360-Grad-Touchpoint-Management - Muss unsere Marke jetzt twittern?

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360-Grad-Touchpoint-Management - Muss unsere Marke jetzt twittern?
360-Grad-Touchpoint-Management –
Muss unsere Marke jetzt twittern?
Wie Entscheidungsträger im B2C und B2B den Marktbearbeitungs-Mix im dynamischen Umfeld ganz-
heitlich effizient und effektiv steuern können, um Investitionen im Markt- und Markenmanagement zu
optimieren, erläutert dieser Beitrag. Zentral ist die Messbarkeit der kundenseitigen Wirkung von Touch-
points zur Bestimmung des optimalen Marktbearbeitungs-Mix sowie zur Maximierung des ROI.

                                        Christoph Spengler | Werner Wirth | Renzo Sigrist

A  us der Unternehmensperspektive betrachtet besteht die begrün-
   dete Gefahr, dass immer mehr instrumentelle, personelle und
   finanzielle Mittel eingesetzt werden müssen, um (potenzielle)
Kunden heute überhaupt noch zu erreichen, für sich zu gewinnen,
zu begeistern und zu binden (Lindstrom 2005). So ist es durchaus
                                                                    Analyse- und Optimierungskonzept baut auf neuen Erkenntnissen
                                                                    der Konsumenten- und Medienforschung und wurde im Rahmen
                                                                    einer Forschungskooperation mit der Universität Zürich validiert.

                                                                    Strategie- und Maßnahmenentwicklung
verständlich, dass in vielen Unternehmen Unsicherheit besteht,
welche Strategien und Maßnahmen im Markt- und Markenma-             von „außen nach innen“
nagement erfolgversprechend sind.                                   Damit das gesamte Potenzial im Markt- und Markenmanagement
  Wo und wie erleben Kunden die Marke heute – und in Zukunft?       bestmöglich ausgeschöpft werden kann, ist eine ganzheitliche Sicht
In dieser Auseinandersetzung mit den vielfältigen Berührungs-       auf das Unternehmen aus der Perspektive von (potenziellen) Kun-
punkten zwischen Unternehmen und (potenziellen) Kunden              den vorteilhaft. Eine Strategie- und Maßnahmenentwicklung von
rücken die absatzseitigen Touchpoints in den Fokus der Strategie-   „außen nach innen“ erhöht nicht nur die Entscheidungssicherheit,
und Maßnahmenplanung (Spengler/Müller 2008, S. 223). Das Zür-       sondern führt auch nachvollziehbar zur Steigerung der Kontakt-
cher Beratungs- und Research-Unternehmen Accelerom AG zeigt         und Servicequalität sowie zur Stärkung der Marke. Basierend auf
mit dem von ihm entwickelten 360-Grad-Touchpoint-Management         gewonnenen Handlungserkenntnissen aus der 360-Grad-Touch-
auf, wie Fehlinvestitionen in Vertrieb und Marketing verhindert     point-Untersuchung (vgl. Abbildung 1) kann eine durchgehende
und die Performance gesteigert werden kann. Das ganzheitliche       Kundenorientierung im Unternehmen verstärkt und die Team­

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360-Grad-Touchpoint-Management - Muss unsere Marke jetzt twittern?
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arbeit über die traditionellen Grenzen einzelner Disziplinen wie       zufriedenheit wie die zuvor genannte Kontaktqualität. Umso
Vertrieb, Marketing, Kommunikation und Service zielführend             erfolgskritischer ist es, die Kontaktqualität und die Prozessqualität
organisiert werden. Eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit       ganzheitlich im Sinne eines hervorragenden „markentypischen
kombiniert mit Veränderungsbereitschaft ist Grundlage für die          Kundenerlebnisses“ zu optimieren, um Kundenzufriedenheit
erfolgreiche Umsetzung eines ganzheitlichen Touchpoint Manage-         sicherzustellen und sich von Mitbewerbern vorteilhaft zu unter-
ments in der Praxis.                                                   scheiden.

Stellhebel für das markentypische Kundenerlebnis                       Geschäftsmodelle der neuen Realität anpassen
Ausgangspunkt für ein ganzheitliches Markt- und Markenmanage-          Im Praxisalltag sind Entscheidungsträger in Vertrieb und Marketing
ment sind die Kundenkontaktpunkte entlang der Wirkungskette,           laufend gefordert, die Kosten-Nutzen-Effizienz und die Effektivität
die vom Erstkontakt über den Kauf bis hin zur Loyalität führt. Die     der Marktbearbeitung zu optimieren (Reinecke 2006, S. 6 ff.). Die
Erlebniswelt des Kunden (Customer Experience) erstreckt sich           Gründe für diesen Leistungsdruck sind vielfältig. Bedeutende unter-
dabei über sämtliche Interaktionen mit einer Marke oder einem          nehmensexterne und -interne Faktoren sind u.a. intensivierter glo-
Unternehmen. Durch jeden Kontakt wird die Markenwahrneh-               baler Wettbewerb, zunehmende Austauschbarkeit der Angebote,
mung geprägt und die Zufriedenheit gesteigert oder verringert.         angespannte Budgetsituation, Atomisierung medialer Marktbear-
Dabei hat die eigentliche Kontaktqualität (z. B. Freundlichkeit oder   beitungskanäle oder zunehmende Zielgruppenfragmentierung.
kompetente Beratung) nicht immer den höchsten Stellenwert.                Im Touchpoint Management geht es somit vermehrt auch darum,
Jedem bekannt ist die Interaktion mit einem Call Center: Kurze         die Anpassung des Geschäftsmodells an die neuen Rahmenbedin-
Wartezeiten und Flexibilität bei der Problembehandlung sind bei        gungen zu gewährleisten, um die Wettbewerbsfähigkeit und Wert-
unzufriedenen Kunden in der Regel relevantere Kriterien als eine       schöpfung für das Unternehmen in Zukunft sicherzustellen. Vor
freundliche Bedienung. Die Prozessqualität hat in diesem Beispiel      diesem Hintergrund wird zunehmend Klarheit gefordert, welchen
somit einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die Kunden-          Stellenwert bestimmte Marktbearbeitungsmaßnahmen für das

Abb. 1 360-Grad-Touchpoint-Universum

                                                      User Forum @     Ratgeberbroschüre @
                                            Experten Tipp @                    Plakat
                                                                   100
                                      Testzeitschrift                                 Werbung in Zeitschriften
                                                                    80
                              Bericht Zeitung                                              Flyer
                                                                    60
                  Preisvergleichsportal @                           40                         Webseite @
                                                                    20
                     Suchmaschine @                                                               Checkliste @
                                                                     0
                  Gespräch Freunde                                                                              Banner/Popup @

                 Telefonat Hotline                                                                               Schaufenster

                   E-Mail-Anfrage @                              0            0                                 Produktinfo Verpackung
                                                            20                    20
                                                       40                              40
                Angebot Kundenkarte               60                                        60                Auskunft Kasse
                                             80                                                  80
                                       100                                                            100
                       Prämienkatalog @                                                                     Pers. Beratung
                          Geschenkgutschein                                                Werbung Eingang
                                   Newsletter @                                       Aktionsständer
                                       Kundenmagazin                           Proben/Verkostung
                                                Infoscreen @           Event/Aktionstag

                 POS                         ONE-TO-ONE                            INDIRECT                                      MASS

                                                                                                                                  Quelle: Accelerom AG

Marketing Review St. Gallen   2 | 2010                                                                                                             15
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| GANZHEITLICHE STEUERUNG |

Unternehmen haben und was sie tatsächlich zum Erfolg beitragen           Praxisbeispiel: TCS kundenorientiert mit
(Porák 2005, S. 163). Eine in diesem Zusammenhang häufig von Filial-     innovativem Touchpoint Management
unternehmen gestellte Untersuchungsfrage betrifft den zukünftigen        in die Zukunft steuern.
Stellenwert des physischen Point of Sale (POS) als Entscheidungs-
ort. Führen neue Nutzungsgewohnheiten zu einem Bedeutungsver-
lust der traditionellen Verkaufsstelle? Welche Chancen ergeben sich
daraus? Weitergehende Analysen der prioritären Touchpoints zei-
gen den Stellenwert der unterschiedlichen Interaktionskategorien
aufgrund ihrer Breiten- und Tiefenwirkung (vgl. Abbildung 2).
   Illustratives Praxisbeispiel: Anteil an POS und Vertrieb, klas-
sischen Massenmedien, indirekter Kommunikation und persön-
licher One-to-One-Kommunikation, sowie On- und Offline-
Touchpoints im untersuchten Markt.

            Praxisbeispiel: Erfolgreich mit dem
            „markentypischen Kundenerlebnis“                             Mit 1,6 Millionen Mitgliedern ist der Touring Club
                                                                         Schweiz – Non-Profit-Organisation mit Hauptsitz in
                                                                         Genf – in den Bereichen Personen- und Fahrzeugas-
                                                                         sistance die führende Organisation in der Schweiz.
                                                                         Seine 250 Patrouilleure erledigen jedes Jahr rund
                                                                         300.000 Pannen und garantieren eine Weiterfahrquote
                                                                         von über 86 %. Der TCS – Gründungsjahr 1896 – verfügt
                                                                         heute über führende Dienstleistungen wie ETI-Schutz-
                                                                         brief, Assista-Rechtsschutz, Auto-TCS-Autoversiche-
                                                                         rung und die «Touring»-Zeitung. Als wichtiger Akteur in
                                                                         Konsumentenschutzfragen führt der TCS jedes Jahr
                                                                         Maßstab setzende Tests durch. Mit seinen 24 Sektionen
            Mit über 1.200 Geschäften ist Marionnaud Europas größ-       ist der TCS in Mobilitätsfragen heute profilierter
            ter Parfüm- und Kosmetikeinzelhändler und in über 13         Ansprechpartner kantonaler und nationaler Behörden.
            Ländern präsent. Seit 2005 gehört Marionnaud zur A.S.        Seit über 100 Jahren setzt sich der TCS mit Sensibilisie-
            Watson Group, der weltweit größten Health- und Beauty-       rungskampagnen und Studien zur Verkehrsinfrastruk-
            Handelsgruppe. Der Marktführer beschäftigt in der            tur für die Verkehrssicherheit von Kindern und Erwach-
            Schweiz mit über 100 Verkaufsstellen mehr als 700 Mit-       senen ein. Als Leader in der Zweiphasen-Ausbildung
            arbeitende. Marionnauds Konzept: Das Fachgeschäft für        mit schweizweit 28 Kursstandorten, davon 13 Fahrpis-
            Parfüms und Beauty-Produkte im Luxussegment mit              ten, nimmt er auch eine wichtige Rolle in der Verkehrs-
            individueller Beratung. Accelerom untersuchte in ver-        erziehung war. Der TCS verfügt in der Schweiz über 18
            schiedenen Märkten die Erfolgsfaktoren der Einzelhan-        Technische Zentren, drei Fahrtrainingszentren, zwei
            delsmarke und die relevanten Touchpoints für eine nach-      Verkehrssicherheitszentren, 32 Campingplätze und
            haltige internationale und lokale Marktdurchsetzung.         zwei Hotels. Rund jeder zweite Haushalt hat volles Ver-
            „In unserer kundenorientierten Führung und Aktivitä-         trauen in den größten Mobilitätsclub der Schweiz!
            tenplanung verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz,         „Wie sieht der ,Club der Mobilität‘ in Zukunft für die
            in dem alle Bereiche und Felder mit einbezogen wer-          vom Internet geprägten jungen Erwachsenen aus? Ein
            den. Umso wichtiger ist es, die Wirkungseffekte unserer      ganzheitliches Touchpoint Management unterstützt
            Botschaften und die relevanten Interaktionspunkte für        uns in der Praxis, unser Geschäftsmodell effizient und
            das Management unseres markentypischen Kundener-             effektiv mit den relevanten Themen und Angeboten
            lebnisses präzise zu kennen. Dadurch sind wir in der         kundenorientiert weiter zu entwickeln und neue inno-
            Lage, vom POS über die Kommunikation bis hin zum             vative Wege für den Dialog mit (potenziellen) Kunden
            Training, die richtigen Schwerpunkte zu setzen, um das       einzuschlagen.“
            Einkaufserlebnis fortlaufend zu steigern.“
                                                                         Martin Waeber
            Carsten Seupke                                               Leiter Marketing & Vertrieb,
            Country Manager                                              Mitglied der Geschäftsleitung
            www.marionnaud.ch                                            www.tcs.ch

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Tab. 1 Checkliste „optimaler Marktbearbeitungs-Mix“

Beurteilungsraster für Strategie und Maßnahmen (Auszug)
Welches sind aus Kundensicht die 30 relevantesten Kontaktpunkte des Unternehmens oder der Marke?
Welche 10 innovativen Kontaktpunkte sind für das Unternehmen in den nächsten zwei Jahren relevant?
Welche Maßnahmen sollen aufgrund unzureichender Breiten- und Tiefenwirkung hinterfragt werden?
Über welche Kontaktpunkte unterscheidet sich das Unternehmen positiv von den Mitbewerbern?
Bei welchen Schlüsselkontaktpunkten ist eine gezielte Optimierung erforderlich?
Welche Investitionen in welche Maßnahmen versprechen einen optimalen Return-on-Investment?
Welche Kombination von Maßnahmen ist für ein erfolgreiches Markt- und Markenmanagement am vielversprechendsten?
Über welche Kontaktpunkte können neue Kunden angesprochen und gewonnen werden?
Welche Kontaktpunkte eignen sich besonders für die Bindung der Kunden?
Welche Kontaktpunkte stärken ein markentypisches Kundenerlebnis?

                                                                                                                           Quelle: Accelerom AG

Optimaler Marktbearbeitungs-Mix                                             Aufzählung ließe sich fast beliebig verlängern. Unrealistische
Welche Maßnahmen und welcher Marktbearbeitungs-Mix in                       Annahmen zu Reichweite und Leistungsvermögen und die Wahl
Vertrieb und Marketing sind für das Unternehmen wirklich                    ungeeigneter Instrumente oder umgekehrt zu niedrige Investi-
wichtig und richtig? Beratergespräch, Kundenzeitschrift, Ausstel-           tionen in die entscheidenden Kontaktpunkte können die Ziel-
lung, Newsletter, Inserat, Seminar, Hotline, Sponsoring, Web-               erreichung in der Marktbearbeitung stark erschweren oder sogar
seite, Suchmaschinenoptimierung, Community-Forum? Die                       verunmöglichen.

Abb. 2 Stellenwert von Interaktionskategorien

                       Anteil an prioritärem TP-Universum

                  70                                            Off
                                                               Total
                  60                                                                                                Off
                                                                                                                   Total
                         Mass                                                                                               Onl
                  50     Total                                                                                             Total
                                                                                  Mass
                                                                                  Total
                  40                                                     Onl
                                                                        Total
                                     Ind                                                           One
                  30                Total                                                          Total
                                            One                                            Ind
                                            Total                                         Total
                  20
                                                                                                            Pos
                                                                                                           Total
                  10                                  Pos
                                                     Total

                   0
                         47 %       27 %    20 %    5%        65 %      35 %      41 %    20 %    27 %     11 %    53 %    47 %
                                                Reach                                                TP Value

                                                                                                                           Quelle: Accelerom AG

Marketing Review St. Gallen      2 | 2010                                                                                                   17
| GANZHEITLICHE STEUERUNG |

   Durch eine systematische Wirkungsevaluation der relevanten           Nebst Tiefenwirkung und Reichweite ermöglicht die Messung
Touchpoints wird die komplexe Steuerung der Marktbearbeitung         ein Benchmarking mit den direkten Mitbewerbern hinsichtlich der
vereinfacht. Der vielschichtige Marktbearbeitungs-Mix kann opti-     Markenperformance auf den untersuchten Kontaktpunkten. Dies
mal gestaltet und die Marketingausgaben reduziert werden, ohne       vermittelt ein umfassendes Bild der Interaktionen mit (poten-
die Leistung zu schmälern. Die perfekte Orchestrierung, die rich-    ziellen) Kunden und ein auf das Unternehmen abgestimmtes, pro-
tige Dosierung der unterschiedlichen Marktbearbeitungsinstru-        gnostisches Marktverstehen. Erfahrungsgemäß werden mit dieser
mente verbunden mit herausragender Kreativität sind erfolgsrele-     Ist-Diagnose nicht selten erstaunliche Differenzen zwischen
vante Wirkungsverstärker im Touchpoint Management. Mit dem           betriebsinterner Wahrnehmung und Marktsicht aufgedeckt.
„optimalen Marktbearbeitungs-Mix“ werden (potenzielle) Kun-
den zeitnah, relevant und kostengünstig erreicht (vgl. Tabelle 1).
                                                                     Konvergenz von Technologien,
                                                                     Produkten und Dienstleistungen
Mess- und Vergleichbarkeit macht                                     Kommunikation von und über Marken findet zu einem großen
Optimierung erst möglich                                             Teil über Medien statt. Eine aktuelle Herausforderung im Markt-
Um das „Äpfel-Birnen-Problem“ zu lösen und die Komplexität der       bearbeitungs-Mix ist nicht zuletzt der richtige Einsatz digitaler
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu reduzieren, braucht es      Medien, insbesondere des Internets im Zielgruppen-Marketing.
eine einheitliche Währung zur Wirkungsbeurteilung aller mög-         Als multifunktionales Meta-Medium – also als Medium, welches
lichen Touchpoints zwischen Marken und (potenziellen) Kunden:        die zentralen Elemente traditioneller Medien vereinigt – eröffnet
den Touchpoint Value (TP Value). Diese Kennzahl wird über die        das Internet Möglichkeiten, altbekannte Bedürfnisse wie Informa-
Befragung (potenzieller) Kunden erhoben und setzt sich aus einer     tion, Entertainment, soziale Interaktion oder Käufe auf neuen
rationalen, einer emotionalen und einer verhaltensbeeinflussen-      Wegen zu befriedigen (Flanagin/Metzger 2001, S. 175). Man muss
den Dimension zusammen. Die dreidimensionale Erfassung folgt         nicht mehr unbedingt eine Zeitung aufschlagen, um sich über das
somit dem in der Persuasionsforschung anerkannten tripartiten        Tagesgeschehen zu informieren, braucht keinen Fernseher, um
Einstellungskonzept.                                                 seine Lieblingsserie zu schauen, Mitteilungen können per E-Mail
   Die Mess- und Vergleichbarkeit der Touchpoints nach Breiten-      oder SMS zeit- und ortsunabhängig übermittelt werden und Trans-
und Tiefenwirkung resp. Reichweite und Touchpoint Value              aktionen können unkompliziert online getätigt werden.
ermöglicht eine systematische Optimierung des Marktbearbei-             Bezogen auf das Markt- und Markenmanagement heißt das:
tungs-Mix (vgl. Abbildung 3). Neben den besonders relevanten         klassische Maßnahmen müssen überdacht werden, um die Verbin-
(Core), den die Markenpräsenz stärkenden (Covering) und den          dung zu verschiedenen Zielgruppen im konvergenten Umfeld
wirkungslosen Touchpoints (Question Mark) werden in der              nicht zu verlieren. Doch wie intensiv nutzen unterschiedliche
Touchpoint-Matrix auch innovative Kontaktpunkte (Potenzial)          Generationen diese neuen Möglichkeiten überhaupt? Oder präzi-
für eine zukunftsgerichtete Ausgestaltung des Marktbearbeitungs-     ser: Wie und auf Kosten welcher traditionellen Medien verschiebt
Mix herausgefiltert.                                                 sich der Mediennutzungs-Mix und mit welchen Off- und Online-

Abb. 3 Touchpoint-Matrix

     Breitenwirkung (Reach)
      stark

                              Covering Touchpoints                                           Core Touchpoints

                              steigern Markenpräsenz                             stärken Kundenzufriedenheit und Loyalität

       ø

                          Question Mark Touchpoints                                        Potential Touchpoints

                              bieten Einsparpotenzial                      eignen sich zum Innovieren und bieten Einsparpotenzial

     schwach                                                          ø                                                    stark
                                                                                                          Tiefenwirkung (TP-Value)

                                                                                                                     Quelle: Accelerom AG

18                                                                                                Marketing Review St. Gallen    2 | 2010
| 360-Grad-Touchpoint-Management – Muss unsere Marke jetzt twittern? |

Touchpoints erreicht man ältere und jüngere Generationen heute                  Im Wandel zum Web 3.0 – nach Google-CEO Eric Smith ins-
und morgen?                                                                  besondere der Bedeutungsgewinn vernetzter (mobiler) Anwen-
                                                                             dungen, die sich viral verbreiten (Smith 2007) – gilt es, die Poten-
                                                                             ziale der digitalen Welt für die eigenen Strategien und Maßnah-
Diffusion innovativer Touchpoints                                            men näher zu untersuchen und zielgerichtet einzusetzen. Gerade
Technologische Innovationen wie Internetservices oder Mobil-                 auch digitale Erlebniswelten entwickeln sich rasch weiter: Um ein
telefon-Applikationen determinieren die Verwendung nicht                     Produkt einzuführen, können beispielsweise über smarte Adgames
direkt – vielmehr ist die Diffusion von Online-Diensten und                  Produkteigenschaften virtuell vermittelt werden, ohne dass dies
Kommunikationstechnologien ein dynamischer Aneignungspro-                    als Persuasion wahrgenommen wird (Klein 2003, S. 53; Kühne/
zess. Der wahrgenommene Vorteil von bestimmten Funktionen                    Sigrist 2009). Die Bedeutung digitaler Kontaktpunkte lässt sich
gegenüber «alten» Medien kristallisiert sich erst in der alltäg-             dabei nicht per se beantworten, sondern ist von Markt zu Markt,
lichen Nutzung heraus. Dieser Prozess wird angetrieben durch                 von Marke zu Marke und von Generation zu Generation unter-
das Image des Mediums, die Gewohnheiten und Bedürfnissen                     schiedlich.
der Nutzer, Einflüsse aus dem sozialen Netzwerk und neue tech-
nologische Innovationszyklen (Wirth/von Pape/Karnowski 2008,
S. 599 ff.). Will man (potenzielle) Kunden über den Maßnah-                  Der Generationen-Spagat
men-Mix effektiv erreichen, muss diese Dynamik nachgezeich-                  Für die Entwicklung und Ausgestaltung von innovativen und
net werden können (Belz/Schögel/Tomczak 2007, S. 10). Hier zei-              damit zukunftsgerichteten Strategien und Maßnahmen ist die
gen sich die Vorteile einer ganzheitlichen Betrachtung aus der               Kundenperspektive ein verlässlicher Bezugspunkt. Mit einem
Kundenperspektive: Mit der trackingfähigen Analyse der Off-                  ganzheitlichen Touchpoint Management werden Potenziale für ein
und Online-Touchpoints (vgl. Abbildung 2) wird deutlich, mit                 markentypisches und innovatives Kundenerlebnis und für ziel-
welchen Maßnahmen man welche Zielgruppen erreicht und wel-                   gruppenorientierte Kommunikationsprozesse offengelegt, da es
che kognitive, affektive und konative Wertigkeit ein Kontakt-                dort ansetzt, wo neue Technologien auf generationenspezifische
punkt hat. So wird sichergestellt, dass die Markt- und Marken-               Bedürfnisse treffen. Innovationen im Rahmen des Touchpoint
kommunikation mit der technologischen Entwicklung sowie mit                  Managements gelingen, indem unterschiedliche Breiten- und Tie-
den Nutzungsgewohnheiten unterschiedlicher Generationen                      fenwirkungen gemessen und zusammen mit dem Wissen über
Schritt hält.                                                                unterschiedliches Kommunikationsverhalten in ein erfolgreiches
                                                                             Zusammenspiel von Tradition und Innovation im Marktbearbei-
                                                                             tungs-Mix überführt werden.
Verlinken mit der digitalen Generation
Mit dem Internet und mobilen Kommunikationsgeräten aufge-
wachsen und bestens vertraut, spiegelt sich in der Digital Native            Systematische Lösungsentwicklung und Planung
Generation (Tapscott 2008) die aktuellste Entwicklung in der                 Der Prozess des Touchpoint Managements lässt sich in fünf Schrit-
Handhabung von Multimedia-Technologien. Während ältere                       ten darstellen (vgl. Abbildung 4).
Generationen vornehmlich als passive Rezipienten von Medien-
angeboten sozialisiert wurden, ist es für die Digital Natives selbst-        1. Touchpoint-Audit
verständlich, jenseits von klassischer One-Way-Kommunikation                 Für das Unternehmen und die Branche werden alle relevanten
interaktiv ins Geschehen einzugreifen. Ihre Kommunikationstools              Off- und Online-Kontaktpunkte erfasst. Diese reichen von Ver-
sind Blogs, Diskussionsforen, Posts in sozialen Netzwerken wie               trieb (Point of Sale bzw. Point of Interaction), klassischen Mas-
Facebook oder das Verfolgen von Spuren im Web über Twitter.                  senmedien über indirekte Kommunikation (Public Relations,

Abb. 4 Fünf Arbeitsschritte im Touchpoint Management

              1.                            2.                          3.                          4.                        5.
       Touchpoint-Audit             360°-Touchpoint-          Optimierungsziele              Umsetzung der             Wiederholungs-
         (Innensicht)                   Analyse                   festlegen                 Optimierungsziele             messung
                                     (Nullmessung)                                                                       (Tracking)

                                                                                                                              Quelle: Accelerom AG

Marketing Review St. Gallen   2 | 2010                                                                                                         19
| GANZHEITLICHE STEUERUNG |

Word of Mouth usw.) bis hin zur persönlichen One-to-One-                  Belz, Ch./Schögel, M./Tomczak, T. (2007): Innovation driven Marketing, in:
                                                                            Belz, Ch./Schögel, M./Tomczak, T. (Hrsg.): Innovation driven Marketing:
Kommunikation.
                                                                            Vom Trend zur innovativen Marketinglösung, Wiesbaden, S. 3-18.
                                                                          Flanagin, A. J./Metzger, M. J. (2001): Internet Use in the Contemporary Media
2. 360-Grad-Touchpoint-Analyse (Nullmessung)                                Environment, in: Human Communication Reserarch, 27, 1, S. 153-181.
Für die Wirkungsbeurteilung der möglichen Schnittstellen wer-             Klein, L. R. (2003): Creating virtual Product Experiences: The Role of Telepre-
                                                                            sence, in: Journal of interactive Marketing, 17, 1, S. 41-55.
den die Reichweite und die Tiefenwirkung mittels Befragung
                                                                          Kühne, R./Sigrist, R. (2009): In-Game Advertising. Zur Wirkung von Product
von Kunden und Nichtkunden erhoben und statistisch ausge-                   Placements in Computerspielen. Vortrag auf der Jahrestagung der Schweize-
wertet. Die verknüpfte Betrachtung von Kontaktpunkten, Ziel-                rischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM),
gruppen und Markenperformance liefert die nötige Informations-              26.-27.3.2009, Zürich.
                                                                          Lindstrom, M. (2005): Brand Sense: How to build powerful Brands through
tiefe, um nachhaltige Entscheidungen für die Marktbearbeitung               Touch, Taste, Smell, Sight & Sound, New York.
zu treffen.                                                               Porák, V. (2005): Methoden zur Erfolgs- und Wertbeitragsmessung von Kom-
                                                                            munikation, in: Piwinger M./Porák V. (Hrsg.): Kommunikations-Control-
                                                                            ling. Kommunikation und Information quantifizieren und finanziell bewer-
3. Optimierungsziele festlegen
                                                                            ten, Wiesbaden, S. 163-194.
Abgestimmt auf Strategie und Positionierung kann der qualitative          Reinecke, S. (2006): Return on Marketing? in: Reinecke, S./Tomczak, T. (Hrsg.):
und quantitative Veränderungsbedarf ermittelt werden.                       Handbuch Marketingcontrolling: Effektivität und Effizienz einer marktori-
                                                                            entierten Unternehmensführung, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 3-37.
                                                                          Schmidt, E. (2007): The Digital Opportunity: Technology, Innovation, and
4. Umsetzung der Optimierungsziele                                          Business Transformation. Special Speech on Seoul Digital Forum, 28.5.-
Die optimale Ausgestaltung der Touchpoints ist bei der Umsetzung            1.6.2007, Seoul.
das zentrale Ziel. Daran angeknüpft ist die Optimierung der nach-         Spengler, Ch./Müller, J. (2008): Marktkommunikation im Wandel: Welcher
gelagerten Prozesse und des Multikanal-Mix für Vertrieb, Marke-             Marken-Touchpoint zählt? in: Kaul, H./Steinmann, C. (Hrsg.): Community
                                                                            Marketing. Wie Unternehmen in sozialen Netzwerken Werte schaffen, Stutt-
ting, Kommunikation und Service.                                            gart, S. 217-233.
                                                                          Tapscott D. (2008): Grown up digital: How the Net Generation is changing your
5. Wiederholungsmessung                                                     World, New York.
                                                                          Wirth, W./von Pape, T./Karnowski, V. (2008): An integrative Model of Mobile
Die Wiederholungsmessung dient der Beurteilung und Steuerung
                                                                            Phone Appropriation, in: Journal of Computer-Mediated Communication,
der Strategie- und Maßnahmen-Performance.                                   13, 3, S. 593-617.

Zukunftsgerichtet die richtigen Schwerpunkte setzen
Im Rahmen des 360-Grad-Touchpoint-Managements wird ein                                  Die Autoren
ganzheitliches und in sich abgestimmtes Kennzahlensystem
erhoben, das auf mehreren Ebenen Transparenz schafft: Markt,                            Christoph Spengler
eigenes Unternehmen, Mitbewerber und Kundenkategorien. Somit                            Gründer und Geschäftsführer des Beratungs- und
unterstützt ein ganzheitliches Touchpoint Management Ent-                               Research-Unternehmens Accelerom AG. Zuvor war er
scheidungsträger und Spezialisten, Wirkungszusammenhänge in                             unter anderem tätig als Business Director Unilever,
der Marktbearbeitung und Markenführung aus der Kunden-                                  Marketing Director McDonald´s und Director Pricewa-
perspektive fundiert zu verstehen, realistisch zu beurteilen und zu                     terhouseCoopers.
                                                                                        E-Mail: christoph.spengler@accelerom.com
planen.
   Die Kernthemen des 360-Grad-Touchpoint-Managements sind:
                                                                                        Prof. Dr. Werner Wirth
■ Priorisieren der Interaktionspunkte und Maßnahmen für den
                                                                                        Professor für Empirische Kommunikationsforschung und
   optimalen Marktbearbeitungs-Mix                                                      Methoden am Institut für Publizistikwissenschaft und
■ Wirkungsorientierte Budgetallokation zur ROI-Maximierung                              Medienforschung der Universität Zürich (IPMZ). For-
■ Management eines markentypischen Kundenerlebnisses                                    schungsschwerpunkte sind interaktive und mobile
■ Zielführendes Innovationsmanagement durch konsequente                                 Medien, Persuasion und emotionale Medienwirkungen.
   Kundenorientierung                                                                   E-Mail: w.wirth@ipmz.uzh.ch
■ Gezielte Komplexitätsreduktion und Steigerung der Prozessef-
   fizienz im Markt- und Markenmanagement                                               Renzo Sigrist
■ Flexibilität und rasche Reaktion auf den immer schnelleren                            Project Manager des Beratungs- und Research-
   Wandel.                                                                              Unternehmens Accelerom AG mit einem Universi-
                                                                                        tätsabschluss in Publizistik- und Kommunikations-,
                                                                                        Wirtschafts- und Politikwissenschaft mit Fokus auf
                                                                                        Markenmanagement, Neue Medien und empirische
Literaturverzeichnis                                                                    Forschung.
Accelerom AG (2009): 360° Touchpoint-Management: Ergebnisse marktreprä-                 E-Mail: renzo.sigrist@accelerom.com
 sentativer Kundenbeispiele (anonymisiert), online: www.accelerom.com.

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