Absatzwirtschaft - Printarchiv der absatzwirtschaft

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Absatzwirtschaft - Printarchiv der absatzwirtschaft
G 1021 / Deutschland & Österreich 9,25 €               1/2-2010
absatzwirtschaft.de

                      absatzwirtschaft                                      Zeitschrift für Marketing

                       xklusiv-Interviews:
                      E
                      Wie Bang & Olufsen und
                      Deutsche Post reüssieren
                       ersicherungen:
                      V                                               Generation
                                                                      Marketing X.0
                      Wie der Ergo-Vorstand
                      Markenwerte vernichtet
                       änner-Magazine:
                      M
                      Wie stark Stil und Mode                          Wie Digital Natives neue Akzente
                      an Bedeutung gewinnen                            in Unternehmen setzen
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Titelstory → Marketing von morgen

Generation
Kundenfischer
Autorin: Vera Hermes

20   absatzwirtschaft 1–2/2010
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Sie agieren überwiegend online, gut vernetzt, extrem schnell
und überaus offen: Die Marketer der neuen Generation sind
mit Instrumenten wie Internet und Handy aufgewachsen
und prägen künftig Unternehmen. Ihre Kunden dürfen sich
freuen, denn Digital Natives pflegen den direkten Dialog.

                                                     Relevante Werber aus der „Generation D“:
                                                     Als AdWord-Marketer (v. l.) zogen Axel
                                                     Zimmermann-Pfeiffer (25), Daniel Unger (23)
                                                     und Axel Scheuering (26) schon die Aufmerk-
                                                     samkeit von Google auf sich.

                                                                                                           © Privat[M]

                                                                          absatzwirtschaft 1–2/2010   21
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Neue Produkt-Idee: Die Eingebung mit dem individuellen Genuss hatten die Gründer, als sie unter Zeitdruck nach einem Geburtstags-
geschenk suchten: selbstgegossene Schokolade mit Lieblingsnaschereien. Die Mischung kam so gut an, dass Aufträge folgten.

„Skittles“ ist eines der Lieblingsbeispiele, auf die Nachwuchs-        sie sich stärker über Native oder Immigrant differenzieren.“
Marketer verweisen. Die Marke des US-Unternehmens Mars                 Nun ist die erste Generation der Digital Natives schon heute
verkauft Bonbons und pf legt im Branding diese Haltung: Un-            erwachsen: Sie geht auf die 30 zu und ist damit genauso wenig
sere Marke ist, was unsere Kunden daraus machen! Und des-              neu wie die oft noch als Neue Medien bezeichneten Online-
halb stehen unter www.skittles.com fast nur nutzergenerierte           Kanäle. Es ist eine Frage der Zeit, bis sie das Ruder in Mar-
Inhalte: Dort wird auf Seiten bei YouTube, Flickr, Twitter,            keting, Management und Medien übernimmt und einen
Facebook oder Wikipedia verlinkt, auf denen Skittles vor-              neuen Stil à la Skittles einführen wird.
kommt. Glaubt man jungen Marketingleuten, zeigt Skittles,
wie das Marketing der Zukunft funktioniert: Die Marke ist              Kunden zuhören, sie einbinden, sie ernst nehmen – das ist das
dort, wo ihre Kunden sind. Sie ist offen, transparent und              Mantra der Nachwuchsmarketer. Von Chocri beispielsweise,
übergibt die Kontrolle über ihre Kommunikation an die                  dem Sieger des Gründerwettbewerbs der „Wirtschaftswoche“.
Kunden. Damit schafft sie Vertrauen und ist authentisch.               Das Berliner Start-up bietet eine Auswahl von über zehn
                                                                       Milliarden Schokoladenvariationen: Die Kunden können
Das Verhältnis zwischen „Digital Natives“ und „Digital                 ihre Lieblingszutaten online selbst auswählen. Auch sonst
Immigrants“ kehrt sich im Jahr 2017 um, prognostiziert die             lässt Chocri seine mehrheitlich aus Frauen zwischen 20 und
Studie „Media 2020“ der Agentur Mediacom: Dann leben in                29 Jahren bestehenden Kunden mitentscheiden, wenn es
Deutschland mehr Digital Natives, die mit Web, Mobiltelefo-            um neue Mixturen, das Pricing oder den Werbeslogan geht.
nen und Online-Medien aufwuchsen als Digital Immigrants,               „Die Leute fühlen sich eingebunden und wir ersparen uns
die nur mit klassischen Medien wie Zeitungen und Fernsehen             ein Stück Marktforschung, weil wir unseren Kunden gut
groß wurden. Entsprechend werden die Selektionskriterien               zuhören“, sagt Chocri-Chef Franz Duge (23), derzeit noch
der Marketer andere sein, sagt Mediacom-Geschäftsführer                Student des Wirtschaftsingenieurwesens.
Christian von den Brincken (40) voraus: „Zielgruppen un-               „Als Start-upler lernt man früh, dass man nicht auf der grünen
terscheiden sich heute nach demografischen Merkmalen,                  Wiese entwickeln kann, sondern vorher Feedbacks einholen
ihrem Konsumverhalten und Ähnlichem. Künftig werden                    muss. Das ist eine Riesenchance für Produktentwicklung
                                                                       und Produkterfolg“, bestätigt Kjell Fischer (26), Mitgründer
                                                                       von Apprupt, dem „ersten Performance Marketing-Anbieter
                                                                       speziell für iPhone Apps“, was ihm im November den zweiten
                                                                       Platz beim Webfuture Award 2009 einbrachte. Kjell Fischer
                                                                       und seine Mitgründer Benny Schilling und Jascha Samadi
                                                                       wollten erst selbst Applikationen für das iPhone entwickeln.
                                                                       Bei ihrer Recherche stießen sie auf ein Vertriebsproblem:
                                                                       Seit Apple seinen App-Store eröffnete, ist eine wahre App-
                                                                       Download-Welle über die Welt geschwappt: Laut Kjell Fischer
                                                                       verzeichnet der App-Store rund 120 000 Programme, die mitt-
                                                                       lerweile gut zwei Milliarden Mal heruntergeladen wurden.
                                                                       Bei dieser Vielfalt entdecken die iPhone-Besitzer neue Apps
                                                                       meist nur dann, wenn sie in einem der App-Store-Rankings
                                                                       auftauchen. Schlechte Zeiten für App-Anbieter also.
Neue Gründer-Generation (v. l.): Franz Duge (23) und Michael Bruck
(23) waren vorher schon im Schokobrunnengeschäft tätig, bevor sie im   Die Apprupt-Gründer änderten ihr Geschäftsziel: Sie bieten
vergangenen Jahr mit chocri.de online gingen.                          den dezentralen Vertrieb von iPhone-Apps, und zwar immer

22   absatzwirtschaft 1–2/2010
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»Digital Natives verstehen das
Virtuelle als Teil der Realität. Wir
arbeiten in dynamischen und
offenen Netzwerk-Teams. In un-
serem Arbeitsleben spielt kollek-
tive Intelligenz eine große Rolle.«
                                                                                            Mitverfasser des Manifestes „dnadigital“:
                                                                                            Timo Heuer (18) neben einem Textauszug.

dort, wo sie der User braucht: Erste Referenzen sind die Mo-           Wortsinn: „Mailings oder E-Mail-Newsletter – im schlimms-
bilportale von Springer und „Men’s Health“. Dort finden User           ten Fall mit zugekauften Adressen – werden meine und die
thematisch passende Apps. Apprupt verlinkt die Apps mit dem            nachfolgende Generation nicht mehr überzeugen“, prophezeit
App-Store, weist per Tracking nach, aus welcher Quelle sich            Kathrin Stieler. „Wichtiger ist, in Dialog mit den Menschen zu
der Download generierte, und erhält Provisionen.                       treten. Das bedeutet für Unternehmen und Agenturen neben
                                    Aber wie wirbt Apprupt selbst?     Budgetumschichtungen einen Wandel im Marketing.“
                                    „Wir sind eine junge Firma mit
                                    kleinem Budget. Für uns ist        Authentizität ist schon jetzt erfolgsentscheidend, unter-
                                    wichtig, unsere Zielgruppe an-     streicht Hubert Frach (42), Leiter Marketing der Lufthansa in
                                    zusprechen, wo sie sich auf hält   Frankfurt: „Wir wollen, dass die Menschen über uns sprechen,
                                    und die Aufmerksamkeit am          das können auch kritische Bemerkungen sein. Es gehört
                                    größten ist. Für uns sind das      zur Authentizität, offen zu sein.“ Er selbst gibt regelmäßig
                                    Blogs. Es gibt viele Blogs, die    bei Twitter den Suchbegriff Lufthansa ein, um zu sehen,
                                    mit iPhone-Apps und Techno-        was gerade „Talk of the Town“ ist. Daher weiß er, dass der
                                    Themen verbunden sind. Das         kürzlich eingeführte Twitter- und Facebook-Dienst „My Sky
                                    ist gut für uns. Und wir tun       Status“ – eine Art Sendungsverfolgung von Fluggästen – in
                                    Dinge, die sich gehören“, sagt     der Community bestens ankommt. Weil die Web-Welt mit
In Bewegung: „Natives denken        Kjell Fischer. Das wäre? „Twit-    Ignoranz bestraft, wer einen Service limitiert, hat Lufthansa
als Marketer nicht in Media-        tern zum Beispiel! Eben in den     „My Sky“ für andere Fluggesellschaften geöffnet.
plänen“, sagt Kathrin Stieler (29). Dialog treten, und das nicht im    „Früher folgte Marketing dem Push-Prinzip, das ist nicht
                                    Massen-Stil.“                      mehr adäquat. Heute müssen wir etwas tun, was den Kunden
„Fish where the fish is“ lautet das Motto der Nachwuchskräfte,         überrascht, was neu ist und was ihn an die Marke heranrückt“,
die mit Mediaplänen wenig anfangen wollen: „Marketing                  sagt Frach. Dazu zähle, Kunden zuzuhören, sie einzubinden
ist besonders effektiv, wenn die Unternehmen den sozialen              und von ihnen zu lernen. „Es geht darum, die Zielgruppe mit
Kontext der Menschen begreifen. Digital Natives denken als             relevanter Werbung zu erreichen und ihr einen Mehrwert
Marketer nicht in Zielgruppen oder Mediaplänen, sondern                zu bieten“, bestätigt Daniel Unger. Der 23-Jährige belegte
schauen, in welchen sozialen Netzwerken sich ein Mensch                gemeinsam mit seinen Kommilitonen Axel Scheuering (26)
bewegt“, sagt Kathrin Stieler (29), Junior Consultant bei der          und Axel Zimmermann-Pfeiffer (25) den zweiten Platz des
Agentur Tribal DDB in Hamburg. Die alte Media-Denke –                  weltweit ausgeschriebenen Hochschulwettbewerbs „Google
„da investieren wir mal 40 Prozent in Print, 30 Prozent in             Online Marketing Challenge“.
TV und 30 Prozent ins Web“ – werde bröckeln.                           Dank einer ausgeklügelten AdWords-Kampagne steigerten
                                                                       die drei Studenten der Wirtschaftsinformatik den Umsatz
Der Stellenwert der Werbung ist bei den jüngeren Gene-                 eines E-Shops um satte 330 Prozent. Jetzt gründeten Daniel
rationen gering, das Vertrauen in Unternehmen meist                    Unger und Axel Scheuering „elogy“, eine Tochterfirma der
niedrig, die Empfehlung von Freunden hoch geschätzt. Die               Volkacher Eikona AG. Sie bieten Services rund um Suchma-
Hamburger Forscher von Fittkau & Maaß meldeten jüngst,                 schinen-Werbung und Social-Media-Optimierung – und
dass von Nutzern verfasste Web-Rezensionen eine deutliche              haben alle Hände voll zu tun. Zu ihren Erstkunden zählt
Wirkung zeigen und sowohl Markenbilder als auch die                    T-Mobile. „Viele größere Unternehmen sind auf der Suche
konkrete Produktwahl erheblich beeinf lussen. Also setzen              nach neuen Ideen. Meist soll eine Community rund um die
die Marketingmanager künftig auf Dialogmarketing im                    Marke aufgebaut werden“, sagt Axel Scheuering.
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Ein Patent als neue Erlösquelle: Die „Captchas“ für den Spam-Schutz von Internetseiten verbindet die Bonner Firma
„CaptchaAd“ mit interaktiver Werbung. Daraus hat sich für die Gründer ein erfreuliches Geschäft entwickelt.

Die herkömmlichen Online-Marketingziele wie „Traffic                     Eine völlig neue Erlösquelle hat die junge und mehrfach preis-
erzeugen“ und „Conversions erzielen“ gelten nach wie vor,                gekrönte Bonner Firma „CaptchaAd“ erfunden: Sie hat eine
allerdings ist der Weg dorthin ein anderer: State of the Art             Technologie zum Patent angemeldet, die sogenannte „Capt-
ist derzeit, Kunden und Interessenten über Social-Media-                 chas“ für den Spam-Schutz auf Webseiten mit interaktiver Wer-
Plattformen zu Fans und Freunden zu machen. Dass Platt-                  bung verbindet. Statt dass sie schwer leserliche Zahlenfolgen
formen wie seinerzeit „Second Life“ nach großem Hype                     eintippen müssen, wird den Usern ein Werbevideo präsen­tiert;
sang- und klanglos wieder in der Versenkung verschwinden                 die User beantworten anschließend eine im Video gestellte
könnten, glaubt keiner der jungen Marketingspezialisten.                 Frage – womit die erhöhte Aufmerksamkeit garantiert ist.
Daniel Unger und Axel Scheuering gehen sogar davon aus,
dass sich mit der unauf haltsamen Verbreitung des mobilen                „CaptchaAd soll ein Gattungsbegriff werden“, sagt Gründer
Internets künftig Twitter- und Facebook-Applikationen als                Jan Philipp Hinrichs (30). Sein Geschäftsführungskollege
Standard-Tools auf Handys etablieren werden.                             und Mitgründer Michael Keferstein (27) ergänzt, das Ge-
Die Nachwuchs-Marketer schichten Budgets ohne Zweifel                    schäft laufe schon jetzt durchaus „erfreulich“. Grundsätzlich
zugunsten von Online-Medien um, denn sie wissen als                      sind die beiden überzeugt, dass interaktive Werbeformen
Digital Natives, wie schnell und schlicht sie funktionieren.             künftig im Vergleich zum passiven Konsum von Werbung
Außerdem belegen immer weiter verfeinernde Tracking-                     immer wichtiger werden. Voraussetzung dafür wiederum:
Methoden exakt, wie gut eine Kampagne bei Usern ankommt.                 Die Werbung muss relevant, interessant und präzise auf die
Moderne Neuromarketing-Forschung tut ein Übriges, um                     Zielgruppe zugeschnitten sein. Genau genommen steht die
Kundenansprache und Vertrieb im Web noch effektiver                      neue Generation der Marketer also vor der gleichen Heraus­
zu machen, wie die Reportage von Martina Monsees (siehe                  forderung wie alle Marketer vor ihr. Allerdings hat sie – und
Seite 26) in dieser Titelstory belegt. Wie entwickeln sich               das könnte ein Vorteil sein – den wesentlich kürzeren Draht
dann aber die klassischen Medien?                                        zum Kunden.                                                ←

„Print wird aus der Talsohle nicht wieder rauskommen, und
TV-Werbung wird sich massiv verändern. Digital Natives
sehen nicht ein, warum sie sich ein vorgefertigtes Programm
angucken sollten“, sagt Nico Lumma (37) als Director Social
Media und Social Commerce der Scholz & Friends Group.
Kjell Fischer von Apprupt bekennt freimütig, er besitze
gar keinen Fernseher. Filme sieht er im Internet. Weder
Timo Heuer (18), Schüler und Mitverfasser des Manifests
der Digital Natives, noch einer seiner Freunde hat ein
Print-Medium abonniert. Dank des mobilen Internets sei-
en immer und überall kostenlose Inhalte verfügbar. Dass
sich der Nachwuchs überzeugen lässt, für exklusiven Content
zu zahlen, hoffen dagegen viele Verlage. Das Medienhaus
Axel Springer meldete kürzlich, es setze auf der Suche nach
neuen Erlösquellen auf kostenpf lichtige iPhone-Applika­
                                                                         Von der Marke zum Gattungsbegriff: Das „CaptchaAd“-Führungsteam
tionen und biete ab sofort Apps seiner Zeitungen „Die Welt“              hat große Ziele; von links: Thomas Zumtobel (40), Jan Philipp Hinrichs
und „Bild“.                                                              (30) und Michael Keferstein (27).

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