360-Grad-Touchpoint-Management - Muss unsere Marke jetzt twittern?
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360-Grad-Touchpoint-Management – Muss unsere Marke jetzt twittern? Wie Entscheidungsträger im B2C und B2B den Marktbearbeitungs-Mix im dynamischen Umfeld ganz- heitlich effizient und effektiv steuern können, um Investitionen im Markt- und Markenmanagement zu optimieren, erläutert dieser Beitrag. Zentral ist die Messbarkeit der kundenseitigen Wirkung von Touch- points zur Bestimmung des optimalen Marktbearbeitungs-Mix sowie zur Maximierung des ROI. Christoph Spengler | Werner Wirth | Renzo Sigrist A us der Unternehmensperspektive betrachtet besteht die begrün- dete Gefahr, dass immer mehr instrumentelle, personelle und finanzielle Mittel eingesetzt werden müssen, um (potenzielle) Kunden heute überhaupt noch zu erreichen, für sich zu gewinnen, zu begeistern und zu binden (Lindstrom 2005). So ist es durchaus Analyse- und Optimierungskonzept baut auf neuen Erkenntnissen der Konsumenten- und Medienforschung und wurde im Rahmen einer Forschungskooperation mit der Universität Zürich validiert. Strategie- und Maßnahmenentwicklung verständlich, dass in vielen Unternehmen Unsicherheit besteht, welche Strategien und Maßnahmen im Markt- und Markenma- von „außen nach innen“ nagement erfolgversprechend sind. Damit das gesamte Potenzial im Markt- und Markenmanagement Wo und wie erleben Kunden die Marke heute – und in Zukunft? bestmöglich ausgeschöpft werden kann, ist eine ganzheitliche Sicht In dieser Auseinandersetzung mit den vielfältigen Berührungs- auf das Unternehmen aus der Perspektive von (potenziellen) Kun- punkten zwischen Unternehmen und (potenziellen) Kunden den vorteilhaft. Eine Strategie- und Maßnahmenentwicklung von rücken die absatzseitigen Touchpoints in den Fokus der Strategie- „außen nach innen“ erhöht nicht nur die Entscheidungssicherheit, und Maßnahmenplanung (Spengler/Müller 2008, S. 223). Das Zür- sondern führt auch nachvollziehbar zur Steigerung der Kontakt- cher Beratungs- und Research-Unternehmen Accelerom AG zeigt und Servicequalität sowie zur Stärkung der Marke. Basierend auf mit dem von ihm entwickelten 360-Grad-Touchpoint-Management gewonnenen Handlungserkenntnissen aus der 360-Grad-Touch- auf, wie Fehlinvestitionen in Vertrieb und Marketing verhindert point-Untersuchung (vgl. Abbildung 1) kann eine durchgehende und die Performance gesteigert werden kann. Das ganzheitliche Kundenorientierung im Unternehmen verstärkt und die Team 14 Marketing Review St. Gallen 2 | 2010
| 360-Grad-Touchpoint-Management – Muss unsere Marke jetzt twittern? | arbeit über die traditionellen Grenzen einzelner Disziplinen wie zufriedenheit wie die zuvor genannte Kontaktqualität. Umso Vertrieb, Marketing, Kommunikation und Service zielführend erfolgskritischer ist es, die Kontaktqualität und die Prozessqualität organisiert werden. Eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit ganzheitlich im Sinne eines hervorragenden „markentypischen kombiniert mit Veränderungsbereitschaft ist Grundlage für die Kundenerlebnisses“ zu optimieren, um Kundenzufriedenheit erfolgreiche Umsetzung eines ganzheitlichen Touchpoint Manage- sicherzustellen und sich von Mitbewerbern vorteilhaft zu unter- ments in der Praxis. scheiden. Stellhebel für das markentypische Kundenerlebnis Geschäftsmodelle der neuen Realität anpassen Ausgangspunkt für ein ganzheitliches Markt- und Markenmanage- Im Praxisalltag sind Entscheidungsträger in Vertrieb und Marketing ment sind die Kundenkontaktpunkte entlang der Wirkungskette, laufend gefordert, die Kosten-Nutzen-Effizienz und die Effektivität die vom Erstkontakt über den Kauf bis hin zur Loyalität führt. Die der Marktbearbeitung zu optimieren (Reinecke 2006, S. 6 ff.). Die Erlebniswelt des Kunden (Customer Experience) erstreckt sich Gründe für diesen Leistungsdruck sind vielfältig. Bedeutende unter- dabei über sämtliche Interaktionen mit einer Marke oder einem nehmensexterne und -interne Faktoren sind u.a. intensivierter glo- Unternehmen. Durch jeden Kontakt wird die Markenwahrneh- baler Wettbewerb, zunehmende Austauschbarkeit der Angebote, mung geprägt und die Zufriedenheit gesteigert oder verringert. angespannte Budgetsituation, Atomisierung medialer Marktbear- Dabei hat die eigentliche Kontaktqualität (z. B. Freundlichkeit oder beitungskanäle oder zunehmende Zielgruppenfragmentierung. kompetente Beratung) nicht immer den höchsten Stellenwert. Im Touchpoint Management geht es somit vermehrt auch darum, Jedem bekannt ist die Interaktion mit einem Call Center: Kurze die Anpassung des Geschäftsmodells an die neuen Rahmenbedin- Wartezeiten und Flexibilität bei der Problembehandlung sind bei gungen zu gewährleisten, um die Wettbewerbsfähigkeit und Wert- unzufriedenen Kunden in der Regel relevantere Kriterien als eine schöpfung für das Unternehmen in Zukunft sicherzustellen. Vor freundliche Bedienung. Die Prozessqualität hat in diesem Beispiel diesem Hintergrund wird zunehmend Klarheit gefordert, welchen somit einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die Kunden- Stellenwert bestimmte Marktbearbeitungsmaßnahmen für das Abb. 1 360-Grad-Touchpoint-Universum User Forum @ Ratgeberbroschüre @ Experten Tipp @ Plakat 100 Testzeitschrift Werbung in Zeitschriften 80 Bericht Zeitung Flyer 60 Preisvergleichsportal @ 40 Webseite @ 20 Suchmaschine @ Checkliste @ 0 Gespräch Freunde Banner/Popup @ Telefonat Hotline Schaufenster E-Mail-Anfrage @ 0 0 Produktinfo Verpackung 20 20 40 40 Angebot Kundenkarte 60 60 Auskunft Kasse 80 80 100 100 Prämienkatalog @ Pers. Beratung Geschenkgutschein Werbung Eingang Newsletter @ Aktionsständer Kundenmagazin Proben/Verkostung Infoscreen @ Event/Aktionstag POS ONE-TO-ONE INDIRECT MASS Quelle: Accelerom AG Marketing Review St. Gallen 2 | 2010 15
| GANZHEITLICHE STEUERUNG | Unternehmen haben und was sie tatsächlich zum Erfolg beitragen Praxisbeispiel: TCS kundenorientiert mit (Porák 2005, S. 163). Eine in diesem Zusammenhang häufig von Filial- innovativem Touchpoint Management unternehmen gestellte Untersuchungsfrage betrifft den zukünftigen in die Zukunft steuern. Stellenwert des physischen Point of Sale (POS) als Entscheidungs- ort. Führen neue Nutzungsgewohnheiten zu einem Bedeutungsver- lust der traditionellen Verkaufsstelle? Welche Chancen ergeben sich daraus? Weitergehende Analysen der prioritären Touchpoints zei- gen den Stellenwert der unterschiedlichen Interaktionskategorien aufgrund ihrer Breiten- und Tiefenwirkung (vgl. Abbildung 2). Illustratives Praxisbeispiel: Anteil an POS und Vertrieb, klas- sischen Massenmedien, indirekter Kommunikation und persön- licher One-to-One-Kommunikation, sowie On- und Offline- Touchpoints im untersuchten Markt. Praxisbeispiel: Erfolgreich mit dem „markentypischen Kundenerlebnis“ Mit 1,6 Millionen Mitgliedern ist der Touring Club Schweiz – Non-Profit-Organisation mit Hauptsitz in Genf – in den Bereichen Personen- und Fahrzeugas- sistance die führende Organisation in der Schweiz. Seine 250 Patrouilleure erledigen jedes Jahr rund 300.000 Pannen und garantieren eine Weiterfahrquote von über 86 %. Der TCS – Gründungsjahr 1896 – verfügt heute über führende Dienstleistungen wie ETI-Schutz- brief, Assista-Rechtsschutz, Auto-TCS-Autoversiche- rung und die «Touring»-Zeitung. Als wichtiger Akteur in Konsumentenschutzfragen führt der TCS jedes Jahr Maßstab setzende Tests durch. Mit seinen 24 Sektionen Mit über 1.200 Geschäften ist Marionnaud Europas größ- ist der TCS in Mobilitätsfragen heute profilierter ter Parfüm- und Kosmetikeinzelhändler und in über 13 Ansprechpartner kantonaler und nationaler Behörden. Ländern präsent. Seit 2005 gehört Marionnaud zur A.S. Seit über 100 Jahren setzt sich der TCS mit Sensibilisie- Watson Group, der weltweit größten Health- und Beauty- rungskampagnen und Studien zur Verkehrsinfrastruk- Handelsgruppe. Der Marktführer beschäftigt in der tur für die Verkehrssicherheit von Kindern und Erwach- Schweiz mit über 100 Verkaufsstellen mehr als 700 Mit- senen ein. Als Leader in der Zweiphasen-Ausbildung arbeitende. Marionnauds Konzept: Das Fachgeschäft für mit schweizweit 28 Kursstandorten, davon 13 Fahrpis- Parfüms und Beauty-Produkte im Luxussegment mit ten, nimmt er auch eine wichtige Rolle in der Verkehrs- individueller Beratung. Accelerom untersuchte in ver- erziehung war. Der TCS verfügt in der Schweiz über 18 schiedenen Märkten die Erfolgsfaktoren der Einzelhan- Technische Zentren, drei Fahrtrainingszentren, zwei delsmarke und die relevanten Touchpoints für eine nach- Verkehrssicherheitszentren, 32 Campingplätze und haltige internationale und lokale Marktdurchsetzung. zwei Hotels. Rund jeder zweite Haushalt hat volles Ver- „In unserer kundenorientierten Führung und Aktivitä- trauen in den größten Mobilitätsclub der Schweiz! tenplanung verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, „Wie sieht der ,Club der Mobilität‘ in Zukunft für die in dem alle Bereiche und Felder mit einbezogen wer- vom Internet geprägten jungen Erwachsenen aus? Ein den. Umso wichtiger ist es, die Wirkungseffekte unserer ganzheitliches Touchpoint Management unterstützt Botschaften und die relevanten Interaktionspunkte für uns in der Praxis, unser Geschäftsmodell effizient und das Management unseres markentypischen Kundener- effektiv mit den relevanten Themen und Angeboten lebnisses präzise zu kennen. Dadurch sind wir in der kundenorientiert weiter zu entwickeln und neue inno- Lage, vom POS über die Kommunikation bis hin zum vative Wege für den Dialog mit (potenziellen) Kunden Training, die richtigen Schwerpunkte zu setzen, um das einzuschlagen.“ Einkaufserlebnis fortlaufend zu steigern.“ Martin Waeber Carsten Seupke Leiter Marketing & Vertrieb, Country Manager Mitglied der Geschäftsleitung www.marionnaud.ch www.tcs.ch 16 Marketing Review St. Gallen 2 | 2010
| 360-Grad-Touchpoint-Management – Muss unsere Marke jetzt twittern? | Tab. 1 Checkliste „optimaler Marktbearbeitungs-Mix“ Beurteilungsraster für Strategie und Maßnahmen (Auszug) Welches sind aus Kundensicht die 30 relevantesten Kontaktpunkte des Unternehmens oder der Marke? Welche 10 innovativen Kontaktpunkte sind für das Unternehmen in den nächsten zwei Jahren relevant? Welche Maßnahmen sollen aufgrund unzureichender Breiten- und Tiefenwirkung hinterfragt werden? Über welche Kontaktpunkte unterscheidet sich das Unternehmen positiv von den Mitbewerbern? Bei welchen Schlüsselkontaktpunkten ist eine gezielte Optimierung erforderlich? Welche Investitionen in welche Maßnahmen versprechen einen optimalen Return-on-Investment? Welche Kombination von Maßnahmen ist für ein erfolgreiches Markt- und Markenmanagement am vielversprechendsten? Über welche Kontaktpunkte können neue Kunden angesprochen und gewonnen werden? Welche Kontaktpunkte eignen sich besonders für die Bindung der Kunden? Welche Kontaktpunkte stärken ein markentypisches Kundenerlebnis? Quelle: Accelerom AG Optimaler Marktbearbeitungs-Mix Aufzählung ließe sich fast beliebig verlängern. Unrealistische Welche Maßnahmen und welcher Marktbearbeitungs-Mix in Annahmen zu Reichweite und Leistungsvermögen und die Wahl Vertrieb und Marketing sind für das Unternehmen wirklich ungeeigneter Instrumente oder umgekehrt zu niedrige Investi- wichtig und richtig? Beratergespräch, Kundenzeitschrift, Ausstel- tionen in die entscheidenden Kontaktpunkte können die Ziel- lung, Newsletter, Inserat, Seminar, Hotline, Sponsoring, Web- erreichung in der Marktbearbeitung stark erschweren oder sogar seite, Suchmaschinenoptimierung, Community-Forum? Die verunmöglichen. Abb. 2 Stellenwert von Interaktionskategorien Anteil an prioritärem TP-Universum 70 Off Total 60 Off Total Mass Onl 50 Total Total Mass Total 40 Onl Total Ind One 30 Total Total One Ind Total Total 20 Pos Total 10 Pos Total 0 47 % 27 % 20 % 5% 65 % 35 % 41 % 20 % 27 % 11 % 53 % 47 % Reach TP Value Quelle: Accelerom AG Marketing Review St. Gallen 2 | 2010 17
| GANZHEITLICHE STEUERUNG | Durch eine systematische Wirkungsevaluation der relevanten Nebst Tiefenwirkung und Reichweite ermöglicht die Messung Touchpoints wird die komplexe Steuerung der Marktbearbeitung ein Benchmarking mit den direkten Mitbewerbern hinsichtlich der vereinfacht. Der vielschichtige Marktbearbeitungs-Mix kann opti- Markenperformance auf den untersuchten Kontaktpunkten. Dies mal gestaltet und die Marketingausgaben reduziert werden, ohne vermittelt ein umfassendes Bild der Interaktionen mit (poten- die Leistung zu schmälern. Die perfekte Orchestrierung, die rich- ziellen) Kunden und ein auf das Unternehmen abgestimmtes, pro- tige Dosierung der unterschiedlichen Marktbearbeitungsinstru- gnostisches Marktverstehen. Erfahrungsgemäß werden mit dieser mente verbunden mit herausragender Kreativität sind erfolgsrele- Ist-Diagnose nicht selten erstaunliche Differenzen zwischen vante Wirkungsverstärker im Touchpoint Management. Mit dem betriebsinterner Wahrnehmung und Marktsicht aufgedeckt. „optimalen Marktbearbeitungs-Mix“ werden (potenzielle) Kun- den zeitnah, relevant und kostengünstig erreicht (vgl. Tabelle 1). Konvergenz von Technologien, Produkten und Dienstleistungen Mess- und Vergleichbarkeit macht Kommunikation von und über Marken findet zu einem großen Optimierung erst möglich Teil über Medien statt. Eine aktuelle Herausforderung im Markt- Um das „Äpfel-Birnen-Problem“ zu lösen und die Komplexität der bearbeitungs-Mix ist nicht zuletzt der richtige Einsatz digitaler zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu reduzieren, braucht es Medien, insbesondere des Internets im Zielgruppen-Marketing. eine einheitliche Währung zur Wirkungsbeurteilung aller mög- Als multifunktionales Meta-Medium – also als Medium, welches lichen Touchpoints zwischen Marken und (potenziellen) Kunden: die zentralen Elemente traditioneller Medien vereinigt – eröffnet den Touchpoint Value (TP Value). Diese Kennzahl wird über die das Internet Möglichkeiten, altbekannte Bedürfnisse wie Informa- Befragung (potenzieller) Kunden erhoben und setzt sich aus einer tion, Entertainment, soziale Interaktion oder Käufe auf neuen rationalen, einer emotionalen und einer verhaltensbeeinflussen- Wegen zu befriedigen (Flanagin/Metzger 2001, S. 175). Man muss den Dimension zusammen. Die dreidimensionale Erfassung folgt nicht mehr unbedingt eine Zeitung aufschlagen, um sich über das somit dem in der Persuasionsforschung anerkannten tripartiten Tagesgeschehen zu informieren, braucht keinen Fernseher, um Einstellungskonzept. seine Lieblingsserie zu schauen, Mitteilungen können per E-Mail Die Mess- und Vergleichbarkeit der Touchpoints nach Breiten- oder SMS zeit- und ortsunabhängig übermittelt werden und Trans- und Tiefenwirkung resp. Reichweite und Touchpoint Value aktionen können unkompliziert online getätigt werden. ermöglicht eine systematische Optimierung des Marktbearbei- Bezogen auf das Markt- und Markenmanagement heißt das: tungs-Mix (vgl. Abbildung 3). Neben den besonders relevanten klassische Maßnahmen müssen überdacht werden, um die Verbin- (Core), den die Markenpräsenz stärkenden (Covering) und den dung zu verschiedenen Zielgruppen im konvergenten Umfeld wirkungslosen Touchpoints (Question Mark) werden in der nicht zu verlieren. Doch wie intensiv nutzen unterschiedliche Touchpoint-Matrix auch innovative Kontaktpunkte (Potenzial) Generationen diese neuen Möglichkeiten überhaupt? Oder präzi- für eine zukunftsgerichtete Ausgestaltung des Marktbearbeitungs- ser: Wie und auf Kosten welcher traditionellen Medien verschiebt Mix herausgefiltert. sich der Mediennutzungs-Mix und mit welchen Off- und Online- Abb. 3 Touchpoint-Matrix Breitenwirkung (Reach) stark Covering Touchpoints Core Touchpoints steigern Markenpräsenz stärken Kundenzufriedenheit und Loyalität ø Question Mark Touchpoints Potential Touchpoints bieten Einsparpotenzial eignen sich zum Innovieren und bieten Einsparpotenzial schwach ø stark Tiefenwirkung (TP-Value) Quelle: Accelerom AG 18 Marketing Review St. Gallen 2 | 2010
| 360-Grad-Touchpoint-Management – Muss unsere Marke jetzt twittern? | Touchpoints erreicht man ältere und jüngere Generationen heute Im Wandel zum Web 3.0 – nach Google-CEO Eric Smith ins- und morgen? besondere der Bedeutungsgewinn vernetzter (mobiler) Anwen- dungen, die sich viral verbreiten (Smith 2007) – gilt es, die Poten- ziale der digitalen Welt für die eigenen Strategien und Maßnah- Diffusion innovativer Touchpoints men näher zu untersuchen und zielgerichtet einzusetzen. Gerade Technologische Innovationen wie Internetservices oder Mobil- auch digitale Erlebniswelten entwickeln sich rasch weiter: Um ein telefon-Applikationen determinieren die Verwendung nicht Produkt einzuführen, können beispielsweise über smarte Adgames direkt – vielmehr ist die Diffusion von Online-Diensten und Produkteigenschaften virtuell vermittelt werden, ohne dass dies Kommunikationstechnologien ein dynamischer Aneignungspro- als Persuasion wahrgenommen wird (Klein 2003, S. 53; Kühne/ zess. Der wahrgenommene Vorteil von bestimmten Funktionen Sigrist 2009). Die Bedeutung digitaler Kontaktpunkte lässt sich gegenüber «alten» Medien kristallisiert sich erst in der alltäg- dabei nicht per se beantworten, sondern ist von Markt zu Markt, lichen Nutzung heraus. Dieser Prozess wird angetrieben durch von Marke zu Marke und von Generation zu Generation unter- das Image des Mediums, die Gewohnheiten und Bedürfnissen schiedlich. der Nutzer, Einflüsse aus dem sozialen Netzwerk und neue tech- nologische Innovationszyklen (Wirth/von Pape/Karnowski 2008, S. 599 ff.). Will man (potenzielle) Kunden über den Maßnah- Der Generationen-Spagat men-Mix effektiv erreichen, muss diese Dynamik nachgezeich- Für die Entwicklung und Ausgestaltung von innovativen und net werden können (Belz/Schögel/Tomczak 2007, S. 10). Hier zei- damit zukunftsgerichteten Strategien und Maßnahmen ist die gen sich die Vorteile einer ganzheitlichen Betrachtung aus der Kundenperspektive ein verlässlicher Bezugspunkt. Mit einem Kundenperspektive: Mit der trackingfähigen Analyse der Off- ganzheitlichen Touchpoint Management werden Potenziale für ein und Online-Touchpoints (vgl. Abbildung 2) wird deutlich, mit markentypisches und innovatives Kundenerlebnis und für ziel- welchen Maßnahmen man welche Zielgruppen erreicht und wel- gruppenorientierte Kommunikationsprozesse offengelegt, da es che kognitive, affektive und konative Wertigkeit ein Kontakt- dort ansetzt, wo neue Technologien auf generationenspezifische punkt hat. So wird sichergestellt, dass die Markt- und Marken- Bedürfnisse treffen. Innovationen im Rahmen des Touchpoint kommunikation mit der technologischen Entwicklung sowie mit Managements gelingen, indem unterschiedliche Breiten- und Tie- den Nutzungsgewohnheiten unterschiedlicher Generationen fenwirkungen gemessen und zusammen mit dem Wissen über Schritt hält. unterschiedliches Kommunikationsverhalten in ein erfolgreiches Zusammenspiel von Tradition und Innovation im Marktbearbei- tungs-Mix überführt werden. Verlinken mit der digitalen Generation Mit dem Internet und mobilen Kommunikationsgeräten aufge- wachsen und bestens vertraut, spiegelt sich in der Digital Native Systematische Lösungsentwicklung und Planung Generation (Tapscott 2008) die aktuellste Entwicklung in der Der Prozess des Touchpoint Managements lässt sich in fünf Schrit- Handhabung von Multimedia-Technologien. Während ältere ten darstellen (vgl. Abbildung 4). Generationen vornehmlich als passive Rezipienten von Medien- angeboten sozialisiert wurden, ist es für die Digital Natives selbst- 1. Touchpoint-Audit verständlich, jenseits von klassischer One-Way-Kommunikation Für das Unternehmen und die Branche werden alle relevanten interaktiv ins Geschehen einzugreifen. Ihre Kommunikationstools Off- und Online-Kontaktpunkte erfasst. Diese reichen von Ver- sind Blogs, Diskussionsforen, Posts in sozialen Netzwerken wie trieb (Point of Sale bzw. Point of Interaction), klassischen Mas- Facebook oder das Verfolgen von Spuren im Web über Twitter. senmedien über indirekte Kommunikation (Public Relations, Abb. 4 Fünf Arbeitsschritte im Touchpoint Management 1. 2. 3. 4. 5. Touchpoint-Audit 360°-Touchpoint- Optimierungsziele Umsetzung der Wiederholungs- (Innensicht) Analyse festlegen Optimierungsziele messung (Nullmessung) (Tracking) Quelle: Accelerom AG Marketing Review St. Gallen 2 | 2010 19
| GANZHEITLICHE STEUERUNG | Word of Mouth usw.) bis hin zur persönlichen One-to-One- Belz, Ch./Schögel, M./Tomczak, T. (2007): Innovation driven Marketing, in: Belz, Ch./Schögel, M./Tomczak, T. (Hrsg.): Innovation driven Marketing: Kommunikation. Vom Trend zur innovativen Marketinglösung, Wiesbaden, S. 3-18. Flanagin, A. J./Metzger, M. J. (2001): Internet Use in the Contemporary Media 2. 360-Grad-Touchpoint-Analyse (Nullmessung) Environment, in: Human Communication Reserarch, 27, 1, S. 153-181. Für die Wirkungsbeurteilung der möglichen Schnittstellen wer- Klein, L. R. (2003): Creating virtual Product Experiences: The Role of Telepre- sence, in: Journal of interactive Marketing, 17, 1, S. 41-55. den die Reichweite und die Tiefenwirkung mittels Befragung Kühne, R./Sigrist, R. (2009): In-Game Advertising. Zur Wirkung von Product von Kunden und Nichtkunden erhoben und statistisch ausge- Placements in Computerspielen. Vortrag auf der Jahrestagung der Schweize- wertet. Die verknüpfte Betrachtung von Kontaktpunkten, Ziel- rischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM), gruppen und Markenperformance liefert die nötige Informations- 26.-27.3.2009, Zürich. Lindstrom, M. (2005): Brand Sense: How to build powerful Brands through tiefe, um nachhaltige Entscheidungen für die Marktbearbeitung Touch, Taste, Smell, Sight & Sound, New York. zu treffen. Porák, V. (2005): Methoden zur Erfolgs- und Wertbeitragsmessung von Kom- munikation, in: Piwinger M./Porák V. (Hrsg.): Kommunikations-Control- ling. Kommunikation und Information quantifizieren und finanziell bewer- 3. Optimierungsziele festlegen ten, Wiesbaden, S. 163-194. Abgestimmt auf Strategie und Positionierung kann der qualitative Reinecke, S. (2006): Return on Marketing? in: Reinecke, S./Tomczak, T. (Hrsg.): und quantitative Veränderungsbedarf ermittelt werden. Handbuch Marketingcontrolling: Effektivität und Effizienz einer marktori- entierten Unternehmensführung, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 3-37. Schmidt, E. (2007): The Digital Opportunity: Technology, Innovation, and 4. Umsetzung der Optimierungsziele Business Transformation. Special Speech on Seoul Digital Forum, 28.5.- Die optimale Ausgestaltung der Touchpoints ist bei der Umsetzung 1.6.2007, Seoul. das zentrale Ziel. Daran angeknüpft ist die Optimierung der nach- Spengler, Ch./Müller, J. (2008): Marktkommunikation im Wandel: Welcher gelagerten Prozesse und des Multikanal-Mix für Vertrieb, Marke- Marken-Touchpoint zählt? in: Kaul, H./Steinmann, C. (Hrsg.): Community Marketing. Wie Unternehmen in sozialen Netzwerken Werte schaffen, Stutt- ting, Kommunikation und Service. gart, S. 217-233. Tapscott D. (2008): Grown up digital: How the Net Generation is changing your 5. Wiederholungsmessung World, New York. Wirth, W./von Pape, T./Karnowski, V. (2008): An integrative Model of Mobile Die Wiederholungsmessung dient der Beurteilung und Steuerung Phone Appropriation, in: Journal of Computer-Mediated Communication, der Strategie- und Maßnahmen-Performance. 13, 3, S. 593-617. Zukunftsgerichtet die richtigen Schwerpunkte setzen Im Rahmen des 360-Grad-Touchpoint-Managements wird ein Die Autoren ganzheitliches und in sich abgestimmtes Kennzahlensystem erhoben, das auf mehreren Ebenen Transparenz schafft: Markt, Christoph Spengler eigenes Unternehmen, Mitbewerber und Kundenkategorien. Somit Gründer und Geschäftsführer des Beratungs- und unterstützt ein ganzheitliches Touchpoint Management Ent- Research-Unternehmens Accelerom AG. Zuvor war er scheidungsträger und Spezialisten, Wirkungszusammenhänge in unter anderem tätig als Business Director Unilever, der Marktbearbeitung und Markenführung aus der Kunden- Marketing Director McDonald´s und Director Pricewa- perspektive fundiert zu verstehen, realistisch zu beurteilen und zu terhouseCoopers. E-Mail: christoph.spengler@accelerom.com planen. Die Kernthemen des 360-Grad-Touchpoint-Managements sind: Prof. Dr. Werner Wirth ■ Priorisieren der Interaktionspunkte und Maßnahmen für den Professor für Empirische Kommunikationsforschung und optimalen Marktbearbeitungs-Mix Methoden am Institut für Publizistikwissenschaft und ■ Wirkungsorientierte Budgetallokation zur ROI-Maximierung Medienforschung der Universität Zürich (IPMZ). For- ■ Management eines markentypischen Kundenerlebnisses schungsschwerpunkte sind interaktive und mobile ■ Zielführendes Innovationsmanagement durch konsequente Medien, Persuasion und emotionale Medienwirkungen. Kundenorientierung E-Mail: w.wirth@ipmz.uzh.ch ■ Gezielte Komplexitätsreduktion und Steigerung der Prozessef- fizienz im Markt- und Markenmanagement Renzo Sigrist ■ Flexibilität und rasche Reaktion auf den immer schnelleren Project Manager des Beratungs- und Research- Wandel. Unternehmens Accelerom AG mit einem Universi- tätsabschluss in Publizistik- und Kommunikations-, Wirtschafts- und Politikwissenschaft mit Fokus auf Markenmanagement, Neue Medien und empirische Literaturverzeichnis Forschung. Accelerom AG (2009): 360° Touchpoint-Management: Ergebnisse marktreprä- E-Mail: renzo.sigrist@accelerom.com sentativer Kundenbeispiele (anonymisiert), online: www.accelerom.com. 20 Marketing Review St. Gallen 2 | 2010
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