Aalener Jahrbuch Online - Geschichtsverein Aalen e.V. Bearbeitet von Georg Wendt 2020 Geschichtsverein Aalen e.V.
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Aalener Jahrbuch Online Geschichtsverein Aalen e.V. Bearbeitet von Georg Wendt ©2020 Geschichtsverein Aalen e.V. Bildnachweis: Soweit nicht anders vermerkt, wurden die Fotos und Illustrationen vom Stadtarchiv Aalen zur Verfügung gestellt.
Das Aalener Schubartdenkmal Schubart und ‚seine‘ Aalener (1891-2021) von Georg Wendt Mit Perücke, Knubbelnase und Dop- Jahren mit ‚ihrem‘ Christian um? pelkinn: Seit 130 Jahren grüßt der bronzene Schubart seine Besucher Der vergessene Schubart freundlich. Zufriedenheit ist aus sei- nem Gesicht herauszulesen. Rüschen, Nach Schubarts Tod 17911 geriet der die sich weit unterhalb der Brust wöl- Komponist und Schriftsteller für ei- ben, deuten eine gewisse Leibesfül- nige Jahrzehnte in Vergessenheit. In le und Lust am Leben an. Der Schalk den Jahren zwischen Französischer blitzt aus seinen großen Augen (Abb. Revolution und der Deutschen Revo- 1). Das gefiel den Aalenern damals. lution 1848 interessierten sich wenige Das gefällt den Aalenern heute. Aalener für den berühmtesten ‚Sohn‘ der Stadt. Zu schwierig waren die Zei- Der Künstler Ernst Curfess modellierte ten, zu klamm die Mittel in der nun Schubart 1891 nämlich so, wie sich die württembergischen Oberamtsstadt Zeitgenossen am liebsten an ihn erin- von kaum 4.000 Einwohnern.2 nerten: als Spiegel ihrer selbst. Trotz seiner außergewöhnlichen Talente blieb Curfess‘ Schubart ein einfacher, ehrlicher und manchmal etwas grob- schlächtiger Mensch, dem die Wahr- heit auf der Zunge lag und der manch- mal das Leben zu sehr liebte. Im Laufe der folgenden Jahrzehnten fand jede Generation einen eigenen Zugang zu Schubart: Vereinnahmten die Nationalsozialisten ihn als un- nahbaren Kämpfer für die nationa- le Einheit und als Vorgänger Hitlers, so betonte die Nachkriegsgeneration Schubarts Kritik am Absolutismus und seine Liebe zur Demokratie. In Zeiten vermeintlicher Fake-News gilt er vie- len Publizisten heute als unerschro- ckenes Beispiel eines unbestechlichen Journalisten. Dieser Aufsatz erzählt die Geschichte des Schubartdenkmals in Aalen und Abb. 1: Das Schubartdenkmal heute auf dem Bahnhofs- der Menschen dahinter. Wie gingen vorplatz. Den Metallrahmen schuf Rudolf Kurz 2002, von dem noch ein weiteres Schubartdenkmal an der Stadtkir- die Aalener in den vergangenen 130 che 2010 entstand. 1
Dies änderte sich nachhaltig im letz- Hugo Closs und dem Verleger Robert ten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Stierlin, die sich für das Andenken von Industrialisierung brachte Wohlstand Schubart einsetzten. auch an den Kocher. In Aalen entwi- ckelte sich eine kleine wohlhabende Das Denkmalkomitee Mittelschicht, die Zeit und Geld hatte, sich mit der eigenen Identität als Aale- Aus diesem Kreis scheint sich die Idee ner, Schwaben und Deutsche ausein- entwickelt zu haben, für Schubart in anderzusetzen. seiner ‚Heimatstadt‘ ein Denkmal zu errichten. Zum 100. Todestag Schu- Im 1871 gegründeten deutschen Kai- barts am 10. Oktober 1891 sollte es serreich verbreitete sich nämlich fertig sein. Diesen ehrgeizigen Plan die Idee, dass die nationale „Größe“ jedenfalls schmiedeten die Schubarti- Deutschlands auch an den berühm- aner am 9. Oktober 1890, als sie sich ten Dichtern und Denkern bemessen im Gasthaus Harmonie trafen.3 werden könne. In Schwaben benann- te man Schulen, Straßen oder Höhen Obwohl Stadtschultheiß Julius Bausch nach Uhland oder Schiller und feierte die Sache unterstützte, begann für die ausgiebig deren runde Geburts- und Initiative nun ein Wettlauf mit der Zeit. Todestage. Entsprechend entdeckten Viel Geld musste gesammelt werden auch die Aalener den prominentesten sowie Standort und Künstler für das ‚Sohn‘ ihrer Stadt wieder. Denkmal gefunden werden - in nur einem Jahr. Relativ zügig klärte sich Am 29. Juni 1885 freute sich die Ko- die Frage, wer das Denkmal gestalten cher-Zeitung, dass endlich auch zu Schubart eine Biografie entstanden war, nachdem selbst der unbedeu- tendste im deutschen Dichterwald flötende Spatz seine Biographie ge- funden habe und mit mehr als gebüh- render Ausführlichkeit in der Litera- turgeschichte behandelt werde, wird gewöhnlich unser Schubart mit einem einzigen Satz abgethan. Triebfeder der Schubartverehrung in Aalen war vor allem der spätere Ge- neraldirektor der Union A.G., Wilhelm Jakob Schweiker. Begeistert sammelte er alles, was mit Schubart zusammen- hing. Aus dieser Sammlung sollte spä- ter das Schubartmuseum hervorge- hen. Daneben gab es aber auch weite- re Bürger rund um dem Industriel- Abb. 2: Ernst Curfess (1849-1896), geboren am Marktplatz len Wilhelm Haas junior, dem Stadt- 26 in Aalen, lernte bei den Königlichen Hüttenwerken und bei der Stuttgarter Kunstschule sein Handwerk. schultheißen Bausch, dem Apotheker 2
zunächst den Gmünder Torplatz. Etwa dort, wo heute der Backshop ist, soll- te die damals dort stehende Linde für Schubart gefällt werden. Im Novem- ber 1891 dichtete die Kocherzeitung passenderweise: Bald tritt an deine Stelle ein hohes Dichterbild und grüßet alle freundlich und grüßet alle mild. Du kennst ihn ja, den Kämpfer, den Mann der deut- schen Art, der Freiheit und des Rech- tes, unsterblicher Schubart.5 Im Februar 1891 allerdings musste das Komitee erkennen, dass der dor- tige Platz nicht ausreichen würde, selbst wenn das Thorhäuschen zum Abbruch käme, da ein gut Stück des Platzes für Erbreiterung der Straße weggenommen werden muß und das Denkmal dann zu nahe an dem Stra- Abb. 3: Büste von Johann Heinrich Dannecker im Ro- ßenkandel stünde.6 Bei der Komitee- sengarten des Neuen Schlosses Stuttgart, modelliert von sitzung am 5. Mai 1891 diskutierten die Curfess, 1888. Schubartianer die nunmehr verblei- benden Standortvarianten:7 sollte: Ernst Curfess erklärte sich am Stadtgarten: abgelegen; unmittelbare 23. Oktober 1890 bereit, ein Gipsmo- Nähe der Bahnlinie (heute etwa: Fahr- dell zu entwerfen (Abb. 2). radparkhaus). Curfess, geboren 1849, war ein Sohn Vor dem Amtsgericht: Die Schillerlin- der Stadt Aalen. Nach seiner Ausbil- de müßte zurückgesetzt werden, was dung als Zeichner bei den Königli- Anstoß erregen könnte. Der Platz ist chen Hüttenwerken hospitierte er an ohnedieß zu klein und auch zu tot. Zu- der Kunstschule Stuttgart. Nach seiner dem hätte das Schubartdenkmal da im Zeit in Italien erfreute er sich insbe- Schatten der Schillerlinde gestanden. sondere beim Stuttgarter Königshof großer Beliebtheit. 1892 stieg er sogar Platz vor der Harmonie: Der Platz ist in zum Königlichen Hofbildhauer auf; unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, da- sehr zum Neid seiner pietistischen mit verbunden Fremdenverkehr, so- Kollegen, die seinen lockeren Lebens- wie überhaupt größter Allgemein-Ver- wandel ablehnten.4 kehr. Der Platz ist von öffentlichen Gebäuden umgeben und außerdem Schwieriger als die Findung eines eignen sich die übrigen Gebäude der Künstlers gestaltete sich aber die Fest- Umgebung gut, um das Ansehen des legung eines Standorts für das Denk- Platzes zu heben. mal. Im Oktober 1891 präferierte man 3
Einstimmig entschied sich das Ko- Zeitungen Werbung zu schalten. Mit mitee für die letztere Variante: Beim Erfolg: Ab Frühjahr 1891 finden sich Bahnhof sollte das Denkmal schräg auch zunehmend Spendeneingänge vor dem Gasthaus Harmonie (heu- von weit her im Kassenbuch. Vor al- te: Bahnhofstraße 36) errichtet wer- lem wohlhabende Exil-Aalener hal- den. Also vor dem Lokal, wo sich das fen großzügig. Von Carl Stützel aus Denkmalkomitee im Oktober 1890 Boston allein kamen im August 1891 auch erstmals getroffen hatte. Etwas 500 Mark. Das war fast doppelt so viel, ironisch war die Platzwahl allerdings wie Stadtverwaltung und König Karl schon. Schließlich schaute Schubart in Stuttgart gemeinsam beisteuerten später stets auf das Gasthaus Harmo- (200 bzw. 100 Mark). nie, was - so lästerten manche - etwas zu gut zu seinem feucht-fröhlichen Schaut man sich die Grafik (Abb. 4) Charakter passte.8 genauer an, fällt auf, dass die Aalener (26 Prozent der Spenden) die fast 6000 Äußerst zäh gestaltete sich auch die Mark (heute ca. 40.000 Euro) für das Spendensammlung für das Denkmal.9 Denkmal allein nie hätten bestreiten Das Kassenbuch des Komitees ver- können. Am Ende kam mehr Geld (31 rät zwar, dass bis zum Jahreswechsel Prozent der Spenden) aus weit ent- 1890/91 gut 2.500 Mark flossen. Vor fernten Städten als aus Aalen selbst. allem Aalener und Schubartianer aus der Region spendeten kleinere und Die feierliche Einweihung mittlere Beträge. Danach tröpfelte es aber nur noch. Das Komitee war ge- Ende September 1891 schien für die zwungen, auch überregional in den Einweihung alles vorbereitet zu sein. Abb. 4: Zusammensetzung der Spenden für das Schubartdenkmal 1890/1891. 4
Abb. 5: Die Verehrung Schubarts im Stil der ‚Lebenden Bilder‘ als Teil des Schubart-Festspiels am Einweihungswo- chenende vom 20. bis 22. November 1891. Das Modell war längst fertig und in 250 zu belassen. Drei Tage später war die- kg Bronze gegossen. Der Denkmalso- ser Beschluss aber auch wieder über- ckel, den Werkmeister Fritz hergestellt holt. Von Stuttgart aus hatte Curfess hatte, stand vor der Harmonie und um Verschiebung der Enthüllung ge- Gärtner Schmid hatte für 224 Mark das beten, da er durch einen dringenden Denkmal mit einigen Blumenbeeten Brief vor der Teilnahme an der Enthül- rings herum geschmückt. lung von Stuttgart aus gewarnt wurde. Dann geschah das Unerwartete: Am 6. Offensichtlich würde es der Hof nicht Oktober 1891 verstarb in Stuttgart Kö- goutieren, sollten die Aalener die nig Karl mit nur 68 Jahren. Eilig ver- Trauerzeit nach dem Tod des Königs sammelte sich das Komitee am selben verletzen. Schweren Herzens ver- Tag im Rathaussaal. Schnell einigte schob man die feierliche Enthüllung man sich darauf, die Festlichkeiten zu und Einweihung auf Ende November. verschieben und es am 10. Oktober bei einer Enthüllung des Denkmals 5
Am Wochenende vom 20. bis 22. No- in Deiner Lieben Mitten.10 vember 1891 war es endlich soweit. Mit sechs Wochen Verspätung durften die Zeuge von Festspiel, Bankett im Sprit- Aalener endlich ihr Schubartdenkmal zenhaussaal und Enthüllung des vor dem Gasthaus Harmonie einwei- Denkmals wurde auch Rudolf Dua- hen (Abb. 6). la Manga Bell. Im selben Jahr hatte der Aalener Kolonialbeamte Pahl den Das Festwochenende begann am Prinzen aus Kamerun mit nach Aa- Freitagabend mit einem Festspiel, in len gebracht. Die Stadt nahm Manga dem die Aalener pantomimisch in Bell mit Neugier und Begeisterung auf ‚lebendigen Bildern‘ Schubarts Leben und schmückte sich mit ihm. Kein Zu- nachspielten (Abb. 5). Nach dem Fest- fall also, dass das Schubartdenkmalko- bankett am Samstagabend trafen sich mitee ihn im September 1891 offiziell Sonntagmittag die Schubartianer um zum Schubartianer kürte und in den 12:30 beim Gasthaus zum Schwarzen Denkmalausschuss mit aufnahm. Adler und zogen gemeinsam zum neuen Schubartdenkmal. Nach der „Verbannung“ auf den Bohl Festrede des Dekans Knapp wurde das Schubartdenkmal enthüllt und feier- Das erste Drittel des 20. Jahrhunderts lich der Stadt Aalen übergeben. Ge- spielte dem Schubartdenkmal von meinsam sang man das eigens dafür Ernst Curfess übel mit. Nach Beginn gedichtete Weihelied, komponiert von des Ersten Weltkriegs weitgehend ver- Karl Kammerlander und gesungen gessen, ‚verbannten‘ es die Stadtväter vom Liederkranz: im Oktober 1931 auf den Bohlschul- platz. Sarkastisch dichteten die Blät- Schubart, Du Freund von treuen, deut- ter des Schwäbischen Albvereins über schen Sitten. Sieh heut herab auf Dei- den neuen Standort: Dort steht nun ner Jugend Ort; Wie in uns lebt Dein der alte Präzeptor der Schuljugend heilig Dichterwort, so steht Dein Bild Abb. 6: Das Schubartdenkmal vor dem Hotel Wagner bzw. Gasthaus ‚Zur Harmonie‘, Poskarte um 1900. 6
Abb. 7: Die Versetzung des Schubartdenkmals auf den Bohlschulplatz, Oktober 1931. nahe, mit der er sich vor 125 Jahren in Oktober 1929 einen Grünflächenplan Geislingen von Amts wegen hat her- für den südlichen Bereich des Bohl- umschlagen müssen. Dies war eine schulplatzes eingesandt. Demnach Anspielung auf Schubarts unglück- sollte das Schubartdenkmal längs der liche Zeit als Lehrer in der Fünftä- Friedrichstraße eine aufwändig ge- lerstadt.11 staltete Anlage erhalten.12 Wie kam es zur ‚Verbannung‘? Seit Für aufwändige Gestaltungen freilich 1927 verkehrten zwischen Unterko- hatte die Stadt Aalen infolge der Welt- chen und Wasseralfingen die Busse wirtschaftskrise kein Geld. Die Idee der OVA. Für die 2,30 Meter breiten mit dem Bohlschulplatz nahm sie aber Busse war auf dem Aalener Bahnhofs- gern auf. Am 18. Dezember 1930 be- platz (Abb. 6) mit Schubartdenkmal zu schloss sie die ‚Verbannung‘ auf den wenig Platz zum Rangieren. Bereits Bohl. Zwar mochte sich das Württem- 1929 hatte man deswegen die Grünflä- bergische Landesamt für Denkmal- che um das Denkmal entfernt. Die Po- pflege mit der einfachen Gestaltung lizei stellte dies aber immer noch nicht inmitten der Parkanlage zunächst zufrieden. Bei der Verkehrsschau im nicht anfreunden. Angesichts man- Oktober 1930 empfahl sie erneut, das gelnder Alternativen und Geldsorgen Schubartdenkmal umzusiedeln. genehmigte das Landesamt die Um- setzung aber doch. Aber wohin? Die Aalener Gemeinde- räte bedienten sich bei einer Idee des Am 21. Oktober 1931 trugen die Ar- Exil-Aaleners Adolf Werner. Der Ar- beiter des Stadtbauamts das Denkmal chitekt, der inzwischen in Frankfurt ab (Abb. 7). Im Fundament fanden die am Main arbeitete, hatte bereits im Männer nur noch zwei völlig verdor- 7
Abb. 8: Das Schubartdenkmal am südlichen Ende des Bohlschulplatzes, 1934. bene Kocherzeitungen vom 17. Sep- Adolf Hitlers wurden die Vorausset- tember und 23. Oktober 1890. Weitere zungen geschaffen, um sein Wirken Gegenstände wie die Stiftungsurkun- für das geistige und politische Leben de waren aus unerfindlichen Gründen seiner Zeit zu begreifen.13 Schübel ent- nicht mehr vorhanden. Innerhalb ei- deckte in Schubart zudem eine Iden- ner Woche installierte das Bauamt das tifikationsfigur, mit der sich die Stadt Schubartdenkmal am neuen, etwas schmücken sollte. Das zwischenzeit- improvisierten Standort (Abb. 8). Dort lich geschlossene Schubartmuseum sollte der Dichter und Musiker mit wurde wiedereröffnet und sowohl Ju- kurzer Unterbrechung bis zur Jahr- gendherberge als auch Parkschule er- tausendwende auch bleiben. hielten seinen Namen. Wo Schubart begraben liegt Auch in Stuttgart, Schubarts Todesort, bemühte sich Schübel, den Dichter be- Schwerer als der Umzug auf den Bohl- kannter zu machen. Im Juli 1936 fragte schulplatz hätte es aber den Demokra- er beim dortigen Friedhofsamt an, wo ten Schubart getroffen, dass ab 1933 genau der Dichter auf dem Hoppen- die Nationalsozialisten ihn als Vor- laufriedhof begraben sei, er wolle dort gänger Hitlers vereinnahmten. Bür- eine Erinnerungstafel anbringen.14 germeister Dr. Karl Schübel verkün- Die Antwort aus Stuttgart vom Mai dete 1939 im Stadtrat: Schubart war 1937 mag auch heute den einen oder der Vorkämpfer für ein großes, einiges anderen Schubartfreund überraschen: und freies Deutschland. Erst im Reiche Demnach sei Schubart 1791 gar nicht 8
auf dem Hoppenlaufriedhof, sondern im Dezember 1937 erhielt das Stutt- auf dem Friedhof am Spital beerdigt garter Hochbauamt den Auftrag, ge- worden (heute: Hohe Straße, Ecke meinsam mit den Aalenern am Boll- Fritz-Elsas-Straße). Der Spitalkirchhof, werk einen Standort für das Denkmal so liest man weiter, bestand von 1604 zu finden. Bei der Inspektion mit bis 1808 und war ober der Hospitalkir- dem Stuttgarter Oberbaurat Benesch che gelegen. 1808 sei der Friedhof auf- musste der Aalener Stadtbaumeister gelassen und später überbaut worden. Burkhardt im Januar 1938 aber nicht nur feststellen, dass der vorgeschlage- Ein Denkmal für Stuttgart ne Platz auf der kleinen Verkehrsinsel an der Kreuzung Gartenstraße/Hohe Schubart ohne Grab? Der Schock saß Straße (heute: Fritz-Elsas-Straße/Hohe bei den Aalenern erst einmal tief. Straße) keinesfalls repräsentativen An- Was tun? Am 10. Juni 1937 beschloss sprüchen genügte. Es gab auch keine der Aalener Gemeinderat, am Stand- vernünftige Alternative dazu in der ort von Schubarts Begräbnisstätte am Umgebung. Bollwerkplatz in Stuttgart (Abb. 9) ein Denkmal zu errichten. Dafür bedurfte Unabhängig von diesen wenig ermu- es freilich des Einverständnisses der tigenden Neuigkeiten liefen die Be- Stadt Stuttgart. mühungen für das neue Stuttgarter Denkmal in Aalen weiter. Bereits im Die zeigten sich im Juli 1937 zwar Dezember 1937 hatten die Aalener den grundsätzlich interessiert. Doch erst Bildhauer Fritz Nuss gebeten, einen Abb. 9: Vermutlicher Standort von Schubarts überbauter Begräbnisstätte in Stuttgart, 1937 (heute: Hohe Straße, Fritz-Elsas-Straße bei der Stadtbahnstation Berliner Platz (Hohe Straße)). Im vorderen Teil der Verkehrsinsel wollte die Stadt Aalen der Stadt Stuttgart ein Schubartdenkmal errichten. 9
Entwurf für das neue Denkmal einzu- Aalener Künstlerin Elsbeth Schön- reichen. Nuss war kein Unbekannter bohm-Keller. Die 1901 in Tübingen in Aalen. 1907 in Göppingen geboren geborene Elsbeth Keller hatte in Stutt- und in Schwäbisch Gmünd, München gart Malerei und Bildhauerei studiert. und Stuttgart ausgebildet, arbeitete er Dort lernte sie auch ihren späteren 1933 bis 1935 freischaffend in Aalen. Ehemann Herbert Schönbohm ken- Dabei erhielt er von der Stadt Aalen nen. Als dieser an der Aalener Ge- für die Neugestaltung des Ratssaales werbeschule eine Anstellung erhielt, den Auftrag, die Adolf-Hitler-Büste zu zogen beide 1927 an den Kocher und modellieren. 1938 arbeitete er als As- begründeten dort eine Künstlerfa- sistent an der Akademie der Bilden- milie. Im Frühjahr 1938 erklärte sich den Künste in Stuttgart. Im Februar auch Schönbohm-Keller bereit, für das 1938 versprach Nuss Stadtbaumeister Stuttgarter Schubartdenkmal einen Burkhardt, für das Schubartdenkmal Entwurf einzureichen. in Stuttgart einen entsprechenden Entwurf vorzulegen. Vor allem Fritz Nuss haderte sehr mit der gestellten Aufgabe. Weder bekam Die Aalener beließen es aber nicht bei er die Persönlichkeit Schubarts rich- einer Anfrage. Im Frühjahr 1938 be- tig zu fassen, noch konnte er sich mit suchte der Stadtbaumeister auch die dem für ihn unschönen, ja zum Teil Abb. 10: Der Erstentwurf von Elsbeth Schönbohm-Keller von Schubart mit den beiden Musen Dichtung und Musik, Juni 1938. 10
hässlichen Umfeld in Stuttgart und hätte er eine bessere Idee als Schön- dem begrenzten Budget anfreunden. bohm-Keller gehabt. Wegen dieser Daher empfahl er, Schubart als Geni- Wettbewerbsverzerrung forderte er us in Form einer Jünglingsfigur dar- eine Wiederholung der Ausschrei- zustellen. Damit, so Burkhardt, wolle bung. er das Wiedererstehen des Geistes von Schubart symbolisieren. Dringend riet Bürgermeister Schübel wies diesen Nuss den Aalenern unabhängig da- Vorwurf am 30. Juli 1938 brüsk von von, über den Standort des Denkmals sich, da der Entwurf von Frau Schön- in Wert von etwa 7.000 Reichsmark bohm der bessere ist, selbstverständ- noch einmal mit den Stuttgartern zu lich auch für den Platz in Stuttgart. verhandeln. Ärger gab es zudem auch von der Viel Begeisterung löste Nuss‘ Angebot NSDAP-Gauleitung in Stuttgart. Kul- beim Aalener Gemeinderat nicht aus. turreferent Dr. Schmückle sah sich Ganz anders der Entwurf von Schön- bei der Genehmigung des Denkmals bohm-Keller (Abb. 10). Bei der Sitzung übergangen. Schließlich bedurfte es am 1. Juli 1938 zeigten sich die Stadt- des Einverständnisses des Gauleiters, räte tief beeindruckt von ihrer Idee, ein neues Denkmal zu errichten. Erst Schubart mit den Musen Dichtung nach einem Besuch der Schönbohms und Musik gemeinsam zu einer Figu- bei ihm Ende Juli 1938 gab er provi- rengruppe zu komponieren, um damit sorisch grünes Licht, bedauerte aber Schubarts Talent als Schriftsteller und auch, dass der Herr Bürgermeister mir Komponist zu thematisieren. seinen eigenen Standpunkt nicht per- sönlich mitgeteilt hat. Schübels Ver- Des weiteren kamen die Stadträte zum hältnis zu den württembergischen Schluss, dass dieses Denkmal viel zu Parteigenossen war einigermaßen ge- schade wäre für eine Stuttgarter Kreu- stört. zung. Es sollte in Aalen vielmehr das alte Schubartdenkmal von Curfess auf Dennoch glaubte Schübel Anfang Au- dem Bohlschulplatz ersetzen, da das gust 1938 seinen Grundwehrdienst in alte Schubartdenkmal heute künst- Mähren mit der Hoffnung anzutre- lerisch nicht mehr befriedigen kann. ten, das neue Schubart-Denkmal auf Für das alte Denkmal sollte stattdessen einen guten Weg gebracht zu haben. ein geeigneter Standort an der Schu- Wie sehr er sich da täuschen sollte. bart-Oberschule gefunden werden. Alles nur geklaut? Die „richtigere Lösung“ Im Spätsommer 1938 nahm Fritz Nuss Fritz Nuss zeigte sich über die Ent- an einem Künstlerkongress in Berlin scheidung des Aalener Stadtrates zu- teil. Dabei traf er auch seinen Freund, tiefst verletzt. Am 16. Juli 1938 kriti- den Bildhauer Walther Wolff. Diesem sierte er, dass sein Modell in diesem berichtete er über seine schmerzliche Wettbewerb die richtigere Lösung Niederlage im Künstlerwettbewerb gewesen sei. Wenn er gewusst hätte, und den Siegerentwurf von Schön- dass das Denkmal nunmehr am Bohl- bohm-Keller. Nachdem Wolff diesen schulplatz verwirklicht werden würde, Entwurf mit eigenen Augen gesehen 11
hatte, war er überzeugt, es mit einem Schönbohm-Keller für das Schubart- Plagiat zu tun zu haben. denkmal im Mai 1938 lässt die Plagi- atsthese von Wolff aber nicht völlig Seiner Ansicht nach nämlich ähnel- haltlos erscheinen.15 Georg Kolbe sah te der Entwurf von Schönbohm-Kel- das nicht anders. Wohl von Wolff in ler ein wenig zu sehr dem Modell Kenntnis gesetzt, schrieb er Schön- des neuen Beethoven-Denkmals für bohm-Keller am 4. August 1938, dass Frankfurt am Main von Georg Kolbe. er peinlich überrascht wurde durch Der berühmte Bildhauer - ebenfalls ihr Schubartdenkmal, denn es hat für Wahlberliner - hatte bereits 1928 ei- jeden Eingeweihten mein Beetho- nen 1,80 Meter großen Gipsentwurf ven-Denkmal zum Vater. […] Ich will für ein örtlich unbestimmtes Beet Ihnen auch offen sagen, dass die Bei- hovendenkmal gefertigt (Abb. 11). Im behaltung dieses meines Vorbildes Mai 1938, als Elsbeth Schönbohm-Kel- sowohl für Ihren Dichter, wie für die ler gerade am Entwurf für ihr Schu- Auftrag erteilende Stadt und zuletzt bartdenkmal werkelte, erteilte die auch für Sie keine gute Handlung be- Stadt Frankfurt Kolbe den Auftrag, das deuten würde. Mit kleinen Änderun- Denkmal für den Frankfurter Anlagen- gen ist hier nichts zu erreichen, denn ring nahe der Oper zu verwirklichen. diesen „Dreiklang“ würden Sie nie- mals als Ihre unbefleckte Empfängnis Zwar wurde Kolbes Denkmal erst 1947 ausgeben können. Versuchen Sie also, fertig. Das zeitliche Zusammentreffen um sich als selbständige Künstlerin zu von der Frankfurter Auftragserteilung erweisen, eine eigene Idee zu gestal- an Kolbe und der Entwurfsarbeit von ten.16 Schönbohm-Keller sah in dem Vor- wurf wohl einen internen Künstler- streit, der die Stadt Aalen nicht zu kümmern hatte. Vielleicht hoffte sie auch, dass die Vorwürfe die ostwürt- tembergische Provinz nie erreichen würden. Jedenfalls informierte sie die Stadtverwaltung über den Plagiatsvor- wurf nicht. So blieb es in den heißen Sommerwochen 1938 ruhig in Aalen. Erst am 16. September 1938 platzte die Bombe auch im Aalener Rathaus. Es war sicher nicht zufällig Nuss‘ Freund Walther Wolff, der die Stadtverwaltung an diesem Tag über den Plagiatsver- dacht informierte: Ich kann nicht verfehlen in der Annahme, daß die auftragserteilende Stelle keinen genü- genden Überblick über das gesamte Kunstschaffen in Deutschland hat, Sie Abb. 11: Der Entwurf Georg Kolbes für das Frankfurter Beethoven-Denkmal von 1928 ähnelt dem Entwurf von darauf aufmerksam zu machen, daß Schönbohm-Keller sehr. der mir vorliegende Entwurf ein ganz 12
Abb. 12: Zwei Kunstfotografien, mit denen Herbert Schönbohm beweisen wollte, dass sich auch Kolbe von anderen Künstlern hat inspirieren lassen. Konkret: links Kolbes „Ruf der Erde“ von 1933, rechts „Der Genius des Ruhms“ von Rodin. grobes Plagiat des Entwurfs für ein te es nicht möglich sein, daß diese an Beethoven-Denkmal von Prof. Dr. h.c. sich logische Anordnung im Dreieck Georg Kolbe ist, der diesen Entwurf von einem andern Künstler selbst- gerade für Frankfurt/Main ausführt, ständig erlebt wird? und Sie auf die Gefahr hinweisen, daß Ihnen und der Bildhauerin große Un- Ihr Ehemann, der Gewerbeschulrat, annehmlichkeiten auch seitens der Herbert Schönbohm, sprang ihr bei. Reichskammer der bildenden Küns- Den Vorwurf des Plagiat hielt er für te aus der Angelegenheit erwachsen eine Böswilligkeit und sandte dem könnten. Aalener Rathaus Beispiele dafür, wie in der Kunstgeschichte sich Künstler Damit konfrontiert antwortete Schön- von anderen Künstlern haben inspi- bohm-Keller am 21. September 1938 rieren lassen (Abb. 12). Schönbohm der Aalener Stadtverwaltung, dass An- warf Wolff außerdem eine Verbitte- zeichen vorhanden wären, daß es sich rung vor, im nationalsozialistischen hier um einen von gegnerischer Seite Deutschland nicht mehr zum Zuge zu bewußt eingeleiteter Feldzug handelt, kommen, und spekulierte, dass man der meine künstlerische Tätigkeit tref- damit meine Frau und mein Haus und fen soll. Das Wort „Plagiat“ ist heute damit auch mich treffen möchte. ein im Kampf unter Künstlern unver- antwortlich gebrauchtes Zerstörungs- Völlig überzeugt von der Eigenstän- mittel, der die Vertrauensbasis entzie- digkeit der Arbeit schienen die Schön- hen soll. bohms allerdings nicht gewesen zu sein. Am 30. September 1938 reiste In Bezug auf die Ähnlichkeiten zu Kol- Schönbohm-Keller nach Berlin, um bes Beethovendenkmal verteidigte sie Kolbe eine Überarbeitung ihres Ent- sich, dass ihre Figuren völlig andere wurfs anzubieten. Ohne Rücksprache wären und einen eigenen Ausdruck mit der Stadt als Auftragsgeber bot sie hätten. Und überhaupt: Warum soll- Kolbe an, ihren Entwurf um eine wei- 13
tere Figur zu ergänzen. Der Kolb‘sche Welt zu schaffen – endgültig von den Dreiklang wäre damit kein Thema Plan Abstand. mehr. War der Gordische Knoten da- mit geplatzt? Den Schönbohms gönnte man noch unbeschwerte Feiertage, der Bescheid Bürgermeister Schübel, der im No- sollte erst im Januar 1939 erfolgen. Das vember 1938 vom Grundwehrdienst alte Curfess-Denkmal jedenfalls durfte zurückgekehrt war, sah das anders. auf dem Bohlschulplatz bleiben; zu- Erstens stellte er fest, dass Schön- mindest noch vier Jahre lang. bohm-Keller der Stadt den Plagiats- verdacht absichtlich verschwiegen Ein Denkmal in Stücken hatte. Für den stets misstrauischen Bürgermeister war das ein unver- Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zeihlicher Vertrauensbruch. Zweitens stieg der Druck auf die Kommunen, stellte die neue Fassung mit vier Figu- ihre Glocken und Denkmäler als Me- ren für Schübel eine Verlegenheitslö- tallspende für die Rüstungsindustrie sung dar, die die Stadt so nie bestellt abzuliefern. Die Organisation hierfür hatte. Rechtlich gesehen wäre daher erfolgte durch den Reichsleiter des der erteilte Auftrag nichtig. Städtetags, dem Oberbürgermeister Münchens. Erstmals im Juni 1940 er- Am 17. November 1938 informierte reichte die Aalener ein Schnellbrief Schübel die Stadträte über die neu- aus München, alle infrage kommen- esten Entwicklungen. Das Gremium den Denkmäler zu registrieren.17 war gespalten, wie mit dem Denkmal umzugehen sei. Einige verteidigten Die Kommission um Herbert Schön- den Entwurf von Schönbohm-Keller. bohm kam im Februar 1941 zu dem Andere waren der Meinung, sie hät- Schluss, dass als Bronzedenkmal le- te stärker um ihren Entwurf kämpfen diglich die Schubartbüste infrage müssen. Manch ein Stadtrat wünschte käme. Allerdings holten die Aalener sich nun statt eines neuen Schubart- beim württembergischen Wirtschafts- denkmals ein neues Kriegerdenkmal. minister einen Erlass ein, dass das Ohne Ergebnis wurde die Sache ver- Schubartdenkmal von der Metallspen- tagt. de auszunehmen sei, da es bauge- schichtlichen Wert habe. Die Entscheidung nahm den Aalenern letztlich der NSDAP-Gaukulturrefe- Damit gab sich der Gemeindetag zwar rent Dr. Schmückle ab. Dringend riet zufrieden, aber nicht die Reichsregie- der den Aalenern in einem Schrei- rung. Im Mai 1942 stellte der Reichs- ben Ende November 1938 davon ab, wirtschaftsminister Wilhelm Frick ei- Schönbohm-Keller zu beauftragen, nen Erlass aus, nach dem nunmehr da sie einen derartigen Grad von Un- alle Metalldenkmäler eingeschmolzen selbstständigkeit bewiesen hat, dass werden sollten, sofern der Reichsbil- man von ihr nichts selbstständiges dungsminister hierfür keine Ausnah- erwarten könne. Da ohne Schmückles megenehmigung erteilte. Als diese Genehmigung ohnehin der Bau ei- ausblieb, half den Aalenern auch nicht nes neuen Denkmals unmöglich war, mehr der Verweis, dass ein Einschmel- nahm der Gemeinderat am 22. De- zen des Denkmals weiten Teilen der zember 1938 – um die Sache aus der 14
Einschmelzung der 250 kg Büste. Die Mitarbeiter der Metallfirma hatten den bronzenen Schubart ‚lediglich‘ so zer- schlagen, dass die Vertreter des städti- schen Bauamts 1946 nur noch anhand der Rüschen von Schubarts Hemd das Schicksal des Curfess‘schen Denkmals aufklären konnten. Unwiederbringlich verloren? Auch dem Gipsabdruck, den man vor dem Eingießen hatte anfertigen lassen, erging es nicht besser: Während der Befreiung Aalens durch die US-Ame- rikaner im April 1945 verschwand die- ser aus dem Keller der Bohlschule und wurde später in Bruchstücken wieder- gefunden. Das Denkmal schien un- wiederbringlich verloren. Kein Wun- der also, dass das Stadtbauamt im Juli Abb. 13: Kurz vor dem Abbau des Schubartdenkmals im November 1942 ließ das Stadtbauamt dieses vermessen. 1946 beantragte, den funktionslosen und mit Teer beschmierten Denkmal- sockel vom Bohlplatz entfernen zu dürfen.18 Aus unbekannten Gründen kam es dazu aber nicht. Bevölkerung nicht zu vermitteln wäre. Schließlich wurde es durch Bürger- Die Rettung für das Schubartdenk- spenden 1891 erst erstellt. mal kam ein Jahr später. In der Gast- wirtschaft zum Falken (heute: Schu- Im November 1942 ließ Bürgermeis- bartstraße 12) fand sich ein weiterer ter Schübel das Denkmal vom Stadt- – wenn auch beschädigter – Gips- bauamt vermessen (Abb. 13), bevor abdruck, den vor Jahrzehnten der man die Büste vom Sockel nahm. An- Liederkranz für sich hatte anfertigen schließend schickte man den bron- lassen. Nun suchte der neue Aalener zenen Schubart nach Stuttgart-Ost Oberbürgermeister Otto Balluff und zum Gipfsformer Joseph Schmidt, der der Aalener Gemeinderat dringend ei- vom Denkmal ein Gipsabguss fertigte. nen Künstler, der ausgehend von dem Im April 1943 sandten die Aalener die Gipsabdruck eine Rekonstruktion des Bronzebüste nach Ulm zur Schrott- Curfess`schen Denkmals erschaffen metallfirma Neubronner&Sellin. konnte. Wie sich nach dem Krieg herausstel- Erster Kandidat war hierfür Fritz Nuss. len sollte, war diese Metallspende dop- Der Bildhauer, inzwischen in Strümp- pelt sinnlos: Nicht nur opferte man felbach ansässig, schien aber an dem das Denkmal einem verlorenen und Auftrag kein sonderliches Interesse verbrecherischen Krieg. Auch kam gehabt zu haben, wie das Stadtbauamt es aus unbekannten Gründen nie zur 15
im April 1948 vermerkte. Wie kam es zu dieser Vermutung? Fritz Nuss, den man im Juli 1947 über die Idee ver- ständigt hatte, benötigte zwölf Monate und diverse Mahnungen, um endlich ein Angebot vorzulegen. Gut möglich, dass Nuss‘ Erinnerungen an Aalen nach der Angelegenheit mit Elsbeth Schönbohm-Keller nicht die besten gewesen waren. Ein unschönes Doppelkinn In die Bresche sprang nun der frei- schaffende Künstler Josef Weber. Der Heimatvertriebene, der in einem Ba- rackenlager in Wasseralfingen (heu- te Allgäuer Straße/Spieselstraße) un- tergebracht war, lockte mit einem Kampfpreis von nur 400 DM, um sich Abb. 14: In den Räumlichkeiten der Firma Stützel-Sachs mit dieser Arbeit einen Namen zu ma- rekonstruierte der Bildhauer und Keramikkünstler Hugo Buchner im Spätsommer 1949 die Curfess‘sche Schu- chen. bartbüste. Zum Vergleich: Der arrivierte Künst- ler Nuss hatte 2.800 DM veranschlagt. Entsprechend durfte sich Weber sofort an die Arbeit machen. Am 24. Mai 1949 Retter aus Sudetenland beauftragte der Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats eine Reihe von Am 1. Juni 1949 beschloss der Ge- Sachverständigen, ein erstes Lehm- meinderat, Weber noch eine zwei- modell von Weber zu begutachten. Die te Chance zu geben. Allerdings sollte Begeisterung hielt sich danach aber in ihm nun der Bildhauer und Keramiker Grenzen. Zwar erkannte man an, dass Hugo Buchner zur Seite gestellt wer- der Bildhauer das Schubartdenkmal den (Abb. 14). Bei Buchner handelte auftragsgemäß nach alten Bildnissen es sich um einen Sudetendeutschen, ausgearbeitet habe. Die künstlerische der vor dem Krieg Bildhauerei an der Ausführung befriedigt jedoch nicht. Kunstakademie Prag studiert hatte. Als Heimatvertriebener arbeitete er nun Studienrat Maier von der Schubart als Meister bei der Aalener Firma Stüt- oberschule befand beispielsweise, der zel-Sachs. Hals sei zu stark, die Augen ungleich, die Ohren unnatürlich groß; außer- Zwischen Buchner und Weber schien dem habe eine Seitenansicht einen es aber nicht ‚gefunkt‘ zu haben. Be- griesgrämigen Ausdruck. Stadtrat Karl reits eine Woche später, am 7. Juni Mikeler attestierte dem Modell sogar 1949, erklärte Buchner, daß er nach ein zu starkes Doppelkinn. den inzwischen mit Weber gemach- ten Erfahrungen nicht zu der Über- zeugung gekommen sei, daß Weber in 16
der Lage ist, ein einwandfreies Modell Hälfte als Spende zuschossen. für die Schubartbüste zu schaffen. Er ziehe daher sein Angebot, dem Weber Damit waren die Mittel erschöpft. Als bei der Bearbeitung behilflich zu sein, nämlich Buchner im April 1950 um zurück. eine nachträgliche Honorarerhörung um 250 DM bat, da sein Stundenlohn Weber entging die Unzufriedenheit nur 1,85 DM betragen hätte, lehnten seitens der Auftraggeber nicht. Am die Stadträte ab: Bildhauer Buchner 28. Juni 1949 zog er sein Angebot ge- habe bei Abgabe seines Angebots wis- gen eine Entschädigung von 200 DM sen müssen, wie hoch seine Auslagen zurück. Zwei Tage später bewarb sich sind. offiziell Buchner, für 1.000 DM die Mo- delle selbst zu fertigen. Noch am sel- Kleine Wiederauferstehung ben Tag beauftragte der Gemeinderat Buchner. Pünktlich zu Schubarts Geburtstag am 26. März 1950 feierten die Aalener die Diesmal behielten die Stadträte beim Wiederauferstehung des verlorenen Künstler ein gutes Händchen. Am 23. Denkmals. Oberbürgermeister Balluff August 1949 zeigten sich die Sachver- leider erlebte die Einweihung nicht ständigen so zufrieden, dass sein Mo- mehr. Er erlag einer schweren Krank- dell bereits im November 1949 bei der heit bereits Anfang 1950. So oblag es Gmünder Firma Vinzenz Hörner für seinem Stellvertreter, Bürgermeister 2.800 DM in Bronze gegossen werden Stiefel, das neue alte Denkmal in Ob- konnte. Die Gesamtkosten von knapp hut der Stadt Aalen zu nehmen (Abb. 4.000 DM konnte die Stadt allerdings 15). nur schultern, weil die Stadtwerke die Gekrönt wurde die Einweihung durch einen humorvollen Vortrag des Hei- matforschers Hugo Theurer. Er dich- tete in der Schwäbischen Post: Hör Christian, sagt er, merk es dir, wann wir net zu dir stehe, so fragt koi Teufel mehr nach dir, koi Hahn tut nach dir krähe. Drum merk es dir für alle Zeit und tu‘s auch fei behalta, mir Kopper sind die rechte Leit, an uns mußt du dich halta. Rückkehr zum Bahnhofsplatz Zwei Generationen Aalener wuchsen in der Folge mit Schubart am Bohl- schuplatz auf. Entsprechend taten sich einige schwer, als im Jahr 2000 der Gemeinderat darüber nachdachte, das Schubartdenkmal wieder auf den Abb. 15: Das Schubartdenkmal nach seiner Wiederher- stellung am Bohlschulplatz, 1950er Jahre. Bahnhofsplatz zurückzuholen. 17
Wie kam es dazu? 1998 stellte die sentierten die Architekten die Lösung: Stadtverwaltung dem Gemeinderat Schubart sollte entlang des nördlichen Pläne vor, wie der Bahnhofsvorplatz Abschlusses des Platzes - wieder unter neu gestaltet werden sollte. In den Bäumen - seinen Platz finden. Die Ge- Jahren zuvor war die Hochbrücke ‚ge- staltung des neuen Sockels übernahm dreht‘ worden, sodass der Autoverkehr der Ellwanger Künstler Rudolf Kurz. östlich der Innenstadt und unter dem Bahnhof durch einen Tunnel verlief. Kurz entwarf hierfür einen Eisenrah- Dadurch konnte der Bahnhofsvorplatz men, der in seiner unsymmetrischen verkehrsberuhigt werden. Bereits 1997 Gestaltung Schubarts innere Wider- hatten sich die Aalener westlich vom sprüche zwischen polterndem Grobi- Bahnhof einen neuen Busbahnhof an und sensiblem Feingeist symbo- geleistet. Nun sollte zwischen Bahn- lisiert. Wichtig war Kurz zudem, dass hof und Busbahnhof ein repräsentati- Schubarts Büste den Aalenern in Au- ver Vorplatz entstehen. genhöhe begegnet. Das sollte die Aa- lener dazu einladen, in Dialog mit der Beauftragt mit der Gestaltung wur- Geistesgröße zu treten und sich mit den die Architekten Häring&Zoller ihm und seinen Leben auseinander- aus Stuttgart. Sie erarbeiteten eine er- zusetzen.20 habene und podestartige Plaza, des- sen räumliche Gestaltung optisch I glaub, i spenn gen Innenstadt wies. Im Zentrum des Platzes strahlte die Plastik „Trilux“ des Anfang 2002 wurde Schubart ohne Künstlers Heinz Mack, der kurz zuvor großes Zeremoniell in den neuen Rah- auch eine 40 Meter hohe Lichtskulp- men gesetzt, aus dem der berühmtes- tur vor der Daimler Benz-Zentrale in te Aalener auch bis heute wieder fal- Stuttgart-Möhringen geschaffen hat- len darf. Nicht jeder mochte sich aber te. Entsprechend war auch beim „Tri- damit anfreunden. Bereits im Juni lux“ Licht das beherrschende Thema. 2001 hatte sich die Lokale Agenda in Vier mal vier Meter breite Glasplatten der Schwäbischen Post bitterlich be- beleuchten bis heute die blitzförmige klagt. Unter der Überschrift Niemand Skulptur in der Nacht von unten. darf „Schubart“ verschleppen heißt es: Die Stadt Aalen hat ernsthaft vor, den All dies hätte nun das Schubartdenk- alten Kerle aus dem Park an der Bohl- mal nicht zu interessieren brauchen, schule zu verschleppen und mit ihm hätte nicht ein Gemeinderatsmitglied, den neuen Bahnhofsvorplatz zu de- SPD-Fraktionschef Albrecht Schmid, korieren. [...] Seit zig Jahren kennen vorgeschlagen, auf dem neu gestalte- ihn die heute lebenden Aalener nur an ten Bahnhofsvorplatz auch ein Plätz- seinem jetzigen Standort. Dort sollte chen für das Schubartdenkmal zu fin- er - so die Gruppe - auch bleiben. Für den. Am 11. Dezember 2000 stimmte den Bahnhofsvorplatz sollten örtliche der Gemeinderat bei nur vier Gegen- Künstler ein neues Schubartdenkmal stimmen für die Rückholung Schu- entwerfen.21 barts zum Bahnhof.19 Zur Fastnacht 2002 war entsprechend Aber wo genau sollte das Schubart- der neue Standort der Schubartbüs- denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz te ein Hauptthema. Die Redner beim unterkommen? Im August 2001 prä- 18
‚Sauren Meckereck‘ machten ihre Und gegenüber die Raket [Trilux], dia Scherze über den neuen Standort. findet die meiste au recht bled. Dabei Der damalige Oberbürgermeister Ul- ist des Kunst, sehr teuer sogar, frogat rich Pfeifle ging auf seine ganz eigene d‘ Steinbach [Baubürgermeister], der Weise mit dem Thema um: Er schrieb macht‘s Euch klar.22 ein Gedicht. Die Aalener und Schubart Henners scho gseha, sisch kaum zu fassa, ich glaub de heand im Schrank Knapp zwanzig Jahre später, zum nemme alle Tassa. Was die mit dem Jahreswechsel 2020/2021, ist der Schubart jetzt hend gmacht. Ha, do Schubart von Curfess/Buchner längst wird im ganza Land drüber glacht. nicht mehr einzigartig in Aalen. 2010 Am Bohlschulplatz isch er gmütlich bzw. 2004 schufen zwei Künstler zeit- gstanda, hoch droba zwischen Bäum genössische Büsten von dem Dichter wie Girlanda. Auf am ma Sockl, Gotts und Musiker. allmächtig, d‘ Schubart, der war ein- fach prächtig. Zwischen Stadtkirche und ehemaliger Lateinschule modellierte Rudolf Kurz Doch jetzt am Bahnhof, i glaub i spenn, 2010 Schubart mit verbissenem Ge- steht er hinter Gitter wia a Henn. Da sichtsausdruck inmitten eines Stein- wars ja aufm Aschberg vornehm da- monoliths; ein Symbol für seine Ge- gega, ja, da ko ma ich scho mächtig fangenschaft auf dem Hohenasperg aufrega. und in den ständischen Grenzen sei- ner Zeit (Abb. 16). Karl-Ulrich Nuss, der Sohn von Fritz Nuss, wiederum zeigte Schubart 2004 in einem Relief an seiner Lieblings kneipe ‚Grüner Baum‘ (heute: Bierhal- le), aus dem er mit größter Lebenslust fast herauszufallen scheint. Christian Friedrich Daniel Schubart - so viel steht fest - bleibt in seiner vielseitigen Persönlichkeit eine Pro- jektionsfläche vieler Wünsche und Vorstellungen. Jede Generation fin- det einen eigenen Zugang zu ihm. Es bleibt spannend zu sehen, welches Denkmal der Geburtenjahrgang 2020 Schubart einmal setzen wird. Tipp: Wer die Geschichte des Schu- bartdenkmals gern noch detaillierter hören (!) möchte, dem sei der Podcast des Stadtarchivs Aalen empfohlen: www.schubart-gesellschaft.de/hoeren Abb. 16: Die Schubartbüste von Rudolf Kurz, 2010. 19
Endnoten 1 Vgl. z. B. Barbara Potthast (Hg.): Christian Friedrich Daniel Schubart. Das Werk,Heidel- berg 2017. 2 Vgl. zur Gestalt der Stadt Aalen um 1900 u.a. Georg Wendt: Das Aalbäumle: Aalener Wahrzeichen seit 1898, in: Aalener Jahrbuch Online [www.aalen.de/baumle, abgerufen am 14.12.2020] 3 Vgl. insbesondere das Protokollbuch des Schubartdenkmalkomitees, das diese der Stadt nach Fertigstellung des Denkmals über- lassen hatten. StA Aalen A 745. 4 Vgl. Friedrich Noack: Curfess, Ernst, in: Ulrich Thieme (Hg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künste, Bd. 8, S. 205. 5 Vgl. Kocher-Zeitung vom 6. November 1890. 6 Vgl. Kocher-Zeitung vom 25. Februar 1891. 7 (wie Anm. 3) 8 Vgl. StA Aalen A 746. 9 Vgl. hierzu im Folgenden das Cassen-Buch in StA Aalen A 745. 10 Vgl. das Programmheft in StA Aalen A 745. 11 Vgl. StA Aalen A 748. 12 Ebd. 13 Vgl. StA Aalen A 2201. 14 Vgl. StA Aalen A 750. 15 Vgl. Hans Riebsamen: Unbekanntes Denkmal, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 6. Dezember 2020. 16 Vgl. StA Aalen A 750. 17 Vgl. StA Aalen A 2989. 18 Vgl. für den Gesamtzusammenhang der Wiederherstellung des Schubartdenkmals StA Aalen A 749. 19 Vgl. hierfür StA Aalen OB UP 417 bzw. RP 372. 20 Vgl. Aalener Nachrichten vom 14. Februar 2002. 21 Vgl. Schwäbische Post vom 27. Juni 2001. 22 Vgl. StA Aalen OB UP 596. 20
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