2021 WELTHUNGER-INDEX - HUNGER UND KONFLIKTE: ERNÄHRUNGSSYSTEME ÄNDERN, FRIEDEN FÖRDERN - Welthungerhilfe

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2021 WELTHUNGER-INDEX - HUNGER UND KONFLIKTE: ERNÄHRUNGSSYSTEME ÄNDERN, FRIEDEN FÖRDERN - Welthungerhilfe
2021
Synopse

WELTHUNGER-INDEX
HUNGER UND KONFLIKTE: ERNÄHRUNGSSYSTEME ÄNDERN,
FRIEDEN FÖRDERN	                                 Oktober 2021
Besorgniserregender Hunger inmitten multipler Krisen
 Der Welthunger-Index (WHI) 2021 weist auf eine düstere Hungerlage hin,
 befeuert durch ein verheerendes Zusammenspiel von Klimakrise, Covid-19-
 Pandemie und immer schwereren und langwierigeren Konflikten. Der bereits
 zuvor viel zu langsame Fortschritt in Richtung Zero Hunger bis 2030 stagniert
  oder hat gar Rückschläge zu verzeichnen.

 Wir sind dramatisch vom Kurs auf Zero Hunger                                                                Der weltweite Fortschritt stockt, in einigen
 abgekommen                                                                                                  Regionen bleibt der Hunger besorgniserregend hoch
 Aktuellen WHI-Prognosen zufolge wird die Weltgemeinschaft –                                                 Aktuelle Erkenntnisse deuten auf Rückschläge in der Hungerbekämp-
 ­insbesondere 47 Länder – ein niedriges Hungerniveau bis 2030 nicht                                         fung hin und verheißen schwierige Aussichten für die Zukunft. Zwar
 erreichen. Die drei verheerendsten Hungertreiber Konflikte, Klima-                                          zeigen die WHI-Werte eine Verbesserung der globalen Hungersitua-
 wandel und die Covid-19-Pandemie bedrohen jegliche Fortschritte                                             tion seit 2000, doch die Fortschritte verlangsamen sich. Während
 der letzten Jahre. Gewaltsame Konflikte, die eng mit Hunger ver-                                            der globale WHI-Wert zwischen 2006 und 2012 um 4,7 Punkte von
 flochten sind, zeigen keine Anzeichen für ein Nachlassen. Die Folgen                                        25,1 auf 20,4 sank, ist er seit 2012 nur noch um 2,5 Punkte gefal-
 des Klimawandels werden hingegen immer deutlicher und schwer-                                               len (Abbildung 1). Nach Jahrzehnten des Rückgangs steigt die welt-
 wiegender, doch die Welt hat nach wie vor keinen ausreichend wirk-                                          weite Verbreitung von Unterernährung, einem der vier Indikatoren
 samen Mechanismus für effektiven Klimaschutz entwickelt. Und die                                            des WHI. Diese Entwicklung könnte ein Vorzeichen dafür sein, dass
 Covid-19-Pandemie, die 2020 und 2021 weltweit grassierte, hat                                               sich auch andere Hungerindikatoren umkehren. Sowohl die Hunger-
 offengelegt, wie anfällig wir für eine globale Infektionsverbreitung                                        situation in Afrika südlich der Sahara als auch jene in Südasien wird
 und die damit verbundenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen                                             als ernst eingestuft. Von allen Regionen weist Afrika südlich der
 Folgen sind. Aufgrund dieser sowie anderer zugrunde liegender Fak-                                          Sahara die höchsten Raten von Unterernährung, Wachstumsverzö-
 toren wie Armut, Ungleichheit, nicht nachhaltige Ernährungssysteme,                                         gerung bei Kindern und Kindersterblichkeit auf. Das hohe Hunger-
 mangelnde Investitionen in Landwirtschaft und ländliche Entwick-                                            niveau in Südasien ist hauptsächlich auf hohe Unterernährungsraten
 lung, unzureichende Sicherheitsnetze und schlechte Regierungsfüh-                                           bei Kindern zurückzuführen, insbesondere in Form von Auszehrung.
 rung stagnieren die Fortschritte in der Hungerbekämpfung oder haben                                         In Europa und Zentralasien, Lateinamerika und Karibik, Ost- und
 gar Rückschläge zu verzeichnen.                                                                             Südostasien sowie Westasien und Nordafrika ist das Hungerniveau
                                                                                                             niedrig oder mäßig.

 ABBILDUNG 1 GLOBALE UND REGIONALE WHI-WERTE FÜR 2000, 2006, 2012 UND 2021 MIT BETRÄGEN DER EINZELNEN INDIKATOREN

                                                                                                                                        Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren
           50
                                            42,5

                                                                                                                                        Verbreitung von Auszehrung bei Kindern
                                                                        38,1

                                                                                                                                        Verbreitung von Wachstumsverzögerung bei Kindern
                                                                                35,9
                                                   36,2

           40
                                                                                                                                        Anteil der Unterernährten
                                                          30,5

                                                                                       29,2
                28,0

                                                                 27,1

                                                                                              26,1
                       25,1

           30
WHI-Wert

                              20,4

                                                                                                                                                           18,4
                                     17,9

                                                                                                     16,1

                                                                                                                                                                  15,2

           20
                                                                                                            14,3

                                                                                                                   14,1

                                                                                                                                                                                      13,5
                                                                                                                                 13,2
                                                                                                                          12,7

                                                                                                                                                                         11,0
                                                                                                                                        10,8

                                                                                                                                                                                             9,5
                                                                                                                                                     8,7

                                                                                                                                                                                8,5
                                                                                                                                               8,5

                                                                                                                                                                                                   7,6

           10
                                                                                                                                                                                                         6,5

            0
                '00 '06 '12 '21             '00 '06 '12 '21             '00 '06 '12 '21              '00 '06 '12 '21             '00 '06 '12 '21           '00 '06 '12 '21            '00 '06 '12 '21
                        Welt                Afrika südlich                     Südasien               Westasien &                Lateinamerika                 Ost- &                   Europa &
                                             der Sahara                                                Nordafrika                  & Karibik                 Südostasien               Zentralasien

 Quelle: die Autor*innen.
 Anmerkung: Für Datenquellen siehe Anhang C im WHI 2021. Die regionalen und globalen WHI-Werte werden mittels regionaler und globaler aggregierter Werte für jeden Indikator und der
 in Anhang B beschriebenen Formel berechnet. Diese regionalen und globalen Gesamtwerte für jeden Indikator werden als bevölkerungsgewichtete Durchschnittswerte und unter Anwendung
 der in Anhang D aufgeführten Werte errechnet. Bei Ländern, für die keine Daten zur Unterernährung vorliegen, wurden die regionalen und globalen Gesamtwerte anhand von Schätzungen der
 Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ermittelt, die in Anhang D nicht aufgeführt sind. Für Angaben darüber, welche Länder die einzelnen Regionen umfas-
 sen, siehe Anhang F.

                                                                                                        2
In fast 50 Ländern ist die Hungersituation nach wie                                         Innerhalb der Landesgrenzen sind Ungleichheiten
vor ernst, sehr ernst oder gravierend                                                       beim Ernährungszustand allgegenwärtig
Dem WHI 2021 zufolge befindet sich ein Land, Somalia, in einer                              Bei der Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei Kindern sowie
gravierenden Hungersituation. In den fünf Ländern Zentralafrikani-                          der Kindersterblichkeit gibt es überall und selbst innerhalb von Lan-
sche Republik, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Madagaskar                             desgrenzen große Unterschiede, die durch nationale Durchschnitts-
und Jemen ist die Hungersituation sehr ernst und wird in vier weite-                        werte verdeckt werden können. In allen Teilen der Welt leiden Kinder
ren Ländern – Burundi, Komoren, Südsudan und Syrien – vorläufig                             infolge unzureichender Ernährung und mangelnder Gesundheit.
als sehr ernst bewertet. Für 31 Länder wird das Ausmaß an Hunger                            Obwohl Unterernährungsraten auf subnationaler Ebene nicht regel-
als ernst und für weitere sechs Länder vorläufig als ernst eingestuft.                      mäßig berechnet werden, deuten erste Untersuchungen auf signifi-
Seit 2012 hat sich die Hungersituation in zehn Ländern mit mäßi-                            kante subnationale Abweichungen hin. Diese anhaltende subnationale
gen, ernsten oder sehr ernsten Hungerwerten verschlechtert, in man-                         Ungleichheit wurde durch die pandemiebedingten Einschränkungen
chen Fällen infolge ausbleibender Fortschritte, in anderen durch eine                       von Mobilität und Dienstleistungen noch verschärft. Die überpropor-
Verschlimmerung einer ohnehin prekären Situation. 14 Länder haben                           tionalen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf vulnerable Men-
indes signifikante Verbesserungen ihrer jeweiligen Hungersituation                          schen vergrößern die Kluft zwischen Arm und Reich.
erreicht; ihre WHI-Werte sanken zwischen 2012 und 2021 um 25 Pro-
zent oder mehr.

    BOX 1 DER WELTHUNGER-INDEX

    Der Welthunger-Index (WHI) ist ein Instrument, mit dem die                                  2021 wurden Daten aus 135 Ländern ausgewertet, die die
    Hungersituation auf globaler, regionaler und nationaler Ebene                           Kriterien für die Aufnahme in den Welthunger-Index erfüllen;
    über mehrere Jahre und Jahrzehnte umfassend erfasst und ver-                            für 116 von ihnen wurden WHI-Werte basierend auf Daten von
    folgt wird. Die WHI-Werte werden anhand einer Formel errech-                            2016 bis 2020 berechnet. Diese Daten stammen von der Ernäh-
    net, die drei Dimensionen von Hunger erfasst: unzureichende                             rungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
    Kalorienaufnahme, Unterernährung bei Kindern und Kinder­                                (FAO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), UNICEF, der
    sterblichkeit. Dafür werden vier Indikatoren herangezogen:                              UN Inter-agency Group for Child Mortality Estimation (UN
                                                                                            IGME), von der Weltbank sowie aus den Demographic and
     > UNTERERNÄHRUNG: der prozentuale Anteil der Unterernährten                            Health Surveys (DHS). Für 19 der 135 berücksichtigten Länder
         an der Bevölkerung (gibt den Anteil der Bevölkerung an, der                        lagen keine ausreichenden Daten für die Berechnung der WHI-
         seinen Kalorienbedarf nicht decken kann)                                           Werte vor. Für zwölf von ihnen wurde eine vorläufige Einstufung
     > AUSZEHRUNG BEI KINDERN:             der Anteil von Kindern unter fünf                des Hungerschweregrades basierend auf anderen bekannten
         Jahren, die ausgezehrt sind (zu geringes Gewicht im Verhält-                       Daten vorgenommen. Für die übrigen sieben Länder reichten
         nis zur Körpergröße), ein Beleg für akute Unterernährung                           die Daten weder für die Berechnung der WHI-Werte noch für
     > WACHSTUMSVERZÖGERUNG BEI KINDERN: der Anteil von Kindern                             eine vorläufige Einstufung aus.
         unter fünf Jahren, deren Wachstum verzögert ist (zu geringe
         Körpergröße im Verhältnis zum Alter), ein Beleg für chronische                         Der WHI stuft die Länder gemäß einer 100-Punkte-Skala
         Unterernährung                                                                     ein. 0 (kein Hunger) ist dabei der beste und 100 der schlech-
     > KINDERSTERBLICHKEIT:            der prozentuale Anteil der Kinder,                   teste Wert, wobei keiner dieser Extremwerte in der Praxis je
         die vor der Vollendung ihres fünften Lebensjahres sterben                          erreicht wurde (Abbildung 2).

    ABBILDUNG 2 ANZAHL DER LÄNDER NACH SCHWEREGRAD

                                                                        WHI-Schweregradskala
              ≤ 9,9                    10,0–19,9                           20,0–34,9                                 35,0–49,9                            ≥ 50,0
              Niedrig                    Mäßig                               Ernst                                   Sehr ernst                          Gravierend
         50 Länder                   31 Länder                           37 Länder                                   9 Länder                            1 Land
    0                          10                         20                                         35                                        50
    Quelle: die Autor*innen.
    Anmerkung: Von den 128 erfassten Ländern wurden 12 Ländern vorläufige WHI-Werte zugewiesen: 1 Land fällt dabei in die Kategorie niedrig, 1 in die Kategorie mäßig, 6 in die
    Kategorie ernst und 4 in die Kategorie sehr ernst.

                                                                                        3
WELTHUNGER-INDEX 2021 NACH SCHWEREGRAD
                                                                                 Grönland

                                                                                                Island                               Finnland
                                                                                                                         Schweden
              Kanada                                                                                                Norwegen
                                                                                                                                           Estland
                                                                                                                                       Lettland
                                                                                                        Großbritannien Dänemark Litauen
                                                                                                                      Nied.          Polen Belarus
                                                                                                     Irland               Deutschland
                                                                                                                     Bel.
                                                                                                                          Lux. Tschech. Rep. Ukraine
                                                                                                               Frankreich               Slowakei
                                                                                                                                Österr. Ungarn Rep. Moldau*
                                                                                                                     Schweiz Slow.
                                                                                                                                       Kroatien Rumänien
                                                                                                                          Italien
                                                                                                                                  Bos.& Serbien
                                                                                                                                  Herz. Mont. Bulgarien
 Vereinigte Staaten                                                                                                                         Nordmaz.
                                                                                                             Spanien                Albanien
    von Amerika                                                                                     Portugal                                        Türkei
                                                                                                                                      Griechenland
                                                                                                                                                  Zypern
                                                                                                                           Tunesien                 Libanon
                                                                                                          Marokko                                    Israel/
                                                                                                                                   Palästinensische Gebiete
                                                                                                                Algerien
                                Bahamas                                                                                            Libyen       Ägypten
Mexiko
                             Kuba                                                      Westsahara

                      Jamaika          Dominikanische Rep.                                      Mauretanien
                  Belize      Haiti
                                                                                                                  Mali       Niger*
                    Honduras                                               Kap Verde                                                             Sudan
 Guatemala                                                                               Senegal                                     Tschad
    El Salvador       Nicaragua                                                          Gambia
                                                 Trinidad & Tobago                Guinea-Bissau* Guinea* Burkina Faso
         Costa Rica      Panama                                                                                     Benin Nigeria
                                                                                                           Côte Ghana
                                    Venezuela Guyana                                     Sierra Leone
                                                                                                          d'Ivoire
                                                                                                                                       Zentral-    Süd-
                                                  Suriname                                                         Togo              afrikanische sudan*
                                                     Französisch-Guayana                           Liberia                             Republik
                             Kolumbien                                                                                  Kamerun
                                                                                                               Äquatorialguinea     Rep.          Uganda*
                                                                                                                              Gabun Kongo
                  Ecuador                                                                                                                        Ruanda
                                                                                                                                          Dem.
                                                                                                                                           Rep. Burundi*
                                                                                                                                          Kongo

                             Peru
                                                            Brasilien
                                                                                                                                    Angola
                                                                                                                                                  Malawi
                                                                                                                                             Sambia*
                                            Bolivien
                                                                                                                                                Simbabwe*
                                                                                                                                  Namibia
                                                                                                                                         Botsuana
                                                  Paraguay
                                    Chile
                                                                                                                                             Eswatini
                                                                                                                                                   Lesotho
                                                                                                                                       Südafrika
                                                       Uruguay

                                              Argentinien

         Gravierend ≥ 50,0

         Sehr ernst 35,0–49,9

         Ernst 20,0–34,9

         Mäßig 10,0–19,9

         Niedrig ≤ 9,9

         Nicht erfasst oder nicht eingestuft (siehe Anhang A und Box 1.3 im WHI 2021 für nähere Angaben).

    *    Vorläufige Einstufung des Schweregrades (siehe Box 1.3 im WHI 2021 für nähere Angaben).
Russische Föderation

                      Kasachstan                                        Mongolei

                                                                                                                   Dem.
 Georgien     Usbekistan Kirgisistan                                                                               Volksrep. Korea
       Aserb.                                                                                                                  Japan
 Armenien Turkmenistan Tadschikistan*                                                                               Rep.
                                                                            China                                   Korea
  Arabische
 Rep. Syrien*
                            Afghanistan
   Irak           Iran
Jordanien Kuwait                      Pakistan
                                                             Nepal Bhutan
            Bahrain
     Saudi-   Katar                                                                                              Taiwan
                                                                     Bangladesch
    Arabien    V. A. E.                                Indien                                             Hongkong
                                                                                 Myanmar
                                                                                               Dem. Volksrep.
                            Oman
                                                                                               Laos
                                                                                                                      Philippinen
  Eritrea Jemen                                                                             Thailand
                                                                                                 Kambodscha
          Dschibuti
                                                                                                         Vietnam

   Äthiopien       Somalia                                        Sri Lanka
                                                                                                             Brunei Darussalam
                                                         Malediven                                          Malaysia
                                                                                                   Singapur
                                                                                                                Indonesien
  Kenia                                                                                                                                             Papua-
                                                                                                                                                   Neuguinea
Vereinigte Rep.
   Tansania                                                                                                                                                    Salomonen
                                                                                                                             Timor-Leste
          Komoren*
Mosambik

                                                                                                                                                                    Vanuatu
                            Mauritius

                                                                                                                                                                    Fidschi
           Madagaskar

                                                                                                                                Australien

             Quelle: die Autor*innen.
             Anmerkung: Dem WHI 2021 liegen zum Anteil der Unterernährten Daten aus dem Zeitraum 2018–2020
             zugrunde; Daten zur Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei Kindern stammen aus dem jüngsten Jahr
             im Zeitraum 2016 bis 2020, für das Daten vorliegen; Daten zur Kindersterb­lichkeit stammen aus dem Jahr
             2019. Für Länder, zu denen keine Daten vorlagen, für bestimmte einkommensstarke Länder, für Länder mit
                                                                                                                                             Neuseeland
             einer geringen Bevölkerungszahl sowie für nicht unab­hängige Territorien wurden keine WHI-Werte berechnet;
             für weitere Angaben dazu siehe Anhang A.
             Die in dieser Karte abgebildeten Grenzen und Ländernamen stellen keine offizielle Stellungnahme oder
             Anerkennung vonseiten der Welthungerhilfe (WHH) oder Concern Worldwide dar.
             Empfohlene Zitierweise: K. von Grebmer, J. Bernstein, C. Delgado, D. Smith, M. Wiemers, T. Schiffer,
             A. Hanano, O. Towey, R. Ní Chéilleachair, C. Foley, S. Gitter, K. Ekstrom und H. Fritschel. 2021.
             „Abbildung 1.6: Welthunger-Index 2021 nach Schweregrad.“ Karte im Welthunger-Index 2021: Hunger und
             Konflikte: Ernährungssysteme ändern, Frieden fördern. Bonn: Welthungerhilfe; Dublin: Concern Worldwide.
TABELLE 1 WHI-WERTE DER LÄNDER (AUFSTEIGEND NACH WHI-WERTEN 2021 SORTIERT)
Rang1 Land                                                                    2000      2006      2012      2021     Rang1 Land                                        2000          2006          2012          2021
                                            Belarus
HUNGER UND ERNÄHRUNGSSYSTEME IN
KONFLIKTGEBIETEN
Gastbeitrag von Caroline Delgado und Dan Smith, Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)

Dysfunktionale Ernährungssysteme und die daraus resultierende                          1. EINEN FLEXIBLEN UND AGILEN ANSATZ VERFOLGEN. Die Kenntnis des
Zunahme von Hunger gehören zu den drängendsten Problemen unse-                             jeweiligen lokalen Kontexts ist von entscheidender Bedeutung.
rer Zeit. 2020 waren 155 Millionen Menschen von akuter Ernäh-                              Was unter Frieden verstanden wird, kann sich entlang ethnischer,
rungsunsicherheit betroffen – ein Anstieg von fast 20 Millionen im                         konfessioneller, regionaler oder politischer Linien stark unter-
Vergleich zum Vorjahr. Trotz der verheerenden Covid-19-Pandemie                            scheiden. Ständig entstehen und entwickeln sich neue Heraus-
blieben auch 2020 Konflikte die Haupttreiber weltweiten Hungers,                           forderungen für die Friedensförderung und die Ernährungs­
und die Zahl der gewaltsamen Konflikte nimmt zu.                                           sicherheit; Bedingungen und Anforderungen verändern sich.
    Die Wechselwirkungen zwischen Hunger und Konflikt sind bekannt.                        Daher müssen Maßnahmen zur Friedensförderung im Rahmen
Konflikte beeinträchtigen fast jeden Teil eines Ernährungssystems, von                     von Aktivitäten zur Ernährungssicherung flexibel und agil sein.
der Erzeugung über die Ernte, die Verarbeitung und den Transport bis
hin zu der Versorgung mit Betriebsmitteln, der Finanzierung, der Ver-                  2. AUF PARTNERSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT SETZEN. Neben dem
marktung und dem Konsum. Zugleich kann Ernährungsunsicherheit                              Verständnis des lokalen Kontexts sind profunde Kenntnisse über
zu gewaltsamen Konflikten beitragen. Ohne Ernährungssicherheit ist                         das, was in anderen Kontexten erfolgreich war, was nicht funkti-
eine nachhaltige Friedenssicherung kaum möglich, und ohne Frieden                          oniert und was Probleme verursacht hat, unabdingbar. Dafür sind
ist es unwahrscheinlich, den weltweiten Hunger zu beenden.                                 Partnerschaften entscheidend. Nationale Regierungen und inter-
                                                                                           nationale Organisationen können ohne lokale Partner nicht erfolg-
Eskalierende gewaltsame Konflikte adressieren                                              reich sein, und umgekehrt. Für effektive Partnerschaften müssen
Frieden kann eher dann geschaffen und erhalten werden, wenn er                             lokale Partner nicht nur bei der Umsetzung und Überwachung,
mit sicheren Existenzgrundlagen und Ernährungssicherheit einher-                           sondern bereits bei der Strategie- und Projektkonzipierung ein-
geht, und umgekehrt. Doch die aktuellen globalen, regionalen und                           bezogen werden.
nationalen Trends bedrohen die Verwirklichung des Ziels Zero Hun-
ger bis 2030; seit 2010 hat sich die globale Sicherheit signifikant                    3. GANZHEITLICHES ARBEITEN FÖRDERN. Wenn Frieden Voraussetzung
verschlechtert. Die Zusammenhänge zwischen Konflikten und stei-                            für Ernährungssicherheit und Ernährungssicherheit Voraussetzung
gender Ernährungsunsicherheit gestalten sich fallspezifisch und kom-                       für Frieden ist und Resilienz angesichts des Klimawandels beides
plex. Um diese Wechselwirkungen zu durchbrechen und das                                    befördert, sollten Möglichkeiten gefunden werden, alle drei The-
friedensfördernde Potenzial von Ernährungssystemen zu nutzen, sind                         men gemeinsam zu adressieren. Dies kann in einem konfliktbe-
Evidenz, fundierte Kenntnisse des jeweiligen Kontexts sowie die                            troffenen Land unter anderem durch Koordinierungsstellen für
Zusammenarbeit aller Beteiligten aus der Friedensförderung, Huma-                          Ernährung und Frieden erreicht werden. Diese beziehen lokale,
nitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit erforderlich.                                 nationale und internationale Institutionen ein, um den Zugang zu
    Untersuchungen des Insituts SIPRI zeigen, dass Stakeholder wie                         Ressourcen zu erleichtern sowie die Zusammenarbeit zu fördern.
Gemeinden, lokale und internationale NGOs, UN-Behörden und Staa-
ten durch koordinierte Zusammenarbeit Bedingungen für Ernährungs-                      4. FINANZIERUNGSSILOS AUFLÖSEN. Dass Fördergelder stets in sepa-
sicherheit und nachhaltigen Frieden schaffen können. Die Forschung                         rate Budgets fließen, erzeugt Silos in unserem Denken und Han-
von SIPRI über die friedensfördernde Wirkung des Welternährungspro-                        deln. Regierungen, Hilfsorganisationen und Geldgeber, die einen
gramms legt nahe, dass selbst in einem ungünstigen weltpolitischen                         ganzheitlichen Ansatz propagieren, müssen stärker integrierte
Kontext mittels resilienter Ernährungssysteme Frieden vorangebracht                        Finanzierungsmodelle erproben, die auf die Schnittstellen abzie-
werden kann. Selbst kleine Interventionen können zu verminderter Vul-                      len. Dazu benötigen sie einen Mechanismus, der genau an diesen
nerabilität und zur Stärkung lokaler Friedenszonen beitragen. Eine Aus-                    Schnittstellen agiert – wie die Koordinierungsstellen für Ernäh-
weitung dieser Bemühungen könnte greifbare Fortschritte hervorbringen                      rung und Frieden.
oder gar die ambitioniertesten Ziele wahr werden lassen.
                                                                                       Mit Anpassungsfähigkeit, Sensibilität ebenso wie Respekt für lokales
Gemeinsam Konflikt und Hunger bekämpfen                                                Wissen, neu betonten Partnerschaften, ganzheitlichen Maßnahmen
Die Komplexität von Ernährungssystemen sowie von Konflikten und                        sowie einer angemessenen Finanzierung kann der Aufbau resilienter
Friedensförderung stellt eine große Herausforderung dar. Um Fort-                      Ernährungssicherheit gelingen. Wandel besteht aus unmittelbaren,
schritte in der Konflikt- und Hungerbekämpfung zu erzielen, müssen                     konkreten Schritten, die einer klaren Priorisierung folgen. Wenngleich
beim Aufbau resilienter Ernährungssysteme die Friedensförderung                        der globale Kontext ungünstig ist, gibt es durchaus Maßnahmen, die
und bei der Friedensförderung die Ernährungssicherheit integriert                      den Teufelskreis aus Konflikt und Hunger durchbrechen können.
werden. Hierfür definieren wir vier Prioritäten:
Anmerkung: Dieser Gastbeitrag gibt die Meinung der Autor*innen wieder und entspricht nicht notwendigerweise den Ansichten der Welthungerhilfe oder von Concern Worldwide.

                                                                                   7
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Der Erfolg des kürzlich abgehaltenen UN-Gipfels zu Ernährungssys-                  3 Eine flexible, bedürfnisorientierte, sektorübergreifende und mehr­
temen sollte daran gemessen werden, inwiefern er konkrete und                           jährige Planung und Finanzierung garantieren
transformative Maßnahmen generiert, um Zero Hunger zu erreichen,                    >   Geldgeber, UN-Behörden, NGOs und lokale Akteure sollten sek-
das Recht auf Nahrung zu achten, zu schützen und zu gewährleisten,                      torübergreifende und langfristige Beziehungen aufbauen. Dies
sowie angesichts von Konflikten, Klimawandel und Covid-19 nieman-                       erfordert mehrjährige Investitionen der Geldgeber in Entwicklung
den zurückzulassen. Auch wenn es letztlich politische Konfliktlösung                    und Friedensförderung, die sich an die dynamischen Kontexte
und gesellschaftlichen Wandel braucht, kann ein integrierter Ansatz,                    von Konflikten und Krisen anpassen lassen. Die Finanzierung
der Frieden und resiliente Ernährungssysteme zusammen denkt, dazu                       muss einem flexiblen und agilen Ansatz folgen, der lokale Pers-
beitragen, sowohl nachhaltige Ernährungssicherheit als auch dauer-                      pektiven, Ambitionen und Bedenken widerspiegelt.
haften Frieden zu fördern.                                                          >   Die Rollen aller Akteure im Nexus Humanitäre Hilfe–Entwick-
                                                                                        lungszusammenarbeit–Friedensförderung müssen klar definiert
1 Die Resilienz von Ernährungssystemen stärken, um Konflikte und                        und ausreichend unterstützt werden. Finanzierung muss bedarfs-
    Klimawandel zu adressieren und Ernährung zu sichern                                 orientiert sein und darf nicht Sicherheits- oder politischen Agen-
>   Regierungen und Geldgeber müssen in Konfliktgebieten Interven-                      den zum Opfer fallen.
    tionen fördern, die unmittelbar und langfristig existenzielle Bedürf-
    nisse wie auch Versöhnung und Friedensförderung verknüpfen.                    4 	
                                                                                      Konflikte politisch lösen, Völkerrecht stärken und Rechts­
>   Regierungen und Geldgeber müssen klimaresistente und diversi-                       verletzungen sanktionieren
    fizierte Anbaumethoden fördern und lokale Märkte stärken, um                    >   Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, langwierige
    entlang der Wertschöpfungskette Arbeitsplätze zu schaffen,                          Krisen zu beenden, aber auch Geberländer sowie wichtige inter-
    sodass Gemeindemitglieder ihre Produktion diversifizieren, ihr                      nationale und regionale Institutionen müssen Konflikte und deren
    Einkommen erhöhen und ihre Nährstoffzufuhr und Ernährungs-                          Folgen unter dem Aspekt der Ernährungssicherheit adressieren.
    sicherheit steigern können.                                                     >   Angesichts der weitverbreiteten Verletzungen des Rechts auf Nah-
>   Es müssen Maßnahmen zur sozialen Sicherung ergriffen werden,                        rung im Rahmen von Konflikten, des wiederkehrenden Einsatzes
    etwa durch Geldleistungen und Gutscheine, um die Resilienz                          von Hunger als Kriegswaffe und der Verweigerung humanitären
    ländlicher Ernährungswirtschaften und von Schocks und Stres-                        Zugangs ist es entscheidend, dass die UN und ihre Mitglieds-
    soren betroffener Haushalte zu stärken.                                             staaten das humanitäre Völkerrecht stärken und Aushungern als
                                                                                        Kriegsverbrechen konsequent verfolgen und sanktionieren.
2 Kontext analysieren und inklusive, lokal geführte Initiativen stärken
>   Akteure der Humanitären Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit                      5 	Beim grundlegenden Wandel der Ernährungssysteme vorangehen
    und Friedensförderung müssen fortlaufend den Kontext analy­                     >   Regierungen müssen im Anschluss an den UN-Gipfel zu Ernäh-
    sieren, Ursachen und Akteure eines Konflikts identifizieren, be­                    rungssystemen aktiv die strukturellen Herausforderungen unserer
    stehende Machtverhältnisse berücksichtigen und dabei die                            Ernährungssysteme, wie Ungleichheiten, Marktversagen, Gesund-
    betroffenen Menschen ins Zentrum stellen.                                           heits-, Umwelt- und Klimarisiken, angehen. Die Maßnahmen müs-
>   Partnerschaften sollten lokale, nationale und internationale                        sen vulnerable Menschen ins Zentrum der Ernährungspolitik stellen
    Akteure zusammenbringen. Alle Stakeholder sollten auf lokalen                       und auf bestehenden Verpflichtungen wie den SDGs, dem Pariser
    Strukturen aufbauen, um so potenziell die effektivste und zeit-                     Klimaabkommen und Menschenrechtsabkommen aufbauen.
    nächste Unterstützung zu bieten, das jeweilige lokale Friedens-                 >   Multilaterale Ernährungspolitik muss auf Menschenrechten und
    verständnis zu berücksichtigen sowie die Legitimität und                            der Beteiligung von Zivilgesellschaft und Gemeinden beruhen.
    Nachhaltigkeit von Interventionen zu erhöhen.                                   >   Regierungen müssen die bevorstehenden Gelegenheiten nutzen,
>   Akteure müssen Transparenz, Rechenschaftspflicht und inklusive                      darunter die UN-Klimakonferenz 2021 und der „Nutrition for
    Partizipation der Vulnerabelsten sicherstellen, einschließlich der                  Growth“-Gipfel in Tokio, um ihre Verpflichtungen zur Erreichung
    Beteiligung von Frauen an friedensfördernden Maßnahmen.                             von Zero Hunger durch Investitionen in Ernährung und Resilienz
                                                                                        in fragilen und konfliktbetroffenen Kontexten zu bekräftigen.

Deutsche Welthungerhilfe e. V.           Concern Worldwide                         Die Autor*innen:
                                                                                   Welthungerhilfe: Miriam Wiemers (Referentin Welthunger-Index), Tabea Schiffer
Friedrich-Ebert-Straße 1                 52-55 Lower Camden Street                 (Politik und Außenbeziehungen), Asja Hanano (Leitung Politik und Außenbeziehung);
53173 Bonn, Deutschland                  Dublin 2, Irland                          Concern Worldwide: Olive Towey (Senior Policy Advisor), Réiseal Ní Chéilleachair
                                                                                   (Head of International Advocacy), Connell Foley (Director of Strategy, Advocacy,
Tel. +49 228-2288-0                      Tel. +353 1-417-7700
                                                                                   and Learning); wissenschaftliche Berater*innen: Klaus von Grebmer, Jill Bernstein,
Fax +49 228-2288-333                     Fax +353 1-475-7362                       Heidi Fritschel, Kierstin Ekstrom; Towson University: Seth Gitter; Gastautor*innen:
www.welthungerhilfe.de                   www.concern.net                           Caroline Delgado (Senior Researcher and Program Director, Food and Security,
Member of Alliance2015                   Member of Alliance2015                    Stockholm International Peace Research Institute), Dan Smith (Director, Stockholm
                                                                                   International Peace Research Institute)
Dieser Bericht wurde von externen Expert*innen begutachtet (Peer-Review).
Titelbild: Anadolu Agency via AFP/Muhammed Said 2021
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