125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund

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125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
3/2008
                                                                                                       € 4,00

                                        Stadtgeschichte in Bildern und Berichten

                                            125 Jahre
                    Museum für Kunst und Kulturgeschichte

Stadt Dortmund
   Kulturbetriebe

                      Zeitschrift des Historischen Vereins für Dortmund und die Grafschaft Mark e.V.
                                       in Verbindung mit dem Stadtarchiv Dortmund
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
Editorial                                                      

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Täuscht Euch nicht, Mitbürger, das Museum ist keine oberflächliche Ansammlung von Luxusgegenständen oder
Frivolitäten, die nur der Befriedigung der Neugier dienen soll. Es muss eine Ehrfurcht gebietende Schule werden.
Dies stellte schon vor mehr als 200 Jahren der Revolutionär, Künstler und Museumsgründer Jacques Louis
David in Paris fest. An anderer Stelle wurde die Überlegung zur Schaffung einer solchen Sammelstelle durch
die Entdeckung eines mittelalterlichen Schatzfundes angestoßen. Das so entstandene älteste kulturge-
schichtliche Museum des Ruhrgebietes steht in Dortmund und feiert ein Jubiläum, konkret gesagt, das
Museum für Kunst und Kulturgeschichte begeht seinen 125sten Geburtstag. Zur Erinnerung: Am 25. Juni
1883 beschloss der Magistrat der Stadt Dortmund die Einrichtung eines städtischen Museums. Dazu kommen
noch zwei weitere Geburtstagsfeiern im engen Zusammenhang: 25 Jahre Standort Hansastraße im histo-
rischen Gebäude der ehemaligen Sparkasse – die Eröffnung fand im November 1983 – statt und 100 Jahre
Dortmunder Museumsgesellschaft zur Pflege der bildenden Kunst e.V. als Förderverein des Museums.
   Dieses Themenheft behandelt die wechselvolle und vielseitige Geschichte dieses Kulturinstituts, das
durch eine Initiative von geschichtsbewussten Bürgern geschaffen wurde, mit der Absicht, Objekte der
Stadtgeschichte zu sammeln und zu bewahren um sie der Bürgerschaft zu erhalten. Es entstand bald ein
Museum mit vielen Facetten und Schwerpunkten, die sich zu eigenen Sammlungsabteilungen entwickel-
ten. Unter dem persönlichen Einsatz des rührigen ersten hauptamtlichen Direktors Albert Baum formten
sich diese Abteilungen und erhielten ein eigenes Profil. Durch seine Aktionen, die aus heutiger Sicht unge-
wöhnlich anmuten, akquirierte er die Sammlungsobjekte. Auch waren die Wege der Finanzierung unüb-
lich. Oft stand er mit seinem persönlichen Vermögen ein, gewann anschließend mühevoll Paten und Mä-
zene für die einzelnen Ausstellungsgegenstände. Mit eigenen Ausgrabungen im gesamten westfälischen
Umland legte er den Grundstock für eine außerordentliche archäologische Sammlung. Seine Nachfolger
setzten eigene Schwerpunkte und folgten anderen fachlichen Interessen, bauten aber alle auf dem ur-
sprünglichen Fundament und entwickelten das darauf stehende Gebäude, das unter einem Dach gleichsam
fünf Museen vereint.
   In 13 Berichten und Aufsätzen wird die Entwicklung dieser verschiedenen Sammlungsbereiche doku-
mentiert von der Archäologie, der Stadtgeschichte, des Kunstgewerbes über die Kunst und Kulturgeschich-
te bis hin zum modernen Design und der Vermessungsgeschichte. Es werden die vielen Standortwechsel
erläutert, die das Museum durchmachte und Persönlichkeiten vorgestellt, die das Haus und seine Tochter-
institutionen geleitet haben. Aber auch der aktuelle Stand des MKK mit seinen letzten Umgestaltungen
und Baumaßnahmen wird nachvollziehbar. Begleiten Sie die Autoren auf ihrer Zeitreise, und entdecken Sie
auch vor Ort die vielen Facetten des Museums:
   Geburtstag gefeiert wird am 17. August mit einem bunten Jubiläumsprogramm zum Tag der offenen Tür,
zu dem alle Bürger herzlich eingeladen sind.
   Ich danke dem Direktor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte Wolfgang E. Weick und seinen
festangestellten und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die interessanten Beiträge, mit denen
der Hintergrund des MKK für Sie meine Damen und Herren erfahrbar gemacht wird. Dieses große Spek-
trum von Forschungsgeschichte, Reportagen, Anekdoten und Geschichtsdaten zusammenzutragen, zu re-
digieren und in diese Form zu bringen, oblag dem Redaktionsteam Dr. Brigitte Buberl und Dr. Ulrike Gärt-
ner, denen für das Ergebnis herzlich zu danken ist.

Dr. Theo Horstmann
Vorsitzender des Historischen Vereins
für Dortmund und die Grafschaft Mark
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
                                                                 Inhalt                                                                                                    Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                              

„Die Muse ist in Dortmund
auf dem Hund?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eine selbstbewusste Stadt um 1900
                                                                       3
                                                                           Paradigmenwechsel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
                                                                           Zur Neukonzeption des Museums für
                                                                           Kunst und Kulturgeschichte der achtziger Jahre
                                                                                                                                                          Die Muse ist in Dortmund
von Ottfried Dascher                                                       von Jörn Christiansen
                                                                                                                                                          auf dem Hund?
Archäologie im Museum für Kunst
und Kulturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
                                                                           Messen, Rechnen, Zeichnen  . . . . . . . . . . . . . . . 46
                                                                           Geschichte der Vermessungskunst                                                Eine selbstbewusste Stadt um 1900
Geschichte, Fakten und Personen                                            von Manfred Gombel und Ingo von Stillfried
von Karl Heinrich Deutmann                                                                                                                                von Ottfried Dascher
                                                                           Lernen als lustvolles Erlebnis  . . . . . . . . . . . . . 49
Seine große Liebe – Albert Baum und                                        Leicht, nicht seicht: das Museum als Erlebnisort                       Ein Bürger der Reichs- und Hansestadt     deren Gesellschaft zurechtfinden kön-        kanerkloster wären ihm vertraut gewe-
das Städtische Museum in Dortmund . . . . . . . 15                         aus Sicht des Museumspädagogen                                         Dortmund aus dem Jahre 1500 im Über-      nen. Der mittelalterliche Befestigungs-      sen. Er hätte sich mit Sicherheit gewun-
von Brigitte Buberl                                                        von Rüdiger Wulf                                                       gang vom Mittelalter zur Neuzeit hätte    ring, das Straßennetz, das Rathaus, die      dert über die auf weniger als die Hälfte
                                                                                                                                                  noch 300 Jahre später, das heißt in der   Kirchen St. Reinoldi und St. Marien,         geschrumpfte Bevölkerung, und er hät-
                                                                                                                                                  Umbruchphase um 1800, seine Vater-        St. Nicolai und St. Petri, die Gebäude von   te schon gar nicht verstanden, wie man
Baumeister, Blocherer, Böckstiegel  . . . . . . . . . 22                   Lernort Museum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54   stadt wiedererkannt und sich auch in      Katharinen-, Franziskaner- und Domini-       die Befestigungsanlagen so verfallen
Liste der 1937 in Dortmund                                                 von Ingo Fiedler                                                                                                                                              lassen konnte. Dunkel erinnerte er sich
beschlagnahmten Kunstwerke                                                                                                                                                                                                               an eine in seiner Jugend geläufige Re-
von Ulrike Gärtner                                                                                                                                                                                                                       densart so fast as Düopm. Hätte er dann
                                                                           Museum für Kunst und Kulturgeschichte                                                                                                                         wenige Jahre später, 1803, an der Straße
                                                                           1988-2008. Ein Tätigkeitsbericht  . . . . . . . . . . . 56                                                                                                    gestanden und die Glocken läuten hören,
Dr. Leonie Reygers                                                         von Wolfgang E. Weick                                                                                                                                         die das Ende der Dortmunder Reichsfrei-
und die Notjahre des Museums  . . . . . . . . . . . . 25                                                                                                                                                                                 heit bedeuteten, dann wäre es ihm viel-
von Gisela Framke                                                                                                                                                                                                                        leicht wie anderen verständigen Bürgern
                                                                           Kunst und Kultur gehören zur                                                                                                                                  ergangen, von denen der Chronist Beur-
                                                                           Bildung des Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70                                                                                              haus zu berichten wusste, sie hätten
Sommer auf Cappenberg  . . . . . . . . . . . . . . . . . 30                100 Jahre Museumsgesellschaft zur Pflege                                                                                                                      über das Ende dieser Freiheit und des
Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte                                  der bildenden Kunst e.V.                                                                                                                                      Dortmunder Glücks geweint.
der Stadt Dortmund in Schloss Cappenberg                                   von Nadine Albach                                                                                                                                                Wäre dieser Mann nur 100 Jahre spä-
von Wingolf Lehnemann                                                                                                                                                                                                                    ter nach Dortmund gekommen, hätte er
                                                                                                                                                                                                                                         an einer jener lärmenden Silvesterfeiern
                                                                                                                                                                                                                                         teilgenommen, die ein glückliches 20.
Umbau der Stadtsparkasse                                                    Autorinnen und Autoren des Heftes                                                                                                                            Jahrhundert und für Dortmund goldene
an der Hansastraße zum                                                                                                                                                                                                                   Jahre einzuläuten schienen, wäre er
Museum für Kunst und Kulturgeschichte  . . . 35                             Nadine Albach, Redakteurin der Westfälischen Rundschau                                                                                                       wahrscheinlich in den Zustand einer
                                                                            Dr. Brigitte Buberl, Kunsthistorikerin, Museum für Kunst
von Gabriele Podschadli                                                                                                                                                                                                                  geistigen Verwirrung verfallen. Die in-
                                                                            und Kulturgeschichte, Dortmund
                                                                            Prof. Dr. Jörn Christiansen, Ltd. Museumsdirektor a.D.                                                                                                       dustrielle Revolution hatte Dortmund
                                                                            des Focke-Museums, Bremer Landesmuseum für Kunst und                                                                                                         und die Lebensweise der Menschen irre-
                                                                                                                                                                                                                                         versibel verändert.
 Impressum                                                                  Kulturgeschichte, Bremen
                                                                            Prof. Dr. Ottfried Dascher, Ltd. Staatsarchivdirektor a.D.
 HEIMAT DORTMUND                                                            des NRW Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, Dortmund                                                                                                              Dortmund um 1900
 Stadtgeschichte in Bildern und Berichten                                   Karl Heiner Deutmann M.A., Leiter der archäologischen
                                                                            Sammlungen des Museums für Kunst und Kulturgeschichte                                                                                                        Orientierungsprobleme hatte indes
 Herausgeber: Historischer Verein für Dortmund und die Grafschaft           und des Museums Adlerturm, Dortmund                                                                                                                          nicht nur unser wackerer Dortmunder
 Mark e. V. unter Mitwirkung des Stadtarchivs                               Dr. Gisela Framke, stellv. Museumsdirektorin des Museums
 Geschäftsstelle: Christel Glasen, Märkische Str. 14, Zim. 407,
                                                                                                                                                                                                                                         aus dem späten Mittelalter. Auch die
                                                                            für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund                                                                                                                     Zeitgenossen rieben sich die Augen, hat-
 Tel.: 0231/50-23690; Fax: 0231/50-26011
 Inhaltliche Gesamtkonzeption, Koordinierung, Text- und Bildredaktion:      Dr. Ulrike Gärtner, Kunsthistorikerin, Dortmund                                                                                                              ten Schwierigkeiten, ihre Stadt wieder-
 Dr. Brigitte Buberl, Dr. Ulrike Gärtner                                    Manfred Gombel, Förderkreis vermessungstechnisches
                                                                                                                                                                                                                                         zuerkennen. Erinnern wir uns: Die ehe-
 Redaktion: Achim Nöllenheidt, Klartext Verlag, Heßlerstraße 37,            Museum, Kurator der Instrumentensammlung, Dortmund
 45329 Essen, Tel.: 0201/86206-51; Fax: 0201/86206-22                       Dr. Ingo Fiedler, Lehrer, Stadtheimatpfleger Dortmund                                                                                                        mals stolze Reichs- und Hansestadt
 Anzeigen und Vertrieb: Guido Kania, Klartext Verlag,                       Dr. Wingolf Lehnemann, Museumsleiter des Museums                                                                                                             zahlte spätestens seit 1600 für die Be-
 Heßlerstraße 37, 45329 Essen, Tel.: 0201/86206-30; Fax: 0201/86206-22      der Stadt Lünen                                                                                                                                              wahrung ihrer politischen Selbständig-
 Gesamtherstellung: Klartext Verlag, Essen                                                                                                                                                                                               keit als einzige Reichsstadt in Westfalen
 Die Zeitschrift erscheint dreimal jährlich. Das Einzelheft kostet          Dipl.-Ing. Gabriele Podschadli, wissenschaftliche Referentin
 € 4,00; das Jahresabonnement € 12,00 inkl. Versandkosten.                  beim LWL- Amt für Denkmalpflege in Westfalen, Münster                                                                                                        und als eine von nur drei Reichsstädten
 ISSN 0932-9757                                                             Ingo von Stillfried, stellv. Leiter des Vermessungs- und                                                                                                     neben Köln und Aachen im deutschen
 Umschlagabbildung vorne:
                                                                            Katasteramt Dortmund, Förderkreis vermessungstechnisches                                                                                                     Nordwesten einen hohen Preis. Durch
 Das Portal des Museums für Kunst und Kulturgeschichte                      Museum, Kurator der Instrumentensammlung, Dortmund                                                                                                           Brandenburg-Preußen war sie von ihrem
 (Madeleine-Annette Albrecht, Museum für Kunst und Kulturgeschichte)        Wolfgang E. Weick, Ltd. Städt. Museumsdirektor                                                                                                               traditionellen Einzugsgebiet, dem Mär-
 Umschlagabbildungen hinten:                                                des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund
 Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte bei Festbeleuchtung              Rüdiger Wulf, Leiter der Abt. Museumspädagogik des
 (Karin Hessmann, Dortmund)                                                                                                                                                                                                              Altes Rathaus in Dortmund, 1899
                                                                            Museums für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund
                                                                                                                                                                                                                                         (Museum für Kunst und Kulturgeschichte)
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
                             Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                                                                   Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                           

kischen Sauerland und seinem Metallge-          chen Richter, der große Journalist des       vornehmlich aus städtischen Mitteln
werbe, abgeschnürt worden, und der              Generalanzeigers, der uns bei unserem        finanziert worden. Unseren alten Dort-
Dreißigjährige Krieg hatte den wirt-            Gang durch das Dortmund der Jahrhun-         munder hätte diese Hinwendung zur
schaftlichen Schrumpfungsprozess noch           dertwende als Zeitzeuge begleiten wird       Reichs- und Hansetradition erfreut, die
beschleunigt. Auf dem letzten Hansetag          und dessen oft schmerzliche, aber im-        Inszenierung des Kaiserbesuches hätte
von 1669 war die Stadt nicht mehr ver-          mer liebevolle Kritik ich wiederholt zi-     ihn wohl eher amüsiert. In Dortmund
treten.                                         tieren werde, meinte dazu: Man konnte        wie in allen anderen Großstädten des
  Umso erstaunlicher musste sich daher          es 1890 noch gut merken, dass eine viel-     Deutschen Reiches äußert sich dabei ein
der Wiederaufstieg seit dem späten 18.          hundertjährige Zeit der Armut die einst so   zunehmend selbstbewusst gewordenes
Jahrhundert ausnehmen, der die Bevöl-           stolze Hansestadt niedergedrückt hatte zu    Bürgertum, das sich, begünstigt durch
kerungszahl der Stadt von rund 4.000            einer kleinen Landstadt. Kaum irgendwo       das Dreiklassen-Wahlrecht, auch poli-
Einwohnern um 1800 auf 50.000 im Jah-           sah man noch ein altes Patrizierhaus, wie    tisch zu artikulieren weiß.
re 1873 katapultierte. 1895 überschritt         man sie in Köln und Frankfurt doch so viel      Oberflächlich betrachtet scheint bei
Dortmund die Schwelle zur Großstadt             fand; fast nichts als prunklose alte und     den Themen, die die Dortmunder Öf-
mit 105.200 Einwohnern. Möglich war             gräulich verputzte neue Häuser! Die Ent-     fentlichkeit um 1900 bewegen, eine
diese Entwicklung durch die Industriali-        wicklung seit der Jahrhundertmitte hat-      zeitlose Aktualität zu bestehen. Be-
sierung geworden, die Dortmund bis in           te Defizite deutlich gemacht, und spä-       schrieben wird in den phantastischen
das ausgehende 19. Jahrhundert hinein           testens um die Jahrhundertwende war          Geschichten von Karlchen Richter ein
einen Gründungsvorsprung vor allen              man sich in der Öffentlichkeit einig dar-    neuer See, in dem Dortmund unterge-
anderen Städten des Reviers verschaffen         über, dass Großstädte wie Dortmund           gangen ist, aber von dem Hörde profi-
sollte. Grundlagen dieser Entwicklung           einen kulturellen Nachholbedarf hatten.      tiert! Gefürchtet sind die Bauüberschrei-
waren dabei der frühe Eisenbahnbau,             Vor diesem Hintergrund muss man auch         tungen des Stadtrates Kullrich: Er huldi-
die Eisensteinvorkommen auf dem Ar-             die Aneignung, ja die Entdeckung des         gte nämlich dem ganz vernünftigen
dey und natürlich die Kohle.                    Mittelalters sehen, die 1899 mit der Res-    Grundsatz, man müsse zuerst wenig for-
  Dem aufmerksamen Zeitgenossen in-             taurierung des Rathauses und der Eröff-      dern, damit man überhaupt ans Bauen
des blieb der Widerspruch zwischen der          nung des Hafens erfolgt. Über die Hälfte     komme. Das andere werde sich dann schon
raschen Industrialisierung und dem lan-         der Restaurierungskosten sind durch          finden! Als das Tor zum Einkaufsparadies
gen Niedergang nicht verborgen. Karl-           Spenden aufgebracht, und der Hafen ist       Dortmund lockt der neue Bahnhof von

Blick ins Alte Rathaus, um 1900 (Museum für Kunst und Kulturgeschichte)

                                                                                                                                         Elektrische Straßenbahn in der Brückstraße, 1899 (Museum für Kunst und Kulturgeschichte)

                                                                                                                                         1910, dem lange Jahre unsäglicher Dis-          dung des Philharmonischen Vereins von        warum man liebevoll vom sündigen
                                                                                                                                         kussionen um Umbaupläne vorausge-               1909 und der Einweihung des städ-            Dortmund sprechen konnte. Viele Sport-
                                                                                                                                         gangen sind. Ursprünglich geplant wa-           tischen Kunst- und Gewerbemuseums            und Erholungsanlagen, die Dortmund
                                                                                                                                         ren mit einer Steigerung von 1 zu 20 im         im vormaligen Gebäude des Oberberg-          später so berühmt machen sollten, ge-
                                                                                                                                         Norden und Süden Rampen, um im                  amtes im Jahre 1911. Innerhalb eines         hen in ihren Anfängen auf die Zeit um
                                                                                                                                         Bahnhofsbereich die Schienen mit einer          Jahrzehnts hatte Dortmund kulturell          1900 zurück. Eine Unzahl von Sportver-
                                                                                                                                         Brücke zu überqueren. Ein anderer Plan          aufgeholt. Nur beiläufig sei darauf ver-     einen, darunter der Ballspielverein Bo-
                                                                                                                                         sah die Einfahrt der Züge unter der Stra-       wiesen, dass sich im Dortmund der Jahr-      russia von 1909, werden in jenen Jahren
                                                                                                                                         ßenbahn vor. Ein dritter Plan verlegte          hundertwende auch ein vitales Leben          gegründet. Die Vitalität der Stadt wird
                                                                                                                                         den Bahnhof schließlich auf den Nord-           der leichten Muse äußerte. Erinnert sei      man erst dann recht abschätzen können,
                                                                                                                                         markt. Am besten, so Karlchen Richter,          an das Olympia-Theater, ein Varieté- und     wenn man begreift, dass über zwei Drit-
                                                                                                                                         wäre es vielleicht gewesen, den Bahnhof,        Operettentheater am Burgwall (1902),         tel der Bevölkerung unter 30 Jahren
                                                                                                                                         ähnlich wie in Düsseldorf, ganz aus der         das mit der Zahl seiner Plätze (1700) das    (67,7 %), aber nur ein Prozent der Bevöl-
                                                                                                                                         Stadt heraus zu legen, aber das litten          Stadttheater noch übertraf. Hier traten      kerung über 70 Jahre alt sind!
                                                                                                                                         wieder die alten Geschäftsleute in der inne-    die bekanntesten Unterhaltungskünst-           Welchen vorläufigen Eindruck können
                                                                                                                                         ren Stadt nicht. Aber kommen wir zur            ler und Artisten ihrer Zeit auf. Schon ein   wir aus diesem ersten Befund gewin-
                                                                                                                                         Sache.                                          Jahr zuvor war in der Rheinischen Stra-      nen? Dortmund, eine Reichs- und Han-
                                                                                                                                           Nicht zu übersehen sind die Verände-          ße die Walhalla eröffnet worden, ein         sestadt mit einer Tradition, wie sie nur
                                                                                                                                         rungen im kulturellen Leben. Sie zeigen         Haus mit drei Sälen für Konzerte und         wenige Städte des deutschen Westens
                                                                                                                                         sich in der Gründung des zunächst noch          Varietés, dessen Ruf weit über Dortmund      aufzuweisen haben, erlebt durch die In-
                                                                                                                                         privaten Dortmunder Konservatoriums             hinausreichte. Weitere Varietés, Cafés       dustrialisierung des 19. Jahrhunderts
                                                                                                                                         (1901), des neuen Stadttheaters am Hil-         mit Damenkapellen und die legendären         einen neuen wirtschaftlichen Aufstieg
                                                                                                                                         tropwall (1904), des Neubaus der spä-           Stehbierhallen lockten die auswärtigen       und stellt um 1900, in der Phase der
                                                                                                                                         teren Stadtbibliothek (1908), der Grün-         Gäste in Massen an, und man begreift,        Hochindustrialisierung, Mängel in sei-
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
                            Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                                                                   Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                                 

ner Infrastrukturausstattung und in sei-       serer und billigerer Arbeitskräfte zu erwar-   in Köln (1904) und Düsseldorf (1907) und    Stahlwerkes Hoesch reiche aus, um den        sen. Karlchen Richter beschreibt Albert      trizitätswirtschaft, der Maschinenbau
nem kulturellen Angebot fest. Karlchen         ten haben. Es würden sehr viele Stellungen,    die Errichtung der ersten privaten Stif-    gesamten Roggen- und Heringsimport           Hoesch als einen hervorragenden Stahl-       gewinnen weiter an Bedeutung. Eine
Richter lakonisch: Wer damals kein Bier        die jetzt aus Mangel an durchgebildeten        tungsuniversität in Frankfurt (1909-        des Deutschen Reiches zu decken. Und         mann und ein unglaubliches Arbeitspferd.     Verstärkung erfährt die Versorgungs-
trank, keinen Pfefferpotthast mochte und       Akademikern mit Nichtakademikern be-           1914) bestätigen diese Einschätzung.        weiter: Mit der Dortmunder Bierproduk-       Auch habe er aus Sparsamkeit im Kasino       und Verteilerfunktion Dortmunds im
das Westfalenlied nicht täglich dreimal        setzt werden müssen, mit akademisch ge-        Man muss nicht den Hinweis bemühen,         tion des Jahres 1911 könne man einen         den billigsten Kutscher getrunken. Vor       östlichen Ruhrgebiet. Bereits 1888 ist
mitsang, den litt die Stadt nicht in ihren     bildeten Leuten besetzt werden können.         die preußische Verwaltung habe in dem       Kanal von 50 Meter Breite und der Länge      Übermüdung sah man ihn zuweilen als          die Getreidebörse von Hagen nach Dort-
Mauern. Aber: Aus all diesem kräftigen         Nicht verschwiegen werden sollte an            sozialen Brennpunkt Ruhrgebiet keine        der Berliner Friedrichstraße (drei Kilome-   Stadtverordneten in öffentlicher Sitzung     mund verlegt worden, die sich bald zur
animalen Leben wuchs jedoch schon der          dieser Stelle, dass es auch ablehnende         Universität ansiedeln wollen. Man konn-     ter) mehr als einen Meter hoch füllen!       auf seinem Platze eingenickt. Schon da-      bedeutendsten Einrichtung ihrer Art im
erste Keim künstlerischen Lebens hervor.       Stimmen gibt, so von Großunterneh-             te die Standortpolitik bei Neugrün-            Es waren trügerische Vergleiche, aber     mals zeigten sich in dem Äußeren des einst   Rheinland und in Westfalen und damit
Mit der Theaterspielerei sah es zwar noch      men, die einem Ausbau der Aachener TH          dungen sehr wohl beeinflussen, und am       sie zeigen auch, und das sei positiv ver-    so jugendschönen Mannes Spuren starker       für das Konsumzentrum Ruhrgebiet ent-
sehr dürftig aus... Um so besser gedieh die    den Vorzug geben. Hier äußern sich             leichtesten war dies möglich durch die      merkt, das urwüchsige Selbstbewusst-         Erschöpfung, und einige Jahre später sank    wickeln sollte. Nach der Jahrhundert-
Musik, sie war eigentlich durch das ganze      Ligaturen zu eigenen Studienorten, zu          Bereitstellung von Stiftungsmitteln.        sein einer Stadt, die mit neuartigen Kri-    der hochbegabte, wackere Mann im besten      wende diskutiert man in der Stadt den
Jahrhundert hindurch das einzige Band ge-      Studentenverbindungen, Fördergesell-                                                       sensymptomen fertig werden musste            Mannesalter ins Grab.                        Plan einer Waren- und Effektenbörse;
wesen, das Dortmund mit höherem Interes-       schaften und persönlich verbundenen            Wirtschaftliche                             und, wie es nun einmal die Art im Ruhr-        Die in der Außendarstellung extrem         Dortmund entwickelt sich mit der Er-
se verband. Karlchen Richter hat als           Lehrstühlen. Auch wollen wir nicht ver-        Rahmenbedingungen                           gebiet war, laut und forsch reagierte.       auf die Montanindustrie verengte Sicht       richtung des Magerviehhofs von 1913
guter Journalist die Dinge gerne zuge-         schweigen, dass die benachbarten Tech-                                                     Und was weiter auffällt in diesen Jahren:    der Dortmunder Wirtschaft lässt im Üb-       zum größten deutschen Viehumschlags-
spitzt, wenn er an anderer Stelle fest-        nischen Hochschulen wie Hannover und           Bei näherem Hinsehen zeigt es sich, dass    Gerade die Montanindustrie, und dies         rigen vergessen, dass neue Wege in der       platz, der Großhandel mit Obst, Gemüse
stellt, das vorherrschende Thema abend-        Aachen mit Dortmund eine uner-                 die angeblich goldenen Jahre von Dort-      ist wiederum ein zeitloses Phänomen,         Weiterverarbeitung gesucht und gefun-        und Südfrüchten findet wenige Jahre
licher Unterhaltungen sei gewesen, was         wünschte Konkurrenz fürchten, oder,            mund gar nicht so glänzend gewesen          hat immer ihre besten Leute verschlis-       den werden. Die Bauwirtschaft, die Elek-     später seine Bleibe auf dem Großmarkt
die Grundstücke kosten und wo etwas zu         wie der Bund der Technisch-Industriel-         sind. Integration und Diversifikation,                                                                                                am Ostwall. Überregionale Bedeutung
verdienen war! Von Wissenschaft und            len-Beamten, mit einer weiteren TH ein         Kartell- und Konzernbildungen verän-                                                                                                  besitzt Dortmund im Zuckerhandel.
Kunst oder gar von übersinnlichen Dingen       Überangebot an Ingenieuren prognosti-          dern in diesen Jahren die Unterneh-                                                                                                      Die Verlegung der Oberpostdirektion
war nie die Rede. Hier müssen wir un-          zieren (1906 gibt es an den Technischen        menslandschaft und gehen zu Lasten                                                                                                    nach Dortmund (1895) entschädigt in
seren Chronisten allerdings ein wenig          Hochschulen Preußens 4.357 Studenten).         des östlichen Ruhrgebiets. 1906 wird der                                                                                              Teilen für die entgangene Eisenbahndi-
korrigieren: tatsächlich bemüht sich           In dem fein austarierten Geflecht von          Hoerder Verein mit der Aktiengesell-                                                                                                  rektion, um die man sich vergeblich be-
Dortmund längst um eine Stärkung sei-          wissenschaftlichen und materiellen In-         schaft Phoenix in Laar verschmolzen,                                                                                                  müht hatte. Die Errichtung der Hand-
nes wissenschaftlichen Standortes. 1897        teressen wird Dortmund zum Stören-             1910 die Union in der Rheinischen                                                                                                     werkskammer Dortmund (1900) schafft
sind die Königlichen Maschinenbauschu-         fried. So findet die heute noch lesens-        Straße, in den Gründerjahren der Stolz                                                                                                die längst überfällige Dachorganisation
len eingeweiht worden, wenige Jahre            werte Denkschrift aus dem Jahre 1907 in        Dortmunds, als Abteilung Dortmunder                                                                                                   für das Handwerk, das in den Jahr-
später, 1906/07, werden Stadt und Han-         Berlin schon mit Rücksicht auf die be-         Union in die Deutsch-Luxemburgische                                                                                                   zehnten der Industrialisierung einem
delskammer initiativ, um beim Preu-            nachbarten Standorte in Aachen und             Bergwerks- und Hütten-AG einbezogen.                                                                                                  noch größeren Wandel ausgesetzt ge-
ßischen Staat die Errichtung einer             Hannover und die Neugründungen in              Die 1871 gegründete Firma Hoesch, von                                                                                                 wesen ist als Handel und Industrie. Vom
Technischen Hochschule in Dortmund,            Danzig und Breslau wenig Resonanz              Hause aus mehr ein Unternehmen der                                                                                                    Handwerk geht der Anstoß zu einer der
zunächst für Bergbau, Eisenhütten-,            und wird nach zwei Jahren ablehnend            Weiterverarbeitung, sieht sich ange-                                                                                                  großen Dortmunder Krankenversiche-
Maschinen- und Elektrizitätskunde,             beschieden. Man müsse, so der Tenor,           sichts der Karteliierung und Syndizie-                                                                                                rungen aus: 1907 wird die Krankenun-
einzufordern.                                  den weiteren Ausbau abwarten, bevor            rung der Montanindustrie gezwungen,                                                                                                   terstützungskasse selbständiger Hand-
   Keine Provinz, so das Rundschreiben         man den Bedarf für eine sechste Tech-          1896 auch den Hochofenbetrieb aufzu-                                                                                                  werker im Bezirk der Handwerkskam-
der Kammer vom 20. November 1906,              nische Hochschule in Preußen prüfen            nehmen und sich Bergbaukapazitäten,                                                                                                   mer zu Dortmund gegründet, die als
keine Provinz des Preußischen Staates stellt   könne. Das Argument ist nur bedingt            wie 1899 die Gewerkschaft Vereinigte                                                                                                  Vorläufer der späteren SIGNAL-Kranken-
so viel Bergbau- Studierende als Westfalen,    stichhaltig, da zwischen 1898 und 1914         Westphalia mit der Zeche Kaiserstuhl,                                                                                                 versicherung gelten darf. Am Vorabend
und aus wenigen Provinzen ist der Besuch       10 neue Hochschulen gegründet worden           anzugliedern. Der Zug zur Rheinschiene                                                                                                des Ersten Weltkrieges haben 13 Versi-
der technischen Hochschulen ein so großer      sind. Selbstkritisch indes sollte man an-      und zur lothringischen Minette hatte                                                                                                  cherer ihre Subdirektionen oder Gene-
als aus Westfalen. Trotzdem hat diese Pro-     merken, dass sich keine Stifter vor Ort,       jedoch längst eingesetzt, und ohne den                                                                                                ralbevollmächtigten in Dortmund, dazu
vinz weder eine Bergakademie noch eine         sei es in Dortmund oder in Westfalen,          Ersten Weltkrieg wäre der Zeitpunkt ab-                                                                                               kommen mehrere Dutzend Generalagen-
technische Hochschule. Der Wissenschaft        bereit erklärt hatten, durch die Bereit-       sehbar gewesen, wo das östliche Ruhr-                                                                                                 turen. Der schon in den Anfängen der
wie der Praxis geht so der immense Vorteil     stellung eigener Mittel den Gedanken           gebiet als Standort in der Produktion                                                                                                 Industrialisierung bedeutende Banken-
verloren, der aus dem unmittelbaren Kon-       einer Universität bzw. einer Technischen       von Roheisen nicht mehr wettbewerbs-                                                                                                  platz weist in seiner Entwicklung zwar
takt und der gegenseitigen Anregung und        Hochschule voranzutreiben. Die krisen-         fähig gewesen wäre. Im Rückblick wird                                                                                                 Brüche auf, doch kommt es um die Jahr-
Befruchtung beiden Teilen erwachsen            anfällige Montanindustrie hält sich zu-        ferner deutlich, dass es gerade jene Jah-                                                                                             hundertwende zu einer Vielzahl von
könnte. (Stiftung Westfälisches Wirt-          rück. Das war in Köln und Frankfurt,           re um 1900 gewesen sind, in denen sich                                                                                                Neugründungen und Zweigniederlas-
schaftsarchiv Dortmund K1 Nr. 98)              aber auch in Mannheim, Hamburg, Ber-           das für die Ruhr so verhängnisvolle Ton-                                                                                              sungen in Dortmund. Im Ergebnis sind,
   Kaum weniger bedenkenswert sind             lin, Düsseldorf und Stuttgart doch ganz        nendenken durchsetzt, das bis in die                                                                                                  bezogen auf das Ruhrgebiet, Handel,
die Antworten. Der große Brückenbauer          anders, wo Millionenstiftungen reicher         zweite Jahrhunderthälfte hinein viele                                                                                                 Verkehr, Öffentliche Dienste und Freie
Jucho stellte für sein Unternehmen fest:       Bürger für wissenschaftliche Zwecke er-        Entscheidungen mental blockieren soll-                                                                                                Berufe in Dortmund überproportional
Ich glaube, dass eine Hochschule im hie-       folgt sind. Gerade der sparsame Preu-          te. Dortmund, in der Industrialisierungs-                                                                                             vertreten. Dortmund, in der öffentlichen
sigen Bezirk eine wesentliche Entlastung       ßische Staat reagierte sehr aufgeschlos-       phase des 19. Jahrhunderts ein starker                                                                                                Meinung die Stadt der Schwerindustrie,
der noch immer überlasteten technischen        sen auf Hochschulprojekte, wenn die            Standort in der Weiterverarbeitung,                                                                                                   befindet sich längst auf dem Wege zu
Hochschule in Berlin zur Folge haben           entsprechenden Initiativen durch Stif-         wird scheinbar auf die Fertigung der ers-                                                                                             einem Dienstleistungszentrum: Mit 21,3 %
würde... Die im hiesigen Revier gelegenen      tungserklärungen von Privatpersonen,           ten Stufe reduziert. Die Markenzeichen                                                                                                der Berufstätigen in den Bereichen Han-
Werke würden im ferneren durch Errich-         Unternehmen, Kommunen, Handels-                Kohle und Stahl zeigen ihre Kehrseite.
tung einer technischen Hochschule im hie-      kammern abgesichert waren. Die Akade-          1913 wird die Struktur u. a. wie folgt                                                                                                Städtische Sparkasse und Wilhelm-Auguste-
sigen Revier ein weit größeres Angebot bes-    miegründungen für praktische Medizin           umschrieben: Der Erlös des Eisen- und                                                                                                 Victoria-Bücherei, um 1900
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
                            Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                                                                  Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                            
                                                                                                                                          Schüchtermann-Denkmal in Dortmund,
                                                                                                                                          um 1905 (Stadtarchiv Dortmund)

                                                                                                                                          lung italienischer, spanischer und hol-
                                                                                                                                          ländischer Maler vom Trecento bis zum
                                                                                                                                          Beginn des 19. Jahrhunderts aufbaut,
                                                                                                                                          die um die Jahrhundertwende zu den
                                                                                                                                          größten privaten Gemäldegalerien
                                                                                                                                          Deutschlands zählt und in Teilen in den
                                                                                                                                          großen Oberlichtsälen der Thier-Braue-
                                                                                                                                          rei auch der Öffentlichkeit zugänglich
                                                                                                                                          gemacht wird. Ein dreibändiger Katalog
                                                                                                                                          ist 1914 unter Mitwirkung des Kaiser-
                                                                                                                                          Friedrich-Museums in Berlin erschienen.
                                                                                                                                          In Zusammenarbeit mit der Gemälde-
                                                                                                                                          galerie W. Utermann konnte an anderer
                                                                                                                                          Stelle nachgewiesen werden, dass der
                                                                                                                                          vor 1914 bedeutendste Erwerb von Ge-
                                                                                                                                          mälden der französischen Kubisten, so
                                                                                                                                          von Picasso und Braque, durch den jun-
                                                                                                                                          gen Düsseldorfer Kunsthändler Flecht-
                                                                                                                                          heim erfolgt, der dabei unfreiwillig,
                                                                                                                                          nämlich durch die Mitgift der Ehefrau,     der Steuer zahlenden Bürger seit den       Dortmund in nicht unerheblichem Maße
                                                                                                                                          von seinem Dortmunder Schwiegerva-         90er Jahren, ein seinerzeit revolutio-     das Bürgertum mit Stiftungen und Spen-
                                                                                                                                          ter, dem international engagierten Ge-     näres Verfahren, hatte dazu geführt,       den beteiligt gewesen ist. Es sind weni-
                                                                                                                                          treidehändler Goldschmidt, finanziell      dass Dortmund über Nacht 100 Millionäre    ger die Neureichen, vielmehr die einge-
                                                                                                                                          unterstützt wird.                          gebar, und da die Ergebnisse der Selbst-   sessenen bürgerlichen Familien wie die
                                                                                                                                             Folgen wir unserem Zeitzeugen Karl-     einschätzung veröffentlicht wurden,        Wenker, Bömcke, Overbeck, Cremer,
                                                                                                                                          chen Richter, dann können wir in Dort-     zahlte mancher gerne mehr Steuern, um      Brügmann, Jucho und viele kleine Bür-
                                                                                                                                          mund auf ansehnliche soziale und ge-       in den veröffentlichten Tabellen oben zu   ger, die sich mit Zuwendungen am Auf-
                                                                                                                                          meinnützige Stiftungen verweisen, so       stehen. Das mehrfach aufgelegte Hand-      bau dieser kulturellen Einrichtungen
                                                                                                                                          die Schüchtermann-Schillersche-Familien-   buch der Millionäre trug dazu bei, Pres-   beteiligt haben. Von den Kosten für
                                                                                                                                          stiftung und die Duden-Stiftung. An-       tige zu gewinnen. Wer hier erschien,       Grund und Boden und den Bau des
                                                                                                                                          sonsten aber gilt, dass die vielen Dort-   hatte es zu etwas gebracht! Privates Ka-   Stadttheaters sind knapp 40 % durch
                                                                                                                                          munder Multimillionäre, so Richter, als    pital für soziale und kulturelle Stif-     freiwillige Spenden der Bürgerschaft
Osterkirmes auf dem Viehmarkt, 1903 (Museum für Kunst und Kulturgeschichte)
                                                                                                                                          Muster exemplarischer Sparsamkeit gelten   tungen war demnach hinreichend vor-        aufgebracht worden. Dieses Theater im
                                                                                                                                          konnten, die sich, wie der Dortmunder      handen. Tatsächlich zeigt die Geschichte   Jugendstil wird am 17. September 1904
                                                                                                                                          Volksmund zu sagen pflegte; für zehn       der kulturellen Gründungen, so des         mit Wagners Tannhäuser sehr geräusch-
del und Verkehr und 5,2 % in den Öffent-       läufig darf bei dieser Gelegenheit daran      sche Einrichtungen gegeben, die sich         Pfennig eine Bohnenstange auf dem Kopf     Theaters, der Schenkungen und Ankäufe      voll, wie Karlchen Richter andeutet, ein-
lichen Diensten etc. kann es sich einmal       erinnert werden, dass die Wirtschafts-        wie in Berlin, München, Stuttgart, Kas-      anspitzen ließen. Die Selbsteinschätzung   von Bibliothek und Museum, dass in         geweiht. Eine Anekdote am Rande: Von
mehr vor der Konkurrenz der übrigen            elite des Kaiserreiches in Städten wie Ber-   sel, Weimar oder Dresden auf eine alte                                                                                             dem kostenlosen Buffet im Zwischenakt
Revierstädte behaupten (1907).                 lin und Frankfurt einen hohen jüdischen       Residenztradition berufen konnten. Das                                                                                             war noch Jahre später die Rede. Karlchen
                                               Anteil aufweist. In Berlin z. B. gehören      prägt übrigens die Kulturlandschaft in                                                                                             Richter schreibt:
Der Bürger als Mäzen                           ihr über 60 % an. Ohne die Berliner Ju-       Nordrhein-Westfalen bis auf den heu-                                                                                                  Als die Schlacht (gemeint ist die Selbstbe-
                                               den wäre an das glanzvolle Berliner Kul-      tigen Tag. Hier war es erst recht not-                                                                                             dienung) zu Ende war, vermisste der Thea-
Die beiden Jahrzehnte vor und nach             tur- und Kunstleben der Jahrhundert-          wendig, dass das Bürgertum bei der Auf-                                                                                            terrestaurateur außer seiner gesamten kal-
1900 sind im Kaiserreich die große Zeit        wende nicht zu denken; von dem                gabe mitwirkte, wissenschaftliche und                                                                                              ten Küche auch die beiden Ohren eines der
eines mäzenatisch gesonnenen Bürger-           jüdischen Mäzenatentum, seinen Schen-         kulturelle Einrichtungen zu begründen                                                                                              Büfettiers. Während die Opernabende
tums gewesen. Der Großindustrielle, der        kungen und Stiftungen zehren wir noch         und zu fördern. Das bekannteste Bei-                                                                                               gut besucht waren, war es bei Theater-
Bankier und der erfolgreiche Unternehmer       heute. So kann Berlin um die Jahrhun-         spiel ist nicht zufällig die Stadt mit dem                                                                                         aufführungen oft brechend leer. Die
des Kaiserreiches traten in die Rolle der      dertwende als eine Stadt mit den bedeu-       ausgeprägtesten Bürgertum, eben Köln,                                                                                              durchschnittliche Platzausnutzung in
fürstlichen Auftraggeber ein. Für Berlin,      tendsten Privatsammlungen zur internati-      geblieben. In Krefeld, in Mönchenglad-                                                                                             der ersten Spielzeit lag bei knapp 50 %,
wo die Verhältnisse genauer untersucht         onalen, insbesondere der französischen        bach erweisen sich die Textilindustriel-                                                                                           und man kann es den Dortmundern
worden sind, lässt sich beispielsweise         Modeme gelten. Museumsleiter wie              len als große Mäzene, in Elberfeld und                                                                                             kaum verdenken, wenn in der Öffent-
feststellen, dass die Hinwendung zur           Tschudi in Berlin, Lichtwark in Hamburg       in Hagen sind es Bankiersfamilien, die                                                                                             lichkeit folgender Vers kursierte: Man
modernen Kunst seit den 90er Jahren            oder Pauly in Bremen hätten ihre be-          aufgrund eigener Sammlungen und Stif-                                                                                              kann bei den besseren Bürgern hier, von
ohne die Großindustriellen, ohne die           rühmt gewordenen Sammlungen ohne              tungen Museen von internationalem Re-                                                                                              Kunstsinn auch nicht viel merken. Sie ge-
Kaufmanns- und Bankiersfamilien wie            die Zuwendungen dieser Mäzene nicht           nommee ermöglicht haben. Das ist in                                                                                                hen statt zum Drama lieber zum Bier, ihre
die Liebermann, Arnhold, Mendelssohn-          aufbauen können.                              dieser Form in Dortmund nicht der Fall                                                                                             Geistesfaulheit zu stärken.
Bartholdy, Oppenheim, Cassirer, Stern,            Im Westen des Reiches, in der Rhein-       gewesen. Wohl aber müssen wir auf den
Gerstenberg, Guttmann und andere               provinz und in der Provinz Westfalen,         Geheimen Kommerzienrat Josef Cremer
nicht möglich gewesen wäre. Ganz bei-          hat es kaum kulturelle oder künstleri-        verweisen, der in Dortmund eine Samm-                                                                                              Stadttheater (Stadtarchiv Dortmund)
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
10                           Die Muse ist in Dortmund auf dem Hund?                                                                                                           Archäologie im Dortmunder Museum                                                              11

                                                                                                                                                       Archäologie im Museum für
                                                                                                                                                       Kunst und Kulturgeschichte
                                                                                                                                                       Geschichte, Fakten und Personen
                                                                                                                                                       von Karl Heinrich Deutmann

                                                                                                                                              Mit dem Ankauf von 78 Reinoldigro-                                                         der Versetzung des Gymnasiallehrers
                                                                                                                                              schen und -hellern des 15. Jahrhunderts                                                    nach Saarburg und der dadurch bedingten
                                                                                                                                              aus dem Fund von Cappenberg begann                                                         Beendigung der Museumsarbeit. Diese
                                                                                                                                              das öffentliche Sammeln von Dortmun-                                                       übernahm ehrenamtlich ab März 1891
                                                                                                                                              der Altertümern. Diese Aktivität, die                                                      Oberlehrer Dr. Alexander Schöne, der
                                                                                                                                              sich zunächst auf Münzen beschränkte,                                                      nach Jahresfrist jedoch ebenfalls das Amt
                                                                                                                                              mündete nach einem Sammelaufruf des                                                        des Museumsverwalters niederlegen
                                                                                                                                              Magistrats (1871) am 25. Juni 1883 in                                                      musste, nachdem er versetzt wurde.
                                                                                                                                              eine Vorlage an die Stadtverordneten-                                                         Mit der Einsetzung des Zeichenlehrers
                                                                                                                                              versammlung über die Einrichtung eines                                                     Albert Baum als drittem Museumsleiter
                                                                                                                                              städtischen Museums und Bewilligung des                                                    ab dem 2. November 1892 veränderte
                                                                                                                                              dazu erforderlichen Betrages von 1000                                                      und erweiterte sich das Sammlungs-
                                                                                                                                              Mark aus extraordinären Mitteln.                                                           spektrum. Zwar hatte auch Roese schon
                                                                                                                                                Oberlehrer Dr. Eduard Roese, der                                                         einzelne archäologische Objekte aufge-
                                                                                                                                              schon seit 1879 die Münzsammlung be-                                                       nommen, die eigentliche Sammlung aber
                                                                                                                                              treute, wurde die Leitung und Ordnung                                                      entstand unter Baum und erfuhr wäh-
                                                                                                                                              der Sammlung übertragen, die im zwei-                                                      rend seiner Tätigkeit einen außerordent-
Städtisches Kunst- und Gewerbemuseum am Ostwall (Stadtarchiv Dortmund)
                                                                                                                                              ten Obergeschoss der Höheren Mäd-                                                          lichen Zuwachs.
                                                                                                                                              chenschule untergebracht war. Bei den                                                         Albert Louis August Baum, am 8. Janu-
                                                                                                                                              Bemühungen, Denkmäler der Geschichte                                                       ar 1862 in Wildemann im Harz als Sohn
                                                                                                                                                                                           Dr. Eduard Roese
Ausblick                                       verstorbene Gustav von Mevissen, einer           de, Dortmund 2000. Wiederabgedruckt           und Kunst der alten, freien Reichsstadt zu                                                 eines Bergbaubeamten geboren, kam
                                               der großen rheinischen Unternehmer des           mit freundlicher Genehmigung der Reinol-      retten und vor der Zerstreuung durch                                                       1891 als Zeichenlehrer an die Dortmun-
Wie wir gesehen haben, sind die Anfänge        19. Jahrhunderts, Abgeordneter der               digilde.                                      den Kunsthandel zu bewahren, wurden          II. Aus dem Mittelalter und der Neuzeit:      der Gewerbe-, bzw. späteren Oberreal-
des modernen kulturellen Lebens in der         Paulskirche von 1848 und mit dem Dort-                                                         Roese und seine ihm zur Seite gestellten     kirchliche Denkmäler, III. Denkmäler des      schule. Nach seiner Anstellung als eh-
Zeit um 1900 unter Beteiligung des Bür-        munder Raum durch seinen Vorsitz im              Literatur                                     Kollegen Carl Rübel und Richard Jordan       Privatlebens, einschließlich Waffen und IV.   renamtlicher Museumsverwalter 1892
gertums gestaltet worden. Man hatte er-        Verwaltungsrat des Hoerder Vereins von                                                         von einer dreiköpfigen Kommission un-        Denkmäler des öffentlichen Lebens wie         bildete er sich noch durch einige Semes-
kannt, dass die Kultur mehr war als ein        1852-1874 verbunden. Er hatte noch zu            Ein Dortmunder Agent. Der Mann, der           ter der Leitung des Stadtbaurats Carl        Münzen, Urkunden und Druckwerke.              ter Archäologie und Geschichte an der
Spleen altmodischer Leute, und dass sich       seinen Lebzeiten Mittel zur Gründung ei-         Karlchen Richter hieß. Seine Aufzeich-        Marx unterstützt. Roese unterteilte die         Die Ehrenamtlichkeit der Museumslei-       Universität Münster weiter und unter-
das vitale Dortmund gegenüber den kon-         ner Handelshochschule in Köln gestiftet.         nungen neu und an den Tag gebracht von        Sammlung in die Abteilungen I. Aus der       tung mag von finanziellem Vorteil für die     nahm viele Studienreisen zu den großen
kurrierenden Städten Essen, Duisburg,          Seiner Meinung nach war es nur eine              Horst Mönnich. Düsseldorf 1974                vorchristlichen Zeit: Denkmäler der rö-      Stadt Dortmund gewesen sein, ihr Nach-        Museen in Deutschland und Europa.
Düsseldorf und Köln auch in der Insze-         große Stadt nicht gut, wenn sie nur ihre            Forschung im Spannungsfeld von Poli-       misch- und heidnisch-germanischen Zeit,      teil zeigte sich am 1. September 1890 mit     Nachdem ihm 1903 endlich der Titel Mu-
nierung von Kunst und Kultur behaupten         wirtschaftlichen Möglichkeiten entfalte-         tik und Gesellschaft. Geschichte und                                                                                                     seumsdirektor verliehen worden war, be-
musste. Heute würde man verkürzt vom           te und ihre geistigen Werte und Traditi-         Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-                                                                                                 willigte der Magistrat seinen Antrag,
Vorzug der weichen Standortfaktoren            onen dabei vernachlässigte. In ihrer Pfle-       Gesellschaft. Aus Anlass ihres 75-jährigen                                                                                               ihn vom Schuldienst zu befreien. Am 1.
sprechen. Der Bürger des Jahres 1900 er-       ge sah er die Möglichkeit gegen die mit          Bestehens herausgegeben von Rudolf                                                                                                       September 1904 übernahm Albert Baum
wartete nicht alles vom Staat und von          der Industrialisierung um sich greifende         Vierhaus und Bernhard vom Brocke,                                                                                                        die hauptamtliche Leitung des städtischen
der Kommune und war daher eher bereit,         Verflachung ein Gegengewicht zu schaf-           Stuttgart 1990                                                                                                                           Museums auf Lebenszeit.
seinen finanziellen Beitrag zum Wohle          fen. Dieser in Köln ausgeprägte Geist ist           Dascher, Ottfried: Dortmund – eine Stadt                                                                                                 Auf eine bemerkenswerte Art und
der Stadt zu leisten. Gerade jene Fami-        in einem Zitat des legendären Kulturde-          im Wandel, in: Dortmund. Porträt einer                                                                                                   Weise sorgte Baum für eine Erweiterung
lien, die sich noch auf die reichsstädtische   zernenten Kurt Hackenberg vor einigen            Stadt, Harenberg-Verlag, Dortmund 1996                                                                                                   der Sammlungsbestände. Er war als
Zeit zurückführen konnten, waren sich          Jahren noch einmal variiert worden. Ich             Gaehtgens Thomas W.: Der Bürger als                                                                                                   volksnaher Mensch dafür bekannt, dass
dieser Verpflichtung durchaus bewusst.         möchte seinen Satz auf Dortmund über-            Mäzen. Gerda Henkel Vorlesung. Her-                                                                                                      er mit potentiellen Mäzenen im Wirt-
Dabei wollen wir aber nicht die günsti-        tragen wissen und dort wo Köln steht             ausgegeben von der gemeinsamen Kom-                                                                                                      haus trank und spielte und ihnen so im
gen Rahmenbedingungen verschweigen,            den Namen unserer Stadt einsetzen. Die-          mission der Nordrhein-Westfälischen                                                                                                      Laufe des Abends Möbel oder Gelder für
– so die niedrige Einkommensteuer, die         ser Schlusssatz von mir lautet dann: Kul-        Akademie der Wissenschaften und der                                                                                                      Ankäufe oder Ausgrabungen abrang.
die Spenden- und Stiftungsbereitschaft         tur ist nicht alles in Dortmund, aber alles in   Gerda Henkel Stiftung, Opladen 1998                                                                                                      Mit seinen umfangreichen und erfolg-
fördern mussten. Aber daneben gab es           Dortmund nichts ohne Kultur.                        Framke, Gisela (Hg.): 8 Stunden sind
noch eine Überlegung, und auch sie ist                                                          kein Tag. Freizeit und Vergnügen in
bis auf den heutigen Tag zeitlos geblie-       * Vortrag anlässlich des Reinoldimahls am        Dortmund 1870 bis 1939, Dortmund                                                                                                         Städtische Höhere Mädchenschule, Kronprin-
ben. Als ihr Kronzeuge zitiert sei der 1899    5. Mai 2000, Privatdruck der Reinoldigil-        1992                                                                                                                                     zenstr. 13, um 1905 (Stadtarchiv Dortmund)
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
12                               Archäologie im Dortmunder Museum                                                                  Archäologie im Dortmunder Museum                                                             13

                                                                                                    reichen Grabungen setzte er sich ein
                                                                                                    Denkmal in Westfalen.
                                                                                                       1893 hatte Baum mit großer Unter-
                                                                                                    stützung des Dezernenten Baurat Marx
                                                                                                    seine ersten Ausgrabungen in Castrop-
                                                                                                    Habinghorst begonnen. Das Gräberfeld
                                                                                                    lieferte eine große Menge vorwiegend
                                                                                                    bronzezeitliche Grabkeramik, Bronze-
                                                                                                    schmuck, Waffen und Geräte.
                                                                                                       Seine ergiebige Grabungsaktivität
                                                                                                    setzte er dann 1895 im Gebiet an der
                                                                                                    Lippe fort. Es folgten in den Jahren
                                                                                                    1897–1916 vierzig archäologische Un-
                                                                                                    tersuchungen im weiten Umland, des-
                                                                                                    sen Begrenzung einzig in der, in seinem
                                                                                                    Arbeitsvertrag benannten Einschrän-
                                                                                                    kung auf die Provinz Westfalen bestand.
                                                                                                    Sein Tätigkeitsgebiet umfasste außer
                                                                                                    dem Stadt- und Landkreis Dortmund die
                                                                                                    damaligen Kreise Ahaus, Lüdinghausen,
                                                                                                    Coesfeld, Steinfurt, Recklinghausen, Cas-
                                                                                                    trop-Rauxel, Warendorf, Minden, Unna,
                                                                                                    Iserlohn und Arnsberg. Zum großen Teil
                                                                                                                                                Die Abteilung Vor- und Frühgeschichtliche Denkmäler Westfalens im Alten Rathaus
                                                                                                    handelte es sich um Grabhügelfelder der
                                                                                                                                                (Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund)
                                                                                                    Bronze- und Eisenzeit, aus denen er un-
                                                                                                    zählige Grabgefäße nebst Beigaben hol-
                                                                                                    te. Aber auch die Höhlen im Sauerländer     Behörde weiter untersucht. Die Hunder-          Museumstätigkeit in Dortmund lehrte
                                                                                                    Hönnetal und ein germanischer Friedhof      te von Glasplattenfotos, die Baum da-           er am vor- und frühgeschichtlichen Se-
                                                                                                    an der Porta Westfalica wurden von ihm      mals hat anfertigen lassen, werden noch         minar der Universität Münster und ver-
                                                                                                    untersucht. In den meisten Fällen lag       immer verwendet und zitiert.                    trat dessen Lehrstuhlinhaber Professor
Prof. Albert Baum bei archäologischen Grabungen (Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund)   wohl eine Gefährdung durch Straßen-            Außer den Objekten der Region, die           Stieren. Außerdem war er stellvertre-
                                                                                                    bau, Sand- und Kiesabbau oder den           Baum selbst ausgrub oder sich schenken          tender Vertrauensmann für kulturge-
                                                                                                    Dampfpflug vor. Im Falle der an der Lippe   ließ, vermittelte er auch mit der Samm-         schichtliche Bodenaltertümer im west-
                                                                                                    gelegenen Ländereien bei Waltrop und        lung Beger 1911 eine Schenkung von              fälischen Industriegebiet. In seinen
                                                                                                    Datteln war es die drohende Anlage von      329 römischen Gläsern aus Köln und              Schriften, aber auch in der Ausstellungs-
                                                                                                    Rieselfelder durch die Stadt Dortmund,      dem rheinischen Umland. Unter seiner            beschriftung und verschiedenen Schrei-
                                                                                                    die Baum zu seinen Ausgrabungen ver-        Regie kamen ebenso römische Schatz-             ben klingt der vom Nationalsozialismus
                                                                                                    anlasste. Sein hauptsächlicher Beweg-       funde ins Museum, darunter der damals           geprägte damalige Zeitgeist durch. Wäh-
                                                                                                    grund war sicher die Erweiterung der        größte römische Goldmünzschatz von              rend des Krieges engagierte sich Al-
                                                                                                    Museumsbestände.                            der Dortmunder Ritterstraße.                    brecht bei der Sicherung von Kulturgut
                                                                                                       Wenn seine Ausgrabungstechnik auch          Mit dem Tode Albert Baums am 17.             und beim Katastrophenschutz.
                                                                                                    nicht den heutigen Standards der mo-        Dezember 1934 ging ein engagiertes                Bei einem Bombenangriff 1943 wurde
                                                                                                    dernen Feldarchäologie entspricht, und      und vielseitiges Archäologenleben zu            das Museum schwer getroffen. Wenn
                                                                                                    er wohl in erster Linie auf den Fund aus    Ende. Sein Nachfolger Dr. Rolf Fritz, der       Albrecht auch vorsorglich einen Teil der
                                                                                                    war, ist ihm, abgesehen von der Rettung     zunächst kommissarisch, ab1936 haupt-           Bestände nach Ostwestfalen ausgelagert
                                                                                                    der Objekte an sich, eine akribische Do-    amtlich die Leitung des Museums über-           hatte, konnte er trotz eigenem Einsatz
                                                                                                    kumentation zu verdanken. Neben der         nahm, sah seine Aufgabe wohl haupt-             die Vernichtung von zurückgebliebenen
                                                                                                    obertägigen Vermessung mitunter gan-        sächlich in der Neuordnung des Bestan-          Objekten nicht verhindern.
                                                                                                    zer Grabhügelfelder mit zeichnerischer      des. Darüber hinaus lag das wissen-               Nach dem Krieg wurde der Hochbun-
                                                                                                    und fotografischer Dokumentation legte      schaftliche Interesse des Kunsthistorikers      ker in der Ritterhausstraße am Westpark
                                                                                                    er Berichte mit persönlichen Skizzen        offensichtlich in der Kunst. So scheint es      zu einem Museum umgebaut und nahm
                                                                                                    und Notizen zu Funden und ihrer Lage        auch nahe liegend, dass man den Namen           als Geschichtliches Museum die Abtei-
                                                                                                    an. Auf solche Dokumentationen greift       des Hauses in Museum für Kunst und Kul-         lungen Vor- und Frühgeschichte und
                                                                                                    heute die westfälische Bodendenkmal-        turgeschichte änderte.                          Stadtgeschichte auf, die ab dem 1. Janu-
                                                                                                    pflege bei Nachgrabungen gerne zurück.         Der archäologische Bestand wurde             ar 1952 wiederausgestellt werden konn-
                                                                                                    Die größte und wohl bedeutendste Gra-       1937 als eigenständiges Museum für              ten. Archäologisch engagierte sich Alb-
                                                                                                    bungsstätte Albert Baums, das römische      Vor- und Frühgeschichte in die Victoria-        recht bei der Untersuchung der kriegs-
                                                                                                    Militärlager Oberaden an der Lippe bei      straße 25 ausgelagert. Mit der Leitung          zerstörten Reinoldikirche, danach nahm
                                                                                                    Lünen mit dem Uferkastell von Becking-      dieses Hauses wurde der Prähistoriker           er Ausgrabungen in der Hohensyburger
                                                                                                    hausen, das er von 1906–1914 in Auf-        Dr. Christoph Albrecht betraut, der sich        Peterskirche vor. Ein weiterer Verdienst
                                                                                                    trag der Stadt Dortmund ausgegraben         mit der Ausübung vielseitiger Aufgaben          bestand in der Publikation der bislang
                                                                                                    hat, wird noch heute von eben dieser        hervortat. Neben der hauptberuflichen           unveröffentlichten Grabungsergebnisse
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
14                            Archäologie im Dortmunder Museum                                                                                                  Albert Baum und das Städtische Museum                                                                 15

seines Vorgängers Baum, besonders der
des Römerlagers Oberaden.
  Nach der Pensionierung von Albrecht
                                           fasser mit der Leitung der wieder einge-
                                           richteten Abteilung Archäologie und Bo-
                                           dendenkmalpflege betraut. Dieser hatte
                                                                                       punkte sind auch Gegenstand der aktu-
                                                                                       ellen Antikenabteilung im Erdgeschoss
                                                                                       des Museums für Kunst und Kulturge-
                                                                                                                                            Seine große Liebe – Albert
übernahm der klassische Archäologe Dr.
Clemens Weisgerber 1964 die Leitung.
Dieser konzentrierte sich mehr auf die
                                           zuvor in einer eineinhalbjährigen Aus-
                                           grabung im Zuge des U-Bahnbaus den
                                           mittelalterlichen Stadtkern um die Rei-
                                                                                       schichte. Im ehemaligen Sparkassentre-
                                                                                       sor sind die Bestände der ur- und früh-
                                                                                       geschichtlichen Sammlung neugeordnet
                                                                                                                                            Baum und das Städtische
Museumsarbeit und wandelte die bishe-
rige regionalarchäologisch ausgerichte-
te Sammlung mit umfangreichen An-
käufen von Objekten aus dem mediter-
                                           noldikirche und das Kuckelketor unter-
                                           sucht. Nach der Neueinrichtung der ar-
                                           chäologischen Sammlung befasste sich
                                           die erste archäologische Sonderausstel-
                                                                                       auf zwei Etagen untergebracht.
                                                                                          Bei den archäologischen Sonderaus-
                                                                                       stellungen wechseln sich Übernahmen
                                                                                       aus anderen Museen mit eigenkonzi-
                                                                                                                                            Museum in Dortmund
ranen Raum in ein klassisch-archäolo-      lung mit den neuen Ergebnissen der Erfor-   pierten Ausstellungen zu Dortmunder                  von Brigitte Buberl
gisches Haus. So erwarb er neben antiken   schung der mittelalterlichen Stadt, wozu    Grabungsprojekten in Zusammenarbeit
Vasen, Terrakotten und Kleinbronzen        auch die Ausgrabungen des Adlerturms        mit der Stadtarchäologie ab.
Grabschmuck und eine Reihe von Stein-      gehörten. Dieser Rest eines mittelalter-                                                1892 war die Unordnung groß. Dr. Eduard
denkmälern aus dem römischen Militär-      lichen Wachturms wurde in einer spek-       Literatur:                                  Roese (geb. 1855), klassischer Philologe
lager Carnuntum bei Wien sowie eine        takulären Aktion wieder auf- und zu                                                     und Lehrer, der mit Unterstützung des
größere Anzahl von römischen Gläsern       einem Museum für mittelalterliche           Eggenstein, Georg: Die frühen Ausgra-       Stadtarchivars Carl Rübel und des Lehrers
aus Kleinasien.                            Stadtgeschichte ausgebaut.                  bungen Albert Baums 1897/98 an der          Richard Jordan zehn Jahre lang das Muse-
  Nachdem Weisgerber in den Ruhe-             Zuwachs erhielt der Bereich Antiken      Lippe in den Gemeinden Waltrop, Dat-        um eifrig, kundig und umsichtig ehren-
stand gegangen war, gab es einige Jahre    durch den Ankauf von 118 Objekten der       teln und Selm, in: Ausgrabungen und         amtlich geleitet und betreut hatte, war
lang keine hauptamtliche Betreuung der     bedeutenden Dortmunder Sammlung             Funde in Westfalen-Lippe, Münster 1995,     versetzt worden. Sein Nachfolger, der
archäologischen Sammlungen. 1983 er-       Schlotter, der mit Unterstützung des        9/B, 35-94                                  ebenfalls historisch gebildete Lehrer
folgte der Zusammenschluss mit dem         Landes Nordrhein-Westfalen realisiert          Baum, Albert: Führer durch die Samm-     Alexander Schöne (geb. 1854), musste
Museum für Kunst und Kulturgeschich-       werden konnte. Sie umfasst neben Va-        lungen des Städt. Kunst- und Gewerbe-       aus gleichem Grund nach nur einem Jahr
te, dessen Bestände seit dem Zweiten       sen, Terrakotten, Marmorbüsten, Klein-      museums zu Dortmund, Dortmund 1908          die Arbeit niederlegen. Die mittlerweile
Weltkrieg auf Schloss Cappenberg bei       bronzen und Gläsern, auch Tempel-              Weiß, Gisela: Sinnstiftung in der Pro-   stark angewachsene Sammlung lag
Lünen ausgelagert waren. Die neue          schmuck und ein Fresko aus Griechen-        vinz. Westfälische Museen im Kaiser-        brach, bis der Magistrat 1892 den jungen
Heimstatt wurde die alte Stadtsparkasse    land, Etrurien und dem Römischen            reich, Paderborn, München, Wien, Zü-        Zeichenlehrer Albert Baum (1862–1934)
in der Innenstadt. 1985 wurde der Ver-     Reich. Diese drei Sammlungsschwer-          rich 2005                                   zum ehrenamtlichen Museumsverwalter
                                                                                                                                   auswählte. Elf Jahre später wurde die
                                                                                                                                   Notwendigkeit einer ausschließlichen
                                                                                                                                   und hauptamtlichen Betreuung des Mu-
                                                                                                                                   seums immer offensichtlicher. Baum
                                                                                                                                   wurde 1903 zum Städtischen Museums-
                                                                                                                                   direktor ernannt und 1904 hauptberuf-
                                                                                                                                   lich mit festen Bezügen angestellt. Er
                                                                                                                                                                                Albert Baum im Kreise seiner Familie (Privatbesitz)
                                                                                                                                   hatte an der Kunstakademie in Berlin stu-
                                                                                                                                   diert und dort im Kunstgewerbemuseum
                                                                                                                                   freiwillig mitgearbeitet. Nach seiner eh-    ehrenamtlich arbeitenden Künstler und                 Das Haus
                                                                                                                                   renamtlichen Berufung bildete er sich an     Lehrer durch Wissenschaftler ersetzt.
                                                                                                                                   der Universität Münster in Archäologie       Baum dürfte das einzige Beispiel dafür                Die Sammlungen des Museums waren
                                                                                                                                   und Kunstgeschichte weiter. Ehrenmit-        sein, die Wandlung in sich selbst vollzo-             zu diesem Zeitpunkt noch mehr oder
                                                                                                                                   gliedschaften in historischen und kunst-     gen, sich vom Künstler zum Archäolo-                  weniger provisorisch untergebracht. Sie
                                                                                                                                   wissenschaftlichen Gesellschaften sowie      gen und Kunsthistoriker gebildet zu                   befanden sich in einigen Räumen in der
                                                                                                                                   die Ernennung zum Ehrenpfleger des           haben.                                                Höheren Töchterschule und seit 1891 im
                                                                                                                                   Germanischen Nationalmuseums in                Das Museum als Institution wurde                    Buchholtzschen Haus in der Pottgasse.
                                                                                                                                   Nürnberg (1920), die Wahl zum Mitglied       nicht nur viel beachtet, sondern über                 Baum verschaffte sich einen Überblick
                                                                                                                                   des Kunstausschusses für die Provinz         seine Ziele auch viel diskutiert. Muse-               und sorgte sofort für neue Standorte.
                                                                                                                                   Westfalen sowie seine Gutachtertätigkeit     umsdirektoren berieten, wie Museums-                  Bald nutzte das Museum Räume im
                                                                                                                                   während des Ersten Weltkrieges in der        arbeit auszusehen habe und wie Museen                 Dachgeschoß des Stadthauses an der
                                                                                                                                   Aktion Metallspende dokumentieren die        idealer Weise eingerichtet sein sollten.              Kleppingstraße, zusätzlich in der Werk-
                                                                                                                                   hohe Anerkennung, die der Dortmunder         Zudem hatte man seit einiger Zeit sogar               meisterschule und ab 1899 die Tuchhalle
                                                                                                                                   Museumsdirektor auch unter seinen Kol-       begonnen, zeitgenössische Kunst in den                des wiederhergestellten Alten Rat-
                                                                                                                                   legen genoss.                                Museen zu präsentieren. Nichts war                    hauses. Weiterhin war es in der Wiß-
                                                                                                                                      Seit Ende des 19. Jahrhunderts schmück-   mehr neu oder musste neu erfunden                     straße und im Pottgiesserschen Haus
                                                                                                                                   ten neue große Museumsbauten die             werden, als Baum seine Arbeit in Dort-                am Markt 2 untergebracht. Einen reprä-
                                                                                                                                   wichtigsten Städte Deutschlands, auch        mund aufnahm. Er konnte auf Erkennt-                  sentativen Standort mit 21 Ausstellungs-
                                                                                                                                   gab es allerorten Neugründungen. So          nissen bereits aufbauen und sich mit                  räumen fand es erst 1905 mit dem
Dortmunder Goldschatz                                                                                                              zählte das Dortmunder Museum zu den          Temperament, Elan und Durchsetzungs-                  ehemaligen Reichsbankgebäude am
(Madeleine-Annette Albrecht,                                                                                                       ersten öffentlichen Sammlungen in            vermögen in die große Aufgabe stürzen,                Königswall/Ecke Hansastraße. Mit dem
Museum für Kunst und                                                                                                               Westfalen. Zu Beginn des 20. Jahrhun-        das Dortmunder Museum auf den neu-                    Bezug des Hauses erfolgte auch die Um-
Kulturgeschichte)                                                                                                                  derts wurden in den Museen die zumeist       esten Stand zu bringen.                               benennung der Altertumssammlung in
125 Jahre 3/2008 - Stadt Dortmund
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