es gab ein Scheidungsrecht, wonach Frauen ihren Mischehen und als farbige Migrantinnen in Europa.“ Mädchennamen behalten und nach der Heirat auch über ei- genen Besitz allein verfügen konnten. Darüber hinaus be- Seit der Gründung von Babaylan setzt sich dieses in Form haupteten sie sich in wichtigen politischen und Führungs- von Kampagnen und advocacy work für Anliegen wie das ei- positionen. Es gab die so genannten Babaylanes oder Catalo- genständige Aufenthaltsrecht für Ehefrauen und Migrantin- nan, lokale Priesterinnen und Heilerinnen, die bedeutsame nen, den Schutz sowie die Anerkennung sogenannter non- soziale, religiöse und politische Funktionen ausübten. documented migrants ein. Überdies koordinieren wir unser Engagement mit anderen Migrantinnen-Organisationen im Nach 350 Jahren spanischer Kolonialherrschaft, die unser Sinne der Belange von Haushälterinnen und Au-Pairs und bekanntester zeitgenössischer Schriftsteller, Francisco Sio- fordern den Stopp von Kinderprostitution und Frauenhan- Fisch & Vogel 80 – April 2013
Gesellschaft 12 del. gibt Techniken zur Selbstbehauptung. Schau’ jeden Tag in den Spiegel und sag’: Mary John, du bist gut und schön, OK? Neben unseren Trainings- und Workshop-Angeboten wie Wir haben nur das eine kurze Leben, warum verschwenden dem Basic Women`s Orientation-Training leisten wir Informa- wir es mit Feindseligkeit, mit negativen Gedanken, mit ge- tionsarbeit und bieten Diskussionsforen zu einer Vielzahl genseitigen Beleidigungen, mit gegenseitigem Hass, mit Ei- von Themen an wie: das Wahlrecht für Filipinos und Filipi- fersucht, im Berufsleben und in anderen Bereichen? Eine nas im Ausland; Gewalt gegen Frauen; Situation von Filipi- gegenseitige Stärkung bedeutet nicht nur die negative Seite, nas in anderen EU-Ländern sowie Economic Empowerment für nämlich nicht gemein zueinander zu sein, sondern auch die Migrantinnen; Frauensexualität und Spiritualität. Dabei ste- positive Seite, was kann ich tun, um andere Menschen auf- hen solche Fragen im Mittelpunkt: Wie können wir uns und blühen zu lassen? Sie ist befreiend. Wie kannst Du andere andere Migrantinnen besser und dauerhaft ermächtigen? Frauen befreien, wenn Du selbst es nicht bist? Das ist für Was bedeutet eigentlich eine empowered Filipina? mich die wichtigste Tugend jedes Menschen, innerlich frei „Kollektive und subversive Erinnerung“ zu sein. […] Sie ist öst(er)lich, Spiritualität ist nicht Perfekti- on, sie ist ein Sich-Ausliefern. Wenn man Spiritualität zu- Die Hauptrednerin der zehnjährigen Jubiläumsveranstal- sammenfassen möchte, so ist sie leidenschaftlich und mit- tung war die Benediktinerschwester Mary John Mananzan, fühlend.“ Direktorin des Institute of Women's Studies am St. Scholastica College in Manila und damals nationale Vorsitzende der Leiten lassen wir uns bei all unserem Tun von Sister Mary Frauenorganisation GABRIELA. Ihre inspirierende Rede be- Johns bedenkenswertem Rat: „Wir haben eine kollektive gann sie mit Blick auf die Realität, dass es „Unterordnung, und subversive Erinnerung an unsere equality – Gleichbe- Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung von Frau- rechtigung. Dies ist keine westliche, sondern unsere eigene, en gibt, graduell unterschiedlich, aber durchgängig in sämt- philippinische Tradition, die wir aus der Vergangenheit zu- lichen Klassen, ‚Rassen‘, Konfessionen und Nationalitäten. rückbringen, in die Zukunft transportieren und zu neuem Es ist ein ideologisches, strukturelles und globales Problem.“ Leben erwecken wollen“. Doch dabei beließ sie es nicht. Schwester Mary John sprach Mary Lou U. Hardillo war zeitweilig Chairperson von Babaylan aus dem Stehgreif energisch über Frauen und Spiritualität. und ist langjährige Vorsitzende des Philippine Women's Fo- „Jede Frau sollte ein gesundes Selbstbewusstsein haben. rum Germany e. V. Sie arbeitet als Übersetzerin, Dolmetsche- Wenn Frauen Selbstvertrauen haben, werden sie keine für rin, interkulturelle Trainerin & Philippinen-Dozentin an der sie erniedrigende Beziehung eingehen. Definiert Euch nicht Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) in Bad durch einen Mann. Definiert Euch durch Euch selbst [...]. Es Honnef. Politische Verfolgung auf „Rechtswegen“ Mittels fabrizierter Anklagen und illegaler Verhaftungen versucht der philippinische Staat linke Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen zum Schweigen zu bringen. von Hannah Wolf und Maike Grabowski Menschenrechte (nicht) für alle Dämonisierung von politischen Aktivist_innen „Wir werden die Rechte aller schützen, selbst derer, die ge- Die politische Verfolgung von eben diesen Aktivist_innen gen uns sind“, versprach der philippinische Präsident Beni- folgt einem sorgfältig etablierten Muster, in dem allenfalls gno C. Aquino im Juli 2012. Ein willkommenes Versprechen, der Modus und die Intensität der systematischen Verfolgung dass jedoch in scharfem Kontrast zu Statistiken über Men- variieren. Vor dem Hintergrund bewaffneter Konflikte und schenrechtsverletzungen und somit den Schicksalen von Op- einer umfangreichen militärischen Kampagne zur Auf- fern und ihren Angehörigen steht. Seit Beginn von Aquinos standsbekämpfung (Operation Bayanihan), dämonisieren Amtszeit im Jahre 2010 hat die Menschenrechtsallianz KA- staatliche Akteur_innen politische Aktivist_innen als Staats- RAPATAN 129 politisch motivierte Morde, 12 Fälle von Ver- feinde und kommunistische Terrorist_innen. Kritische schwindenlassen und 239 illegale Verhaftungen mit Inhaftie- Nicht-Regierungsorganisationen und Kirchen werden als rung dokumentiert [1]. Unter den Opfern sind häufig diejeni- Frontorganisationen des kommunistischen Aufstandes ge- gen, die dem Staat kritisch gegenüberstehen und die Einhal- brandmarkt. tung sowie den Schutz fundamentaler Rechte fordern. Es Diese Rhetorik („Red-Baiting“ [2]) schafft ein klares Feind- sind politisch engagierte Menschen, die für gerechte Arbeits- bild und suggeriert eine Gefahrensituation, in der die natio- löhne, für ihr Recht auf Land, gegen transnationale Konzerne nale Sicherheit gleichsam von bewaffneten Guerillas sowie und deren zerstörerischen Bergbauaktivitäten kämpfen oder von friedlichen Aktivist_innen bedroht wird. für umfassende politische Veränderungen. Besonders betrof- fen sind Aktivist_innen linksgerichteter politischer Parteien Diese Dämonisierung erlaubt es, Aktivist_innen außerhalb und Organisationen. der Legalität zu platzieren und eröffnet einen rechtsfreien Fisch & Vogel 80 – April 2013
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