50 Jahre hydrologische Forschung im Alptal, Kanton Schwyz
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50 Jahre hydrologische Forschung im Alptal, Kanton Schwyz Manfred Stähli Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (CH)* Alexandre Badoux Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (CH) Seit genau 50 Jahren betreibt die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im hinteren Alptal (Kanton Schwyz) hydrologische Messungen in kleinen Einzugsgebieten. Neben der Bedeu tung des Waldes für die Hochwasserbildung wurden von Anfang an auch die Wasserqualität und der Sedi menttransport in solch dynamischen Wildbächen untersucht. Die Forschung im Alptal ist ein Spiegelbild da von, wie sich die ökologische Forschung in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat: von einer individuellen, disziplinären Initiative hin zu einem vielfältigen Forschungsverbund mit verschiedensten Fragestellungen und Akteuren. So ist sie auch für die Zukunft gut aufgestellt. doi: 10.3188/szf.2018.0347 * Zürcherstrasse 111, CH8903 Birmensdorf, EMail manfred.staehli@wsl.ch Als am 13. August 1968 die erste Abfluss WSL), Hans M. Keller, waren allerdings äus Emmental (Sperbelgraben/Rappengraben, messstation im Alptal, Kanton Schwyz, in serst ambitiös. In rund zehn Seitenbächen ab 1903) sowie an der Baye de Montreux Betrieb genommen wurde (Abbildung 1), der Alp sollten mehrjährige Messungen (ab 1934), im Tessin (Valle di Melera, ab ahnte vermutlich niemand, dass daraus von Abfluss und Wasserqualität durchge 1935) und im Schwarzseegebiet (Roten eines der bedeutendsten forsthydrologi führt werden. Die Untersuchungsgebiete bach/Schwändlibach, ab 1952) untersucht schen Langzeitmonitorings und damit waren alle ähnlich gross (etwa 1 km2), worden war (Keller 1985, Hegg et al 2006): verbunden ein interdisziplinäres Feldlabor unterschieden sich aber bezüglich Bewal Was ist die Wirkung des Waldes auf die entstehen würde. Die Pläne des damaligen dung. Somit war es möglich, im Flysch Abflussbildung in kleinen Einzugsgebieten? Leiters der Gruppe «Forstliche Hydrologie» gebiet der Zentralschweiz an eine alte Schon von Beginn an ging Hans M. an der Eidgenössischen Anstalt für das Forschungsfrage anzuknüpfen, die damals Keller (Abbildung 2) aber einen Schritt forstliche Versuchswesen (EAFV, heute schon über ein halbes Jahrhundert lang im weiter als seine Vorgänger. Weil systemati sche Daten zu den chemischen Inhalts stoffen in solchen kleinen Fliessgewässern fehlten, startete er unverzüglich mit regel mässigen Wasserprobenahmen und analy sierte diese in Bezug auf Nährstoffe sowie auf geogene und andere chemische Para meter. Dies war damals auch international im Trend, wurden doch zur gleichen Zeit ähnliche Langzeitmessungen in Nordame rika lanciert. Der Enthusiasmus der kleinen Gruppe um Hans M. Keller wurde am 23. Juni 1974 auf eine harte Probe gestellt, als während eines schweren Gewitters sämtliche ursprünglichen Abflussmesssta tionen durch Hochwasser und Geschiebe zerstört wurden. In der Folge führte die EAFV ihre hydrologischen Messungen nur noch in drei Einzugsgebieten weiter. Die Forscher zogen ihre Lehren aus dem Ereig nis und bauten viel massivere Abfluss Abb 1 Die erste Abflussmessstation im Alptal (Vogelbach) im September 1968. Sie wurde 1974 wäh- stationen, die auch heute noch funktions rend eines Unwetters zerstört und in der Folge neu errichtet (vgl. Abbildung 2). Foto: unbekannt (Archiv WSL) tüchtig sind. Schweiz Z Forstwes 169 (2018) 6: 351–353 BLOC-NOTES 351
Neue Themen und Akteure In den letzten 10 bis 15 Jahren ist die Forschung im Alptal noch vielfältiger ge worden. Der Grundbetrieb bei den hydro logischen Messstationen und bei der Kli mastation läuft aber unverändert solide weiter – seit 2006 unter der Leitung von Manfred Stähli. Als regelrechte Ikone der Geschiebeforschung hat sich der Erlen Abb 2 Hans M. Keller bach entwickelt (Rickenmann 2017). Die und Kollegen bei der hier installierte Messinfrastruktur zur neuen Abflussmesssta- tion Vogelbach (August Quantifizierung von Geschiebetransport 1985). Foto: unbekannt in Wildbächen (Abbildung 3) ist interna (Archiv WSL) tional führend und Vorbild für ähnliche Messungen, zum Beispiel in Japan und Beginn der nationalen und inter- unverändert weitergeführt, wobei insbe Österreich. Das Kernstück bilden dabei nationalen Forschungsprogramme sondere bei der Messtechnik, der Daten die Geschiebefangkörbe, die auf einer Der Aufbau der hydrologischen Installatio erfassung und der Datenverwaltung neue Tragschiene montiert sind und sich bei nen im Alptal war eine Eigeninitiative der (digitale) Herausforderungen zu bewälti Geschiebetrieb automatisch unter den damaligen EAFV. Auch die Messungen gen waren. In dieser Zeit übernahmen Abflussstrahl verschieben (Abbildung 3). und Auswertungen erfolgten in eigener Hans Burch (von 1993 bis 1996), Dieter In Kombination mit dem Rückhaltebecken Regie. Es muss aber bemerkt werden, dass Rickenmann (a.i. von 1996 bis 1998) und dem Schweizer PlattengeophonSys Hans M. Keller von Anfang an einen regen und Christoph Hegg (von 1998 bis 2006) tem, mit dem das Geröll indirekt mithilfe Austausch mit Hydrologen im In und Aus die Verantwortung für den Betrieb. der Erschütterungen erfasst wird, lässt land pflegte. So erstaunt es nicht, dass das Thematisch wurde die Schneehydrologie sich der Sedimenttransport im Erlenbach Alptal zu einem interessanten Standort gestärkt – nicht zuletzt als Folge des umfassend quantifizieren. Dazu sind auch wurde, als in den 1980erJahren die ersten Lawinenwinters 1998/1999 und des an noch einzigartige Messungen zum Export Nationalen Forschungsprogramme und schliessenden Frühlingshochwassers. von Schwemmholz und gelöstem Kohlen wenig später die ersten EUProjekte ent Auch die Auswirkungen erhöhter Stick stoff gekommen und haben das umfas standen. Die vorhandenen hydrometeoro stoffdeposition auf Boden, Vegetation sende Bild über den Eintrag und die Ver logischen Hintergrundinformationen wa und Fliessgewässer wurden zu einem zen lagerung von Holz und Bodenmaterial ren starke Argumente, um neue Studien tralen Schwerpunkt der Alptalforschung komplettiert. Mit der verstärkten Beteili zum Geschiebetransport (EROSLOPE), zur (Schleppi et al 2004). Und ein weiterer gung der Universität und der ETH Zürich Nährstoffdynamik (NITREX) und zum Meilenstein war die Integration der che ist seit 2008 bei der Abflussentstehung Klimawandel (NFP 31 «Klimaänderungen mischen Messungen in die Nationale ein Schwerpunkt gesetzt worden. Mittels und Naturkatastrophen») im Alptal anzu Daueruntersuchung der Fliessgewässer umfangreicher Grundwasser und Abfluss siedeln. Mit den neuen Projekten kamen (NADUF), wo sie noch heute als einzige messungen innerhalb der Einzugsgebiete auch neue Akteure. Es darf folglich festge Referenz für die Wasserqualität kleiner sowie hochaufgelöster Isotopenmessun stellt werden, dass dies der Beginn einer Einzugsgebiete dienen. gen konnten Erkenntnisse darüber ge interdisziplinären, forstökologischen For schung war, wie sie heute – weltweit – zum Normalfall geworden ist. Dem Team um Hans M. Keller ist dabei hoch anzu rechnen, dass es den Fokus auf die hydro logischen Langzeitmessungen nie aus den Augen verloren hat und diese mit hohem Qualitätsbewusstsein weiterführte. Neuanfang und Konsolidierung Die Bestürzung war unermesslich, als Hans M. Keller am 30. Juli 1993 auf einer Bergtour am Zinalrothorn tödlich verun glückte. Damit ging von einem Tag auf den anderen der Anführer und Visionär verloren, der die AlptalForschung über 25 Jahre lang geprägt hatte (SGHL & WSL 1994). In der darauf folgenden Zeit Abb 3 Ein Gewitterhochwasser im Erlenbach (Juni 2018). Gut ersichtlich ein Geschiebefangkorb bei der wurden die Messungen und Projekte Probeentnahme im Abflussstrahl. Foto: Webcam WSL 352 NOTIZEN Schweiz Z Forstwes 169 (2018) 6: 351–353
SCHLEPPI P, HAGEDORN F, PROVIDOLI I (2004) Ni trate leaching from a mountain forest ecosys tem with Gleysols subjected to experimentally increased N deposition. Water Air Soil Pollut Focus 4: 453–467. SGHL, WSL (1994) Hydrologie kleiner Einzugsge biete. Gedenkschrift Hans M. Keller. Bern: Schweizerische Gesellschaft für Hydrologie und Limnologie, Beiträge zur Hydrologie der Schweiz 35. 211 p. Abb 4 Teilnehmer des internationalen Work- shops «Hydrology and Morphology of sub- 50 ans de recherche hydrologique alpine, semi-forested dans la vallée de l’Alptal, canton de catchments» vom Schwyz 27. bis 29. Juni 2018 L’Institut fédéral de recherches sur la fo im Alptal. Foto: James rêt, la neige et le paysage (WSL) assure Kirchner depuis exactement 50 ans des mesures hydrologiques dans plusieurs petits bas wonnen werden, wie lange Wasser aus haben (Abbildung 4), zielte genau darauf sins versants au fond de la vallée de Niederschlag und Schneeschmelze im ab. l’Alptal, dans le canton de Schwyz. Dès Boden verweilt, bevor es als Abfluss in le début, le WSL avait pour objectif de den Bach gelangt. Damit verstehen wir Mehr als nur Forschung définir l’impact des forêts sur la forma heute besser, wie sich ein Starknieder Was häufig vergessen geht, jedoch hier tion des crues, d’analyser la qualité de schlag in Boden und Gerinne auswirkt. unbedingt Erwähnung verdient, ist die l’eau et de déterminer les quantités de grosse Bedeutung der AlptalInfrastruktu sédiments – sable, graviers et pierres – Wie weiter? ren für die Lehre und die Weiterbildung. dans les torrents de montagne. Un de Ist die hydrologische Langzeitforschung In lediglich einer knappen Stunde von ces cours d’eau préalpins, l’Erlenbach, est aujourd’hui un fleuron de la re im Alptal noch zeitgemäss? Braucht es Zürich entfernt war das Alptal in den ver cherche sur le charriage de sédiments. sie noch? Und welche wissenschaftlichen gangenen 50 Jahren der ideale Ort, um Le volume de matériaux solides trans Fragen sind noch offen? Das 50Jahr Studierenden der ETH, der Universität porté par le torrent est déterminé à Jubiläum ist bestimmt ein guter Moment, sowie von Fachhochschulen das Thema l’aide de corbeilles métalliques qui se po um über diese Frage nachzudenken. der forstlichen Hydrologie anschaulich zu sitionnent automatiquement dans le Einerseits muss klar festgestellt werden, vermitteln. Die zahlreichen Exkursionen courant en période de fort débit, d’un dass die Forsthydrologie als eigenstän hierher haben viel Interesse und das Be bassin de rétention et d’un système de dige Disziplin in den letzten Jahrzehnten wusstsein für Naturgefahrenprozesse und géophones mesurant les vibrations cau in den Hintergrund getreten ist. Die Wir forstökologische Zusammenhänge ge sées par les pierres charriées. D’une ini kung des Waldes auf Hochwasser (und weckt. Gross war und ist auch die Zahl tiative scientifique individuelle, la re Massenbewegungen) ist allgemein recht der Besuchergruppen aus Verwaltung, cherche hydrologique dans l’Alptal est gut bekannt. Weitere Messungen im Alp Praxis und ausländischen Forschungs devenue dans les dernières décennies un vrai réseau de recherche comportant tal können dazu vermutlich kaum neue institutionen. Dieser Austausch mit une multitude de thématiques et Erkenntnisse zutage fördern. Andererseits Studierenden und Fachkollegen hat die d’acteurs. Grâce à la participation de zeigen die Bemühungen im Alptal bei Forschenden immer auch zu neuen Ideen l’Université et de l’Ecole polytechnique spielhaft, wie über hydroökologische Zu und kritischer Reflexion angeregt und fédérale de Zurich, par exemple, les sammenhänge und Prozesse im Rahmen leistete somit einen wichtigen Beitrag an chercheurs ont aujourd’hui de meilleures von interdisziplinären Forschungsver die Weiterentwicklung der Forschungs connaissances sur le temps passé par bünden neues Wissen generiert werden aktivität. In diesem Sinne möge es noch l’eau de pluie et de fonte dans le sol kann. Wichtige zukünftige Fragen sind viele Jahre weitergehen. n avant la formation de l’écoulement, ce vermutlich nicht disziplinär, und sie dürf qui permet de mieux comprendre l’im ten ganz verschiedene Aspekte betreffen. pact des fortes précipitations sur le sol et Daher sind wir überzeugt, dass die For Literatur les cours d’eau. Outre la recherche, les HEGG C, MCARDELL B, BADOUX A (2006) One installations dans l’Alptal ont toujours schung im Alptal – so wie sie heute auf hundred years of mountain hydrology in Swit joué un rôle important dans l’enseigne gestellt ist – absolut zukunftsweisend ist. zerland by the WSL. Hydrol Process 20: ment et la formation continue en hydro In diesem Sinn wird sie noch verstärkt 371–376. logie forestière. Le site poursuivra son in Zusammenarbeit mit anderen For KELLER HM (1985) Die hydrologische Forschung essor en renforçant sa présence sur la schungsinstitutionen aus dem In und an der EAFV seit 1889. Mitt Eidgenöss Forsch anst Wald Schnee Landsch 61: 886–904. scène internationale et interdisciplinaire. Ausland stattfinden. Ein wissenschaftli L’atelier scientifique qui a réuni fin juin RICKENMANN D (2017) Bedload transport meas cher Workshop Ende Juni 2018, an dem urements with geophones and other passive 2018 des participants de plus de dix Forschende aus verschiedenen Diszipli acoustic methods. J Hydraul Eng 143: pays a précisément visé cet objectif. nen aus über zehn Ländern mitgewirkt 03117004. Schweiz Z Forstwes 169 (2018) 6: 351–353 BLOC-NOTES 353
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