Hans-Heinrich Trute .that nature is the ultimate bioterrorist" - Wissenschaftsfreiheit in Zeiten eines entgrenzten Sicherheitsdiskurses Zu den ...

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Hans-Heinrich Trute
                                                  „...that nature is the ultimate bioterrorist“ –
                                                  Wissenschaftsfreiheit in Zeiten eines entgrenzten
                                                  Sicherheitsdiskurses
                                                  Zu den Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

Übe r sic h t                                                               In Zeiten eines entgrenzten Sicherheitsdiskurses werden
I. Einleitung                                                               Wissenschaftler schnell zu verantwortungslosen, ver-
II. Herausforderungen durch die Forschung                                   rückten Gesellen,1 die um ihres überspannten Wissen-
1. Sicherheitsrelevante Entwicklung                                         schaftler-Egos, ihrer Reputation oder ökonomischer Inter-
a) Die Risiken der Influenza-Forschung                                      essen willen die Menschheit mit hochriskanten Experi-
b) Die Gain-of-Function Experimente                                         menten gefährden und nebenbei Terroristen das Wissen
c) Biosafety und Biosecurity                                                zum Bau hochgefährlicher, die Menschheit bedrohender
d) Single Use, Dual Use oder Multiple Use                                   Bio-Waffen liefern. Anlass zu diesen Szenarien sind spekta-
2. Zusammenfassung: Die mehrfache Ungewissheit                              kuläre Forschungen der Influenza-Forscher, insbesondere
III. Wissenschaftsfreiheit und konkurrierende Rechtsgüter                   die sogenannten Gain-of-Function (GOF) Experimente.2
1. Die Wissenschaftsfreiheit als Handlungs- und Kommunikati-                Letzter Anlass der Erregung in einer Kette von Experimen-
onsfreiheit                                                                 ten war die Rekonstruktion des Virus der Spanischen Grip-
a) Die Forschung als Handlungspraxis                                        pe durch Reverse Genetics.3
b) Wissenschaftsfreiheit als Kommunikationsfreiheit                             Zur Einhegung oder Verhinderung solcher oftmals
2. Mögliche Einschränkungen des vorbehaltlos gewährleisteten                als zu riskant empfundenen Experimente, zumal in ei-
Grundrechts                                                                 nem Bereich, der wie wenige andere Gegenstand von
3. Die Risikoabwägung: Nur eine Risiko-Nutzen-Analyse?                      Untergangsvisionen ist,4 sollen Reflexionslasten, Selbst-
4. Einschränkungen durch die EMRK                                           verpflichtungen, neue Ethikkommissionen, Forschungs-
IV. Die Forschungsfreiheit: Einschränkungen und Verbote                     einschränkungen, Forschungsverbote, Publikationsein-
1. Allgemein                                                                schränkungen und -verbote helfen. Vor dem Hinter-
2. Forschungsverbote oder -einschränkungen zur Wissensbe-                   grund auch medial hochgetriebener Risiken wirkt die Wis-
schränkung oder -unterdrückung                                              senschaftsfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG schnell wie
V. Wissenschaftsfreiheit als Kommunikationsfreiheit                         aus der Zeit gefallen. Als vorbehaltloses Grundrecht ist sie
1. Wissensdistributionsverbote                                              allerdings eine Grenzmarkierung, die in ihrer Bedeu-
a) Die Eigenschaften des Wissens                                            tung offenbar minimiert werden muss. Dazu steht der
b) Anknüpfungen an die Handlungen Dritter                                   seit 9/11 gepflegte, entgrenzte Sicherheitsdiskurs zur Ver-
2. Das Problem des Zensurverbots                                            fügung, der auch in anderen Feldern seine enormen
VI. Rahmenbedingungen der Forschungsförderung                               Rechnungen zu Lasten von Freiheitsgarantien präsen-
VII. Ethikkodizes: Selbst- oder Fremdregulierung?                           tiert. Der hochrangige Zweck der Sicherheit, die diffuse
VIII. Schluss                                                               Bedrohung durch Terrorismus, die nicht näher spezifi-

1 Der nicht eben für Übertreibungen bekannte Lord May schrieb im            2 Als Gain-of-Function Experimente bezeichnet man diejenigen Ex-
  Hinblick auf die Rekonstruktion des Virus der Spanischen Grippe             perimente, die die Übertragung auf Mammalia und die Pathogeni-
  von 1918: „The work they are doing is absolutely crazy. The whole           tät von Viren im Wege genetischer Änderung des Virus verändern.
  thing is exceedingly dangerous“ (...) „Yes, there is a danger, but it‘s     Eine informierte Diskussion der Risiken und der potentiellen
  not arising from the viruses out there in the animals, it‘s arising         Vorteile findet sich bei Casadevall/Imperiale, Risks and benefits
  from the labs of grossly ambitious people.“, zitiert nach Connor,           of Gain-of-Function Experiments with Pathogens of Pandemic
  American Scientists controversially recreate deadly Spanish Flu             Potential, Such as Influenza Virus: a Call for a Science-Based
  Virus, The Independent, 11.6.2014; Wain-Hobson vom Institut                 Discussion, MBio (5/4), 2014, S. 1-5.
  Pasteure (Paris) wird mit den Worten zitiert: „It’s madness, folly.       3 Watanabe, Circulating Avian Influenza Viruses Closely Related
  It shows the profound lack of respect for the collective decision.          to the 1918 Virus Have Pandemic Potential, Cell Host & Microbe
  Making process we’ve always shown in fighting infections. If                (15/6), 2014, S. 692-705.
  society, the intelligent layperson, understood what was going on,         4 Zu den Ängsten vor Epidemien vgl. Eckart, Die Erregung der
  they would say ‚What the F are you doing”, zitiert nach Sample,             Erreger, Süddeutsche Zeitung v. 2.3.2015 S. 11.
  Scientists condemn ‚crazy’ ‚dangerous’ creation of deadly airborne
  flu virus, The Guardian, 11.6.2014.

                                                   Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197-9197
100                   O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 9 9 – 1 1 6

ziert werden kann, da sie überall und jederzeit manifest                herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund kann die
werden kann, soll dann jede Einschränkungen von Frei-                   Wissenschaftsfreiheitsgarantie dann der Problemlage
heitsrechten rechtfertigen. Der vorgeblich gute Zweck                   entsprechend differenziert nach Forschung und Kom-
heiligt die Mittel.                                                     munikation entfaltet werden.
    Man muss die unter den Stichworten Biosafety und
Biosecurity diskutierten Sicherheitsprobleme nicht leug-                II. Herausforderung durch die Forschung
nen, um sich gleichwohl zu wundern, mit welch leichter
Hand Grundrechtsgarantien einem mehr oder weniger                       Gegenüber den oben angedeuteten Szenarien ist
strukturierten Abwägungsdiskurs und einem Ethikregime                   zunächst das Gefährdungsproblem einer näheren Ana-
anheim gegeben werden, um Sicherheitsgewinne zu er-                     lyse zu unterziehen. Dabei geht es sowohl um die Art
zielen, deren Charakteristika vor allem darin bestehen,                 wissenschaftlicher Experimente und die Publikation der
dass sie abstrakt und intransparent bleiben. Wo die Be-                 Erkenntnisse, als auch um die Struktur der Gefährdung,
drohungsszenarien diffus bleiben und die Anhaltspunk-                   von der die Rede ist.
te für ihre Relevanz das Licht der Öffentlichkeit scheuen,                  Wie immer, wenn die Wissenschaft und ihre Frei-
kann der Sicherheitsgewinn nicht bemessen werden.                       heitsgarantie in der Kritik stehen, ist dies nicht zuletzt
Man kennt das aus anderen Bereichen: Je diffuser die Be-                durch Fortschritte der Wissenschaft selbst induziert,
drohungsszenarien und möglichen Sicherheitsprobleme                     durch das erhöhte Auflösungs- und Rekombinationsver-
sind, desto mehr wird ein schon in die Terminologie hi-                 mögen derselben,6 das gesellschaftliche Erwartungen
neinreichender Überbietungsdiskurs gepflegt, bei dem                    begründet und enttäuscht, vorhandene Routinen, Le-
enorme Schadenspotentiale beschworen werden, die                        bens- und Geschäftsmodelle verändert oder ethisch neu
dann das Nichtwissen über reale Bedrohungen ausglei-                    zu bewertende Optionen eröffnet und damit als riskant
chen sollen.5 Wenn etwa die wissenschaftliche Publikati-                wahrgenommen wird. Die Forschung wird dabei von ei-
on als Bauanleitung für Massenvernichtungswaffen me-                    nem Risikodiskurs begleitet, in dem nicht nur plausible
dial konstruiert wird, ist ein Verbot offenkundig nicht                 Risikoszenarien entworfen werden, sondern auch wenig
mehr rechtfertigungsbedürftig. So gerät die Wissen-                     realitätstaugliche Überbietungs- oder Verharmlosungs-
schaftsfreiheit unter Rechtfertigungsdruck. In der allfäl-              szenarien. Dies galt in der Risikodebatte, der Stammzell-
ligen Abwägung hat der Forscher dann den Nutzen sei-                    forschung, der Reproduktivmedizin, der grünen und ro-
ner Tätigkeit darzustellen, um gegenüber den solcher-                   ten Gentechnik ebenso wie in der Nanotechnologie und
maßen stets überwältigenden Risiken bestehen zu kön-                    für die Hirnforschung darf in naher Zukunft Ähnliches
nen. Der Hinweis, die Forschung ermögliche Wissen, das                  erwartet werden.7 Nicht selten reagiert die Politik mit
auch für die Gesundheit mittelfristig Bedeutung haben                   Regulierung auf die Überbietungsszenarien.8 Das droht
könne, wird als zu diffus bewertet, im Gegensatz zu den                 auch im vorliegenden Fall, nicht nur in Deutschland. Je-
schneller einleuchtenden Bedrohungsszenarien, die freilich              denfalls aber wirft es stets aufs Neue das Problem der
oftmals ohne jede Konkretisierung daherkommen. Damit                    Abstimmung von Wissenschaft und Gesellschaft auf.
wird eine Asymmetrie in die Diskussion eingeführt, die
Rückwirkungen für die Wissenschaftsfreiheit hat.                        1. Sicherheitsrelevante Entwicklungen
    Nachfolgend werden zunächst die Szenarien der For-                  Nicht zu verkennen ist, dass sich die Umstände der For-
schung und ihre Risiken etwas genauer beleuchtet und                    schung in erheblicher Weise verändert haben, keines-
insbesondere die Struktur der Gefährdung deutlicher                     wegs nur durch terroristische Bedrohungen, sondern

5 Vgl. die ausführliche Diskussion bei Miller/Selgelid/van der          7 Bei letzterer zeigen sich allerdings Enttäuschungserscheinungen;
  Bruggen, Report on Biosecurity and Dual Use Research. A Report          vgl. einerseits Das Manifest. Was wissen und können Hirnforscher
  for the Dutch Research Council, 2011, S. 22 ff., die objektive und      heute?, http://www.spektrum.de/thema/das-manifest/852357
  subjektive Risikoeinschätzungen unterscheiden und die Zwänge            (22.1.2015); dagegen Memorandum „Reflexive Neurowissen-
  der Politik angesichts subjektiver Einschätzungen betonen, ohne         schaft“, https://www.psychologie-heute.de/home/
  dabei freilich die Risiken der Politik selbst zu übersehen. Aller-      lesenswert/memorandum-reflexive-neurowissenschaft/
  dings dürften weder die subjektiven Einschätzungen unabhängig           (22.1.2015).
  von Politik sein, noch dürften allein auf der Basis von subjektiven   8 Zur Kritik vgl. bereits Trute, Wissenschaft und Technik, in: Isen-
  Risikoeinschätzungen Einschränkungen von Grundrechten ohne              see/Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. IV, 3. Aufl., 2006, § 88 Rn. 1; zur
  Weiteres zu rechtfertigen sein.                                         Diskussion aus der Sicht der Bioethik vgl. zu den Überbietungs-
6 Dazu und zum Folgenden Deutscher Ethikrat, Biosicherheit –              und Verharmlosungsdiskursen Scott, Toward a Better Bioethics,
  Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft, 2014, S. 27 ff.,        SciEngEth (15), 2009, S. 283-291.
  http://www.ethikrat.org/publikationen/stellungnahmen/biosicher-
  heit (5.3.2015).
Trute · Wissenschaftsfreiheit in Zeiten eines entgrenzten Sicherheitsdiskurses                                           101

auch durch die Globalisierung und nicht zuletzt durch                    selbst Gegenstand der Besorgnis (Biosafety), sondern
die Entwicklungen in der Wissenschaft selbst.9 So wer-                   auch die mögliche Nutzung der Forschungserkenntnisse
den in der Virusforschung seit geraumer Zeit gentechni-                  durch Terroristen (Biosecurity). Im Hinblick auf den
sche Methoden eingesetzt, um die Pathogenität und die                    letzteren Aspekt werden dann schon terminologisch aus
Transmissibilität von Erregern zu untersuchen und diese                  anderen Bereichen bekannte Semantiken übertragen,
zu verändern. Durch Fortschritte der Lebenswissen-                       wie die Dual-Use-Problematik, die dann als Dual Use
schaften, der Bioinformatik und der Genomforschung                       Research of Concern (DURC)13 auf dem Display der
sowie der Entwicklung schneller und kostengünstiger                      Wissenschaftsfreiheitsdebatte erscheint.14 Insoweit hat
Sequenzierungsverfahren wird die Analyse von Pathoge-                    sich schon der Kontext der Forschung erheblich verän-
nitätsfaktoren deutlich verbessert. Die Systembiologie                   dert.
ermöglicht Erkenntnisse über Wirt/Erreger-Verhältnis-
se. Insgesamt eröffnet das Ensemble verschiedener Ent-                   a) Die Risiken der Influenza-Forschung
wicklungen avancierte Schritte. Diese dienen letztlich                   Der Ausgangspunkt der gegenwärtigen Debatte liegt, wie
dem Ziel, verbesserte Therapieansätze zu entwickeln.                     schon gesagt, in durchaus sicherheitsrelevanten For-
Aber in der Veränderung der Pathogenität und Trans-                      schungen insbesondere der Influenza-Community, ist
missibilität können auch nicht unerhebliche Risiken                      aber keineswegs darauf beschränkt. Dies galt etwa schon
erzeugt werden. Von einer anderen Seite drängen – wie                    für die Rekonstruktion des Erregers der Spanischen
auch sonst in der Wissenschaft – Bewegungen wie Citi-                    Grippe von 1918 in jahrelanger Arbeit durch drei renom-
zen Science10 oder hier die Open-Access-Biologie in den                  mierte wissenschaftliche Institutionen mit dem Ziel,
Vordergrund und nähren Befürchtungen,11 mit dem                          Impfstoffe zu entwickeln.15 Auch davor und danach hat
Erwerb günstigen Forschungsequipments in diesem                          es Rekonstruktionen verschiedenster Viren gegeben.16
Bereich könnten wissenschaftliche Ergebnisse auch von                    Anlass der Debatte waren indes vor allem zwei im Jahre
„Laien“ zu terroristischen Zwecken genutzt werden.12                     2012 zur Veröffentlichung führenden Experimente,17 die
Daher sind nicht mehr nur die Risiken der Forschung                      zum Ziel hatten, mittels mutierter Varianten des H5N1-

9 Miller/Selgelid/van der Bruggen, Report (Fn. 5), S. 22 ff.             14 Nicht zuletzt die Entscheidung eines niederländischen Gerichts,
10 Vgl. dazu Fincke, Citizen Science, 2014.                                 eine Regierungsentscheidung aufrechtzuerhalten, nach der
11 Unter dem Stichwort De-Skilling wird dies ausführlich debattiert,        Wissenschaftler eine Exportgenehmigung auf der Grundlage der
   vgl. Chyba, Biotechnology and the Challenge to Arms Control,             Dual-Use Verordnung für eine Veröffentlichung über eines der
   Arms Control Today (36) 2006, S. 11-17; Epstein, The Challen-            2012 zur Veröffentlichung anstehenden Experimente (siehe
   ges of Developing Synthetic Pathogens, Bulletin of the Atomic            Fn. 17); dazu auch Butler, Pathogen-research laws queried, Nature
   Scientists, 2008. Dabei ist eine technologiezentrierte Sichtweise        (403) 2013, S. 19.
   unübersehbar, die gleichsam eine De-Professionalisierung der          15 Taubenberger/Kash, Insights on influenza pathogenesis, from the
   Systembiologie zu einem Lego-Baustein-Arrangement innerhalb              grave, Virus Res. (162), 2011, S. 2-7; Taubenberger et al., Cha-
   weniger Jahre annimmt; dieses ist theoretisch wenig überzeugend          racterization of the reconstructed 1918 Spanish Influenza virus
   und empirisch nicht validiert. Vgl. auch das Resumé von Tucker,          polymerase genes, Nature (437), 2005, S. 889–893; Tumpey et
   Can Terrorists Exploit Synthetic Biology? New Atlantis, 2011,            al., Characterization of the reconstructed 1918 spanish influenza
   S. 74 f.: „In sum, although certain aspects of parts-based syn-          pandemic virus, in: Science (310/5745), 2005, S. 77-80; ausführli-
   thetic biology may well become more accessible to non-experts,           che Darstellung der Gründe auch in CDC, Reconstruction of the
   the field’s explicit de-skilling agenda is far from becoming an          1918 Influenza Pandemic Virus, http://www.cdc.gov/flu/about/
   operational reality.“; ebenso National Science Advisory Board            qa/1918flupandemic.htm (22.1.2015); zu den ermöglichten Fort-
   for Biosecurity, Addressing Biosecurity Concerns Related to the          schritten vgl. auch Taubenberger et al., Reconstruction of the 1918
   Synthesis of Select Agents, 2006.                                        influenza virus: unexpected rewards from the past. mBio (3/5),
12 Zweifelnd zu Recht Deutscher Ethikrat, Biosicherheit (Fn. 6),            2012, e00201-12. doi:10.1128/mBio.00201-12; für eine kurze
   S. 41, mit dem Hinweis auf notwendige Expertise und vor allem            Schilderung und Analyse vgl. Deutscher Ethikrat, Biosicherheit
   das erforderliche tacit knowledge; ebenso Miller/Selgelid/van der        (Fn. 6), S. 51 f.
   Bruggen, Report (Fn. 5), S. 15: „(...) a rather high hypothetical     16 Vgl. die Nachweise bei Tucker, Terrorists (Fn. 11), S. 69–81.
   value (...)“.                                                         17 Imai et. al., Experimental adaption of an influenza H5HA confers
13 United States Government Policy for Oversight of Life Sciences           respiratory droplet transmission to a reassortant H5HA/H1N1
   Dual Research of Concern, http://osp.od.nih.gov/sites/default/           virus in fetts, Nature (486/7403), 2012, S. 420-428; Herfst et.
   files/resources/United_States_Government_Policy_for_                     al., Airborne transmission of influenza A/H5N1 virus between
   Oversight_of_DURC_FINAL_version_032812_1.pdf (22.1.2015):                ferrets, Science (336/6088), 2012, S. 1534-1541; eine Schilde-
   „For the purpose of this Policy, DURC is life sciences research          rung des langen Prozesses der Konzeption und Durchführung
   that, based on current understanding, can be reasonably anticipa-        der Arbeiten findet sich bei Fouchier/Herfst/Osterhaus, Public
   ted to provide knowledge, information, products or technologies          Health and Biosecurity. Restricted Data on Influenza H5N1 Virus
   that could be directly misapplied to pose a significant threat           Transmission, Science (335/6069), 2012, S. 662-663; vgl. auch die
   with broad potential consequences to public health and safety,           Nachweise bei Lipsitch/Galvani, Ethical Alternatives to Expe-
   agricultural crops and other plants, animals, the environment,           riments with Novel Potential Pandemic Pathogens, PLoS Med
   material, or national security.”; Deutscher Ethikrat, Biosicherheit      (11/5), 2014, e1001646.
   (Fn. 6), S. 83 ff.
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Virus zu prüfen, ob diese auch im Luftwege übertragen                     Experimente. Eine mittlerweile als Aufreger fungierende
werden können (anders als der Wildtyp, der nur bei Kör-                   Schlussaussage ist: „In considering the threat of bioterro-
perkontakt und ohnehin selten übertragen werden                           rism or accidental release of genetically engineered viru-
kann). Die erregte Debatte führte zunächst zur Empfeh-                    ses, it is worth remembering that nature is the ultimate
lung des amerikanischen National Science Advisory                         bioterrorist.“24
Boards für Biosecurity (NSABB), die Ergebnisse nicht zu
publizieren; am Ende aber wurden die überarbeiteten                       c) Biosafety und Biosecurity
Ergebnisse publiziert. Es folgte ein einjähriges freiwilli-               Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, dass bestimm-
ges Moratorium für entsprechende Versuche.18 Umstrit-                     te GOF-Experimente mit erheblichen Risiken einherge-
ten aber bleiben diese weiterhin,19 befeuert nicht zuletzt                hen können. Dieser Risikoaspekt (Biosafety) soll in
durch weitere Experimente, wie die Herstellung des                        erheblichem Umfang durch Anforderungen an den For-
Virus der Spanischen Grippe von 1918 durch die For-                       schungsprozess und die Labor- und Arbeitssicherheit
schungsgruppe um Yoshihiro Kawaoka aus in wilden                          abgefangen werden. Die Risiken für das Forschungsper-
Enten gefunden Fragmenten, mit dem Ziel die Übertra-                      sonal ebenso wie die Risiken einer unbeabsichtigten
gungsmöglichkeiten des Virus zu analysieren.20                            Freisetzung sollen dabei durch die Einstufung des Gefah-
                                                                          renpotentials und entsprechende Sicherheitsanforde-
b) Die Gain-of-Function Experimente                                       rungen soweit reduziert werden, dass sie als hinnehmbar
Es sind vor allem bestimmte sog. Gain-of-Function                         angesehen werden können. Soweit ersichtlich ist bisher
(GOF) Experimente und die mit ihnen verbundenen                           keine belegte Freisetzung eines solchermaßen veränder-
wirklichen oder vermeintlichen Risiken,21 die die Kritik                  ten Virus aufgetreten,25 wohl aber mögen Meta-Analy-
herausfordern. Diese hat mittlerweile zu einem (erzwun-                   sen dafür sprechen, dass die Möglichkeit eines unbeab-
genen) Moratorium durch den Stopp der öffentlichen                        sichtigten Entweichens kaum je ausgeschlossen werden
US-amerikanischen Finanzierung von bestimmten                             kann.26
GOF-Experimenten geführt.22                                                   Befürchtet wird darüber hinaus, dass die Materialien
    Allerdings zeigt eine ausführliche Diskussion der Ar-                 und das generierte Wissen zur Produktion von biologi-
tikel von 2012, die Auslöser der erneuten Debatte waren                   schen Massenvernichtungswaffen durch Terroristen be-
und sind,23 dass ungeachtet der Abwägung von Risiken                      nutzt werden könnte (Biosecurity). Im Ausgangspunkt
und Nutzen doch verhältnismäßig wenig über die Aus-                       gilt es dabei festzuhalten, dass nicht etwa Forscher und
breitungsbedingungen von Influenza-Viren bekannt ist                      Forscherinnen verdächtigt werden, etwas Illegales vor-
und dass eine breit angelegte Ausbreitungs-Forschung                      zuhaben und zum Bioterrorismus beizutragen. Zwar
notwendig ist, auch in der Anlage der bisherigen GOF-                     kann man mit guten Gründen davon ausgehen, dass es

18 Vgl. Deutscher Ethikrat, Biosicherheit (Fn. 6), S. 9 ff.                  H7N9, Science (341), 2013, http://www.sciencemag.org/
19 Trevan, Do not censor science in the name of biosecurity, Nature          content/341/6146/612.full.pdf (21.1.2015).
   (486), 2012, S. 295; Butler, Freeze on mutant-flu research set to      24 Morens/Subbarao/Taubenberger, Engineering H5N1 (Fn. 23),
   thaw, Nature (486/7404), 2006, S. 449–450; Dickmann/Dorsten/              S. 338; Vgl. dort (S. 335-340) die ausführliche Diskussion der
   Becker, Wir müssen die Risiken aushalten, FAZ, 20.12.2012.                beiden Artikel einschließlich der medialen Übertreibungen und
20 Watanabe, Circulating Avian Influenza (Fn. 3); Connor, Ameri-             des derzeitigen Stands der Forschung; auch die ausführliche
   can Scientists controversially recreate deadly Spanish Flu Virus,         Rekonstruktion der Debatte bei Casadevall/Imperiale, Risks and
   The Independent, 11.6.2014.                                               benefits (Fn. 2); vgl. auch WHO, Report on technical consultation
21 Eine informierte Diskussion der Risiken und der potentiellen              on H5N1 research issues, 2012, http://www.who.int/
   Vorteile findet sich bei Casadevall/Imperiale, Risks and Benefits         influenza/human_animal_interface/mtg_report_h5n1.pdf?ua=1
   (Fn. 2); Lipsitch/Galvani, Ethical Alternatives (Fn. 17).                 (21.1.2015); Perez, Hung up on the Wrong Questions, Science
22 Kaiser, Researchers rail against moratorium on risky virus                (335), 2012, S. 799-801; krit. etwa Wain-Hobson, The Gain-of-
   experiments, Science, 22.10.2014, http://news.sciencemag.org/             Function Experiment of Great Concern, mBio (5/5), 2014, http://
   biology/2014/10/researchers-rail-against-moratorium-risky-                www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4205792/ (21.1.2015).
   virus-experiments (21.1.2015).                                         25 Das ist allerdings umstritten. Lipsitch/Galvani, Ethical Alterna-
23 Doherty/Thomas, Dangerous for ferrets: lethal for humans?, BMC            tives (Fn. 17) gehen unter Berufung auf Webster et al., Evolution
   Biol. (10), 2012, S. 10; Fouchier et. al., Preventing pandemics: the      and ecology of influenza A viruses, Microbiol Rev (56), 1992,
   flight over flu, Nature (481), 2012, S. 257-259; Osterholm/Kelley,        S. 152-179 davon aus, dass ein H1N1 Influenza Strang, der von
   Mammalian-transmissible H5N1 influenza: facts and perspective,            1977-2009 virulent war, aus einem Laborunfall stammen soll („is
   MBiol (3), 2012, S. 2; Palese, Don’t censor life-saving science,          thought to have originated“). Der Verweis ist allerdings nicht
   Nature (481), 2012, S. 115; Webster, Mammalian-transmissible              überzeugend und das Ergebnis als solches wiederum der Kritik
   H5N1 influenza: the dilemma of dual-use research, MBio (3),               ausgesetzt vgl. Sample, Virus experiments risk unleashing global
   2012, S. 1; Morens/Subbarao/Taubenberger, Engineering H5N1                pandemic, study warns, The Guardian, 21.5.2014.
   avian influenza viruses to study human adaptation, Nature (486),       26 Lipsitch/Bloom, Rethinking Biosafety in Research on Potential
   2012, 335; Fouchier et al., Gain-of-Function-Experiments on               Pandemic Pathogens, mBio (3/5), 2012, S. 1-3.
Trute · Wissenschaftsfreiheit in Zeiten eines entgrenzten Sicherheitsdiskurses                                          103

auch aus dem Inneren eines Labors heraus zu bioterro-                  bestimmte Eigenschaft der Produkte, Technologien und
ristischen Anschlägen kommen kann. Folgt man den                       des Wissens, die die Regulierungsinteressen rechtfertigt.
Untersuchungen des FBI, soll die Freisetzung des Milz-                     aa) Er diente zunächst der Bezeichnung einer wissen-
branderregers Anthrax 2001 in den USA von einem For-                   schaftspolitischen Position der Nachkriegszeit, die Spill-
scher einer amerikanischen Militärforschungseinrich-                   Over-Effekte der Militärtechnologie in den privaten in-
tung erfolgt sein, auch wenn Zweifel an dieser Version                 dustriellen Bereich und umgekehrt als einen Weg be-
bleiben.27 Aber dieses Szenario dürfte eher mit Maßnah-                nannte, angemessene Innovationen trotz Reduktion der
men der Laborsicherheit zu adressieren sein, als mit dem               Militärforschung in diesem Bereich zu erzielen. Die Un-
Verbot oder der Einschränkung von Forschung und Pu-                    terscheidung von bene- und malevolenten Nutzungs-
blikationen. Es ist vor allem das von Wissenschaftlern                 möglichkeiten ein und derselben Technologie kam erst
produzierte Wissen mit Dual-Use Potential, das als ris-                später hinzu. Auch seine Nutzung im Bereich der Life
kant gilt. Daran ist zweierlei bedeutsam: Es wird der eher             Sciences datiert verhältnismäßig spät. Auch die Biowaf-
seltene Fall sichtbar, in dem Ansprüche auf Sicherheit                 fen-Konvention kennt diesen Begriff nicht, sondern legt
dazu führen sollen, Wissen entweder nicht zu generieren                in Art. 10 ausdrücklich ein Gewicht auf die internationa-
oder nicht zu publizieren,28 weil es von anderen genutzt               le Zusammenarbeit und den Austausch von Agenzien
werden kann, um damit schädliche Absichten zu verfol-                  und Toxinen zu friedlichen Zwecken.33 Dies steht im
gen.29 Die mögliche Verwendung durch Dritte wird zum                   Einklang mit der WHO-Politik über einen Austausch
Ausgangspunkt von Regulierungsinteressen30 und zwar                    der Viren und Erreger im Rahmen des PIP Frameworks,
nicht gegenüber denjenigen, die schädliche Verwendun-                  insbesondere die weniger entwickelten Staaten an der
gen beabsichtigen, sondern denjenigen, die zu weiteren                 Entwicklung von Mitteln und auch an der Forschung im
wissenschaftlichen Erkenntniszwecken dieses Wissen                     Sinne einer effektiven Pandemie-Präventionspolitik teil-
(und die damit verbundenen Artefakte in Form von wis-                  haben zu lassen.34 Erst im Gefolge der Anthrax-Briefe
senschaftlichen Objekten) generieren.31                                im Kontext von 9/11 ist diese Begrifflichkeit zu einer
                                                                       Grundfrage der Forschung aufgewertet worden.35
d) Single Use, Dual Use oder Multiple Use                                  Dies trifft zusammen mit der Fragmentierung der in-
Der Begriff des Dual Use, der das Stichwort für Regulie-               ternationalen Ordnung und den damit verbundenen
rungsinteressen abgibt, hat dabei eine erstaunliche Kar-               Schwierigkeiten, ein stabiles Exportkontrollregime zu
riere hinter sich.32 Dieser Begriff suggeriert eine                    etablieren.36 Wo die Bedrohung nicht mehr allein von

27 Das FBI hat in seiner abschließenden Erklärung Bruce Ivins, For-         minervaextremelaw.haifa.ac.il/images/Trute-2014-How_to_deal_
   scher in dem U.S. Army Medical Research Institute for Infectious         with_pandemics.pdf (22.1.2015); WHO, Report on technical
   Diseases (USAMRIID) als verantwortlichen Täter ausgemacht,               consultation on H5N1 research issues, 2012, http://www.who.
   der im Jahre 2008 wenige Tage vor der Anklageerhebung Selbst-            int/influenza/human_animal_interface/mtg_report_h5n1.
   mord beging. Allerdings verbleiben nach der Untersuchung etwa            pdf?ua=1(22.1.2015); Fouchier/Herfst/Osterhaus, Restricted Data
   der National Academies of Science weiterhin Zweifel an dieser            (Fn. 17), S. 662 f., mit der zutreffenden Bemerkung, dass die Re-
   Version; vgl. die Presseerklärung der NAS v. 5.02.2011 http://           striktionen dem WHO-Ansatz des Sharings mit den betroffenen
   www8.nationalacademies.org/onpinews/                                     Ländern im Rahmen des PIP Framework widersprechen; ebenso
   newsitem.aspx?RecordID=13098 (22.1.2015); eine neue Studie               Faden/Karron, The Obligation to Prevent the Next Dual-Use
   des Government Accountability Office ist ebenfalls skeptisch im          Controversy, Science (335), 2012, S. 802-804.
   Hinblick auf die vom FBI gezogenen Schlüsse; vgl. Broad, Inquiry    31   Bisher hat es kaum bekannte Fälle der Verwendung von Agenzien
   in Anthrax Mailings Had Gaps, Report Says, New York Times,               zu terroristischen Zwecken gegeben, jenseits der wenigen, immer
   20.12.2014, S. A 13.                                                     wieder bemühten Versuche vor längerer Zeit, wie etwa dem
28 Das Exzeptionelle betonen auch Marchant/Pope, The Problems               Anschlag der AUM-Sekte in Tokio, dessen genauere Analyse
   with Forbidding Science, SciEngEth (15), 2009, S. 375-394, 376.          ebenfalls erhebliche Zweifel an der Begründung von Überbie-
29 Dies ist allerdings nicht ohne historische Präzedenzfälle; vgl.          tungsszenarien gibt; vgl. auch Miller/Selgelid/van der Bruggen,
   ausführlich Laughlin, Das Verbrechen der Vernunft. Betrug an             Report (Fn. 5), S. 22 mit der Frage, ob dies nicht die Frage nach
   der Wissensgesellschaft, 2008.                                           der Rechtfertigung von Einschränkungen aufwirft.
30 Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Restriktion der       32   Miller/Selgelid/van der Bruggen, Report (Fn. 5), S. 8 ff.; Reppy,
   Proliferation des Wissens und der Fertigkeiten im Umgang mit             Managing Dual Use in an Age of Uncertainty, The Forum (4/1),
   den genetisch rekonstruierten oder veränderten Viren (vgl.               2006, S. 1-7.
   etwa Butler, Freeze (Fn. 19)) auch zur Aufrechterhaltung einer      33   Zur Reichweite im Hinblick auf die missbrauchsanfällige Verwen-
   Ungleichverteilung des Wissens führt, die für das Feld von               dung Teetzmann, Rechtsfragen der Sicherheit in der biologischen
   Pandemien schon im Allgemeinen hohe Risiken begründet. Dazu              Forschung – Gutachten für den Deutschen Ethikrat, 2014, S. 132 f.
   und zu den Ansätzen der WHO die Ungleichverteilung im Rah-          34   Trute, How to Deal (Fn. 30).
   men des internationalen Pandemierahmens zu berücksichtigen          35   Miller/Selgelid/van der Bruggen, Report (Fn. 5), S. 11 ff., 18 ff.
   Trute, How to deal with pandemics? (i.E.) (preprint unter http://   36   Reppy, Managing Dual Use (Fn. 32), S. 1-7.
104                  O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 9 9 – 1 1 6

Staaten ausgeht, die unschwer als mögliche Adressaten                nes und damit eng gekoppeltes Wissen im Rahmen einer
von Einschränkungen oder Verpflichtungen in An-                      Technologie, deren künftige Verwendung jedenfalls in
spruch genommen werden können, fällt die Schaffung                   gewissem Umfang bestimmt werden kann. Eine Zentri-
eines stabilen Rahmens schwerer. Ungeachtet dessen ist               fuge, das weiß man, kann für vielfältige industrielle und
der Begriff des Dual Use alles andere als klar.37 Jedenfalls         wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, aber eben
nimmt er im Bereich der Biowissenschaften eine neue                  auch im Rahmen der Produktion von Atomwaffen. Das
Bedeutung an, insofern er nicht mehr in erster Linie auf             ist bei Wissen im Ausgangspunkt anders. Selbst wenn es
Exporteinschränkungen bezogen wird, sondern zudem                    auf den ersten Blick scheint, als könnte man die künfti-
Verbote oder Einschränkungen der Generierung von                     gen Verwendungen einigermaßen bestimmen, so lässt
Wissen legitimieren soll. Offenkundig wird er in dem                 sich die Verwendung in der Zeit nicht wirklich überse-
amerikanischen Kontext zudem häufig anders verwen-                   hen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass Wissen später
det als im europäischen. Während im amerikanischen                   in einem anderen Kontext von Bedeutung ist, und sei es
Kontext eher die Technologie und ihre (damit abstrakte)              nur als Anregung zur Veränderung von Fragestellun-
Gefährlichkeit als solche betont wird, soll in Europa eher           gen.40 Darin liegt aber gerade ein wesentliches Argu-
der Anwendungskontext bedeutsam sein.38 Auch wenn                    ment für die prinzipielle Öffentlichkeit der Wissenschaft.
dies eine Simplifikation der Zusammenhänge darstellen                Daher ist es schwer, hinreichend sichere Kriterien für die
mag, so bringt dies unterschiedliche Ansätze der Risiko-             Bestimmung von Risiken der Verwendung von Wissen
einschätzung zum Ausdruck und mag erklären, warum                    zu bestimmen.
es in den USA leichter fällt, bestimmte Agenzien und                      cc) Im vorliegenden Kontext wird zudem unterstellt,
Praktiken generell als gefährlich einzustufen und daraus             dass dieses Wissen (ganz im Sinne der abstrakten Ge-
regulatorische Konsequenzen abzuleiten. Die unbesehe-                fährdung) ohne Weiteres für eine malevolente Verwen-
ne Übertragung in einen anderen Kontext hat dann Fol-                dung genutzt werden kann. Schon allgemein gilt, zumal
gen für das Risikokonzept.                                           in den Laborwissenschaften, dass erst eine Mischung aus
    bb) Mit der Übertragung der Dual-Use-Problematik                 implizitem Wissen einer Forschungspraxis, informellen
auf die Influenza-Forschung wird darüber hinaus leicht               Kommunikationen und explizitem und damit verallge-
übersehen, dass es hier, jedenfalls soweit es nicht Agen-            meinerungsfähigem Wissen es ermöglicht, Ergebnisse
zien etc. betrifft, nicht um die Beurteilung der möglichen           zu erzielen.41 Erst eine anspruchsvolle Praxis in Hochsi-
Risiken von Produkten geht, sondern, sieht man einmal                cherheitslaboren macht diese Ergebnisse und ihre Wei-
von den Risiken der Experimente selbst ab, um die Risi-              terverwendung möglich. Um diesem Problem zu entge-
ken des Gebrauchs von Wissen. Wissen aber ist eine                   hen, soll die Einschränkung einer direkten Verwendbar-
Konstruktion des Verwenders, also desjenigen, der In-                keit das Ausufern der Dual-Use Problematik verhin-
formationen und Kommunikate rezipiert und in einen                   dern.42 Nur bei „Kochrezepten“ der Forschung solle es
Kontext von Relevanzen einfügt,39 was immer derjenige                zu Einschränkungen kommen. Der Vergleich ist instruk-
sagen wollte, der sie zunächst geäußert hat. Von daher ist           tiv. Wäre es – um in dem Bild zu bleiben – so einfach aus
Dual-Use nicht eine Eigenschaft des Wissens, sondern                 Kochrezepten Sternemenüs zu produzieren, ein jeder
die Zuschreibung von Verwendungsmöglichkeiten bzw.                   könnte Sternekoch sein, vielleicht nach einiger Übung.
deren Realisierung. Multiple Use steht für die Funktion              Das suggestive Bild des Kochrezepts oder der direkten
der immer wieder neuen Anregung, vorhandene Infor-                   Verwendbarkeit geht an den anspruchsvollen Vorausset-
mationen und Wissen für Neues umzucodieren. Das un-                  zungen der Praxis der Wissenschaften vorbei.43 Es
terscheidet Wissen von Produkten, die üblicherweise in               braucht stets mehr als veröffentlichtes Wissen, um Er-
einem Kontext des Bekannten verhältnismäßig gut ver-                 kenntnisse dieser Art zu replizieren und in malevolente
ortet werden können. Sie sind gewissermaßen gefrore-                 Verwendungen zu transformieren.44

37 Forge, A Note on the Definition of „Dual Use“, SciEngEth (16),    41 Gläser, Wissenschaftliche Produktionsgemeinschaften, 2006,
   2010, S. 111-118.                                                    S. 107 ff.; Deutscher Ethikrat, Biosicherheit (Fn. 6), S. 41;
38 Pustovitz/Williams, Philosophical aspects of Dual Use Technolo-      Allgemein Loenhoff, Implizites Wissen. Epistemologische und
   gies, SciEngEth (16), 2010, S. 17-31.                                handlung‌sheoretische Perspektiven, 2012.
39 Trute, Wissen – Einleitende Bemerkungen, in: Röhl (Hrsg.), Wis-   42 Vgl. auch DFG/Leopoldina, Wissenschaftsfreiheit und Wissen-
   sen – zur kognitiven Dimension des Rechts, DV Beiheft 9, 2010,       schaftsverantwortung. Empfehlungen zum Umgang mit sicher-
   S. 14 f.                                                             heitsrelevanter Forschung, 2014, S. 13 (ohne zusätzliches Wissen/
40 Von daher stellen die Definitionen von Dual Use denn auch auf        ohne aufwendige Umsetzungs- und Anwendungs‌prozesse).
   den gegenwärtigen Zeithorizont ab; vgl. Miller/Selgelid/van der   43 Tucker, Terrorists (Fn. 11) , S. 69-81 mwN.
   Bruggen, Report (Fn. 5), S. 33.                                   44 Vgl. auch Tucker, Terrorists (Fn. 11), S. 70 f.
Trute · Wissenschaftsfreiheit in Zeiten eines entgrenzten Sicherheitsdiskurses                                           105

    dd) Darüber hinaus: Veröffentlicht wird nicht ein Re-             missverständlich, hier von einer Dual-Use-Problematik
zept von Massenvernichtungswaffen (von denen es be-                   auszugehen, denn Wissen ist in vielfältiger und unabseh-
kanntlich diverse im Netz geben soll, was technologisch               barer Weise verwendbarer: Multiple Use statt Dual Use
viel enger gekoppelte Atom-Waffen angeht),45 sondern                  (Verwendungsungewissheit). Ungeachtet dessen lässt
etwa die Veränderung der Pathogenität eines Virus und/                sich jedenfalls am Beginn der Forschung oftmals nicht
oder seiner Transmissibilitätsbedingungen, also gleich-               absehen, was das Ergebnis der Forschung sein wird
sam „angeschärfte“ Varianten dieses Virus.46 Aber diese               (Ergebnisunsicherheit).51 Dann lässt sich auch eine
sind noch lange keine Massenvernichtungswaffe. Für                    Dual-Use-Problematik nicht hinreichend sicher bewer-
eine Transformation in einer Massenvernichtungswaffe                  ten. Ungeachtet dessen aber muss man sehen, dass selbst
bedürfte es der Umsetzung des Erregers in ein anderes                 die bloße Möglichkeit einer malevolenten Nutzbarkeit
Setting,47 welches im Übrigen wieder in unzähligen Ver-               noch nichts für eine Risikoanalyse hergibt, es sei denn
suchen gehärtet werden müsste,48 die wiederum nur un-                 man wollte die abstrakte Gefährdung schon ausreichen
ter höchsten Sicherheitsbedingungen erfolgen könnten.                 lassen. Man hat also eine Reihe von Dimensionen der
Andernfalls würde die Versuchsdurchführung auch                       Risiken in der künftigen Verwendung zu unerwünschten
gleichzeitig das Ende des Versuchs für die beteiligten                Zwecken jenseits der bloßen theoretischen Möglichkeit
Personen bedeuten. Der Deutsche Ethikrat kommt da-                    zu berücksichtigen.
her in seiner Sach-Analyse der derzeitigen und absehba-
ren Entwicklung zu der Einschätzung, dass je anspruchs-               III. Wissenschaftsfreiheit und konkurrierende
voller die Technologien sind, desto unwahrscheinlicher                Rechtsgüter
es ist, dass sie eine terroristische Gefahr darstellen.49 Das
schließt naturgemäß nicht aus, dass die wissenschaftli-               Vor diesem Hintergrund lassen sich die Grundzüge der
che Entwicklung weiter geht und damit auch erhöhte Ri-                Wissenschaftsfreiheitsgarantie entwickeln und in einem
siken begründet werden können. Es macht aber deutlich,                weiteren Schritt auf die hier in Rede stehenden Probleme
auf welchen anspruchsvollen Voraussetzungen die Dual-                 beziehen. Dazu gilt es zunächst die Wissenschaftsfrei-
Use-Problematik im Bereich der Wissenschaft gründet,                  heitsgarantie sowohl als Forschungs- wie als Kommuni-
jedenfalls dann, wenn sie mit der Veröffentlichung von                kationsfreiheit zu entfalten, bevor wir auf die hier in
Wissen zu tun hat.                                                    Rede stehenden möglichen Gründe für Einschränkun-
                                                                      gen eingehen.
2. Zusammenfassung: Die mehrfache Ungewissheit
Schon daran wird deutlich, dass man es in diesem                      1. Die Wissenschaftsfreiheit als Handlungs- und Kom-
Bereich versuchter Regulierung der Wissenschaft mit                   munikationsfreiheit
einer mehrfachen Ungewissheit zu tun hat.50 Diese                     Dabei scheinen Biosafety und/oder Biosecurity zunächst
bezieht sich einerseits auf die Risiken der Forschung                 unter dem Aspekt der Wissenschafts- bzw. Forschungs-
selbst (Forschungsrisiken), also der Experimente, ander-              freiheit keine wirklich neuen strukturellen Problemem
seits auf die Risiken der Kommunikation der Ergebnisse                aufzuwerfen. Vielmehr scheint es vor allem darum zu gehen,
(Wissensrisiken). Im ersteren Bereich ist die Situation               ob und inwieweit die Forschungs- und Wissenschaftsfrei-
strukturell durchaus vergleichbar mit den bisherigen                  heit zugunsten anderer Rechtsgüter eingeschränkt werden
Risiken der Gen-Forschung. Voraussetzungsvoller ist                   kann, ggf. eingeschränkt werden muss. Indes ist es im Hin-
indes der Umgang mit Wissen. Zum einen ist es schon                   blick auf die Risikoanalyse sinnvoll zwischen der experi-

45 Dazu und zu den Unterschieden zwischen A- und B-Waffen                  tists websites 2008, nimmt folgende, durchaus im Einzelnen und
   vgl. nur Kelle/Schaper, Terrorism using biological and nuclear          ihrem Zusammenwirken komplexe Schritte an: Herstellung des
   waepons. A critical analysis of risks after 11 September 2001.          Agens in der erforderlichen Menge, Stabilisierung des Agens, die
   PRIF Reports No. 64.                                                    Überführung des Agens in Trockensubstanz oder Flüssigkeiten
46 Dabei ist nach dem bisherigen Stand der Forschung schon unklar,         und die Entwicklung eines Übertragungssystems. Die Schlussfol-
   ob eine Transmission direkt durch die Adaption eines Virus oder         gerung lautet: „The methods to stabilize, coat, store, and disperse
   nur durch die weitere Anpassung eines ohnehin schon übertra-            a biological agent are highly complicated, known only to a few
   genen Virus stattfinden kann. Darüber hinaus: „This suggests            people, and rarely published.“
   that de novo emergence of a human pandemic influenza virus is      48   Deutscher Ethikrat, Biosicherheit (Fn. 6), S. 51.
   an extreme rare event that is not easily achieved in nature, and   49   Deutscher Ethikrat, Biosicherheit (Fn. 6), S. 53.
   presumably would not be easily achieved by engineering a small     50   Vgl. auch Thurnherr, Biosecurity und die Publikation heikler
   number of laboratory mutations“; vgl. Morens/Subbarao/Tauben-           Forschungsdaten aus grundrechtlicher Perspektive, 2014, S. 98 ff.
   berger, Engineering H5N1 (Fn. 23), S. 335.                         51   Zu Recht betont in DFG/Leopoldina, Wissenschaftsfreiheit
47 Kuhn, Defining the Terrorist Risk, Bulletin of the Atomic Scien-        (Fn. 42), S. 9.
106                   O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 9 9 – 1 1 6

mentellen Forschungspraxis und der Kommunikationsseite                    die Wissenschaftsfreiheit de facto und zumal in den hier
der Wissenschaft zu unterscheiden.                                        relevanten Zusammenhängen gar nicht außerhalb spezi-
                                                                          fischer Berufsrollen und erworbener Qualifikationen aus-
a) Die Forschung als Handlungspraxis                                      geübt werden kann. Die Thematisierung von De-Skilling-
Der Forschungsfreiheit geht es um Handlungen zur                          Prozessen58 zeigt das ungeachtet ihrer Reichweite.
Erzeugung neuen Wissens.52 In ihren Schutzbereich ein-                    Bedeutsam ist dies vor allem im Hinblick auf die Risiko-
bezogen ist alles Handeln, das sich daran orientiert, neu-                einschätzung, die die Bindung an die Berufsrolle und die
es Wissen zu erzeugen. Zur Forschung sind daher alle                      damit verbundenen Qualifikationsprozesse berücksich-
Tätigkeiten zu rechnen, die diesem Ziel dienen, also alle                 tigen muss. Darüber hinaus ist die wissenschaftliche
Handlungen der Vorbereitung, Durchführung und                             Kommunikation nicht auf ein Dafürhalten im Sinne von
Fixierung der Ergebnisse, also etwa Ermittlung des Stan-                  Meinungen bezogen, sondern auf die Mitteilung von
des der Forschung, Materialsammlung (und ggf. -her-                       neuem Wissen, Theorien, Methoden und Ergebnissen
stellung), Hypothesenbildung, experimentelle Überprü-                     von Wissensgenerierungsprozessen. Es werden also in
fung, Interpretation der Ergebnisse etc. Dies schließt                    dieser Kommunikation Geltungsansprüche erhoben, die
entgegen früher gelegentlich vertretener Ansichten das                    auch im Regelfall mit Tatsachen einhergehen, die als sol-
Experiment in allen seinen Facetten mit ein.53 In den                     che mitgeteilt und in bestimmte Zusammenhänge einge-
Lebenswissenschaften ist dieses oft genug ein Experi-                     bettet werden. Insofern werden Tatsachen nicht als Vor-
mentalsystem zur Erzeugung von Wissen, das gleichzei-                     aussetzungen von Meinungen betrachtet, sondern sind
tig die Manipulation von vorhandenen Agenzien bein-                       als Aussagen über Tatsachen nachgerade ein Kern der
haltet. Experimentalsysteme in diesem Sinne beinhalten                    wissenschaftlichen Kommunikation. Zudem ist der
nicht nur Instrumente und Aufzeichnungsapparaturen                        Bezugspunkt der wissenschaftlichen Öffentlichkeit im
sondern und in den Biowissenschaften vor allem Modell-                    Ausgangspunkt ein anderer.59 Dieser kann sich zwar mit
organismen,54 also auch Agenzien, die manipuliert wer-                    der allgemeinen Öffentlichkeit überlappen, aber tut dies
den können, um damit einen neuen Organismus herzu-                        im Regelfall zunächst nicht, und selten ohne weitere
stellen, dessen Eigenschaften dann Gegenstand weiterer                    Transformationsschritte von Format und Text. Insoweit
Forschung sind. Auch diese Experimente sind daher Teil                    kommunizieren Wissenschaftler in der Regel zunächst
der Forschungsfreiheit.                                                   mit Wissenschaftlern und verhandeln auf diesen Foren
                                                                          der wissenschaftlichen Öffentlichkeit mögliche Gel-
b) Wissenschaftsfreiheit als Kommunikationsfreiheit                       tungsansprüche (übrigens nicht selten mündlich auf
Wissenschaftsfreiheit ist darüber hinaus Kommunikati-                     Konferenzen, im Rahmen von Vorträgen oder informel-
onsfreiheit.55 Diese wird als Unterfall und Spezialfall der               ler Kommunikation).60 Insoweit ist zunächst einmal der
Meinungsfreiheit angesehen.56 Historisch ist dies zwei-                   Rezipientenkreis begrenzt.
fellos zutreffend; sie ist insofern sogar primär Kommuni-                     Die wissenschaftliche Kommunikationsfreiheit ist in
kationsfreiheit. Allerdings ist die Kommunikationsfrei-                   erster Linie ein Recht des einzelnen Wissenschaftlers
heit durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeich-                     (oder der Gruppe) zur Veröffentlichung, gleich in wel-
net, die einfache Übertragungen der Dogmatik der                          cher medialen Form dies geschieht. Sie macht Wissen öf-
Meinungsäußerungsfreiheit erschweren.57 Dies beginnt                      fentlich und begründet damit Wissenschaft als fortlau-
schon mit dem Grundrechtsträger, der im Falle der Mei-                    fenden Kommunikationszusammenhang. Zugleich kön-
nungsfreiheit jedermann ist und sein kann, wohingegen                     nen die Selbststeuerungsmechanismen, wie etwa die Re-

52 Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und            56 Vgl. dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 13. Aufl.,
   staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 121 ff.; Mager, Freiheit      2014, Art. 5 Rn. 120; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar,
   von Forschung und Lehre, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR,              Bd. I, 3. Aufl., 2013, Art. 5 III Rn. 64.
   Bd. VII, 3. Aufl., 2009, § 166 Rn. 9 f.                                57 Mit Nuancen im Einzelnen auch Mager, Freiheit (Fn. 52),
53 Vgl. dazu oben II. 1. b).                                                 Rn. 11; Löwer,Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre,
54 Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, 2006,            in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR, Bd. IV, 2011, § 99 Rn. 13.
   S. 29.                                                                 58 Vgl. dazu oben Fn. 11.
55 Das BVerfG spricht insoweit von der Weitergabe der Forschungs-         59 Zu Erosionen dieses Befundes vgl. Weingart, Die Stunde der
   ergebnisse, ohne dies allerdings weiter auszudifferenzieren;              Wahrheit?, 2001, S. 232 ff.
   vgl. dazu BVerfG, 24.11.2010, 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 (40),         60 So waren in den oben erwähnten Fällen der GOF-Experimente
   st. Rspr. seit BVerfG, 29.5.1973, 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72,             die Ergebnisse natürlich schon zuvor auf Konferenzen erörtert
   BVerfGE 35, 79 (112).                                                     worden und damit zumindest zum Teil öffentlich geworden.
Trute · Wissenschaftsfreiheit in Zeiten eines entgrenzten Sicherheitsdiskurses                                                       107

putationszuweisung an die Veröffentlichung anseilen.                          sungsrechtliche Positionen ausgesetzt.63 Sie reichen von
Dies wird noch deutlicher, wenn man in Rechnung stellt,                       den Versuchen der Einschreibung ethischer Grenzen in
dass das Medium der Öffentlichkeit der Validierung des                        den Schutzbereich,64 über die Herausnahme des Experi-
Wissens dient und insoweit unverzichtbarer Teil des                           ments aus der Gewährleistung,65 über andere Formen
Qualitätssicherungsmechanismus der Wissenschaft ist.                          enger Konstruktionen der Forschungsfreiheit,66 wie auch
Nicht validiertes Wissen begründet neue Risiken für                           die Konzeption einer Art Nichtstörungsschranke bis hin
eben die Rechtsgüter, die durch Publikationsrestriktio-                       zu dem Versuch, unter Rückgriff auf die Schutzpflichten
nen geschützt werden sollen.61                                                der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
    Von daher besteht auch zwischen der Forschung als                         zu einer Einschränkung zu kommen.67 Sie lassen sich
Handlungspraxis und der Kommunikation ein unverzicht-                         auch als Versuche lesen, die Wirkmächtigkeit der Wis-
barer Zusammenhang. Unveröffentlichte Forschung ist von                       senschaft, insbesondere ihre sowohl physische wie kog-
daher aus vielen Gründen problematisch, nicht zuletzt,                        nitive Risikodimension gleichsam mit der Gesellschaft
weil sie einem öffentlichen Qualitätstest durch andere                        abzustimmen.
nicht ausgesetzt worden ist. Damit aber nicht genug. Na-                          Indes bedarf es dieser Anstrengungen zur Verkür-
türlich ist die Veröffentlichung von Forschungsergebnis-                      zung des Schutzbereichs nicht. Vielmehr kann die Wis-
sen ebenso für die Fortsetzung der Forschung wie auch                         senschaftsfreiheitsgarantie auch als vorbehaltlos ge-
für all diejenigen Aspekte unabdingbar, um derentwillen                       währleistetes Grundrecht Einschränkungen unterliegen,
Forschung als frei garantiert und öffentlich alimentiert                      die durch kollidierendes Verfassungsrecht begründet
wird, von der Aufklärung, über die Innovation bis hin                         werden können.68 Diese können in gesetzlichen Rege-
zur Revision von Weltbildern. Schon daran zeigt sich,                         lungen, in Entscheidungen aufgrund gesetzlicher Rege-
dass die Kommunikationsfreiheit für sich gesehen auf                          lungen, Selbstregulierungen von Forschungseinrichtun-
eine Vielzahl von Aspekten verweist und gleichsam in                          gen und Verpflichtungen oder Appellen zu Reflexionen
sich multiple Aspekte aufnimmt, nicht nur die individu-                       mit bestimmten Inhalten liegen. Als Einschränkungen
ellen Aspekte, die die Forschungskommunikation legiti-                        legitimierendes Gegenrecht fungiert hier regelmäßig die
mieren, sondern auch die Funktionsweise des Wissen-                           staatliche Schutzpflicht, insbesondere die Schutzpflicht
schaftssystems selbst.62                                                      für die Rechtsgüter von Leben und körperlicher Unver-
                                                                              sehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), aber auch zum Schutz der
2. Mögliche Einschränkungen des vorbehaltlos                                  natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) und weite-
gewährleisteten Grundrechts                                                   rer Vorschriften.69 Dabei ist eine praktische Konkordanz
Die Wissenschaftsfreiheitsgarantie sieht sich – nicht                         anzustreben, die zugleich der Tatsache Rechnung trägt,
zuletzt wegen ihrer vorbehaltlosen Gewährleistung –                           dass auch die kollidierenden Verfassungsgüter Teil der
vielfältigen Versuchen einer Einhegung jenseits der                           als Einheit gedachten Rechtsordnung sind.
bekannten dogmatischen Linien der Einschränkung                                   Dabei fordert das Verfassungsrecht im Hinblick auf
vorbehaltloser Grundrechte durch kollidierende verfas-                        die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Einschrän-

61 Zutreffend DFG/Leopoldina, Wissenschaftsfreiheit (Fn. 42), S. 13 f.             2003, S. 165 ff.; allgemein zur Durchsetzung der experimentellen
62 Zur Struktur des Interessenkonflikts auch Thurnherr, Biosecurity                Wissenschaft vgl. Stichweh, Die Autopoiesis der Wissenschaft, in:
   (Fn. 50), S. 94 ff.; vgl. auch Trute, Die Forschung (Fn. 52), S. 163 ff.        ders., Wissenschaft, Universität, Profession, 1994, S. 52, 59 f.
63 Dazu im vorliegenden Kontext Würtenberger/Tanneberger,                     66   Krit. Fehling, in: Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), BK-GG, 110.
   Biosicherheit und Forschungsfreiheit. Ordnung der Wissenschaft,                 EGL, Stand: März 2004, Art. 5 III Rn. 146 ff.; differenzierend
   2014, S. 3 ff.; zur Situation in der Schweiz vgl. Thurnherr, Biose-             anhand eines Evidenzkriteriums Löwer, Freiheit (Fn. 57), Rn. 15
   curity (Fn. 50), S. 27.                                                         mwN.
64 Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S.              67   Dazu sogleich III. 3.
   400 ff; krit. bereits Trute, Die Forschung (Fn. 52), S. 158 ff.; Löwer,    68   BVerfG, 24.11.2010, 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 (41); BVerfG,
   Freiheit (Fn. 57), Rn. 15 f.                                                    28.10.2008, 1 BvR 462/06, BVerfGE 122, 89 (107); BVerfG
65 Diese Auffassung kann sich auf eine längere Tradition stützen,                  8.4.1981, 1 BvR 608/79, BVerfGE 57, 70 (99); BVerfG, 1.3.1978, 1
   vgl. nur Smend, VVDStRL (4), 1928, S. 44 ff., 66; Köttgen, Deut-                BvR 333/75, BVerfGE 47, 327 (369); ausführlich Löwer, Freiheit (Fn.
   sches Universitätsrecht, 1933, S. 114; ders., Die Freiheit der Wis-             57), Rn. 27 ff.; Mager, Freiheit (Fn. 52), Rn. 31 ff.; für den Bereich der
   senschaft und die Selbstverwaltung der Universität, in: Neumann/                Biosicherheit vgl. Teetzmann, Rechtsfragen der Sicherheit in der
   Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, 1954, S. 291, 296 ff.;             biologischen Forschung – Gutachten für den Deutschen Ethikrat,
   Wahl, Freiheit der Wissenschaft als Rechtsproblem, in: Freiburger               2014, S. 77 ff.
   Universitätsblätter (95), 1987, S. 19 ff.; Böckenförde, Schutzbereich,     69   BVerfG, 24.11.2010, 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 (41, 85).
   Eingriff, verfassungsimmanente Schranken, Der Staat, (42)
108                     O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 9 9 – 1 1 6

kung nur, dass durch die entsprechende Regelung der                            analyse in eine Risiko-Nutzen-Analyse zu verwandeln.75
Erfolg gefördert werden kann, nicht aber eine optimale                         Die Argumentation läuft darauf hinaus, dass die Risiken
Lösung.70 Im Ergebnis muss der Ausgleich auf einer ver-                        der Forschung nur gerechtfertigt sind, wenn sie nicht
tretbaren gesetzgeberischen Lösung beruhen.71                                  unangemessen hoch für wichtige Rechtsgüter sind und
    Insoweit kommt es auf die Lösung eines mehrstelli-                         durch den möglichen Nutzen für die Gesellschaft
gen Grundrechtsproblems an. Denn dabei spielen nicht                           gerechtfertigt werden können. Während ersteres gleich-
nur die Intensität des Eingriffs, die dadurch bewirkten                        sam klassische Risikoanalyse ist, wird mit dem zweiten
Schutzniveaus, vor allem aber die Schwellen der Gewiss-                        Kriterium der Maßstab der Abwägung verschoben. Wis-
heit/Ungewissheit des Eintritts des schadensbegründenden                       senschaft wird damit einer Nützlichkeitsrechtfertigung
Ereignisses, des Schutzniveaus ebenso das Ausmaß der ein-                      unterzogen.76 Dies freilich führt in der Sache zu einer
tretenden Schäden eine Rolle, sondern auch die Ziele der                       inkrementalen Veränderung der Gewährleistung. Sie
Forschung, insbesondere wenn sie darauf gerichtet sind,                        fragt als individuelle Garantie ebenso wie als objektive
Schutzmaßnahmen (die auch gegenüber missbräuchlicher                           Norm nicht danach, ob und inwieweit die Wissenschaft
Verwendung zum Tragen kommen können) zu entwickeln                             einen Nutzen hat (den sie schon durch die Gewinnung
ebenso wie die Notwendigkeit der Überprüfung der Ergeb-                        neuen Wissens erzielt). Insoweit ist auch scheinbar nutz-
nisse in einem offenen Diskurs.                                                lose Forschung geschützt und keineswegs eine mindere
    Im Hinblick auf die Eingriffsschwelle ist nicht schon                      Form von Wissenschaft. Dies hat seinen guten Grund
die Denkbarkeit eines Kausalverlaufs ausreichend, son-                         nicht zuletzt darin, dass es für die Nützlichkeit (Nutzlo-
dern die durch tatsächliche Anhaltspunkte hinreichend                          sigkeit) in der Sache kaum einen überzeugenden Maß-
gestützte Risikovorsorge.72 Dabei kommt es entschei-                           stab gibt, der auch langfristig gerechtfertigt werden
dend auf die Tatsachengrundlage an. Denn auch die vor-                         könnte.
genannten Aspekte dürfen nicht jenseits hinreichend be-                            Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist daher, folgt
stimmter Tatsachengrundlagen zum Einsatz kommen.73                             man dem Bundesverfassungsgericht,77 stets der diesem
Auch hinsichtlich der Ermächtigung zu Risikoanalysen                           Freiheitsrecht zugrunde liegende Gedanke zu berück-
muss eine etwaige Einschränkung auf hinreichenden                              sichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nütz-
Anknüpfungstatsachen beruhen. Alles andere wäre eine                           lichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitserwägungen
Risikovorsorge ins Blaue hinein, die die Wissenschafts-                        freie Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Er-
freiheit zu Gunsten anderer Rechtsgüter unverhältnis-                          gebnis am besten dient. Auch wenn das dahinter stehen-
mäßig minimiert.                                                               de Leitbild von Wissenschaft aus der Sicht der Wissen-
                                                                               schaftsforschung zu mancher Kritik einladen mag, so ist
3. Die Risikoabwägung: Nur eine Risiko-Nutzen-                                 das Widerlager einer freien Forschung gegenüber allfäl-
Analyse?                                                                       ligen Tendenzen ihrer Finalisierung unverzichtbar. Die-
Im amerikanischen Kontext besonders ausgeprägt,74                              ses aber lässt es nicht zu – übrigens auch nicht als ethi-
aber auch in Deutschland, findet sich nicht nur in der                         sche Verpflichtung78 – die Forschung einer umfassenden
medialen Öffentlichkeit sondern auch in den Kodizes                            Risiko-Nutzen-Abwägung zu unterwerfen. Das mag
von Forschungseinrichtungen die Tendenz, die Risiko-                           zwar nach Forschungstypen zu differenzieren sein,79 für

70 BVerfG, 2.3.2010, 1 BvR 256, 263, 586/08, BVerfGE 125, 260                       (22.1.2015); Casadevall/Imperiale, Risks and benefits (Fn. 2); zur
   (317 f.); BVerfG, 4.4.2006, 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320 (345);                Rechtfertigung des Ansatzes vgl. die Stellungnahme von Mitglie-
   BVerfG, 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, 1084/99, BVerfGE 109, 279                       dern des NSABB Berns et al., Adaptions of Avian Flu Virus are a
   (336).                                                                           Cause for Concern, Science (335), 2012, S. 660-661.
71 BVerfG, 24.11.2010, 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 (85 ff.).                    75   Deutscher Ethikrat, Biosicherheit (Fn. 6), S. 193.
72 Ausführlich in Auseinandersetzung mit BVerfG, 24.11.2010,                   76   Ein nicht unerheblicher Teil der Debatte in den USA nutzt die
   1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1(41 f., 85 ff.), Würtenberger/Tanneber-                Kosten-Nutzen-Analyse, wenn auch in diesen Fällen eine für das
   ger, Biosicherheit (Fn. 63), S. 1, 6 ff.                                         Wissenschaftssystem nicht untypische kognitive Ungewissheit
73 In der Sache ähnlich Würtenberger/Tanneberger, Biosicherheit                     besteht, so dass die jeweiligen Seiten der Medaille jeweils eine
   (Fn. 63), S. 7 f.                                                                gewisse Betonung erfahren; aus der Vielzahl von Beiträgen vgl.
74 Vgl. Lipsitch: „This is a risky activity, even in the safest labs. Scien-        nur Casadevall/Imperiale, Risks and benefits (Fn. 2); Mahmoud,
   tists should not take such risks without strong evidence that the                Gain-of-Function-Experiments: Unproven Technique, Science
   work could save lives, which this paper does not provide“, zitiert               (342/6156), 2012 S. 310-311.
   nach Sample (Fn. 1); Lipsitch/Plotkin/Bloom, Evolution, Safety,             77   BVerfG, 1.3.1978, 1 BvR 333/75, BVerfGE 47, 327 (370); std. Rspr.
   and Highly Pathogenic Influenza Viruses, Science (336), 2012,                    BVerfG, 24.11.2010, 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1, (87).
   S. 152-153; United States Government Policy for Oversight of Life           78   Vgl. dazu unten VI.
   Sciences Dual Research of Concern, http://osp.od.nih.gov/sites/             79   Vgl. insoweit auch den Ansatz von Miller/Selgelid/van der Brug-
   default/files/resources/United_States_Government_                                gen, Report (Fn. 5), S. 40 ff.
   Policy_for_Oversight_of_DURC_FINAL_version_032812_1.pdf
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