VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE - 15/2018 Christoph Busch - Bibliothek der Friedrich ...
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WISO DISKURS 15 / 2018 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerk- schaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politikberatung leisten. Über den Autor dieser Ausgabe Prof. Dr. Christoph Busch, Maître en Droit, ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht sowie Internationales Privatrecht an der Universität Osnabrück. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Dr. Robert Philipps ist in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verantwortlich für den Gesprächskreis Verbraucherpolitik.
15 / 2018 WISO DISKURS Christoph Busch VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE 2 VORBEMERKUNG 3 ZUSAMMENFASSUNG 4 1 EINLEITUNG 6 2 AUFSTIEG DER PLATTFORMÖKONOMIE 6 2.1 Begriff der digitalen Plattform 6 2.2 Digitale Plattformen aus ökonomischer Perspektive 7 2.3 Digitale Plattformen aus juristischer Perspektive 8 3 CHANCEN AUS VERBRAUCHERSICHT 8 3.1 Verbraucher_innen als Nachfrager_innen 8 3.2 Verbraucher_innen als Anbieter (Prosumer) 9 4 RISIKEN AUS VERBRAUCHERSICHT UND HANDLUNGSOPTIONEN 9 4.1 Identität der Vertragspartner_innen 9 4.1.1 Vertragliche Rollenverteilung 9 4.1.2 Status der Vertragspartner_innen 10 4.1.3 Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Verbraucherrechte 10 4.2 Transparenz von Rankings 11 4.3 Reputationssysteme 12 4.4 Portabilität von Reputationskapital 12 4.5 Haftung der Plattformbetreiber 14 5 FAZIT 15 Abkürzungsverzeichnis 15 Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2 VORBEMERKUNG Digitale Plattformen sind heute ein allgegenwärtiger Bestand- cherrechte sind, die wirksam werden. Ebenfalls von großem teil der Internetökonomie. Es gibt sie in immer mehr Bereichen Interesse für die Verbraucher_innen ist es, dass im Schadens- der Wirtschaft und in vielfältigen Ausgestaltungsformen. fall die Haftungsfrage geklärt ist. Ein weiteres Problemfeld Im Kern beschreiben plattformbasierte Geschäftsmodelle ist das Ranking der Angebote auf der Plattform. Hier muss einen Wertschöpfungsansatz, der darauf basiert, dass über der/die Verbraucher_in darauf vertrauen können, dass das ein internetbasiertes Softwaresystem Anbieter und Käufer_in Ranking „neutral“ ist, also frei von provisionsgetriebener einer Leistung in Verbindung gebracht werden. Das internet- Beeinflussung. Die Kundenbewertungen sind für die Kauf- basierte Softwaresystem stellt für die Vermittlung und den entscheidung ein entscheidendes Kriterium, weshalb hier Austausch der Leistung alle notwendigen Dienste (z. B. Web- ebenfalls sichergestellt sein muss, dass sie frei von Mani- shop, Bewertungssystem, Bezahlsystem) zur Verfügung und pulationen sind. Sofern der/die Verbraucher_in selbst als minimiert so die Transaktionskosten beim Leistungsaustausch. „Prosumer“ auf der Plattform anbietet, sollte es möglich Der Plattformbetreiber nimmt dabei die Rolle eines Inter- sein, das angesammelte „Reputationskapital“, also die Kun- mediärs ein. Dieser bestimmt die Spielregeln für den Leis- denbewertungen, auch auf eine andere Plattform mitzu- tungsaustausch auf der Plattform, schöpft Wert durch eine nehmen. Andernfalls drohen Lock-in-Effekte und eine Do- Umsatzbeteiligung an jedem einzelnen Leistungsaustausch, minanz weniger, sehr mächtiger Plattformen, was heutzu- der stattfindet, und kann durch Netzwerkeffekte ggf. auch tage schon in einigen Fällen Realität ist. eine Monopolstellung einnehmen. Aus Verbrauchersicht gibt es also neben den genannten Aus Verbrauchersicht bieten Plattformen unbestreitbar Vorteilen eine Reihe von Risiken und Unsicherheiten. Diese Vorteile, denn sie reduzieren Transaktionskosten und brin- wurden jüngst von der Europäischen Kommission im Rahmen gen sowohl Transparenz als auch Wettbewerb in die Märkte. des „New Deal for Consumers“ teilweise adressiert. Die Der Einkauf von Produkten oder Dienstleistungen ist heute Friedrich-Ebert-Stiftung hat daher das vorliegende Rechts- auch dank der Vermittlungs- und Vergleichsplattformen viel gutachten beauftragt, mit dem Ziel, die Chancen und Risiken komfortabler und günstiger geworden. Auch die Produkt- der Plattformökonomie aus Verbrauchersicht herauszuar- vielfalt ist deutlich gestiegen. Hinzu kommt, dass Verbrau- beiten und vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge cher_innen auf Plattformen selbst zu Anbietern werden sinnvolle Regulierungsoptionen für eine Stärkung der Ver- können, indem sie ungenutzte oder wenig genutzte Güter braucherrechte in der Plattformökonomie zu unterbreiten. verkaufen oder vermieten. Plattformen führen also auch Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre! dazu, dass Verbraucher_innen sich neue Einkommensquellen erschließen können. Auf der anderen Seite sind aber auch Probleme und DR. ROBERT PHILIPPS, Rechtsunsicherheiten zu beobachten. So werden Verbraucher- Leiter des Gesprächskreises Verbraucherpolitik der schutzstandards teilweise unterlaufen oder es herrscht bei Friedrich-Ebert-Stiftung Transaktionen Unklarheit über die geltenden Vertrags- und Verbraucherschutzbestimmungen. Zum Beispiel ist für die Käufer_innen einer Leistung vielfach unklar, ob der Kauf- vertrag mit der Plattform, mit einem auf der Plattform an- bietenden Unternehmen oder mit einem/einer auf der Platt- form anbietenden Verbraucher_in geschlossen wurde. Dies ist auch deswegen von Interesse, weil vom Status des/der Vertragspartner_in abhängt, wie weitgehend die Verbrau-
VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE WISO DISKURS 3 ZUSAMMENFASSUNG Der rasante Aufstieg der Plattformökonomie bietet aus Ver- (4) Um den Wettbewerb zwischen Plattformen zu fördern brauchersicht sowohl Chancen als auch Risiken. Insbesondere und Lock-in-Effekte zu verhindern, sollte die Portabilität von im Bereich der Sharing Economy sind neue Angebote für Kundenbewertungen zwischen unterschiedlichen Plattfor- Verbraucher_innen entstanden. Vergleichsplattformen tra- men sichergestellt werden. Die Portabilitätsregeln der Da- gen zu mehr Produkt- und Preistransparenz bei. Auch als tenschutz-Grundverordnung erfassen diese Fälle bislang Anbieter (Prosumer) können Verbraucher_innen von den nicht. Daher besteht hier eine dringende Aufgabe für den neuen Möglichkeiten der Plattformökonomie profitieren Gesetzgeber. und sich neue Einkommensquellen erschließen. Den ge- nannten Vorteilen steht jedoch eine Reihe neuer Risiken (5) Erweckt der Plattformbetreiber den Eindruck, dass er gegenüber. Einige dieser Risiken werden in dem von der einen beherrschenden Einfluss auf den Anbieter hat, so Europäischen Kommission im April 2018 vorgelegten Vor- kann dies eine Haftung des Plattformbetreibers nach den schlag für eine Anpassung des Verbraucherrechts im Rah- Grundsätzen der Vertrauenshaftung begründen. Dies sollte men des „New Deal for Consumers“ adressiert. Vor diesem durch eine entsprechende Regelung, möglichst auf europä- Hintergrund beleuchtet die vorliegende Kurzstudie exem- ischer Ebene, klargestellt werden. plarisch fünf Problemfelder: (1) Häufig ist für den/die Verbraucher_in nicht erkennbar, ob er/sie einen Vertrag mit dem Plattformbetreiber oder einem Dritten schließt. Zur Klarstellung der vertraglichen Rollenverteilung könnte eine entsprechende Informations- pflicht des Plattformbetreibers beitragen. Aus Sicht der Ver- braucher_innen ist auch eine klare Information darüber er- forderlich, ob es sich bei einem/einer Vertragspartner_in um einen/eine Unternehmer_in handelt oder nicht. Der aktuelle Vorschlag der Europäischen Kommission sieht zwar eine entsprechende Informationspflicht vor, deren Zuschnitt allerdings nicht ganz überzeugt. (2) Gleiches gilt für den Vorschlag der Kommission, eine Transparenzpflicht für Rankings auf Onlineplattformen ein- zuführen. Als mögliche Alternative kommt ein anlassbezoge- ner behördlicher Algorithmen-Audit für Rankings in Betracht. (3) Zu erwägen ist ferner, ob gesetzliche Mindestanforde- rungen für Reputationssysteme eingeführt werden sollten. Dadurch ließe sich möglicherweise das Problem gefälschter Bewertungen eindämmen und die Qualität von Kundenbe- wertungen erhöhen. Eine flankierende Rolle könnten hierbei freiwillige europäische Standards nach dem Vorbild der im Juni 2018 veröffentlichten ISO-Norm 20488:2018 spielen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4 1 EINLEITUNG Digitale Plattformen erleben seit einigen Jahren ein rasantes Nutzerdaten besser berücksichtigt werden können. Der Wachstum und spielen heute in vielen Branchen eine zen- Koalitionsvertrag vom März 2018 (CDU, CSU und SPD 2018: 43) trale Rolle. Sie sind die neuen Treiber der Digitalisierung und sieht weitere Anpassungen des Wettbewerbsrechts an die einer ihrer wichtigsten Wachstumsträger (BMWi 2017: 21). Bedingungen der digitalen Wirtschaft vor. Insbesondere Plattformen der sogenannten Sharing Economy Aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht stellt sich insbe- wie Airbnb, BlaBlaCar und Uber stellen traditionelle Ge- sondere die Frage, wie der Schutz von Beschäftigten und schäftsmodelle im Bereich von Beherbergungs- und Mobili- Solo-Selbstständigen in der Plattformökonomie gewährleistet tätsdienstleistungen infrage. Auch in anderen Branchen ist werden kann. Dabei ist häufig bereits unklar, ob die für ein kometenhafter Aufstieg plattformbasierter Geschäftsmo- die Plattform tätigen Crowdworker als Arbeitnehmer_innen delle zu beobachten. So wurde das Unternehmen Deliveroo, oder selbstständige Auftragnehmer_innen einzuordnen das eine Plattform für Essenslieferdienste anbietet, im April sind (Klebe 2017; Eichhorst/Linckh 2017; Prassl 2018). Die 2018 von der Financial Times zu dem am schnellsten wach- juristische und rechtspolitische Diskussion steht hier noch senden Unternehmen Europas gekürt (Cornish 2018). Auch weitgehend am Anfang (vgl. Risak 2017). etabliertere Anbieter, wie der Onlinehändler Amazon, der Auch aus verbraucherrechtlicher Perspektive wird disku- nach einer aktuellen Studie des Handelsverbandes Deutsch- tiert, inwieweit die aktuellen Veränderungen auf den digi- land (HDE) inzwischen fast die Hälfte des deutschen Online- talen Märkten eine Anpassung der rechtlichen Vorgaben handels beherrscht, wandeln sich immer mehr zum Plattform- auf nationaler oder europäischer Ebene erfordern, um den betreiber. So entfielen im Jahr 2017 bereits 25 Prozent des veränderten Rahmenbedingungen der Plattformökonomie gesamten Onlinehandels in Deutschland auf „Amazon Mar- Rechnung zu tragen (Busch et al. 2016; Lobel 2016; Edelman/ ketplace“, den virtuellen Marktplatz von Amazon, auf dem Geradin 2016; Miller 2016). Sowohl die im Jahr 2016 vor- auch andere Händler_innen ihre Produkte verkaufen können gelegte Mitteilung der Europäischen Kommission „Online- (HDE 2018: 18). Plattformen im digitalen Binnenmarkt“ (Europäische Kom- Der scheinbar ungebremste Aufstieg der Onlineplattfor mission 2016a), die „Europäische Agenda für die kollaborative men hat inzwischen eine Debatte darüber ausgelöst, ob der Wirtschaft“ (Europäische Kommission 2016b) als auch das rechtliche Regulierungsrahmen angepasst werden muss, um im Mai 2017 vom Bundesministerium für Wirtschaft und den neuen Bedingungen der Plattformökonomie hinreichend Energie (BMWi) veröffentlichte „Weißbuch Digitale Platt- Rechnung zu tragen. Manche Beobachter_innen warnen gar formen“ (BMWi 2017) betonen die Notwendigkeit eines vor einer Transformation der Internetökonomie in einen angemessenen Verbraucherschutzes auf Plattformmärkten. „Plattform-Kapitalismus“, bei dem einige wenige Anbieter Im Koalitionsvertrag vom März 2018 heißt es dazu: „Auf als „Gatekeeper“ den Zugang zu Märkten für Waren und Vermittlungs-, Buchungs- und Vergleichsplattformen wollen Dienstleistungen kontrollieren (Srnicek 2018). Aus wettbe- wir die Transparenz hinsichtlich ihrer Bewertungssysteme, der werbsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, wie angesichts Gewichtung ihrer Ergebnisse, der Provisionen und Marktab- der wachsenden Marktmacht von Plattformen ein fairer deckung sowie der Zusammenhänge zwischen Portalen und Wettbewerb gewährleistet werden kann (Monopolkom- wirtschaftlichen Verflechtungen erhöhen. Verbraucherin- mission 2015; BMWi 2017: 58). Einen wichtigen Schritt zur nen und Verbraucher sollen besser vor gefälschten Bewer- Anpassung des Wettbewerbsrechts an die Bedingungen der tungen, Datenmissbrauch und elementaren Risiken abgesi- Plattformökonomie stellt dabei die jüngste Novelle des Ge- chert werden. Vermittlungsplattformen sollen den Nutzerin- setzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahr nen und Nutzern gegenüber transparent machen müssen, 2017 dar, mit der Netzwerk- und Skaleneffekte bei digita- ob Angebote privat oder gewerblich sind.“ Konkrete Pläne len Plattformen und der Zugang zu wettbewerbsrelevanten für Rechtssetzungsvorhaben wurden bislang nicht vorgelegt.
VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE WISO DISKURS 5 Einen ersten Schritt in diese Richtung macht nun der am 11.4.2018 von der Europäischen Kommission vorgestellte „New Deal for Consumers“. Im Zuge der Anpassung meh- rerer verbraucherrechtlicher Richtlinien sollen auch neue Regeln für mehr Transparenz auf Onlinemarktplätzen ein- geführt werden (Europäische Kommission 2018a). Mittelbar von Bedeutung für den Verbraucherschutz auf Plattform- märkten ist auch der am 26.4.2018 vorgelegte Entwurf für eine Verordnung über Fairness und Transparenz für gewerb- liche Nutzer_innen von Onlinevermittlungsdiensten (Euro- päische Kommission 2018b). Vor diesem Hintergrund soll die vorliegende Kurzstudie einen Überblick über die Auswirkungen des Aufstiegs von Onlineplattformen für den Verbraucherschutz bieten. An- hand ausgewählter Problemfelder werden Vorteile und Risiken für Verbraucher_innen in der Plattformökonomie skizziert und ein möglicher Regulierungsbedarf aufgezeigt. Der Fokus liegt dabei auf dem Verbraucherschutz durch Lauterkeits- und Vertragsrecht. Arbeits- und sozialrechtliche Fragen bleiben außer Betracht, wettbewerbs- und datenschutz- rechtliche Aspekte werden nur am Rande berührt.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 2 AUFSTIEG DER PLATTFORMÖKONOMIE 2.1 BEGRIFF DER DIGITALEN PLATTFORM besondere im Bereich des mobilen Internets, haben jedoch die Bedeutung von Verträgen, die über digitale Plattformen Unter dem Plattformbegriff wird in der rechtspolitischen Dis- abgeschlossen werden, sowohl in quantitativer als auch in kussion ein breites Spektrum recht unterschiedlicher Ge- qualitativer Hinsicht erheblich verändert. Dies zeigt insbe- schäftsmodelle gefasst. Eine einheitliche Begriffsdefinition sondere das rasante Wachstum von Plattformanbietern im gibt es bislang nicht (SVRV 2016: 24). Das im März 2017 Bereich der sogenannten Sharing Economy (vgl. Haucap 2015). vorgelegte Weißbuch des BMWi definiert digitale Plattfor- Nach Peitz und Schwalbe (2016: 233) umfasst dieser Sam- men als „internetbasierte Foren für digitale Interaktion und melbegriff aus ökonomischer Sicht unterschiedliche Ange- Transaktion“ (BMWi 2017: 21). Einen ähnlichen Begriff legt bote zur temporären exklusiven Nutzung oder Mitbenutzung Srnicek (2018: 46) zugrunde, der Plattformen als „digitale eines dauerhaften Gutes, etwa Unterkünfte (z. B. Airbnb) Infrastrukturen, die es zwei oder mehr Gruppen ermöglichen, oder Fahrzeuge (z. B. Uber). Aus verbraucherrechtlicher zu interagieren“, definiert. Geht man von einem solchen Perspektive bilden die Plattformen der Sharing Economy weit gefassten Begriffsverständnis aus, umfasst das Spektrum lediglich einen Teilbereich der Plattformökonomie, der je- digitaler Plattformen u. a. Suchmaschinen, Vergleichs- und doch einige besondere Regulierungsfragen aufwirft. Schwie- Bewertungsportale, Onlinemarktplätze und Handelsplatt- rigkeiten bereitet in der Sharing Economy insbesondere formen, Mediendienste, Onlinespiele, soziale Netzwerke die Abgrenzung zwischen professionellen Anbietern, die sowie Kommunikationsdienste (BMWi 2017: 21). unter den Unternehmerbegriff des § 14 BGB fallen, und Ein so umfassender Plattformbegriff verstellt jedoch den Privatanbietern (Prosumer), die nicht als Unternehmer_innen Blick auf die spezifischen Verbraucherrechtsfragen, die mit im Sinne des § 14 BGB zu qualifizieren sind (vgl. Haucap/ den jeweiligen Geschäftsmodellen verbunden sind. Für die Kehder 2018). folgenden Überlegungen soll daher ein engeres Begriffs- verständnis zugrunde gelegt werden. Im Mittelpunkt sollen dabei solche Plattformen stehen, die es Verbraucher_innen 2.2 DIGITALE PLATTFORMEN AUS ermöglichen, mit anderen Nutzer_innen – seien es Unter- ÖKONOMISCHER PERSPEKTIVE nehmer_innen oder Verbraucher_innen – einen Vertrag über Waren, Dienstleistungen oder digitale Inhalte zu schließen. Aus ökonomischer Sicht erfüllen digitale Plattformen unter- Dies entspricht im Wesentlichen der Definition des Begriffs schiedliche Funktionen. Zum einen erleichtern sie den Nut- „Online-Marktplatz“ im kürzlich vorgelegten Vorschlag für zer_innen die Suche nach passenden Transaktionspartner_ eine Novelle der Richtlinie über Rechte der Verbraucher (Euro- innen („Matching“). Sie führen als „Matchmakers“ (Evans/ päische Kommission 2018a: 40). Mit in den Blick genommen Schmalensee 2016) Anbieter und Nachfrager_in zusammen werden darüber hinaus auch Vergleichs- und Bewertungs- und reduzieren für beide Seiten die Suchkosten. Dies ist portale, die den Verbraucher_innen wichtige Informationen insbesondere dann von erheblicher Bedeutung, wenn die für den Abschluss von Verträgen zur Verfügung stellen. Nicht Präferenzen der Nachfrager_innen bezüglich der angebote- selten werden unterschiedliche Funktionen (Vergleich, Be- nen Güter sehr heterogen sind (z. B. Ferienunterkünfte) und wertung, Marktplatz) auch miteinander verknüpft und auf wenn es sich um kleine Transaktionen handelt (z. B. eine derselben Plattform angeboten. kurze Stadtfahrt). Die Suche nach dem passenden Angebot Aus dieser Perspektive betrachtet sind digitale Plattfor- wird dabei auf vielen Plattformen durch Matching-Algorith men keine völlig neue Erscheinung. Onlinemarktplätze wie men automatisiert (Hatzopoulos 2018: 11). etwa eBay, die es Verbraucher_innen ermöglichen, gebrauchte Darüber hinaus lösen digitale Plattformen das Problem, Waren anzubieten, gibt es seit den frühen Tagen des Inter- dass eine Transaktion nur dann zustande kommt, wenn An- nets (Riefa 2017). Neue technologische Entwicklungen, ins- bieter und Nachfrager_in über ein gewisses Maß an Ver-
VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE WISO DISKURS 7 trauen verfügen. Da sich die Nutzer_innen auf anonymen Verhältnisse zwischen Verbraucher_innen und Unterneh- Onlinemarktplätzen in der Regel nicht persönlich kennen, mer_innen geprägt wird (Busch et al. 2016: 4). besteht die Gefahr, dass das Zustandekommen von Transak- Mangels einheitlicher europäischer Regeln greifen die tionen am mangelnden Vertrauen der Marktteilnehmer_in- allgemeinen Vorschriften des nationalen Vertragsrechts ein. nen scheitert. In der Vergangenheit wäre es vielleicht zu Bei international tätigen Plattformen können dabei schnell riskant gewesen, die eigene Wohnung einem/einer Fremden drei verschiedene Vertragsrechte und damit drei unterschied- zu überlassen, ihn/sie als Mitfahrer_in im Auto mitzunehmen liche nationalstaatliche Regelungen auf komplexe und un- oder bei einem/einer unbekannten Onlinehändler_in ein- vorhergesehene Weise ineinandergreifen, etwa bei der Frage, zukaufen. Die bestehenden Informationsasymmetrien über- wer Vertragspartner_in geworden ist und unter welchen winden die Plattformbetreiber jedoch durch den Einsatz von Voraussetzungen der Plattformbetreiber für Störungen im Bewertungs- und Reputationsmechanismen. Dadurch senken Verhältnis zwischen Anbieter und Kunde/Kundin haftet die digitalen Plattformen nicht nur Transaktionskosten im (Busch et al. 2016). Vergleich zu anderen Geschäftsmodellen, sondern ermög- Im deutschen Vertrags- und Verbraucherrecht existieren lichen teilweise auch Vertragsschlüsse, die in der Vergan- bisher kaum spezifische Regelungen, die einem angemesse- genheit an prohibitiv hohen Transaktionskosten gescheitert nen Interessenausgleich bei Plattformgeschäften dienen. wären (Haucap 2015: 3). Zum Teil schaffen sie auf diese Zur Anwendung kommen daher die allgemeinen vertrags- Weise ganz neue Märkte, die es ohne die technologische rechtlichen Vorschriften und Prinzipien, allen voran der Entwicklung nicht gäbe. Grundsatz der Vertragsfreiheit (Maultzsch 2017). Danach In den hier knapp skizzierten Beispielen agiert der Be- steht es jedem/jeder grundsätzlich frei, seinen/ihren Ver- treiber der digitalen Plattform als Intermediär zwischen zwei tragspartner bzw. Vertragspartnerin frei zu wählen. Dem- (oder mehr) Nutzergruppen. Ökonom_innen beschreiben entsprechend kann sich auch der Plattformbetreiber grund- Plattformmärkte daher als „zweiseitige“ oder „mehrseitige“ sätzlich darauf beschränken, eine Vermittlerrolle zwischen Märkte (vgl. Rochet/Tirole 2003). Charakteristisch für sol- Anbietern und Kund_innen einzunehmen und seine Haftung che zwei- oder mehrseitigen Märkte ist das Auftreten von für Leistungsstörungen im Verhältnis zwischen Anbietern indirekten Netzwerkeffekten. Das bedeutet, dass der Nutzen und Kund_innen auszuschließen. Für die Beantwortung der Plattform für eine Nutzergruppe mit der Zahl und passen- der Frage, ob der Plattformbetreiber lediglich Vermittler den Zusammensetzung der Teilnehmer_innen der anderen oder selbst Vertragspartner eines Kauf-, Dienst- oder Werk- Nutzergruppe steigt. Aus diesem Grund neigen Plattform- vertrages ist, kommt es dabei maßgeblich auf den Empfän- märkte zu Konzentrationstendenzen (Demary 2016: 14). Die gerhorizont an. Größe der Marktmacht, die dabei entsteht, hängt unter an- derem davon ab, ob den Nutzer_innen die gleichzeitige Nut- zung verschiedener Plattformen („Multihoming“) möglich ist. Dies wiederum hängt entscheidend von der Höhe der Wech- selkosten ab. Sind diese Kosten zu hoch, besteht die Gefahr, dass Nutzer_innen in einer Plattform eingeschlossen wer- den („Lock-in“) und diese sehr marktmächtig wird. 2.3 DIGITALE PLATTFORMEN AUS JURISTISCHER PERSPEKTIVE Aus juristischer Sicht ist bei Transaktionen auf Plattformmärk- ten zu beachten, dass dort regelmäßig drei unterschiedliche Verträge ineinandergreifen, nämlich (1) der Vertrag zwischen Plattformbetreiber und Anbieter, (2) der Vertrag zwischen Plattformbetreiber und Kund_innen und (3) der Vertrag zwi- schen Anbieter und Kund_innen. Das deutsche und das europäische Verbraucherrecht se- hen bislang kaum spezifische Regelungen für die Konflikt- bewältigung bei derartigen Plattformgeschäften vor. Eine Ausnahme bildet die Pauschalreiserichtlinie (2015/2302/EU), die detaillierte Regelungen für Intermediäre enthält. Unter anderem wird dort geregelt, unter welchen Voraussetzun- gen eine Onlineplattform, die vorgeblich nur vermittelt, wie ein Pauschalreiseveranstalter zu behandeln ist (vgl. Tonner 2017: 162). Sieht man vom Pauschalreiserecht ab, so trägt das europäische Verbraucherrecht der wachsenden Bedeutung von Plattformgeschäften bislang jedoch nicht hinreichend Rechnung. Das Verbraucherrecht bleibt vielmehr einem traditionellen Modell verhaftet, das durch Zwei-Personen-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8 3 CHANCEN AUS VERBRAUCHERSICHT 3.1 VERBRAUCHER_INNEN ALS 3.2 VERBRAUCHER_INNEN ALS NACHFRAGER_INNEN ANBIETER (PROSUMER) Unbestreitbar bietet der Aufstieg der Plattformökonomie aus Verbraucher_innen können nicht nur als Nachfrager_innen Sicht der Verbraucher_innen eine Reihe von Vorteilen. Ins- von den Möglichkeiten der Plattformökonomie profitieren, besondere im Bereich der Sharing Economy sind neue An- sondern auch selbst zu Anbietern (Prosumer) werden. Pro- gebote entstanden, bereits existierende Märkte wurden minente Beispiele sind etwa Onlinemarktplätze (Ebay), räumlich erheblich erweitert und die Produktauswahl ver- Homesharing-Portale (Airbnb) und Carsharing-Plattformen größert (Peitz/Schwalbe 2016: 233; Haucap/Kehder 2018: 12). (BlaBlaCar). Verbraucher_innen können auf diese Weise un- Vergleichsplattformen können dazu beitragen, das oft un- genutzte Güter vermieten oder verkaufen und zusätzliche übersichtliche Angebot im Internet zu sortieren und aus der Einkommensquellen erschließen. Informationsflut jene Angaben herauszufiltern, die für den/ die Verbraucher_in von Interesse sind (Gurkmann 2018: 39). Ferner tragen Vergleichsplattformen durch die Ermöglichung von Preisvergleichen für zahlreiche Produktkategorien maß- geblich zur Preistransparenz im Internet bei und reduzieren die Suchkosten für Verbraucher_innen (Monopolkommission 2015: 351). Mehr Wettbewerb und neue Anbieter auf dem Markt bringen den Verbraucher_innen jedoch nicht nur preisliche Vorteile. Die von den Plattformbetreibern einge- setzten Reputationssysteme reduzieren auch Informations- asymmetrien hinsichtlich der Produktqualität und wirken zugleich disziplinierend auf die Anbieter. Durch die Regis- trierung von Anbietern und Nachfrager_innen auf der Platt- form kann sich auch die Sicherheit für beide Seiten erhöhen, etwa bei der Nutzung von Carsharing-Angeboten (Haucap 2015: 5). Die genannten Vorteile setzen allerdings voraus, dass die Plattform die erzielten Effizienzgewinne jedenfalls teilweise an die Verbraucher_innen weitergibt. Dies wiederum setzt voraus, dass ein funktionierender Wettbewerb auf den Plattformmärkten herrscht. Andernfalls droht die Gefahr von Marktkonzentration und Missbrauch von Marktmacht zum Nachteil der Verbraucher_innen.
VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE WISO DISKURS 9 4 RISIKEN AUS VERBRAUCHERSICHT UND HANDLUNGSOPTIONEN Neben den erwähnten Vorteilen birgt die Plattformökono- shops für Mobiltelefon-Applikationen („App Stores“) die- mie aus Verbrauchersicht jedoch auch eine Reihe von Risiken, ses Transparenzgebot nicht immer hinreichend beachtet die Anlass für ein gesetzgeberisches Eingreifen auf nationa- wird. Für Verbraucher_innen, die eine Applikation herunter- ler oder europäischer Ebene geben können. Exemplarisch sol- laden ist daher nicht immer klar genug erkennbar, dass sie len im Folgenden fünf Problemfelder kurz beleuchtet und einen Vertrag mit einem Drittanbieter abschließen und nicht mögliche Handlungsoptionen aufgezeigt werden: (1) Identi- mit dem Betreiber des App Store (SVRV 2016: 27 f.). Sofern tät des Vertragspartners bzw. der Vertragspartnerin; (2) Trans- die Gestaltung der Onlineplattform zu einer entsprechenden parenz von Rankings; (3) Reputationssysteme; (4) Porta- Zuordnungsverwirrung führt, könnte dies bereits nach gel- bilität von Reputationskapital und (5) Haftung des Platt- tendem Recht einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG formbetreibers. darstellen, der irreführende Angaben über die Identität des Bei der Erörterung der gesetzgeberischen Handlungsop Unternehmers/der Unternehmerin untersagt. tionen wird zum einen auf den am 11.4.2018 von der Euro- Aus Gründen der Klarstellung könnte es jedoch angezeigt päischen Kommission vorgelegten Vorschlag (Europäische sein, eine ausdrückliche Verpflichtung des Plattformbetrei- Kommission 2018a) zur Modernisierung der Verbraucher- bers zu statuieren, die Nutzer_innen der Plattform darüber rechterichtlinie (2011/83/EU) eingegangen, der einige – je- aufzuklären, dass sie einen Vertrag mit einer dritten Partei doch nicht alle – der genannten Problemfelder adressiert. abschließen. Der ursprüngliche Entwurf der Richtlinie über Ferner wird auf die derzeit laufenden Arbeiten einer Working Rechte der Verbraucher_innen sah in Art. 7 des Kommissions- Group des European Law Institute (ELI) zur Erarbeitung „Eu- vorschlages eine entsprechende Verpflichtung zur Informa- ropäischer Modellregeln für Online-Vermittlungsplattformen“ tion über die vertragliche Rolle vor (Europäische Kommis- eingegangen (vgl. Busch 2018). Dabei wird auf den im Som- sion 2008). In die endgültige Fassung der Richtlinie hat diese mer 2016 veröffentlichten „Diskussionsentwurf für eine Richt- Regelung jedoch – aus nicht klar erkennbaren Gründen – linie über Online-Vermittlungsplattformen“ (DiskE) Bezug keinen Eingang gefunden. genommen, der den Ausgangspunkt für die Arbeiten der Aufgegriffen wird dieser Regelungsvorschlag in Art. 11 ELI Working Group bildet (vgl. Busch et al. 2016). Ergän- Abs. 1 DiskE, der verlangt, dass der Plattformbetreiber die zend werden auch einige mögliche Vorbilder aus anderen Kund_innen rechtzeitig vor Abschluss eines Vertrages darüber europäischen Rechtsordnungen herangezogen. aufklärt, dass der Vertrag mit einem/einer Dritten und nicht mit dem Plattformbetreiber selbst zustande kommt. Verletzt der Plattformbetreiber diese Pflicht, so wäre zum einen denk- 4.1 IDENTITÄT DER bar, dass er selbst Vertragspartner wird. Denkbar wäre aller- VERTRAGSPARTNER_INNEN dings auch, dass eine Verletzung des Transparenzgebotes die vertragliche Rollenverteilung unberührt lässt und ledig- 4.1.1 VERTRAGLICHE ROLLENVERTEILUNG lich einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht aus dem Plattformbenutzungs- Für Verbraucher_innen, die auf Onlineplattformen Verträge vertrag auslöst. über Waren, Dienstleistungen oder digitale Inhalte schließen, ist häufig nicht hinreichend deutlich, ob eine vertragliche 4.1.2 STATUS DER VERTRAGSPARTNER_INNEN Bindung mit dem Plattformbetreiber oder mit einer dritten Partei zustande kommt. Ein entsprechender Irrtum liegt Aus Sicht der Verbraucher_innen ist nicht nur von Interesse etwa dann nahe, wenn ein Plattformbetreiber – wie etwa zu erfahren, mit wem eine vertragliche Bindung eingegan- Amazon – teils als Händler und teils als Vermittler tätig wird. gen wird, sondern auch, ob es sich dabei um einen Unter- Aus der Praxis ist ferner bekannt, dass in einigen Online- nehmer/eine Unternehmerin handelt oder nicht. Vom Status
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 des Vertragspartners/der Vertragspartnerin hängt etwa ab, fizierungen auf eindeutige Fälle beschränkt, dürfte dies keine ob dem/der Verbraucher_in ein Widerrufsrecht nach §§ 312g, übermäßige Belastung des Plattformbetreibers darstellen. 355 ff. BGB zusteht. Bislang sieht weder das deutsche noch das europäische Verbraucherrecht eine entsprechende Auf- 4.1.3 ANWENDBARKEIT DER UNIONSRECHT- klärungspflicht des Plattformbetreibers vor. Hier besteht LICHEN VERBRAUCHERRECHTE derzeit eine erhebliche Schutzlücke. Der Vorschlag für eine Modernisierung der Richtlinie über Der Vorschlag für eine Modernisierung der Richtlinie über Rechte der Verbraucher_innen (2011/83/EU) vom 11.4.2018 Rechte der Verbraucher (2011/83/EU) vom 11.4.2018 flan- sieht nunmehr in einem neu einzufügenden Art. 6a lit. b) kiert die Pflicht zur Aufklärung über den Status des Ver- vor, dass der Betreiber eines Onlinemarktplatzes die Verbrau- tragspartners/der Vertragspartnerin noch mit zwei weiteren cher_innen darüber informiert, „ob es sich bei dem Dritten, Transparenzgeboten. Der neu einzufügende Art. 6a lit. c) der die Waren und Dienstleistungen oder digitalen Inhalte sieht vor, dass der Betreiber des Onlinemarktplatzes den/ anbietet, um einen Verbraucher handelt oder nicht“. Diese die Verbraucher_in darüber aufklärt, „ob die in den Ver- Information soll der Plattformbetreiber „auf der Grundlage braucherschutzvorschriften der Union verankerten Verbrau- der Erklärung dieses Dritten zum Online-Marktplatz“ geben. cherrechte in Bezug auf den geschlossenen Vertrag An- Der Vorschlag der Kommission sieht also vor, dass der/die wendung finden oder nicht“. Welchen Inhalt diese zusätz- Dritte eine Selbstklassifizierung vornimmt, auf die sich der liche Informationspflicht haben soll, erschließt sich bei der Plattformbetreiber verlassen kann. Lektüre des Kommissionsvorschlages nicht auf den ersten Diese Regelung ist in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig. Blick. Offenbar geht es nicht um die Anwendbarkeit ver- Zum einen wird es für die dritte Partei in vielen Fällen nicht braucherrechtlicher Vorschriften ratione personae, da dies einfach sein, eine zutreffende Einordnung vorzunehmen. So bereits Gegenstand der Informationspflicht aus Art. 6a lit. b) ist etwa weitgehend unklar, wann ein_e Vermieter_in, der/ ist. Denkbar wäre zum einen eine Aufklärung über die in die eine oder mehrere Wohnungen über Airbnb anbietet, sachlicher Hinsicht auf den Vertrag anwendbaren Bestim- die Schwelle zum/zur Unternehmer_in im Sinne des § 14 BGB mungen des Verbraucherrechts (etwa zwingende Gewähr- überschreitet (vgl. Domurath 2017: 120). Ein Rückgriff etwa leistungsregeln oder das Bestehen eines Widerrufsrechts). auf die Schwellenwerte des Zweckentfremdungsrechts er- Dagegen spricht jedoch Erwägungsgrund Nr. 19 des Kom- scheint angesichts der unterschiedlichen Schutzzwecke nicht missionsvorschlags, der betont, dass die Betreiber des Online- sachgerecht. Im Übrigen wäre es kaum zu erklären, warum marktplatzes „nicht verpflichtet werden, bestimmte Ver- die Schwelle des § 14 BGB für Vermieter_innen in Frankfurt braucherrechte aufzulisten“. Denkbar wäre weiterhin eine bereits nach acht Wochen überschritten wird, in Hamburg Pflicht zur Aufklärung darüber, ob bei einem Vertrag mit dagegen erst nach 182 Tagen. Erforderlich wäre vielmehr ein einem Anbieter aus einem Drittstaat (z. B. China) europäisches einheitlicher (vielleicht sogar europäischer) Schwellenwert Verbraucherrecht Anwendung findet. Dies setzt jedoch eine nach Art und Anzahl der Transaktionen. nicht ganz einfache kollisionsrechtliche Prüfung anhand von Unabhängig von der Frage nach der Festlegung eines Art. 6 Rom I-VO voraus, die wohl kaum vom Plattformbe- Schwellenwertes erscheint es ferner nicht überzeugend, dass treiber erwartet werden kann. Vor diesem Hintergrund er- sich der Plattformbetreiber auf eine – möglicherweise fehler- scheint eine Klarstellung der gesetzgeberischen Zielsetzung hafte – Selbstklassifizierung des/der Dritten verlassen können von Art. 6a lit. c) des Kommissionsvorschlags dringend ge- soll. Für den Plattformbetreiber dürfte es ohne größeren boten. Ebenfalls unklar ist die Reichweite der Informations- technischen Aufwand möglich sein, die ursprüngliche Selbst- pflicht aus Art. 6a lit. d) des Kommissionsvorschlags, der klassifizierung anhand der ihm verfügbaren Transaktions- bestimmt, dass der Betreiber des Onlinemarktplatzes darüber daten (z. B. Anzahl und Art der Transaktionen, Umsatzzah- informiert, „welcher Unternehmer zu gewährleisten hat, len) zu überprüfen. Daher erscheint es sachgerecht, den dass die in den Verbraucherschutzvorschriften der Union Plattformbetreiber als „regulatory intermediary“ (vgl. Abbott verankerten Verbraucherrechte in Bezug auf den Vertrag et al. 2017) in die Pflicht zu nehmen. Jedenfalls in eindeuti- Anwendung finden“. Auch hier bedarf es einer Klarstellung gen Fällen könnte der Plattformbetreiber daher verpflichtet im Text der geplanten Richtlinie. werden, den Anbieter zur Korrektur der fehlerhaften (oder fehlerhaft gewordenen) Selbstklassifizierung aufzufordern oder dies selbst vorzunehmen. Dabei handelt es sich zugleich 4.2 TRANSPARENZ VON RANKINGS um ein Beispiel einer „data-driven delegation“, wie sie etwa Sundararajan (2016: 155) für die Plattformökonomie vorge- Die auf der Plattform verfügbaren Angebote werden den schlagen hat. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Verbraucher_innen üblicherweise in Form von Suchergeb- dem Plattformbetreiber verfügbaren Nutzer- und Transak- nislisten präsentiert (z. B. eine Liste von Unterkünften auf tionsdaten eine rechtliche Verpflichtung zum Handeln be- Booking.com). Die Platzierung („Ranking“) in der Ergebnis- gründen können. liste hat entscheidenden Einfluss auf die Auswahl, die von Eine entsprechende Ergänzung des Kommissionsvorschlags den Verbraucher_innen getroffen wird. Dabei haben die vom 11.4.2018 wäre als Lex specialis zu Art. 15 Abs. 1 der Nutzer_innen der Plattform die legitime Erwartung, dass E-Commerce Richtlinie (2000/31/EG) zu verstehen, der es die Listen mit Suchergebnissen auf einem „neutralen“ den Mitgliedstaaten bislang verwehrt, den Plattformanbietern Suchalgorithmus beruhen. Dementsprechend ist es bereits eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen. Sofern nach geltendem Recht als irreführende Werbung einzuord- sich die Verpflichtung zur Korrektur fehlerhafter Selbstklassi- nen, wenn auf einem Hotelbuchungsportal Zahlungen eines
VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE WISO DISKURS 11 Hotels an den Portalbetreiber das Ranking beeinflussen 4.3 REPUTATIONSSYSTEME (LG Berlin, Beschluss vom 25.8.2011, Az. 16 O 418/11; siehe auch LG München, Urteil v. 18.3.2015, Az. 37 O 19570/14). Reputationssysteme, d. h. technische Systeme zur Sammlung, Ebenfalls irreführend ist es, wenn der Betreiber eines Preis- Verarbeitung und Veröffentlichung von Kundenbewertungen, vergleichsportals für Bestattungsdienstleistungen die Nutzer_ bilden einen zentralen Baustein im Geschäftsmodell der innen nicht darüber aufklärt, dass im Preisvergleich nur sol- meisten digitalen Plattformen. Wie eingangs bereits erläutert che Anbieter erfasst sind, die sich gegenüber dem Portal- (siehe oben 2.2), tragen die Reputationssysteme maßgeblich betreiber zur Zahlung einer Provision verpflichtet haben dazu bei, dass zwischen den Plattformnutzer_innen das für (BGH, Urteil vom 27.4.2017, Az. I ZR 55/16). In gleicher die Eingehung von Verträgen erforderliche Vertrauen ent- Weise dürfte ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot steht. Durch das Instrument der Kundenbewertungen werden anzunehmen sein, wenn der Plattformbetreiber nicht darü- Regelverstöße auf der Plattform sanktioniert. Im Wiederho- ber aufklärt, dass die Platzierung in der Suchergebnisliste lungsfall droht sogar der Ausschluss von der Plattform. Umge- durch eine gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen dem gekehrt sammeln vertrauenswürdige Nutzer_innen, die positi- Anbieter und dem Plattformbetreiber beeinflusst wurde ve Bewertungen erhalten, „Reputationskapital“, das ihnen den (vgl. Art. 6 DiskE und Art. L111-7 des französischen Code Abschluss künftiger Transaktionen erleichtert (Luca 2016). de la Consommation). Die vertrauensfördernde und marktstabilisierende Funk- Der Vorschlag für eine Modernisierung der Richtlinie über tion von Kundenbewertungen setzt allerdings voraus, dass Rechte der Verbraucher (2011/83/EU) vom 11.4.2018 geht das Reputationssystem zuverlässig und weitgehend frei von noch einen Schritt weiter und sieht in einem neu einzufü- Manipulationen funktioniert (vgl. Edelmann 2017; Busch 2016). genden Art. 6a lit. a) vor, dass der Betreiber des Online- Zahlreiche Berichte über gefälschte Bewertungen deuten marktplatzes „die Hauptparameter für das Ranking der An- darauf hin, dass dies in der Praxis nicht immer der Fall ist. gebote, die dem Verbraucher als Ergebnis seiner Suchanfra- Teilweise wird der Anteil gefälschter Bewertungen auf bis zu ge auf dem Online-Marktplatz präsentiert werden“ anzuge- 25 Prozent geschätzt (Marktwächter Digitale Welt 2018: 8). ben hat. Auf den ersten Blick scheint dies eine begrüßens- Die Manipulationsanfälligkeit hängt dabei stark von der werte Transparenzregel zu sein. Es ist jedoch zweifelhaft, Ausgestaltung des Reputationssystems ab. „Geschlossene“ welchen Mehrwert eine solche Angabe für die Verbraucher_ Systeme, die eine Bewertung nur nach einer verifizierten innen haben soll. So erklärt etwa Airbnb, dass der Algorith- Transaktion ermöglichen (z. B. Airbnb), sind weniger mani- mus, der die Suchrangfolge von Unterkünften festlegt „fast pulationsanfällig als „offene“ Systeme (z. B. Amazon), in 100 verschiedene Faktoren“ berücksichtigt (Airbnb 2018). denen eine Bewertung auch ohne Transaktion möglich ist. Das Beispiel zeigt, dass eine umfassende Aufklärung aus Hinzu kommt, dass die Onlineplattformen Prüfmechanismen Verbrauchersicht kaum praktikabel wäre. Hinzu kommt eine von unterschiedlicher Effektivität verwenden (vgl. Markt- wichtige Einschränkung des Transparenzgebotes im Erwä- wächter Digitale Welt 2018: 25). gungsgrund Nr. 19 des Kommissionsvorschlags. Danach gilt Aus rechtspolitischer Sicht wäre daher zu erwägen, ob die Pflicht zur Offenlegung der Rankingparameter „unbe- gesetzliche Mindestanforderungen für Reputationssysteme schadet etwaiger Geschäftsgeheimnisse in Bezug auf die festgelegt werden können. Dabei sollte allerdings darauf ge- zugrundeliegenden Algorithmen“. Diese Einschränkung er- achtet werden, dass die Anforderungen möglichst technik- scheint sachgerecht, da der Plattformbetreiber zum einen ein neutral formuliert werden und weiterhin genügend Spielraum legitimes Interesse am Schutz seiner Geschäftsgeheimnisse hat für den Wettbewerb zwischen Plattformen mit unterschied- und zum anderen eine umfassende Offenlegung den Such- lichen Reputationssystemen belassen. Dem würde am ehes- algorithmus angreifbar machen würde für Manipulationen. ten eine möglichst offen formulierte Regelung entsprechen, In der Sache geht es weniger um die Herstellung von nach der die Reputationssysteme den Anforderungen der vollständiger Transparenz gegenüber den Nutzer_innen „unternehmerischen Sorgfalt“ (§ 1 Nr. 7 UWG) genügen der Plattform als vielmehr um eine Frage nach „Algorithmic müssen. Die erforderliche Konkretisierung in rechtlicher und Accountability“ (vgl. Kroll et al. 2017; Busch 2018a). Ziel- technischer Hinsicht könnte durch einen freiwilligen euro- führender als eine kaum praktikable Algorithmen-Trans- päischen Standard erfolgen, der unter dem Dach des euro- parenz gegenüber Verbraucher_innen wäre eventuell die päischen Normungskomitees erarbeitet wird. Als Vorbild Einführung behördlicher Befugnisse zur Durchführung eines könnte dabei beispielsweise die im Juni 2018 veröffentlichte „Algorithmen-Audit“ für Ranking-Algorithmen (vgl. Mittel- ISO-Norm 20488:2018 (Online Consumer Reviews) dienen, stadt 2017). Im Rahmen einer solchen Überprüfung könnte die Anforderungen an Onlinereputationssysteme festlegt. der dem Ranking zugrunde liegende Algorithmus anhand Die Verknüpfung zwischen den beiden Regelungsebenen eines standardisierten Test-Datensatzes überprüft werden, würde – ähnlich wie im europäischen Produktsicherheits- um mögliche Verzerrungen oder Manipulationen zu ermit- recht – durch eine „Konformitätsvermutung“ erfolgen: Zu- teln (vgl. Economist 2018). Entsprechende Befugnisse zur gunsten eines Plattformbetreibers, der den freiwilligen Stan- Durchführung regelmäßiger oder anlassbezogener Audits dard einhält, wird vermutet, dass sein Reputationssystem könnten im Bereich von Telekommunikations- und Finanz- den Anforderungen der „unternehmerischen Sorgfalt“ ge- dienstleistungen den in diesen Bereichen bereits zuständigen nügt. Angesichts der dynamischen technischen Entwicklung Behörden übertragen werden (BNetzA, BaFin). Für andere im Bereich der Plattformökonomie hätte ein solcher Rege- Branchen könnte das Bundeskartellamt (BkartA) diese Auf- lungsansatz den Vorteil, dass er ein hohes Maß an Flexibilität gabe übernehmen. mit der für Verbraucher_innen und Anbieter erforderlichen Rechtssicherheit verbindet (vgl. Busch 2018: 164).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 Nicht nur die Kund_innen sind an wahrheitsgemäßen Be- online gestellt werden, nicht von Art. 20 Abs. 1 DSGVO er- wertungen interessiert, auch den Anbietern – gleich ob fasst sein. Unternehmer_in oder Prosumer – ist daran gelegen, dass Insbesondere in Fällen, in denen Verbraucher_innen als ihre Bewertungen der Wahrheit entsprechen. Dies schließt Anbieter (Prosumer) auf Plattformen der Sharing Economy auch die Möglichkeit des effektiven Rechtsschutzes gegen tätig werden, besteht angesichts des zu eng gefassten An- herabsetzende oder ungerechtfertigte Einzelbewertungen wendungsbereichs von Art. 20 Abs. 1 DSGVO die Gefahr ein. In Bezug auf diese Frage ist inzwischen eine belastbare von Lock-in-Effekten. Da auf einigen Onlineplattformen Rechtsprechungslinie erkennbar, die im Wesentlichen auf wechselseitige Bewertungen abgegeben werden, kann ein eine „Prozeduralisierung“ der Plattformverantwortung hinaus- Wechsel auch für Verbraucher_innen, die als Nachfrager_ läuft (Hofmann 2017). Zwar unterliegen Kundenbewertun- innen tätig werden, erschwert werden. Hier sollte der Ge- gen grundsätzlich als Meinungsäußerung dem Schutz des setzgeber durch eine ergänzende Portabilitätsregelung Ab- Art. 5 Abs. 1 GG. Bei der erforderlichen Abwägung zwischen hilfe schaffen. Die DSGVO steht dem nicht entgegen, da Meinungsfreiheit und dem in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleis- Reputationsdaten von Art. 20 Abs. 1 DSGVO gerade nicht teten Persönlichkeitsschutz spielt allerdings die Frage nach erfasst werden und damit nicht unter eine etwaige Sperr- dem Wahrheitsgehalt der Tatsachenbasis, auf die sich die wirkung der unionsrechtlichen Regelung fallen. Bewertung gründet, eine entscheidende Rolle. Bestreitet Ein Muster für eine mögliche Regelung liefert Art. 8 der/die Bewertete hinreichend substantiiert, dass es über- Abs. 5 DiskE. Danach muss der Plattformbetreiber bei Be- haupt einen Kundenkontakt gegeben habe, so darf sich der endigung des Plattform-Anbieter-Vertrages oder des Platt- Plattformbetreiber nicht auf eine bloß formale Prüfung be- form-Kund_innen-Vertrages Mittel zur Verfügung stellen, schränken, sondern muss den/die Autor_in der Bewertung um die vorhandenen Bewertungen in einer strukturierten, auffordern, den angeblichen Kundenkontakt zu belegen allgemein gebräuchlichen und maschinenlesbaren Form in (BGH, Urteil vom 1.3.2016, VI ZR 34/15). Eine zusätzliche ein anderes Reputationssystem zu übertragen. Art. 8 Abs. 5 Stärkung hat die Rechtsposition des/der Bewerteten mit lehnt sich in seiner Formulierung an Art. 20 Abs. 1 DSGVO dem Inkrafttreten des NetzDG erfahren, durch das im Okto- an, sieht aber anders als diese Vorschrift nicht vor, dass ber 2017 in § 14 Abs. 3 TMG ein Anspruch des/der Betrof- der/die Betroffene zunächst selbst die Daten erhalten kann, fenen gegen den Portalbetreiber auf Auskunft über die um sie anschließend an eine andere Plattform weiterzuge- Identität des/der Bewertenden bei schwerwiegenden Ver- ben. Diese Variante der Datenportabilität würde die Gefahr letzungen des Persönlichkeitsrechts geschaffen wurde. Ob bergen, dass die Reputationsdaten manipuliert werden. sich diese Regelung, die einen Richtervorbehalt vorsieht, Daher sollte eine entsprechende Regelung ausschließlich in der Praxis bewährt, bleibt abzuwarten. einen direkten Transfer der Reputationsdaten zwischen den Plattformbetreibern zulassen. Noch zu klären wäre, ob der ursprüngliche Plattformbetreiber eine angemessene Vergü- 4.4 PORTABILITÄT VON REPUTATIONSKAPITAL tung für den von ihm betriebenen Aufwand beim Aufbau und Betrieb des Reputationssystems verlangen kann. Die (positiven) Bewertungen, welche der/die Nutzer_in einer digitalen Plattform von Dritten erhalten hat, bilden gewisser- maßen ihr „Reputationskapital“. Werden Nutzer_innen da- 4.5 HAFTUNG DER PLATTFORMBETREIBER ran gehindert, bei einem Wechsel zu einer anderen Plattform ihre jeweiligen Reputationsdaten auf die neue Plattform zu Noch weitgehend ungeklärt sind haftungsrechtliche Fragen übertragen, so erhöht dies in ganz erheblicher Weise die im Dreieck aus Anbieter, Plattformbetreiber und Verbraucher_in Wechselkosten. Dies kann zu Lock-in-Effekten führen und (SVRV 2016: 25). Weder das deutsche noch das europäische den Wettbewerb zwischen Plattformen beeinträchtigen Verbraucherrecht enthalten spezifische Regelungen für sol- (vgl. Monopolkommission 2016: 1.241). che Fallgestaltungen. Die Plattformbetreiber selbst schließen Auf den ersten Blick scheint Art. 20 Abs. 1 der EU-Daten- in ihren AGB regelmäßig die Haftung für Schäden aus, die schutz-Grundverordnung (DSGVO), der ein Recht auf Da- Verbraucher_innen bei der Nutzung der von ihnen vermit- tenportabilität begründet, eine Rechtsgrundlage für die telten Dienste erleiden (Gurkmann 2018: 41). Sucht man Übertragung von Reputationsdaten zu liefern. Allerdings nach einer Anknüpfung für eine Haftung des Plattformbe- betrifft Art. 20 Abs. 1 DSGVO nur solche Daten, welche die treibers, so kommt aus Sicht des deutschen Vertragsrechts betroffene Person dem/der Verantwortlichen (also etwa dem zum einen ein Rückgriff auf § 311 Abs. 3 BGB (Sachwalter- Plattformbetreiber) „bereitgestellt“ hat. Die Art. 29-Daten- haftung) und zum anderen eine Ableitung von Schutzpflich- schutzgruppe spricht sich in ihren Guidelines zum Recht auf ten gem. § 241 Abs. 2 BGB aus dem Plattformnutzungs- Datenübertragbarkeit für eine weite Auslegung dieses Be- vertrag in Betracht (vgl. Hauck/Blaut 2018: 1.425). griffs aus (Article 29 Data Protection Working Party 2017: 10; Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Gewährleis- vgl. Strubel 2017). Bereitgestellt seien danach sowohl Daten, tung eines „level playing field“ im europäischen Binnenmarkt die der/die Betroffene aktiv und bewusst dem/der Verant- erscheint jedoch eine explizite Regelung zur Haftung von wortlichen zur Verfügung stellt, als auch Daten, die aufgrund Onlineplattformen auf europäischer Ebene sinnvoll. Ein Mo- der Nutzung des Services und eines Trackings oder einer dell für ein mögliches Haftungsregime, das die Interessen der Beobachtung durch den/die Verantwortliche_n anfallen drei Beteiligten im Plattformdreieck in einen angemessenen („observed data“). Selbst bei Zugrundelegung dieser sehr Ausgleich bringt, liefern die Art. 16 ff. DiskE. Dabei betont weiten Auslegung dürften Bewertungen, die von Dritten Art. 16 Abs. 1 DiskE zunächst den Grundsatz, dass ein Platt-
VERBRAUCHERSCHUTZ IN DER PLATTFORMÖKONOMIE WISO DISKURS 13 formbetreiber, der sich gegenüber Kund_innen und Anbie- tern hinreichend deutlich als Vermittler darstellt, grundsätzlich nicht für Leistungsstörungen im Verhältnis zwischen Anbieter und Kund_innen haftet. Eine Ausnahme von diesem Grund- satz kommt nach Art. 18 DiskE insbesondere dann in Be- tracht, wenn der Kunde/die Kundin vernünftigerweise darauf vertrauen darf, dass der Plattformbetreiber einen beherr- schenden Einfluss auf den Anbieter hat und – so mag man ergänzen – diesen Einfluss zum Schutz des Kunden/der Kundin ausübt. Dabei handelt es sich im Kern um einen Fall der Vertrauenshaftung. Erweckt der Plattformbetreiber durch sein Auftreten den Eindruck, dass er Abschluss und Durch- führung des Vertrages zwischen Anbieter und Kund_innen in den Händen hält, so muss er für das dadurch geschaffe- ne Vertrauen einstehen. In ökonomischer Hinsicht liegt dem der Gedanke zugrunde, dass digitale Plattformen als ein Hybrid zwischen den beiden klassischen Formen der Organisation von Produktionsab- läufen – „firm“ und „market“ – angesehen werden können (Sundararajan 2016: 77 ff.; Tomassetti 2016). Insbesondere die moderne Informationstechnologie erlaubt es den Platt- formbetreibern, datenbasierte Governancestrukturen zu schaffen und auf diese Weise die dezentrale Produktion von Gütern zu kontrollieren, ohne auf zentralisierte Organisations- strukturen und fest gefügte gesellschaftsrechtliche Struktu- ren zurückgreifen zu müssen. Gleichzeitig ist in der Platt- formökonomie der Grad an Kontrolle über die einzelnen Leistungserbringer_innen durch den Einsatz von Informations- technologie erheblich größer, als dies bei marktbezogenen Transaktionen üblicherweise der Fall ist. Aus dieser Perspek- tive betrachtet bewegen sich die Geschäftsmodelle digitaler Plattformen in einem Kontinuum zwischen Organisation („firm“) und Transaktion („market“). Erreicht die – für den Kunden/die Kundin erkennbare – Kontrolldichte ein bestimm- tes Niveau, so steht das Geschäftsmodell dem Typus „firm“ so nahe, dass eine Haftung der Plattform auch unter dem Gesichtspunkt einer Parallelisierung von Risikobeherrschung und Haftungsverantwortung gerechtfertigt ist (vgl. Busch 2018, 162 f.). Die hier skizzierte Unterscheidung lässt sich am Beispiel des Geschäftsmodells von Airbnb veranschauli- chen. So dürfte es bei der klassischen Variante von Airbnb an den Voraussetzungen für eine Vertrauenshaftung des Plattformbetreibers fehlen. Zwar übernimmt Airbnb eine wesentliche Rolle beim Abschluss des Vertrages zwischen Gast/Gästin und Gastgeber_in und kontrolliert die Zahlungs- abwicklung. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der/die Platt- formnutzer_in vernünftigerweise darauf vertrauen darf, dass der Plattformbetreiber einen beherrschenden Einfluss auf den Anbieter hat und dessen Leistungserbringung kontrol- liert. Anders liegen die Dinge dagegen bei dem unlängst neu eingeführten Geschäftsmodell „Airbnb plus“. Für Un- terkünfte, die in diese Kategorie fallen, wirbt Airbnb mit dem Versprechen eines „verifizierten Komforts“ und gibt an, dass ein Airbnb-Partner jede Unterkunft persönlich be- sichtigt (Airbnb 2018). Sofern diese Aussagen nicht sogar ein eigenständiges Leistungsversprechen von Airbnb be- gründen, dürften sie doch zumindest eine hinreichende Grundlage für eine Vertrauenshaftung des Plattformbetrei- bers bilden.
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