12/2014 High Frequency Trading aus organisations-soziologischer Perspektive

Die Seite wird erstellt Christian Moser
 
WEITER LESEN
12/2014 High Frequency Trading aus organisations-soziologischer Perspektive
                        Fakultät für Soziologie
       	
  
                           Arbeitsbereich: Organisationen
	
                         Working Paper Reihe „Organisationssoziologische Analysen“	
  
	
  
12/2014
High Frequency Trading aus organisations-
soziologischer Perspektive
Eine Grenzstellen-Verortung
	
  
Rena Schwarting
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld und
Doktorandin an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS)

Abstract
Mit der Einführung technologischer Verbreitungsmedien an Finanzbörsen ist nicht nur die Ge-
schwindigkeit der Informationsbeschaffung, sondern auch die ihrer Weiterverarbeitung zahlungsent-
scheidend geworden. Wie stellen sich moderne Finanzorganisationen auf diese zeitlichen Gefähr-
dungen ein? Der Paper widmet sich dieser abgewandelten Frage Niklas Luhmanns (2004) anhand
einer organisationssoziologischen Spezifizierung der Strukturbedingungen von High Frequency
Trading (HFT). Die These ist, dass HFT eine konditionale Kopplung von drei interorganisatorischen
Grenzstel-len – namentlich der Nachrichtengenese in den Massenmedien, der Ordererzeugung in
Finanzorganisationen und der Orderausführung an den Handelsplattformen – ermöglicht. Diese
Kopplung ist Ausdruck zunehmender Ausdifferenzierung an modernen Finanzmärkten. Als konditio-
nale Programmform erlaubt HFT Zahlungsentscheidungen in einer für organisierte und technische
Marktumwelten besonders sensitiven Weise anzupassen. Insgesamt werden durch den Einsatz von
HFT Zahlungen in sachlicher Hinsicht auf bestimmte Auslöse-Ereignisse beschränkt, zeitlich be-
schleunigt und sozial entpersonalisiert.	
  
	
  
                                                                                 www.uni-bielefeld.de/soz
                       Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   2

Working Paper Reihe „Organisationssoziologische Analysen“
Die Working Paper Reihe „Organisationssoziologische Analysen“ wird vom Arbeitsbereich „Organi-
sationen“ an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld herausgegeben. Die Reihe vereint
Arbeiten, die sich mindestens zwei Herausforderungen stellen. Erstens sind dies Beiträge, die sich
inhaltlich riskanten, weil weitgehend unerschlossenen Themen widmen und damit Fragen jenseits
des soziologischen Mainstreams aufwerfen. Zweitens suchen die AutorInnen gemäß Niklas Luh-
manns kontra-intuitiver Manier Thesen vorzubringen, die neue Sichtweisen auf organisationssozio-
logische Probleme vorstellen.
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   3

1. EINLEITUNG1
Die Verwendung technologischer Verbreitungsmedien an Finanzmärkten ist erst in den
letzten Jahren auf ein sozialwissenschaftliches Forschungsinteresse gestoßen. Zu den be-
kanntesten Promotoren der Enträumlichung von Finanzkommunikation zählen Telegrafie,
Telefonie, Börsenticker und Taschenrechner sowie schließlich die Einführung des Compu-
ters, welcher die „face-to-face“-Welt in eine „face-to-screen“-Welt transformierte (Stäheli
2004; Knorr Cetina/Preda 2007). Während der Vorteil des Börsentickers Mitte des 19. Jahr-
hunderts darin bestand, erstmalig aktuelle Wertpapierpreise für einen anonymen und von
physischer Präsenz entkoppelten Adressatenkreis zugänglich zu machen, ermöglichen heute
computergestützte Handelsplattformen darüber hinaus eine kontinuierliche Echtzeitübertra-
gung von Kauf- und Verkaufspreisen.
Erst seitdem der Einsatz von Technologien weitgehend standardisiert wurde, richtet sich der
Unsicherheitsblick der Marktteilnehmer weniger auf die Bereitstellung einheitlicher Preisin-
formationen, als vielmehr darauf, Preisdifferenzen an unterschiedlichen Märkten auszunut-
zen. Für diese Arbitrage-Geschäfte (Beunza/Stark 2004) ist es umso wichtiger, kleinste
Zeitunterschiede beobachten und direkt in Zahlungsdifferenzen ummünzen zu können. Zah-
lungsentscheidend ist dann nicht nur die Geschwindigkeit der Informationsbeschaffung,
sondern auch die ihrer Verarbeitung. Die Zeit selbst wird dabei zum Gegenstand von Quanti-
fizierungen. Ihre optimale Ausnutzung wird ständig hinterfragt. Wie stellt sich die moderne
Finanzwirtschaft auf diese Unsicherheit ein?
Um sich dieser Frage zu nähern, greife ich beispielhaft den in Politik und Massenmedien
kontrovers diskutierten Einsatz von High Frequency Trading (HFT) auf, und versuche zu
beschreiben, welche Rolle HFT für das Treffen von Zahlungsentscheidungen an elektroni-
schen Finanzplattformen spielt.
Eine einheitliche Definition von HFT gibt es weder in der wirtschafts- und finanzwissenschaft-
lichen Literatur noch seitens der Börsenorganisationen selbst.2 Je nach Teildisziplin werden
unterschiedliche Definitionen und Funktionen von HFT betont. Aus gesamtwirtschaftlicher
Sicht wird dabei die Frage behandelt, ob HFT die Allokation an Börsen behindere oder förde-
re. Anhand finanzökonometrischer Analysen wird untersucht, welchen Einfluss HFT auf
Transaktionskosten, Liquidität, Marktungleichgewichte, die Stabilität der Preisgenerierung
oder die Volatilität elektronischer Wertpapiermärkte hat (vgl. Lattemann et al. 2012; Hautsch
2008, 2012). Die Beurteilungen fallen dabei auch innerhalb der Disziplinen sehr heterogen
aus – schon deshalb, weil auch in der Finanzwirtschaft unterschiedliche Modellannahmen
über Liquidität, Stabilität und Volatilität verwendet werden. Als typisch für das Phänomen
HFT gilt die computergestützte Vermittlung von formalen Kaufs- und Verkaufsaufträgen
(„Order“), die innerhalb von Millisekunden mit vergleichsweise kleinen Summen, bei einer
Haltedauer der Wertpapiere von wenigen Sekunden oder Minuten, stattfindet. Dem Einsatz
von HFT werden dabei bestimmte Handelsstrategien wie „market making“, „arbitrage“ oder
„trend following“ zugeordnet, die dem Aufbau, der Glattstellung, der Deckung oder der Absi-
cherung offener Positionen in Handels- oder Anlagebüchern dienen.
Als organisationssoziologisches Bezugsproblem bei der Untersuchung von HFT sollen hier
jedoch weniger die retrospektiven Motive hinter den jeweiligen Handelsstrategien untersucht
werden – zumal der Motivverdacht dahinter kommunikationstheoretisch nicht aufgelöst wer-
den kann (Luhmann 2004: 103, 152; Japp 2010: 290) – als vielmehr die übergreifende Fra-
ge, welchen Beitrag HFT zur Verarbeitung von insbesondere zeitlicher Erwartungsunsicher-
heit in Finanzmarktorganisationen leisten kann.

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
1
  Mein besonderer Dank gilt Stefanie Büchner für konstruktive Anregungen und die kritische Kommentierung einer
vorangegangenen Fassung dieses Textes.
2
  Im Eigenhandel tätige Finanzorganisationen veröffentlichen nur wenige Informationen über eigene HFT-
Praktiken. Als einen weiteren Grund, der den Feldzugang erschwert, nennt Gomolka „das frühe Entwicklungssta-
dium dieser Industrie“ (2011: 26).
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   4

Um diesen Beitrag zur Unsicherheitsabsorption genauer zu spezifizieren, möchte ich die
Unterscheidung von Orderausführung und Ordererzeugung einführen. Beide Auftragsvor-
gänge sind Teil von Zahlungsentscheidungen an elektronischen Handelsplattformen, be-
zeichnen jedoch unterschiedliche organisatorische und technische Grenzstellen3.
Für den Einsatz von HFT möchte ich den Begriff der Ordererzeugung reservieren. Die zen-
trale Ausgangsbeobachtung ist, dass die Ordererzeugung der Orderausführung operativ
vorgelagert ist. Meine These ist, dass HFT eine Algorithmisierung der Ordererzeugung und
damit eine reine Form der konditionalen Programmierung von Zahlungensentscheidungen
darstellt. Diese algorithmische Form der Ordererzeugung stellt wiederum eine algorithmische
Entscheidungsverknüpfung mit den technisch wie organisatorisch abgrenzbaren Schnittstel-
len der vorgelagerten Nachrichtengenese sowie der nachgelagerten Orderausführung her.
Diese These baut auf dem Argument auf, dass bei der computergestützten Orderausfüh-
rung4 bis zur Einführung von HFT noch keine Algorithmisierung der Herstellung der Zah-
lungsentscheidung selbst vorgenommen wurde. Durch die Computerprogrammierung der
Ordererzeugung kann dagegen nun mit dem Einsatz von HFT bereits vor der Orderausfüh-
rung – über das Webtrading und der Weiterleitung der Transaktion durch einen „broker“5
oder ein elektronisches „broker-system“ – quantitativ errechnet bzw. konditioniert, ob und wie
eine Kauf- oder Verkaufsorder generiert werden soll.
Aufbauend auf der genannten These behaupte ich, dass der Einsatz von HFT an Computer-
börsen erst die Möglichkeit schafft, Zahlungsentscheidungen zeitlich genauso schnell6, ent-
personalisiert und sachlich flexibel zu generieren, wie sie als Nachrichten erzeugt und ver-
mittelt sowie als Order ausgeführt werden. Die Ausnutzung dieser Möglichkeit durch HFT
stellt eine organisatorische Adaptionsleistung dar, und zwar einerseits an die bereits vollzo-
gene Algorithmisierung der Orderausführung seitens der elektronischen Handelssysteme
und andererseits an die Nachrichtengenerierung der massenmedialen Informationsdienste.
Diese so erstellten und weitergeleiteten Orderentscheidungen sind dabei immer unsicher,
weil es kybernetisch gesprochen keine Beobachtung der Gegenwart gibt, die so viele Infor-
mationen aus der Vergangenheit umfassen könnte, dass daraus zukünftige Preisentwicklun-
gen ablesbar wären. Auch wenn alle verfügbaren Marktdaten gesammelt und Anpassungs-
maßnahmen getroffen würden, kann nicht kontrolliert werden, wie die eigene aktuelle Ent-
scheidung die Preissituation verändert (vgl. Wiener 1961, zitiert nach Esposito 1997: 95f.).

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
3
  Eine Grenzstelle bezeichnet ein Set von Mitgliedschaftserwartungen, dem die Inhaber dieser Stelle im Rahmen
des Außenkontakts mit einem bestimmten Organisationsumfeld ausgesetzt sind. Wie Systemgrenzen trennen
damit auch Grenzstellen Erwartungen; sie sind Erwartungsgrenzen (vgl. Luhmann 1964: 221; Tacke 1997: 3). Als
„technisch“ verstehe ich im breiteren Sinne die „feste Kopplung von kausalen Elementen“ (Luhmann 2006: 370)
und hier im engeren Sinne die algorithmische, das heißt die über universell programmierte Digitalrechner erzeug-
te, Informationsverarbeitung.
4
  Die Orderausführung ist im Online-Brokerage auch für Privatanleger zugänglich. In Bezug auf Verkaufsaufträge
besteht beispielsweise die Wahl zwischen „bestens“ (Orderausführung zum höchsten Kurs) oder „stop loss“
(Orderausführung sobald ein gewünschter Kurs unterschritten wird).
5
  Larry Harris (2003, zitiert nach Gomolka 2011: 9-11) unterscheidet auf der „sell-side“ – der hier genannten
Orderausführung – zwischen zwei Schnittstellen: dem Vermittler einer Transaktion („broker“), der ausschließlich
auf Auftrag handelt und dem Vertragspartner in einer Transaktion („dealer“). Während „dealer“ versuchen eine
Order an einer Börse zu platzieren, ohne starke Kursschwankungen („market impact“) zu verursachen, suchen
„broker“ ihren Kunden einen Vertragspartner. Entsprechend finanzieren sich „dealer“ aus dem Differenzbetrag der
gestellten Kauf- und Verkaufskurse („spread“), während „broker“ dagegen auf Kommissionsbasis arbeiten.
6
  Schnell heißt nach dem gegenwärtigen Stand der Technik eine Geschwindigkeit von wenigen Millisekunden.
Allein einfache Bewegungen wie der Augenaufschlag erfordern mehr als 140 Millisekunden (vgl. MacKenzie
2011).
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   5

Entgegen Behauptungen, dass der Gebrauch von HFT zu einer als hyperkomplex, von Gier
gesteuerten oder chaotisch beschriebenen Auflösung sozialer Erwartungsgrenzen zwischen
Technik und Mensch oder Wirtschaft und Gesellschaft beitrage (Schimank 2011; Neckel
2011), verstehe ich den Einsatz von HFT als Ausdruck einer sich insbesondere organisato-
risch weiter ausdifferenzierenden Bearbeitung von Zahlungsunsicherheiten an elektroni-
schen Handelsplattformen, namentlich zwischen programmierten Zahlungsentscheidungen
(Entscheidungsautomation) und programmierenden Zahlungsentscheidungen (Entschei-
dungsautonomie). Diese Trennung von Entscheidungsabläufen vollzieht sich vorwiegend an
den Grenzstellen des Eigenhandels von Finanzorganisationen.
Den Einsatz von HFT dagegen allein anhand gesellschaftlicher Professions- und Interes-
senskonflikte7 zu beschreiben, würde einen differenzierten Blick auf diese spezifischen Be-
dingungen und Folgen verstellen und nicht zuletzt die so oft vernachlässigte, faktische Orga-
nisiertheit von Zahlungsentscheidungen an Finanzmärkten außer Acht lassen.
Insgesamt löst dabei der Einsatz von HFT Entscheidungsunsicherheiten über Zahlungen an
elektronischen Finanzbörsen nicht auf, sondern verteilt diese neu auf weitere, insbesondere
organisatorische Systemebenen und Grenzstellen.
Meine These stelle ich in drei Argumentationsschritten vor. Erstens begründe ich die Wahl
einer organisationssoziologischen Perspektive (Abschnitt 2), um auf dieser Grundlage zwi-
schen Finanzorganisationen und Börsenorganisationen unterscheiden und ihre Interdepen-
denzen aufzeigen zu können (Abschnitt 3). Zudem skizziere ich die Nachrichtengenerierung
und die Orderausführung als die zwei zentralen technischen Grenzstellen der Ordererzeu-
gung, welche die organisatorische Systemdifferenzierung des Einsatzes von HFT markieren
(Abschnitt 4). Auf einer entscheidungstheoretischen Analyseebene beziehe ich drittens
Luhmanns Programmbegriff (1972, 2006) auf die elektronische Algorithmisierung der Or-
dererzeugung. Abschließend benenne ich wesentliche organisatorische Funktionsvorteile
dieser spezifischen Form von Konditionalprogrammierung an elektronischen Handelsplatt-
formen (Abschnitt 5) und diskutiere drei ausgewählte Perspektiven für weiterführende For-
schungsarbeiten (Abschnitt 6).

2. Problemverortung und Abgrenzung von Systemebenen
Über das Phänomen HFT finden sich in den Sozialwissenschaften allgemein vor allem nor-
mative und gesellschaftstheoretische Beiträge. Dabei wird beispielsweise kritisiert, dass HFT
eine krisenverstärkende Wirkung auf die Realwirtschaft habe und zu einer Finanzialisierung
sowie Entmenschlichung von Arbeit führe. In der hiesigen Wirtschaftssoziologie finden sich
(ausgenommen der mir bekannten Forschungen von Marc Lenglet (2011) und Donald
MacKenzie (2012, et al. 2012)) ausschließlich Beiträge, die Aussagen über HFT als Rand-
bemerkungen führen. Das Hauptthema dieser Texte bezieht sich auf die Finanzmärkte im
Allgemeinen. Der Zugang ist entsprechend gesellschaftstheoretisch angelegt.
Mein Eindruck ist, die Diskussion über HFT in der deutschsprachigen Wirtschafts- und Fi-
nanzmarktsoziologie von zwei Dichotomien beherrscht wird. Die erste Dichotomie bezeichne
ich als das Verhältnis von technischer Automation und menschlicher Autonomie. Die zweite
bezieht sich auf das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft. Gemeinsam ist beiden
Begriffspaaren, so die hier vorgestellte Kritik, dass dabei empirisch wie theoretisch einseitige
Hierarchisierungen und Asymmetrisierungen – entweder impliziert oder expliziert – mitge-
führt werden. Die Verortung von HFT anhand von Dichotomien erschwert deshalb einen
differenzierten Blick auf die spezifischen Bedingungen, Funktionsweisen und Implikationen
des Einsatzes von HFT an elektronischen Handelsplattformen.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
7
  Bei der Legitimation des Einsatzes von HFT, insbesondere gegenüber Regulierungsbehörden, stehen sich
traditionelle Parketthändler und Meta-Organisationen wie die FIA Principal Traders Group (FIA) oder der Euro-
pean Principal Traders Association (EPTA) gegenüber.
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   6

a) Verhältnis von technischer Automation und menschlicher Autonomie
Eine Schwierigkeit zur Beschreibung von HFT ist die Bestimmung des Verhältnisses von
Mensch und Technik. Verkürzt formuliert lautet eine massenmedial gängige Vorstellung,
dass technische Automation die professionelle Entscheidungsautonomie des Menschen
einschränke.
In der soziologischen Literatur findet man dazu vielfältig nuancierte Entdifferenzierungsan-
nahmen. Beispielsweise habe nach Sighard Neckel die Steigerungslogik der Rendite-Gier zu
einer Handlungsstruktur gemacht, welche die Systemgrenzen zwischen Banken gegenüber
den Finanzmärkten auflöse (vgl. 2011: 49-52).
Zugespitzt formuliert würde der Einsatz von HFT realwirtschaftliche Werte zerstören und
moralische Werte gefährden. Zugleich seien die zunehmende Technologisierung und Diver-
sifizierung der Produkte sowie der Märkte allgemein zu komplex geworden. Uwe Schimank
(2011a/b) kontrastiert dazu die „Hilflosigkeit der Organisationsgesellschaft“ mit der „organisa-
tionsfreien Hilflosigkeit von Kleinanlegern“.
Der dabei allgemein gehaltene Analysefokus auf die „Hyperkomplexität aus sachlich unüber-
schaubarer, überbordender Informationslast, sozialer Konkurrenz und Zeitdruck“ (Schimank
2011a: 504) trägt jedoch wenig zur Spezifizierung der sozialen Ordnungsmuster auf Aktien-
märkten bei. Derartige Zugänge vernachlässigen zudem die Frage, inwiefern sich nicht auch
Kleinanleger organisieren, und inwiefern ihre Umwelt organisiert ist.8 Bei einer solchen Ge-
genüberstellung werden Mensch und Technik ganz unabhängig von ihrer gesellschaftlichen
Kontextualisierung als unsicher, unbeherrschbar, chaotisch und dysfunktional in Bezug auf
die vermeintlich rationalere Autonomie des Menschen beurteilt.
Bemerkenswert ist das Vorbringen moralischer und moralisierender Thesen in den Sozial-
wissenschaften vor allem deshalb, weil die generalisierenden und damit oft auch empirisch
unscharfen Aussagen über Finanzmärkte den Anschluss an neuere soziologische Theorie-
entwicklungen und Forschungen über Technik und Informatisierung einerseits und über
Märkte und Organisationen andererseits vermissen lassen. Aufgrund der hier gebotenen
Kürze sollen an dieser Stelle nur drei alternative Argumente benannt werden, die vermögen,
den Mensch-Technik-Dualismus auch für den Bereich der Finanzwirtschaft zu reformulieren:
Zunächst muss bei einer wissenschaftlichen Annäherung an die Bedingungen für den Ein-
satz von HFT auffallen, dass ethnografische wie praxeologische Arbeiten über das Verhältnis
von Struktur und Agenten die asymmetrische Fassung von Technologiegewinn als Autono-
mieverlust gegen differenziertere Konzepte gradualisierter Handlungsträgerschaften bereits
ersetzt haben (Latour 1998, 2005; Orlikowski 1992; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002;
Bongaerts 2007; Weyer/Schulz-Schaeffer 2009). Den netzwerktheoretischen angelegten
Studien ist nicht nur – wie oben erwähnt – das empirische Forschungsinteresse an Finanz-
märkten allgemein zu verdanken, sondern auch der Blick auf marktspezifische „boundary
objects“ (Ancona/Caldwell 1992).

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
8
  Dass sich auch Kleinanleger von einem „dealer“ und einem „broker“ unterscheiden, aber ebenso einer hochgra-
dig organisierten Umwelt gegenüber verhalten, lässt bereits die empirische (wenn auch hier nicht weiter verfolgte)
Beobachtung erkennen, dass die meisten Kaufentscheidungen über börsengehandelte Produkte in Deutschland
insbesondere über Banken, (selbständige) Finanzberater und Finanzdienstleistungsgesellschaften sowie Versi-
cherungen vermittelt bzw. transferiert werden. Die von Schimank (2011a: 505f.) angeführten Beispiele der Investi-
tion in private Alterssicherungsprodukte oder des Kaufs einer Telekom-Aktie lassen den Organisationskontext der
Kaufentscheidung selbst und der vor- wie nachgelagerten organisierten Kontaktstellen der Transaktionsausfüh-
rung unberücksichtigt. Ökonomisch formuliert: Die unterschiedlichen Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodel-
le geraten erst gar nicht in Blick.
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   7

Und auch bei der Wahl eines nicht technik-soziologischen Fokus’ kann mithilfe von klassi-
schen Theorien funktionaler Differenzierung der Blick für die Kontingenz von Komplexität
geschärft werden (Simmel 1992; Luhmann 1972: 31-39). Soziale, sachliche und zeitliche
Komplexität ist demnach in modernen Gesellschaften Bedingung und Folge sozialer Ord-
nungsbildungen zugleich. Unsicherheit auf Finanzmärkten wird durch den Einsatz von Tech-
nik nicht nur gesteigert, sondern auch verarbeitet.
Die Reduktion von Komplexität ist dabei stets vom Aufbau neuer Unsicherheiten und Risiken
begleitet. Entscheidungsunsicherheit wird dabei gerade zur Voraussetzung für das Treffen
von Entscheidungen selbst (Luhmann 2006: 183f.). Mehr oder schnellere Informationen zu
erhalten, ist dann zunächst eine Leistung der Verbreitungsmedien, die noch offen lässt, wie
diese von anderen technischen und sozialen Systemen absorbiert und genutzt werden
(Luhmann 1972: 31-39). Anhand von Organisationstheorien kann beispielsweise die Einbet-
tung von „Informatisierung“ (Tacke/Borchers 1999) im Zusammenspiel formalisierter und
informalisierter Organisationsordnungen ins Forschungsinteresse gerückt werden. Als Risiko
geraten dann nicht die Technik per se, sondern die je organisationsspezifische Bearbeitung
von Mehrdeutigkeiten und Entscheidungsunsicherheiten in den Blick (Weingart 1989; Weiß-
bach/Poy 1993; Funken/Schulz-Schaeffer 2008).

b) Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

Eine ähnlich begriffliche Asymmetrisierung wie in Bezug auf das Verhältnis von Technik und
Mensch findet sich in polit-ökonomischen und konflikttheoretischen Arbeiten, die anhand der
Ausflaggung einer „Wirtschaftssoziologie als Gesellschaftstheorie“ (Schimank 2008; Schi-
mank/Volkmann 2008; Beckert 2009) eine integrierte Perspektive auf beide Bereiche vor-
schlagen. Seitens der Beiträge zum „Finanzmarktkapitalismus“ (Beyer 2006; Windolf 2005;
Deutschmann 2005, 2006) und zum „Primat der Finanzmarktorientierung“ wird beispielswei-
se von Jürgen Beyer (2007) in Anlehnung an Neil Fligstein (2001) ein gesteigerter Aktionärs-
bezug der deutschen, korporatistischen Modells der Unternehmenskontrolle festgestellt.
Begründet wird dieser Bezugswechsel mit dem Verweis auf einen institutionellen Wandel von
wirtschaftlichen Leitvorstellungen. Die Abkehr vom Entwicklungspfad des Rheinischen Kapi-
talismus sei auch in Deutschland durch ein „vergleichsweise einfaches, hinreichend plausib-
les und hoch instruktives Handlungsskript“ (Beyer 2007: 58) begünstigt worden, das u.a. die
Maximierung des Shareholder Value, den Austausch des Managements bei ungenügender
Kursentwicklung und den Aufkauf eigener Aktien zur Kurspflege beinhalte. Als neue „soziale
Definition der Realität“ (Beyer 2007: 63) sei die finanzmarktorientierte Leitvorstellung auf die
zunehmende Deutungshoheit von Investmentbankern und Finanzmanagern zurückführbar.9

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
9
  Bei derartig orientierten Erklärungen wird unterlaufen, dass der Verweis auf Aktionärsinteressen erst mal nur
eine Kommunikation ist, die noch nicht alle formalen Entscheidungen in Organisationen determinieren muss. Die
Untersuchung von Martin Schröder (2010, 2011) verdeutlicht dagegen, dass auch Arbeitnehmerinteressen
resonanzfähig werden können (Luhmann 2004; Schwarting 2011a) von Arbeitnehmerinteressen. Schröder zeigt
auf, wie „moralische Rechtfertigungen in der Diskussion um Produktionsverlagerungen“ (man könnte neo-
institutionalistisch auch sagen: zur formalen Legitimitätserzeugung gegenüber der Umwelt) einen „argumentativen
Zwang“ entfalten können, und wie es Gewerkschaften und Betriebsräten gelingen kann, „die Geschäftsleitung an
das zu binden, was sie als pro forma geäußert habe“ (2011: 334)
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   8

Den Einsatz von HFT anhand einer auf gesellschaftliche Konflikte und auf Akteursinteres-
sen10 fokussierte Analyse würde jedoch nur erneut erklären, dass hier ein weiterer Fall von
Profitmaximierung vorliegt.11 Die Asymmetrisierung der Wirtschaft und Gesellschaft zeigt
dabei zentrale erkenntnistheoretische Schwierigkeiten auf. Einerseits ist die Primatvorstel-
lung der Wirtschaft gesellschaftstheoretisch problematisch, wie jüngst Torsten Strulik (2012)
überzeugend repliziert hat, weil damit die Sensibilität für die dynamischen Ermöglichungs-
und Steigerungsverhältnisse wirtschaftlicher und nicht wirtschaftlicher Kommunikation auf-
gegeben wird, die nicht nur in neueren wirtschaftssoziologische Theorieentwicklungen, son-
dern auch in den Bindestrich-Soziologien erkannt wird (2012: 22). Die für diesen Beitrag
relevante Risikosoziologie erlaubt beispielsweise die Ambivalenz von Unsicherheitsabbau
und Risikoproduktion aufzuzeigen (Luhmann 1991, 2006; Japp 1996, 1997, 2000;
Krohn/Krücken 1993; Krücken 1997a, 1997b; Holzer/Millo 2005; Strulik 2004, 2007;
Schwarting 2010, 2011b).
Zugleich kann zweitens die Organisationsperspektive ein differenzierteres Licht auf das
Profitmaximierungs- bzw. Shareholder-Value-Argument werfen: eine gewinnorientierte Wert-
kommunikation dient der bekanntlich heuchlerischen Legitimitätserzeugung gegenüber orga-
nisatorischen Umwelten – sprich gegenüber Aktionären oder Organisationsmitgliedern
(Luhmann 1964: 110; Meyer/Rowan 1977; Brunsson 1985, 2007). Ebenso ist bekannt, dass
weder für die Geschäftsleitung noch abteilungsübergreifend Werte-Bekundungen zur Hand-
lungsanleitung ausreichend sind, da sich aus Werten noch keine konkreten Mittel (wie der
Einsatz von Zeit, Materialitäten, Personal, Kommunikationswegen) für eine Entscheidungs-
findung ableiten lässt (Luhmann 1971: 94).
Bezeichnend für berufsmäßige Organisationen ist vielmehr die Trennung zwischen Organi-
sationszweck und Mitgliedschaftsmotivation (Luhmann 1964: 102f.; 2006: 81ff.). Entspre-
chend wird beim Blick auf die interne Differenzierung von Organisationen sichtbar, dass
weder ihre Subeinheiten noch ihre Elemente, also ihre Entscheidungskommunikationen, sich
nach rein ökonomischen Kriterien oder einem einzigen Wert in ein widerspruchsfreies Ratio-
nalitätskontinuum bringen lassen. Hierarchien dienen dagegen insbesondere der Herstellung
von Legitimität gegenüber ihrer außerorganisatorischen Umwelt (Luhmann 1977, 1997: 834;
Kühl 2004: 95). Über die Zweckformel wird der Organisation eine funktionsbezogene Pri-
märorientierung zugeschrieben (vgl. Tacke 2001: 158).
Drittens übernehmen wirtschaftliche Primatvorstellungen die Selbstbeschreibungen der
Wirtschaft bzw. der in ihr tätigen professionellen Berufsrollen. Der Ökonomisierungsbegriff
dient Gesellschaftsdiagnosen nicht zuletzt als Kampfbegriff in der massenmedialen und
politischen Diskussion über gesellschaftlichen Wandel.12 Die Unterscheidungen sind damit
auch forschungspraktisch problematisch. Nicht zuletzt unterliegen Primat-Thesen damit
einem ähnlich erkenntnistheoretischen Dilemma wie einseitige All-Aussagen in der Sozialfor-
schung.
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
10
   Cui bono? zu fragen war in vormodernen Zeiten, als Entscheidungsfolgen dem gottgewollten Schicksal bzw.
einer außergesellschaftlichen Umwelt zugerechnet wurden, nicht üblich (Luhmann 1991; Japp 1996). „Dabei wird
aber immer öfter vergessen, dass die Frage cui bono? keine eingebaute Erkenntnisgarantie hat. Dass jemandem
etwas nützt, ist noch lange keine Garantie für die Täterschaft“ (Lotter 2012: 43-44).
11
    Massenmediale Formeln, wie die dass Kurseinbrüche mit Wertvernichtungen einher gingen, ignorieren nicht
zuletzt auch das Knappheitsparadox. Denn die Beseitigung von Knappheit durch Zugriff auf knappe Güter ver-
mehrt die Knappheit (vgl. Luhmann 2004: 118). Auch auf Finanzmärkten bzw. an elektronischen Handelsbörsen
kann dieses Nullsummenspiel nicht ausgehebelt werden (Schwarting 2011). Kursverluste von Finanztiteln sind
(noch) keine realwirtschaftlichen Wertschöpfungsverluste. In der Finanzbranche selbst ist bekannt: „Das Geld ist
nicht weg – es hat jetzt nur ein anderer“.
12
   Entsprechende Untersuchungen tendieren dazu, die Sprache der Medien unreflektiert zu übernehmen und sich
dem Thema HFT – ähnlich wie die Beschreibungen zur Finanzkrise allgemein – anhand von militärischen und
medizinisch-psychologischen Semantiken zu nähern, die weniger zur Spezifizierung als vielmehr zur Skandalisie-
rung und Moralisierung der Kommunikation über HFT beitragen. Soziologisch interessant sind sie, weil sie auf-
zeigen, dass an die auf Finanzmärkten tätigen und HFT einsetzenden Personen und Organisationen unterschied-
liche normative Erwartungen seitens der Gesellschaft herangetragen werden. Ihre Erwartungen werden nicht
zuletzt an die Politik adressiert, kollektiv bindende Reformentscheidungen zu treffen, die normativ bestimmen,
welche Verfahren für die Festlegung Preis- und Zahlungsentscheidungen aktuell als rechtlich legitim gelten.
                     Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   9

Aber auch die Organisationssoziologie hat sich bislang wenig mit Börsenorganisationen
beschäftigt. Anschlussfähig für die Beschreibung von Finanzmärkten sind vor allem Studien
über Auktionen (Garcia-Parpet 2007) und die Einführung von neuen Technologien. Die For-
schung von Fabian Muniesa (2000) ist vermutlich eine der ersten, die verdeutlicht, wie vor-
aussetzungsvoll die Automatisierung einer interaktionsbasierten Finanzbörse ist: Handels-
protokolle, Orderarten, Produktqualitäten, Überwachungsregeln und Händleridentifikation
müssen für alle Teilnehmer formalisiert und standardisiert werden, bevor Preise elektronisch
errechnet, übersetzt und materialisiert werden können, und die Teilnehmer sie beobachten,
bewerten und vergleichen können.
Mit den genannten Arbeiten über den Wandel von Verbreitungstechnologien in unterschiedli-
chen Finanzmärkten, haben insbesondere „market devices“ (Muniesa/Callon/MacKenzie
2007; Muniesa 2007, 2008, 2011) – kognitive Techniken der Marktbeobachtung und Markt-
legitimation – bei diversen Handelspraktiken wie Arbitrage (Beunza/Stark 2004; Beun-
za/MacKenzie/Hardie 2006), Derivate-Handel (MacKenzie/Millo 2003; Holzer/Millo 2005)
oder „credit scorecards“ (Poon 2007, 2009) das Repertoire an empirischen Arbeiten erwei-
tert.
An der ethnografischen Beschreibung der unterschiedlichen Objekte und Kontexte einer
„massenhaften Mobilisierung von Kennzahlen und Kalkulationen“ (Mennicken/Vollmer 2007;
Vollmer/Mennicken/Preda 2009) wurde insbesondere in den in den 1990er Jahren aufkom-
menden Social Studies of Finance (SSF) die Vernachlässigung von institutionellen und politi-
schen Machtfaktoren bemängelt. Letztlich lassen sich die empirisch fruchtbaren, jedoch
theoretisch recht verkürzten Zugänge (zu HFT siehe Lenglet 2011; MacKenzie 2011,
MacKenzie et al. 2012) auf ein Argument zuspitzen – die Herausstellung kontrollmächtiger
„Performativität“. Was fehlt sind Untersuchungen, die unterschiedliche „market engines“ wie
Marktpraktiken vergleichen und dabei ihre jeweiligen performativen Spezifika und Eigenlogi-
ken beschreiben können. Es verwundert deshalb wenig, dass trotz der massenmedialen
Präsenz des Themas, der Einsatz HFT im Allgemeinen geschweige denn seine Organisiert-
heit im Besonderen bislang auf kein systematisches Forschungsinteresse gestoßen ist.
Ohne einer gesellschaftstheoretischen oder praxeologischen Analyse ihr Potential abspre-
chen zu wollen, wird hier eine mittlere Untersuchungsebene gewählt. Wie eingangs genannt
stellt dieser Beitrag einen organisationssoziologischen Zugang zur Beschreibung des Einsat-
zes von HFT an elektronischen Handelsplattformen vor. Der Vorteil der systemtheoretischen
Organisationssoziologie besteht für diesen Zugang darin, aufzeigen zu können, dass es
einen Unterschied macht, ob Zahlungsentscheidungen auf börsenorganisierten Märkten
getroffen oder auf einem Basar zwischen einzelnen Personen koordiniert werden.
Die Wahl einer mittleren Untersuchungsebene bietet zweitens die Möglichkeit, den Einsatz
von HFT in Finanzorganisationen zu verorten, und damit zu fragen, was es bedeutet, wenn
bestimmte Handelsentscheidungen in – so die These – rein konditional programmierter Form
erzeugt werden. Die Systemtheorie erlaubt drittens, anhand des Entscheidungsprämissen-
konzeptes programmierte (hier verstanden als Entscheidungsautomation) und programmie-
rende Zahlungsentscheidungen (als Entscheidungsautonomie) analytisch zu trennen und
dabei auch in Bezug auf organisierte Interaktionen, d.h. als Wirtschaftskommunikation von
und zwischen Organisationen und ihren Umwelten zu beschreiben.
Unter Organisationen verstehe ich soziale Systeme, die ihre Umweltgrenzen durch formali-
sierte Verhaltenserwartungen konstituieren. Formalisierte Verhaltenserwartungen sind Er-
wartungen, über die von der Organisation entschieden wurde, an Organisationsrollen adres-
siert werden können und deren Einhaltung im Konfliktfall an den Entzug der Mitgliedschaft
geknüpft werden kann (vgl. Luhmann 1964, 2006). „Eine Handlung ist dabei immer dann als
Entscheidung anzusehen, wenn sie auf eine an sie gerichtete Erwartung reagiert“ (vgl. Luh-
mann 1994: 278). Zahlungsentscheidungen umfassen damit alle Kommunikationen, die sich
an Preiserwartungen orientieren.
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   10

Auf der operativen Ebene reproduzieren sich Organisationen über den Anschluss von Ent-
scheidungskommunikationen. Dies gilt insbesondere für Wirtschaftsorganisationen, denn sie
sind dies qua eigener Entscheidung. Nicht in ihrer wirtschaftlichen Funktion, sondern in ihrer
Ausbildung einer distinkten Identität im Rahmen von organisatorischen Leistungsbeziehun-
gen liegt ihre Leistung für die Wirtschaft und in diesem Sinne für die funktional differenzierte
Gesellschaft (vgl. Luhmann 2006: 436; Tacke 1999: 74). Eine an gesellschaftlichen Funktio-
nen typologisierte Simplifikation von Organisationen im Rechtssystem begrenzt dabei eine
beliebige Vermischung funktionsspezifischer Orientierungen. In der Entscheidung über die
Rechtsform – die zugleich eine Gründungsentscheidung ist – liegt damit die zentrale Prämis-
se für den Grad organisatorischer Entscheidungsautonomie (vgl. Tacke 2001: 148ff.).
Gerade in der Kapitalisierung dieses Entscheidungsrisikos und der damit auf Finanzmärkten
verbunden „Risikotransformation“13 (zur Risikotransformation über Zinsänderungsrisiken
siehe Nollmann 1997; im Bereich politischer Regulierung siehe Krücken 1997a/b; sowie für
Kreditentscheidungen in Finanzorganisationen siehe Schwarting 2010, 2011b) liegt die für
diesen Beitrag relevante Entscheidungsautonomie von Wirtschaftsorganisationen: Sie kön-
nen entscheiden, an welchen funktionsinternen oder funktionsübergreifenden Umwelterwar-
tungen sie sich orientieren, und wie sie den damit verbundenen Widersprüchen formal und
informal begegnen. Ihre Entscheidungskapazität basiert damit nicht nur darauf, die Auswahl
der Zwecke selbst zu bestimmen, sondern ebenso wie diese programmiert, von welchem
Personal und über welche Kommunikationswege diese entschieden werden sollen (vgl.
Luhmann 1997b: 841f., 2006: 224f.; Tacke 1997: 8, 1999: 64).14

3. Organisatorische Differenzierung von Finanzmärkten

Organisiert sind Finanzmärkte in zweierlei Hinsicht. Einerseits wird der Zugang zu ihnen über
Börsenorganisationen geregelt. Andererseits sind es Finanzorganisationen (einschließlich
börsennotierter Organisationen wie auch Börsenorganisationen selbst), die an Finanzmärk-
ten für den Handel mit „Zahlungsversprechungen“ (Baecker 1991) befugt sind. Die Teil-
nehmer bzw. Mitglieder dieser organisierten Börsenmärkte treffen ihre Zahlungsentschei-
dungen dabei ganz unabhängig davon, ob sie selbst der kapitalmarktorientierten Refinanzie-
rung bedürfen und dazu Anleihen (Fremdkapital) begeben oder Aktien (Eigenkapitel) emittie-
ren. Voraussetzung für die Refinanzierung am Kapitalmarkt ist die Rechtsform der (europäi-
schen) Aktiengesellschaft (AG und SE).
Durch den Handel von Refinanzierungstiteln an diesem sogenannten Sekundärmarkt ermög-
lichen Börsenorganisationen einen flexiblen Zugriff auf die Leistungen und Potentiale ande-
rer Finanz- und Wirtschaftsorganisationen. Und dies, ohne dass dadurch neue Umweltgren-
zen justiert und formale Umstrukturierungen vorgenommen werden müssten, wie z.B. im Fall
von Fusionen ganzer Organisationen, bei der Ein- und Ausgliederung bestimmter Subeinhei-
ten (vgl. Tacke 1997: 18f.; 1999: 64f.) oder der klassischen konditionierten Kreditvergabe
über Banken.

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
13
   Wie unten gezeigt wird, ist neben der Formalisierung des Handels durch die Börsenmitgliedschaft für den
Umgang mit Zahlungsunsicherheit an modernen Finanzmärkten spezifisch, dass Finanzorganisationen gerade
durch ihre Entscheidungen über den Anschluss und die Zurechnung von eigenen und fremden Zahlungsent-
scheidungen externe Gefahren über Preisänderungen in eigene Entscheidungsrisiken transformieren. Dies
geschieht beim Einsatz von HFT, so die hier vertretene These, durch das autonome Entscheiden über die auto-
matisierte Programmierung der Ordererzeugung).
14
   Das schließt ein, dass Finanzorganisationen als Wirtschaftsorganisationen in ihren Forschungs-, Rechts-, oder
Presseabteilungen laufend in anderen Funktionssystemen Anschlüsse erzeugen (vgl. Tacke 1999: 72).
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   11

Die sich an Börsen beobachtenden Marktteilnehmer erwarten, dass sich Preise – nicht zu-
letzt aufgrund vorangegangener Zahlungen – rasant ändern können. Gerade diese Instabili-
tät von Preisen wird eingerechnet, und zwar als zeitlich begrenzte Erwartungsstabilität, die
es zu kapitalisieren gilt (vgl. Luhmann 1994: 272ff.). Käufer und Verkäufer seien beispiels-
weise die Organisation A und B. Erwartungserwartungen (Luhmann 1972) bilden sich dann
auf Märkte übertragen nach folgendem Schema: A unterstellt, dass B erwartet, dass A zu
einem bestimmten Kurs kauft und B unterstellt umgekehrt, dass A erwartet, dass B zu einem
bestimmten Kurs verkauft. Nach diesem Schema beobachten und orientieren sich Marktmit-
glieder wechselseitig. Marktordnungen beruhen also auf fremd- und selbstverunsichernden
Zahlungserwartungen, die bei unterschiedlichen Zeit- und Preisdifferenzen die Wahl zwi-
schen unterschiedlichen Kauf- und Verkaufsoptionen haben (Schwarting 2011). Begreift man
Finanzmärkte entsprechend als Ausdruck doppelt kontingenter System-Umwelt-Asymmetrien
(Luhmann 2006: 30-38; Schwarting 2011b), wird es möglich die Strukturbedingungen, unter
denen HFT für das Treffen von Zahlungsentscheidungen an elektronischen Handelsplattfor-
men verwendet wird, genauer zu bestimmen.
Auch wenn die genauen Handelsstrategien Geschäftsgeheimnis bleiben und rechtlich bis-
lang keine elektronische Kennung der einzelnen Algorithmen der Ordererzeugung vorge-
schrieben ist, stellen Börsen bereits an die Nutzung von Ausführungs-Algorithmen eigene
Bedingungen: „A broker willing to use algorithms to trade on the Irish Stock Exchange [...] or
the Swiss market will need to go through a validation process requiring the filing of forms,
detailing with precision what the algorithm is intended for, how it works, the different levels of
controls or monitoring systems that can stop it [...]“ (Lenglet 2011: 56). Für die Nichtbeach-
tung solcher Mitgliedschaftsregeln werden rechtliche Strafen verhängt. Die Investmentbank
Goldman Sachs hat sich im Oktober 2012 verpflichtet, 6,75 Millionen US-Dollar an acht US-
amerikanische Börsen zu zahlen, um Vorwürfe im Zusammenhang mit der Abwicklung von
Optionsgeschäften zwischen Januar 2004 und Mai 2010 beizulegen. Die Bank habe be-
stimmte Optionen-Orders als von Kunden stammend dargestellt, obwohl sie von Brokern
oder Marktmachern kamen. Damit hätten die Orders potentiell bevorzugte Behandlung ge-
nießen können (FAZ 2012f).
Als Wirtschaftsorganisationen stehen Börsen in einem internationalen Leistungsvergleich um
günstige Transaktionstarife, Handelsordnungen, Plattformarchitekturen, Mitgliedschaftsge-
bühren und Technologien. Die Börsenorganisationen sind jeweils spezialisiert auf den Han-
del bestimmter Titel. So unterhält z.B. die Chicago Mercantile Exchange Group (CME) auch
die Chicago Board of Trade (CBOT), welche das Geschäft mit Terminkontrakten wie „futu-
res“ und „options“ sowohl elektronisch als auch durch Parketthandel abwickelt. Wie die
zweitgrößte Aktienbörse NASDAQ Stock Market (NASDAQ) haben sich auch die jüngst
gegründeten und 2013 fusionierten Handelsplattformen Direct Edge und BATS Exchange
vollständig vom Parketthandel verabschiedet. Die weltweit rund 50 technisch vollintegrierten
Computerbörsen erlauben neben der elektronischen Orderausführung, Kauf- und Ver-
kaufsaufträge automatisch bzw. ohne Vermittlung durch eine „broker“- oder „dealer“-Person
zu platzieren und damit die für den Einsatz von HFT relevante Ordererzeugung. Während die
Ordererzeugung Folge der Entscheidung ist, wie Zahlungsentscheidungen generiert werden
sollen, umfasst die Orderausführung dagegen Entscheidungen darüber, wie die dabei gene-
rierte Order in der anschließenden Transaktion von einem „broker“ oder einem „broker sy-
stem“ an der Börse ausgeführt werden soll.
Erst der Einsatz von HFT ermöglicht es also die Entscheidung, ob, wann und wie eine Order
eingestellt werden soll, algorithmisch fest an die Programme der Orderausführung der jewei-
ligen Handelsplattformen zu koppeln und so auch wiederholbar ausführen zu lassen.15

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
15
   Eine feste Kopplung ist abstrakt gesprochen eine Einschränkung kontingenter Anschlussbedingungen (Weick
1985: 163ff.; Luhmann 2006: 374ff.), wie sie sich nicht zuletzt in jeder faktisch vollzogenen Zahlungskommunika-
tion äußert.
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   12

Diese Automatisierung der Zahlungsentscheidung verdeckt im Vollzug des Börsenhandels
die jeweils involvierten Grenzstellen in den Finanzorganisationen. HFT gilt es deshalb auch
räumlich zu unterscheiden. Im Gegensatz zum Telefonhandel (Over-the-Counter (OTC))16,
der über bank- oder börseneigene Handelsräume abgewickelt wird, findet beispielsweise das
HFT der an der New York Stock Exchange (NYSE) gelisteten Titel in Rechenzentren am
Stadtrand von New Jersey statt.17 Der Einsatz schnellster Technologien als Mittel der Beob-
achtung von Zeit- und Preisdifferenzen und deren Ummünzung in direkte Zahlungen wird
hier zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.
Die HFT einsetzenden Finanzorganisationen versuchten dabei ihre Server in der kürzester
Distanz zu den Großrechnern der Computerbörsen zu positionieren, um die Geschwindigkeit
der Datenübertragung so hoch wie möglich zu halten – sei es über Glasfaserkabel, Mikrowel-
len, Millimeterwellen oder Laser. Die Geschwindigkeit der Datenübertragung – sei es um den
Preis einer Aktie zu erfahren, sei es um eine Order auszuführen oder diese erst für das
Orderbuch zu generieren – hat ihre physikalische Grenze jedoch zwangsläufig in der Licht-
geschwindigkeit. Während bei Glasfaserkabeln die Gefahr (Luhmann 2008) besteht, dass es
stark regnet oder Bauern diese beim Pflügen durchtrennen, wird die Übertragungsgeschwin-
digkeit beim Einsatz von Lasern durch dichten Nebel beeinflusst (MacKenzie 2014; FAZ
2014).
Denn während bei OTC-Geschäften kleinste Zeitdifferenzen relativ unbedeutend sind, ent-
scheiden sie bei der Preisvermittlung, Orderausführung sowie Ordergenerierung an Compu-
terbörsen über Zahlungsrisiken. An diesen Börsen handelnde Finanzorganisationen verfügen
damit nicht nur aufgrund der Selektionsunterschiede ihrer kognitiven und organisatorischen
Strukturen über unterschiedliche Möglichkeiten der Informationsaufnahme, -verarbeitung und
-weitervermittlung, sondern auch aufgrund ihrer knappen Verfügbarkeit und der Einbettung in
technische Grenzstellen.

4. Grenzstellen-Differenzierung von Zahlungsentscheidungen: Die Ordererzeugung
zwischen Nachrichtengenerierung und Orderausführung

Nicht alle Finanzorganisationen verwenden HFT. Im Allgemeinen sind dies Investmentban-
ken, Hedgefonds oder quantitative Modelle nutzende Anlagefonds („Quantfonds“), die im
Rahmen ihres Eigenhandels als „dealer“ und „market maker“ (siehe FN5) auftreten, d.h. über
geeignetes Personal sowie entsprechend kostenintensive technische Infrastrukturen (z.B.
Log-In zu elektronischen Handelssystemen) verfügen. Der Einsatz von HFT findet i.d.R. im
Eigenhandel („buy side“) dieser Finanzorganisationen statt, der im Unterschied zum Auf-
tragshandel mit der steten Verbesserung der Gewinnerzielung bzw. Profitmaximierung au-
ßerhalb des Kundengeschäfts beauftragt ist.
Beim Eigenhandel tritt die Organisation ihren Kunden nicht als Kommissionär, sondern direkt
als Käufer oder Verkäufer gegenüber. Operative Eigenhandelsaktivitäten sind der (Ver-)Kauf
von börsengehandelten Wertpapieren. Je nach Definition schwanken die Schätzungen über
den Einsatz von HFT.

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
16
   Nicht alle Wertpapiere werden börslich gehandelt. Bei europäischen Aktien liegt der Anteil am Gesamthandels-
volumen laut dem CFA Institut, das den Titel Chartered Financial Analyst (CFA) vergibt, bei etwa 50 Prozent (vgl.
Mattke 2011). Insbesondere „forwards“ und Kreditderivate, die weniger standardisiert sind als beispielsweise
börsengehandelte „futures“ und „options“, erlauben sehr individuelle Vertragskonditionen und werden OTC
gehandelt.
17
   Obwohl es kaum noch Handelsbanken auf dem Frankfurter Parkett gibt, wird dieses in der Medienberichterstat-
tung oft abgebildet. Der Handelssaal der Commerzbank in Frankfurt ist mit seinen 125 mal 25 Metern jedoch
größer als das Parkett der Deutschen Börse (vgl. FAZ 2013a).
                                                                                                                                                                                Universität Bielefeld | Fakultät für Soziologie | Arbeitsbereich: Organisationen   13

In der Regel werden zwischen 30 und 70 Prozent des täglichen Handelsvolumens18 auf HFT
zurückgeführt, wobei dieser Anteil von 2 bis 10 Prozent der an Börsen handelnden Finanzor-
ganisationen ausgelöst werden sollen. Die Deutsche Börse hat für das Jahr 2011 dazu bei-
spielhaft die Orderbücher der „drei hektischsten Handelstage“ ausgewertet. Am 25. August
2011 sank der Dax innerhalb weniger Minuten um rund 4 Prozent von knapp 5700 auf rund
5450 Punkte. Statt 300 Dax-Kontrakten je Minute gingen an der Terminbörse Eurex 1700
Stück ein. Der Leiter der Abteilung Geschäftsentwicklung der Eurex, Randolf Roth, stellte in
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) fest, dass das der Einsatz von Handelsalgorith-
men in der kritischen Phase deutlich erhöht wurde (vgl. FAZ 2013a). Die Marktteilnehmer
hätten sich also nicht vom Handel entfernt, und nicht nur verkauft, sondern waren im Gegen-
teil rund um den Kurstiefpunkt besonders auf der Käuferseite aktiv. Ungeachtet des Ge-
schäfts mit anderen Wertpapieren wie dem Optionshandel, konzentriert sich das HFT im
Aktienhandel auf wenige liquide Titel. Nach einem Bericht des Deutschen Aktieninstituts
findet in Anteilsscheinen von 5 Prozent der hiesigen börsennotierten Aktiengesellschaften
mehr als 84 Prozent der Handelsumsätze statt (vgl. FAZ 2013c).
Die computerprogrammierte Ordererzeugung läuft schematisch nach Wenn/Dann-Regeln ab.
Der Einsatz von HFT bedarf deshalb der Formulierung preisänderungsrelevanter Ereignisse,
die als Wenn-Komponenten strukturiert werden, wie beispielsweise die Bekanntgabe von
Konjunkturdaten oder ein bestimmter Anleihekurs. Kommunikativ werden Informationen über
diese Ereignisse jeweils in unterschiedlichen Umwelten der ordergenerierenden Stellen
erzeugt, nämlich durch die elektronische Nachrichtenverbreitung von Informationsdienstlei-
stern. Die dadurch bereitgestellten Informationen bilden die Grundlage der wechselseitigen
Beobachtung der Marktmitglieder an Computerbörsen. Die am Markt teilnehmenden Organi-
sationen stellen sich strukturell auf diese Form der Beobachtung ein. Dabei greifen sie nicht
mehr nur bei der Orderausführung, sondern auch wie auch bei der Ordererzeugung auf
Computertechnik zurück.
Mithilfe von Computerprogrammen der Orderausführung werden beispielsweise große Auf-
träge gestückelt, um hohe Preisänderungen zu begrenzen. Denn steigende Preise werden
von Marktbeobachtern als Nachricht dafür gedeutet, dass weitere Kaufaufträge anstehen.
Sie können eine erhöhte Nachfrage nach sich ziehen bzw. diese als selbsterfüllende Pro-
phezeiung erst hervorrufen (vgl. Schwarting 2011a). Neben der Vermeidung von „market
impact“ (siehe FN5) dient die Sequenzierung („split decisions“, Weick 1985) von Ordern auch
dem Kleinhalten von Handelsrisiken eigener (Ver-)Kaufentscheidungen, die mit großen
Aufträgen verbunden sind.19 Schätzungsweise 50 Prozent aller Ausführungsalgorithmen
werden an den durchschnittlichen Ausführungskurs, dem Volume Weighted Average Price
(VWAP), geknüpft, der das Verhältnis aus dem Gesamthandelsvolumen zum selbst gehan-
delten Volumen definiert.
Insgesamt ist die für die Orderausführung eingesetzte Software relativ weit standardisiert
und verfügt über einen Pool von mehreren vorgefertigten Algorithmen, die dazu dienen, den
optimalen Transaktionszeitpunkt, die Ordergröße und den Orderpreis festzulegen (vgl.
MacKenzie 2011; Gomolka 2011: 126f.). Im Gegensatz zur Orderausführung kann hier kein
empirisch belegtes Beispiel für eine Ordererzeugung geliefert werden.20

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
18
   Bei diesen Schätzungen werden alle Aufträge gezählt, die elektronisch in den Orderbüchern der jeweiligen
Börse erfasst werden. Welcher Anteil des „orderflows“ dabei auf eine automatisierte Ordererzeugung oder auf
private (oder angestellte) Händlerpersonen entfällt, lässt sich allein auf Basis von Orderbuchdaten nicht ausrei-
chend beurteilen. Erst mithilfe elektronischer Kennungen ist es möglich, Orderbuchdaten in manuelle und auto-
matisch übermittelte Orders zu trennen (z.B. mit dem ATP-Stempel in XETRA) (vgl. Gomolka 2011: 171). Diese
geben dann jedoch lediglich Auskunft über das Automatisierungsvolumen der Orderausführung. Für die Algorith-
men der Ordererzeugung besteht bislang keine Kennzeichnungspflicht (s.o.).
19
   „In a field of complex electronic interactions, it may be hard to distinguish between a program that is successful-
ly identifying and exploiting patterns of orders that result from the splitting of one big order, and a program whose
success is based on less specific order-book patterns“ (MacKenzie 2014).
20
   De facto wird nur ein Bruchteil der eingestellten Aufträge tatsächlich ausgeführt. Daten der amerikanischen
Wertpapieraufsicht SEC zeigen, dass z.B. durchschnittlich nur 3,2 Prozent aller Aktienaufträge ausgeführt bzw.
Sie können auch lesen