Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020

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Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
Schriftenreihe des Landtages Brandenburg Heft 2/2020

              Regierungserklärung des
Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke
                       und Aussprache
                                               1. April 2020
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
Titelbild: Blick in den Plenarsaal während der Regierungserklärung am 1. April 2020
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
Inhalt

         05               13                19
         Ministerpräsi-   Andreas Kalbitz   Erik Stohn
         dent Dr. Diet-   (AfD)             (SPD)
         mar Woidke

         25               33                39
         Sebastian        Dr. Jan           Péter Vida
         Walter           Redmann           (BVB / FREIE
         (DIE LINKE)      (CDU)             WÄHLER)

         45
         Petra Budke
         (B90/GRÜNE)

                                                   INHALT   3
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
Ministerpräsident
Dr. Dietmar Woidke

S        ehr geehrte Frau Landtagspräsi-
         dentin! Verehrte Damen und Her-
ren Abgeordnete! Meine sehr verehrten         Dr. Dietmar Woidke
Damen und Herren! Der Kampf gegen
das Coronavirus fordert uns alle heraus.            Die Verunsicherung und die Besorg-
Er fordert uns als Gemeinschaft heraus,       nis sind bei vielen Menschen groß. Des-
jeden Einzelnen von uns.                      halb brauchen wir jetzt mehr denn je Zu-
     Anders als bei allen anderen Krisen,     sammenhalt, um diese Herausforderun-
beispielsweise der Finanzkrise oder bei       gen gemeinsam bewältigen zu können.
Naturkatastrophen, sind diesmal alle Be-            Wie groß unsere Aufgabe ist, können
reiche und alle Regionen betroffen. Es ist    wir im Moment bestenfalls schätzen. Fest
die ganze Welt betroffen. Der Schutz von      steht aber eines: Panik ist ein schlechter
Gesundheit und Leben hat in diesen            Ratgeber – in der Krise genauso wie in
Tagen absoluten Vorrang. Dies bringt          jeder anderen Situation. Deshalb brau-
spürbare Einschränkungen für alle Berei-      chen wir Energie, kluge Entscheidungen
che mit sich. Das öffentliche Leben, auch     und vor allem eine klare Linie. Wir brau-
bei uns im Land Brandenburg, steht            chen Entschlossenheit und Besonnen-
quasi still. Es scheint zum Teil, als wäre    heit. Wir werden alles dafür tun, um die
die Pausetaste gedrückt.                      beispiellose Aufbauleistung der Branden-
     Eine vergleichbare Situation hat es in   burgerinnen und Brandenburger der letz-
der Geschichte unseres Landes noch nie        ten 30 Jahre zu bewahren.
gegeben. Ich kann gut verstehen, wie                Es gibt viele gute Gründe, darauf zu
sich viele Menschen jetzt fühlen: Sie         vertrauen, dass wir gemeinsam Lösun-
fürchten um die eigene Gesundheit. Sie        gen dafür finden werden. Weltweit wird
fürchten um die Gesundheit ihrer Kinder       mit Hochdruck daran gearbeitet, Be-
oder die ihrer Eltern. Sie haben Angst um     handlungsmethoden und Impfstoffe zu
ihren Arbeitsplatz, und sie fragen sich:      finden. Unsere Gesellschaft rückt in die-
Wie lange wird dies dauern? Wann ist          ser schwierigen Zeit noch enger zusam-
endlich wieder ein normales Leben             men, auch wenn wir physisch Abstand
möglich?                                      halten müssen. Außerdem haben wir

                                                                         DR. WOIDKE    5
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nach wie vor eine starke Wirtschaft bei       Wer unterwegs sein muss, hält Abstand.
uns im Land Brandenburg.                      So muss es leider in diesen Wochen sein.
      Jetzt geht es für uns um konkrete       So schützen wir uns und unser Gesund-
Aufgaben. Unsere wichtigste Aufgabe ist       heitssystem vor einer noch größeren Be-
es, Leben zu retten. Auf den Intensivsta-     lastungsprobe.
tionen in den Kliniken des Landes wird             Die Infektionszahlen steigen leider
um jedes Menschenleben gekämpft. In-          weiterhin. Aktuell gibt es in Brandenburg
zwischen – Stand heute Morgen – müs-          979 gemeldete Infektionen; 84 Patienten
sen 20 Patienten in Brandenburg wegen         werden in Krankenhäusern behandelt. Ich
Covid-19 künstlich beatmet werden.            wünsche an dieser Stelle allen Betroffe-
      Wir tun alles dafür, dass so wenig      nen eine schnelle Genesung.
Menschen wie möglich überhaupt in
                                                  (Allgemeiner Beifall)
diese Lage kommen. Deshalb haben wir
die umfangreichen Maßnahmen zur Be-                 Den Angehörigen der Verstorbenen
schränkung von Kontakten in Kraft ge-         gilt unsere ganze Anteilnahme.
setzt und diese Maßnahmen gestern im                Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Kabinett bis zum 19. April verlängert. Nur    meine sehr verehrten Damen und Herren,
so können wir die Zahl der Neuinfektio-       es gibt aber auch Hoffnung: Die Infekti-
nen abflachen.                                onszahlen vervielfachen sich nicht mehr
      Die Botschaft sollte mittlerweile bei   so schnell wie noch vor wenigen Tagen
jedem und jeder angekommen sein: Ab-          und erst recht nicht so schnell wie vor
stand halten heißt Leben retten. Auch         wenigen Wochen. Die Verzögerung der
wenn die Einschränkungen groß sind, bin       Ausbreitung des Virus verschafft uns Zeit
ich froh, dass sich die allermeisten Bran-    – Zeit, die wir in Brandenburg, in ganz
denburgerinnen und Brandenburger an           Deutschland brauchen, um zusätzliche
die Regeln gehalten und ihr eigenes Ver-      Kapazitäten in den Krankenhäusern, bei
halten darauf abgestimmt haben.               Intensivbetten und Beatmungsplätzen
       Eines möchte ich an dieser Stelle      aufzubauen. Der Bund hat die Kranken-
den wenigen Ignoranten doch noch              hausfinanzierung dafür aufgestockt, und
sagen, die meinen, dass für sie diese Re-     auch wir werden unseren Beitrag leisten
geln nicht gelten müssten: Sie gefährden      und zusätzlich Geld für unsere Kranken-
Menschenleben – und zwar nicht nur Ihr        häuser zur Verfügung stellen.
eigenes, sondern auch das Leben von                 In unseren Kliniken und Krankenhäu-
anderen! Das geht gar nicht!                  sern wird unter enorm hohem Druck sehr,
      Auch deshalb hat das Kabinett ges-      sehr gute Arbeit geleistet. Die Ärztinnen
tern einen Bußgeldkatalog verabschiedet.      und Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger
Kurz und knapp: Wer sich wiederholt           kämpfen dort unermüdlich gegen die
nicht an die Regeln hält, zahlt bis zu        Krankheit, helfen den Betroffenen. Sie
25 000 Euro. Und wer andere sogar vor-        sind bei Weitem nicht die Einzigen, die
sätzlich gefährdet, begeht eine Straftat      gerade Besonderes leisten, aber sie sind
und riskiert damit eine Freiheitsstrafe.      dort im Einsatz, wo es wirklich um Leben

6   DR. WOIDKE
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
und Tod geht, und das mit einem hohen         deshalb schon jetzt um Ihre Zustimmung;
persönlichen Risiko. Dieser Einsatz be-       denn beim Schutz von Gesundheit und
eindruckt und berührt mich zutiefst.          Leben der Menschen in Brandenburg und
Davor habe ich den größten Respekt. Ich       beim Schutz von Arbeitsplätzen darf Geld
möchte mich hier noch einmal im Namen         in dieser Zeit keine Rolle spielen.
aller Brandenburgerinnen und Branden-              Auch der Bund hat ein Paket in der
burger dafür bedanken.                        Größe von 156 Milliarden Euro verab-
                                              schiedet. Dafür bin ich sehr dankbar! Die-
    (Allgemeiner Beifall)
                                              sen Prozess haben die Bundesländer
      Meine sehr verehrten Damen und          konstruktiv begleitet.
Herren! Unsere zweite wichtige Aufgabe             Wir wollen und wir müssen schnelle
ist es, um jedes Unternehmen und damit        Hilfe leisten! Nur schnelle Hilfe ist in die-
um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu            ser Situation wirksame Hilfe. Steuern und
kämpfen und die Auswirkungen dieser           Sozialabgaben können gestundet und
Krise auch sozial abzufedern. Die Bun-        später gezahlt werden. Die Unternehmen
desagentur für Arbeit geht in ihrem gest-     können leichter Kurzarbeitergeld beantra-
rigen Bericht davon aus, dass es eine         gen. Wir alle haben ein großes Interesse
tiefe Delle im Wirtschaftswachstum und        daran, Fachkräfte für die Wirtschaft in
damit verbunden auch auf dem Arbeits-         unserer Region zu halten.
markt geben wird. Gerade deshalb muss              Für kleine und mittlere Unternehmen
unser gemeinsames Ziel lauten: Nach           und sogenannte Solo-Selbstständige
Corona sollen so viele Menschen wie           haben wir ein Sofortprogramm auf die
möglich auf ihre alten Arbeitsplätze zu-      Beine gestellt, auch das mit großer Un-
rückkehren können. Das gilt für Fach­         terstützung vom Bund. Das Programm ist
arbeiter in der Industrie ebenso wie für      bereits in der letzten Woche gestartet.
Solo-Selbstständige, Künstler oder Men-       Bis gestern Abend sind bei der Investi-
schen, die in der Touristikbranche arbei-     tionsbank Brandenburg rund 49 000 An-
ten. Ich kann nicht versprechen, dass wir     träge eingegangen. Etwa 25 Millio-
wirklich jeden Arbeitsplatz erhalten kön-     nen Euro sind bereits ausgezahlt worden.
nen; aber ich verspreche, dass ich zu-        Das ist in der Geschichte der Investiti-
sammen mit dieser Regierung um jeden          ons- und Landesbank einmalig. Ich
Arbeitsplatz, jede wirtschaftliche Existenz   möchte an dieser Stelle auch jenen dan-
kämpfen werde.                                ken, die dort unter Hochdruck arbeiten
      Dafür haben wir bereits viel auf den    und unserer Wirtschaft helfen.
Weg gebracht. Mit der heutigen Befas-
                                                  (Allgemeiner Beifall)
sung zum Nachtragshaushalt spannen
wir einen Rettungsschirm im Umfang von             Eine eigene Förderrichtlinie für Land-
2 Milliarden Euro für Brandenburg auf.        und Forstwirtschaft sowie die Fischerei
Das ist sehr viel Geld für unser Land,        wird in den nächsten Tagen an den Start
aber ich bin fest davon überzeugt: Wir        gehen. Auch die Arbeitsplätze in den so-
werden es dringend brauchen. Ich bitte        zialen Einrichtungen in unserem Land

                                                                           DR. WOIDKE    7
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
wollen wir sichern. Wir werden unsere         ganz herzlich bei den Landrätinnen und
bisher laufenden Zuschüsse und Zuwen-         Landräten sowie bei den Oberbürger-
dungen weiterzahlen, auch wenn die            meistern unseres Landes bedanken.
Leistungen nicht wie bisher in Anspruch       Dass der Draht von der Landesregierung
genommen werden können, zum Beispiel          zur kommunalen Familie gut funktioniert,
bei der Kindertagesbetreuung.                 ist in solchen Krisensituationen ganz be-
      Wir haben dafür gesorgt, dass El-       sonders wichtig.
tern, deren Kinder jetzt nicht betreut wer-         Ich bin sehr froh darüber, dass wir
den können, eine Lohnfortzahlung erhal-       uns aufeinander verlassen können. Das
ten und von den Elternbeiträgen freige-       gilt im Übrigen ganz genauso für die Ord-
stellt werden. Wir unterstützen polnische     nungsbehörden und die Gesundheitsäm-
Arbeitspendler, damit sie weiter in unse-     ter, also jene Behörden, die momentan
ren Krankenhäusern, Pflegeeinrichtun-         überall im Land unter besonderem Druck
gen, in der Logistik oder auch in der         stehen. Dort wird jetzt Schwerstarbeit ge-
Landwirtschaft arbeiten können. Wir           leistet – nicht nur jetzt, aber in dieser Zeit
müssen jetzt entschlossen und mit gro-        ganz besonders.
ßen Schritten alles tun, um die Wirtschaft          Auch die Zusammenarbeit mit dem
in Brandenburg zu stabilisieren. Wir müs-     Bund und den anderen Bundesländern
sen jetzt entschlossen alles tun, um          will ich hervorheben. Der deutsche Föde-
unser Land zu schützen.                       ralismus – auch das ist eine Erkenntnis in
      Für die Landesregierung ist entschei-   dieser Krise – funktioniert. Natürlich gibt
dend, dass wir das Virus jetzt erfolgreich    es dabei regionale Unterschiede; aber in
bekämpfen. Ebenso entscheidend ist je-        den wesentlichen Punkten ist einheitliches
doch, wie es nach Corona in der Branden-      Handeln das Gebot der Stunde. Ich bin
burger Wirtschaft weitergeht. Meine sehr      überzeugt davon, dass wir damit in dieser
verehrten Damen und Herren: Es muss           Krise den richtigen Weg gewählt haben.
gut weitergehen. Dafür ist unser Rettungs-          Zu diesem Weg gehört für uns in
schirm die Basis. Ich will nie wieder einen   Brandenburg auch die Kooperation mit
Zusammenbruch der Wirtschaftsstruktu-         unserem Partner und Nachbarn Berlin.
ren erleben wie Anfang der 90er-Jahre.        Wir sind nicht nur eine gemeinsame Re-
      Brandenburg kann und wird – davon       gion, sondern wir sind auch eine gemein-
bin ich überzeugt – nach wie vor eine Ge-     same Gesundheitsregion. Wer jetzt Gren-
winnerregion dieses Jahrzehnts werden.        zen dichtmachen will, vergisst, dass Ber-
An diesem Ziel halten wir fest. Dafür         lin eine hervorragende Gesundheitsver-
schaffen wir mit unseren Entscheidungen       sorgung bietet – eine Gesundheitsversor-
jetzt die Voraussetzungen, auch hier und      gung, die im Übrigen schon vielen Bran-
heute bei uns im Landtag.                     denburgern in den letzten Jahrzehnten
       Damit dies gelingen kann – das ist     geholfen hat. Diese Hilfe wird auch in Zu-
keine neue Erkenntnis –, brauchen wir         kunft weiter dringend nötig sein.
eine reibungslose Zusammenarbeit auf                Wer die Grenzen dichtmachen will,
allen Ebenen. Ich möchte mich zunächst        der vergisst auch, dass täglich Zehntau-

8   DR. WOIDKE
sende Pendler zwischen beiden Ländern          Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Pots-
unterwegs sind und dass die Versorgung         dam und das Carl-Thiem-Klinikum in
beider Länder sehr stark voneinander ab-       Cottbus haben sich bereit erklärt, Patien-
hängt. Auch deshalb halte ich nichts von       ten aus Italien aufzunehmen. Auch viele
geschlossenen Kreisgrenzen. Unsere Ein-        andere Kliniken in Deutschland sind bei
dämmungsverordnung gibt ausreichend            dieser Aktion dabei. Wir zeigen damit:
Handhabe zur Beschränkung von Kon-             Europa steht auch in dieser schweren
takten. Es kommt jetzt darauf an, die Vor-     Zeit zusammen. Wir bekämpfen das Virus
gaben umzusetzen. Deshalb ein klarer           gemeinsam und wir retten gemeinsam
Hinweis an alle: Es ist jetzt nicht die Zeit   Menschenleben.
für Ausflüge. Bleiben Sie möglichst zu               Meine sehr verehrten Damen und
Hause, in Ihrem direkten Umfeld!               Herren, eines fällt dieser Tage besonders
      Meine sehr verehrten Damen und           ins Auge: der beispiellose Zusammenhalt
Herren, die Versorgung der Menschen mit        in unserem Land Brandenburg. Auch
Lebensmitteln war und ist zu keinem            wenn es wie ein Widerspruch klingen
Zeitpunkt gefährdet, auch wenn vorüber-        mag: Die Menschen gehen auf Distanz
gehend leere Regale manchmal einen an-         und nähern sich zugleich einander an.
deren Eindruck vermittelten. Eines möch-       Sie sind sich vielleicht sogar näher als
te ich in aller Deutlichkeit sagen: Wer so     zuvor. Sie vergewissern sich über Telefon,
hamstert, wie man das teilweise erleben        Internet oder von Fenstern und Balkonen,
musste, und nur an sich denkt, der han-        wie es ihren Nachbarn geht. Sie zeigen
delt zutiefst unsolidarisch und asozial.       mit Plakaten, Gesten oder Musik ihre
      Unverzichtbar ist die Schutzausrüs-      Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die
tung für Krankenhäuser, Arztpraxen, den        gerade besonders belastet sind.
Öffentlichen Gesundheitsdienst und für               Das gilt für das gesamte Personal in
Pflegeheime. Seit dem letzten Wochen-          den medizinischen Einrichtungen. Das
ende laufen die zentralen Beschaffungen        gilt für die Verkäuferinnen und Verkäufer,
durch den Bund etwas besser; aber es           die Lkw-Fahrer und die Zeitungszusteller.
gibt noch immer erhebliche Engpässe,           Das gilt für diejenigen, die die Kinder der
die sicher auch in der weltweiten Nach-        Eltern betreuen, die in der kritischen In­
frage begründet liegen. Wir arbeiten mit       frastruktur arbeiten. Das gilt für diejeni-
Hochdruck daran, unsere Krankenhäuser          gen, die unseren öffentlichen Nahverkehr
und Arztpraxen mit den notwendigen             am Laufen halten. Das gilt für die Polizis-
Schutzausrüstungen zu versorgen. Das           tinnen und Polizisten, die Handwerker
ist eine der Hauptaufgaben, der sich die       und alle anderen, die dafür sorgen, dass
Landesregierung momentan stellt.               unser Land auch in dieser schwierigen
      Ich bin aber auch sehr dankbar, dass     Situation weiterhin funktioniert. Sie alle
wir in diesen schwierigen Zeiten ein Zei-      sind die Heldinnen und Helden unserer
chen europäischer Solidarität senden           Zeit. Danke!
können. Italien ist momentan das welt-
                                                   (Allgemeiner Beifall)
weit am härtesten betroffene Land. Das

                                                                           DR. WOIDKE   9
Überall gibt es Beispiele der Solida-   ben zusammen, die auf der kreislichen
rität: Das sind junge Menschen, die für       und kommunalen Ebene gebildet wurden.
die Älteren die Dinge des Alltags einkau-     Auch ihnen danke ich herzlich.
fen oder auch den Hund ausführen. Das              Mein Dank gilt auch Ihnen, den Ab-
sind die Enkel, die mit ihren Großeltern      geordneten, die Sie im Moment unter er-
per Video-Chat Kontakt halten, weil Be-       schwerten Bedingungen und gleichzeitig
suche derzeit gefährlich sind. Das sind       hohem Zeitdruck arbeiten und doch
auch Hotelbesitzer, die ihre Zimmer kos-      schnell und entschlossen handeln.
tenfrei an medizinisches Personal verge-            Ich bin überzeugt, dass viele unse-
ben, und viele andere mehr.                   rer Maßnahmen Wirkung zeigen werden.
      Viele vernetzen sich, um sich gegen-    Aber wir sind nicht am Ende dieser Krise,
seitig zu unterstützen. Das Internet steht    sie hat leider erst begonnen. Und wir er-
oft im Mittelpunkt dieser Initiativen. Men-   leben täglich: Was gestern noch galt,
schen kommen in schwierigen Zeiten zu-        kann heute schon wieder anders sein. –
sammen und helfen einander. Wir alle          Deshalb bitte ich die Menschen überall
müssen dazu beitragen, uns diesen posi-       im Land weiter darum, ihre Verantwor-
tiven Aspekt der Solidarität auch über        tung so besonnen und ruhig wie bisher
das Ende der Bedrohung hinaus zu er­          wahrzunehmen: eben echt brandenbur-
halten.                                       gisch.
      Meine sehr verehrten Damen und               Liebe Brandenburgerinnen und
Herren, niemand konnte erwarten, dass         Brandenburger, informieren Sie sich in
uns zu Beginn dieser Legislaturperiode        den Medien über den aktuellen Stand!
die schwerste Bewährungsprobe in der          Die Journalistinnen und Journalisten be-
Geschichte unseres Landes bevorstehen         richten gerade in den Regionen verant-
würde. Besonders meinen Stellvertretern       wortungsvoll und informativ – auch dafür
– Gesundheitsministerin Ursula Nonne-         an dieser Stelle ein großes Dankeschön.
macher und Innenminister Michael Stüb-
                                                  (Allgemeiner Beifall)
gen –, aber auch allen anderen Ministe-
rinnen und Ministern danke ich herzlich            Wir in der Landesregierung haben
für die gute und enge Zusammenarbeit in       ein umfangreiches Informationsangebot
dieser schwierigen Zeit. Ich bin sehr froh,   erstellt, vom zentralen Corona-Portal
dass wir uns voll und ganz aufeinander        über das Bürgertelefon bis zum Podcast.
verlassen können.                                  Aufeinander achtzugeben ist in die-
      Aber diese Leistung wäre nicht mög-     ser Zeit besonders wichtig. Jeder und
lich ohne die vielen engagierten Beschäf-     jede von uns trägt nicht nur für sich Ver-
tigten in den Ressorts der Landesregie-       antwortung, sondern auch für Freunde,
rung, in den Landkreisen, Städten und         Verwandte und Nachbarn. Es liegt an uns
Gemeinden, die den Laden im wahrsten          allen, die Ausbreitung des Virus weiter zu
Sinne des Wortes am Laufen halten. Der        verlangsamen und damit Leben zu retten.
interministerielle Stab zur Koordinierung          Der Kampf gegen das Coronavirus
der Krise arbeitet erfolgreich mit den Stä-   fordert uns als Gemeinschaft heraus. Es

10   DR. WOIDKE
ist kein einfacher Kampf. Aber mit Be-       Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:
sonnenheit, Entschlossenheit, Mensch-
lichkeit und Solidarität werden wir es ge-   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat
meinsam schaffen. Und wir werden den         der Abgeordnete Kalbitz für die AfD-Frak-
Schalter dann auch wieder von Pause auf      tion.
Start umlegen – für eine gute Zukunft
aller Menschen in unserem Land Bran-
denburg. – Herzlichen Dank.

                                                                       DR. WOIDKE 11
12   DR. WOIDKE
Andreas Kalbitz
Vorsitzender der AfD-Fraktion

S        ehr geehrte Frau Präsidentin!
         Sehr geehrte Abgeordnete! Vorab
möchte auch ich im Namen der AfD-
Fraktion danksagen: Dank allen Mitarbei-    Andreas Kalbitz
tern der Verwaltung, nicht nur hier im
Landtag, sondern auch in den Ministerien    wehr, dem THW, dem Roten Kreuz, der
und Behörden, den Mitarbeitern der Ge-      Bundeswehr, die weiterhin Tag und Nacht
sundheitsversorgung in Kliniken, die Tag    vor Gefahren schützen, der Müllabfuhr,
und Nacht unter erschwerten Bedingun-       die unsere Städte sauber und ordentlich
gen vollen Einsatz bringen, um unser        hält – all den Menschen, die dafür sor-
Leben zu schützen, allen Mitarbeitern der   gen, dass unsere Gesellschaft auch unter
Kindernotbetreuung, die sich kümmern,       diesen Bedingungen so funktioniert, wie
damit dort, wo es noch möglich ist, der     wir es jeden Tag als normal hinnehmen
Arbeit nachgegangen werden kann, all        und manchmal vielleicht nicht genug zu
den Mitarbeitern in der Lebensmittelver-    schätzen wissen. Sie alle erhalten unsere
sorgung, Verkäufern, die im Dauerstress     Versorgung, unsere Gesundheit, unsere
sind und dafür sorgen, dass wir normal      Sicherheit mit täglichem Einsatz unter
weiter versorgt werden, auch den Mitar-     sehr anstrengenden, belastenden Bedin-
beitern der Apotheken, die uns mit Medi-    gungen aufrecht. Die Wertschätzung die-
kamenten versorgen, den Mitarbeitern für    ser Arbeit sollte auch nach der Krise
Logistik und Warenlieferungen – wir mer-    nicht nachlassen.
ken in diesen Tagen ja, wie fragil diese         Ein kurzer Rückblick: Am 3. Janu-
Warenketten sind –, auch den Mitarbei-      ar 2013 wurde die Bundesregierung mit
tern des öffentlichen Nahverkehrs, die      einem Bericht zur Risikoanalyse im Be-
sich jeden Tag hohen Risiken aussetzen,     völkerungsschutz 2012 unterrichtet. Die
den Polizei- und Sicherheitskräften, die    Risikoanalyse geht bei einer bedingten
gemeinsam beschlossene Verordnungen         Wahrscheinlichkeit von einer Pandemie
und Maßnahmen zum Schutze aller             durch den hypothetischen Erreger Modi-
durchsetzen müssen und die normale          SARS aus. Namentlich wird in der Risiko-
Kriminalitätsbekämpfung dabei nicht aus     analyse direkt zu Anfang ein Coronavirus
den Augen verlieren dürfen, der Feuer-      genannt, das seit 2012 bekannt ist und

                                                                          KALBITZ 13
zum damaligen Zeitpunkt unter sechs          anderer Länder – zugegebenermaßen vor
nachweislich Infizierten zu zwei Todesfäl-   einer völlig neuen Situation, für die es
len geführt hat. Schon 2012 ist die Rede     keine Erfahrungswerte gab, hat am An-
von einer Übertragung des bei Wildtieren     fang teilweise auch zögerlich gehandelt.
vorkommenden Erregers über asiatische             Einfache und schnelle Maßnahmen,
Märkte und einer weiteren Ausbreitung        eine vernünftige Information der Bevölke-
durch Reisende. Auch die angegebene          rung hinsichtlich Corona-Verdachtsfällen
Inkubationszeit von 14 Tagen sowie die in    können Leben retten. Obwohl bereits im
der Analyse beschriebenen Symptome           Dezember 2019 erste Infektionen in
lesen sich wie eine Beschreibung der         China bekannt wurden und am 27. Janu-
Symptome in der aktuellen Corona-Pan-        ar 2020 auch der erste Deutsche erkrank-
demie. Auch in den anderen Punkten           te, wurde uns von Gesundheitsminister
sind die Abweichungen gegenüber der          Spahn noch bis Mitte Februar mitgeteilt,
heutigen Situation marginal: Die Letalität   die Corona-Lage sei unter Kontrolle. Und
wird in der Analyse auf 10 % geschätzt,      bis Ende Februar konnte den Medien
mit deutlichen Unterschieden je nach Al-     entnommen werden, Gesundheitsminis-
tersgruppe. Selbst die räumliche Ausdeh-     ter Spahn – Zitat – halte nichts von Rei-
nung wurde treffend als global, aber vor-    sebeschränkungen – Reisebeschränkun-
wiegend im asiatischen, europäischen         gen, die in anderen Ländern Leben geret-
und nordamerikanischen Raum angege-          tet haben dürften. Auch vor der eigenen
ben. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest     Haustür müssen wir kehren.
der damals vorausgesagte Zeitraum von             Für Lehren ist es noch zu früh. Die
drei Jahren nicht Realität wird – ange-      Krise ist auf ihrem Höhepunkt. Wir alle
sichts dessen, dass mancher Freischaf-       wissen nicht, wann sie ausgestanden ist,
fende und Selbstständige schon jetzt         welche Folgen sie langfristig auch für un-
Sorge hat, wie er im nächsten Monat den      sere Wirtschaft haben wird.
Kühlschrank füllt.                                Herr Woidke, in Ihrer Rede sprachen
     Schon vor acht Jahren waren auch        Sie davon, dass weltweit mit Hochdruck
die Handlungsempfehlungen bekannt: ra-       daran gearbeitet werde, Behandlungsme-
sche Informationen über Schutzmaßnah-        thoden und Impfstoffe zu entwickeln.
men, Isolierung und Quarantäne von Ver-      Vielleicht gelingt es uns, diese Krise,
dachtsfällen, aber auch von infizierungs-    wenn sie überstanden ist, auch als Anre-
empfindlichen Personen, Absage von           gung zu nutzen, Brandenburg als Wis-
Massenversammlungen, Schulschließun-         senschaftsstandort weiter auszubauen,
gen. Und obwohl die drohende Gefahr          der selbst solche Behandlungsmethoden
bekannt war, obwohl der Erreger in China     und Impfstoffe entwickeln kann, anstatt
erkannt wurde, sind teilweise zögerlich      uns auf die Welt zu verlassen, die, wie
sinnvolle Maßnahmen und Handlungen           wir jetzt merken, von fragilen Lieferketten
unternommen worden, um unsere Bevöl-         und Einzelinteressen abhängig ist.
kerung zu schützen. Die Bundesregie-              Mit dem Großprojekt Tesla versucht
rung stand – wie auch die Regierungen        die Landesregierung ja, einen Schritt in

14   KALBITZ
Richtung Ausbau Brandenburgs zum In-          als den Verlautbarungen der Regierung
dustriestandort zu machen. Wir werden         an den Landtag.
sehen, was daraus wird, und werden das              Mittlerweile wurden zahlreiche Maß-
auch weiterhin kritisch begleiten, wobei      nahmen zur Eindämmung der Corona-
das nicht der Schwerpunkt in dieser Zeit      Pandemie ergriffen. Ich habe bereits da­
ist.                                          rauf hingewiesen, dass im Nachklang der
      Weshalb nutzen wir keine Grenzkon-      Krise zu erörtern ist, wie in Zukunft orga-
trollen nach Polen, um Corona-Ver-            nisierter und konsequenter mit solchen
dachtsfälle schneller zu identifizieren und   Herausforderungen umgegangen werden
das Leben der Bevölkerung Branden-            kann – Thema Schulschließungen; da war
burgs zu schützen? Wir verlassen uns auf      Brandenburg auch das Schlusslicht –,
Polen und die Nachbarstaaten, die dies        wenngleich, wie ich schon betont habe,
konsequent tun. Warum werden an unse-         die Situation für alle neu ist.
ren Flughäfen keine Kontrollen zur Identi-          Auch bei den wirtschaftspolitischen
fikation von Corona-Verdachtsfällen           Maßnahmen, die wir grundsätzlich sehr
durchgeführt?                                 begrüßen und die nötig sind, ist eine in-
      Ja, es gibt auch unschöne Seiten. In    tensive Unterstützung, zum Beispiel der
Ihrer Erklärung bezeichnen Sie die            ILB, angebracht. Wenn das Bestreben
„Hamsterkäufe“ als asozial, und Sie           jetzt darin besteht, die tägliche Bearbei-
haben recht: Natürlich sind Hamsterkäufe      tung von 200 Anträgen auf 1 000 Anträge
kein gebotenes Mittel.                        zu erhöhen, ist das eine irre Herausforde-
      Und ja, es gab unschöne Szenen in       rung. Sie haben erwähnt, dass bereits
Lebensmittelgeschäften. Die teilweise         47 000 Anträge eingegangen sind. Bis
manische Fixierung auf Toilettenpapier ist    die Anträge adäquat bearbeitet werden,
mir bis heute unerklärlich. Aber auch die-    gehen unter den jetzigen Bedingungen
ses angstgetriebene Verhalten der Men-        Monate ins Land. Wir fordern die Landes-
schen hat seine Ursache in unzureichen-       regierung dazu auf, die ILB möglichst fle-
der Information bei gleichzeitigem Miss-      xibel und unbürokratisch mit Personal-
trauen – ich glaube, das war ebenfalls        aufstockungen zu unterstützen. Das
eine Ursache – und, ja, auch in der Ver-      könnte beispielsweise durch den Einsatz
breitung von Falschmeldungen und Ver-         einzelner Beamter aus den Ministerien
schwörungstheorien.                           geschehen. Unkonventionelle Situationen
      Wir nehmen die Ängste der Men-          erfordern unkonventionelle Maßnahmen.
schen ernst und fordern weiter eine ehr-            Eine wichtige Forderung der AfD-
liche und zügige Information und auch         Fraktion war die Erteilung der Approba-
mehr Transparenz, auch innerhalb des          tion für deutsche Ärzte, die an der Pom-
parlamentarischen Betriebes. Wir muss-        merschen Medizinischen Universität
ten oftmals feststellen, dass die eine oder   Stettin ihr Studium abgeschlossen
andere Information auch für die Abgeord-      haben. Das ist eine Forderung, die wir
neten eher der Presse zu entnehmen war        übrigens bereits am 19.03.2020 in dem
                                              Antrag „Interpretation von Formalitäten

                                                                             KALBITZ 15
an europäische Praxis angleichen – Me-       ergänzt, die wir für nötig und förderlich
dizinstudenten der Pommerschen Medi-         halten. Es geht um mehr als um partei-
zinischen Universität in Stettin approbie-   politische Differenzen, nämlich um sach-
ren!“, Drucksache 7/888, erhoben haben.      politische Belange im Interesse der Men-
Der Antrag wurde seinerzeit abgelehnt.       schen in unserem Land.
      Gerade jetzt kommt es auf jeden              Herr Redmann, es ist schlicht unred-
Einzelnen an. Die Ärzte der PMU Stettin      lich, wenn Sie der AfD unterstellen, wir
sind gut ausgebildete junge Leute, die       würden irgendwas blockieren. Das ist
unser Land dringend braucht. Selbst          nicht der Fall. Wir stimmen auch – was
Jens Spahn kam – nach der AfD-Forde-         als Opposition sehr ungewöhnlich ist –
rung – bereits zu der Erkenntnis, dass wir   dem Haushalt zu; denn wir wissen, dass
diese Ärzte dringend benötigen. Und wir      es jetzt nötig ist, dass die Nothilfe bei
freuen uns, dass dieser Forderung inzwi-     den Menschen ankommt. Und wir wissen
schen Folge geleistet wurde. Gleichwohl      auch, dass uns mit diesem Haushaltsent-
heißen wir die Befristung nicht gut, weil    wurf – so, wie er vorliegt – ein Teil des
sie jungen Medizinern nicht die Perspek-     Nachtragshaushalts, den so schnell zu
tive gibt, um sie in Brandenburg zu hal-     beschließen nicht zwingend notwendig
ten.                                         gewesen wäre, untergejubelt wird. Das
      Sie sprechen in Ihrer Erklärung von    ficht uns aber nicht an, weil wir wissen,
einer Zusammenarbeit auf allen Ebenen.       dass es jetzt wichtig ist, angemessen auf
Das heißen wir gut, und wir schließen uns    die Krise zu reagieren. Das sehen wir
an. Für uns schließt das auch eine kon­      kon­struktiv. Ähnliches galt für das Pai-
struktive Zusammenarbeit zwischen der        ring-Verfahren, dem wir auch zugestimmt
Landesregierung und den Oppositions-         haben.
parteien ein. Grundlage einer konstrukti-          Wenn Sie uns vorwerfen, dass wir
ven Zusammenarbeit bleibt aber eine zü-      das Kommunale-Notlagen-Gesetz nicht
gige und stete Informationsweitergabe.       nach wenigen Stunden abnicken – wenn
      Trotz mancher Versäumnisse und         also der Entwurf abends vorliegt und vor-
aller Kritik verspreche ich im Namen der     mittags die Entscheidung getroffen wer-
AfD-Fraktion, dass wir die Landesregie-      den muss –, sage ich: Es geht eben
rung bei allen notwendigen Maßnahmen         darum, dass wir das diskutieren wollen
zum Schutze der Bevölkerung unterstüt-       – nicht in dem normalen Vorlauf von Mo-
zen werden. Wir werden parteipolitische      naten und Wochen, aber eine intensive
Ziele hintanstellen und an allen Maßnah-     Befassung, gerade wenn es um solche
men konstruktiv mitarbeiten, die dazu        grundlegenden, auch verfassungsrecht-
dienen, Leben zu retten.                     lich relevanten Themen geht, muss mög-
      Die Gesundheit und das Leben jedes     lich sein. Uns daraus den Vorwurf der
Einzelnen sind unser oberstes Ziel. Ich      Blockade zu machen ist eine parteipoliti-
fordere Sie auch auf, sich konstruktiv mit   sche Instrumentalisierung in der Krise,
unserem Entschließungsantrag zu be-          die wir ablehnen.
schäftigen, der einiges an Maßnahmen

16   KALBITZ
Wir werden auch dem Nachtrags-           schränkungen durchsetzen – dieses
haushalt der Landesregierung mit der ge-       Spannungsverhältnis gilt es eben in der
botenen Solidarität zustimmen, um die          Krise auszutarieren.
Maßnahmen zu unterstützen. Auf den un-               Abschließend möchte ich mich in ei-
tergejubelten Teil des Nachtragshaushalts      nigen Punkten durchaus der Regierungs-
habe ich bereits hingewiesen. Das kann         erklärung anschließen. Die derzeitige So-
aber in der Krise jetzt keine Rolle spielen.   lidarität der Menschen, der Zusammen-
      Gleichzeitig werden wir als Opposi-      halt und die Unterstützung zwischen
tion natürlich alle getroffenen Maßnah-        Jung und Alt über alle derzeit gebotenen
men der Landesregierung konstruktiv-           Grenzen hinaus: Wir sehen eine grund-
kritisch verfolgen, gerade wenn es um die      sätzlich vorhandene Hilfsbereitschaft und
Einschränkung demokratischer Rechte            Solidarität in unserem Land. Das sollte
geht. Wir nehmen unsere Rolle als größte       uns motivieren und mahnt uns zugleich,
Oppositionspartei sehr ernst und werden        diese Helden des Alltags während und
nicht zulassen, dass demokratische Pro-        nach der Krise nicht im Stich zu lassen.
zesse unter dem Deckmantel des Ge-             – Vielen Dank.
sundheitsschutzes eventuell beeinträch-
tigt oder abgebaut werden, wo es ver-
meidbar und unnötig ist. An anderen            Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:
Stellen wird die Einschränkung von Frei-
heitsrechten nicht vermeidbar sein. Aber       Danke schön. – Für die SPD-Fraktion
Freiheitsrechte bewahren und nötige Ein-       spricht der Abgeordnete Stohn.

                                                                             KALBITZ 17
18   KALBITZ
Erik Stohn
Vorsitzender der SPD-Fraktion

S        ehr geehrte Damen und Herren!
         Lassen Sie mich kurz einen Blick
auf die vorherige Rede werfen. Als Herr      Erik Stohn
Kalbitz das Verbreiten von Fake News
ansprach, dachte ich zunächst, es werde      der kommunalen Spitzenverbände –
heute eine Bußrede geben. Das war dann       durchführen zu können, und ihn in der
doch nicht der Fall.                         Folge zu beschließen. Durch die Verwei-
     Was mich wirklich verwundert, ist,      gerung Ihrer Fraktion verlieren wir jetzt
mit welcher Lust Sie immer wieder darauf     unnötig Zeit, die wir zur Stärkung der
setzen, dass das Tesla-Projekt, die größ-    kommunalen Demokratie benötigt hätten.
te Industrieansiedlung seit der Wieder-      Das ist der Schaden. Aber seis drum.
vereinigung in unserem Brandenburg,          Vielleicht haben Sie einfach noch nicht
misslingen könnte. Diese Lust am Schei-      gewusst, dass eine 1. Lesung auch eine
tern, mit der Sie das hier vortragen,        erste Diskussion bedeutet. Nach fünf
stimmt mich wirklich nachdenklich.           Jahren im Parlament könnte man das
     Eines möchte ich auch noch klarstel-    aber wissen.
len: Wir haben gestern versucht, mit allen        Sehr verehrte Damen und Herren,
Fraktionen in diesem Haus ins Gespräch       die Welt hat eine Vollbremsung hingelegt.
zu kommen, um eine Lösung für unsere         Das öffentliche Leben ist nahezu zum Er-
kommunalen Parlamente zu finden: um          liegen gekommen. Unsere Wirtschaft
Demokratie auch angesichts der Corona-       steht vor der größten Herausforderung
Krise und entsprechender Gesundheits-        seit der politischen Wende. Die Sonne
vorkehrungen auch in den kommunalen          scheint, als wäre nichts gewesen, aber
Parlamenten stattfinden zu lassen. Es        die Cafés sind leer, die Regionalbahnen
ging nicht darum, etwas durchzuwinken,       sind es auch, und die allermeisten Ge-
sondern darum, den Gesetzentwurf auf         schäfte haben geschlossen.
die heutige Tagesordnung setzen zu kön-           Das liegt an den ergriffenen Maßnah-
nen, um ihn in 1. Lesung zu diskutieren,     men, die alle ein Ziel haben: die Gesund-
an den Innenausschuss zu überweisen,         heit von uns Bürgerinnen und Bürgern zu
um eine entsprechende Anhörung – auch        schützen. Wir müssen die Verbreitung

                                                                            STOHN 19
des Virus verlangsamen, damit die medi-       sie schützen damit Mitmenschen, die ge-
zinische Versorgung für alle sichergestellt   sundheitlich stärker gefährdet sind.
ist. Alle, die durch das Virus erkranken            Der Ministerpräsident sprach von
und einen schweren Verlauf dieser Krank-      einem Marathonlauf, an dessen Anfang
heit erleben, benötigen die bestmögliche      wir stehen. Ich will es etwas apokalypti-
Betreuung. Das geht nur, wenn wir nicht       scher formulieren: Der Sturm zieht gera-
an die Kapazitätsgrenzen unserer Kran-        de erst auf. – Abstand halten heißt Leben
kenhäuser und unseres medizinischen           retten. Wir wollen verhindern, dass bei
Personals stoßen.                             uns Bilder entstehen, wie sie in Italien – in
      Unser Ministerpräsident hat es ge-      Bergamo – jetzt jeden Abend zu sehen
sagt: Die erste Aufgabe ist es, Leben zu      sind, wo Militärlaster voller Särge durch
retten. Dazu gehört es, die Krankenhäu-       die Straßen fahren. Oder wie in anderen
ser und die dort Beschäftigten – die Ärz-     Ländern, wo es mittlerweile vom Alter
tinnen, die Krankenpfleger, die Notfall­      und von den Genesungschancen ab-
sanitäter und das gesamte Personal – zu       hängt, ob man noch Zugang zu Gesund-
unterstützen. Sie haben schon jetzt Groß-     heitseinrichtungen hat. Das sage ich den-
artiges geleistet, und in den kommenden       jenigen, die ich noch vor wenigen Tagen
Wochen kommt noch mehr auf sie zu. Ich        die Getränkepulle herumreichend vor
sage an dieser Stelle ganz herzlichen         dem Supermarkt gesehen habe: Nehmen
Dank an das medizinische und das pfle-        Sie es ernst!
gerische Personal.                                  Die allermeisten halten sich, wie ge-
      Die Kliniken bauen Stationen um und     sagt, daran. Dieses Miteinander spürt
schaffen mehr Beatmungsgeräte an,             man an vielen Stellen. In den Familien
damit mehr Betten für intensivmedizini-       wird sich auf ganz neue, intensive Weise
sche Versorgung zur Verfügung stehen.         umeinander gekümmert. Schule findet
Das Land unternimmt gemeinsam mit             jetzt zu Hause statt. Oma und Opa kön-
den Krankenhäusern alles, um den Be-          nen nicht besucht werden, aber man
schäftigten im Gesundheitsdienst sowie        kauft für sie ein, telefoniert mit ihnen und
in der Pflege den Rücken freizuhalten         sorgt sich um sie. Das macht deutlich,
und das benötigte Material zu beschaf-        wie wichtig jedem von uns Familie ist.
fen, sei es Desinfektionsmittel oder seien          Auch im Freundes- und Kollegen-
es Atemschutzmasken. Wir arbeiten             kreis gibt es ein stärkeres Gemein-
dabei Hand in Hand mit den Ärzteverbän-       schaftsgefühl. Wir achten stärker aufein-
den, den Krankenhäusern, den Kommu-           ander. Wir kümmern uns um andere, hel-
nen – und natürlich dem Bund.                 fen mit und helfen aus. Noch viel groß-
      Meine sehr verehrten Damen und          artiger ist: Wir helfen Menschen, die wir
Herren, die allermeisten Menschen halten      gar nicht kennen. Nachbarn kaufen für-
sich an die Vorsichtsregeln, die eine Aus-    einander ein, damit ältere Mitmenschen
breitung des Virus bremsen und so             nicht vor die Tür gehen müssen; andere
Leben retten können. Sie tun es zum ei-       nähen Atemschutzmasken für Menschen,
genen Schutz, aber auch weil sie wissen,      die berufsbedingt mit vielen in Kontakt

20   STOHN
stehen. Das mag für uns ungewöhnlich            men ergriffen, um Beschäftigung und Be-
sein, und vielleicht empfindet der eine         triebe zu sichern und möglichst unbe-
oder andere noch Scham, aber es ist             schadet durch die Krise zu bringen. Den
auch eine Maßnahme, um sich und ande-           Unternehmen wird durch Kredite und
re zu schützen.                                 Steuerstundungen Luft und Zeit ver-
     Ich bin stolz darauf, dass viele dem       schafft. Kurzarbeitergeld hilft Arbeitneh-
Aufruf gefolgt sind, zum Blutspenden zu         merinnen und Arbeitnehmern, deren Be-
gehen. Am Montag war ich in Jüterbog            triebe aktuell leere Auftragsbücher
Blut spenden, und ein Drittel mehr Men-         haben. Kreative, Kulturschaffende und
schen taten es mir gleich, als es sonst         Selbstständige können auf Zuschüsse
der Fall ist. Vielen Dank auch für Ihre Be-     bauen. Die Grenzpendler aus unseren
reitschaft, in schwierigen Zeiten Blut zu       polnischen Nachbarregionen, die in Kran-
spenden!                                        kenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Un-
                                                ternehmen dringend gebraucht werden,
    (Allgemeiner Beifall)
                                                bekommen Unterstützung, damit sie hier
        Bei Agrarbetrieben und Gärtnereien      übernachten und trotz geschlossener
melden sich jetzt viele, die bei der Ernte      Grenzen zu ihrem Arbeitsplatz gelangen
aushelfen wollen. Lieferanten und Lkw-          können.
Fahrer geben alles, damit keine Engpäs-              Brandenburg war beim Bereitstellen
se entstehen. Etliche Unternehmen stel-         der Soforthilfen eines der ersten Bundes-
len ihre Produktion um, um Materialien          länder. Seit einer Woche sind bei der ILB
herzustellen, die die dringend benötigte        Anträge möglich. Über 45 000 sind es
medizinische Versorgung sicherstellen.          mittlerweile; 11 Millionen Euro sind schon
Wenn es heißt, in der Krise zeigt sich der      ausgezahlt. Ich habe gestern noch einmal
wahre Charakter, stelle ich fest: Wir hier      mit einem Gastwirt aus meinem Wahl-
in Brandenburg sind großartige Men-             kreis gesprochen, der 15 Mitarbeiter be-
schen, die gerade über sich hinauswach-         schäftigt. Er sagt, es sei ein gutes Gefühl
sen. Vielen Dank!                               in Zeiten dieser Krise, wenn er das Geld
       Wer sich in unserem Land umsieht,        am letzten Mittwochvormittag beantragt
sieht auch viele Sorgenfalten, viele Fragen.    und bereits um 12.36 Uhr die Rückmel-
Die Menschen haben Angst um ihre beruf-         dung „Ihr Antrag ist eingegangen, er wird
liche Existenz. Deshalb ist es unsere politi-   bearbeitet“ bekommen habe, er sich au-
sche Aufgabe, die Folgen der Corona-            ßerdem – auch zum Wohle seiner Mitar-
Krise einzudämmen. Wir stehen im                beiterinnen und Mitarbeiter – auf das
30. Jahr der politischen Einheit – und wir      Kurzarbeitergeld verlassen könne.
stehen vor Aufgaben, die wir bisher nicht            Zugleich dämpfen wir in Zusammen-
kannten: Geschäfte haben geschlossen,           arbeit mit der Bundesregierung die sozia-
Aufträge sind storniert, Produktionsmate-       len Auswirkungen der Krise. Keine Fami-
rial ist schwieriger zu beschaffen.             lie muss fürchten, wegen vorübergehen-
       Land und Bund befinden sich in           der Mietrückstände auf die Straße ge-
enger Abstimmung und haben Maßnah-              setzt zu werden. In Brandenburg, wo El-

                                                                                STOHN 21
tern ihre Kinder gerade nicht in die Kitas   das Tempo bei den notwendigen Ent-
schicken können, weil die geschlossen        scheidungen und das entschlossene
haben, müssen ab heute keine Kitabei-        Handeln aller Verantwortlichen sind be-
träge mehr gezahlt werden. Auch Eltern,      eindruckend. Allerdings kommen dieser
die ihre Kinder zu Hause betreuen und        Tage auch Dinge vor, die gar nicht gehen:
deshalb nicht arbeiten können, haben         wenn Betriebe übereilt Mitarbeiterinnen
Anspruch auf eine Lohnentschädigungs-        und Mitarbeiter entlassen, die sie nach
zahlung.                                     überstandener Krise dringend wieder be-
      Wir haben diese Soforthilfemaßnah-     nötigen; wenn einzelne Handelsketten
men gemeinsam erarbeitet und sie in          meinen, sie müssten für ihre geschlosse-
atemberaubendem Tempo miteinander            nen Läden keine Miete mehr zahlen, ob-
beschlossen: im Bundestag, im Bundes-        wohl sie sich in den Jahren zuvor eine
rat und auch hier im Landtag. Heute wer-     goldene Nase verdient haben.
den wir einen Nachtragshaushalt be-                Ich sage es sehr deutlich: Es ist Zeit
schließen, der den bundesweiten Schutz-      für ein Miteinander und Solidarität, im
schirm um einen Brandenburger Ret-           Großen wie im Kleinen. Es ist kein Platz
tungsschirm ergänzt. Ich werde oft ge-       für Egoismus oder Kleinstaaterei.
fragt: „Können wir uns das leisten?“               Meine sehr verehrten Damen und
Meine Antwort ist: Nichts zu unterneh-       Herren, wir als Parlament werden heute
men, das können wir uns nicht leisten.       mit dem Nachtragshaushalt 2 Milliar-
      Wir wollen Arbeitsplätze und Betrie-   den Euro bereitstellen und damit der Re-
be sichern, damit nach der Krise Wert-       gierung die Möglichkeit geben, in unse-
schöpfung noch möglich ist, damit die        rem Auftrag schnell zu handeln, das Nöti-
großen Summen an Soforthilfe, die wir        ge zu tun und die Zukunft Brandenburgs
jetzt bereitstellen, auch irgendwann wie-    in diesen schweren Zeiten zu sichern.
der erarbeitet werden können. Gerade im      Aber wir denken auch an die Zeit danach.
Osten ist das wichtig, wo die Unterneh-      Mit dem Zukunftsinvestitionsfonds halten
men noch nicht so dicke Kapitaldecken        wir Geld für die Zeit bereit, wenn das öf-
haben, wie es im Westen vielleicht der       fentliche Leben wieder beginnt und sich
Fall ist, wo uns die Krise in einem Klima    die Straßen wieder füllen. Dann braucht
erwischt, bei dem eigentlich alle Zeichen    es konjunkturelle Impulse. Die setzen wir
auf Investition standen und alle investie-   mit dem Zukunftsinvestitionsfonds: 1 Mil-
ren wollten. Gerade jetzt müssen sie an      liarde Euro halten wir dafür bereit. Das
die Puffer gehen, um diese Krise zu über-    war vor Corona richtig und ist nach Coro-
stehen. Deswegen ist die schnelle Sofort-    na nötiger denn je.
hilfe, die wir in unserem Bundesland ge-           Aber wir müssen noch mehr tun, um
startet haben, so richtig und wichtig.       uns für die Zukunft zu wappnen. Wir
Ganz herzlichen Dank an alle, die daran      müssen aus dieser Pandemie, ihrem Ver-
mitwirken!                                   lauf und ihren schrecklichen Auswirkun-
      Meine sehr verehrten Damen und         gen Lehren ziehen. Ich möchte nur einige
Herren, das Miteinander im ganzen Land,      Grundlinien aufzeigen:

22   STOHN
Erstens. Das Wichtigste ist das ge-      schen Solidarität und Selbstbeschrän-
sellschaftliche Miteinander, ist der Zu-      kung zu handeln. Wir zeigen, dass das
sammenhalt. Das gilt in normalen Zeiten       Gesundheitsinteresse über dem Wirt-
und in Krisenzeiten erst recht. Kein          schaftsinteresse steht. Wir zeigen gera-
Mensch, kein Landkreis, kein National-        de, dass man Menschen auch in freiheit-
staat kann sich abschotten und glauben,       lichen Demokratien für die Bekämpfung
ihn erreiche dieses Virus nicht. Wir leben    des Virus gewinnen kann, ohne sie einzu-
in einer vernetzten Welt. Das bedeutet        sperren oder zu gängeln. Hierzulande
aber übrigens auch: Wir müssen uns in         handeln Regierungen entschlossen im
und nach der Krise um multinationale Or-      Auftrag der Parlamente und gemeinsam
ganisationen wie die Europäische Union        mit den Parlamenten. Sie beziehen die
und die Vereinten Nationen kümmern und        Menschen in die Bekämpfung des Virus
diese stärken. Deswegen ist es auch           ein, sie stehen zusammen und machen
richtig, dass wir auch in unserem kleinen     Ungeahntes möglich, ohne die freiheit-
Brandenburg Hilfe für italienische Patien-    lichen, demokratischen Rechte infrage zu
ten leisten.                                  stellen. Journalisten berichten weiterhin
     Zweitens. Der Sozialstaat spielt in      frei, kritisch, objektiv und ununterbro-
dieser komplexen, arbeitsteiligen Welt        chen. Alle unsere Maßnahmen müssen
eine entscheidende Rolle für das Wohl-        der Überprüfung durch Gerichte stand-
ergehen der Bürgerinnen und Bürger. Vor       halten. Diese Situation ist keine Notsitua-
einigen Jahren war Privatisierung das All-    tion der Demokratie. Wir haben eine Ge-
heilmittel, die Stärkung der öffentlichen     sundheitskrise und keine Demokratie­
Daseinsvorsorge dagegen im Verruf. Das        krise, wie uns die AfD hier einreden will.
Coronavirus zeigt: Ein starker, vorsorgen-    Die Gewaltenteilung funktioniert, und mir
der und sozialer Staat ist unverzichtbar.     ist es wichtig zu sagen, dass alle vier Ge-
Das ist die zweite Lehre aus dieser Krise.    walten dazu beitragen.
Wir müssen uns alle miteinander die                 Meine sehr verehrten Damen und
Frage stellen, ob es klug war, das Ge-        Herren, ich bin mehr denn je überzeugt:
sundheitssystem mehr und mehr auf             Der soziale und demokratische Staat ist
Wirtschaftlichkeit und Auslastung aufzu-      am besten geeignet, den Menschen ein
bauen. Hier müssen alte Wahrheiten mit        Leben in Würde und Sicherheit zu ermög-
neuen Erfahrungen abgeglichen werden,         lichen, auch und gerade in der Krise, wie
hier müssen wir Lehren aus der aktuellen      wir sie momentan erleben. Wenn diese
Situation ziehen.                             schwierige – für viele schwere – Zeit
      Die dritte Lehre lautet: Dieser Staat   etwas Gutes hat, dann das: Sie erinnert
ist auch in Notlagen handlungsfähig. Er       uns an das Wesentliche, an das, was
zeigt gerade, dass er in der gebotenen        wirklich zählt, daran, wie sehr wir alle ei­
Eile demokratisch entscheiden und han-        nander brauchen. Sie zeigt uns, wie groß
deln kann. Er zeigt vor allem, dass es uns    das Engagement der Menschen, der
gelingt, mit einem klugen Gleichgewicht       Brandenburgerinnen und Brandenburger
zwischen Freiheit und Sicherheit, zwi-        füreinander ist. Wir haben uns diese Krise

                                                                               STOHN 23
nicht ausgesucht, aber wir nehmen sie    Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:
gemeinsam an. – Herzlichen Dank, Bran-
denburg!                                 Danke schön. – Für die Fraktion
                                         DIE LINKE hat der Abgeordnete Walter
                                         das Wort. – Ich glaube, wir können den
                                         beiden Gebärdensprachdolmetscherin-
                                         nen auch einmal mit einem Beifall dan-
                                         ken.

                                             (Allgemeiner Beifall)
                                             Bitte schön, Herr Walter.

24   STOHN
Sebastian Walter
Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE

S        ehr geehrte Frau Präsidentin!
         Sehr geehrter Herr Ministerpräsi-
dent! Sehr geehrte Damen und Herren!         Sebastian Walter
Das Coronavirus ist in unser Leben ein-
geschlagen und hat von heute auf mor-        schaft auf den Weg gebracht hat. An die-
gen alles verändert: Die Schulen und         ser Stelle möchte ich Katrin Lange, Jörg
Kitas sind geschlossen, Restaurants,         Steinbach und den Mitarbeiterinnen und
Theater und Kinos haben zu, und unsere       Mitarbeitern der ILB Danke sagen dafür,
Grenzen sind dicht. Mit Freunden in den      dass sie schnell gehandelt haben, sodass
Park, gemeinsames Angrillen, in den Ur-      wirklich viele Unternehmen von den So-
laub fahren oder einfach nur ganz normal     forthilfen profitieren können. Für die
seiner Arbeit nachgehen – das ist im Mo-     kleinteilige brandenburgische Wirtschaft
ment auch in Brandenburg nicht mehr          ist diese Unterstützung überlebens­
möglich. Das öffentliche Leben ist nahe-     wichtig.
zu vollständig zum Erliegen gekommen.              Herr Ministerpräsident, Sie haben es
     Diese Krise hat uns alle kalt er-       in den letzten Tagen immer wieder be-
wischt. Und damit ist sie nicht nur eine     schworen: Auf was es jetzt ankommt, ist
Bedrohung für Leib und Leben der Men-        Solidarität – gerade mit denjenigen, die
schen in diesem Land, sondern auch eine      unsere Gesellschaft am Laufen halten
Gefahr für unser wirtschaftliches, kultu-    und damit die größte Last zu tragen
relles und soziales Leben in Branden-        haben. Immer wieder haben Sie sich bei
burg.                                        diesen Menschen bedankt: bei den Kran-
     Ja, es war richtig, diese Entschei-     kenpflegerinnen und -pflegern, den Kas-
dungen zu treffen. Ja, es war richtig,       siererinnen und Kassierern, bei den Bus-
auch harte Einschnitte in Kauf zu neh-       fahrerinnen und Busfahrern, aber auch
men; denn wir müssen alles dafür tun,        den Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern. Gut!
der Ausbreitung des Virus entgegenzu-        Und nun?
treten – und das gemeinsam. Und ja, es             Was uns diese Krise drastisch zeigt,
war auch gut und richtig, dass die Lan-      ist Folgendes: Nicht die, die am meisten
desregierung schnell Hilfen für die Wirt-    verdienen, sind die, die unsere Gesell-

                                                                            WALTER 25
schaft stützen, sondern gerade jene, die      heit vor einer Infektion und für soziale, fi-
am Anfang des Monats nicht wissen, wie        nanzielle Sicherheit –, dass wir die Ängs-
sie am Ende über die Runden kommen            te und Nöte der Brandenburgerinnen und
sollen, die auch sonst schlaflose Nächte      Brandenburger sehen und sie nicht al-
wegen der Klassenfahrt des Ältesten           leinlassen, denn das Leben ist immer
oder der Rechnung für die neue Wasch-         konkret.
maschine durchleben müssen. Es sind                 Auch Ihnen wird es so gegangen
gerade die Menschen im Niedriglohnsek-        sein: In den letzten Tagen und Wochen
tor, die sich Tag für Tag der Gefahr einer    haben sich viele Menschen bei uns allen
Infektion aussetzen, damit wir alle noch      gemeldet. Sie kennen mich ja inzwischen
in den Supermarkt gehen oder zur Arbeit       ein bisschen – ich erzähle Ihnen jetzt ein-
fahren können, die unsere Oma im Heim         mal von diesen Menschen in unserem
versorgen oder die Essensausgabe an           Land: Da ist zum Beispiel Luisa, die junge
der Tafel aufrechterhalten.                   Krankenschwester.
      Liebe Kolleginnen und Kollegen, lie-
                                                  (Zuruf)
ber Herr Stohn, da wird eben auch eines
sehr deutlich: Ein Dank allein – so wichtig        – Tun Sie mal nicht so! Das ist eben
die Anerkennung auch ist – reicht halt        die konkrete Realität in diesem Land.
nicht aus. Denn schlussendlich bleibt es      Während Sie hier „Danke, danke!“ sagen,
dabei: Kein Mensch in diesem Land kann        melden sich die Menschen bei uns und
seine Miete mit Applaus vom Balkon be-        haben Fragen.
zahlen. Keine Rechnung lässt sich mit
                                                  (Weitere Zurufe)
einem netten Lächeln begleichen, und
keine dritte Mahnung ist nach einem                 Also hören Sie einfach in Ruhe zu,
herzlichen „Vergelt’s Gott!“ Geschichte.      und dann können wir darüber diskutieren.
      Wir alle hier – wir 88 Landtagsabge-         Sie ist Krankenschwester. Seit Jah-
ordnete, die wir hier sitzen – haben leicht   ren herrschen auch in ihrer Klinik Perso-
reden, und darauf sollten wir auch einmal     nalmangel, Unterbezahlung und massiver
achten: Wir haben heute unseren vollen        Druck. Deswegen ist sie letztes Jahr ge-
Lohn zu 100 % erhalten. Die Mehrheit          meinsam mit ihren Kolleginnen und Kolle-
der Brandenburgerinnen und Branden-           gen auf die Straße gegangen und hat ge-
burger kann von so einem sicheren Ge-         streikt – für bessere Arbeitsbedingungen
halt – auch von der Höhe – nur träumen.       und mehr Gehalt: Wo war da eigentlich
Was die Menschen von uns dafür aber           der Applaus für Luisa? Und was hat sich
erwarten, ist, dass wir unseren Job ma-       seitdem für sie verbessert?
chen, dass wir uns konkret Gedanken                Herr Stohn, die Situation in den
machen und etwas auf die Beine stellen,       Krankenhäusern bundesweit ist nicht ein-
um ihnen unter die Arme zu greifen. Das       fach vom Himmel gefallen. Das sehen wir
heißt in erster Linie, dass wir alles dafür   auch daran, dass noch im letzten Jahr
tun, für ihre Sicherheit zu sorgen – und      – vor einigen Monaten – die Bertelsmann
zwar im doppelten Wortsinn: für Sicher-       Stiftung gemeinsam mit Karl Lauterbach

26   WALTER
von der SPD und vielen anderen in die-            Es kann aber nicht sein, dass unser
sem Land gefordert hat, dass wir doch        medizinisches Personal, die Ärzte und
die Hälfte der Kliniken schließen sollen,    Pflegekräfte, jetzt das Gefühl bekommen,
das rechne sich so ja nicht. Während         sie seien in dieser Krise das Kanonen­
Luisa für ihren Knochenjob am Ende mit       futter.
gerade einmal 2 000 Euro netto nach
                                                 (Zurufe)
Hause geht, machen private Klinikkon-
zerne Millionengewinne – aber rechnet             Der Schutz in unseren Gesundheits-
sich ja nicht, haben Sie uns erzählen wol-   einrichtungen muss die erste Priorität
len! Die Privatisierung im Gesundheits-      haben.
wesen – das war, das ist und das wird             Nun erzähle ich Ihnen von einer
immer so sein – geht auf Kosten der Pa-      Frau, die als Kassiererin in einem Pots-
tientinnen und Patienten, der Angestell-     damer Baumarkt arbeitet. Vor zwei Wo-
ten, der Hygiene und der Qualität.           chen noch hat sie Schutzmasken ver-
                                             kauft – mit einer Preissteigerung von
    (Zuruf)
                                             300 %. Selbst hat sie keine mehr bekom-
     – Wir haben kein einziges Kranken-      men. Aber auch sie setzt sich täglich an
haus geschlossen, Herr Stohn, und wir        ihre Kasse und begibt sich in die Gefahr
haben auch kein einziges Krankenhaus         einer Ansteckung.
privatisiert. Wir haben gemeinsam die In-         Wenn mir eine befreundete Mukovis-
vestitionspauschalen für die Krankenhäu-     zidose-Patientin erzählt, dass sie alle
ser hochgefahren. Aber Sie wissen auch       Läden, alle Apotheken abgegrast habe,
ganz genau, dass das ein bundesweites        aber nirgends mehr eine Maske zu be-
Thema ist. Deswegen sagte ich „bundes-       kommen sei, dann müssen wir endlich
weit“.                                       darüber reden, diese bei jenen zu be-
     Wohin uns das geführt hat, muss in      schlagnahmen, die meinen, damit jetzt
dieser Krise doch selbst dem Letzten         noch den großen Reibach machen zu
auch in diesem Hause klar werden. Dass       müssen, und sie denen zu geben, die sie
im 21. Jahrhundert allerorts Näherinnen      wirklich brauchen. Wenn Sie fragen, wer
zugange sind, um händisch einfache           das ist: Selbst Ihre Gesundheitsministerin
Atemschutzmasken für unsere Gesund-          hat vor einigen Tagen dargestellt, dass
heitseinrichtungen zu produzieren, weil      sie nicht verstehe, warum in einigen Bau-
es keine Schutzkleidung mehr gibt, dass      märkten in den letzten Wochen noch
Ehrenamtliche zu Hause die Nähmaschi-        FFP2- und FFP3-Masken verkauft wur-
ne fürs Krankenhaus anschmeißen – wer        den. Die Menschen erwarten zu Recht,
hätte sich das überhaupt vorstellen kön-     dass wir jetzt handeln und auch über Be-
nen in diesem reichen Land Deutsch-          schlagnahmungen reden.
land? Wenn ich Ihnen das vor zwei Mo-             Die Krankenschwester und auch die
naten erzählt hätte, hätten Sie mich zu      Kassiererin haben Kinder im Kita-Alter.
Recht für verrückt erklärt.                  Und als wäre alles nicht schon schwierig
                                             genug, müssen sie trotz Aussetzung der

                                                                            WALTER 27
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