Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache - April 2020
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Schriftenreihe des Landtages Brandenburg Heft 2/2020 Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Aussprache 1. April 2020
Inhalt 05 13 19 Ministerpräsi- Andreas Kalbitz Erik Stohn dent Dr. Diet- (AfD) (SPD) mar Woidke 25 33 39 Sebastian Dr. Jan Péter Vida Walter Redmann (BVB / FREIE (DIE LINKE) (CDU) WÄHLER) 45 Petra Budke (B90/GRÜNE) INHALT 3
Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke S ehr geehrte Frau Landtagspräsi- dentin! Verehrte Damen und Her- ren Abgeordnete! Meine sehr verehrten Dr. Dietmar Woidke Damen und Herren! Der Kampf gegen das Coronavirus fordert uns alle heraus. Die Verunsicherung und die Besorg- Er fordert uns als Gemeinschaft heraus, nis sind bei vielen Menschen groß. Des- jeden Einzelnen von uns. halb brauchen wir jetzt mehr denn je Zu- Anders als bei allen anderen Krisen, sammenhalt, um diese Herausforderun- beispielsweise der Finanzkrise oder bei gen gemeinsam bewältigen zu können. Naturkatastrophen, sind diesmal alle Be- Wie groß unsere Aufgabe ist, können reiche und alle Regionen betroffen. Es ist wir im Moment bestenfalls schätzen. Fest die ganze Welt betroffen. Der Schutz von steht aber eines: Panik ist ein schlechter Gesundheit und Leben hat in diesen Ratgeber – in der Krise genauso wie in Tagen absoluten Vorrang. Dies bringt jeder anderen Situation. Deshalb brau- spürbare Einschränkungen für alle Berei- chen wir Energie, kluge Entscheidungen che mit sich. Das öffentliche Leben, auch und vor allem eine klare Linie. Wir brau- bei uns im Land Brandenburg, steht chen Entschlossenheit und Besonnen- quasi still. Es scheint zum Teil, als wäre heit. Wir werden alles dafür tun, um die die Pausetaste gedrückt. beispiellose Aufbauleistung der Branden- Eine vergleichbare Situation hat es in burgerinnen und Brandenburger der letz- der Geschichte unseres Landes noch nie ten 30 Jahre zu bewahren. gegeben. Ich kann gut verstehen, wie Es gibt viele gute Gründe, darauf zu sich viele Menschen jetzt fühlen: Sie vertrauen, dass wir gemeinsam Lösun- fürchten um die eigene Gesundheit. Sie gen dafür finden werden. Weltweit wird fürchten um die Gesundheit ihrer Kinder mit Hochdruck daran gearbeitet, Be- oder die ihrer Eltern. Sie haben Angst um handlungsmethoden und Impfstoffe zu ihren Arbeitsplatz, und sie fragen sich: finden. Unsere Gesellschaft rückt in die- Wie lange wird dies dauern? Wann ist ser schwierigen Zeit noch enger zusam- endlich wieder ein normales Leben men, auch wenn wir physisch Abstand möglich? halten müssen. Außerdem haben wir DR. WOIDKE 5
nach wie vor eine starke Wirtschaft bei Wer unterwegs sein muss, hält Abstand. uns im Land Brandenburg. So muss es leider in diesen Wochen sein. Jetzt geht es für uns um konkrete So schützen wir uns und unser Gesund- Aufgaben. Unsere wichtigste Aufgabe ist heitssystem vor einer noch größeren Be- es, Leben zu retten. Auf den Intensivsta- lastungsprobe. tionen in den Kliniken des Landes wird Die Infektionszahlen steigen leider um jedes Menschenleben gekämpft. In- weiterhin. Aktuell gibt es in Brandenburg zwischen – Stand heute Morgen – müs- 979 gemeldete Infektionen; 84 Patienten sen 20 Patienten in Brandenburg wegen werden in Krankenhäusern behandelt. Ich Covid-19 künstlich beatmet werden. wünsche an dieser Stelle allen Betroffe- Wir tun alles dafür, dass so wenig nen eine schnelle Genesung. Menschen wie möglich überhaupt in (Allgemeiner Beifall) diese Lage kommen. Deshalb haben wir die umfangreichen Maßnahmen zur Be- Den Angehörigen der Verstorbenen schränkung von Kontakten in Kraft ge- gilt unsere ganze Anteilnahme. setzt und diese Maßnahmen gestern im Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kabinett bis zum 19. April verlängert. Nur meine sehr verehrten Damen und Herren, so können wir die Zahl der Neuinfektio- es gibt aber auch Hoffnung: Die Infekti- nen abflachen. onszahlen vervielfachen sich nicht mehr Die Botschaft sollte mittlerweile bei so schnell wie noch vor wenigen Tagen jedem und jeder angekommen sein: Ab- und erst recht nicht so schnell wie vor stand halten heißt Leben retten. Auch wenigen Wochen. Die Verzögerung der wenn die Einschränkungen groß sind, bin Ausbreitung des Virus verschafft uns Zeit ich froh, dass sich die allermeisten Bran- – Zeit, die wir in Brandenburg, in ganz denburgerinnen und Brandenburger an Deutschland brauchen, um zusätzliche die Regeln gehalten und ihr eigenes Ver- Kapazitäten in den Krankenhäusern, bei halten darauf abgestimmt haben. Intensivbetten und Beatmungsplätzen Eines möchte ich an dieser Stelle aufzubauen. Der Bund hat die Kranken- den wenigen Ignoranten doch noch hausfinanzierung dafür aufgestockt, und sagen, die meinen, dass für sie diese Re- auch wir werden unseren Beitrag leisten geln nicht gelten müssten: Sie gefährden und zusätzlich Geld für unsere Kranken- Menschenleben – und zwar nicht nur Ihr häuser zur Verfügung stellen. eigenes, sondern auch das Leben von In unseren Kliniken und Krankenhäu- anderen! Das geht gar nicht! sern wird unter enorm hohem Druck sehr, Auch deshalb hat das Kabinett ges- sehr gute Arbeit geleistet. Die Ärztinnen tern einen Bußgeldkatalog verabschiedet. und Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger Kurz und knapp: Wer sich wiederholt kämpfen dort unermüdlich gegen die nicht an die Regeln hält, zahlt bis zu Krankheit, helfen den Betroffenen. Sie 25 000 Euro. Und wer andere sogar vor- sind bei Weitem nicht die Einzigen, die sätzlich gefährdet, begeht eine Straftat gerade Besonderes leisten, aber sie sind und riskiert damit eine Freiheitsstrafe. dort im Einsatz, wo es wirklich um Leben 6 DR. WOIDKE
und Tod geht, und das mit einem hohen deshalb schon jetzt um Ihre Zustimmung; persönlichen Risiko. Dieser Einsatz be- denn beim Schutz von Gesundheit und eindruckt und berührt mich zutiefst. Leben der Menschen in Brandenburg und Davor habe ich den größten Respekt. Ich beim Schutz von Arbeitsplätzen darf Geld möchte mich hier noch einmal im Namen in dieser Zeit keine Rolle spielen. aller Brandenburgerinnen und Branden- Auch der Bund hat ein Paket in der burger dafür bedanken. Größe von 156 Milliarden Euro verab- schiedet. Dafür bin ich sehr dankbar! Die- (Allgemeiner Beifall) sen Prozess haben die Bundesländer Meine sehr verehrten Damen und konstruktiv begleitet. Herren! Unsere zweite wichtige Aufgabe Wir wollen und wir müssen schnelle ist es, um jedes Unternehmen und damit Hilfe leisten! Nur schnelle Hilfe ist in die- um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu ser Situation wirksame Hilfe. Steuern und kämpfen und die Auswirkungen dieser Sozialabgaben können gestundet und Krise auch sozial abzufedern. Die Bun- später gezahlt werden. Die Unternehmen desagentur für Arbeit geht in ihrem gest- können leichter Kurzarbeitergeld beantra- rigen Bericht davon aus, dass es eine gen. Wir alle haben ein großes Interesse tiefe Delle im Wirtschaftswachstum und daran, Fachkräfte für die Wirtschaft in damit verbunden auch auf dem Arbeits- unserer Region zu halten. markt geben wird. Gerade deshalb muss Für kleine und mittlere Unternehmen unser gemeinsames Ziel lauten: Nach und sogenannte Solo-Selbstständige Corona sollen so viele Menschen wie haben wir ein Sofortprogramm auf die möglich auf ihre alten Arbeitsplätze zu- Beine gestellt, auch das mit großer Un- rückkehren können. Das gilt für Fach terstützung vom Bund. Das Programm ist arbeiter in der Industrie ebenso wie für bereits in der letzten Woche gestartet. Solo-Selbstständige, Künstler oder Men- Bis gestern Abend sind bei der Investi- schen, die in der Touristikbranche arbei- tionsbank Brandenburg rund 49 000 An- ten. Ich kann nicht versprechen, dass wir träge eingegangen. Etwa 25 Millio- wirklich jeden Arbeitsplatz erhalten kön- nen Euro sind bereits ausgezahlt worden. nen; aber ich verspreche, dass ich zu- Das ist in der Geschichte der Investiti- sammen mit dieser Regierung um jeden ons- und Landesbank einmalig. Ich Arbeitsplatz, jede wirtschaftliche Existenz möchte an dieser Stelle auch jenen dan- kämpfen werde. ken, die dort unter Hochdruck arbeiten Dafür haben wir bereits viel auf den und unserer Wirtschaft helfen. Weg gebracht. Mit der heutigen Befas- (Allgemeiner Beifall) sung zum Nachtragshaushalt spannen wir einen Rettungsschirm im Umfang von Eine eigene Förderrichtlinie für Land- 2 Milliarden Euro für Brandenburg auf. und Forstwirtschaft sowie die Fischerei Das ist sehr viel Geld für unser Land, wird in den nächsten Tagen an den Start aber ich bin fest davon überzeugt: Wir gehen. Auch die Arbeitsplätze in den so- werden es dringend brauchen. Ich bitte zialen Einrichtungen in unserem Land DR. WOIDKE 7
wollen wir sichern. Wir werden unsere ganz herzlich bei den Landrätinnen und bisher laufenden Zuschüsse und Zuwen- Landräten sowie bei den Oberbürger- dungen weiterzahlen, auch wenn die meistern unseres Landes bedanken. Leistungen nicht wie bisher in Anspruch Dass der Draht von der Landesregierung genommen werden können, zum Beispiel zur kommunalen Familie gut funktioniert, bei der Kindertagesbetreuung. ist in solchen Krisensituationen ganz be- Wir haben dafür gesorgt, dass El- sonders wichtig. tern, deren Kinder jetzt nicht betreut wer- Ich bin sehr froh darüber, dass wir den können, eine Lohnfortzahlung erhal- uns aufeinander verlassen können. Das ten und von den Elternbeiträgen freige- gilt im Übrigen ganz genauso für die Ord- stellt werden. Wir unterstützen polnische nungsbehörden und die Gesundheitsäm- Arbeitspendler, damit sie weiter in unse- ter, also jene Behörden, die momentan ren Krankenhäusern, Pflegeeinrichtun- überall im Land unter besonderem Druck gen, in der Logistik oder auch in der stehen. Dort wird jetzt Schwerstarbeit ge- Landwirtschaft arbeiten können. Wir leistet – nicht nur jetzt, aber in dieser Zeit müssen jetzt entschlossen und mit gro- ganz besonders. ßen Schritten alles tun, um die Wirtschaft Auch die Zusammenarbeit mit dem in Brandenburg zu stabilisieren. Wir müs- Bund und den anderen Bundesländern sen jetzt entschlossen alles tun, um will ich hervorheben. Der deutsche Föde- unser Land zu schützen. ralismus – auch das ist eine Erkenntnis in Für die Landesregierung ist entschei- dieser Krise – funktioniert. Natürlich gibt dend, dass wir das Virus jetzt erfolgreich es dabei regionale Unterschiede; aber in bekämpfen. Ebenso entscheidend ist je- den wesentlichen Punkten ist einheitliches doch, wie es nach Corona in der Branden- Handeln das Gebot der Stunde. Ich bin burger Wirtschaft weitergeht. Meine sehr überzeugt davon, dass wir damit in dieser verehrten Damen und Herren: Es muss Krise den richtigen Weg gewählt haben. gut weitergehen. Dafür ist unser Rettungs- Zu diesem Weg gehört für uns in schirm die Basis. Ich will nie wieder einen Brandenburg auch die Kooperation mit Zusammenbruch der Wirtschaftsstruktu- unserem Partner und Nachbarn Berlin. ren erleben wie Anfang der 90er-Jahre. Wir sind nicht nur eine gemeinsame Re- Brandenburg kann und wird – davon gion, sondern wir sind auch eine gemein- bin ich überzeugt – nach wie vor eine Ge- same Gesundheitsregion. Wer jetzt Gren- winnerregion dieses Jahrzehnts werden. zen dichtmachen will, vergisst, dass Ber- An diesem Ziel halten wir fest. Dafür lin eine hervorragende Gesundheitsver- schaffen wir mit unseren Entscheidungen sorgung bietet – eine Gesundheitsversor- jetzt die Voraussetzungen, auch hier und gung, die im Übrigen schon vielen Bran- heute bei uns im Landtag. denburgern in den letzten Jahrzehnten Damit dies gelingen kann – das ist geholfen hat. Diese Hilfe wird auch in Zu- keine neue Erkenntnis –, brauchen wir kunft weiter dringend nötig sein. eine reibungslose Zusammenarbeit auf Wer die Grenzen dichtmachen will, allen Ebenen. Ich möchte mich zunächst der vergisst auch, dass täglich Zehntau- 8 DR. WOIDKE
sende Pendler zwischen beiden Ländern Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Pots- unterwegs sind und dass die Versorgung dam und das Carl-Thiem-Klinikum in beider Länder sehr stark voneinander ab- Cottbus haben sich bereit erklärt, Patien- hängt. Auch deshalb halte ich nichts von ten aus Italien aufzunehmen. Auch viele geschlossenen Kreisgrenzen. Unsere Ein- andere Kliniken in Deutschland sind bei dämmungsverordnung gibt ausreichend dieser Aktion dabei. Wir zeigen damit: Handhabe zur Beschränkung von Kon- Europa steht auch in dieser schweren takten. Es kommt jetzt darauf an, die Vor- Zeit zusammen. Wir bekämpfen das Virus gaben umzusetzen. Deshalb ein klarer gemeinsam und wir retten gemeinsam Hinweis an alle: Es ist jetzt nicht die Zeit Menschenleben. für Ausflüge. Bleiben Sie möglichst zu Meine sehr verehrten Damen und Hause, in Ihrem direkten Umfeld! Herren, eines fällt dieser Tage besonders Meine sehr verehrten Damen und ins Auge: der beispiellose Zusammenhalt Herren, die Versorgung der Menschen mit in unserem Land Brandenburg. Auch Lebensmitteln war und ist zu keinem wenn es wie ein Widerspruch klingen Zeitpunkt gefährdet, auch wenn vorüber- mag: Die Menschen gehen auf Distanz gehend leere Regale manchmal einen an- und nähern sich zugleich einander an. deren Eindruck vermittelten. Eines möch- Sie sind sich vielleicht sogar näher als te ich in aller Deutlichkeit sagen: Wer so zuvor. Sie vergewissern sich über Telefon, hamstert, wie man das teilweise erleben Internet oder von Fenstern und Balkonen, musste, und nur an sich denkt, der han- wie es ihren Nachbarn geht. Sie zeigen delt zutiefst unsolidarisch und asozial. mit Plakaten, Gesten oder Musik ihre Unverzichtbar ist die Schutzausrüs- Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die tung für Krankenhäuser, Arztpraxen, den gerade besonders belastet sind. Öffentlichen Gesundheitsdienst und für Das gilt für das gesamte Personal in Pflegeheime. Seit dem letzten Wochen- den medizinischen Einrichtungen. Das ende laufen die zentralen Beschaffungen gilt für die Verkäuferinnen und Verkäufer, durch den Bund etwas besser; aber es die Lkw-Fahrer und die Zeitungszusteller. gibt noch immer erhebliche Engpässe, Das gilt für diejenigen, die die Kinder der die sicher auch in der weltweiten Nach- Eltern betreuen, die in der kritischen In frage begründet liegen. Wir arbeiten mit frastruktur arbeiten. Das gilt für diejeni- Hochdruck daran, unsere Krankenhäuser gen, die unseren öffentlichen Nahverkehr und Arztpraxen mit den notwendigen am Laufen halten. Das gilt für die Polizis- Schutzausrüstungen zu versorgen. Das tinnen und Polizisten, die Handwerker ist eine der Hauptaufgaben, der sich die und alle anderen, die dafür sorgen, dass Landesregierung momentan stellt. unser Land auch in dieser schwierigen Ich bin aber auch sehr dankbar, dass Situation weiterhin funktioniert. Sie alle wir in diesen schwierigen Zeiten ein Zei- sind die Heldinnen und Helden unserer chen europäischer Solidarität senden Zeit. Danke! können. Italien ist momentan das welt- (Allgemeiner Beifall) weit am härtesten betroffene Land. Das DR. WOIDKE 9
Überall gibt es Beispiele der Solida- ben zusammen, die auf der kreislichen rität: Das sind junge Menschen, die für und kommunalen Ebene gebildet wurden. die Älteren die Dinge des Alltags einkau- Auch ihnen danke ich herzlich. fen oder auch den Hund ausführen. Das Mein Dank gilt auch Ihnen, den Ab- sind die Enkel, die mit ihren Großeltern geordneten, die Sie im Moment unter er- per Video-Chat Kontakt halten, weil Be- schwerten Bedingungen und gleichzeitig suche derzeit gefährlich sind. Das sind hohem Zeitdruck arbeiten und doch auch Hotelbesitzer, die ihre Zimmer kos- schnell und entschlossen handeln. tenfrei an medizinisches Personal verge- Ich bin überzeugt, dass viele unse- ben, und viele andere mehr. rer Maßnahmen Wirkung zeigen werden. Viele vernetzen sich, um sich gegen- Aber wir sind nicht am Ende dieser Krise, seitig zu unterstützen. Das Internet steht sie hat leider erst begonnen. Und wir er- oft im Mittelpunkt dieser Initiativen. Men- leben täglich: Was gestern noch galt, schen kommen in schwierigen Zeiten zu- kann heute schon wieder anders sein. – sammen und helfen einander. Wir alle Deshalb bitte ich die Menschen überall müssen dazu beitragen, uns diesen posi- im Land weiter darum, ihre Verantwor- tiven Aspekt der Solidarität auch über tung so besonnen und ruhig wie bisher das Ende der Bedrohung hinaus zu er wahrzunehmen: eben echt brandenbur- halten. gisch. Meine sehr verehrten Damen und Liebe Brandenburgerinnen und Herren, niemand konnte erwarten, dass Brandenburger, informieren Sie sich in uns zu Beginn dieser Legislaturperiode den Medien über den aktuellen Stand! die schwerste Bewährungsprobe in der Die Journalistinnen und Journalisten be- Geschichte unseres Landes bevorstehen richten gerade in den Regionen verant- würde. Besonders meinen Stellvertretern wortungsvoll und informativ – auch dafür – Gesundheitsministerin Ursula Nonne- an dieser Stelle ein großes Dankeschön. macher und Innenminister Michael Stüb- (Allgemeiner Beifall) gen –, aber auch allen anderen Ministe- rinnen und Ministern danke ich herzlich Wir in der Landesregierung haben für die gute und enge Zusammenarbeit in ein umfangreiches Informationsangebot dieser schwierigen Zeit. Ich bin sehr froh, erstellt, vom zentralen Corona-Portal dass wir uns voll und ganz aufeinander über das Bürgertelefon bis zum Podcast. verlassen können. Aufeinander achtzugeben ist in die- Aber diese Leistung wäre nicht mög- ser Zeit besonders wichtig. Jeder und lich ohne die vielen engagierten Beschäf- jede von uns trägt nicht nur für sich Ver- tigten in den Ressorts der Landesregie- antwortung, sondern auch für Freunde, rung, in den Landkreisen, Städten und Verwandte und Nachbarn. Es liegt an uns Gemeinden, die den Laden im wahrsten allen, die Ausbreitung des Virus weiter zu Sinne des Wortes am Laufen halten. Der verlangsamen und damit Leben zu retten. interministerielle Stab zur Koordinierung Der Kampf gegen das Coronavirus der Krise arbeitet erfolgreich mit den Stä- fordert uns als Gemeinschaft heraus. Es 10 DR. WOIDKE
ist kein einfacher Kampf. Aber mit Be- Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: sonnenheit, Entschlossenheit, Mensch- lichkeit und Solidarität werden wir es ge- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat meinsam schaffen. Und wir werden den der Abgeordnete Kalbitz für die AfD-Frak- Schalter dann auch wieder von Pause auf tion. Start umlegen – für eine gute Zukunft aller Menschen in unserem Land Bran- denburg. – Herzlichen Dank. DR. WOIDKE 11
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Andreas Kalbitz Vorsitzender der AfD-Fraktion S ehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Vorab möchte auch ich im Namen der AfD- Fraktion danksagen: Dank allen Mitarbei- Andreas Kalbitz tern der Verwaltung, nicht nur hier im Landtag, sondern auch in den Ministerien wehr, dem THW, dem Roten Kreuz, der und Behörden, den Mitarbeitern der Ge- Bundeswehr, die weiterhin Tag und Nacht sundheitsversorgung in Kliniken, die Tag vor Gefahren schützen, der Müllabfuhr, und Nacht unter erschwerten Bedingun- die unsere Städte sauber und ordentlich gen vollen Einsatz bringen, um unser hält – all den Menschen, die dafür sor- Leben zu schützen, allen Mitarbeitern der gen, dass unsere Gesellschaft auch unter Kindernotbetreuung, die sich kümmern, diesen Bedingungen so funktioniert, wie damit dort, wo es noch möglich ist, der wir es jeden Tag als normal hinnehmen Arbeit nachgegangen werden kann, all und manchmal vielleicht nicht genug zu den Mitarbeitern in der Lebensmittelver- schätzen wissen. Sie alle erhalten unsere sorgung, Verkäufern, die im Dauerstress Versorgung, unsere Gesundheit, unsere sind und dafür sorgen, dass wir normal Sicherheit mit täglichem Einsatz unter weiter versorgt werden, auch den Mitar- sehr anstrengenden, belastenden Bedin- beitern der Apotheken, die uns mit Medi- gungen aufrecht. Die Wertschätzung die- kamenten versorgen, den Mitarbeitern für ser Arbeit sollte auch nach der Krise Logistik und Warenlieferungen – wir mer- nicht nachlassen. ken in diesen Tagen ja, wie fragil diese Ein kurzer Rückblick: Am 3. Janu- Warenketten sind –, auch den Mitarbei- ar 2013 wurde die Bundesregierung mit tern des öffentlichen Nahverkehrs, die einem Bericht zur Risikoanalyse im Be- sich jeden Tag hohen Risiken aussetzen, völkerungsschutz 2012 unterrichtet. Die den Polizei- und Sicherheitskräften, die Risikoanalyse geht bei einer bedingten gemeinsam beschlossene Verordnungen Wahrscheinlichkeit von einer Pandemie und Maßnahmen zum Schutze aller durch den hypothetischen Erreger Modi- durchsetzen müssen und die normale SARS aus. Namentlich wird in der Risiko- Kriminalitätsbekämpfung dabei nicht aus analyse direkt zu Anfang ein Coronavirus den Augen verlieren dürfen, der Feuer- genannt, das seit 2012 bekannt ist und KALBITZ 13
zum damaligen Zeitpunkt unter sechs anderer Länder – zugegebenermaßen vor nachweislich Infizierten zu zwei Todesfäl- einer völlig neuen Situation, für die es len geführt hat. Schon 2012 ist die Rede keine Erfahrungswerte gab, hat am An- von einer Übertragung des bei Wildtieren fang teilweise auch zögerlich gehandelt. vorkommenden Erregers über asiatische Einfache und schnelle Maßnahmen, Märkte und einer weiteren Ausbreitung eine vernünftige Information der Bevölke- durch Reisende. Auch die angegebene rung hinsichtlich Corona-Verdachtsfällen Inkubationszeit von 14 Tagen sowie die in können Leben retten. Obwohl bereits im der Analyse beschriebenen Symptome Dezember 2019 erste Infektionen in lesen sich wie eine Beschreibung der China bekannt wurden und am 27. Janu- Symptome in der aktuellen Corona-Pan- ar 2020 auch der erste Deutsche erkrank- demie. Auch in den anderen Punkten te, wurde uns von Gesundheitsminister sind die Abweichungen gegenüber der Spahn noch bis Mitte Februar mitgeteilt, heutigen Situation marginal: Die Letalität die Corona-Lage sei unter Kontrolle. Und wird in der Analyse auf 10 % geschätzt, bis Ende Februar konnte den Medien mit deutlichen Unterschieden je nach Al- entnommen werden, Gesundheitsminis- tersgruppe. Selbst die räumliche Ausdeh- ter Spahn – Zitat – halte nichts von Rei- nung wurde treffend als global, aber vor- sebeschränkungen – Reisebeschränkun- wiegend im asiatischen, europäischen gen, die in anderen Ländern Leben geret- und nordamerikanischen Raum angege- tet haben dürften. Auch vor der eigenen ben. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest Haustür müssen wir kehren. der damals vorausgesagte Zeitraum von Für Lehren ist es noch zu früh. Die drei Jahren nicht Realität wird – ange- Krise ist auf ihrem Höhepunkt. Wir alle sichts dessen, dass mancher Freischaf- wissen nicht, wann sie ausgestanden ist, fende und Selbstständige schon jetzt welche Folgen sie langfristig auch für un- Sorge hat, wie er im nächsten Monat den sere Wirtschaft haben wird. Kühlschrank füllt. Herr Woidke, in Ihrer Rede sprachen Schon vor acht Jahren waren auch Sie davon, dass weltweit mit Hochdruck die Handlungsempfehlungen bekannt: ra- daran gearbeitet werde, Behandlungsme- sche Informationen über Schutzmaßnah- thoden und Impfstoffe zu entwickeln. men, Isolierung und Quarantäne von Ver- Vielleicht gelingt es uns, diese Krise, dachtsfällen, aber auch von infizierungs- wenn sie überstanden ist, auch als Anre- empfindlichen Personen, Absage von gung zu nutzen, Brandenburg als Wis- Massenversammlungen, Schulschließun- senschaftsstandort weiter auszubauen, gen. Und obwohl die drohende Gefahr der selbst solche Behandlungsmethoden bekannt war, obwohl der Erreger in China und Impfstoffe entwickeln kann, anstatt erkannt wurde, sind teilweise zögerlich uns auf die Welt zu verlassen, die, wie sinnvolle Maßnahmen und Handlungen wir jetzt merken, von fragilen Lieferketten unternommen worden, um unsere Bevöl- und Einzelinteressen abhängig ist. kerung zu schützen. Die Bundesregie- Mit dem Großprojekt Tesla versucht rung stand – wie auch die Regierungen die Landesregierung ja, einen Schritt in 14 KALBITZ
Richtung Ausbau Brandenburgs zum In- als den Verlautbarungen der Regierung dustriestandort zu machen. Wir werden an den Landtag. sehen, was daraus wird, und werden das Mittlerweile wurden zahlreiche Maß- auch weiterhin kritisch begleiten, wobei nahmen zur Eindämmung der Corona- das nicht der Schwerpunkt in dieser Zeit Pandemie ergriffen. Ich habe bereits da ist. rauf hingewiesen, dass im Nachklang der Weshalb nutzen wir keine Grenzkon- Krise zu erörtern ist, wie in Zukunft orga- trollen nach Polen, um Corona-Ver- nisierter und konsequenter mit solchen dachtsfälle schneller zu identifizieren und Herausforderungen umgegangen werden das Leben der Bevölkerung Branden- kann – Thema Schulschließungen; da war burgs zu schützen? Wir verlassen uns auf Brandenburg auch das Schlusslicht –, Polen und die Nachbarstaaten, die dies wenngleich, wie ich schon betont habe, konsequent tun. Warum werden an unse- die Situation für alle neu ist. ren Flughäfen keine Kontrollen zur Identi- Auch bei den wirtschaftspolitischen fikation von Corona-Verdachtsfällen Maßnahmen, die wir grundsätzlich sehr durchgeführt? begrüßen und die nötig sind, ist eine in- Ja, es gibt auch unschöne Seiten. In tensive Unterstützung, zum Beispiel der Ihrer Erklärung bezeichnen Sie die ILB, angebracht. Wenn das Bestreben „Hamsterkäufe“ als asozial, und Sie jetzt darin besteht, die tägliche Bearbei- haben recht: Natürlich sind Hamsterkäufe tung von 200 Anträgen auf 1 000 Anträge kein gebotenes Mittel. zu erhöhen, ist das eine irre Herausforde- Und ja, es gab unschöne Szenen in rung. Sie haben erwähnt, dass bereits Lebensmittelgeschäften. Die teilweise 47 000 Anträge eingegangen sind. Bis manische Fixierung auf Toilettenpapier ist die Anträge adäquat bearbeitet werden, mir bis heute unerklärlich. Aber auch die- gehen unter den jetzigen Bedingungen ses angstgetriebene Verhalten der Men- Monate ins Land. Wir fordern die Landes- schen hat seine Ursache in unzureichen- regierung dazu auf, die ILB möglichst fle- der Information bei gleichzeitigem Miss- xibel und unbürokratisch mit Personal- trauen – ich glaube, das war ebenfalls aufstockungen zu unterstützen. Das eine Ursache – und, ja, auch in der Ver- könnte beispielsweise durch den Einsatz breitung von Falschmeldungen und Ver- einzelner Beamter aus den Ministerien schwörungstheorien. geschehen. Unkonventionelle Situationen Wir nehmen die Ängste der Men- erfordern unkonventionelle Maßnahmen. schen ernst und fordern weiter eine ehr- Eine wichtige Forderung der AfD- liche und zügige Information und auch Fraktion war die Erteilung der Approba- mehr Transparenz, auch innerhalb des tion für deutsche Ärzte, die an der Pom- parlamentarischen Betriebes. Wir muss- merschen Medizinischen Universität ten oftmals feststellen, dass die eine oder Stettin ihr Studium abgeschlossen andere Information auch für die Abgeord- haben. Das ist eine Forderung, die wir neten eher der Presse zu entnehmen war übrigens bereits am 19.03.2020 in dem Antrag „Interpretation von Formalitäten KALBITZ 15
an europäische Praxis angleichen – Me- ergänzt, die wir für nötig und förderlich dizinstudenten der Pommerschen Medi- halten. Es geht um mehr als um partei- zinischen Universität in Stettin approbie- politische Differenzen, nämlich um sach- ren!“, Drucksache 7/888, erhoben haben. politische Belange im Interesse der Men- Der Antrag wurde seinerzeit abgelehnt. schen in unserem Land. Gerade jetzt kommt es auf jeden Herr Redmann, es ist schlicht unred- Einzelnen an. Die Ärzte der PMU Stettin lich, wenn Sie der AfD unterstellen, wir sind gut ausgebildete junge Leute, die würden irgendwas blockieren. Das ist unser Land dringend braucht. Selbst nicht der Fall. Wir stimmen auch – was Jens Spahn kam – nach der AfD-Forde- als Opposition sehr ungewöhnlich ist – rung – bereits zu der Erkenntnis, dass wir dem Haushalt zu; denn wir wissen, dass diese Ärzte dringend benötigen. Und wir es jetzt nötig ist, dass die Nothilfe bei freuen uns, dass dieser Forderung inzwi- den Menschen ankommt. Und wir wissen schen Folge geleistet wurde. Gleichwohl auch, dass uns mit diesem Haushaltsent- heißen wir die Befristung nicht gut, weil wurf – so, wie er vorliegt – ein Teil des sie jungen Medizinern nicht die Perspek- Nachtragshaushalts, den so schnell zu tive gibt, um sie in Brandenburg zu hal- beschließen nicht zwingend notwendig ten. gewesen wäre, untergejubelt wird. Das Sie sprechen in Ihrer Erklärung von ficht uns aber nicht an, weil wir wissen, einer Zusammenarbeit auf allen Ebenen. dass es jetzt wichtig ist, angemessen auf Das heißen wir gut, und wir schließen uns die Krise zu reagieren. Das sehen wir an. Für uns schließt das auch eine kon konstruktiv. Ähnliches galt für das Pai- struktive Zusammenarbeit zwischen der ring-Verfahren, dem wir auch zugestimmt Landesregierung und den Oppositions- haben. parteien ein. Grundlage einer konstrukti- Wenn Sie uns vorwerfen, dass wir ven Zusammenarbeit bleibt aber eine zü- das Kommunale-Notlagen-Gesetz nicht gige und stete Informationsweitergabe. nach wenigen Stunden abnicken – wenn Trotz mancher Versäumnisse und also der Entwurf abends vorliegt und vor- aller Kritik verspreche ich im Namen der mittags die Entscheidung getroffen wer- AfD-Fraktion, dass wir die Landesregie- den muss –, sage ich: Es geht eben rung bei allen notwendigen Maßnahmen darum, dass wir das diskutieren wollen zum Schutze der Bevölkerung unterstüt- – nicht in dem normalen Vorlauf von Mo- zen werden. Wir werden parteipolitische naten und Wochen, aber eine intensive Ziele hintanstellen und an allen Maßnah- Befassung, gerade wenn es um solche men konstruktiv mitarbeiten, die dazu grundlegenden, auch verfassungsrecht- dienen, Leben zu retten. lich relevanten Themen geht, muss mög- Die Gesundheit und das Leben jedes lich sein. Uns daraus den Vorwurf der Einzelnen sind unser oberstes Ziel. Ich Blockade zu machen ist eine parteipoliti- fordere Sie auch auf, sich konstruktiv mit sche Instrumentalisierung in der Krise, unserem Entschließungsantrag zu be- die wir ablehnen. schäftigen, der einiges an Maßnahmen 16 KALBITZ
Wir werden auch dem Nachtrags- schränkungen durchsetzen – dieses haushalt der Landesregierung mit der ge- Spannungsverhältnis gilt es eben in der botenen Solidarität zustimmen, um die Krise auszutarieren. Maßnahmen zu unterstützen. Auf den un- Abschließend möchte ich mich in ei- tergejubelten Teil des Nachtragshaushalts nigen Punkten durchaus der Regierungs- habe ich bereits hingewiesen. Das kann erklärung anschließen. Die derzeitige So- aber in der Krise jetzt keine Rolle spielen. lidarität der Menschen, der Zusammen- Gleichzeitig werden wir als Opposi- halt und die Unterstützung zwischen tion natürlich alle getroffenen Maßnah- Jung und Alt über alle derzeit gebotenen men der Landesregierung konstruktiv- Grenzen hinaus: Wir sehen eine grund- kritisch verfolgen, gerade wenn es um die sätzlich vorhandene Hilfsbereitschaft und Einschränkung demokratischer Rechte Solidarität in unserem Land. Das sollte geht. Wir nehmen unsere Rolle als größte uns motivieren und mahnt uns zugleich, Oppositionspartei sehr ernst und werden diese Helden des Alltags während und nicht zulassen, dass demokratische Pro- nach der Krise nicht im Stich zu lassen. zesse unter dem Deckmantel des Ge- – Vielen Dank. sundheitsschutzes eventuell beeinträch- tigt oder abgebaut werden, wo es ver- meidbar und unnötig ist. An anderen Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Stellen wird die Einschränkung von Frei- heitsrechten nicht vermeidbar sein. Aber Danke schön. – Für die SPD-Fraktion Freiheitsrechte bewahren und nötige Ein- spricht der Abgeordnete Stohn. KALBITZ 17
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Erik Stohn Vorsitzender der SPD-Fraktion S ehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die vorherige Rede werfen. Als Herr Erik Stohn Kalbitz das Verbreiten von Fake News ansprach, dachte ich zunächst, es werde der kommunalen Spitzenverbände – heute eine Bußrede geben. Das war dann durchführen zu können, und ihn in der doch nicht der Fall. Folge zu beschließen. Durch die Verwei- Was mich wirklich verwundert, ist, gerung Ihrer Fraktion verlieren wir jetzt mit welcher Lust Sie immer wieder darauf unnötig Zeit, die wir zur Stärkung der setzen, dass das Tesla-Projekt, die größ- kommunalen Demokratie benötigt hätten. te Industrieansiedlung seit der Wieder- Das ist der Schaden. Aber seis drum. vereinigung in unserem Brandenburg, Vielleicht haben Sie einfach noch nicht misslingen könnte. Diese Lust am Schei- gewusst, dass eine 1. Lesung auch eine tern, mit der Sie das hier vortragen, erste Diskussion bedeutet. Nach fünf stimmt mich wirklich nachdenklich. Jahren im Parlament könnte man das Eines möchte ich auch noch klarstel- aber wissen. len: Wir haben gestern versucht, mit allen Sehr verehrte Damen und Herren, Fraktionen in diesem Haus ins Gespräch die Welt hat eine Vollbremsung hingelegt. zu kommen, um eine Lösung für unsere Das öffentliche Leben ist nahezu zum Er- kommunalen Parlamente zu finden: um liegen gekommen. Unsere Wirtschaft Demokratie auch angesichts der Corona- steht vor der größten Herausforderung Krise und entsprechender Gesundheits- seit der politischen Wende. Die Sonne vorkehrungen auch in den kommunalen scheint, als wäre nichts gewesen, aber Parlamenten stattfinden zu lassen. Es die Cafés sind leer, die Regionalbahnen ging nicht darum, etwas durchzuwinken, sind es auch, und die allermeisten Ge- sondern darum, den Gesetzentwurf auf schäfte haben geschlossen. die heutige Tagesordnung setzen zu kön- Das liegt an den ergriffenen Maßnah- nen, um ihn in 1. Lesung zu diskutieren, men, die alle ein Ziel haben: die Gesund- an den Innenausschuss zu überweisen, heit von uns Bürgerinnen und Bürgern zu um eine entsprechende Anhörung – auch schützen. Wir müssen die Verbreitung STOHN 19
des Virus verlangsamen, damit die medi- sie schützen damit Mitmenschen, die ge- zinische Versorgung für alle sichergestellt sundheitlich stärker gefährdet sind. ist. Alle, die durch das Virus erkranken Der Ministerpräsident sprach von und einen schweren Verlauf dieser Krank- einem Marathonlauf, an dessen Anfang heit erleben, benötigen die bestmögliche wir stehen. Ich will es etwas apokalypti- Betreuung. Das geht nur, wenn wir nicht scher formulieren: Der Sturm zieht gera- an die Kapazitätsgrenzen unserer Kran- de erst auf. – Abstand halten heißt Leben kenhäuser und unseres medizinischen retten. Wir wollen verhindern, dass bei Personals stoßen. uns Bilder entstehen, wie sie in Italien – in Unser Ministerpräsident hat es ge- Bergamo – jetzt jeden Abend zu sehen sagt: Die erste Aufgabe ist es, Leben zu sind, wo Militärlaster voller Särge durch retten. Dazu gehört es, die Krankenhäu- die Straßen fahren. Oder wie in anderen ser und die dort Beschäftigten – die Ärz- Ländern, wo es mittlerweile vom Alter tinnen, die Krankenpfleger, die Notfall und von den Genesungschancen ab- sanitäter und das gesamte Personal – zu hängt, ob man noch Zugang zu Gesund- unterstützen. Sie haben schon jetzt Groß- heitseinrichtungen hat. Das sage ich den- artiges geleistet, und in den kommenden jenigen, die ich noch vor wenigen Tagen Wochen kommt noch mehr auf sie zu. Ich die Getränkepulle herumreichend vor sage an dieser Stelle ganz herzlichen dem Supermarkt gesehen habe: Nehmen Dank an das medizinische und das pfle- Sie es ernst! gerische Personal. Die allermeisten halten sich, wie ge- Die Kliniken bauen Stationen um und sagt, daran. Dieses Miteinander spürt schaffen mehr Beatmungsgeräte an, man an vielen Stellen. In den Familien damit mehr Betten für intensivmedizini- wird sich auf ganz neue, intensive Weise sche Versorgung zur Verfügung stehen. umeinander gekümmert. Schule findet Das Land unternimmt gemeinsam mit jetzt zu Hause statt. Oma und Opa kön- den Krankenhäusern alles, um den Be- nen nicht besucht werden, aber man schäftigten im Gesundheitsdienst sowie kauft für sie ein, telefoniert mit ihnen und in der Pflege den Rücken freizuhalten sorgt sich um sie. Das macht deutlich, und das benötigte Material zu beschaf- wie wichtig jedem von uns Familie ist. fen, sei es Desinfektionsmittel oder seien Auch im Freundes- und Kollegen- es Atemschutzmasken. Wir arbeiten kreis gibt es ein stärkeres Gemein- dabei Hand in Hand mit den Ärzteverbän- schaftsgefühl. Wir achten stärker aufein- den, den Krankenhäusern, den Kommu- ander. Wir kümmern uns um andere, hel- nen – und natürlich dem Bund. fen mit und helfen aus. Noch viel groß- Meine sehr verehrten Damen und artiger ist: Wir helfen Menschen, die wir Herren, die allermeisten Menschen halten gar nicht kennen. Nachbarn kaufen für- sich an die Vorsichtsregeln, die eine Aus- einander ein, damit ältere Mitmenschen breitung des Virus bremsen und so nicht vor die Tür gehen müssen; andere Leben retten können. Sie tun es zum ei- nähen Atemschutzmasken für Menschen, genen Schutz, aber auch weil sie wissen, die berufsbedingt mit vielen in Kontakt 20 STOHN
stehen. Das mag für uns ungewöhnlich men ergriffen, um Beschäftigung und Be- sein, und vielleicht empfindet der eine triebe zu sichern und möglichst unbe- oder andere noch Scham, aber es ist schadet durch die Krise zu bringen. Den auch eine Maßnahme, um sich und ande- Unternehmen wird durch Kredite und re zu schützen. Steuerstundungen Luft und Zeit ver- Ich bin stolz darauf, dass viele dem schafft. Kurzarbeitergeld hilft Arbeitneh- Aufruf gefolgt sind, zum Blutspenden zu merinnen und Arbeitnehmern, deren Be- gehen. Am Montag war ich in Jüterbog triebe aktuell leere Auftragsbücher Blut spenden, und ein Drittel mehr Men- haben. Kreative, Kulturschaffende und schen taten es mir gleich, als es sonst Selbstständige können auf Zuschüsse der Fall ist. Vielen Dank auch für Ihre Be- bauen. Die Grenzpendler aus unseren reitschaft, in schwierigen Zeiten Blut zu polnischen Nachbarregionen, die in Kran- spenden! kenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Un- ternehmen dringend gebraucht werden, (Allgemeiner Beifall) bekommen Unterstützung, damit sie hier Bei Agrarbetrieben und Gärtnereien übernachten und trotz geschlossener melden sich jetzt viele, die bei der Ernte Grenzen zu ihrem Arbeitsplatz gelangen aushelfen wollen. Lieferanten und Lkw- können. Fahrer geben alles, damit keine Engpäs- Brandenburg war beim Bereitstellen se entstehen. Etliche Unternehmen stel- der Soforthilfen eines der ersten Bundes- len ihre Produktion um, um Materialien länder. Seit einer Woche sind bei der ILB herzustellen, die die dringend benötigte Anträge möglich. Über 45 000 sind es medizinische Versorgung sicherstellen. mittlerweile; 11 Millionen Euro sind schon Wenn es heißt, in der Krise zeigt sich der ausgezahlt. Ich habe gestern noch einmal wahre Charakter, stelle ich fest: Wir hier mit einem Gastwirt aus meinem Wahl- in Brandenburg sind großartige Men- kreis gesprochen, der 15 Mitarbeiter be- schen, die gerade über sich hinauswach- schäftigt. Er sagt, es sei ein gutes Gefühl sen. Vielen Dank! in Zeiten dieser Krise, wenn er das Geld Wer sich in unserem Land umsieht, am letzten Mittwochvormittag beantragt sieht auch viele Sorgenfalten, viele Fragen. und bereits um 12.36 Uhr die Rückmel- Die Menschen haben Angst um ihre beruf- dung „Ihr Antrag ist eingegangen, er wird liche Existenz. Deshalb ist es unsere politi- bearbeitet“ bekommen habe, er sich au- sche Aufgabe, die Folgen der Corona- ßerdem – auch zum Wohle seiner Mitar- Krise einzudämmen. Wir stehen im beiterinnen und Mitarbeiter – auf das 30. Jahr der politischen Einheit – und wir Kurzarbeitergeld verlassen könne. stehen vor Aufgaben, die wir bisher nicht Zugleich dämpfen wir in Zusammen- kannten: Geschäfte haben geschlossen, arbeit mit der Bundesregierung die sozia- Aufträge sind storniert, Produktionsmate- len Auswirkungen der Krise. Keine Fami- rial ist schwieriger zu beschaffen. lie muss fürchten, wegen vorübergehen- Land und Bund befinden sich in der Mietrückstände auf die Straße ge- enger Abstimmung und haben Maßnah- setzt zu werden. In Brandenburg, wo El- STOHN 21
tern ihre Kinder gerade nicht in die Kitas das Tempo bei den notwendigen Ent- schicken können, weil die geschlossen scheidungen und das entschlossene haben, müssen ab heute keine Kitabei- Handeln aller Verantwortlichen sind be- träge mehr gezahlt werden. Auch Eltern, eindruckend. Allerdings kommen dieser die ihre Kinder zu Hause betreuen und Tage auch Dinge vor, die gar nicht gehen: deshalb nicht arbeiten können, haben wenn Betriebe übereilt Mitarbeiterinnen Anspruch auf eine Lohnentschädigungs- und Mitarbeiter entlassen, die sie nach zahlung. überstandener Krise dringend wieder be- Wir haben diese Soforthilfemaßnah- nötigen; wenn einzelne Handelsketten men gemeinsam erarbeitet und sie in meinen, sie müssten für ihre geschlosse- atemberaubendem Tempo miteinander nen Läden keine Miete mehr zahlen, ob- beschlossen: im Bundestag, im Bundes- wohl sie sich in den Jahren zuvor eine rat und auch hier im Landtag. Heute wer- goldene Nase verdient haben. den wir einen Nachtragshaushalt be- Ich sage es sehr deutlich: Es ist Zeit schließen, der den bundesweiten Schutz- für ein Miteinander und Solidarität, im schirm um einen Brandenburger Ret- Großen wie im Kleinen. Es ist kein Platz tungsschirm ergänzt. Ich werde oft ge- für Egoismus oder Kleinstaaterei. fragt: „Können wir uns das leisten?“ Meine sehr verehrten Damen und Meine Antwort ist: Nichts zu unterneh- Herren, wir als Parlament werden heute men, das können wir uns nicht leisten. mit dem Nachtragshaushalt 2 Milliar- Wir wollen Arbeitsplätze und Betrie- den Euro bereitstellen und damit der Re- be sichern, damit nach der Krise Wert- gierung die Möglichkeit geben, in unse- schöpfung noch möglich ist, damit die rem Auftrag schnell zu handeln, das Nöti- großen Summen an Soforthilfe, die wir ge zu tun und die Zukunft Brandenburgs jetzt bereitstellen, auch irgendwann wie- in diesen schweren Zeiten zu sichern. der erarbeitet werden können. Gerade im Aber wir denken auch an die Zeit danach. Osten ist das wichtig, wo die Unterneh- Mit dem Zukunftsinvestitionsfonds halten men noch nicht so dicke Kapitaldecken wir Geld für die Zeit bereit, wenn das öf- haben, wie es im Westen vielleicht der fentliche Leben wieder beginnt und sich Fall ist, wo uns die Krise in einem Klima die Straßen wieder füllen. Dann braucht erwischt, bei dem eigentlich alle Zeichen es konjunkturelle Impulse. Die setzen wir auf Investition standen und alle investie- mit dem Zukunftsinvestitionsfonds: 1 Mil- ren wollten. Gerade jetzt müssen sie an liarde Euro halten wir dafür bereit. Das die Puffer gehen, um diese Krise zu über- war vor Corona richtig und ist nach Coro- stehen. Deswegen ist die schnelle Sofort- na nötiger denn je. hilfe, die wir in unserem Bundesland ge- Aber wir müssen noch mehr tun, um startet haben, so richtig und wichtig. uns für die Zukunft zu wappnen. Wir Ganz herzlichen Dank an alle, die daran müssen aus dieser Pandemie, ihrem Ver- mitwirken! lauf und ihren schrecklichen Auswirkun- Meine sehr verehrten Damen und gen Lehren ziehen. Ich möchte nur einige Herren, das Miteinander im ganzen Land, Grundlinien aufzeigen: 22 STOHN
Erstens. Das Wichtigste ist das ge- schen Solidarität und Selbstbeschrän- sellschaftliche Miteinander, ist der Zu- kung zu handeln. Wir zeigen, dass das sammenhalt. Das gilt in normalen Zeiten Gesundheitsinteresse über dem Wirt- und in Krisenzeiten erst recht. Kein schaftsinteresse steht. Wir zeigen gera- Mensch, kein Landkreis, kein National- de, dass man Menschen auch in freiheit- staat kann sich abschotten und glauben, lichen Demokratien für die Bekämpfung ihn erreiche dieses Virus nicht. Wir leben des Virus gewinnen kann, ohne sie einzu- in einer vernetzten Welt. Das bedeutet sperren oder zu gängeln. Hierzulande aber übrigens auch: Wir müssen uns in handeln Regierungen entschlossen im und nach der Krise um multinationale Or- Auftrag der Parlamente und gemeinsam ganisationen wie die Europäische Union mit den Parlamenten. Sie beziehen die und die Vereinten Nationen kümmern und Menschen in die Bekämpfung des Virus diese stärken. Deswegen ist es auch ein, sie stehen zusammen und machen richtig, dass wir auch in unserem kleinen Ungeahntes möglich, ohne die freiheit- Brandenburg Hilfe für italienische Patien- lichen, demokratischen Rechte infrage zu ten leisten. stellen. Journalisten berichten weiterhin Zweitens. Der Sozialstaat spielt in frei, kritisch, objektiv und ununterbro- dieser komplexen, arbeitsteiligen Welt chen. Alle unsere Maßnahmen müssen eine entscheidende Rolle für das Wohl- der Überprüfung durch Gerichte stand- ergehen der Bürgerinnen und Bürger. Vor halten. Diese Situation ist keine Notsitua- einigen Jahren war Privatisierung das All- tion der Demokratie. Wir haben eine Ge- heilmittel, die Stärkung der öffentlichen sundheitskrise und keine Demokratie Daseinsvorsorge dagegen im Verruf. Das krise, wie uns die AfD hier einreden will. Coronavirus zeigt: Ein starker, vorsorgen- Die Gewaltenteilung funktioniert, und mir der und sozialer Staat ist unverzichtbar. ist es wichtig zu sagen, dass alle vier Ge- Das ist die zweite Lehre aus dieser Krise. walten dazu beitragen. Wir müssen uns alle miteinander die Meine sehr verehrten Damen und Frage stellen, ob es klug war, das Ge- Herren, ich bin mehr denn je überzeugt: sundheitssystem mehr und mehr auf Der soziale und demokratische Staat ist Wirtschaftlichkeit und Auslastung aufzu- am besten geeignet, den Menschen ein bauen. Hier müssen alte Wahrheiten mit Leben in Würde und Sicherheit zu ermög- neuen Erfahrungen abgeglichen werden, lichen, auch und gerade in der Krise, wie hier müssen wir Lehren aus der aktuellen wir sie momentan erleben. Wenn diese Situation ziehen. schwierige – für viele schwere – Zeit Die dritte Lehre lautet: Dieser Staat etwas Gutes hat, dann das: Sie erinnert ist auch in Notlagen handlungsfähig. Er uns an das Wesentliche, an das, was zeigt gerade, dass er in der gebotenen wirklich zählt, daran, wie sehr wir alle ei Eile demokratisch entscheiden und han- nander brauchen. Sie zeigt uns, wie groß deln kann. Er zeigt vor allem, dass es uns das Engagement der Menschen, der gelingt, mit einem klugen Gleichgewicht Brandenburgerinnen und Brandenburger zwischen Freiheit und Sicherheit, zwi- füreinander ist. Wir haben uns diese Krise STOHN 23
nicht ausgesucht, aber wir nehmen sie Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: gemeinsam an. – Herzlichen Dank, Bran- denburg! Danke schön. – Für die Fraktion DIE LINKE hat der Abgeordnete Walter das Wort. – Ich glaube, wir können den beiden Gebärdensprachdolmetscherin- nen auch einmal mit einem Beifall dan- ken. (Allgemeiner Beifall) Bitte schön, Herr Walter. 24 STOHN
Sebastian Walter Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE S ehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Ministerpräsi- dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Sebastian Walter Das Coronavirus ist in unser Leben ein- geschlagen und hat von heute auf mor- schaft auf den Weg gebracht hat. An die- gen alles verändert: Die Schulen und ser Stelle möchte ich Katrin Lange, Jörg Kitas sind geschlossen, Restaurants, Steinbach und den Mitarbeiterinnen und Theater und Kinos haben zu, und unsere Mitarbeitern der ILB Danke sagen dafür, Grenzen sind dicht. Mit Freunden in den dass sie schnell gehandelt haben, sodass Park, gemeinsames Angrillen, in den Ur- wirklich viele Unternehmen von den So- laub fahren oder einfach nur ganz normal forthilfen profitieren können. Für die seiner Arbeit nachgehen – das ist im Mo- kleinteilige brandenburgische Wirtschaft ment auch in Brandenburg nicht mehr ist diese Unterstützung überlebens möglich. Das öffentliche Leben ist nahe- wichtig. zu vollständig zum Erliegen gekommen. Herr Ministerpräsident, Sie haben es Diese Krise hat uns alle kalt er- in den letzten Tagen immer wieder be- wischt. Und damit ist sie nicht nur eine schworen: Auf was es jetzt ankommt, ist Bedrohung für Leib und Leben der Men- Solidarität – gerade mit denjenigen, die schen in diesem Land, sondern auch eine unsere Gesellschaft am Laufen halten Gefahr für unser wirtschaftliches, kultu- und damit die größte Last zu tragen relles und soziales Leben in Branden- haben. Immer wieder haben Sie sich bei burg. diesen Menschen bedankt: bei den Kran- Ja, es war richtig, diese Entschei- kenpflegerinnen und -pflegern, den Kas- dungen zu treffen. Ja, es war richtig, siererinnen und Kassierern, bei den Bus- auch harte Einschnitte in Kauf zu neh- fahrerinnen und Busfahrern, aber auch men; denn wir müssen alles dafür tun, den Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern. Gut! der Ausbreitung des Virus entgegenzu- Und nun? treten – und das gemeinsam. Und ja, es Was uns diese Krise drastisch zeigt, war auch gut und richtig, dass die Lan- ist Folgendes: Nicht die, die am meisten desregierung schnell Hilfen für die Wirt- verdienen, sind die, die unsere Gesell- WALTER 25
schaft stützen, sondern gerade jene, die heit vor einer Infektion und für soziale, fi- am Anfang des Monats nicht wissen, wie nanzielle Sicherheit –, dass wir die Ängs- sie am Ende über die Runden kommen te und Nöte der Brandenburgerinnen und sollen, die auch sonst schlaflose Nächte Brandenburger sehen und sie nicht al- wegen der Klassenfahrt des Ältesten leinlassen, denn das Leben ist immer oder der Rechnung für die neue Wasch- konkret. maschine durchleben müssen. Es sind Auch Ihnen wird es so gegangen gerade die Menschen im Niedriglohnsek- sein: In den letzten Tagen und Wochen tor, die sich Tag für Tag der Gefahr einer haben sich viele Menschen bei uns allen Infektion aussetzen, damit wir alle noch gemeldet. Sie kennen mich ja inzwischen in den Supermarkt gehen oder zur Arbeit ein bisschen – ich erzähle Ihnen jetzt ein- fahren können, die unsere Oma im Heim mal von diesen Menschen in unserem versorgen oder die Essensausgabe an Land: Da ist zum Beispiel Luisa, die junge der Tafel aufrechterhalten. Krankenschwester. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lie- (Zuruf) ber Herr Stohn, da wird eben auch eines sehr deutlich: Ein Dank allein – so wichtig – Tun Sie mal nicht so! Das ist eben die Anerkennung auch ist – reicht halt die konkrete Realität in diesem Land. nicht aus. Denn schlussendlich bleibt es Während Sie hier „Danke, danke!“ sagen, dabei: Kein Mensch in diesem Land kann melden sich die Menschen bei uns und seine Miete mit Applaus vom Balkon be- haben Fragen. zahlen. Keine Rechnung lässt sich mit (Weitere Zurufe) einem netten Lächeln begleichen, und keine dritte Mahnung ist nach einem Also hören Sie einfach in Ruhe zu, herzlichen „Vergelt’s Gott!“ Geschichte. und dann können wir darüber diskutieren. Wir alle hier – wir 88 Landtagsabge- Sie ist Krankenschwester. Seit Jah- ordnete, die wir hier sitzen – haben leicht ren herrschen auch in ihrer Klinik Perso- reden, und darauf sollten wir auch einmal nalmangel, Unterbezahlung und massiver achten: Wir haben heute unseren vollen Druck. Deswegen ist sie letztes Jahr ge- Lohn zu 100 % erhalten. Die Mehrheit meinsam mit ihren Kolleginnen und Kolle- der Brandenburgerinnen und Branden- gen auf die Straße gegangen und hat ge- burger kann von so einem sicheren Ge- streikt – für bessere Arbeitsbedingungen halt – auch von der Höhe – nur träumen. und mehr Gehalt: Wo war da eigentlich Was die Menschen von uns dafür aber der Applaus für Luisa? Und was hat sich erwarten, ist, dass wir unseren Job ma- seitdem für sie verbessert? chen, dass wir uns konkret Gedanken Herr Stohn, die Situation in den machen und etwas auf die Beine stellen, Krankenhäusern bundesweit ist nicht ein- um ihnen unter die Arme zu greifen. Das fach vom Himmel gefallen. Das sehen wir heißt in erster Linie, dass wir alles dafür auch daran, dass noch im letzten Jahr tun, für ihre Sicherheit zu sorgen – und – vor einigen Monaten – die Bertelsmann zwar im doppelten Wortsinn: für Sicher- Stiftung gemeinsam mit Karl Lauterbach 26 WALTER
von der SPD und vielen anderen in die- Es kann aber nicht sein, dass unser sem Land gefordert hat, dass wir doch medizinisches Personal, die Ärzte und die Hälfte der Kliniken schließen sollen, Pflegekräfte, jetzt das Gefühl bekommen, das rechne sich so ja nicht. Während sie seien in dieser Krise das Kanonen Luisa für ihren Knochenjob am Ende mit futter. gerade einmal 2 000 Euro netto nach (Zurufe) Hause geht, machen private Klinikkon- zerne Millionengewinne – aber rechnet Der Schutz in unseren Gesundheits- sich ja nicht, haben Sie uns erzählen wol- einrichtungen muss die erste Priorität len! Die Privatisierung im Gesundheits- haben. wesen – das war, das ist und das wird Nun erzähle ich Ihnen von einer immer so sein – geht auf Kosten der Pa- Frau, die als Kassiererin in einem Pots- tientinnen und Patienten, der Angestell- damer Baumarkt arbeitet. Vor zwei Wo- ten, der Hygiene und der Qualität. chen noch hat sie Schutzmasken ver- kauft – mit einer Preissteigerung von (Zuruf) 300 %. Selbst hat sie keine mehr bekom- – Wir haben kein einziges Kranken- men. Aber auch sie setzt sich täglich an haus geschlossen, Herr Stohn, und wir ihre Kasse und begibt sich in die Gefahr haben auch kein einziges Krankenhaus einer Ansteckung. privatisiert. Wir haben gemeinsam die In- Wenn mir eine befreundete Mukovis- vestitionspauschalen für die Krankenhäu- zidose-Patientin erzählt, dass sie alle ser hochgefahren. Aber Sie wissen auch Läden, alle Apotheken abgegrast habe, ganz genau, dass das ein bundesweites aber nirgends mehr eine Maske zu be- Thema ist. Deswegen sagte ich „bundes- kommen sei, dann müssen wir endlich weit“. darüber reden, diese bei jenen zu be- Wohin uns das geführt hat, muss in schlagnahmen, die meinen, damit jetzt dieser Krise doch selbst dem Letzten noch den großen Reibach machen zu auch in diesem Hause klar werden. Dass müssen, und sie denen zu geben, die sie im 21. Jahrhundert allerorts Näherinnen wirklich brauchen. Wenn Sie fragen, wer zugange sind, um händisch einfache das ist: Selbst Ihre Gesundheitsministerin Atemschutzmasken für unsere Gesund- hat vor einigen Tagen dargestellt, dass heitseinrichtungen zu produzieren, weil sie nicht verstehe, warum in einigen Bau- es keine Schutzkleidung mehr gibt, dass märkten in den letzten Wochen noch Ehrenamtliche zu Hause die Nähmaschi- FFP2- und FFP3-Masken verkauft wur- ne fürs Krankenhaus anschmeißen – wer den. Die Menschen erwarten zu Recht, hätte sich das überhaupt vorstellen kön- dass wir jetzt handeln und auch über Be- nen in diesem reichen Land Deutsch- schlagnahmungen reden. land? Wenn ich Ihnen das vor zwei Mo- Die Krankenschwester und auch die naten erzählt hätte, hätten Sie mich zu Kassiererin haben Kinder im Kita-Alter. Recht für verrückt erklärt. Und als wäre alles nicht schon schwierig genug, müssen sie trotz Aussetzung der WALTER 27
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