360 Onkologie 12 - Deutsche Krebsgesellschaft
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360° Onkologie 12 Krebs und Politik – eine Publikation der Deutschen Krebsgesellschaft Ausgabe 12 | Januar 2021 © sichon, stock.adobe.com/de WISSEN AUS ERSTER HAND Patient-reported Outcomes Lebensqualität als Orientierung Ärzt*innen schätzen die Beeinträchtigun- Betroffenen; dazu gehört die patienten- schätzte Funktionseinschränkungen der gen ihrer Patient*innen durch Krankheit und seitige Einschätzung der klinischen Ergeb- Betroffenen besser einzuschätzen und Nebenwirkungen häufiger wesentlich ge- nisse, der Mobilität und der Lebensquali- die Behandlung entsprechend zu planen. ringer ein als die Betroffenen selbst. Diese tät. Zur Messung werden standardisierte Spezifische Interventionen nach Erfassung Diskrepanz hat vielfältige Gründe: Aus ärzt- Fragebögen (Patient-reported Outcome der Lebensqualität können sich sowohl licher Sicht liegt der Fokus der Behandlung Measures, PROM) verwendet. Ihr Einsatz auf körperliche Einschränkungen als auch oft auf der Sicherung des Überlebens und ist vor allem in drei Bereichen gewinn- auf klinisch messbaren Parametern. Den Be- bringend: (1) in der Behandlungspla- troffenen selbst fällt es im zeitlich begrenz- nung oder beim Monitoring individueller Inhalt ten Arztgespräch oft schwer, ihr subjektives Patient*innen, (2) in der Qualitätsentwick- Titelthema Empfinden, etwa zur Schmerzintensität lung sowie (3) in klinischen Prüfungen Lebensqualität als Orientierung 1 oder zu krankheitsbedingten psychischen nach dem Arzneimittel- oder Medizinpro- Editorial Dr. Johannes Bruns 2 Beeinträchtigungen, zu artikulieren. Trotz- duktegesetz oder im Rahmen der Nutzen- Nachgefragt 3 dem sprechen Studien dafür, dass eine an bewertung nach § 35a SGB V. Dabei ist zu Nutzungsbarrieren in der definierten Handlungsabläufen gekoppel- beachten, dass sich Patient*innen in der Versorgung? 4 te Erfassung sogenannter Patient-reported Routineversorgung in der Regel deutlich PRO in der Nutzenbewertung 5 Outcomes (PRO) nicht nur zu einer Verbes- von den Teilnehmer*innen klinischer Stu- Gezielte QoL-Programme serung der Lebensqualität der Betroffenen, dien unterscheiden, etwa hinsichtlich der zahlen sich aus 6 sondern auch zu einer signifikanten Verbes- Komorbiditäten. Prostate Cancer Outcomes: serung des Überlebens führen kann. Die PCO-Studie 6 PROM in der Krebsversorgung Patientenberichtete finanzielle PRO und PROM Der Nutzen von PROM in der Onkologie Belastungen 7 Der Begriff PRO beschreibt jegliche Aus- ist mittlerweile gut belegt. Sie helfen PRO-Monitoring bei Brustkrebs 7 wirkung einer Therapie aus der Sicht der den Behandelnden, andernfalls unter- DKG Spezial/Impressum 8
2 #onko360 Liebe Leserinnen und Leser, Die Erfassung subjektiv empfundener Gesundheitszustände durch die Patient*innen Dr. Johannes Bruns selbst (Patient-reported Outcomes) erlangt zunehmend an Bedeutung. Es gibt gute Generalsekretär Deutsche Krebsgesellschaft e. V., Berlin Argumente dafür: Patient-reported Outcomes, kurz PRO, ermöglichen eine bessere bruns@krebsgesellschaft.de Einschätzung der Patientensituation und auf der Basis von PRO-Daten lässt sich die Behandlung besser an die Bedürfnisse der Patient*innen anpassen. Nicht nur die onkologische Versorgung könnte davon profitieren. Auch in der Nutzenbewer- tung onkologischer Innovationen und in Zulassungsstudien fordern Expert*innen und Patientenvertreter*innen seit geraumer Zeit eine stärkere Berücksichtigung der Lebensqualität aus Patientenperspektive. Vor allem wenn die Therapie oft nur lebens- verlängernd, aber nicht heilend wirkt, ist es wichtig abzuwägen, ob die Behandlung einen Effekt auf die Lebensqualität des Patienten hat. Und doch ist die PRO-Erfassung noch längst nicht selbstverständlich. Welche Bar- rieren gibt es, welche Best-Practice-Beispiele? In diesem Heft stellen wir Ihnen ver- schiedene Aspekte der Diskussion um den Nutzen von PRO und ihre Messung vor. Wie immer freue ich mich, wenn wir mit diesem Thema Ihr Interesse wecken. Schrei- ben Sie mir, wenn Sie Anregungen, Kommentare oder Kritik haben. Ein ergänzendes Videointerview finden Sie auf www.krebsgesellschaft.de/360-grad-onkologie. Beste Grüße Dr. Johannes Bruns © Georg Roither psychische oder soziale Probleme bezie- PROM in klinischen Studien Verbesserungsbedarf hen. Einen Beitrag über entsprechende Das gilt im Übrigen auch für klinische Auch bei der konsequenten Einbeziehung randomisiert-kontrollierte Studien, die Studien. Erst kürzlich bemängelte das von PROM in die Routinebehandlung gilt den Nutzen dieses Ansatzes belegen, Institut für Qualität und Wirtschaftlich- es, eine Reihe von Aufgaben zu lösen. Die finden Sie in diesem Heft. In der Siche- keit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Einschätzung der Betroffenen, für wel- rung und Weiterentwicklung der Ver- einem Rapid Report, dass Studien häufig che Verlängerung von Überleben welche sorgungsqualität können PROM auch Evidenzlücken im Bereich der gesund- Nebenwirkungen und Einschränkungen als Basis für einen Vergleich von Ver- heitsbezogenen Lebensqualität aufwei- der Lebensqualität akzeptiert werden, sorgungsorganisationen herangezogen sen. Eine Nutzenbewertung ist dadurch schwankt interindividuell und intraindi- werden. Das Ergebnis dieses Vergleichs deutlich erschwert. Die Autoren des Re- viduell. Insbesondere Letzteres ist eine motiviert die teilnehmenden Einrichtun- ports fordern daher verstärkt eine ent- Herausforderung für die Patienten-Arzt- gen zum Erfahrungsaustausch und zum sprechende Datenerhebung, entweder Interaktion und erfordert eine wiederhol- gegenseitigen Lernen. Solche Ansätze im Rahmen der Studie selbst oder in Pa- te Abstimmung zwischen Behandelnden sind z. B. im Positive Deviance Framework tientenregistern. und Betroffenen. vorgesehen, das auch beim TrueNTH Glo- bal Registry (TNGR) zur Verbesserung Um PROM patientenorientiert zu messen, Außerdem steckt die Entwicklung geeig- der Versorgungsqualität beim lokal be- ist außerdem eine stärkere Einbindung neter Darstellungsmöglichkeiten für die grenzten Prostatakrebs genutzt wird. Die von Patientenvertreter*innen bereits PROM-Ergebnisse noch in den Kinderschu- PCO-Studie, die ebenfalls in diesem Heft bei der Planung von Studien nötig. Für hen. Doch die Akzeptanz unter den Be- vorgestellt wird, liefert ein gutes Beispiel. moderne Studientypen wie Plattform-, troffenen ist im Allgemeinen hoch – gute Programme, die behandlerübergreifend Umbrella- und Basketstudien müssen Voraussetzungen für die systematische identische PROM und Kovariaten zum ad- Vorgehensweisen entwickelt werden, Erfassung von PROM. justierten Versorgungsvergleich erheben um PROM bei sehr heterogenen Betrof- und auswerten, sind allerdings bislang die fenengruppen sinnvoll und transparent Dr. Christoph Kowalski absolute Ausnahme. zu erfassen. Deutsche Krebsgesellschaft e. V., Berlin kowalski@krebsgesellschaft.de Titelthema Lebensqualität als Orientierung
#onko360 3 Nachgefragt … bei den Leistungserbringern In der Medizin hat ein längst überfälliges heitlich erfassen und die Qualität sowie fundamentales Umdenken eingesetzt. der tatsächliche Nutzen der Behandlun- Die vielfältigen und dynamischen Heraus- gen messbar machen. Gerade im Bereich forderungen für die Gesundheitssysteme der Onkologie steht bereits eine Vielzahl ©N weltweit können nur durch eine Rückbesin- generischer und krankheitsspezifischer In- ela König nung auf das, was für unsere Patient*innen strumente zur Verfügung, deren Nutzen für wirklich zählt, überwunden werden. Wir Patient*innen umfassend belegt wurde. Wir sollten daher eine konsequente Ausrichtung Leistungserbringer haben verstanden, dass des Gesundheitssystems am Patientenwohl ein Zusammenspiel von Kostenträger*innen, einfordern und selbst vorantreiben. Durch Politik und Patient*innen unter Berücksich- Patient-reported Outcome Measurement, tigung innovativer und digital gestützter indem wir also die Patient*innen selbst zu Technologien essenziell ist für die Gestal- ihrem Wohlbefinden und Zustand befragen, tung eines nachhaltigen patientenzentrier- Kontakt: Dr. Valerie Kirchberger lässt sich die Patientenperspektive ganz- ten Versorgungssystems. Charité Universitätsmedizin Berlin valerie.kirchberger@charite.de Dr. Valerie Kirchberger, Projekt Value-Based Healthcare, Charité Universitätsmedizin Berlin … bei den Krankenkassen Patient-repor ted Outcome Measures bringen. PROM können daher zur Vermei- © BK (PROM) ergänzen die Bewertung einer dung unnötiger Behandlungen beitragen. KD achv Therapiemaßnahme um die subjektive Ein- In der Onkologie ist ihr Nutzen mittlerweile erband schätzung der Patient*innen. PROM liefern gut belegt. Sie helfen den Behandlern bei Informationen zu Gesundheitszustand und der richtigen Einschätzung von Sympto- Lebensqualität und ermöglichen es, zusam- men und Funktionseinschränkungen der men mit evidenzbasierten klinischen Infor- Patient*innen. Neueren Studien zufolge mationen die medizinische Versorgung auf können PROM in der Krebstherapie zur Ver- die Bedürfnisse und Präferenzen der Be- besserung der Lebensqualität und sogar troffenen auszurichten. Ihre systematische zu einer relevanten Lebensverlängerung Erfassung hilft bei der Frage, welche The- beitragen. Die Anstrengung, PROM in die Kontakt: Franz Knieps rapieoptionen unter Berücksichtigung der Routineversorgung zu integrieren, muss BKK Dachverband e. V., Berlin andrea.roeder@bkk-dv.de Begleitumstände und Nebenwirkungen aus daher im Hinblick auf patientenorientier- Sicht des Patienten den größten Nutzen tes Handeln deutlich intensiviert werden. Franz Knieps, BKK Dachverband e. V. … bei Patientenvertretern Das Erfassen und Vergleichen patienten- ber 2020 von 25.746 ihrer Patienten die © berichteter Behandlungsergebnisse wird prätherapeutische und von 13.302 Pati- pri vat heute vielfach gefordert. Doch warum enten ein Jahr nach Therapie die post- erst jetzt und warum ist diese Forderung therapeutische Lebensqualität mit dem oft nur unzureichend umgesetzt, trotz ei- Extended-Prostate-Cancer-Index-Compo- ner großen Zahl von Studien und Ansät- site-26-(EPIC-26)-Fragebogen festgestellt zen, die den Nutzen von Patient-reported und in die PCO-Studie eingebracht. Ab Outcomes verdeutlichen? Zu ihnen ge- 2021 werden Erfassung und Bericht der hört unter anderem die Prostate-Cancer- Patientengesundheit anhand identischer Outcomes-(PCO)-Studie, an der sich über Messgrößen sowie Auswertungen mit ei- 100 Prostatakrebszentren mit einer Zerti- ner Altersstandardisierung und einer Risi- Kontakt: Ernst-Günther Carl fizierung durch die DKG beteiligen. Diese koadjustierung obligatorisch und Realität Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. guenther.carl@prostatakrebs-bps.de Zentren haben von Juli 2016 bis Novem- für DKG-zertifizierte Prostatakrebszentren. Ernst-Günther Carl und Günther Feick, Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. Nachgefragt
4 #onko360 Nutzungsbarrieren in der Versorgung? In den letzten Jahrzehnten hat sich die durchschnittliche Lebens- Die zweite Hürde für eine flächendeckende Nutzung von PRO- erwartung für Krebspatient*innen erheblich verlängert. Dies Daten liegt in der mangelnden Interoperabilität der Erfassungs- resultiert zum einen aus einer höheren Rate derer, die kurativ systeme. Klinische Verlaufsparameter werden heute in der Re- behandelt werden können, zum anderen aus längeren Überle- gel digital mittels sogenannter Electronic Health Records, kurz benszeiten nicht kurativ behandelter Patient*innen. Bei ähnlich EHR, erfasst. Eine Integration von PRO-Daten in diese Systeme wirksamen Anwendungen wird die unter der Therapie zu erwar- liegt also nahe. Unter der Vielzahl von Softwareprodukten zur tende Lebensqualität der Patient*innen damit zu einem wichtigen Erfassung von PRO-Daten bieten jedoch nur wenige eine Aus- Entscheidungskriterium. Jüngste Untersuchungen zeigen darüber wertung in Form individueller klinischer Berichte an, analog hinaus, dass die digitale Erfassung von Therapienebenwirkungen der Darstellung von Labordaten. Zudem werden die PRO-Daten und Erkrankungssymptomen bei Patientinnen mit metastasier- meist nicht in einem gängigen Standard abgelegt (z. B. LOINC®), tem Brustkrebs nicht nur die Zahl der Besuche in der Notaufnah- sodass kein automatischer Zugriff durch das jeweilige EHR-Sys- me reduzieren kann, sondern auch die Überlebenszeit insgesamt tem möglich ist. erhöht. Umso mehr verwundert es, dass die empirische Erfassung des subjektiven Gesundheitsstatus in der klinischen Praxis bis- Die PRO-Erfassung als Teil der klinischen Routine existiert in lang eher die Ausnahme als die Regel ist. Der Hauptgrund hierfür Deutschland daher bislang nur in Form individueller Lösungen, dürfte in einer mangelnden Standardisierung liegen. während in den USA einer der Marktführer für EHR-Systeme bereits eine vollintegrierte Erfassung von PRO-Daten und de- Zur Erfassung des vom Patienten berichteten Gesundheitsstatus – ren Auswertung mit der normierten PROMIS-Metrik anbietet. der sogenannten Patient-reported Outcomes (PRO) – stehen der- Immerhin entstand in den letzten Jahren in Deutschland eine zeit über 4.000 validierte Fragebögen zur Verfügung. Anders als Reihe von Initiativen, um an diese internationalen Entwicklun- bei biomedizinischen Parametern nutzt jedes Instrument seine gen anzuschließen. Mit Unterstützung der Europäischen Union, eigene Skala. Wenn also zwei Fragebögen den Parameter „Müdig- des Bundesministeriums für Gesundheit und der Charité wird keit“ messen, sind die Werte nicht unmittelbar vergleichbar. Das derzeit z. B. ein Europäisches Health Outcomes Observatory verhält sich in etwa so, als ob der gemessene Temperaturwert entwickelt, das eng mit den Nationalen Centren für Tumorer- abhängig vom jeweiligen Thermometer wäre. Für einen Einsatz krankungen (NCTs) zusammenarbeiten soll, um die Patienten- in der klinischen Routine ist jedoch eine instrumentenunabhän- perspektive bei der Behandlung von Tumorerkrankungen noch gige Messung des jeweiligen Wertes für eine intuitive Interpre- stärker und auf einer besseren Datenbasis in den Fokus der tierbarkeit nötig. Mittlerweile liegen sowohl von der „European Behandlung rücken zu können. Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC)“ als auch mit dem „Patient-reported Outcome Measurement Infor- mation System (PROMIS®)“ etablierte Messsysteme vor, die eine Erfassung zentraler Dimensionen der Gesundheit – ähnlich der Prof. Dr. Matthias Rose Messung biomedizinischer Daten – mit hoher Präzision auf nor- Charité Universitätsmedizin Berlin mierten Skalen erlauben. matthias.rose@charite.de © ON-Photography, stock.adobe.com/de Offenes Thema
#onko360 5 PRO in der Nutzenbewertung Die Arzneimittel-Nutzenverordnung ner anderen Option anhand von solchen Analyse onkologischer Arzneimittelbe- bringt den Maßstab der Zusatznutzen- Parametern zu bestimmen, die nicht aus- wertungen von 2011 bis 2016 in Deutsch- bewertung sehr prägnant auf den Punkt: schließlich von den Behandelnden erho- land, Frankreich, England und Schottland, „Der Nutzen eines Arzneimittels ist der ben und interpretiert wurden. dass in Deutschland der Einfluss patien- patientenrelevante therapeutische Ef- tenberichteter Endpunkte auf das Ergeb- fekt insbesondere hinsichtlich der Ver- Auch die Ärzteschaft hat ihre anfäng- nis der Nutzenbewertung am höchsten besserung des Gesundheitszustands, lichen Bedenken gegen PRO abgelegt. ist (40 Prozent vs. 10 Prozent in den an- der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Anfangs vernahm man noch häufiger, deren Institutionen), trotz vergleichbarer Verlängerung des Überlebens, der Ver- dass PRO-Ergebnisse nicht aussagekräf- Einreichungen von PRO-Daten. In einer ringerung von Nebenwirkungen oder tig in Bezug auf die Beurteilung des The- Reihe von Fällen führten positive PRO- einer Verbesserung der Lebensqualität.“ rapieerfolges seien, da das Ergebnis zum Daten zu einem Zusatznutzen trotz feh- Durch die Einführung des Arzneimittel- Beispiel von der Tageszeit der Befragung lender Gesamtüberlebensdaten. Es ist frustrierend, wenn die Instrumente in der klinischen Forschung nicht richtig umgesetzt werden, was sich z. B. in einer zu geringen Rücklaufquote zeigt oder in der Verwendung nicht validierter Instru- mente. Gerade in der Onkologie gibt es viele herausragende, validierte und akzep- tierte PRO-Instrumente und es ist nicht nachvollziehbar, dass diese Instrumente immer noch nicht regelhaft in klinischen Studien verwendet werden. Wichtig ist zudem, dass die Ergebnisse richtig analy- siert und transparent veröffentlicht wer- den. Es nützt wenig, sich darüber zu be- klagen, dass die Patientenorientierung in der Nutzenbewertung scheinbar zu kurz © Nuthawut, stock.adobe.com/de kommt, wenn wir es nicht schaffen, den für die Patient*innen relevanten Unter- schied der zu vergleichenden Therapien sinnvoll zu messen. Insofern gilt der dringende Apell der PRO- und Lebensqualitätsforschung. Es geht nicht um mehr Maßnahmen oder größere methodische Komplexität. Es markt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) abhinge. Zudem spiegele sich das Befin- geht darum, Werkzeuge bereitzustellen, wurde der Druck auf alle Beteiligten den der Patient*innen nicht immer in den die eine therapeutische Verbesserung enorm verstärkt, die Einschätzung des für Behandelnde vertrauteren klinischen für den Patienten spürbar und messbar Patienten zu seiner Krankheitssituation (Labor-)Parametern wider. machen und eine valide Analyse in der mit einzubeziehen: nämlich zu erfassen, Nutzenbewertung und auch im klini- „... wie eine Patientin oder ein Patient Um das Vertrauen in diese Ergebnisse schen Alltag ermöglichen. Somit kann fühlt, [wie sie] ihre oder [er] seine Funkti- zu erhöhen, ist es wichtig, dass PRO sys- man der Krebsforschung und -versor- onen und Aktivitäten wahrnehmen kann tematisch erhoben werden. Das Verzer- gung einen echten Wert verleihen – ei- oder ob sie oder er überlebt“ (IQWiG, rungspotential für diese Instrumente nen Wert, der durch die Erfahrungen der Methodenpapier 6.0). Das zeigt, dass pa- sollte durch die entsprechende Studien- Patient*innen geprägt wird. tientenberichtete Endpunkte über die Er- planung und -durchführung sowie durch hebung der Lebensqualität hinausgehen adäquate Analysemethoden so gering Dr. Antje Behring müssen. Der Mehrwert einer Therapie ist wie möglich gehalten werden. Im inter- Gemeinsamer Bundesausschuss, Berlin für die Patient*innen im Vergleich zu ei- nationalen Vergleich zeigt sich, so eine antje.behring@g-ba.de Innovationen
6 #onko360 Gezielte QoL-Programme zahlen sich aus Eine angemessen gute Lebensqualität beiden Gruppen wurde die patientenbe- in wenigstens einem von insgesamt 13 trotz Erkrankung – für Krebskranke ist das richtete Lebensqualität unmittelbar nach Bereichen hatten, nach einem Jahr eine ein wichtiges Therapieziel. Doch abhängig der Operation sowie 3, 6, 12 und 18 Monate Lebensqualität von mehr als 50 Punkten von Krebsart und Behandlung drohen Ein- danach mit Hilfe eines standardisierten in allen 13 Bereichen auf. In der Kontroll- schränkungen – viele Darmkrebsbetroffe- Fragebogens erfasst. gruppe traf das lediglich auf 25,9 Prozent ne fühlen sich zum Beispiel durch post- zu. Die Patient*innen im Interventionsarm operative Komplikationen, Chemotherapie Je nach Ausgang der Befragung erhielten profitierten also tatsächlich von einer auf oder durch einen künstlichen Darmaus- die Teilnehmer*innen im Interventions- ihren persönlichen Bedarf ausgerichteten gang beeinträchtigt. Unsere vom Bundes- arm psychosoziale Beratung, Unterstüt- Unterstützung. Das Ergebnis ermutigt zu ministerium für Bildung und Forschung zung bei der Stomapflege, ein Ernährungs- einem stärkeren Einsatz solcher Program- geförderte randomisiert-kontrollierte oder Fitnessprogramm, Schmerz- oder me in der Krebsversorgung. Studie umfasste 220 Patient*innen mit Physiotherapie. Hierfür wurde ein zeit- Darmkrebs, die nach dem Zufallsprinzip und wohnortnah arbeitendes Netzwerk entweder spezifische Angebote zur Ver- aus Experten aufgebaut. In der Interven- Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke besserung ihrer Lebensqualitätsdefizite tionsgruppe wiesen 48,7 Prozent derer, Universität Regensburg oder eine Standardnachsorge erhielten. In die zu Beginn ein Lebensqualitätsdefizit Monika.Klinkhammer-Schalke@ur.de treten jedoch häufig Funktionseinschrän- kungen, wie etwa erektile Dysfunktion oder Harninkontinenz, auf, die die Lebens- qualität der Patienten erheblich verrin- gern können. Umso wichtiger ist es, diese Einschränkungen, soweit es geht, zu ver- meiden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, diese einheitlich zu erheben und auszuwerten. © tadamichi, stock.adobe.com/de In der PCO-Studie wird der internationale ICHOM-Standard genutzt, der den Ver- gleich von Patient-reported Outcomes Measures nicht nur mit DKG-zertifizier- ten, sondern im Rahmen des TrueNTH Global Registries auch mit Zentren in mittlerweile 15 weiteren Ländern er- Prostate Cancer Outcomes: möglicht. 2020 erhielten die Zentren die ersten Ergebnisqualitätsvergleiche. Die PCO-Studie Damit ist die erste „Compare“-Etappe abgeschlossen und die Zentren können nun die Ergebnisse zur Qualitätsentwick- Seit 2016 können sich Prostatakrebszen- den. Der Vergleich wiederum ermöglicht lung nutzen. Die Movember Foundation tren mit einer Zertifizierung der Deut- die Identifikation von Ergebnisqualitäts- fördert die Initiative. DKG, OnkoZert und schen Krebsgesellschaft (DKG) an der unterschieden. Dadurch können diese Bundesverband Prostatakrebs verantwor- PCO-Studie beteiligen. PCO steht für Unterschiede reduziert und die Behand- ten die PCO-Studie gemeinsam. „Prostate Cancer Outcomes“. Die Studie lungsqualität gesteigert werden. trägt den Untertitel „Compare and Redu- Dr. Martin Burmester, PCO-Studienzentrum ce Variation“. Genau darum geht es: Die Die relative 10-Jahres-Überlebensrate Vinzenz-Krankenhaus Hannover martin.burmester@vinzenzkrankenhaus.de Ergebnisqualität nach der Behandlung für das Prostatakarzinom ist verglichen Dr. Burkhard Beyer, PCO-Studienzentrum von lokal begrenztem Prostatakrebs soll mit anderen Krebserkrankungen hoch Martini-Klinik Hamburg zwischen den Zentren verglichen wer- und beträgt 88 Prozent. Therapiebedingt b.beyer@uke.de Versorgung
#onko360 7 Patientenberichtete finanzielle Belastungen Anders als Daten zum Beispiel zur klini- zieller Belastungen aber nicht adäquat Bestrebungen verfolgen derzeit das Ziel, schen Wirksamkeit einer Intervention abbilden. Solange es kein gemeinsames diese Lücke zu schließen, und treiben die beziehen sich PROs auf die subjektive Verständnis des theoretischen Konstruk- Entwicklung von Messinstrumenten zur Patientenerfahrung und -beurteilung. tes finanzieller Belastungen und keine für Erfassung patientenberichteter finanzi- Neben der gesundheitsbezogenen Le- spezifische Versorgungskontexte validier- eller Belastungen voran. bensqualität sind in den letzten Jahren te umfassende Erhebungsinstrumente von Patient*innen berichtete finanzielle gibt, ist es schwierig, ein genaues Bild des Bastian Surmann, M. Sc. Belastungen zunehmend in den Blick der Ausmaßes dieser Art von Belastungen zu Universität Bielefeld Fachöffentlichkeit gelangt. Über das Phä- erhalten. Nationale sowie internationale bastian.surmann@uni-bielefeld.de nomen finanzieller Belastungen infolge von Krebserkrankungen wurde ursprüng- lich in privatwirtschaftlich geprägten © Wirestock, stock.adobe.com/de Versicherungssystemen berichtet, in de- nen Betroffene die direkten Kosten der Versorgung häufig unmittelbarer erleben und tragen. Inzwischen gibt es auch Studien aus Län- dern mit flächendeckendem Versiche- rungsschutz wie Deutschland, die über fi- nanzielle Belastungen als Folge von Krebs berichten. Diese resultieren dabei eher aus dem Verlust des Erwerbseinkommens und weniger aus direkten Krankheitskos- ten. Allerdings mangelt es den bisherigen Untersuchungen bislang an Vergleich- barkeit. Finanzielle Belastungen werden zwar in einigen Messinstrumenten zur Lebensqualität in einem Item miterfasst, können die Multidimensionalität finan- PRO-Monitoring bei Brustkrebs Laut den Krebsregisterdaten des Robert Stelle setzt die vom G-BA geförderte mul- gesamten Bundesrepublik ab April 2021 Koch-Instituts sterben jährlich mehr als tizentrische randomisierte Studie PRO B rekrutiert. Patientinnen im Interventi- 18.000 Brustkrebspatientinnen an den an, deren Konzept im Brustzentrum der onsarm werden mit Hilfe wöchentlicher Folgen ihrer Erkrankung. Das Mamma- Charité in enger Zusammenarbeit mit elektronischer PRO-Messungen über karzinom ist damit nach wie vor die häu- der Deutschen Krebsgesellschaft, Onko- eine Smartphone-Applikation (App) mo- figste krebsbedingte Todesursache für Zert sowie den Krankenkassen Barmer, nitoriert. Im Falle einer definierten Ver- Frauen in Deutschland. Mit dem Auftre- DAK und BKK VBU entwickelt wurde. schlechterung der PRO-Werte löst die ten von Metastasen ist die Erkrankung PRO B untersucht, ob ein in die deutsche PRO-B-App einen Alarm aus, der an das nicht mehr kurativ behandelbar, der Er- Routineversorgung integriertes, intensi- behandelnde Studienzentrum weiter- halt der bestmöglichen Lebensqualität viertes elektronisches PRO-Monitoring geleitet wird. Das Studienzentrum wird über einen möglichst langen Zeitraum zu einer Verbesserung der Lebensqua- dann die Patientin innerhalb 48 Stunden steht nun im Vordergrund. Hier ermög- lität und gegebenenfalls auch zu einer kontaktieren und falls nötig symptom- licht ein detailliertes Monitoring mittels Verlängerung des Überlebens führen bezogen intervenieren. elektronischer Patient-reported Outco- kann und die medizinische Versorgung mes (PRO) eine genaue Darstellung des der Patientin verbessert. Gesundheitszustandes der Patientinnen, Dr. Maria M. Karsten um dem behandelnden Arzt eine besse- 1.000 Studienteilnehmerinnen werden Charité Universitätsmedizin Berlin re Behandlung zu ermöglichen. An dieser in bis zu 40 Brustkrebszentren in der maria-margarete.karsten@charite.de Versorgung
DKG-Spezial 8 #onko360 licher Beratungen nicht erfolgreich wa- ren, soll die GKV nun das komplette Be- ratungsspektrum finanzieren. Laut Spahn soll sie künftig 80 Prozent der Kosten für psychosoziale Beratungsleistungen Meldungen Registern und Studien am Beispiel des decken – die Kosten für sozialrechtliche Pankreaskarzinoms. Programm und An- Beratungen sind hier integriert. 15 Prozent meldung unter www.qocc.de. der Kosten sollen über die Länder gedeckt werden, 5 Prozent der Kosten sollen durch Dr. Katrin Mugele Eigenmittel der Beratungsstellen, etwa Deutsche Krebsgesellschaft e. V. durch Spenden, getragen werden. mugele@krebsgesellschaft.de Mirjam Einecke-Renz Deutsche Krebsgesellschaft e. V. QoCC-Kongress Bessere Finanzierungsgrundlage renz@krebsgesellschaft.de Am 20. Januar 2021 startet der interdiszi- Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) und plinäre Onlinekongress „Quality of Cancer die Landeskrebsgesellschaften begrüßen Care“ (QoCC) der Deutschen Krebsgesell- das Vorhaben des Bundesgesundheits- Termine schaft (DKG) und der Arbeitsgemeinschaft ministers Jens Spahn zur Anhebung der Deutscher Tumorzentren (ADT). Unter Finanzierung der Krebsberatungsstellen QoCC-Kongress 2021 dem Motto „Qualität in der onkologischen in Deutschland. „Es ist lobenswert, dass 20. Januar bis 19. Februar Chirurgie“ bietet die Konferenz für einen Gesundheitsminister Spahn durch seine www.qocc.de Monat digitale Tutorials, Posterwalks so- Initiative jetzt 80 Prozent der Kosten der wie spannende Vorträge. Warum dieser Krebsberatungsstellen über die Kranken- Online-Kurs „Wiedereinstieg in den Beruf Fokus auf die onkologische Chirurgie, kassen absichern möchte. Viele Krebspa- nach Krebs“ für Patient*innen wollten wir vom Sprecher der Arbeits- tientinnen und -patienten bekommen so Start am 28. Januar 2021 gemeinschaft Assoziation Onkologische die Unterstützung, die sie brauchen“, sagt www.deutsche-krebsstiftung.de Chirurgie in der Deutschen Krebsgesell- Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der schaft, Prof. Dr. Pompiliu Piso aus Regens- DKG. Spahn hatte sich zur Finanzierung Online-Kurs „Existenzsicherung bei Krebs“ burg, wissen. In der Öffentlichkeit wer- in einem Interview mit der Osnabrücker für Patient*innen de oft übersehen, dass 80 Prozent aller Zeitung geäußert. Start am 8. März 2021 Krebspatient*innen im Laufe ihrer Erkran- www.deutsche-krebsstiftung.de kung operiert würden, so Piso. „In frühen Bereits im Juli wurden neue gesetzliche Tumorstadien ist die OP oft die einzige Regelungen zur Finanzierung der Krebs- Ein Videointerview zu dieser Ausgabe Chance auf Heilung, eine schlechte OP beratungsstellen umgesetzt, die jedoch finden Sie auf www.krebsgesellschaft.de/ lässt sich durch andere Therapien kaum unzureichend waren: Rückwirkend zum 360-grad-onkologie. kompensieren. Deshalb ist die Qualität in Jahresanfang sollte die gesetzliche Kran- der onkologischen Chirurgie so wichtig.“ kenversicherung (GKV) 40 Prozent der Kosten der in der Krebsberatung anfal- Beim QoCC-Kongress 2021 wird es unter lenden Beratungsleistungen finanzieren. © Rapport Media GmbH anderem um den Nutzen der Speziali- Die Höhe der damals beschlossenen För- sierung in der chirurgischen Onkologie derung entspricht dem Bedarf an psycho- gehen, um neue Wege zur Implementie- logischen Beratungsleistungen. Nachdem rung onkologisch-chirurgischer Forschung, die Gespräche mit dem Sozialministerium um die Qualitätssicherung anhand von zur Finanzierung des Anteils sozialrecht- Impressum Herausgeber Redaktion Designkonzeption und Gestaltung Deutsche Krebsgesellschaft e. V. Deutsche Krebsgesellschaft e. V. Federmann und Kampczyk design gmbh Kuno-Fischer-Straße 8, 14057 Berlin Dr. Johannes Bruns (V. i. S. d. P.), www.federmann-kampczyk.de Tel.: 030 3229329-0, Fax: 030 3229329-66 Dr. Katrin Mugele (Redaktion), Renate Babnik service@krebsgesellschaft.de (Gestaltung/Projektmanagement) Redaktionsschluss Januar 2021 www.krebsgesellschaft.de Auflage 2.500 Druck Generalsekretär: Dr. Johannes Bruns Druckerei Schöpfel GmbH Bestellung/Abbestellung Vereinsregisternummer: VR 27661 B Carl-von-Ossietzky-Straße 57a, 99423 Weimar www.krebsgesellschaft.de/360-grad-onkologie Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg Tel.: 03643 202296, Fax: 03643 202150 Umsatzsteuer-ID-Nummer: 27/640/57920 info@druckerei-schoepfel.de ISSN 2510-4268
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