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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Aktuelle Entwicklungen in der Homepage: Diagnostik und Therapie der www.kup.at/ Essstörungen JNeurolNeurochirPsychiatr Ehrig C Online-Datenbank mit Autoren- Journal für Neurologie und Stichwortsuche Neurochirurgie und Psychiatrie 2008; 9 (4), 46-51 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
Unsere Räucherkegel fertigen wir aus den feinsten Kräutern und Hölzern, vermischt mit dem wohlriechenden Harz der Schwarzföhre, ihrem »Pech«. Vieles sammeln wir wild in den Wiesen und Wäldern unseres Bio-Bauernhofes am Fuß der Hohen Wand, manches bauen wir eigens an. Für unsere Räucherkegel verwenden wir reine Holzkohle aus traditioneller österreichischer Köhlerei. »Eure Räucherkegel sind einfach wunderbar. Bessere Räucherkegel als Eure sind mir nicht bekannt.« – Wolf-Dieter Storl e tis c h sy nth NE e OH e tz Z usä »Feines Räucherwerk aus dem « www.waldweihrauch.at
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen Aktuelle Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie der Essstörungen C. Ehrig Kurzfassung: Vom 08.–10. November 2007 haltenstherapeutische Therapie der Körpersche- see. In numerous presentations, current scien- fand die 1. Jahrestagung der Deutschen Gesell- mastörung oder verhaltenstherapeutische Fami- tific developments in the early diagnosis and schaft für Essstörungen (DGESS) in der Medizi- lientherapie. Ebenso wird auf die zunehmende treatment of eating disorders were presented. nisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Bedeutung und Rolle des Internets sowohl bei The following article will give an overview of the Prien am Chiemsee statt. In zahlreichen Vorträ- der Information der Betroffenen und ihrer Ange- main developments in the diagnosis and treat- gen und verschiedenen Beiträgen wurden die hörigen als auch auf professionelle therapeuti- ment of eating disorders, e. g. recent diagnostic aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen in sche Möglichkeiten mit Selbsthilfebüchern oder entities such as binge-eating disorder, and will der Früherkennung, Diagnostik und Therapie von Selbsthilfeinternetprogrammen eingegangen. also show the state of updating and revision of Essstörungen präsentiert. Der folgende Beitrag the guidelines S3. There are also some new soll schwerpunktmäßig einen Überblick über die therapies, such as manualised behavioural wichtigsten Neuentwicklungen im Bereich der therapy of the body scheme or behavioural fam- Diagnostik und Therapie der Essstörungen ge- Abstract: Latest Developments in the Diag- ily therapy. Mention is also made of the growing ben. So werden neuere diagnostische Entitäten nosis and Treatment of Eating Disorders. importance and role of the internet both in in- wie die Binge-Eating-Störung ebenso darge- From November 8–10, 2007, the First Annual forming patients and their relatives, as well as stellt wie der Stand der Aktualisierung und Meeting of the German Society for Eating Dis- about the therapeutic possibilities by self-help Überarbeitung der S3-Leitlinien sowie neue orders (DGESS) was held at the Medical Psycho- books or self-help internet programs. J Neurol Therapieverfahren, wie die manualisierte ver- somatic Hospital Roseneck in Prien am Chiem- Neurochir Psychiatr 2008; 9 (4): 46–51. Einleitung Im Juni 2006 wurde auf dem Weltkongress der „Academy for Eating Disorders“ (AED) in Barcelona eine weltweite Charta In einem aktuellen Editorial weist Loew [1] darauf hin, dass für Essstörungen verabschiedet, die auf die Rechte von „zwar die Magersucht unter allen psychogenen Essstörungen Menschen mit Essstörungen verweist und damit zeigen soll, die epidemiologisch gesehen geringste Bedeutung [hat], aber dass es auf der ganzen Welt gemeinsame Prinzipien gibt, die aufgrund der hohen Letalität und Chronifizierungsgefahr […] Essgestörte, ihre Angehörigen, ihre Behandler und Unter- es sicher gerechtfertigt [ist], sich insbesondere um dieses stützer gemeinsam verbindet. Diese Charta wurde im deut- Gefährdungspotenzial zu kümmern“. Im September 2006 schen Sprachraum erstmals während des Kongresses „Ess- schockte die italienische Modemarke „No.l.ita“ die italieni- störungen 2006“ in Alpbach (Tirol) von Professor Günter sche Öffentlichkeit im Vorfeld der Eröffnung der Mailänder Rathner aus Innsbruck der Öffentlichkeit und der Fachwelt Modewoche mit einer Werbekampagne, die großformatige vorgestellt [2]. Plakate mit Photos einer jungen magersüchtigen Frau zeigte. Der Fotograf Oliviero Toscani, der bereits für die Firma Neben der „Charta für Essstörungen“ als einer internationalen Benetton Schockfotos gemacht hatte, wollte mit seinen Bil- Aktivität positionierten sich auch in der Bundesrepublik dern auf das Problem Magersucht aufmerksam machen. Die Deutschland prominente Frauen des öffentlichen Lebens in Photos zeigten den ausgemergelten Körper der seit 14 Jahren einer gemeinsamen Aktion gegen den Schlankheitswahn. Mit magersüchtigen französischen Schauspielerin Isabelle Caro, dem programmatischen Titel „Leben hat Gewicht – gemein- die für die Aufnahme nackt posierte. Diese Kampagne wurde sam gegen den Schlankheitswahn“ haben die Bundesgesund- international in den verschiedensten Medien kontrovers und heitsministerin Ulla Schmidt, Familienministerin Ursula von heftig diskutiert. der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan zusam- men diese Aktion von Berlin aus gestartet. Alice Schwarzer, Seit mehreren Jahren finden sich vor allem in geschlossenen eine der Hauptinitiatorinnen, verweist vor allem auf die Not- Internetforen Anorexie-verherrlichende („pro-Ana“) bzw. wendigkeit präventiver Maßnahmen zur Verhinderung des Bulimie-verherrlichende Seiten („pro-Mia“), die ein Schön- gefährlichen Trends. Dass solch öffentlichkeitswirksame heits- bzw. vor allem Schlankheitsideal propagieren, das alle Aktivitäten durchaus notwendig und sinnvoll sind, zeigt nicht Kriterien der manifesten Magersucht oder Bulimia nervosa zuletzt auch die inzwischen bereits in dritter Staffel angelau- (BN) erfüllt. Hier wird Hungern beziehungsweise Gewichts- fene Castingshow „Germany’s Next Topmodel“. Unter vielen manipulation zum Lifestyle erhoben und mit dem Recht auf anderen medialen Beeinflussungen üben gerade auch solche Selbstverwirklichung begründet. Man geht davon aus, dass Sendungen wegen ihrer durchaus sehr umstrittenen Idealisie- viele Pro-Ana-Anhängerinnen Essstörungen nicht als Krank- rung eines übermäßigen, wenn nicht sogar manifest mager- heit anerkennen und sich der Lebensgefahr sowie der Begleit- süchtigen Schönheits- und Schlankheitsideals erheblichen erscheinungen und Folgekrankheiten nicht bewusst sind. Druck auf junge Frauen aus, indem sie eine Botschaft senden, die in etwa lautet: „sehr schlank = sehr schön = sehr erfolg- reich“. Die übermäßige Orientierung an einem sehr schlanken Aus der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee Korrespondenzadresse: Dr. med. Christian Ehrig, Medizinisch-Psychosomatische Schönheitsideal wird als ein wichtiger Risikofaktor für die Klinik Roseneck, D-83209 Prien am Chiemsee, Am Roseneck 6; Entstehung und die Aufrechterhaltung von Essstörungen an- E-Mail: cehrig@schoen-kliniken.de gesehen. 46 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen Doch bei aller medialen Aufmerksamkeit stellt sich auch die USA von Hudson lag die Häufigkeit von Bulimia nervosa im Frage an die Fachleute, ob es eigentlich auch neue Ansätze im Zeitquerschnitt bei 0,50 % und über die Lebenszeit bei Bereich der Prävention und Therapie der Essstörungen gibt? 1,50 % (bei Frauen ≥ 18 Jahre) [5]. Insgesamt scheint es aber Antworten darauf wurden auf der 1. Jahrestagung der Deut- nicht so zu sein, dass die Gesamthäufigkeit der Essstörungen schen Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) gesucht, die – und hier vor allem der AN und BN – in den letzten Jahren vom 8.–10. November 2007 in der Medizinisch-Psychosoma- deutlich zugenommen hat. tischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee stattfand. Die DGESS e.V. wurde am 27. März 2006 gegründet und „will sowohl Wissenschaft und Forschung als auch deren Anwen- Risikoprofil und Frühwarnzeichen dung in Prävention, Früherkennung, Diagnostik und Therapie In einzelnen Altersgruppen hat sich allerdings das Risiko- von Essstörungen fördern und vernetzen. Sie versteht sich als profil verändert. Der Wunsch, dünner zu sein, lässt sich be- Kristallisationspunkt für Forschung und als Lobby für die reits in der Grundschule bei 50 % der Mädchen nachweisen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie deren [6]. So kann ein frühes Warnzeichen einer Magersucht sein, Angehörigen“ [3]. Zu vielen Bereichen der Essstörungsfor- dass ein 12-, 13- oder 14-jähriges Mädchen beginnt, ständig schung gab es State-of-the-art-Vorträge renommierter Fach- sein Gewicht zu kontrollieren. Viele Patientinnen beginnen vertreter. Der folgende Artikel geht auf die wichtigsten Ent- damit, eine „zunehmende Unzufriedenheit mit ihrem Ausse- wicklungen überblicksartig ein. hen und ihrer Figur zu äußern und unter anderem den Konsum von Süßigkeiten und Kuchen einzuschränken oder unter ver- Eine der am häufigsten kontrovers diskutierten Fragen ist die schiedensten Ausreden immer wieder ganze Mahlzeiten aus- nach der Zunahme von Essstörungen. Leider gibt es dazu fallen zu lassen […] oder übermäßig viel Sport zu treiben“ wenig verlässliche Daten. Aus einer Mitteilung der DGESS [9]. Zunehmender Perfektionismus bis hin zur Zwanghaftig- [4] geht hervor, dass „Essstörungen […] im Vergleich zur ers- keit und ausgeprägte Leistungsorientierung und Ehrgeiz er- ten Hälfte des letzten Jahrhunderts, besonders in der zweiten gänzen häufig das Bild. Für Angehörige und Freunde massiv Hälfte des letzten Jahrhunderts, erheblich an Häufigkeit zuge- belastend sind dabei vor allem die Veränderungen der Stim- nommen [haben]“ und dass „in den letzten zehn Jahren […] mungslage im weiteren Verlauf der Erkrankung. Die Patien- die Häufigkeit von Essstörungen in Industrieländern – auf ten werden entweder oft sehr traurig, wobei es dann auch zu hohem Niveau – relativ stabil“ geblieben ist. In Ländern mit vermehrtem sozialem Rückzug und dem Verlust von Hobbies großer Armut treten Essstörungen dagegen offenbar nur sehr kommt. Oder sie wechseln plötzlich und sehr schnell die selten auf. Stimmungslage. Beim Unterschreiten einer bestimmten Gewichtsgrenze kommt es schließlich bei Mädchen zum Aus- fall der Menstruation. All das sind Hinweiszeichen, die für Häufigkeit der Anorexia nervosa (AN) Haus- und Kinderärzte oder Gynäkologen ebenso wie für Ebenfalls laut Mitteilung der DGESS [5] wurde in einer deut- Angehörige oder Lehrer Symptome und Warnzeichen für den schen Untersuchung von Wittchen (1998) [6] bei 14–24-jähri- möglichen Beginn einer Magersucht sein können [5]. gen Frauen Anorexia nervosa (AN) in einer Häufigkeit von 0,30 % festgestellt (12-Monats-Prävalenz). Da die untersuch- ten Frauen das Risikoalter bis ca. 40 Jahre für die Krankheits- Prävention entstehung noch nicht erreicht haben, dürfte es sich dabei um Aufgrund der gewachsenen Wahrnehmung für die erhebli- eine deutliche Unterschätzung handeln. Gleiches gilt wohl chen Folgen der Essstörungen wurden inzwischen verschie- auch für die Untersuchung von Steinhausen et al. (1997) [7], denste Präventionsprogramme speziell für junge Mädchen der Schülerinnen zwischen 14 und 17 Jahren untersuchte und entwickelt und wissenschaftlich untersucht. Stellvertretend dabei auf eine Häufigkeit von 0,70 % für die Anorexia ner- für andere Projekte kann das von Berger et al. [10] erstellte vosa kam [5]. In einer großen Bevölkerungsstichprobe in den Projekt „PriMa“ erwähnt werden, das ausreichend ermuti- USA mit fast 3000 Personen kommen Hudson et al. 2007 [8] gende Effekte zeigte und in der Primärprävention zur Verbes- zu einer Lebenszeit-Prävalenzrate von 0,90 % für Frauen im serung des Essverhaltens und der Körperakzeptanz für Schü- Alter ≥ 18 Jahre. In dieser Stichprobe sind auch Frauen im lerinnen ab einem Alter von 12 Jahren eingesetzt wurde. Es mittleren und höheren Alter enthalten, bei denen eine deutlich wurde in Form von Projektunterricht mit 9 × 90 Minuten geringere Häufigkeit anzunehmen ist, so dass es sich auch Dauer in Thüringen durchgeführt und evaluiert. hierbei um eine Unterschätzung der wahren Prävalenz han- deln dürfte. Zusammenfassend sind ca. 0,50 % der Mädchen Diagnostik und Frauen im Risikoalter zwischen 15 und 35 Jahren an einer Magersucht erkrankt, Knaben und Männer in dem entspre- Erweiterung des Diagnosespektrums der Ess- chenden Alter wesentlich seltener [5]. störungen Neben den statistisch fassbaren Daten zeigt sich aber im klini- schen Versorgungsalltag immer mehr, dass die Verbreitung Häufigkeit der Bulimia nervosa (BN) von essgestörtem Verhalten und seinen Folgen inzwischen Bulimia nervosa ist in der Bevölkerung in größerer Häufigkeit weit über das Maß der klinischen Hauptdiagnosen wie zu finden als Anorexia nervosa. Die im Zeitquerschnitt vor- Anorexia nervosa und Bulimia nervosa hinausgeht. Ständige handene Häufigkeit von Bulimia nervosa in Deutschland liegt Gewichtssorgen, Unzufriedenheit mit der eigenen Figur und zwischen 0,70 und 1,30 % [5]. In der bereits erwähnten gro- restriktives Essverhalten treten durchaus häufig auf, ohne als ßen epidemiologischen Bevölkerungsuntersuchung in den Essstörung und damit als im klinischen Sinne behandlungs- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) 47
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen bedürftig wahrgenommen zu werden. In Erweiterung des be- Tabelle 1: DSM-IV-Kriterien der „Eating Disorder Not Other- kannten Diagnosespektrums bestehend aus restriktiver bzw. wise Specified“ bulimischer Form der Magersucht sowie der Bulimia nervosa 1. Bei einer Frau sind sämtliche Kriterien der Anorexia nervosa mit Purging bzw. ohne Purging-Verhalten hat sich die klini- erfüllt, außer dass die Frau regelmäßige Menstruationen hat sche Aufmerksamkeit, nicht zuletzt auch aus Gründen der (F50.1). Prävention, auf die Erfassung der „nicht näher bezeichneten 2. Sämtliche Kriterien der Anorexia nervosa sind erfüllt, nur liegt Essstörung“ verlagert. das Körpergewicht der Person trotz erheblichen Gewichtsver- lustes noch im Normalbereich (F50.1). 3. Sämtliche Kriterien der Bulimia nervosa sind erfüllt, jedoch sind die „Fressattacken“ und das unangemessene Kompen- EDNOS oder die „nicht näher bezeichnete Ess- sationsverhalten weniger häufig als zweimal pro Woche für störung“ eine Dauer von weniger als 3 Monaten (F50.3). Die im ICD-10 mit F50.9 kodierte „Essstörung, nicht näher 4. Die regelmäßige Anwendung unangemessener, einer Ge- wichtszunahme gegensteuernder Maßnahmen durch eine bezeichnet“ wird dort lediglich aufgeführt, aber in keiner normalgewichtige Person nach dem Verzehr kleiner Nahrungs- Weise inhaltlich erläutert. Im englischen Sprachgebrauch fin- mengen (z. B. selbstinduziertes Erbrechen nach dem Verzehr det sich die Erkrankung als „Eating Disorder Not Otherwise von zwei Keksen) (F50.3). Specified“ (EDNOS) unter dem Diagnoseschlüssel 307.50 im 5. Wiederholtes Kauen und Ausspucken großer Nahrungsmen- gen, ohne sie herunterzuschlucken (F50.8). DSM-IV und wird dort beschrieben als „Kategorie […] [die] 6. „Binge-eating-Störung“: Wiederholte Episoden von „Fress- der Einordnung von Essstörungen [dient], die die Kriterien attacken“ ohne die für Bulimia nervosa charakteristischen für eine spezifische Essstörung nicht erfüllen“. Sie stellt ent- regelmäßigen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden weder eine symptomatische Mischform aus Anorexia ner- Maßnahmen (F50.9). vosa, Bulimia nervosa und/oder Adipositas dar oder ist ein Erkrankungsbild, das nicht eindeutig einer dieser Störungen Tabelle 2: DSM-IV-Forschungskriterien der „Binge-eating“- zuzuordnen ist [11] (Tab. 1). Den einzelnen DSM-IV-Krite- Störung rien sind in Klammern jeweils die am ehesten zutreffenden Bezüge zur ICD-10-Diagnostik beigefügt. A. Wiederholte Episoden von Essanfällen mit folgenden Merk- malen: 1. In einem abgrenzbaren Zeitraum wird eine Nahrungsmen- Untergruppen der „nicht näher bezeichneten Essstörung“ ge gegessen, die deutlich größer ist als die Menge, die sind so genannte „subsyndromale Formen der Essstörungen“ andere Menschen im selben Umfang unter den gleichen (siehe dazu auch die Ausführungen zur Epidemiologie der AN Umständen essen würden. 2. Während des Essanfalls wird der Verlust der Kontrolle über in der Einleitung) oder die sogenannte „Binge-eating“-Stö- das Essen empfunden. rung, die inzwischen als eigenständiges Krankheitsbild be- B. Die Essanfälle sind mit mindestens 3 der folgenden Merkma- forscht bzw. therapiert wird. le verbunden: 1. Es wird wesentlich schneller gegessen als normal. 2. Es wird gegessen, bis man sich unangenehm voll fühlt. 3. Es werden große Mengen gegessen, obwohl man sich Binge-eating-Störung (BED) nicht körperlich hungrig fühlt. In den letzten Jahren hat sich vor allem im Bereich der klini- 4. Es wird allein gegessen, weil es einem peinlich ist, wie schen Forschung eine neue Krankheitsentität durchgesetzt. viel man isst. Die so genannte „Binge Eating Disorder“, die im Deutschen 5. Man fühlt sich von sich selbst angeekelt, depressiv oder sehr schuldig nach dem Überessen. noch keinen entsprechend anerkannten Namen gefunden hat C. Seelisches Befinden: und sich am ehesten übersetzen lässt als „Essattacken-Krank- Es besteht hinsichtlich der Essanfälle merkliche Verzweiflung. heit“. Sie wird daher in Deutschland vorwiegend mit ihrer D. Häufigkeit der Essanfälle: englischen Benennung verwendet. Auch hier existiert mo- Die Essanfälle treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen mentan noch keine Darstellung der diagnostischen Kriterien pro Woche über 6 Monate auf. der Erkrankung im Krankheitskatalog der WHO (ICD-10), E. Kein Kompensationsverhalten: sondern nur im DSM-IV [11] (Tab. 2). Die Essanfälle sind nicht mit der regelmäßigen Anwendung von unangemessenem Kompensationsverhalten (z. B. abfüh- rende Maßnahmen, Fasten oder exzessiver Sport) verbunden Klinisch imponiert bei den meisten Betroffenen mit einer Bin- und treten nicht im Verlauf einer Anorexia nervosa oder Buli- ge-eating-Störung Übergewicht oder Adipositas. Es gibt zur mia nervosa auf. Verbreitung der Störung leider nur sehr wenig epidemiologi- sche Untersuchungen die zeigen, dass auch bei dieser Form der Essstörung Frauen überwiegen, aber durchaus auch Män- positas ist dabei aber per se nicht als Essstörung definiert, ner häufiger betroffen sind. Nach aktuellen Erkenntnissen kann aber Folge einer Hyperalimentation sein (wie bei der wird gegenwärtig davon ausgegangen, dass ca. 3,5 % der BED), in die pathogenetisch auch psychische Faktoren ein- Frauen und 2 % der Männer, jeweils ab dem 18. Lebensjahr fließen. In diesem Sinne findet sich ein Binge-eating-Störung gerechnet, betroffen sind. gerade bei adipösen Menschen relativ häufig und ist hier „häufig komorbid mit anderen psychischen Störungen, insbe- Herpertz [12] weist in einem hochaktuellen Übersichtsartikel sondere affektiven Störungen und Persönlichkeitsstörungen“ auf die wichtigen Unterschiede zwischen Adipositas und Bin- verbunden. Therapeutisch lehnt sich die psychotherapeuti- ge-eating-Störung hin. Er verweist darauf, dass „Adipositas sche Behandlung der Binge-eating-Störung eng an die Thera- sich inzwischen quasi als Pandemie bei etwa einem Drittel piestrategien der Bulimia nervosa an. Ergänzt werden die aller Menschen in den Wohlstandsgesellschaften zeigt“. Adi- Behandlungskonzepte, je nach Ausmaß des Übergewichts, 48 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen durch intensive sport- und bewegungstherapeutische Pro- ten Hinweisen zur Ernährungsrehabilitation auch Empfehlun- gramme. Psychotherapie ist die Therapie der ersten Wahl, gen zur Durchführung und zum Einsatz von künstlicher wobei hier vor allem Evidenz für kognitiv-verhaltensthera- Ernährung bis hin zu den medizinischen und rechtlichen peutische Programme vorliegt. Die medikamentöse Therapie Implikationen von Zwangsernährung gegeben. Größere Auf- mit Antidepressiva aus der Gruppe der Serotonin-Wiederauf- merksamkeit und Beachtung finden in den Leitlinien auch die nahmehemmer ist ebenso wirksam und gilt als Therapie der bereits erwähnten subsyndromalen Formen der Essstörung zweiten Wahl. Die Erfolgsquoten der Therapie der Binge- (siehe Diagnostik). eating-Störung liegen höher als bei der BN. Bis zu 50 % kön- nen zumindest kurzfristig nach der Therapie als symptomfrei gelten. Die Bedeutung des Internets Mit der raschen Verbreitung neuer Kommunikationsmöglich- Therapie keiten, allen voran durch das Internet (z. B. per E-Mail) aber auch über Mobilfunknetze (z. B. SMS), sind in den letzten Leitlinien für Essstörungen Jahren zahlreiche neue Möglichkeiten für eine verbesserte Im Jahr 2000 wurde unter der Federführung von Prof. M. psychosoziale Versorgung entstanden. Zunehmend an Bedeu- Fichter (Prien) und Prof. U. Schweiger (Lübeck) im Auftrag tung gewinnen dabei für alle Fragen und Information rund um der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie das Thema Essstörungen Internetportale, die teilweise von und Nervenheilkunde“ (DGPPN) die erste deutschsprachige Selbsthilfegruppen (www.hungrig-online.de), Beratungs- Leitlinie für die Behandlung der Essstörungen Anorexia stellen (www.anad.de oder http://www.cinderella-rat-bei-ess- nervosa und Bulimia nervosa erstellt und u. a. auf der Home- stoerungen.de/) oder universitären Einrichtungen (http:// page der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizini- www.ab-server.de/essstoerungen/ab-server.html) auf sehr scher Fachgesellschaften e. V. (AWMF) veröffentlicht [13]. hohem fachlichen Niveau angeboten werden. Dass all diese Die Leitlinie entspricht der Entwicklungsstufe 1 (Handlungs- Internetseiten, die unter anderem auch geschlossene Chat- empfehlungen von Experten). Ebenfalls auf dieser Entwick- Foren enthalten, sehr gut angenommen werden, liegt nicht lungsstufe 1 befindet sich die Leitlinie für die Behandlung zuletzt am meist jugendlichen Alter der Betroffenen, die mit von Essstörungen im Kindes- und Jugendalter der Deutschen der Nutzung interaktiver Medien aufgewachsen sind. Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP), die im Jahre 2003 unter der Federführung von Prof. B. Herpertz- Dahlmann (Aachen) und Prof. J. Hebebrand (Marburg) eben- Selbsthilfemanuale falls auf den Internetseiten der AWMF publiziert wurde [14]. Ein „Klassiker der Selbsthilfeliteratur“ ist inzwischen „Die Bulimie besiegen“ von Ulrike Schmid und Jeanett Treasure Im deutschen Sprachraum liegen Leitlinien der Entwick- [18], das Betroffenen, die aus dem Teufelskreis des Ess- und lungsstufe 3, die entsprechend den aktuellen evidenzbasierten Brechzwangs herausfinden wollen, konkrete Anleitung zur wissenschaftlichen Erkenntnissen erstellt wurden, bislang Selbsthilfe in Form eines Arbeits- und Übungsbuches gibt. noch nicht vor. Weltweit stellen die von namhaften Vertretern Schritt für Schritt werden die Betroffenen auf dem Weg zur der „British Psychological Society“ und des „Royal College Besserung begleitet. Auch Therapeuten können das Selbst- of Psychiatrists“ entwickelten und 2004 publizierten engli- hilfebuch begleitend zur Behandlung einsetzen. Inzwischen schen Leitlinien für Essstörungen vom „National Institute of wird intensiv an weiteren Selbsthilfemanualen und -angebo- Clinical Excellence“ (NICE 2004) die ersten auf Evidenz ten für Patienten mit den verschiedensten Essstörungen gear- basierenden Studien und damit vornehmlich randomisierten beitet. Letztlich zeigen diese Bücher, dass Selbsthilfe – und kontrollierten Studien beruhenden international aner- vorerst zumindest bei Bulimia nervosa – möglich ist. kannten Leitlinien dar [15]. Eine weitere qualitativ hochwer- tige Leitlinie zur Behandlung von Essstörungen wurde von Ein gutes Beispiel für ein internetgestütztes Selbsthilfe- der „American Psychiatric Association“ (APA) im Juli 2006 programm ist z. B. das „Salut-Bulimie-Internetprogramm“ inzwischen bereits in der dritten Version publiziert [16]. Als [19], welches von der Münchener Beratungsstelle „Cinde- Vorlage für die Entwicklung qualitativ hochwertiger Leit- rella“ für Patientinnen mit Bulimie angeboten wird. Es ist ein linien wurden von den Vertretern der Fachgesellschaften in leicht zu bedienendes Computerprogramm, das sich inhaltlich Deutschland deshalb die NICE-Leitlinien genommen. Auf- an zahlreichen verhaltenstherapeutischen Manualen orien- grund einer ausreichenden Anzahl publizierter Therapiestu- tiert, die bereits seit langer Zeit erfolgreich sowohl in der dien konnten für die Bulimia nervosa und die Binge-eating- Selbsthilfe als auch in Kliniken zur Anwendung kommen. Störung Metaanalysen durchgeführt werden. Für die Anore- Dieses Programm besteht aus 7 aufeinander aufbauenden xia nervosa stellt sich die Datenlage deutlich heterogener dar, Teilschritten. Jeder Schritt liefert bestimmte Informationen, deshalb wird für dieses Krankheitsbild ein systematisches die durch Übungen, Grafiken zu den Übungen, Beispiele und Review erstellt. Geplant ist die Fertigstellung und damit auch Diskussionen mit dem Coach verarbeitet werden. Die Aufga- Publikation aller drei Leitlinien auf S3-Niveau für Mitte 2008 ben in den Teilschritten beginnen am konkreten Verhalten, [17]. wie z. B. dem Beobachten des Ernährungsverhaltens durch das Führen eines Esstagebuchs. Im Verlauf des Programms Inhaltlich sollen alle 3 Leitlinien praxisnahe Empfehlungen kommen weitere kognitive Elemente hinzu, z. B. das Erfassen zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen im Sinne des inneren Dialogs sowie Problemlösestrategien und Techni- von Therapiestandards und Behandlungspfaden geben. So ken der Selbstbehauptung. Die Teilnahme am Programm ist werden z. B. bei bestehendem Untergewicht neben detaillier- allerdings kostenpflichtig. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) 49
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen Prä- und poststationäre Nachbetreuung über bewertung hängt stark davon ab, wie zufrieden oder unzufrie- neue Medien den sie gerade mit ihrer Figur sind. Neben der perzeptiven Verbunden mit der Idee, eine möglichst kurze stationäre Ebene und der kognitiv-affektiven Ebene spielt auch ein kör- Behandlungsdauer der Essstörung in einer psychosomati- perbezogenes Vermeidungs- und Kontrollverhalten als dritte schen Klinik zu erreichen, wird in Anlehnung an die positiven Ebene (behaviorale Ebene) der Körperbildstörung eine wich- Erfahrungen und die Wirksamkeit von Selbsthilfeprogram- tige Rolle. Inzwischen ergeben sich auch Hinweise darauf, men den Betroffenen bereits bei ihrer Anmeldung zur Thera- dass Patientinnen mit einer Essanfallstörung (Binge-eating- pie ein entsprechendes, auf ihre Symptomatik zugeschnittenes Störung) stark negative Gefühle und Gedanken gegenüber Therapieprogramm auf CD zur Verfügung gestellt. Diese Pro- ihrem Körper aufweisen. Ein ausgeprägtes Vermeidungsver- gramme können die Patienten dann bereits zuhause am Com- halten (z. B. Besuch öffentlicher Schwimmbäder), oft aus puter bearbeiten und sich so intensiv auf ihre Behandlung vor- Schamgefühlen heraus, kann in dieser Patientengruppe häufig bereiten. Von entsprechend ausgebildeten Therapeuten be- beobachtet werden. Die negative Körperwahrnehmung ist bei kommen sie meist online regelmäßig Unterstützung. den zumeist übergewichtigen Patienten dabei offenbar stärker ausgeprägt als bei Menschen, die zwar übergewichtig sind, Derartige CD-Selbsthilfeprogramme wurden unter anderem aber nicht an Essanfällen leiden. auch von der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Rosen- eck entwickelt und evaluiert und haben sich als definitiv wirk- Das Fortbestehen einer relevanten Körperschemastörung sam und hilfreich vor allem bei leichteren Formen der Ess- stellt einen der wichtigsten Risikofaktoren für den Rückfall in störungen erwiesen. Im Mai 2007 hat die Klinik Roseneck mit die Essstörung dar, die trotz oder gerade bei weitgehend ge- einem weiteren Projekt begonnen, das vom Bundesministeri- lungener Gewichtszunahme bestehen kann. Die bisherigen um für Forschung und Technologie gefördert wird. Dabei Therapieansätze zur Behandlung der Körperschemastörung geht es um die Reduzierung der Rückfallgefahr von mager- konzentrierten sich vor allem auf die verzerrte Körperwahr- süchtigen Patientinnen, die zuvor eine stationäre Behandlung nehmung, die Teil der inneren Realität und Selbstwahrneh- absolviert haben. Die Teilnehmer erhalten Informationen mung von vor allem Magersüchtigen ist. Die Außenwahrneh- über das Internet und nehmen an einem von einem Psychothe- mung für den körperlichen Zustand anderer Menschen bleibt rapeuten geleiteten Chatroom teil. Ergebnisse zu diesem Pro- dabei in aller Regel erhalten und ist nicht verzerrt, was des- jekt werden aber erst in etwa 3 Jahren vorliegen. Gerade nach halb in entsprechenden Körpertherapiegruppen zur gegensei- einem intensiven stationären Aufenthalt in einer psychosoma- tigen Rückmeldung der Patientinnen gut therapeutisch ge- tischen Klinik zeigt sich immer wieder, dass bei fehlender nutzt werden kann. Neuere Forschungsergebnisse weisen dar- ambulanter Weiterbetreuung die Rückfallgefährdung für auf hin, dass vor allem die kognitiv-affektiven Aspekte der viele Patienten deutlich ansteigt. Seit mehreren Jahren gibt es Körperbildstörung (wie z. B. innere Bewertungen) gravieren- inzwischen ermutigende Erfahrungen mit der Nachbetreuung der sind für den Verlauf der Erkrankung als die gestörte und von essgestörten Patienten, die nach einem stationären Auf- verzerrte Wahrnehmung. Die kognitive Arbeit und das Emo- enthalt in einer psychosomatischen Klinik unter anderem in tionsmanagement sind deshalb zu wichtigen therapeutischen einem geschlossenen Chat-Forum oder aber auch durch SMS- Standards bei der Aufarbeitung negativer Gedanken und Ge- oder E-Mail-Brücken nachbetreut werden. In Zusammenar- fühle in Bezug auf den eigenen Körper geworden. So wurden beit mit der Forschungsstelle Psychotherapie in Heidelberg deshalb im deutschsprachigen Raum unter anderem von hat hier vor allem die Panorama-Fachklinik in Scheidegg Vocks und Legenbauer [21] verhaltenstherapeutische Ange- bereits seit 2001 mehrfach entsprechende Erfahrungen publi- bote für die Behebung der Körperschemastörung weiter diffe- ziert [20]. renziert und auch manualisiert. Die Frage, wie es bei essgestörten Patienten zu verzerrten Therapie der Körperschemastörung Körperwahrnehmungen kommt, ist bisher letztlich nicht ge- Die gestörte Körperwahrnehmung und ein verzerrtes sowie klärt. Die Existenz selektiver Gedächtnis-, Urteils- und Auf- negatives Körperbild verbunden mit einer übermäßigen Ori- merksamkeitsprozesse wurde anhand zahlreicher empirischer entierung an einem sehr schlanken Schönheitsideal spielen Befunde nachgewiesen. Die Informationsverarbeitung von bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung aller Essstörun- Patientinnen mit Essstörungen fokussiert vor allem auf nega- gen eine zentrale Rolle. Bei Magersüchtigen ergeben sich tive Aspekte, die mit den Themen Fett, Essen, Körper und Hinweise darauf, dass sie ihre Körperweite überschätzen und Gewicht verbunden sind. Neuere Untersuchungen, die unter sich breiter empfinden, als sie tatsächlich sind (gestörte Wahr- anderem mit Blickbewegungskameras durchgeführt wurden, nehmung der Figur und des Gewichts, perzeptive Ebene). Auf weisen darauf hin, dass eine vermehrte, teils auch zwanghafte eine Gewichtszunahme reagieren sie mit starken negativen Aufmerksamkeitsfokussierung und -einengung auf bestimm- Gefühlen (Angst vor der Gewichtszunahme) und es findet te, vor allem negative Problembereiche für die verzerrte sich ein übertriebener Einfluss des Gewichts und der Figur auf Wahrnehmung mitverantwortlich sein können. In einem von die Selbstbewertung (kognitiv-affektive Ebene), meist ver- der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten bunden mit einer Verleugnung des Schweregrads des Unter- Projekt wird es darum gehen, bei verschiedenen Essstörungs- gewichts. Bei der Bulimia nervosa ist die Definition der Kör- patientinnen (AN, BN und Binge-eating-Störung) Blickmus- perbildstörung begrenzt auf den übermäßigen Einfluss von ter zu erfassen, die für die Aufrechterhaltung von Essstörung Körpergewicht und Figur auf die Selbstbewertung (kognitiv- relevant zu sein scheinen [22]. So gibt es Hinweise darauf, affektive Ebene). Patientinnen mit einer BN bewerten ihren dass Patientinnen mit Essstörungen bei der Betrachtung ihres Körper häufig in vielerlei Hinsicht negativ und ihre Selbst- Körpers länger und häufiger auf die Körperzonen schauen, 50 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen mit denen sie sehr unzufrieden sind. Diese Überfokussierung Literatur: 13. Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psycho- therapie, Band 4: Behandlungsleitlinie Eßstö- und einseitige Wahrnehmung kann die Unzufriedenheiten mit 1. Loew TS. Vom Zusammenspiel der Fächer rungen. Steinkopff, Darmstadt, 2007. dem Körper verfestigen und verschlimmern. Im Gegensatz (Editorial). Z Psychosom Med Psychother 14. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und 2008; 54: 1–3. dazu scheinen gesunde Frauen bei der Körperbetrachtung ein Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u. a. 2. Weltweite Charta für Essstörungen (Hrsg). Leitlinien zur Diagnostik und Therapie Blickmuster aufzuweisen, das der Gesundheit förderlich ist. (deutschsprachige Fassung), 2006. von psychischen Störungen im Säuglings-, www.oeges.or.at [Gesehen 01.10.2008]. Kindes- und Jugendalter. 3. überarb. Aufl. Sie konzentrieren sich auf jene Körperzonen, mit denen sie Deutscher Ärzte Verlag, Köln, 2007; 117–30. 3. Endlich ein gemeinsames Dach – die zufrieden sind, können aber ihren Körper auch in seiner Un- Deutsche Gesellschaft für Essstörung e.V. 15. NICE Clinical Guideline Eating Disorders. vollkommenheit betrachten, ohne Schreckreaktion zu zeigen. wurde gegründet. http://www.dgess.de/ 2004. http://www.nice.org.uk/guidance/ index.php?page=22888&f=1&i=22888 index.jsp?action=byID&r=true&o=10932 Derartige Aufmerksamkeitsprozesse sind bisher kaum syste- [Gesehen 01.10.2008]. [Gesehen 01.10.2008]. matisch untersucht worden. Von den Erkenntnissen erhofft 4. Fichter M, de Zwaan M, Zipfel S, Tuschen- 16. Yager J. Practice guideline – Treatment man sich neue Impulse für die Verbesserung der Therapie. Caffier B, Herpertz-Dahlmann B. Forschungs- of patients with eating disorders. 3rd ed. bedarf zu Entstehung und Behandlung von 2006. http://www.psychiatryonline.com/ anorektischen und bulimischen Essstörungen. content.aspx?aid=138660 [Gesehen 01.10. http://www.dgess.de/files/Hintergrundinfor- 2008]. mation.doc. 2007 [Gesehen 01.10.2008]. Familien-Verhaltenstherapie bei Adoleszenten 17. DGESS-Verlautbarungen zur Erstellung neuer Leitlinien zur Therapie der Eßstörun- 5. Berger U, Schilke C, Strauß B. Gewichts- In den 1970er Jahren erlebte die Familientherapie durch den sorgen und Diätverhalten bei Kindern in der gen. http://www.dgess.de/index.php?page= Einsatz in der Behandlung der AN ihre ersten großen interna- 3. und 4. Klasse. Psychother Psych Med 2005; 13241&f=1&i=0 [Gesehen 01.10.2008]. 7: 331–8. 18. Schmid U, Treasure J. Die Bulimie besie- tionalen Erfolge. Zwischenzeitlich hatte vor allem der Effek- gen. 6. unveränderte Aufl. Belz-Verlag, Frank- 6. Wittchen HU, Müller N, Storz S. Psychische tivitätsnachweis der kognitiv-behavioralen Therapien den Störungen: Häufigkeit, psychosoziale Beein- furt, 2007. Einsatz und die Möglichkeiten der Familientherapie fast in trächtigungen und Zusammenhänge mit kör- 19. Salut – Bulimie-Internetprogramm. http:// perlichen Erkrankungen. Das Gesundheits- www.cinderella-rat-bei-essstoerungen.de Vergessenheit geraten lassen. In den letzten Jahren erlebt die wesen 1998; Sonderheft. [Gesehen 01.10.2008]. Familientherapie durch ermutigende Forschungsergebnisse 7. Steinhausen HC. An analysis of outcome of 20. Hunner S. Chat- und E-Mail-Brücke als vor allem in der Therapie von jugendlichen essgestörten Pa- anorexia nervosa and bulimia nervosa. Eur wirksame Nachbetreuung stationärer Psy- Psychiatry 1997; 12 (Suppl 2): 145. chotherapiepatienten – klinische Erfahrungen tientinnen und ihren Familien ein Revival. So vergleicht eine 8. Hudson JI, Hiripi E, Pope HG Jr, Kessler RC. am Beispiel essgestörter Patienten/innen. aktuelle Studie aus Chicago eine individuell ausgerichtete The prevalence and correlates of eating dis- 2007. http://www.egms.de/en/meetings/ orders in the National Comorbidity Survey dgess2007/07dgess51.shtml [Gesehen supportive Psychotherapie mit einer manualisierten Familien- Replication. Biol Psychiatry 2007; 61: 348–58. 01.10.2008]. Verhaltenstherapie bei insgesamt 80 jugendlichen Patient- 9. 1. Jahrestagung der DGESS vom 8.–10.11. 21. Vocks S, Legenbauer T. Körperbildthera- pie bei Anorexia und Bulimia Nervosa. Ein innen, die alle an einer Bulimia nervosa litten [23]. Die Pati- 2007. Hintergrundinformationen/Über die kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behand- Warnzeichen und Symptome einer Mager- enten wurden den beiden Vergleichsgruppen randomisiert zu- sucht, Seite 23. http://www.dgess.de/ lungsprogramm. Hogrefe Verlag, Göttingen, 2005. geordnet. Bei Therapieende (39 vs. 18 %) und in der Nachun- index.php?page=1773434794&f=1&i=1773434794 [Gesehen 01.10.2008]. 22. Kunzl F, Glaub J, Hoffmann H, Traue H, tersuchung nach 6 Monaten (29 vs. 10 %) war die Familien- von Wietersheim J. Körperwahrnehmungen 10. Berger U, Joseph A, Sowa M, Strauß B. therapie den supportiven Einzelsitzungen jeweils statistisch Die Barbie-Matrix: Wirksamkeit des Pro- von essgestörten Patientinnen und Kontroll- probanden. Abstract: 1. Kongress der Deut- signifikant überlegen, vor allem was die Reduktion der Kern- gramms PriMa zur Primärprävention von schen Gesellschaft für Essstörungen, 8.–10. Magersucht bei Mädchen ab der 6. Klasse. symptome betraf. Für die Mehrheit der Betroffenen hielten Psychother Psych Med 2007; 57: 248–55. 11.2007. http://www.egms.de/en/meetings/ dgess2007/07dgess65.shtml [Gesehen 01.10. die erreichten Verbesserungen auch über den Nachuntersu- 11. Diagnostisches und Statistisches Manual 2008] chungszeitraum von 6 Monaten an. Psychischer Störungen (DSM-IV). Hogrefe 23. Le Grange D, Crosby RD, Rathouz PJ, Verlag, Göttingen, 1996. Leventhal BL. A randomized controlled com- 12. Herpertz S. Adipositas ist mehr als eine parison of family-based treatment and sup- Relevanz für die Praxis Essstörung – die multidimensionale Betrach- tung einer Pandemie. Z Psychosom Med portive psychotherapy for adolescent bulimia nervosa. Arch Gen Psychiatry 2007; 64: Psychother 2008; 54: 4–31. 1049–56. Unter dem Einfluss der Entwicklung qualifizierter Leit- linien für die Behandlung der einzelnen Essstörungen vor allem in den USA und Großbritannien hat sich auch im deutschsprachigen Raum das wissenschaftliche Interesse noch einmal gebündelt und von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften werden entsprechende Leitlinien auf S3-Niveau erstellt. Eine Reihe neuerer diagnostischer Ansätze wie z. B. das Konzept der Binge-eating-Disorder Dr. med. Christian Ehrig wurden in den letzten Jahren entwickelt und werden hier Geboren 1958. 1978–1985 Medizinstu- dium, 1985–1989 internistische Facharzt- dargestellt. Neue Ansätze im therapeutischen Bereich, wie ausbildung, 1990–1995 Mitarbeiter der Ab- die aus der Verhaltenstherapie weiterentwickelte manuali- teilung für Psychosomatik an der Universi- sierte Behandlung der Körperschemastörung werden vor- tätsklinik Heidelberg. 1995–1996 Mitarbei- gestellt. Aber auch auf die zunehmende Bedeutung des ter der Psychiatrischen Universitätsklinik Internets z. B. für neue therapeutische Optionen in der Be- Heidelberg. Seit 1996 Oberarzt der Medizi- nisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck handlung von Essstörungen vor allem für die überwiegend in Prien am Chiemsee. jugendliche Patientengruppe wird eingehend eingegangen. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4) 51
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