Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust - Psychologische und philosophische Erkenntnisse zum Konflikt zwischen Impuls und Selbstkontrolle
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Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 32 (4), 307–314, Sonderdruck aus: Psychologische Impuls undRundschau, Selbstkontrolle 62 (3), 147–166 © Hogrefe Verlag Göttingen 2011 147 Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust Psychologische und philosophische Erkenntnisse zum Konflikt zwischen Impuls und Selbstkontrolle Wilhelm Hofmann, Malte Friese, Jörn Müller und Fritz Strack Zusammenfassung. Bereits die antike Philosophie hat sich mit der Frage beschäftigt, warum Menschen zuweilen wider besseres Wissen den kurzfristigen Verlockungen des Augenblicks nachgeben und damit wichtigen langfristigen Zielen zuwider handeln. In der modernen Psychologie wird das Problem der Selbstkontrolle in einer ganzen Reihe von Ansätzen aufgegriffen, darunter kybernetische Modelle, intertemporale Entscheidungsmodelle, Zielintentions-Modelle, Zielkonflikt-Modelle, und Zweisystem-Modelle. Zweisystem-Modelle scheinen sich von den übrigen Ansätzen dadurch abzuheben, dass sie impulsive Prozesse der Verhaltensdetermination explizit thematisieren und in Erklärungsmodelle menschlichen Verhaltens integrieren. Wir berichten jüngere empirische Befunde, die aus einem solchen Ansatz erwachsen sind und diskutieren die Vorteile und Grenzen einer Zweisystem-Modellierung von Selbstkontrollkonflikten aus grundlagen- und anwendungsorientierter Sicht. Schlüsselwörter: Selbstkontrolle, Willensschwäche, Impulsivität, Zweisystem-Modelle, Selbstregulation Two souls live in my breast. Psychological and philosophical considerations concerning the conflict between impulses and self- control Abstract. Ancient philosophers already wondered why people sometimes act against their better judgment. That is, why do people yield to immediate short-term temptations even though they know that it will be detrimental to the pursuit of their long-term goals? Modern psychology has tackled the self-control problem from a variety of perspectives, such as cybernetic models, models of inter-temporal choice, goal-intention models, goal-conflict models, and dual-system models. One advan- tage of dual-system models seems to be that these models explicitly integrate impulsive processes of behavior determination into their theoretical architecture. We report a program of empirical research which has emanated from a dual-system approach and discuss the benefits and limitations of such an approach for basic and applied research. Key words: self-control, weakness of will, impulsivity, dual-system models, self-regulation Schon oft bedachte ich in langer Nacht, getrunken nach Hause zu fahren. (3) Eheleute, die ihrem was unsern Menschenverstand so verdirbt, Partner treu sein wollen, finden sich plötzlich in einem frem- und ich erkannte: nicht der Unverstand den Bett wieder. Die Liste ließe sich fortsetzen, das Pro- ist Wurzel allen Übels – an der Einsicht fehlt’s den meisten nicht, ganz anders liegt der Grund: blem ist deutlich geworden: Menschliches Verhalten steht Was recht ist, sehen wir und wissen wir häufig im Spannungsfeld zwischen zwei sich widerspre- und tun es doch nicht, sei’s aus Trägheit, chenden Verhaltensmöglichkeiten. Die eine verkörpert sei’s weil die Lust des schönen Augenblicks das, was wir langfristig für gut und vernünftig halten. Die das gute Werk verdrängt. andere das, was uns im jeweiligen Moment Spaß macht. Euripides, Hippolytos (Z. 375–383a) Weil aber die hedonische Alternative mit einem unmittel- baren Handlungsimpuls verknüpft ist, erfordert die Durch- Die Problemstellung dieses Beitrags ist alt: Wie kommt es setzung der „vernünftigen“ Alternative ein beträchtliches dazu, dass Menschen den Verlockungen des Augenblicks Maß an Selbstkontrolle. Die damit bezeichnete Fähigkeit, nachgeben und ihren eigenen Langzeitinteressen zuwider kurzfristige Impulse zu inhibieren, um langfristige Ziele zu handeln? Drei Beispiele aus dem (modernen) alltäglichen verwirklichen, ist jedoch manchmal nicht stark genug oder Leben: (1) Trotz aller guten Vorsätze kommt es vor, dass versagt ganz – mit möglicherweise verhängnisvollen Kon- Diäthaltende ihr tägliches Kalorienziel um Kuchenlänge sequenzen für den Akteur und betroffene Beteiligte. verfehlen. (2) Motorisierte Partybesucher, die nüchtern Das Ziel dieses Beitrages ist es, das Problem der bleiben wollten, sehen sich am Ende des Abends dann Selbstkontrolle aus unterschiedlichen Sichtweisen zu be- doch gezwungen, ihr Auto stehen zu lassen oder gar an- handeln. Zunächst möchten wir den größeren ideenge- schichtlichen Rahmen innerhalb der philosophischen und psychologischen Diskussion aufzeigen. Dann geben wir Diese Arbeit wurde durch eine Sachbeihilfe der Deutschen For- schungsgemeinschaft an den Erstautor gefördert (Hofm 4175/3-1). einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Theo- Die Arbeit wurde am 1.2.2010 zum Druck angenommen. Der Erst- rien und der empirischen Forschung zur Selbstkontrolle. autor ist mittlerweile an der University of Chicago tätig. Dabei gelangen wir zu der Schlussfolgerung, dass die Pro- DOI: 10.1026/0033-3042/a000086
148 Wilhelm Hofmann et al. zesse impulsiver Verhaltensdetermination in den meisten mit in Gestalt eines „praktischen Syllogismus“ ein erstes theoretischen Ansätzen unterrepräsentiert sind und damit kognitives Modell motivierten Schlussfolgerns. Er stimmt eine wichtige Determinante selbstkontrollierten Verhal- mit Sokrates im Prinzip überein, dass bei der Willens- tens vernachlässigt wird. Schließlich versuchen wir eine schwäche eine Art kognitiver Defekt vorliegt. Er unter- Integration auf der Basis sogenannter Zweisystem-Mo- scheidet sich aber von ihm in der Auffassung, dass dem delle menschlicher Informationsverarbeitung, die impulsi- Akratiker nicht das Prinzipienwissen selbst fehle, sondern ve und reflektive Prozesse gleichermaßen berücksichti- dessen korrekte Anwendung unter dem Druck der Leiden- gen. Dabei stellen wir aktuelle empirische Arbeiten zur schaften misslinge. Diese Art von „Wissen“ sei letztlich Verhaltensvorhersage selbstkontrollierten Verhaltens vor, so wenig mit dem Ethos des Menschen „verwachsen“, wie die mit einer solchen Zweisystem-Sichtweise kompatibel die Worte eines Schauspielers dessen Meinung aus- sind, integrieren diese Befunde in ein Arbeitsmodell und drückten. Das Heilmittel gegen Akrasie liegt deshalb nach diskutieren abschließend mögliche Ansatzpunkte für die Aristoteles sowohl in der Ausbildung fester kognitiver zukünftige Selbstkontrollforschung. Strukturen als auch in einer affektiven Selbstregulierung. Sokrates und Aristoteles vertreten beide eine Seelen- Willensschwäche und Selbstkontrolle lehre, in der die Seele „eingestaltig“ ist, also keine klar voneinander abgegrenzten Teile hat. Damit ist aber die aus philosophischer Perspektive Möglichkeit eines starken intrapsychischen Konflikts deutlich limitiert. Platon geht dagegen bewusst von einer Der Konflikt zwischen Impuls und Selbstkontrolle wird Teilung der Seele in (insgesamt drei) unterschiedliche Tei- bereits sehr früh in der antiken Philosophie unter dem le aus, um die Möglichkeit solcher Konflikte zu etablieren. Schlagwort der Akrasie (Unbeherrschtheit) diskutiert (Bo- Im vierten Buch der Politeia schildert er unter anderem bonich & Destrée, 2007; Müller, 2009). Ein wichtiger Aus- den Konflikt zwischen Begierde und Vernunft am Beispiel gangspunkt zur Gegenüberstellung verschiedener Posi- der Kontrolle des Durstes (am besten stellen wir uns hier tionen ist Sokrates’ Zweifel daran, ob Willensschwäche, jemanden vor, der eine Wüste durchquert und daher seine d. h., Handeln wider besseres Wissen, überhaupt möglich Wasservorräte rationieren muss): ist. Sokrates diskutiert im Protagoras (351b–358e) eine hedonistische Handlungstheorie. Dieser Theorie zufolge Wollen wir nun sagen, dass manche bisweilen, wenn sie dürs- ten, nicht trinken mögen? […] Was wird man nun, fragte ich, in verhalten sich Menschen grundsätzlich nach ihrem Urteil Bezug auf diese sagen? Nicht etwa, dass in ihrer Seele zwar vor- über den erwarteten Lustwert von Handlungen. Dem handen sei das zu trinken Gebietende, aber vorhanden auch das zu Akratiker mangelt es allerdings an dem nötigen Wissen, trinken Verbietende, als ein vom Gebietenden Verschiedenes und um die tatsächliche Lustbilanz der konfligierenden Hand- es Bezwingendes? […] Nicht ohne Grund also, […] werden wir lungsoptionen richtig einschätzen zu können – und zwar, die Ansicht hegen, dass es ein Doppeltes und von einander Ver- weil er unter die situative „Macht der Erscheinung“ (dyna- schiedenes sei, indem wir das, womit sie überlegt, das vernünftig Überlegende der Seele nennen, das aber, womit sie verliebt ist und mis tou phainomenou) gerät: Beeinflusst durch die räum- hungert und dürstet oder sonst etwas leidenschaftlich begehrt, das liche und zeitliche Nähe des Objekts der Begierde über- Unvernünftige und Begehrende, das gewisse Erfüllungen und Ge- schätzt er dessen Lustwert und fällt ein falsches Urteil. nüsse liebt? (Platon, Politeia IV, 439c–d) Besäße er hingegen eine richtige „Messkunst“, würde er erkennen, dass das langfristige und bessere Gut der kurz- Als dritten Teil der Seele nennt Platon in dem häufig fristigen Verlockung vorzuziehen sei, und auch entspre- als Musterexemplar für Willensschwäche zitierten Leon- chend handeln. Der Akratiker entscheidet sich somit ge- tios-Beispiel (Politeia IV, 439 e–440 a) den Mut bzw. die gen sein (noch) nicht erkanntes ureigenstes Interesse. Willenskraft. An anderer Stelle (Phaidros 246 a–256 e) vergleicht Platon diese drei Teile mit einem Pferdegespann In partieller Absetzung von der sokratischen Position und seinem Lenker. Selbstkontrolle liegt für Platon dann argumentiert Aristoteles in der Nikomachischen Ethik vor, wenn die Vernunft mithilfe des Mutes bzw. der Wil- (VII, 1–11), dass Handeln wider besseres Wissen sehr lenskraft die Begierde effektiv kontrolliert und damit für wohl möglich sei, und bringt die Affekte (pathe) als expla- eine Harmonisierung der Strebungen der verschiedenen natorisches Moment ins Spiel. Er untersucht, wie das Wis- Seelenteile sorgt. sen einer akratischen Person beschaffen ist, bei der die affektive Begierde über die Vernunft siegt. So verfügt der In der christlichen Philosophie wird das Problem der Akratiker laut Aristoteles zwar über das nötige Vorwissen Akrasie aufgegriffen und in einer subjektphilosophischen in Form von allgemeinen Prämissen (z.B. „Dickmacher sol- Lesart originell weiterentwickelt (Müller, 2009). Am Bei- len vermieden werden“). Er kann dieses Vorwissen jedoch spiel der sexuellen Begierde zeigt Augustinus die innere im Versuchungsfall nicht (schnell genug) in entsprechen- Gespaltenheit des Menschen in „zwei Willen“ (duae vo- de handlungsrelevante Schlussfolgerungen übersetzen luntates) auf und liefert eine introspektive Analyse eines („Dieser Kuchen hier ist ein Dickmacher“ 씮 „Dieser Ku- derartigen Willenskonflikts: „So stritten sich zwei Willen chen ist zu meiden“): Die vernünftige Schlussfolgerung in mir, ein alter und ein neuer, ein fleischlicher und ein wird unterbunden, weil die plötzlich auftretende Begierde geistlicher, und sie zerrissen meine Seele.“ (Confessiones den Akratiker bereits zu einer anders gearteten Konklu- VIII, 5, 10). In der Sünde, genauer gesagt: in der menschli- sion „verleitet“ hat, welche nun das Handeln bestimmt chen Erbsünde, sieht er den Grund für diesen Willenskon- („Süßes ist zu erstreben“ 씮 „Dieser Kuchen hier ist süß“ 씮 flikt, weil die Sünde als „schlechte Gewohnheit“ die effek- „Der Kuchen hier ist zu erstreben“). Aristoteles liefert so- tive willentliche Ausrichtung auf das wahre Gute blockiert
Impuls und Selbstkontrolle 149 (Müller, 2007). Damit steht Augustinus in einer Denktra- vor. Interessanterweise hat James bereits auf die Beein- dition, die sich in der christlichen Scholastik in der Etiket- flussbarkeit dieser Balance durch situationale Rahmenbe- tierung (übermäßiger) Begierden als „(Tod-)Sünden“ oder dingungen wie etwa bereits verausgabte Ressourcen hin- „Laster“ manifestiert. Im Gegenzug werden dann inner- gewiesen – ein Punkt, der in jüngeren Selbstregulations- weltliche Askese und Selbstkontrolle (v. a. in Form einer ressourcen-Modellen (Baumeister, Bratslavsky, Muraven Steigerung der inneren Aufmerksamkeit) zu einer Art Kar- & Tice, 1998) wieder aufgegriffen wurde. dinaltugend erhoben. Natürlich darf bei einer Würdigung historischer Vor- Die moderne philosophische Diskussion über Wil- denker von Selbstkontroll-Konflikten Sigmund Freud lensschwäche hat sich anfangs auf den Status der im wil- nicht fehlen. Er war der erste Psychologe, der menschli- lensschwachen Handeln involvierten Urteile fokussiert: ches Verhalten als Ergebnis des Konflikts verschiedener Nach Davidson (1980) verletzt der Willensschwache das psychischer Systeme oder „Instanzen“ konzipiert hat „principle of continence“, indem er sein reflektiertes Urteil (Freud, 1923, 1934). Das Es ist dabei der Sitz primitiver über die Gesamtsituation (all things considered judg- Triebe und Wünsche, deren Ursprung laut Freud im Un- ment) nicht in ein handlungsleitendes Urteil umsetzt. Die terbewussten verborgen liegt. Es operiert nach dem Lust- handlungspsychologische Möglichkeit dieses Prozesses prinzip, ohne Gesichtspunkte der Durchführbarkeit oder liegt dabei in Anlehnung an Platons Modell der Seelentei- Angemessenheit zu berücksichtigen. Demgegenüber fun- lung in einer Kompartimentalisierung des menschlichen giert das Über-Ich als Repräsentant internalisierter gesell- Geistes in voneinander getrennte, aber interagierende schaftlicher Gebote und Verbote und steht damit in einem Subsysteme begründet (Davidson, 1982, 1985). Jüngere Spannungsverhältnis zum Es. Die Aufgabe des Ich ist es Arbeiten heben zur Erklärung von Willensschwäche schließlich, dem Realitätsprinzip Geltung zu verschaffen besonders auf die fehlende Pervasivität rationaler Hand- und einen Kompromiss zwischen den häufig antagonisti- lungseinstellungen in der Akteursidentität ab: Die ver- schen Interessen des Es und Über-Ichs auszuhandeln. nünftigen Vorsätze „durchformen“ nicht die handelnde Person als ganze und sind gerade aufgrund dieser Isoliert- heit bzw. Fragmentierung anfällig gegenüber entgegen- Prominente Ansätze in der zeitgenössischen gesetzten Handlungsimpulsen (Holton, 1999; Roughley, psychologischen Selbstkontrollforschung 2008). Willensstärke wird dann oft begriffen als eine kon- sistente Ausformung des Überzeugungssystems, die sich Die zeitgenössische Psychologie hat eine Vielzahl theore- sowohl in einer kohärenten Formung von Vorsätzen als tischer Ansätze mit Bezug zur Selbstkontrolle hervorge- auch in deren konsequenter Umsetzung in Verhalten aus- bracht (siehe auch Goschke, 2004). Einige repräsentativ drückt (Hill, 2005; Holton, 2003). Wenig Aufmerksamkeit ausgewählte Ansätze möchten wir in diesem Abschnitt wird dabei allerdings dispositionalen und situativen Rah- kurz darstellen (siehe Tabelle 1 für einen Überblick).1 menelementen geschenkt. Auch die Affektausprägung Ein wesentlicher Anstoß geht von frühen kyberneti- steht meist nicht im Vordergrund, obwohl die Frage nach schen Betrachtungen selbstregulierten Verhaltens aus der Stärke von begehrlichen Impulsen letztlich entschei- (Miller, Galanter & Pribram, 1960). So haben Carver und dend dafür sein könnte, ob die von philosophischer Seite Scheier (1981) ein breit anwendbares Modell selbstregula- aus betonte konzeptuelle Differenz von Willensschwäche torischer Feedback-Schleifen vorgestellt. Das Modell er- und Zwang, also von (vermeidbaren) willensschwachen klärt, wie Menschen Diskrepanzen zwischen ihrem aktuel- und (unvermeidbaren) kompulsiven Handlungen, als sol- len Zustand und ihren internen Zielstandards überwachen che überhaupt aufrecht erhalten werden kann (Guckes, und zu reduzieren versuchen. Umfangreiche moderne For- 2005; Watson, 2004). schungsarbeiten haben seitdem herausgearbeitet, welche kognitiven Mechanismen die Zielerreichung unterstützen (z. B. Förster, Liberman & Friedman, 2007; Kruglanski Das Problem der Selbstkontrolle et al., 2002; Shah, Friedman & Kruglanski, 2002) und auf in der Psychologie welche Weise Emotionen als affektive Feedbackmecha- nismen der Zielerreichung dienen (Carver & Scheier, 1990). Historische Ansätze Impulsive Einflüsse werden in kybernetischen Modellen jedoch in der Regel nicht weiter spezifiziert bzw. als „Stö- Auch in der Geschichte der Psychologie wurde das Pro- rungen“ (environmental disturbance) des Regelkreislau- blem der Selbstkontrolle immer wieder thematisiert. Wil- fes aufgefasst. liam James (1890/1950) beispielsweise widmet sich in sei- nen Principles of Psychology verschiedenen Spielarten 1 Leider ist es uns im Rahmen dieses Positionspapiers nicht des menschlichen Willens. Im Falle des unhealthy will ist möglich, einen exhaustiven Überblick über Modelle der Selbstregu- lation zu bieten (siehe z. B. Baumeister & Vohs, 2004). So mussten die richtige Balance zwischen impulsiven Antriebskräften wir u. a. verzichten auf die Beschreibung von Temperament-Model- und idealen Motiven (im Sinne langfristig orientierter Ziel- len der Selbstregulation (z. B. Rothbart, Ellis, Rueda & Posner, standards) in eine der beiden möglichen Richtungen ge- 2003), Persönlichkeitsmodellen (für Überblicksartikel, siehe Car- stört: Der explosive will ist gekennzeichnet durch starke ver, 2005; Cervone, Shadel, Smith & Fiori, 2006), biopsychologi- schen Ansätzen (z. B. Gray, 1987; Zuckerman, 1985) sowie auf Impulse, die sich so rasch in Verhalten umsetzen, dass komplexere Multi-System-Ansätze wie beispielsweise die Theorie inhibierende Mechanismen nicht greifen können. Beim der Persönlichkeits-Systeme-Interaktionen (PSI-Theorie) von Kuhl obstructed will dagegen liegt ein Übermaß an Inhibition (2000, 2001).
150 Wilhelm Hofmann et al. Tabelle 1. Überblick über ausgewählte zeitgenössische Ansätze und Modelle zur Erklärung und Vorhersage selbstkontrol- lierten Verhaltens (SKV) Modell/Ansatz Repräsentative Kernannahmen Referenzen Kybernetische Modelle Carver & Scheier, 1981 SKV als Ergebnis eines Feedbackprozesses in dem Diskrepanzen zwischen Ist-Zustand und Soll-Zustand (Standards) durch ent- sprechende Verhaltensweisen reduziert werden. Intertemporale Entscheidungs- Ainslie, 1975; Die Bewertung von Handlungsoptionen unterliegt einer hyper- Modelle (temporale Loewenstein & Prelec, 1992 bolischen Abwertungskurve als Funktion der zeitlichen Distanz. Diskontierung) Dadurch können Präferenzumkehrungen erklärt werden. Zielintentions-Modelle und Anwendungen auf Gesundheitsverhalten Theorie des überlegten/ Fishbein & Ajzen, 1975; Verhalten als Folge von Zielintentionen; diese ergeben sich geplanten Verhaltens Ajzen & Madden, 1985 wiederum aus Einstellung und subjektiver Norm (Fishbein & Ajzen, 1975) sowie wahrgenommener Verhaltens- kontrolle (Ajzen & Madden, 1985). Health Belief Model Janz & Becker, 1984 SKV (vor allem Gesundheitsverhalten) als Ergebnis der wahrge- nommenen Bedrohung (Anfälligkeit und Schweregrad) und wahr- genommener Ergebniserwartung (Nutzen und Hindernisse). Protection Motivation Rogers, 1983 SKV (vor allem Gesundheitsverhalten) als Ergebnis der Schutz- Theory motivation. Diese resultiert aus Einschätzung der Bedrohung (Schweregrad und Vulnerabilität) und Einschätzung der Bewälti- gungsmöglichkeiten (Selbstwirksamkeit und Handlungswirksam- keit). HAPA-Modell Schwarzer, 1999 Zielintention als Ergebnis von Selbstwirksamkeit, Handlungs-Ergeb- niserwartung und Risikowahrnehmung. Die Übersetzung von Ziel- intentionen in tatsächliches Gesundheitsverhalten erfolgt über Planungs-, Initiierungs-, und Aufrechterhaltungsprozesse. Erweiterungen von Zielintentions-Modellen Prototype/willingness Gibbons et al., Zielintention und Bereitwilligkeit (behavioral willingness) als model separate Verhaltensprädiktoren. Gewohnheit (vergangenes Towler & Shepherd, 1991; Häufiges vergangenes Verhalten (Gewohnheit) als separater Verhalten) als Prädiktor Aarts et al., 1998 Verhaltensprädiktor (z. B. Towler & Shepherd, 1991) bzw. als Moderator des Einfluss von Zielintentionen (Aarts et al., 1998). Situationaler Ansatz Mischel, 1974; SKV wird durch situative Rahmenbedingungen (z. B. Selbstkon- Baumeister et al., 1998 trollerschöpfung, Belastung, Alkohol) beeinflusst. Dispositonaler Ansatz Bogg & Robert, 2004; SKV hängt mit stabilen Persönlichkeitsunterschieden in relevanten Tangney et al., 2004 Traits (z. B. Gewissenhaftigkeit, Dispositionale Selbstkontrolle) zusammen. Zielkonflikt-Ansätze Stroebe et al., 2008 SKV als Ergebnis eines Konflikts zwischen Kontrollzielen und „hedonischen“ Zielen (z. B. Essensgenuss). Zweisystem-Ansätze Metcalfe & Mischel, SKV als Ergebnis eines Konflikts zwischen einem ressourcenab- 1999; hängigen reflektiven (cool) System der Abwägung und Zielver- Strack & Deutsch, 2004 folgung und einem ressourcenunabhängigen impulsiven (hot) System das impulsives Verhalten generiert. Der schon von Sokrates eingebrachte Gedanke, dass Zigarette) logisch unvereinbar ist. Dieser Widerspruch die zeitliche Nähe eine wichtige Rolle bei der Willens- kann elegant durch die Annahme erklärt werden, dass bei- schwäche spiele, wird in der psychologischen und ökono- de Entscheidungsergebnisse mit zunehmender zeitlicher mischen Forschung im Rahmen ökonomischer Modelle Distanz zum erwarteten Ereignis abgewertet werden (siehe intertemporalen Entscheidungsverhaltens wieder aufge- Abbildung 1). Diese zeitliche Abwertung (temporal dis- griffen (Ainslie, 1975, 2001; Loewenstein & Elster, 1992). counting) verläuft aber nicht linear, sondern hyperbo- Ausgangspunkt ist dabei das Phänomen der Präferenzum- lisch, d. h. stark gebogen. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich kehr, der zufolge das Entscheidungsergebnis einer Person wird dabei angenommen, dass der zu erwartende Nutzen zum Zeitpunkt t2 (gesunde Lunge durch Nichtrauchen) mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Ereignis zunächst mit der Entscheidung zum Zeitpunkt t1 (Genuss einer sehr stark abfällt und dann weich ausklingt. Auch wenn
Impuls und Selbstkontrolle 151 (Janz & Becker, 1984; Rosenstock, 1966), oder der Health Gesunde Lunge Action Process Approach (HAPA; Schwarzer, 1999). Erwartete Nützlichkeit (Utility) Die Ansätze der Zielintention haben sich in ihrer An- wendung auf selbstkontrolliertes Verhalten insgesamt gut Genuss einer bewährt. Allerdings scheinen sich diese „rationalen“ Mo- Zigarette delle trotz aller Erweiterungen einer oberen Schwelle an Präferenz- Verhaltensaufklärung anzunähern (Armitage & Conner, umkehr 2001; Six & Eckes, 1996). Das könnte unter anderem daran liegen, dass wichtige Verhaltensdeterminanten, die außer- halb des Bereiches reflektierten Handelns und bewusster Zielintentionen liegen, nicht berücksichtigt werden. So wurden in den letzten Jahren immer wieder Vorschläge zur t1 t2 Zeitachse Erweiterung der Theorie des geplanten Verhaltens unter- breitet (Conner & Armitage, 1998, für einen Überblick). Abbildung 1. Veranschaulichung des Modells hyperboli- Beispielsweise haben Gibbons und Kollegen vorgeschla- scher Abwertung (hyperbolic discounting) zur Erklärung gen, neben Zielintentionen auch das Konstrukt der beha- intertemporalen Entscheidungsverhaltens am Beispiel des vioral willingness aufzunehmen. Dieses Konstrukt wird Zigarettenrauchens. dadurch erfasst, dass Personen über Risikosituationen (z. B. sexuelle Versuchungssituationen) nachdenken und der Wert des zeitlich fernen Ergebnisses „gesunde Lun- dann angeben sollen, ob sie unter diesen Umständen Ver- ge“ insgesamt höher ist als der Genuss einer Zigarette, haltensweisen an den Tag legen könnten, die den eigenen kann ab einem gewissen Punkt auf der Zeitachse, an dem Zielstandards zuwider laufen könnten (z. B. Sex ohne Kon- sich beide Kurven überschneiden, das zeitlich nahe Er- dom zu haben). Allerdings korreliert die so gemessene be- gebnis einen höheren erwarteten Nutzen produzieren als havioral willingness in der Regel sehr hoch mit Verhal- das zeitlich ferne (siehe Ainslie, 2001): eine Präferenzum- tensintentionen (Gibbons, Gerrard, Blanton & Russell, kehr findet statt. Diesen Modellen gemäß entscheidet sich 1998). Insofern ist fraglich, ob hier wirklich unterschiedli- der Raucher im Moment der Entscheidungsfindung inso- che Konstrukte gemessen werden. Außerdem lassen die fern „rational“, als er seinen momentan erwarteten Nutzen Forschungsarbeiten zum hot-cold empathy gap Zweifel maximiert. Dennoch wird er sein Verhalten bereuen, so- daran aufkommen, ob Personen gut in der Lage sind, Situ- bald er das eigene Verhalten nach der Bedürfniserfüllung ationseinflüsse und die durch interne Bedürfniszustände (und der damit einhergehenden schlagartigen Abwertung und externe Versuchungsreize ausgelösten „viszeralen“ der kurzfristigen Option) wieder im Lichte der nun wie- Faktoren (wie Craving und Verlangen) unter normalen Be- derum präferierten langfristigen Option beurteilt. Der in- fragungsbedingungen valide zu berichten (Ariely & Loe- tertemporale Entscheidungs-Ansatz lässt sich daher als wenstein, 2006; Nordgren, van der Pligt & van Harreveld, Ein-Prozess-Modell bezeichnen, das Präferenzwechsel 2007; Sayette, Loewenstein, Griffin & Black, 2008). Ein an- mithilfe einer einfachen Diskontierungsfunktion erklären derer Erweiterungsvorschlag besteht darin, neben Inten- kann. Was dabei kurzfristig als „rationale“ Nutzenmaxi- tionen auch Gewohnheiten als Prädiktoren (Towler & She- mierung erscheint kann jedoch aus der Langzeitperspekti- pherd, 1991) oder Moderatoren (Aarts, Verplanken & van ve zu irrationalem Verhalten führen. Knippenberg, 1998) zu berücksichtigen. Aber auch hierbei Eine weitere breite Klasse von Modellen zur Verhal- ist fraglich, wie viel Selbsteinsicht Personen in ihre routi- tensvorhersage baut auf dem Erwartung × Wert Ansatz nierten, automatischen Verhaltensweisen haben und in- auf. Die prominentesten Vertreter dieser Modellklasse wieweit Gewohnheiten den appetitiven, hedonischen sind Fishbein und Ajzens Theorie des überlegten Han- Charakter von Versuchungssituationen wiedergeben kön- delns (Fishbein & Ajzen, 1975) und ihrer Fortentwicklung, nen. Somit ist zu vermuten, dass Modelle geplanten Ver- der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991; Ajzen haltens mitsamt ihrer Erweiterungen durch die Methode & Madden, 1986). Dreh- und Angelpunkt dieser Modelle des Selbstberichts einer wesentlichen Einschränkung un- ist das Konzept der Zielintention. So lautet eine Kernan- terliegen. Zudem fehlt vielen Erweiterungsvorschlägen nahme, dass Zielintentionen die besten Prädiktoren für eine theoretische Einbettung in Modelle menschlicher In- tatsächliches Verhalten sind. Eine zweite Annahme lautet, formationsverarbeitung, auf deren Basis die neu zu inte- dass Menschen ihre Zielintentionen auf der Basis von grierenden Konstrukte begründet werden können. Nutzenabwägungen treffen, indem sie die Wahrschein- Ein weiterer Fokus der modernen Selbstkontrollfor- lichkeit und den Wert des erwarteten Verhaltensergebnis- schung liegt auf der Identifikation situationaler Rahmen- ses miteinander kognitiv „verrechnen“. So würden diese bedingungen, die Selbstkontrolle beeinflussen. Dazu ge- Modelle beispielsweise vorhersagen, dass Personen hören etwa Mischels grundlegende Arbeiten zu den Be- umso weniger gesundheitsbewusstes Essverhalten an dingungsfaktoren, die Kindern den Belohnungsaufschub den Tag legen, je weniger sie sich von diesem Verhalten erleichtern oder erschweren (z. B. Mischel, 1974; Mischel, einen positiven Nutzen erwarten und entsprechende Shoda & Peake, 1988). In jüngerer Zeit zeigten Baumeister Handlungsintentionen ausbilden. Besonders im Bereich und Kollegen, dass die Ausübung von Selbstkontrolle mit des Gesundheitsverhaltens sind Zielintentionsmodelle Anstrengung verbunden ist, die dann bei einer nachfol- sehr präsent und einflussreich, etwa die Protection Moti- genden Aufgabe nicht mehr in gleichem Maße zur Verfü- vation Theory (Rogers, 1983), das Health Belief Model gung steht (z. B. Baumeister et al., 1998). Personen, deren
152 Wilhelm Hofmann et al. Ressourcen zur Bewältigung von Verhaltenskonflikten in Esser das Kontrollziel gegenüber dem Genuss-Ziel ab- einer vorangehenden Aufgabe erschöpft wurden, konsu- schirmen, sodass letzteres inhibiert wird. Allerdings besit- mierten danach mehr ungesundes Essen (Vohs & Hea- zen verlockende Essensstimuli in der Umgebung einen therton, 2000), tranken mehr Alkohol (Muraven, Collins & hohen Anreizwert (Fedoroff, Polivy & Herman, 1997; Nienhaus, 2002) und zeigten ungezügelteres sexuelles Ver- Jansen & van den Hout, 1991). Diese Reize können das halten (Gailliot & Baumeister, 2006) als Personen, deren Genussziel soweit aktivieren, dass es zum dominanten Ziel Selbstregulationsressourcen nicht erschöpft wurden. Die- wird und das Kontrollziel temporär inhibiert (Papies, sen Befunden zur ego depletion liegt die Annahme zu- Stroebe & Aarts, 2007; Shah, Friedman & Kruglanski, grunde, dass die notwendigen Ressourcen limitiert, domä- 2002). Das Zielkonflikt-Modell berücksichtigt somit expli- nenunabhängig und erschöpfbar sind (Baumeister et al., zit den Einfluss externaler Stimuli auf den Selbstkontroller- 1998). In ähnlicher Weise wurden Einbußen der Selbst- folg. Auch werden hedonische Zielverfolgungsprozesse kontrolle bei kognitiver Belastung (Boon, Stroebe, Shut & als „Widersacher“ von Kontrollzielen angesehen. Es wer- Ijntema, 2002; Ward & Mann, 2000), emotionalem Stress den allerdings keine a priori bestehenden Unterschiede (Herman, Polivy, Lank & Heatherton, 1987), Alkoholkon- zwischen den antagonistischen Kräften angenommen, da sum (Hull & Bond, 1986) und situational eingeschränkter beide nach denselben Prozessen der Zielverfolgung ab- Selbstaufmerksamkeit nachgewiesen (Collins, 1978). laufen. Somit sind zusätzliche Annahmen notwendig, um zu erklären, warum speziell das Kontrollziel unter bestimm- Analog zum situationalen Ansatz besteht ein weiterer ten Risiko-Bedingungen (z. B. kognitive Belastung, Alko- Schwerpunkt der Selbstkontrollforschung darin, die Per- holkonsum) schwächer zu werden scheint, während das sönlichkeitsfaktoren zu identifizieren, die den Erfolg der damit in Konflikt stehende (hedonische) Ziel an Einfluss Selbstkontrolle bestimmen. So zeigten Bogg und Roberts gewinnt. (2004), dass Gewissenhaftigkeit mit vielen Ausprägungen schädlichen Gesundheitsverhaltens negativ korreliert (z. B. exzessivem Alkoholkonsum, ungesundem Essver- Vernachlässigung impulsiver halten, Rauchen, oder riskantem Sexualverhalten) sowie Determinanten positiv mit förderlichem Gesundheitsverhalten zusammen- hängt (z. B. regelmäßigem Fitnesstraining). Auch die kürz- Zusammengenommen hat die vorangegangene For- lich postulierte Skala zur Erfassung dispositionaler Selbst- schung herausgearbeitet, welchen Beitrag explizite Abwä- kontrolle (Tangney, Baumeister & Boone, 2004) und gungsprozesse sowie intentionale Zielverfolgungspro- ihre deutschsprachige Adaptation (Bertrams & Dickhäu- zesse im Dienste der Selbstkontrolle leisten. Ebenso gut ser, 2009) weisen negative Korrelationen zu problemati- belegt ist der Einfluss situationaler und dispositionaler schem Gesundheitsverhalten sowie positive Korrelatio- Rahmenbedingungen auf den Selbstkontroll-Erfolg (bzw. nen zu Selbstmanagementfähigkeiten auf. Dementspre- auf die Konsistenz zwischen Selbstkontrollstandards und chend hängt Impulsivität als Disposition, definiert als die Verhalten). Allerdings fällt auf, dass es den meisten An- generalisierte Tendenz unbedacht zu handeln, positiv mit sätzen (mit Ausnahme des Zielkonflikt-Modells) an einer problematischem Selbstkontrollverhalten zusammen (z. B. Modellierung tatsächlicher intrapsychischer Konflikte Granö, Virtanen, Vaherta, Elovainio & Kivimäki, 2004; Ver- mangelt. Dies liegt unseres Erachtens daran, dass in den dejo-Garcia, Lawrence & Clark, 2008; Waldeck & Miller, entsprechenden Modellen und Untersuchungsdesigns 1997).2 der Einfluss von Impulsen, definiert als objektspezifische, affektiv-behaviorale Reaktionen, nicht oder nur sehr indi- Allerdings modellieren die bislang besprochenen An- rekt abgebildet wird. Stattdessen werden Impulse meist sätze intrapsychische Konflikte nicht direkt. Genau dies als eine Art Hintergrund- oder Störvariable betrachtet und leistet jedoch der Zielkonflikt-Ansatz, der vor kurzem im nicht weiter spezifiziert. Gegen diese Sichtweise spricht, Bereich des Essverhaltens postuliert wurde (Stroebe, dass nicht alle Menschen von ein- und derselben Versu- 2002; Stroebe, Mensink, Aarts, Schut & Kruglanski, 2008). chung gleichermaßen impulsiv angezogen werden. Impul- Der Ansatz wurde aus kognitiv-motivationalen Modellen se sind somit interindividuell variabel und können auch von Zielsystemen (goal systems theory; Kruglanski et al., zeitlich in Abhängigkeit körperlicher Bedürfniszustände 2002) abgeleitet. Seine Kernannahme lautet, dass die variieren (z.B. Seibt, Häfner & Deutsch, 2007). Womöglich Selbstregulation appetitiver Verhaltensweisen durch ei- liegt in diesem Defizit ein Grund für die obere Schwelle in nen Konflikt von miteinander inkompatiblen Zielen cha- der prädiktiven Validität, die von Ansätzen des überlegten rakterisierbar ist. Demnach erleben gezügelte Esser Handelns und ihren Derivaten erreicht wird (Armitage & beispielsweise einen Konflikt zwischen dem (langfristi- Conner, 2001). Eine stärkere theoretische sowie empiri- gen) Ziel der Gewichtskontrolle und dem hedonischen sche Integration des Impulskonzeptes in Modelle der (kurzfristigen) Ziel des „Essensgenusses“ (eating enjoy- Selbstkontrolle könnte daher die Erklärungskraft entschei- ment goal). Damit Essverhalten erfolgreich im Sinne des dend erhöhen und die Validität bei der Verhaltensvorher- Langzeitziels reguliert werden kann, müssen gezügelte sage verbessern. Somit könnte eine spezifische, d. h. ob- jektbezogene, für individuelle Unterschiede sowie körper- liche Bedürfniszustände sensitive Erfassung impulsiver 2 Impulsivität als Disposition unterscheidet sich, wie noch zu Determinanten die Forschung zur Selbstkontrolle wesent- sehen sein wird, vom Konzept eines Impulses. Das Konstrukt der lich bereichern. Impulsivität ließe sich vor diesem Hintergrund bestimmen als die generalisierte Tendenz, spezifische Impulse ohne weitere Delibera- Im Folgenden möchten wir kurz skizzieren, wie eine tion in Verhalten umzusetzen. solche Integration aussehen kann, indem wir auf soge-
Impuls und Selbstkontrolle 153 nannte Zweisystem-Modelle menschlicher Informations- Zweisystem-Unterteilung für nicht dezidiert genug halten verarbeitung rekurrieren. Diese haben für die Model- (Frank, Cohen & Sanfey, 2009). Nichtsdestotrotz haben lierung von Selbstkontrollkonflikten den entscheiden- sich Zweisystem-Modelle u. E. als grobe Struktur zur Er- den Vorteil, dass sie automatische, impulsive Prozesse klärung empirischer Befundmuster und zur Generierung und kontrollierte, reflektive Prozesse der Informa- neuer Hypothesen bewährt, da sie einen guten Kompro- tionsverarbeitung näher spezifizieren und als potenziell miss aus konzeptueller Sparsamkeit und Erklärungswert verhaltenswirksame Einflussfaktoren einander gegen- bieten (Deutsch & Strack, 2006; Evans, 2008). Zudem ha- überstellen. Intensive (mess-)theoretische und empirische ben Neurowissenschaftler argumentiert, dass sich be- Arbeiten im Zuge dieser Modelle haben außerdem dazu stimmte Gehirnareale in ihren Funktionen (grob) zwei beigetragen, die entsprechenden psychologischen Kon- Systemen der Handlungssteuerung zuordnen lassen (z. B. strukte reliabel zu erfassen. Bechara, Noel & Crone, 2006; Lieberman, 2007). Das limbi- sche System (insbesondere die Amygdala) und das me- solimbische Belohnungssystem (insbesondere der Nuc- Zweisystem-Modelle und ihre leus accumbens) scheinen dabei eine wichtige Rolle bei der Entstehung impulsiver affektiver Reaktionen zu spie- Anwendbarkeit auf len. Reflektive Prozesse der Zielverfolgung dagegen Selbstkontrollkonflikte involvieren vor allem den für das menschliche Arbeitsge- dächtnis zentralen präfrontalen Cortex, insbesondere des- Zweisystem-Modelle menschlicher Informationsverarbei- sen dorsolaterale Regionen (dlPFC). Von diesen Regionen tung sind eine Unterkategorie sogenannter Multi-System- wird auch angenommen, dass hier kognitive Prozesse und Modelle. Deren gemeinsame Grundannahme ist die Mo- affektive Signale integriert werden (Erk, Kleczar & Walter, dulisierung des Gehirns (Fodor, 1983): spezielle, miteinan- 2007). Des weiteren scheint das Zusammenspiel des prä- der korrelierte Funktionen bzw. Verarbeitungsprozesse frontalen Cortex mit dem anterioren cingulären Cortex werden von unterschiedlichen, anatomisch getrennten (ACC), dem „Alarmsystem“ intrapsychischer Konflikte neuronalen Netzwerkverbänden geleistet (Morsella, 2005). (Botvinick, Braver, Carter, Barch & Cohen, 2001) sowie mit Unter bestimmten Umständen können die Prozessergeb- Systemen der Handlungssteuerung und -inhibierung im nisse unterschiedlicher Systeme miteinander inkompati- motorischen Cortex (Bechara et al., 2006; Lieberman, 2007; bel sein (Goschke, 2004; Kuhl & Goschke, 1994). Durch Miller & Cohen, 2001) von großer Bedeutung bei der diese Inkompatibilität wird intrapsychischer Konflikt, wie Selbstregulation. er phänomenal bei der Selbstkontrolle vorliegt, überhaupt Da sich viele Selbstkontrollkonflikte als Konflikt zwi- erst möglich. Das Entstehen eines intrapsychischen Kon- schen zwei „Agenten“, Impuls und Selbstkontrollstan- flikts scheint plausibel sowohl aus einer evolutionären als dards, verstehen lassen, liegt eine Verknüpfung zwischen auch aus einer damit zusammenhängenden funktionalen Zweisystem-Modellen als Leitidee und empirischer Perspektive. Evolutionäre Ansätze betonen, dass neue Selbstkontrollforschung nahe, wenn auch dieses Poten- psychische Subsysteme im Laufe der Entwicklungsge- zial bislang zu wenig genutzt worden ist (Carver, 2005). schichte des Menschen hinzugekommen sind, wobei Wir haben eine mögliche solche Verknüpfung kürzlich an höherwertige Kontrollsysteme als entwicklungsgeschicht- anderer Stelle genauer ausgeführt (Hofmann, Friese & lich jünger angesehen werden (Evans, 2008). Aus funktio- Strack, 2009) und werden diesen Ansatz kurz am Beispiel naler Perspektive wurde argumentiert, das Austragen des Zweisystem-Modells von Strack und Deutsch (2004) von Konflikten innerhalb eines psychischen Systems sei skizzieren. adaptiv, da mögliche Konflikte mit der Außenwelt vorab Das Zweisystem-Modell von Strack und Deutsch intern simuliert werden könnten (Livnat & Pippenger, (2004) nimmt ein reflektives und ein impulsives System der 2006). Dennoch müssen psychische Systeme als Ganzes Informa-tionsverarbeitung an. Das reflektive System ope- auch zu einer Konfliktlösung gelangen, wenn die Hand- riert auf der Basis propositionaler Repräsentationen,3 die lungsfähigkeit des Organismus nicht dauerhaft beein- Schlussfolgerungs- und Planungsprozesse gewährleis- trächtigt werden soll. ten. Diese Prozesse sind aufwendiger als impulsive Pro- Das eingangs erwähnte platonische Modell von der zesse insofern als sie mehr Zeit und Arbeitsgedächtniska- Seelenteilung sowie Freuds Instanzenmodell lassen sich pazität – eine begrenzte und erschöpfbare Ressource – als frühe Vorläufer von Multi-System-Modellen begreifen. benötigen. Dafür gestatten reflektive Prozesse ein relativ Die derzeit prominenten modernen Zweisystem-Modelle hohes Maß an flexibler Handlungskontrolle, sofern diese aus der Kognitions- und Sozialpsychologie (z. B. Epstein, operativen Bedingungen gegeben sind. 1990; Metcalfe & Mischel, 1999; Sloman, 1996; Smith & Das impulsive System hingegen besteht aus assoziati- DeCoster, 2000; Strack & Deutsch, 2004; Wilson, Lindsey ven Verknüpfungen, die eine automatische und Ressour- & Schooler, 2000; für einen Überblick siehe Evans, 2008) lassen sich als empirisch gut fundierte Varianten von 3 Damit sind symbolische Repräsentationen im Arbeitsge- Multi-System-Modelle verstehen. Zwar ist die Familie von dächtnis gemeint, die Elemente und Beziehungen zwischen den Ele- Zweisystem-Modellen wiederholt in die Kritik geraten menten wiedergeben (Strack & Deutsch, 2004). Wesentliche Merk- (z. B. Keren & Schul, 2009). Sie wurde sowohl von Ein- male von Propositionen sind, dass sie einen Wahrheitswert besit- zen (also als „wahr“ oder „falsch“ beurteilt werden können), Prin- prozess-Vertretern bemängelt (Kruglanski, Erb, Pierro, zipien der logischen Konsistenz folgen sowie bewusst und mitteilbar Mannetti & Chun, 2006; für eine Gegenposition, siehe sind. Vereinfacht gesagt lassen sich Propositionen mit geordneten Deutsch & Strack, 2006) als auch von Seiten derer, die eine Gedankeninhalten gleichsetzen.
154 Wilhelm Hofmann et al. cen sparende Verarbeitung von Information, ausgehend Viele Selbstkontrollkonflikte lassen sich in dieser Kon- von perzeptuellen Inputs bis hin zur Aktivierung und Aus- zeption als Inkompatibilität zwischen den Verhaltensimpli- führung von Verhaltensschemata gestattet (Strack & kationen des impulsiven auf der einen Seite und des re- Deutsch, 2004). Impulse lassen sich hiernach als automa- flektiven Systems auf der anderen Seite denken. Wie wird tisch aktivierter hedonischer Affekt und damit einherge- der „Sieger“ aus diesem Konflikt letztendlich bestimmt? hende Annäherungs-/Vermeidungsreaktionen verstehen Das Modell nimmt hierzu an, dass beide Systeme sich (Hofmann, Friese & Strack, 2009). Da diese Prozesse auf einen gemeinsamen Zugang zur Verhaltenssteuerung tei- bereits vorhandene Bahnungen angewiesen sind, sind len: die Aktivierung entsprechender Verhaltenschemata impulsive Prozesse relativ unflexibel, wobei eine Modula- im Motorkortex des Gehirns (Aron, 2008; Norman & Shal- tion durch kontextbezogene externale (z. B. Priming) und lice, 1986; Strack & Deutsch, 2004). Welches der beiden internale (z. B. körperliche Bedürfniszustände) Faktoren Systeme letztendlich tatsächliches Verhalten steuert, theoretisch gut erklärt werden kann (Gawronski & Boden- hängt von der relativen residualen Aktivierungsstärke ab, hausen, 2006; Seibt et al., 2007; Strack & Deutsch, 2004). mit der beide Systeme auf die Handlungssteuerung zu- Impulse sind zunächst „experientielle“, d. h. phänomenale greifen (einschließlich möglicher inhibitorischer Einflüs- Widerfahrnisse, die keiner weiteren Begründung bedür- se). Überschreitet diese Aktivierung einen bestimmten fen und nicht notwendigerweise bewusst sind im Sinne Schwellenwert, wird Verhalten ausgeführt. von zugangs-bewusst (access-conscious; Block, 1995). Da beide Systeme unterschiedlichen Operationsprin- Phänomenale Erfahrungen können aber über Prozesse der zipien folgen (Strack & Deutsch, 2004), wird deren Effekti- Selbstinferenz in propositionale Repräsentationen über- vität bei der Handlungssteuerung durch situationale oder führt und damit zum Inhalt von Denk- und Schlussfolge- dispositionale Rahmenbedingungen unterschiedlich be- rungsprozessen werden (Hofmann & Wilson, 2010). einflusst (Hofmann, Friese & Strack, 2009). Situationale Auf diesem Weg können Impulse in der Form subjektiven Faktoren wie etwa ego depletion, kognitive Belastung „Verlangens“ oder „Begehrens“ in das Bewusstsein ge- oder Alkoholkonsum, die mit der Verfügbarkeit von Kon- langen und sich ruminativ aufdrängen (Kavanagh, Andra- trollressourcen zusammenhängen, sollten gezielt die Ef- de & May, 2005).4 Dadurch kann kostbare Arbeitsge- fektivität des reflektiven Systems unterminieren und damit dächtniskapazität in Anspruch genommen werden, die ceteris paribus zu einer stärkeren Verhaltenswirksamkeit somit für die langfristige Zielverfolgung fehlt. Mehr noch: impulsiver Einflüsse führen. Analog sollte stärker impuls- Akutes Verlangen kann nun als propositional repräsen- getriebenes Verhalten bei dispositional niedriger Kontroll- tierter Bewusstseinsinhalt in direkten Konflikt mit damit fähigkeit zu erwarten sein. inkompatiblen Zielen treten. Auf diesem Weg kann es reflektive Schlussfolgerungs- und Entscheidungsprozes- Aus messtheoretischer Sicht wurde argumentiert, dass se im Sinne eines motivierten Schlussfolgerns (Kunda, sich zentrale Konstrukte, die dem reflektiven System zuge- 1990) beeinflussen und verzerren (z. B. „Einmal ist kein- ordnet werden (z. B. Selbstkontrollziele bzw. -standards, mal“). Im schlimmsten Fall allerdings wird das reflektive explizite Bewertungen von Objekten und Handlungsopti- System kurzfristig „gekapert“ und dem sich aufdrängen- onen) angemessen mithilfe von Selbstberichtsmaßen er- dem Verlangen unterstellt (Hofmann, Friese, Schmeichel fassen lassen, da diese Konstrukte in der Regel in bewuss- & Baddeley, 2010; Kavanagh et al., 2005): Ehemals gute te Schlussfolgerungs- und Zielverfolgungsprozesse ein- Vorsätze und Absichten werden aus dem Arbeitsgedächt- gebunden sind. Demgegenüber lassen sich relativ auto- nis verdrängt und reflektive Planungsprozesse können matische, möglicherweise schwer zu verbalisierende nun – ironischerweise – dazu „missbraucht“ werden, aku- (Berridge, 2003), und häufig sozial unerwünschte impulsi- tes Verlangen in die Tat umzusetzen (wie etwa bei einem ve Reaktionen möglicherweise adäquater mithilfe indirek- rückfälligen Raucher, der zuerst Geld wechselt und einen ter bzw. impliziter Messmethoden erfassen (Hofmann, längeren Fußweg auf sich nimmt um endlich, am Automa- Friese & Strack, 2009). Wenn man annimmt, dass Impulse ten angekommen, Zigaretten kaufen zu können). eine affektive, hedonische Komponente aufweisen, sowie eine damit in Verbindung stehende behaviorale Kompo- nente in Form einer Annäherungs-Vermeidungsreaktion (motivationale Orientierung), bieten sich vor allem zwei 4 Eine interessante Implikation des Modells lautet somit, dass Arten von Paradigmen an: Für die Erfassung unmittelbarer sich körperliche Bedürfniszustände und das subjektive Empfinden affektiver Reaktionen auf Versuchungsreize eignen sich das mit diesen Zuständen einhergehen kann konzeptuell und in ihren Auswirkungen auf die Informationsverarbeitung trennen implizite Valenzmaße wie etwa Implizite Assoziationstest- lassen. Erstere stellen physiologisch getriggerte interne Kontext- verfahren (IAT; Gawronski & Conrey, 2004; Greenwald, faktoren dar, die das impulsive System für bedürfnisbezogene Reize McGhee & Schwartz, 1998) oder die Affekt-Misattributi- sensibilisieren und bereits eine ganze Reihe automatischer Verar- ons-Prozedur (AMP; Payne, Cheng, Govorun & Stewart, beitungsprozesse anstoßen können (z. B. Aarts, Dijksterhuis & 2005; Payne, Govorun & Arbuckle, 2008). IAT-Maße wie De Vries, 2001). Diese Prozesse müssen nicht notwendigerweise bewusst sein. Subjektive Bedürfniszustände des Verlangens oder auch die AMP weisen im Mittel eine zufriedenstellende Begehrens dagegen entstehen, wenn Aufmerksamkeit auf mit Be- interne Konsistenz um .80 auf (Hofmann, Gawronski, dürfniszuständen zusammenhängende phänomenologische Hin- Gschwendner, Le & Schmitt, 2005; Payne et al., 2005). Be- weisreize gerichtet wird und diese Signale in propositionale Inhalte haviorale Reaktionen hingegen lassen sich über Annähe- transformiert werden. Erst dann kann Verlangen/Begehren auch Gegenstand von Zielverfolgungsprozessen im reflektiven System rungs-Vermeidungsmaße (z. B. Neumann, Hülsenbeck & werden und wertvolle Arbeitsgedächtnisressourcen besetzen (siehe Seibt, 2004; Rinck & Becker, 2007; Wiers, Rinck, Kordts, Kavanagh et al., 2005). Houben & Strack, 2008) messmethodisch umsetzen und
Impuls und Selbstkontrolle 155 scheinen trotz jüngster Kritik (Eder & Rothermund, 2008) belle 2 sind Studien aus acht repräsentativen Kernberei- motivationale Orientierungen valide aufzugreifen (Kriegl- chen selbstkontrollierten Verhaltens (Wahlverhalten bzgl. meyer, Deutsch, De Houwer & De Raedt, 2010). Weiter- Lebensmittelprodukten, Essverhalten, Alkoholkonsum, hin gibt es erste Befunde, die darauf hindeuten, dass indi- Zigarettenkonsum, sexuelles Verhalten, aggressives Ver- rekte Maße trotz einer gewissen Stabilität (Egloff & halten, vorurteilbehaftetes Verhalten, riskantes Spielver- Schmukle, 2008) für Unterschiede in körperlichen Bedürf- halten) zusammengefasst, welche die folgenden Kriterien niszuständen sensitiv sind (Hoefling & Strack, 2008; Seibt erfüllen: (1) Als abhängige Variable wurde tatsächliches et al., 2007) und damit ein weiteres erwünschtes Merkmal Verhalten (z. B. Süßigkeitenkonsum während eines Pro- eines Impulsmaßes erfüllen. dukttests) oder zumindest selbstberichtetes Verhalten (z. B. retrospektiver Süßigkeitenkonsum laut Esstage- Bei allen Vorzügen wäre es jedoch unrealistisch anzu- buch) erfasst. (2) Als Moderator wurden Bedingungs- nehmen, dass implizite Maße perfekte Abziehbilder menschlicher Impulse liefern. So gibt es eine anhaltende unterschiede zwischen Personen manipuliert (z. B. hohe versus geringe Selbstregulationsressourcen) oder indivi- Debatte darüber, was genau implizite Maße eigentlich er- duelle Unterschiedsvariablen erfasst (z. B. Facetten exe- fassen (De Houwer, Teige-Mocigemba, Spruyt & Moors, 2009; Fiedler, Messner & Bluemke, 2006; Hofmann & kutiver Kontrolle), die sich jeweils in einen theoretischen Bezug zur Selbstkontrollforschung bringen lassen. (3) Es Schmitt, 2008). Beispielsweise ist mittlerweile unstrittig, wurde zumindest ein indirektes Maß zur Erfassung impul- dass implizite Maße – wie viele andere Messmethoden der Psychologie ebenso – nicht „prozess-rein“ sind (Conrey, siver Determinanten verwendet und wenn möglich auch ein direktes Maß reflektiver Determinanten erhoben. Sherman, Gawronski, Hugenberg & Groom, 2005; Klauer, Voss, Schmitz & Teige-Mocigemba, 2007) und methoden- Tabelle 2 bietet einen Überblick über die Befundlage. spezifische Varianzanteile enthalten (z. B. Mierke & Klau- Vergleicht man die meist in Regressionsanalysen ermittel- er, 2003; für einen Überblick zum IAT siehe Gawronski & te relative Vorhersagekraft von Impulsmaßen mit derjeni- Conrey, 2004). Dennoch deuten viele Befunde darauf hin, ger reflektiver Maße als Funktion der situativen oder dis- dass sich substanzielle Varianzanteile in impliziten Maßen positionalen Rahmenbedingungen, zeigt sich generell eine auf automatisch aktivierte Assoziationen zurückzuführen hohe Bedingungsabhängigkeit in der Vorhersagekraft bei- lassen (z.B. Conrey et al., 2005; Sherman et al., 2008). Inso- der Maße. Zum Beispiel zeigt eine Reihe von Studien (Frie- fern stellen sie auf ihrem derzeitigen Entwicklungsstand se, Hofmann & Wänke, 2008; Hofmann, Rauch & Gaw- u. E. eine praktikable und proximale Möglichkeit der Im- ronski, 2007; Ostafin, Marlatt & Greenwald, 2008), dass pulserfassung dar, deren Vorzüge und Grenzen es weiter Personen mit hohen Selbstkontrollstandards (bzw. negati- auszuloten gilt. ven expliziten Bewertungen) weniger hedonisch attraktive Produkte wählen und konsumieren als Personen mit nied- Zusammen genommen lassen diese Ausführungen vermuten, dass sich die Vorhersage selbstkontrollierten rigen Selbstkontrollstandards (bzw. positiveren expliziten Bewertungen), solange sie über ausreichend Kontrollres- Verhaltens durch die gemeinsame Berücksichtigung drei- sourcen verfügen. Gleichzeitig weisen Impulsmaße unter er Modellbestandteile verbessern lässt: (1) reflektive De- terminanten wie Selbstkontrollstandards oder explizite diesen Umständen meist keinen signifikanten Zusammen- hang mit dem erhobenen Verhalten auf. Unter Bedingun- Bewertungen im Sinne von Modellen des geplanten Han- gen geringer Kontrollressourcen (Selbstkontrollerschöp- delns, (2) impulsive Determinanten wie automatische af- fektive Bewertungen oder Annäherungs-Vermeidungs- fung, kognitive Belastung, Alkoholkonsum) dagegen kehrt sich das Vorhersagemuster um: hier weisen Impuls- dispositionen, die einen Einblick in die Prozesse impulsi- maße über viele Studien hinweg einen deutlich positiven ver Verhaltensdetermination gestatten sowie (3) kritische situationale oder dispositionale Rahmenbedingungen, die Zusammenhang mit dem untersuchten Verhalten auf, während die Vorhersagekraft reflektiver Maße deutlich das relative Gewicht reflektiver versus impulsiver Determi- zurückgeht. Ohne an dieser Stelle auf alle Details der je- nanten auf die Handlungssteuerung in einem Selbstkon- trollkonflikt zugunsten der einen oder anderen Seite ver- weiligen Moderatoren und die dahinter stehenden An- nahmen einzugehen, finden sich funktional äquivalente schieben können. Die kombinierte Berücksichtigung die- Effekte für eine ganze Reihe weiterer Situationsfaktoren ser Faktoren sollte einer isolierten Betrachtung überlegen sein. Besonders deutlich sollte sich der Mehrwert einer (siehe Tabelle 2). So zeigt sich eine höhere Vorhersage- kraft impulsiver Determinanten unter hoher vs. geringer Mitberücksichtigung impulsiver Determinanten unter den- Mortalitätssalienz (Friese & Hofmann, 2008), affektivem jenigen (Risiko-)Bedingungen zeigen, in denen reflektive Determinanten typischerweise keine oder nur geringe vs. kognitivem Fokus (Scarabis, Florack & Gosejohann, 2006), positiver vs. negativer Stimmung (Holland, Herm- Beziehungen mit tatsächlichem Verhalten aufweisen (sie- sen & van Knippenberg, 2008), und unter einem Promo- he oben), Verhalten also eher impulsgetrieben zu sein scheint. tionsfokus vs. einem Präventionsfokus (Florack, Friese & Scarabis, 2010). Zusammen genommen stellen diese Situa- tionen also einen repräsentativen Querschnitt möglicher Risiko-Bedingungen der Selbstkontrolle dar, unter denen Empirische Evidenz Impulse eine größere Tragweite zu besitzen scheinen. Im Folgenden werden einige Forschungsarbeiten bespro- Ein zweiter Strang von Arbeiten (siehe Tabelle 2) hat chen, die den vorgeschlagenen Ansatz vor dem Hinter- individuelle Unterschiede in denjenigen mehr oder weni- grund von Zweisystem-Modellen verfolgt haben. In Ta- ger scharf umrissenen Kontrollkapazitäten erfasst, von
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