#1. theater als taubenschlag - Theater Neumarkt
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1. stellwand 5. tisch 9. sauerkraut 2. flugklappe 6. bücher 10. kompost 3. gummihandschuhe 7. ringe 11. tauben 4. katzenkiste 8. tragtasche taubenschlag #1. theater als
erzählen mit tauben und weiteren kompliz*innen parlament der dinge, Jonas Gillmann Seraina, welches war dein liebster Gegenstand im Taubenschlag? Seraina Dür Vielleicht die zum Taubenbad umfunktionierte Katzenkiste (Nummer 4) tiere, pflanzen von meinem kürzlich verstorbenen Kater Fux, weil die Tauben so grosse Freude am Baden hatten. Sie badeten manchmal zu viert in der Katzenkiste und haben mit den Flügeln das Wasser herumgespritzt. – Wie siehst du die Gegenstände? J. G. Über die Gegenstände kann ich meine Beziehung zu den Tauben erzählen. und algorithmen Über die Gummihandschuhe (Nummer 3) zum Beispiel, die mir zu Beginn wichtig waren. Sie halfen mir eine Distanz herzustellen, die ich erst mal brauchte. Proben bedeutete für uns putzen. Über die Gegenstände, die für das Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit den Tauben wichtig waren, lässt sich aber auch einiges über das unsichtbare Regelwerk sagen, von dem die Arbeit am Theater oft ausgeht. #1. theater als taubenschlag S. D. Ohne Putz- und Carearbeit lässt sich unser Projekt gar nicht erzählen, weil es uns ein Anliegen ist, für einen sorgfältigen Umgang mit dem, was uns umgibt, einzustehen. Und so werden die Gummihandschuhe zum Manifest für einen responsablen Umgang mit Menschen und dem Nicht-Menschlichen. J. G. Im Verlauf des Projekts haben wir Kompliz*innen gefunden, die unsere Er- zählung aufgenommen und weitergedacht haben. Für das vorliegende Heft haben wir sie gefragt, ob sie unseren Versuch eines artenübergreifenden Theaters aus ihrer Sicht kommentieren. Kannst du etwas zu den Kompliz*innen sagen? S. D. Wir hatten zu Beginn keine Ahnung von Tauben und wie sie gehalten werden, also haben wir uns Rat beim Taubenzüchter Hans Ganz-Bitsch und der Biologin Iris Scholl geholt. Das waren unsere ersten Kompliz*innen. Sie hatten ihrerseits wieder eigene Interessen am Projekt. Im Verlauf der Zeit sind viele weitere Kompliz*innen dazugekommen, zum Beispiel zwei Mädchen, die in der Nähe der Chorgasse woh- nen und im Taubenschlag ihre Hausaufgaben machen wollten, weil sie sich dort so gut konzentrieren konnten. Oder Besucher*innen wie Anne Linke, die Künstlerin ist und sich schon lange mit taubenfreundlicher Architektur in Städten beschäftigt. Im September und Oktober 2019 proben wir in Dieses Heft dokumentiert «#1 Theater als der Chorgasse des Neumarkts ein «Parlament Taubenschlag». Wir rekonstruieren, befragen, Ein Projekt von Seraina Dür und Jonas Gillmann der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen». Gemeinsam mit 4 Tauben machen wir das lernen neues und verlernen altes Wissen, lassen unsere Kompliz*innen zu Wort kommen und in Zusammenarbeit mit Sara Bernasconi Theater zum Übungsfeld, um Möglichkeiten zeichnen den Prozess des Einübens ins Uns- des Zusammenlebens mit mehr-als-menschli- Verwandtmachen mit Tauben nach. und dem Neumarkt Zürich chen Kompliz*innen zu erproben. 3
1. stellwand pre-enactment Über die Beschäftigung mit der Frage, wer heute im Theater unterrepräsentiert ist, sind wir auf den Kultursoziologen Bruno Latour gestossen. Seine Überlegungen haben uns dazu bewogen, die Frage nach einer verwandtschaft den sogenannten Unterrepräsentierten weiterzudenken. Angefangen bei den Tieren, den Pflanzen, den Pilzen und den Bakterien sind wir bei intelligenten Systemen, Algorithmen und Netzwerken gelandet. Wir haben uns gefragt: Wie kann Verständigung zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen aussehen und in welchen Räumen kann diese Verständigung Von Ketty Ghnassia stattfinden? In dem Sinne wünschen wir uns ein Parlament der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen als einen Ort, an dem artenübergreifende Kommunikation erprobt werden kann. Das Theater machen wir zu diesem Ort. In der 1. Ausgabe des «Parlaments der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen» in der Spielzeit 2019/20 des Theaters Neumarkt Zürich leben und arbeiten wir während zwei Monaten mit vier Stadttauben in der Chorgasse, der Nebenspiel- stätte des Neumarkts. In Zürich werden jährlich 7000 Tauben vom Wildhüter abgeschossen. Wie können wir diesem Geschehen einen Raum gegenüberstellen, der artenübergreifende Gefährt*innenschaft ermöglicht – und wie sieht ein Theater aus, das artenübergreifendes Erzählen zulässt? 1 Vgl. Spivak, Gayatri C.: Im Theater Neumarkt laden Seraina Dür und Jonas Gillmann die Zuschauer*innen Can the Subaltern Speak? ein, eine besondere theatrale Erfahrung zu machen: Verwandtschaft zu spielen mit Postkolonialität und subalterne Artikulation. anderen Menschen und Nicht-Menschen. Verlag Turia + Kant, 2008. Das «Parlament der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen» – Residenz, Installa- 2 Fischer-Lichte, Erika: tion und regelmässiger Lesezirkel – ist weder Theaterstück noch Spektakel; es ist Ästhetik des Performativen. spekulative Fabulation. Die Hauptrollen in der Fabulation bekommen vier von zwei Edition Suhrkamp, 2004. Menschen adoptierte Stadttauben – und wir werden zu Mit-Erzähler*innen der gemeinsamen Fabel bzw. zu artenübergreifenden Verwandten in einer zwei Monate dauernden Aufführung. Jonas und Seraina greifen dabei auf typische Insze- nierungsverfahren des postdramatischen Theaters zurück. Die in der Chorgasse 5 lebenden Stadttauben dieser Fabulation treten in einer ungewöhnlich überschaubaren Zahl auf, als ob sie sich als Standardfamilie insze- nieren würden. Im Rahmen der Lesezirkel spielen sie ein Abendritual. Sie sitzen meistens ruhig und still, nebeneinander auf einer zwei Meter hohen und fünf Zen- timeter breiten Bühne (eine Stellwand im theatralen Wohnzimmer). Vinciane und Camille pflegen ihr Gefieder. Alle vier Tauben machen sich wie Musterkinder selbst- ständig zum Schlafen bereit. Im Laufe der Aufführung verlassen die nichtprofes- sionellen Darsteller*innen den wohnzimmerartigen Taubenschlag, verbringen zum Teil mehrere Nächte ausserhalb des Bühnenbildes und kommen doch immer wieder «nach Hause» zurück. Sind alle Fabeln, die während der zwei Monate erzählt werden, Teil ihrer Selbst- Die Stellwand wird zum Lieblingsort der Tauben. Von hier aus darstellung, obwohl sie von Menschen und nicht von den Tauben selbst erzählt beobachten sie uns beim Arbeiten, Essen und Pausemachen. werden? Könnte es sein, dass die Tauben uns Menschen über sich sprechen lassen, um ihr Schweigen hörbar zu machen? Bringt, das nichtmenschliche Subjekt zu problematisieren, immer die Frage mit sich, wie dieses innerhalb des menschlichen Diskurses repräsentiert wird? 1 Und sind es nicht gerade die unterschiedlichen For- men des «UNS-über-SIE-mit-IHNEN Sprechen-Lassens», die eine neue Verwandt- schaft performativ hervorbringen? Die aus den vorgelesenen Büchern und von allen menschlichen Beteiligten erzählten Erfahrungen und die zum Teil widersprüchlichen Taubenfiguren erzeugen einen Kontrast zwischen Figur und realem Körper der Hauptdarsteller*innen. Die Logik des Sinnlichen ergänzt oder ersetzt dadurch die Logik des Verstands. Die menschli- chen Zuschauer*innen spüren die Präsenz der nicht-menschlichen Darsteller*innen, die ihnen das Vermögen verleihen, sich selbst auf eine besonders intensive Weise gegenwärtig zu fühlen.2 Die verschiedenen, in den zwei Monaten performten Identitäten beider Künstler*- innen (Mensch, Künstler*in, Verwandte, Freund*in, Erzähler*in, Performer*in, Zuschauer*in) überlappen sich, und die Trennung zwischen Performer*in und mit-menschlicher Zuschauer*innen wird im Lauf der Aufführung durchlässig. Diese Durchlässigkeit, zusammen mit der Hervorhebung des menschlichen Körpers, eröffnet die Möglichkeit einer Verwandlung der Zuschauer*innen in Mit-Menschen resp. in erzählende Mit-Performer*innen bzw. in Verwandte. Eine Verwandlung, die auch in den Pausen zwischen Residenz, Installation und Lesezirkel weiterlebt. Und sie wird auch zu ihrem Schlafplatz. 4 5
2. flugklappe einrichten chorgasse Die vier kleinen Tauben bekommen wir von der Biologin Iris Scholl, die die Tauben- schläge in der Stadt Zürich betreut. Andreas Bögli, Luca Brühwiler und Georg Kleinberger vom Neumarkt bauen eine E-Mail an Andreas Bögli Flugklappe, damit die Tauben rein und raus können. Lieber Andreas Wir haben uns in der Zwischenzeit mit einem Taubenzüchter und dem Wildhüter der Stadt getroffen. Im Moment ist es so, dass wir 4 kleine Tauben aus einem Tauben- schlag am Stauffacher holen. Ideal wäre es, wenn wir die Tiere ab dem 15. August 2019 in der Chorgasse halten könnten, damit sie genug Zeit haben, sich an den Raum und an uns zu gewöhnen. Konkret bräuchten wir dafür: · Ein Gestell zum Brüten mit 8 Abteilen, ca. 40 x 40 x 40 cm · Eine Flugklappe für die Tauben, damit sie rein- und rausgehen können. Der Schacht sollte 4-eckig sein, 30 cm hoch, 30 cm breit und 60 cm lang und nach aussen ragen. Am liebsten mit Schieber im Schacht, um diesen in der Nacht zu verschliessen. · Abdeckung, z. B. alter Tanzboden, um den Boden vor der Taubenscheisse zu schützen. · Eine Stellwand, als Schleuse für das Publikum, mit Vorhängen beim Eingang: Die Schleuse dient als Übergangsraum zur Installation, damit die Leute nicht direkt in den Taubenschlag platzen. · Ca. 8 kleine Holzgiebel, die an die Wand geschraubt werden, auf denen die Tauben sitzen können (zwei Bretter 20 x 20 cm) · Dünne Leiste an der Wand, 1 x durchgehend durch den ganzen Raum Liebe Grüsse, Jonas und Seraina Zwei der Jungtauben, die wir von Iris Scholl bekommen. Wir spielen Taubeneltern und geben ihnen Porridge und Wasser aus einer Spritze, warten geduldig, bis sie Federn bekommen und freuen uns über ihre ersten Flugversuche in der Chorgasse. Über die Flugklappe entdecken die Tauben die Stadt. 6 7
3. gummihandschuhe ekel Unsere Tage beginnen mit Reinigungsarbeiten. Von Seraina Dür und Jonas Gillmann Seraina Dür Kannst du dich an den Moment erin- J. G. In der Nacht vor der Eröffnung waren die Tau- nern, als wir in der Chorgasse die vier kleinen Tauben ben draussen und kamen erst am nächsten Morgen aus der Kartonkiste, die uns Iris Scholl mitgegeben wieder zurück. Als sie drinnen waren, wollte ich die hatte, herausgeholt haben? Flugklappe schliessen, damit die Tauben bei der Eröffnung auf jeden Fall da sind. Du hast dann ge- Jonas Gillmann Die Kiste war voll mit Ungeziefer, sagt, jetzt würde ich Zirkus spielen und das Leben und es hat sehr stark gerochen … Und dann diese der Tauben zu kontrollieren beginnen. Für mich war vier nackten Tauben, sie hatten ja noch keine Fe- das ein Moment, in dem ich etwas über Verwandt- dern: Für mich war das ein kleiner Schockmoment. schaft gelernt habe. Es geht um eine Verbindung Wir haben uns dann zu Beginn der Residenz gefragt, zwischen mir und den Tauben, die nicht auf Kontrolle was wir tun können, damit wir selbst nicht zu Tauben beruht. Aber auf was dann? werden. War das eine reale Angst von dir? S. D. Vielleicht auf Empathie? Klar, ich weiss, dass S. D. Bevor ich mit dem Projekt begonnen habe, ich Mensch bin und Taube Taube und dass Mensch fand ich Stadttauben eklig. Ich mochte es nicht, einen anderen Körper hat, anders denkt und anders wenn sie auf meinem Balkon nisten, oder wenn sie auf die Welt schaut als Taube. Aber dadurch, dass meine Nähe suchen, wenn ich auf einer Parkbank ich mit den Tauben den Raum teile, bekomme ich ein ein Brötchen esse. Die Tauben aber sagen: Ich fühle Gefühl für sie, für ihren Körper, ihren Rhythmus, ihre mich wohl auf deinem Balkon und in deiner Nähe, ich Vorlieben, ihr Sein in der Welt. Über das Zusammen- bin Teil deiner Stadt – ich empfand das als Grenz- leben habe ich gemerkt, ob es den Tauben gut geht, überschreitung. Ich wollte diese Nähe nicht. Später ob sie gestresst oder entspannt sind. Verwandt- fand ich es verletzend, wenn ich gemerkt habe, dass schaft ist für mich das Eingehen einer Verbindung. andere Menschen mich eklig finden, weil ich mit Das bedeutet, mich in Verbindung mit Taube zu den- Tauben zusammenlebe. ken, mein Handeln nach den Tauben zu richten und zu verändern. In der Chorgasse haben wir uns ihrem J. G. Umgetrieben hat uns von Beginn an auch die Wach- und Schlaf-Rhythmus angepasst, wir haben Wir haben Angst, krank zu werden. Die kleinen Tauben sind voller Zecken und Milben, wir geben ihnen Tropfen dagegen. Frage, was wir mit den Tauben nach dem Projekt uns aufeinander eingeschaukelt. machen. Du hast die Idee aufgebracht, dass wir sie am Ende töten könnten. Es ging dir darum, ehrlich zu bleiben und keine Harmonie vorzugaukeln, wo es keine Harmonie gibt; in Zürich werden ja jährlich 7000 Tauben abgeschossen, um den Bestand zu regulieren. Wenn wir diese Möglichkeit erzählt haben, hat das immer Empörung ausgelöst. Was denkst du, woher kam diese Empörung? S. D. Eine Besucherin, der ich erzählt habe, dass es für mich eine Option ist, die Tauben am Ende zu töten, hat sich in Rage geredet und gesagt, ich sei eine Mörderin. Ich hätte die Tauben schliesslich aufgezogen, gepflegt und für sie gesorgt. Ich habe entgegnet, dass Landwirt*innen zu ihren Tieren teil- weise auch eine liebevolle Beziehung haben, dass sie die Tiere aufziehen, pflegen – und irgendwann töten. Aber sie meinte, ich sei eine Medea. Ich glaube, wenn du ihr dasselbe erzählt hättest, hätte sie nicht so reagiert. J. G. Das hat bestimmt mit Geschlecht zu tun, als Mann kann ich viel eher sagen, dass ich die Tauben töten werde – Töten und Männlichkeit sind keine Gegensätze. S. D. Später wollten wir uns mit den Tauben ver- Abends riechen unsere Kleider und Haare nach Taube, und wir fragen uns: Was können wir machen, damit wir nicht zur Taube werden? wandt machen. Woher kam dieser Wechsel? 8 9
4. katzenkiste bewegliches inventar Wir füttern die Jungtauben mit Porridge, zu Beginn verweigern sie das Futter. Iris Scholl besucht uns in der Chorgasse, sie bringt Hirsekörner, die Tauben beginnen zu essen. Iris Scholl sagt, die Taube Gespräch mit Iris Scholl fühlt sich angegriffen, wenn wir sie direkt anschauen, dann denkt die Taube wir seien ein Marder oder Hund. Wir suchen nach Möglichkeiten, wie wir mit den Tauben sein können, ohne sie direkt anzusprechen. Jonas Gillmann Iris, wie stellst du dir die ideale I. S. Es geht darum, zu erspüren, wie ein Tier funk- Beziehung zwischen Menschen und Stadttauben vor? tioniert. Es gibt immer wieder Menschen, die das wirklich erfassen, die einen Faden haben zu Tieren. Iris Scholl Es kommt drauf an, wie viel du von den Tauben sehen willst. J. G. Manchmal, wie beim zweiten Schlag im Haupt- bahnhof, ist es aber offenbar auch ein Raten? J. G. In der Chorgasse erklären wir das Theater zum Taubenschlag, es ist der Versuch, den Raum I. S. Aber im Raten beginne ich mir Gedanken zu den Tauben erst mal ganz zu überlassen. machen. Ich beginne Erklärungen zu suchen. I. S. Zu sagen, dass das Theater ein Taubenschlag J. G. In der Chorgasse kann ich teilhaben, wie die sei, ist das eine. Ihr habt aber trotzdem eure Möblie- Tauben untereinander interagieren; und ich kann rung drin. Ihr teilt mit ihnen den Raum. teilhaben, wie sich die Beziehung zwischen Seraina und den Tauben entwickelt. Ich habe viele Möglich- J. G. Was genau teilen wir? keiten zu lernen. I. S. Ihr könnt teilhaben, wie sich die Beziehun- I. S. Das ist zwangsläufig so. Die Tauben haben auch gen unter den Tauben entwickeln. Ihr erlebt, wie keine andere Wahl, sie können dich ja nicht aus- sie gross werden, wie sie lernen auszufliegen und schliessen, wenn du in ihrem Schlag sitzt. Aber sie zurückzukommen – oder auch nicht – ihr seht Inter- vertrauen dir so weit, dass sie sich so verhalten, aktionen zwischen den Tauben. Das stellt Nähe her. wie sie sich auch ohne dich verhalten würden. Von Anna Cordasco und Barbara Muff vom Institut für Textiles Forschen Basel lernen wir textile Techniken, denen wir parallel zu J. G. Vorhin waren wir im Taubenschlag am Haupt- J. G. Artikulieren die Tauben Vertrauen, wenn sie am dem Sein mit den Tauben im selben Raum nachgehen. bahnhof. Demnächst wird es ein Gerüst um den Abend zurückkommen? Bahnhof geben. Du hast erzählt, es sei gut möglich, dass die Tauben den Schlag dann nicht mehr be- I. S. Vielleicht. Aber du kannst auch sagen: Die nutzen werden. Wenn der Schwarm aus dem Schlag Taube macht einfach das, was für sie im Moment vertrieben wird: Wird es dir gelingen, ihn woanders stimmt. Du bist Zugabe. Du bist Inventar im Tauben- neu anzusiedeln? schlag. I. S. Nach meiner Erfahrung nicht. Die Tauben J. G. Sie denkt also nicht: Dem vertraue ich? suchen sich selbst die Plätze, wo sie am wohlsten sind. Im Hauptbahnhof gibt es einen zweiten Schlag, I. S. Nein. mit einem Eingang von der Haupthalle her – der wird aber praktisch nicht genutzt. Ich habe dort J. G. Das will nur ich sehen? junge Tauben angewöhnt, das hat nichts gebracht, und ich habe ab Band das Betteln von Jungtauben I. S. Ja. Du bist Inventar, würde ich mal behaupten. abgespielt, auch das hat nichts gebracht. Aber bewegliches, und so weit freundliches, und du gibst auch noch Futter und Wasser. J. G. Hast du da also die Tauben nicht gut genug verstanden? J.G. Lacht. Ich bin bewegliches Inventar. Und der Rest ist Projektion? I. S. Ja, ich kann mich nicht gut genug in Stadttau- ben einfühlen, um mit Sicherheit zu sagen, welches I.S. Aber nur von dir auf die Taube! Umgekehrt ein guter Platz für sie ist. weniger. Den Unterteil einer alten Katzenkiste füllen wir mit Wasser und machen den Tauben so ein Badebecken. Tauben baden gerne, sie machen das immer zu viert und legen sich danach klitschnass J. G. Wie kann ich mich überhaupt in Stadttauben J. G. Ausser, dass sie auf mich Inventar projiziert. ins Licht der Scheinwerfer, um sich wieder aufzuwärmen. einfühlen? Das stimmt so ja auch nicht ganz. 10 11
5. tisch pigeon reading group Jeden zweiten Dienstagabend lesen wir zusammen mit Besucher*innen Texte von, mit und über Tauben. Das gemeinsame Denken verändert unsere Sicht auf unsere Arbeit, auf die Tauben, auf uns, auf unsere Von Sara Bernasconi und Mario Wimmer Beziehungen zu den Nicht-Menschlichen. Neue Denkräume tun sich auf und verändern unser Handeln, unsere künstleri- sche Praxis. 1 Amir, Fahim: Schwein und Kurz vor 19 Uhr stehen Seraina, Jonas und ich, Sara, vor der Chorgasse 5 und neh- Zeit. Tiere, Politik, Revolte. men die Mitleser*innen in Empfang. Im September und Oktober 2019 veranstalten Nautilus Flugschrift, 2018. wir vier Mal die Pigeon Reading Group. Draussen führen Seraina und Jonas ins 2 Haraway, Donna: Unruhig «Parlament der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen» ein. Ein klein wenig Thea- bleiben. Die Verwandtschaft ter, das sich wiederholt. Vorsichtig betreten wir den Menschen-und-Taubenschlag. der Arten im Chthuluzän. Alles Putzen kann dem verschmutzten Raum die Versehrtheit nicht nehmen. Die Campus Verlag, 2018. gemeinsam geatmete Luft ist dünn, die Holzstühle, auf die wir uns um einen langen 3 Lowenhaupt-Tsing, Anna: Tisch setzen, sind fragil. Das Herz flattert. Der Pilz am Ende der Welt. Die Tauben befinden sich nicht in den für sie gefertigten Nischen, sie haben für sich Über das Leben in den selbst einen Hochsitz auf einer Stellwand über der Tür gefunden. Von da oben gibt Ruinen des Kapitalismus. es keine unbeobachtete Ecke und schon gar keinen unbemerkten Ausgang. Durch Verlag Matthes & Seitz, das Flugloch passen keine Menschen. 2018. Ich habe es übernommen, die Lesegruppe zu moderieren, jede*r sagt einen ersten Satz darüber, was sie/ihn hergelockt hat. Mal sind es zwölf, maximal fünfzehn Leser*innen, zwei oder drei werden jeweils wiederkommen. Nur die Tauben sind immer da. Woche für Woche kehren sie von ihren langen Tagen in der Stadt zurück in die Chorgasse. Mögen sie das Vorlesen vor dem Einschlafen? «Bitte lasst uns so reden, dass auch die Tauben zuhören mögen.» Wir gehen nach dem Prinzip des Shared Reading vor und lesen Auszüge aus «Schwein und Zeit» 1 , «Unruhig bleiben» 2 und zum Abschluss «Der Pilz am Ende der Welt» 3. Abwechselnd lesen und reden wir rund 90 Minuten lang. Ein Rhythmus von lesen und lassen entsteht, eintauchen und sich weiten – bis zu den Tauben hoch. Im pulsierenden Denkraum trägt auch wer nur mithört etwas Wichtiges bei. Redend und zuhörend vervielfachen wir uns in der Abenddämmerung über die eigenen Vorstellungen hinaus. Das Ende kommt von alleine, federnd und offen. In «Der Pilz am Ende der Welt» geht es um den Matsutake-Pilz. Ihm folgte die Ethnologin Anna Lowenhaupt Tsing einmal um die Nordhalbkugel des Globus, Während wir lesen, sitzen die Tauben auf der Stellwand. Sie schlafen, wo der Pilz bis heute vorwiegend auf den Ruinen des Kapitalismus spriesst. Der putzen ihr Gefieder, beobachten uns und bringen sich ab und zu mit Matsutake ist nicht kultivierbar. Er wächst nur an unwirtlichen Orten, in einer von einem Gurren oder Geflatter ein. Menschen zerstörten Umwelt. Zwischen diesen Orten entsteht ein Beziehungs- geflecht, das Lowenhaupt Tsing in einem sprunghaften Essay darzustellen versucht. Der Text wird nicht in gelehrter Tradition in der Stille der Individualität gelesen oder auf der Bühne deklamiert; er wird gemeinsam und laut für und mit anderen gelesen und erhält neue, vielfältige Stimmen. Die sich von Mal zu Mal wandelnde Lese- gruppe bildet ein Theater ohne Zuschauer*innen. Diese Konstellation nimmt nicht nur längst vergessene, bürgerliche Lesegewohnheiten wieder auf und schliesst an Lesestrategien der Arbeiter*innenbewegung an, sondern führt vor allem vor, dass ein Theater ohne Zuschauer*innen auf neue Weise Funktionen übernehmen kann, die bislang dem akademischen oder politischen Diskurs vorbehalten waren. Der postapokalyptische Optimismus im Text von Anna Lowenhaupt Tsing stimmt nachdenklich und doch öffnet er neue Möglichkeiten, das Verhältnis von Ver- gangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken. Wie bei Donna Haraway ist die Vorstellung der Einheit von Geschichte und Gesellschaft aufgegeben. Stattdessen erscheinen multiple Zukunftsentwürfe, gleichzeitig und gleichberechtigt. Unbe- zähmbar wie die Matsutake-Pilze öffnet die Vorstellung von Zukunftsentwürfen im Plural den Blick dafür, dass auch Vergangenheit und Gegenwart als kontingente Momente jenseits einer hegemonialen Fortschrittserzählung gesehen werden können. Auch mögen sie unsere Sachen, sie setzen sich auf den Tisch, die noch warme Herdplatte, das Sofa und unsere Computer. Sie mögen auch unser Essen. Die Dinge, die wir für sie gebaut haben, wie z. B. Leisten, Sitzwinkel und Brutgestell ignorieren sie. Also stellen wir unsere Bücher in ihr Brutgestell. 12 13
6. bücher 7. ringe Wir legen eine Sammlung an zu Tauben und zum Verhältnis von Mensch und Nicht-Menschlichem. Die Ringe, die wir den Tauben um die Fussgelenke machen, bedeuten für den Wildhüter, dass sie jemandem (uns!) gehören und er sie nicht abschiessen darf. tauben sehen Von Anne Linke Im Film «WARSCHAUER TAUBEN» von Henryk Bielski aus dem Jahr 1989 zieht der Protagonist Wacław Kaczmarski mit seiner Familie von einem ländlichen Vorort Warschaus in eine neu gebaute Hochhaussiedlung. Er ist leidenschaftlicher Taubenzüchter in dritter Generation und nimmt seine Tauben mit in die neue Wohnung. Der auf dem Balkon installierte Tauben- schlag im 14. Stockwerk sorgt schnell für Aufruhr bei den Nachbar*innen des Apartmentblocks. Sie nehmen die Tauben als Störung wahr: Sie seien Wir schreiben Donna Haraway Und hier noch die Buchemp- und schicken ihr ein Bild von fehlungen von Taube Camille schmutzig und würden stinken. einer Taube auf ihrem Buch. und Taube Bruno: «This Book Sie antwortet: «Wonderful! I’d is Yours. Recipes for artistic Was bedeutet es, städtische Strukturen aus der Perspektive von non- love to meet those pigeons. collaboration» von Sally De They were very cooperative in Kunst. Und: «Arts of Living human animals zu betrachten? Stadttauben machen sich den urbanen sitting for portraits on the on a Damaged Planet» von Raum zu eigen, sie gestalten und bebauen ihn trotz omnipräsenter correct books! All good things Anna Tsing et. al. to you, Donna.» Massnahmen, die gegen sie errichtet werden. Mein Film «PIGEONS AND ARCHITECTURE» nimmt ihren Gestaltungswillen in den Blick. Er nähert Mit den Ringen bekommen die Tauben Namen. Donna Haraway sich den Tauben als Akteur*innen des öffentlichen Raums und ihrer Per- schreibt, dass Tiere anrufbar spektive auf die urbane Umgebung. sein müssen, damit eine re- sponsable Beziehung zwischen lieblingsautor*innen Mensch und Tier gelingen kann. In der menschlichen Reaktion auf Tauben zeigen sich gesellschaftlich geprägte Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, soziale Normen, Von Barbara Ellenberger Hierarchien und implizite Wertungen. Ein Taubenschlag auf einem Balkon verdeutlicht gewisse Regeln des urbanen Raumes, des Wohnens und des Zusammenlebens und bringt diese gleichzeitig ins Wanken. In 1 Coccia, Emanuele: Die Wir müssen die Pflanze vom Blatt her denken, meint Emanuele Coccia 1. Das Blatt «WARSCHAUER TAUBEN» bringt eine Nachbarin Wacław wegen seines Wurzeln der Welt. Eine ist die Pflanze. Seit ihrem Landgang tüftelt sie an ihrer Form, bastelt sie an ihrer Taubenschlages letztendlich vor Gericht. Im Film zeichnet sich bereits Philosophie der Pflanzen. Ende der 1980er-Jahre eine menschlich-soziale Ablehnung der Tauben ab, Hanser Verlag, 2018. Struktur, damit das Blatt mühelos, ohne Muskeln und ohne fliegen zu können, in der Luft hängen kann und dort, verbunden mit den Gestirnen, die Atmosphäre herstellt noch weit vor den heute geltenden Gesetzesentwürfen zum Umgang mit 2 Morton, Thimothy: Ökolo- und Leben schafft. Wir aber stehen in der Welt wie in einem Supermarkt, strecken diesen Tieren. Das Schweizer Tierschutzgesetz zum Beispiel klassifiziert gisch sein. Verlag Matthes den Arm aus und bedienen uns, sagt Timothy Morton 2. Je mehr Timothy Morton, die Stadttauben als Wildtiere und regelt – und erlaubt damit auch – ihre & Seitz, 2019. desto lieber. Er geht von sich aus, von seiner Verletzlichkeit, seinem Verwirrtsein Tötung. 3 Haraway, Donna: Story und Überwältigtwerden. Es ist, als ob sich mein System – von seinen Gedanken- Telling for Earthly Survival. strömen durchzogen, in Unruhe und Bewegung versetzt – transformieren würde. So Als vermeintliche Störer*innen der öffentlichen Ordnung gelten auch Regie/Drehbuch: Fabrizio ist es ganz neu für mich, dass die Summe von etwas nie mehr ist als ihre Teile. Ganz Menschen, welche Tauben füttern. In vielen Städten wird das Füttern durch Terranova, Belgien, 2016, im Gegenteil, sie ist immer weniger. Fünf Finger sind fünf verschiedene Finger und 81 min. Verbote kriminalisiert. In meinem Film «PIGEONS AND ARCHITECTURE» eine Hand ist eine Hand. Und ich glaube, es geht darum, zu akzeptieren, dass weder ich noch das, was mich umgibt, nur aus einem, aus meinem Blickwinkel, gesehen ist die Erzählerin eine Taubenfrau. Für sie ist der mit den Tauben geteilte und begriffen werden kann und vor allem darum, dass sich aus ontologischer Per- gemeinsame Raum die gesamte Stadt. Obwohl Tauben an den sichtbarsten spektive kein Teil über ein anderes erheben kann. Und da holt mich Donna Haraway 3 Orten der Städte leben, sind wir gewohnt, an ihnen vorbeizugehen. Bahn- ab. Ihre Lebendigkeit, ihr Witz, ihre Freude am Erzählen, ihre lebendigen Hände, höfe, Innenstadtpassagen und Unterführungen sind gezeichnet von Spuren wenn sie spricht. Und mit ihr stehe ich in der «thick presence», in einer «dicken, Ab jetzt also: Die rot-rot be- der Tauben. Dem alltäglichen Übersehen arbeitet der Film entgegen. zähflüssigen Gegenwart», einem «Jetzt» als Praxis und Prozess, in dem wir nicht ringte Taube heisst Iris, nach Durch die präzise Beobachtung liegt der Fokus auf den Tieren und ihren unserer Komplizin Iris Scholl, auf die Vergangenheit zurückgreifen können und auch keine klare Vorstellung von Taube weiss-gelb ist Vinciane, spezifischen Umgangsweisen mit dem urbanen Raum. Es zeigen sich ihre der Zukunft haben – aber die Möglichkeit, «Oddkin», seltsame Verwandtschaften, nach Vinciane Despret, die das Habitate, ihre Spuren und ihr Widerstand. zu bilden. Und mit allen anderen Lebewesen verbündet und aus diesen Verbin- Buch «Was würden Tiere sagen, würden wir ihnen die richtigen dungen heraus, können wir von Moment zu Moment handeln und uns «Geschichten Fragen stellen?» geschrieben vom irdischen Überleben erzählen» als «Praxis der Fürsorge und als Reaktion in hat, rot-weiss ist Camille, nach der sich laufend transformierenden Mehrartenwelt auf einer verwundeten Erde», einer Figur aus Donna Haraways Buch «Unruhig Bleiben», einem wo die Pflanzen weiterhin an ihren Strukturen basteln und Lebensgrundlagen zur Mischwesen zwischen Monarch- Verfügung stellen ... falter und Mensch, rot-gelb ist Bruno, nach Bruno Latour. 14 15
8. tragtasche 9. sauerkraut Wir suchen nach Erzählformen, die aus dem zeitlich begrenzten Zusammenleben eine Geschichte machen, die weiterträgt. Uns inspiriert die Tragtaschen-Theorie der Science-Fiction-Autorin Ursula Le Guin, Wir setzen Kombucha und Kefir an und teilen es mit all unseren Gefährt*innen, die, anstatt der Waffe, die Tragtasche zum Transportieren von Nahrung als das erste menschliche Werkzeug ansieht. den Tauben und unseren Gästen. Unsere Mägen beheimaten ab jetzt die gleichen Bakterien. Es ist ein Versuch, uns dadurch Den Unterschied macht die Erzählung: Im Gegensatz zur Heldengeschichte, die in der Form des Pfeiles erzählt wird, wo mit den Tauben und Besucher*innen verwandt zu machen. dieser das Ziel trifft, tötet und so einen Helden gebiert, verlässt Le Guin in ihrer Tragtaschen-Theorie die zeitlich-lineare, pfeilartige Erzählweise und plädiert für eine kreisförmige, mäandernde Narration. Wie geht Erzählen, wenn wir Strick- und Entwirrungsversuche. mittendrin sind? Involvieren wir andere, um zu zeigen, wie verstrickt wir selbst sind? aufruf für eine collective governance Von Sally De Kunst Unser Alltag, eine ständige Wir lesen, dass Pilze zwischen 1 Raunig, Gerald: „Occupy In Zeiten der multiplen Krisen dürfen Kunstinstitutionen nicht einfach weiter- Interaktion zwischen den Arten, den Arten kommunizieren kön- the Theater, Molecularize machen, als ob Kunst «business as usual» wäre, behauptet der Philosoph Gerald so beim Sauerkraut (Kohl + nen. Wir wollen das auch, und the Museum“. In: Steirischer Herbst, Malzacher, Florian Raunig in einem Essay über die Neu-Erfindung der (Kunst-)Institution als Commons.1 Milchsäurebakterien), welches so lesen wir Anna Lowenhaupt uns ein Gefährte in der Chor- Tsing und essen frittierte Pilze. (eds.): Truth Is Concrete. In den privilegierten Regionen Europas und vor allem aus der Perspektive der Kunst gasse vorbeibringt. A Handbook for Artistic als einer ihrer privilegiertesten Sektoren, sollen wir uns mit der Konzeption und der Strategies in Real Politics. Instituierung von anderen Welten beschäftigen. Dies bedeutet nicht das Durch- Sternberg Press, 2014, S. 76. führen von spektakulären einmaligen Aktionen, sondern vielmehr eine langsame, aber beharrliche Umwandlung der Institution von innen. Gemeinsames Ziel aller Handlungen sollen die soziale Kohäsion und der zivile Ak- tivismus sein – nicht nur repräsentiert in der Programmierung und den künstle- kommensalien rischen Projekten, sondern auch im Alltag der Institutionen. Um dies zu erreichen, sollen wir neue, agile Organisationsmodelle finden – inspiriert an soziokratischen Von Ueli Kappeler und künstlerischen Strategien und indem wir die wichtigen Fragen mit einer «Do it together»-Attitude stellen. Wir müssen berücksichtigen, dass Kunstinstitutionen Parlament der Milchsàurebakterien // Parlamento por laktaj acidaj bakterioj fluide, ko-konstruierte Projekte sind, die im Kontext verschiedener Beziehungen Sie kônnen auch Ihre Mutter anrufen, um mit Wacholder auf Zehenspitzen zu entstehen, immer wieder wechselnden Bedingungen unterworfen sind und unter- narben, weil sie sich wie ein Ginton anfühlt und mit Gewürzen überhàuft. Schmeckt schiedliche Zielgruppen ansprechen. Ende august so weniger gut wie Tomatensalat, ist aber am Silvesterabend besser als Erdbeeren. Wir sollten Künstler*innen, Mitarbeiter*innen, Expert*innen und andere Beteiligte Schlüsselwort ECHTES Kochen > hashtag AUTENTICKá kuchyně (french:cuisine) einladen, zusammen, auf Augenhöhe nachhaltige, kollaborative Prozesse zu ent- Krautrocks erster Hut ist zu der zeit nicht steinig, aber der Deutsche mann hat eine wickeln mit dem Ziel, eine strukturierte Collective Governance zu erschaffen: für andere Farbe wenn das pun pun auf dieser Seite noch gespeichert ist !!!! das gemeinsame Schaffen, für die kollektive Entscheidungsfindung und für eine letztes mal !!!! transparente Kommunikation, geprägt von den gemeinsamen Überzeugungen im moment sehr schwer: und einem gemeinsamen Vokabular. RüDIGER UND HANNELORE stammten aus Leipzig, einem Busfahrer, der Kranken- schwester war, obwohl sie KRAUTS genannt werden, die nicht behaupten, in diesem Die Antwort auf die Fragen der Dekolonisierung der Kunstinstitutionen ist nicht dia- Land amerikanischer als ETHNIC SLUR zu sein (Tag Hannelore hat Helmut Kohl lektisch – wie sie oft wahrgenommen wird, sondern sollte multiple, intersektionale gefàrbt, indem er seine Frau geschlagen hat) Perspektiven anerkennen und deren Integration in die Organisationsentwicklung. Fur mich war es mehr mit BALKANS verbunden. Die Nachbarn des Kosovo hatten Die zukünftigen Kunstinstitutionen sind lernende Organisationen, die ihre alten immer eine Tôpferei im Keller, aber sie zogen nach Rümlang, weil die Wohnungen Hierarchien und Strukturen hinter sich lassen und offen sind für eine kontinuierliche für den gleichen Geld Betrag grôßzer sind. Transformation im Dialog mit allen Beteiligten. 16 17
10. kompost vermischung Täglich kratzen wir mit einem Spachtel beachtliche Mengen Taubenscheisse vom Boden. Wir beschliessen, einen Indoorkompost anzulegen, wo wir die Taubenscheisse und unsere eigenen Abfälle Von Mario Wimmer entsorgen. Auf eine ähnliche Idee treffen wir bei Donna Haraway. Sie sagt, wir müssen anerkennen, dass wir alle beschädigt und miteinander verwoben sind – wir sind Kompost – und jetzt lasst uns überlegen, wie wir zusammen leben und sterben wollen. 1 Douglas, Mary: Purity and Die Kulturanthropologin Mary Douglas definierte Schmutz als «Zeug am falschen Danger: An Analysis of the Ort».1 Dementsprechend liegt unseren Ordnungsvorstellungen eine intime symboli- Concepts of Pullution and Taboo. Routlege, 1966 sche Geografie zugrunde. In der Chorgasse 5 teilen für einige Wochen nicht nur (dt. 1985). Menschen und Tauben einen Raum, auch der Kompost häuft sich in einer Ecke offen, Schicht für Schicht, mit jedem Tag ein wenig an. Organische Abfälle treffen auf Taubenscheisse. Dazwischen leben Mikroorganismen und eigens dafür ge- kaufte Regenwürmer friedlich nebeneinander. Beim Kompost geht es ums Eingemachte. Das Verrottete liegt irgendwo zwischen dem Rohen und dem Gekochten, nicht ganz Natur und doch nicht Kultur. Verläuft der Prozess kontrolliert, so entstehen Delikatessen: Sauerteigbrot und Käse und Bohnen, Alkohol und Essig, Kimchi und Sauerkraut. Das Verrotten, das Fermentie- ren und auch das Kompostieren liegen im «kulinarischen Dreieck», im Zwischen- bereich von Natur und Kultur, dem vermeintlich Fremden und dem allzu Bekannten. Organische Materie wird durch Bakterien, Pilze oder Enzyme in neue Zustände überführt. «Wir sind alle Kompost», schreibt Donna Haraway in «Staying with the Trouble». Mit ironischer Distanz blickt sie auf das menschliche Dasein. Sie hebt die Vorstel- lung auf, der Mensch stünde im Mittelpunkt von Kultur, und schlägt stattdessen ein Bild vor, das den Erdboden und den Menschen nicht gleichsetzt, sondern zusammendenkt. In ihrem Universum existieren menschliche und nicht-mensch- liche Lebewesen – Maschinen, Tiere, Organismen – gleichberechtigt nebenein- ander. Sie spricht von critters, der umgangssprachlichen amerikanischen Abkür- zung für creatures, die nicht zuletzt auch die Welt der Science-Fiction bevölkern. Unser Indoorkompost heisst WormUp, Camille mag die Hirsesprösslinge, Wenn Haraway die menschliche Existenz aus dem Zentrum rückt, will sie damit die aus ihm wachsen. nicht die Verantwortung von Menschen für ihre Umwelt delegieren. Sie lädt vielmehr dazu ein, sich responsable zu zeigen: verantwortlich, gesprächsbereit, im Austausch, zugeneigt und offen anderen gegenüber. Das verletzt die herge- brachten Ordnungsvorstellungen und nimmt uns alle in die Verantwortung. We have to stay with the trouble, denn der ist nicht nur durch die Menschen verursacht, wie es die Debatte um das Anthropozän vertritt, sondern die Schwierigkeiten und das Durcheinander sind schon vor uns da gewesen. Die Tradition gärt, die Gegenwart steht gegenüber der Vergangenheit in einer Art Verwesungsprozess. Und es ist genau da, wo Haraways Denken einer neuen Form politischen Handelns einsetzt. Es geht ihr nicht einfach um Solidarität, vielmehr gilt es, die Vermischung anzuer- kennen, anstatt kulturelle Reinheitsgebote durchzusetzen. WormUp ist das Zuhause von 6000 Würmern und etwas weniger Asseln. Durch deren Körper wandert unser Abfall und Taubenmist und wird so zu feinstem Humus. In ihm ziehen wir Spinatsetzlinge, die wir uns mit den Tauben teilen. 18 19
11. tauben 12. mobiler taubenschlag Einzelne Stränge unserer Erzählung werden von den Kompliz*innen aufgenommen, Nach zwei Monaten Chorgasse verstehen wir uns als artenübergreifende Company. Wir weitergedacht und weitererzählt. Wir lassen den Erzählungen ihren Lauf. Wir bekommen Bilder zugeschickt von Tauben nehmen Vinciane, Camille, Bruno und Iris in der Katzenkiste mit nach Basel und bauen in Jonas’ Estrich einen Taubenschlag. mit Brotkränzen um den Hals, von Tauben, die von Kriegsdenkmälern Papierblumen stehlen und daraus Nester bauen, bekommen Bastelanleitungen für Taubenschuhe oder Bilder von Tauben in Amsterdam, die Strassenbahn fahren. Auch hören wir von kranken Tauben, die Hilfe brauchen und die plötzlich Kompliz*innen finden unter den Besucher*innen unser- er Installation. Daniele Muscionico schreibt einen Artikel in der NZZ und nennt den Versuch, Theater als Taubenschlag zu denken, «Science-Fiction für heute». Vinciane Despret antwortet auf unsere E-Mail: «Dear Jonas, Seraina, Iris, Vinciane, Bruno and Camille. Many thanks for these wonderful news. I love the idea of living and flying in a theatre with some of Drei Wochen lang müssen die my best friends. My new book should probably had some feelings of what was happening there. It is called . I did not know, while writing, how right I was! Best, Vinciane». sie sich an den neuen Ort gewöhnen. Dann öffnen wir die Flugklappe: Die Tauben fliegen weg und kommen nicht mehr zurück. Nastasia Louveau besucht uns in der Chorgasse, sie malt die Tauben an die Wand. Besucher*innen verwechseln Nastasias Tauben mit den «echten» Tauben. Wir beschliessen, das so nicht auf uns sitzen zu lassen, und suchen Rat bei Hans Ganz-Bitsch, Komplize und amtierender Europameister im Sporttaubenfliegen. An seinem Wohnort in Rorbas zeigt er uns seinen selbst gebastelten mo- Der Künstler Birender Yadav bilen Taubenschlag, mit dem er zeichnet ebenfalls unsere Tau- seine Tauben zu den Wett- ben. Als Seraina ein paar Monate kämpfen mitnimmt. Damit später in Delhi ist, treffen sie könnte es klappen, meint er: sich erneut, und Birender zeigt «Gewöhnt sie an den mobilen ihr die Tauben, die vor seinem Taubenschlag, dann könnt ihr Fenster wohnen. mit den Tauben auf Tournee.» Ja, wir wollen zur ersten artenüber- greifenden Theaterkompagnie werden. Danke für den Tipp. und wir erzählen weiter Von Seraina Dür und Jonas Gillmann neighbourhood Von Hans Ganz-Bitsch bekommen wir vier neue Tauben, sogenannte Dropper. Von Birender Kumar Yadav Das sind die Tauben, die bei den Wettkämpfen die Sporttauben vom Himmel in den Schlag zurückholen. Es sind vier alt gewordene Männchen, die nicht mehr einsatzfähig sind und mit denen wir nun einiges verlernen, was die Beziehung When consciousness connects, relationship grows. Whether human, animal or bird, zwischen Mensch und Nicht-Mensch anbelangt, und wollen anderes neu finden. co-existence is the manifestation of sweetness in a relationship. To be in relation- ship means to respect the space of the other. In my studio in Delhi I have been living In der 2. Ausgabe von «Parlament der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen» with a pigeon family for three years. I have created a soft corner for the neighbour- erklären wir das Theater zum Agilitypark, der helfen soll, uns in die Beziehungen ing bird family. I keep my windows closed to protect them from other birds. I watch mit den Nicht-Menschlichen einzuüben. Mit Kommunikations-Kit, mobilem them growing, making love and extending the family. These are human emotions. Taubenschlag, Séancen und Reading Groups arbeiten wir an Erzählungen für ein When I saw the pigeon family in Zurich, I was immediately connected. Suddenly I zukünftiges, weniger anthropozentrisches Zusammenleben, das den komplexen began to miss my neighbour. «The pigeon family». In them I found my neighbour. Verstrickungen in einer beschädigten Welt Rechnung und Sorge trägt. 20 21
kurzbiografien impressum Seraina Dürs Arbeiten entstehen an der Schnitt- Jérôme Bel zuständig. 2016 schloss sie einen MA in Herausgeber*innen stelle zwischen Theater, Performance und bildender Cultural and Media Studies an der ZHdK ab. Seitdem Seraina Dür und Jonas Gillmann im Auftrag der Theater am Neumarkt AG Kunst. Sie gehen der Frage nach, wie Gemein- ist sie freischaffende Dramaturgin (u. a. mit Cosima schaften, auch Nicht-Menschliche, anhand von Grand, Corsin Gaudenz und Nele Jahnke/Theater Konzept und Realisation künstlerischen Prozessen gestärkt werden können. HORA) und mit der cie la mêlée Produzentin eigener Seraina Dür und Jonas Gillmann in Zusammen- Dafür sucht sie nach Settings, in denen Teilhabe Projekte. arbeit mit Sara Bernasconi durch unterschiedlichste Akteur*innen möglich wird. Redaktion Ihre Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass das Ueli Kappeler, geboren 1976 in Winterthur, seit Sara Bernasconi, Seraina Dür, Jonas Gillmann Publikum den künstlerischen Prozess mitgestaltet 1999 am Theater. Meister für Veranstaltungstechnik, und stetig verändert. Musiker, Hausmann. Gründungsmitglied von Gold- Fotos produktionen, Techniker für freie Gruppen, Beleuch- Thomas Bianca, Seraina Dür, Jonas Gillmann, Jonas Gillmann ist freischaffender Dramaturg ter am Theater Neumarkt, Spielortleiter am Zürcher Cristiano Remo im Bereich Performing Arts und realisiert eigene Theaterspektakel. Synthesizer und Drummaschinen. Beiträge Projekte an der Schnittstelle Performance und 3 Kinder. Sara Bernasconi, Sally De Kunst, Seraina Dür, Installation, die u. a. am Neumarkt Zürich, am Fes- Barbara Ellenberger, Ketty Ghnassia, Jonas tival Belluard Bollwerk International, am Helmhaus Anne Linke ist bildende Künstlerin und lebt in Gillmann, Ueli Kappeler, Birender Kumar Yadav, Zürich und als Artist in Residence der Pro Helvetia Hamburg und Zürich. Sie studierte Fotografie an der Anne Linke, Iris Scholl, Mario Wimmer am Centre for the Less Good Idea in Johannesburg Folkwang Universität der Künste in Essen und Zeit- Korrektorat gezeigt wurden. Er ist Gastdozent am HEAD bezogene Medien an der Hochschule für Bildende Sara Bernasconi, Katharina Nill Genf und war Mitbetreiber des Kunstraums bblack- Künste Hamburg. Ausgehend vom Gedanken einer boxx Basel. jonasgillmann.ch Stadt als urbanem Ökosystem interessiert sie sich Gestaltung für Mensch-Tier-Beziehungen und für feminis- Ahjin Kim, Pascale Lustenberger (tetramorph.studio) Sara Bernasconi, Historikerin und Sprachwissen- tische Perspektiven auf Architektur und Raum. Ihr schaftlerin, forschte und studierte u. a. in Bosnien- Kurzfilm «PIGEONS AND ARCHITECTURE» wurde Druck Herzegowina und Kroatien. Sie ist tätig als Korrek- auf dem European Media Art Festival 2020 mit einer Buchdruckerei A. Schöb torin, Lektorin und freischaffende Textarbeiterin. lobenden Erwähnung vom Verband der Deutschen Sie arbeitet im Schulgarten ihres Wohnquartiers mit. Filmkritik ausgezeichnet. © 2020 für die Texte und Bilder: bei den Autorinnen und Autoren © 2020 Theater am Neumarkt AG Sally De Kunst likes to bring people together and Iris Scholl studierte Psychologie und Zoologie und Alle Rechte vorbehalten build communities of practice around artistic re- setzt sich ununterbrochen für die Vogelwelt im search and collaboration. Over the past years she Siedlungsraum ein, im Speziellen für Gebäudebrüter. Neumarkt developed a keen interest in playing a vital role in Sie betreut die Dohlennistkästen am Grossmünster Neumarkt 5 8001 Zürich re-inventing art organizations from the inside. She sowie die beiden Taubenschläge am Hauptbahnhof +41 (0)44 267 64 64 has been the director of Arc artist residency and Zürich und in der Kirche St. Jakob. theaterneumarkt.ch the Belluard Bollwerk festival. sallydekunst.com / thisbookisyours.com Mario Wimmer unterrichtet Geschichte und Theo- rie der Medien an der Universität Basel. Nach seiner Barbara Ellenberger, Studium der Theater- Promotion in Geschichte an der Universität Bielefeld regie, tätig als Theaterpädagogin, Dramaturgin, war er von 2010 bis 2012 Postdoktorand an der ETH Schauspieldirektorin und Intendantin. Stiftungs- Zürich, anschliessend unterrichtete er bis 2017 an rätin von artsasfoundation – Schweizer Stiftung für der University of California in Berkeley. Er arbeitet Kunst in Konfliktregionen und Verwaltungsrätin der über die Geschichte der modernen Humanwissen- Kosmos-Kultur AG. Aktuell, gemeinsam mit Luzia schaften und interessiert sich dabei insbesondere Schelling, Entwicklung des Projekts KlimaKontor für die Welthaltigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis. Basel – Künstlerische Verhandlungsräume für Zukunftsgestaltung. Das KlimaKontor Basel initiiert Birender Kumar Yadav was born in Ballia, India. übergreifende, partizipative Kunst-Projekte, die He studied Fine Arts at the Banaras Hindu University Basler Institutionen und Akteur*innen aus Kunst, (BA) and with specialisation on painting at the Col- Wissenschaft und Zivilgesellschaft neu vernetzen, lege of Arts New Delhi (MA). His body of works is a um nachhaltige, solidarische und innovative Ant- reflection of his personal experiences and memories worten auf die Klimakrise zu entwickeln. of growing up in a world of coal miners, labourers, and different kinds of workers and is mostly about Ketty Ghnassia war nach ihrem Studium in Sozial- the question of identity, representation, politics of wissenschaften und Kulturmanagement bei ver- class difference, forms of work and making, and schiedenen internationalen Festivals in Paris tätig. issues of oppression and domination of the working Zwischen 2011 und 2016 arbeitete sie im Kernteam classes. des Theaters HORA und ist als Produktionsleiterin u. a. für Disabled Theater des Starchoreografen 22
#2.theater als agilitypark 12. mobiler taubenschlag Ab September 2020 Neumarkt Chorgasse 5, Zürich
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