Corona-Effekt in der Onkologie - Versorgung von Krebspatienten - Deutsches Ärzteblatt
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MEDIZINREPORT Thema Versorgung von Krebspatienten Corona-Effekt in der Onkologie Während der ersten COVID-19-Pandemiewelle im Frühjahr 2020 kam es zu Einschränkungen in der onkologischen Versorgung. Inwiefern sich die in einer prospektiven Studie erfassten Effekte auf die Überlebensprognosen auswirken werden, wird sich erst in einigen Jahren erfassen lassen. Menschen, die in der Coronakrise im Frühjahr gegen eine Krebserkran- kung kämpften, standen zudem Ein- schränkungen bei der onkologischen Versorgung gegen- über, speziell in den Bereichen Psycho- onkologie und Foto: Katarzyna Bialasiewicz/iStock Nachsorge. D ie COVID-19-Pandemie hat fügung zu stellen, ohne gleichzeitig terventionen oder Veränderungen sich weltweit auf die Ge- die Behandlung anderer schwerer bei der Palliativversorgung (4–6, sundheitsversorgung ausge- Krankheiten, darunter Krebs, zu be- 12–14). Zudem wurde empfohlen, wirkt (1). Seit der ersten Infektion einträchtigen. Ein weiteres Problem vermehrt Telemedizin oder telefo- in Wuhan, China, am 17. November war die Reduzierung des Kranken- nische Konsultationen durchzufüh- 2019 hat sich das Coronavirus hauszugangs und des Aufenthalts. ren und stationäre Behandlungen SARS-CoV-2 rasch, aber unter- Bei Krebspatienten wurden nicht- einzuschränken (15, 16). Es zeigten schiedlich schnell in den verschie- chirurgische Behandlungen oder eine sich aber auf internationaler Ebene denen Ländern verbreitet (2). Dies Verringerung der chirurgischen Ag- auch Verzögerungen bei der Krebs- hat weltweit zu einer Neuzuwei- gressivität erwogen, um Ressourcen diagnostik sowie ein erheblicher sung der verfügbaren Ressourcen insbesondere auf Intensivstationen Rückgang bei der Zahl der diagnos- geführt (3). Weltweit geschah die- zu schonen und den Krankenhaus- tizierten Krebsfälle (16–18). ser Prozess unterschiedlich und hat aufenthalt zu verkürzen (3, 7–11). Der erste SARS-CoV-2-Fall sich je nach Phase der Pandemie Deutschlands wurde am 27. Januar geändert. Diverse medizinische Ge- Folgen für die Krebsversorgung 2020 durch das Bayerische Gesund- sellschaften haben Richtlinien und In der Literatur finden sich auch heitsministerium gemeldet. In den Webressourcen publiziert, die sich Hinweise auf Verschiebungen oder Tagen darauf wurden stetig neue ständig weiterentwickeln (4–6). Veränderungen bei der Behandlung, Fälle bekannt, im März 2020 war Eines der Hauptprobleme bestand wie zum Beispiel die Reduktion der dann die erste Infektionswelle deut- darin, Priorisierungskriterien für die Anzahl von Fraktionen der Strahlen- lich sichtbar und die Zahl der ge- Behandlung zu definieren, um Res- therapie (Hypofraktionierung), das meldeten COVID-19-Neuerkrankun- sourcen für die (potenzielle) Versor- Aussetzen beziehungsweise die Re- gen kulminierte Anfang April auf gung COVID-19-Erkrankter zur Ver- duktion chemotherapeutischer In- bis zu 6 500 pro Tag (19), bevor in A 2234 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 46 | 13. November 2020
MEDIZINREPORT den nachfolgenden Wochen ein ers- force ein, um eine mögliche Unter- ge und im Bereich Psychoonkolo- ter Rückgang bei den Neuerkran- versorgung onkologischer Patienten gie/Ernährungs- und Bewegungs- kungen einsetzte. Insgesamt wurden frühzeitig erfassen und Entschei- therapien/soziale Beratung angege- in Deutschland bis Anfang Novem- dungsträger und Öffentlichkeit ent- ben. In diesen Bereichen konnte ein ber 2020 mehr als 560 000 COVID- sprechend informieren zu können. Teil über Beratung am Telefon oder 19-Neuerkrankungen und mehr als Zum Aufbau eines solchen Früh- in Videokonferenzen aufrechterhal- 10 000 Sterbefälle bestätigt. warnsystems wurde ein Fragebo- ten werden. Angesichts stark anwachsender gen für eine prospektive Panel-Er- Neuerkrankungszahlen und dem Auf- hebung entwickelt und in enger Berichte über Veränderungen treten schwerer Krankheitsverläufe Abstimmung mit den Direktoren In über einem Drittel aller Rück- setzte im März 2020 eine Diskussion der in die Studie eingebundenden meldungen wurden auch Verände- um drohende Engpässe bei der inten- Comprehensive Cancer Centers rungen bei der bildgebenden Diag- sivmedizinischen Versorgungskapa- (CCCs) über 5 Monate regelmäßig nostik, der Systemtherapie solider zität ein (20, 21). Zur Sicherstellung eingesetzt, analysiert und bewertet. wie auch hämatologischer Neopla- einer ausreichenden Versorgung wur- Diese 18 CCCs betreuen etwa sien, den Tumoroperationen und der den die Krankenhäuser im Rahmen 70 000–100 000 der 500 000 Pa- Palliativmedizin beschrieben. Eini- des COVID-19-Krankenhaus-Entlas- tienten mit Krebsneuerkrankungen ge Zentren ergänzten zur bildgeben- tungsgesetzes angewiesen, Klinikbet- in Deutschland, das heißt 15–20 % den Diagnostik, dass die Einschrän- ten für COVID-19-Patienten freizu- aller Krebsneuerkrankungen pro kungen nur bestimmte Verfah- halten (22). Zusätzlich setzte der Ge- Jahr (24). ren beträfen (z. B. Nuklearmedizin) meinsame Bundesausschuss im April Ziel dieser Befragung war eine oder bestimmte Patientengruppen 2020 vorübergehend das Mammo- quantitative und qualitative Bestands- (z. B. Nachsorge). Bezüglich Sys- grafie-Screening aus, um unnötige aufnahme in verschiedenen Berei- temtherapien solider Tumore wur- Kontakte zu vermeiden (23). chen der komplexen onkologischen de genannt, dass Therapien aufge- Versorgung, die Erfassung möglicher schoben beziehungsweise Therapie- Prospektive Befragung in CCCs Auswirkungen der COVID-19-Pan- zyklen modifiziert wurden, sofern Besorgt über mögliche Auswirkun- demie auf die klinisch-onkologische es klinisch vertretbar gewesen sei gen der COVID-19-Pandemie auf Forschung sowie auf die Versorgung (z. B. Erhaltungstherapien). Verän- die Inanspruchnahme und das Ange- und die Früherkennung in den Out- derungen bei hämatologischen Sys- bot der onkologischen Versorgung reach-Bereichen der CCCs. temtherapien betrafen hauptsäch- richteten das Deutsche Krebsfor- Über insgesamt 10 Befragungs- lich eine Reduktion beziehungswei- schungszentrum (DKFZ), die Deut- runden wurden bei über 90 % aller se das Aufschieben autologer und sche Krebshilfe und die Deutsche Rückmeldungen Veränderungen in allogener Transplantationen. Krebsgesellschaft (DKG) bereits im Zusammenhang mit der CO- Zum Bereich Tumoroperationen März 2020 eine gemeinsame Task- VID-19-Pandemie bei der Nachsor- wurde vereinzelt in den ersten Wo- Methodik der Studie Anhand eines standardisierten Fragebogens ● Tumorboard Bereich des CCCs bei der Krebsversorgung wurden zwischen März 2020 und August ● Systemtherapie solider Tumoren und der Krebsfrüherkennung (z. B. Mamma- 2020 die Direktoren (oder deren Vertreter) ● Systemtherapie hämatologischer Tumoren Screen, Endoskopie) gefragt. Für alle Berei- von 18 Comprehensive Cancer Centers ● Strahlentherapie che wurde zudem auch der Grad der Sicher- (CCCs) über 10 Erhebungsrunden zu ver- ● Tumoroperationen (zusätzlich aufgeglie- heit bei den einzelnen Antworten erhoben. schiedenen Bereichen der onkologischen dert nach verschiedenen Bereichen) Die erste Erhebung fand vom 25.–28. Versorgung befragt. Der standardisierte Fra- ● Pädiatrische Onkologie März 2020 (KW 13) mittels fragebogenge- gebogen enthielt übergeordnete Fragen zum ● Psychoonkologie/Ernährungs- und Bewe- stütztem Telefoninterview statt. Die Befra- Ablauf der Krebsversorgung: gungstherapien/soziale Beratung gung der Runden 2–9 erfolgte dann mittels ● Wird die Krebsversorgung bei Ihnen wie ● Spezialangebote (z. B. Fertilitätsprotektion) Fragebogenformular, das den Adressaten zu- vor der Coronapandemie durchgeführt? ● Nachsorge nächst wöchentlich (Runde 2–6; KW 14–18), ● Bestehen Einschränkungen oder wurden ● Palliativmedizin dann alle zwei Wochen (Runde 7, KW 18) Angebote komplett eingestellt? Zusätzlich wurde nach Veränderungen bezie- und ab Runde 8 im vierwöchentlichen Rhyth- ● Falls Einschränkungen bestehen: Wie hungsweise Einschränkungen bei der Info- mus (KW 24, 28, 32) per E-Mail zugestellt ausgeprägt (%) sind die Reduktionen? Hotline, der Kapazität zur Patientenaufnahme wurde. Die einzelnen Fragen umfassten die Bereiche von anderen Standorten, den laufenden klini- Zur Erhöhung der Compliance wurden ne- ● Diagnostik (bildgebend) schen Studien, der Initiierung neuer Studien ben Erinnerungen auch Ergebnisrückmeldun- ● Diagnostik (Pathologie und Labor) und dem Betrieb der Krebsforschungslabore gen zeitnah nach jeder Befragungsrunde an ● Tumorbiopsien sowie nach Einschränkungen im Outreach- die befragten Klinikvertreter verschickt. A 2236 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 46 | 13. November 2020
MEDIZINREPORT GRAFIK 1 Einschränkungen in verschiedenen Bereichen der onkologischen Versorgung Diagnostik (bildgebend) Einschränkungen bei der Versorgung (Prozent) Diagnostik (Pathologie & Labor) Tumorbiopsien 60 Tumorboard Systemtherapie solider Tumoren Systemtherapie hämatologischer Tumoren Bereich 40 Strahlentherapie Tumoroperationen Pädiatrische Onkologie Psycho/Ernährung/Bewegung/Soziales 20 Spezialangebote Nachsorge Palliativ 13 14 15 16 17 18 20 24 28 32 Kalenderwoche chen genannt, dass Termine mit ge- deren Standorten berichtet. Ein- der Pandemie noch nicht wieder ringerer Dringlichkeit verschoben schränkungen bei der Nachsorge erreicht werden. worden seien, überwiegend wurde während des Beobachtungszeitrau- Bei der Nachsorge wurden insbe- jedoch betont, dass onkologischen mes betrafen alle CCCs. Einschrän- sondere in den ersten 6 Wochen Patienten bei einer Triage grund- kungen im Bereich Psychoonkolo- (Ende März bis Anfang Mai) Ein- sätzlich eine hohe Priorität einge- gie/Ernährungs- und Bewegungs- schränkungen in der Größenord- räumt worden sei. therapien/soziale Beratung wurden nung 60–80 % angegeben. Bei der Im palliativen Bereich wurde von allen bis auf ein CCC berichtet. Psychoonkologie war die Versor- teilweise beschrieben, dass eine Die Mehrzahl aller CCCs gab darü- gungskapazität langfristig um ca. Umstellung auf ambulante häusli- ber hinaus auch mindestens einmal 30–40 % reduziert. Erst gegen Mit- che Versorgung beziehungsweise Einschränkungen in den Bereichen te Juni (KW 24) zeigte sich hier ei- Verlegung in Hospize angestrebt bildgebende Diagnostik, System- ne leichte Besserung. In den ande- wurde. Allerdings wurden auch therapie hämatologischer Neopla- ren Bereichen bewegen sich die diesbezüglich Probleme genannt, sien, Tumoroperationen und Spezi- Einschränkungen in der Größenord- zum Beispiel bei der Bereitstellung alangebote an. nung um 10–20 %. Dabei wurden von Pflegebetten oder durch die Die Einschränkungen in den Be- die stärksten Einschränkungen in ebenfalls eingeschränkte Aufnah- reichen Nachsorge (94 %), Psycho- den KW 15–18 (Mitte bis Ende mekapazität von Hospizen. Insge- onkologie/Ernährungs- und Bewe- April 2020) genannt und bewegten samt ergibt sich aus den Freitexten gungstherapien/soziale Beratung sich am Ende der Beobachtungspe- zum Palliativbereich besonders in (94 %) sowie bildgebende Diagnos- riode im August noch zwischen 5 den ersten Wochen der Umfrage ein tik (61 %), Systemtherapie hämato- und 10 %. sehr heterogenes Bild von „kleine- logischer Neoplasien (56 %) und ren“ Einschränkungen bis hin zu ei- Tumoroperationen (50 %) dauerten Onkologische Forschung ner deutlichen Reduktion der Bet- dabei bei der Mehrzahl der CCCs Auch auf die klinisch-onkologische tenzahl. jeweils mehr als 12 Wochen an. Forschung hatte die COVID-19- Seltener wurden Veränderungen Grafik 1 zeigt den zeitlichen Pandemie Auswirkungen (s. Gra- in den Bereichen Diagnostik (Pa- Verlauf und das quantitative Aus- fik 2). Nahezu alle CCCs berichte- thologie und Labor), Tumorbiop- maß der Einschränkungen nach ten über Einbrüche bei der Neure- sien, Tumorboard (abgesehen von den einzelnen Versorgungsberei- krutierung von Patienten in klini- vermehrten Online-Meetings), der chen. In der Gesamtschau zeigt sche Studien aufgrund geringerer Strahlentherapie (hier meist längere sich eine kontinuierliche, aber Fallzahlen und veränderter Res- Intervalle), bei der pädiatrischen langsame Erholung der Versor- sourcenallokation. Aber es wurden Onkologie, den Spezialangeboten gungssituation in den CCCs ab et- auch hier Priorisierungen vorge- wie Fertilitätsprotektion, der Info- wa Mitte Mai, allerdings konnte nommen und zunächst präferen- Hotline und bei der Kapazität zur bis zum Ende der Erhebungsphase ziell Studien fortgesetzt, von denen Aufnahme von Patienten von an- (KW 32) der Ausgangsstatus vor „practice-changing results“ zu er- A 2238 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 46 | 13. November 2020
MEDIZINREPORT warten waren. Bereits im April Einschränkungen bei der Krebs- schen Krebshilfe und der DKG setzte die Rekrutierung wie auch früherkennung zeigten sich bereits zeigt erhebliche Einschränkungen die Initiierung neuer Studien wieder zu Beginn der Erhebungsphase, das im Bereich der Nachsorge und bei sukzessive ein. Aber selbst nach 10 heißt Ende März 2020 (KW 13). Erst der psychoonkologischen bezie- Befragungsrunden (KW 32) berich- in KW 24 (Mitte Juni) wurde im hungsweise der nichtärztlichen Be- teten 6 der 18 CCCs noch immer Outreach-Bereich der meisten CCCs ratung auf. Diese Einschränkungen von einer geringeren Neurekrutie- eine Normalisierung bei der Krebs- in den vorwiegend sprechenden Be- rung bei klinischen Studien. Beson- früherkennung wahrgenommen. Be- handlungsdomänen betrafen fast al- ders lange gab es Einschränkungen züglich der Früherkennung wurden le CCCs und bestanden relativ kon- bei Studien mit komplexen zellulä- einerseits Einschränkungen seitens stant über die gesamte Dauer der ren Therapien, die eine internatio- der Kliniken selbst genannt (z. B. Beobachtungsperiode fort. nale Logistikkette beinhalten (z. B. Mammascreening, Vorsorgeendo- Aber auch in anderen Bereichen CAR-T-Zellen). skopien), jedoch auch eine geringere fanden sich zumindest temporär Eine ähnliche Entwicklung und Nachfrage beziehungsweise Wahr- Funktions- und Kapazitätseinschrän- zunehmende Reaktivierung war bei nehmung seitens der Patienten. kungen. Diese waren aber quan- den Krebsforschungslaboren zu se- Einschränkungen in der Versor- titativ von geringerem Ausmaß oder hen. Während zu Beginn der Erhe- gung im Outreach bezogen sich in ihrer Dauer kürzer und zeigten bung viele Krebsforschungslabore zum Beispiel auf die Übernahme eine Erholung über die Beobach- im Minimalbetrieb agierten, hatten von Patienten aus umliegenden tungszeit. ab Mitte Mai (KW 20) die meisten Krankenhäusern, aber teilweise wieder ihren Normalbetrieb aufge- wurden auch weniger Zuweisun- Akutversorgung nicht bedroht nommen. gen genannt. Einige Einschränkun- Insgesamt zeigten sich in unserer gen bezogen sich auch auf die Ko- Untersuchung für Patienten, die in- Outreach-Versorgung operationen selbst (z. B. weniger nerhalb der CCCs betreut wurden, Einschränkungen im Outreach-Be- Teilnehmer an Videokonferenzen, keine anhaltenden, bedrohlichen reich erreichten erst mit einiger Ver- geringere Nachfrage von regiona- Einschränkungen in der onkologi- zögerung ihren Höhepunkt. Wäh- len Partnern nach Zweitmeinungen schen Akutversorgung, das heißt rend die Versorgung im Outreach- der CCCs). bei der Diagnostik und der Pri- Bereich Ende März bis Mitte April Die COVID-19-Pandemie hat märtherapie. Dennoch kam es zu 2020 (KW 13–15) überwiegend wie in anderen Ländern (13) auch Verzögerungen und Veränderungen normal zu verlaufen schien, so wur- in Deutschland zu messbaren Ver- bei der Abklärung und Therapie, den zwischen Mitte April bis Mitte änderungen bei der onkologischen was für betroffene Patienten ei- Mai 2020 (KW 16–20) vermehrt Ein- Versorgung geführt. Die Studie der ne zusätzliche psychische Belastung schränkungen berichtet. Taskforce des DKFZ, der Deut- darstellen und – zumindest bei lan- GRAFIK 2 Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die klinisch-onkologische Forschung 18 16 14 12 Anzahl CCCs 10 8 6 4 2 0 Ja Minimalbetrieb Nein Betrieb von Krebsforschungslaboren KW 13 KW 14 KW 15 KW 16 KW 17 KW 18 KW 20 KW 24 KW 28 KW 32 A 2240 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 46 | 13. November 2020
MEDIZINREPORT gen Intervallen – auch zu einem frageverhalten seitens der Patientin- um diese Informationslücke so gut Fortschreiten der Erkrankung füh- nen und Patienten während der Wo- wie möglich zu schließen. ren kann. chen mit hohen Zahlen an CO- Auch wenn die hier vorgestell- VID-19-Neuerkrankungen. ten Zahlen auf Selbstangaben der Langfristige Konsequenzen Es ist daher von hohem wissen- teilnehmenden CCCs basieren, ist Inwiefern sich die beobachteten schaftlichem und gesellschaftlichem von einer hohen Validität auszu- Veränderungen in der Versorgung Interesse, in weiteren Untersuchun- gehen. In 82 % der Angaben wur- in CCCs langfristig nachteilig auf gen, die insbesondere auf Krebsre- de der Sicherheitsgrad der Kor- die Behandlungsergebnisse im Sin- gisterdaten und Abrechnungsdaten rektheit der jeweiligen Antwort ne von Überlebensprognosen aus- der Kassenärztlichen Vereinigungen durch den befragten CCC-Leiter wirken, kann erst in einigen Jahren und Versicherungen beruhen sollten, als „sehr sicher“ und in 16 % als erfasst werden. Auch aussagekräfti- in den Folgejahren die Nachfrage „relativ sicher“ eingestuft. Nur 2 % ge Analysen zur Stadienverteilung, nach medizinischen Leistungen im aller Antworten drückten eher ei- um etwaige Auswirkungen einer onkologischen Bereich detailliert zu ne „gefühlte“ Situation aus. Hier- verzögerten Diagnosestellung zu evaluieren und diese Daten in Bezug von waren am häufigsten die Be- quantifizieren, sind aufgrund des auf spätere Stadienverschiebungen reiche „Pädiatrische Onkologie“ Zeitverzugs bei der bevölkerungs- und Behandlungsergebnisse zu be- (12 %), Spezialangebote (10 %) und bezogenen Krebsregistrierung erst werten. Psychoonkologie/Ernährungs- und mit einer Latenz von mindestens 2 Es bleibt abzuwarten, ob sich zu- Bewegungstherapien/soziale Bera- Jahren zu erwarten. dem Auswirkungen von Verände- tung (4 %) betroffen, in allen an- Die hier vorgestellte Studie er- rungen von Standards in der The- deren Bereichen wurde in über hebt keinen Anspruch auf ein re- rapie (z. B. längere Behandlungs- 99 % der Angaben eine hohe Si- präsentatives Ergebnis für die ge- intervalle, weniger myelotoxische cherheit bezüglich der Validität an- samte onkologische Versorgung in Medikamente) erfassen lassen wer- gegeben. Deutschland während der ersten den. Vor Kurzem publizierte Mo- Zwischen den CCCs, welche die Monate der COVID-19-Pandemie. dellierungen erwarten für England Antworten jeweils für ihre Zentren Aber sie demonstriert eindrücklich einen 5–17 %igen Anstieg bei der separat abgaben und eine Gesamt- unerwünschte „Nebeneffekte“ der Krebsmortalität über die nächsten übersicht der Antworten im An- Priorisierung der verfügbaren me- fünf Jahre durch verminderte Prä- schluss nur anonymisiert und ag- dizinischen Behandlungskapazitä- sentation von Verdachtsfällen und gregiert erhielten, fand sich eine ten auf nur einen Bereich. Neben eingeschränkte Diagnostik bei den hohe Konkordanz in der Beschrei- dieser Priorisierung haben aber Neuerkrankungen aufgrund des all- bung der Situation zum jeweiligen auch Kapazitätsprobleme, zum Bei- gemeinen Lockdowns (31). Zeitpunkt der Pandemie und im spiel durch lange Quarantänezeiten Verlauf über die Beobachtungsperi- für Mitarbeiter bei Exposition oder Bessere Krebsregister nötig ode. Auch dies unterstützt, dass es durch weniger Raum in Ambulan- Es ist zu hoffen, dass dieser Morta- durch die systematischen Befragun- zen oder auf Stationen durch Ab- litätsanstieg in Deutschland weni- gen gelungen ist, während der Pan- standsregeln, die onkologische Ver- ger deutlich ausfällt, da bislang nur demie ein repräsentatives Bild der sorgung während der Pandemiewel- temporäre Einschränkungen bei der Versorgungssituation in CCCs in le beeinträchtigt. Diagnostik zu verzeichnen waren. Deutschland zu zeichnen. Ein sehr ähnliches Muster wie Eine zukünftige Herausforderung Prof. Dr. med. Stefan Fröhling* hier für die CCCs zusammengefasst für Krebsregister und sonstige Er- PD Dr. med. Volker Arndt* fanden sich auch bei einer Online- fassungssysteme in Deutschland und die Taskforce des Deutschen Befragung, die parallel zu unserer wird sein, ihre derzeit noch sehr Krebsforschungszentrums (DKFZ), Studie zu einzelnen Zeitpunkten in komplexen Abläufe weiter zu opti- der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft DKG-zertifizierten onkologischen mieren, um Daten sehr viel schnel- (*geteilte Erstautorenschaft) Zentren durchgeführt wurde (per- ler als bisher zur Verfügung zu stel- sönliche Mitteilung von Olaf Ort- len. Nur so können Krankheitszah- Die vollständige Autorenliste und Angaben zu Interessenkonflikten finden Sie unter: mann) sowie bei ersten interna- len und Bedarfsdaten im Falle von www.aerzteblatt.de/202234 tionalen Untersuchungen (25–27). akut knappen Ressourcen im Inte- Der Artikel unterliegt nicht dem Peer-Review- Kern unserer Untersuchung waren resse der Patienten für regionale Verfahren. Veränderungen im Leistungsangebot und überregionale Planungsprozes- Korrespondenz: aufseiten der CCCs. Veränderungen se zur Verfügung stehen. Die mitt- Prof. Dr. med. Michael Baumann im Nachfrageverhalten seitens der lerweile bestätigte Erwartung, dass Deutsches Krebsforschungszentrum Patientinnen und Patienten, wie be- das jetzige System der Krebsre- Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg reits für Schlaganfall und Herzin- gister dies nicht leisten kann, war E-Mail: michael.baumann@dkfz-heidelberg.de farkt beschrieben (28–30), wurden der wesentliche Grund für DKFZ, hierin nicht systematisch erfasst. Die Deutsche Krebshilfe und DKG, Literatur im Internet: teilnehmenden CCCs berichteten proaktiv die Taskforce für die vor- www.aerzteblatt.de/lit4620 aber von einem verminderten Nach- liegende Untersuchung zu bilden, oder über QR-Code. A 2242 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 46 | 13. November 2020
MEDIZINREPORT Zusatzmaterial Heft 46/2020, zu: Versorgung von Krebspatienten Corona-Effekt in der Onkologie Während der ersten COVID-19-Pandemiewelle im Frühjahr 2020 kam es zu Einschränkungen in der onkologischen Versorgung. Inwiefern sich die in einer prospektiven Studie erfassten Effekte auf die Überlebensprognosen auswirken werden, wird sich erst in einigen Jahren erfassen lassen. Literatur 1. World Health Organization: Coronavirus 13. Richards M, Anderson M, Carter P, Ebert Mammographie-Screening. BAnz AT disease (COVID-19) pandemic; BL, Mossialos E: The impact of the CO- 26. März 2020 B72020. https://www.who.int/emergencies/diseases/ VID-19 pandemic on cancer care. Nat Can- 24. Klein F: Netzwerk Onkologische Spitzen- novel-coronavirus-2019. cer 2020: 1–3. zentren – Vernetzung für eine bessere Pa- 2. Johns Hopkins Coronavirus Resource Cen- 14. Wörmann B, Rüthrich MM, Einsele H, et al.: tientenversorgung. 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MEDIZINREPORT Autorenliste: Prof. Dr. med. Stefan Fröhling* Prof. Dr. med. Hartmut Döhner Interessenkonflikte: Abteilung Translationale Medizinische Onkolo- Klinik für Innere Medizin III (Hämatologie, Onko- Bokemeyer, C: Vortragshonorare von Med Update GmbH und Streamedup! GmbH gie, Deutsches Krebsforschungszentrum logie, Palliativmedizin, Rheumatologie und In- (DKFZ) und Nationales Centrum für Tumor- fektionskrankheiten), Universitätsklinikum Ulm, Lordick, F: Vortragshonorare von Streamedup! erkrankungen (NCT), Heidelberg Ulm GmbH und Medscape PD Dr. med. Volker Arndt* Prof. Dr. med. Michael Hallek Baumann M: In den letzten 5 Jahren nahm Prof. Abteilung Klinische Epidemiologie und Alterns- Klinik I für Innere Medizin (Onkologie, Hämato- Baumann an einer Beiratssitzung der MERCK logie, Klinische Infektiologie, Klinische Immuno- KGaA (Darmstadt) teil, für die die Universität Dres- forschung (C070), Cancer Survivorship (C071), den ein Reisestipendium erhielt. Darüber hinaus er- Epidemiologisches Krebsregister Baden-Würt- logie, Hämostaseologie, Internistische Intensiv- hielt er Mittel für seine Forschungsprojekte und für temberg (M110), Deutsches Krebsforschungs- medizin) und Centrum für Integrierte Onkologie Bildungsstipendien an die Universität Dresden von zentrum (DKFZ), Heidelberg (CIO Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf), Uniklinik der Teutopharma GmbH (2011–2015), der Ion Köln, Köln Beam Applications S.A. (2016), der Bayer AG Dr. phil. Daniela Doege (2016–2018), der Merck KGaA (2014–2030) und Abteilung Klinische Epidemiologie und Alterns- Prof. Dr. med. Volker Heinemann der Medipan GmbH (2014-2018). Für das Deutsche forschung (C070), Cancer Survivorship (C071), Medizinische Klinik und Poliklinik III, LMU Klini- Krebsforschungszentrum (DKFZ, Heidelberg) ist Dr. Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), kum, München Michael Baumann Mitglied des Beratungskomitees der HI-STEM gGmbH (Heidelberg) und seit 2020 Heidelberg Mitglied im Aufsichtsrat der Charité Universitätsme- Prof. Dr. med. Ulrich Keilholz Prof. Dr. med. Peter Albers Charité Comprehensive Cancer Center dizin Berlin. Prof. Baumann war oder ist als ehema- liger Vorsitzender von OncoRay (Dresden) und der- Klinik für Urologie, Comprehensive Cancer Cen- (CCCC), Berlin zeitiger Geschäftsführer und wissenschaftlicher Lei- ter/Centrum für Integrierte Onkologie (CIO ter des Deutschen Krebsforschungszentrums Prof. Dr. med. Thomas Kindler Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf), Medizinische (DKFZ, Heidelberg) für die Zusammenarbeit mit ei- Universitäres Centrum für Tumorerkrankungen ner Vielzahl von Unternehmen und Institutionen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düssel- (UCT), Universitätsmedizin Mainz, Mainz weltweit verantwortlich. In dieser Funktion hat er dorf, Düsseldorf Verträge für sein(e) Institut(e) und für das Personal Prof. Dr. med. Florian Lordick für Forschungsförderung und/oder Kooperationen Prof. Dr. med. Hana Algül Medizinische Klinik und Poliklinik II (Onkologie, mit der Industrie und Wissenschaft weltweit unter- Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Com- Gastroenterologie, Hepatologie, Pneumologie, zeichnet. In dieser Funktion war/ist er weiterhin für prehensive Cancer Center TUM (CCCMTUM), die kommerziellen Technologietransferaktivitäten Infektiologie), Universitäres Krebszentrum Klinikum rechts der Isar der Technischen Uni- seines/seiner Institute verantwortlich, einschließlich (UCCL), Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig versität München, München des DKFZ-PSMA617-Patentportfolios und ähnlicher Prof. Dr. med. Christoph Peters IPPortfolios. Prof. Baumann bestätigt, dass keine Prof. Dr. med. Ralf Bargou der oben genannten Geldmittel für die Erstellung Tumorzentrum Freiburg, Institut für Molekulare Comprehensive Cancer Center Mainfranken, dieses Papiers verwendet wurden. Medizin und Zellforschung, Freiburg Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg Die anderen Autoren geben an, dass keine Interes- Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf senkonflikte vorliegen. Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer Westdeutsches Tumorzentrum (WTZ) Essen & Zentrum für Onkologie, Universitätsklinikum Klinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg Essen, Essen Prof. Dr. med. Martin Bornhäuser Prof. Dr. med. Daniel Zips Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Carl Universitätsklinik für Radioonkologie, Universi- Gustav Carus Dresden, Dresden tätsklinikum Tübingen, Tübingen Prof. Dr. med. Christian H. Brandts Dr. rer. nat. Anja Braun Universitäres Centrum für Tumorerkrankungen Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), (UCT), Medizinische Klinik 2, Universitätsklini- Heidelberg kum Frankfurt, Frankfurt Prof. Dr. med. Olaf Ortmann Prof. Dr. med. Peter Brossart Deutsche Krebsgesellschaft, Berlin; Klinik für Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universi- Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Caritas- tätsklinikum Bonn, Bonn Krankenhaus St. Josef, Regensburg Prof. Dr. med. Tim H. Brümmendorf Gerd Nettekoven Medizinische Klinik IV (Hämatologie, Onkologie, Deutsche Krebshilfe, Bonn Hämostaseologie und Stammzelltransplanta- tion) und Centrum für Integrierte Onkologie Prof. Dr. med. Michael Baumann (CIO), Aachen Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg * Geteilte Erstautorenschaft A7 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 46 | 13. November 2020
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