Aktuelle Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie der Essstörungen - www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr - Krause und ...

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Journal für

 Neurologie, Neurochirurgie
 und Psychiatrie
             www.kup.at/
 JNeurolNeurochirPsychiatr   Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems

Aktuelle Entwicklungen in der
                                                                               Homepage:
Diagnostik und Therapie der
                                                                       www.kup.at/
Essstörungen                                                     JNeurolNeurochirPsychiatr

Ehrig C                                                                Online-Datenbank
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Journal für Neurologie
                                                                      und Stichwortsuche
Neurochirurgie und Psychiatrie
2008; 9 (4), 46-51

                                                                                            Indexed in
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 Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz
 P.b.b. 02Z031117M,            Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21           Preis : EUR 10,–
Unsere Räucherkegel fertigen wir aus den feinsten Kräutern und
Hölzern, vermischt mit dem wohlriechenden Harz der Schwarzföhre,
ihrem »Pech«. Vieles sammeln wir wild in den Wiesen und Wäldern
unseres Bio-Bauernhofes am Fuß der Hohen Wand, manches bauen wir
eigens an. Für unsere Räucherkegel verwenden wir reine Holzkohle aus
traditioneller österreichischer Köhlerei.

»Eure Räucherkegel sind einfach wunderbar.
 Bessere Räucherkegel als Eure sind mir nicht bekannt.«
– Wolf-Dieter Storl
                                                    e tis c h

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»Feines Räucherwerk
         aus dem              «

                                                                       www.waldweihrauch.at
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen

          Aktuelle Entwicklungen in der Diagnostik und
                    Therapie der Essstörungen
                                                                          C. Ehrig

 Kurzfassung: Vom 08.–10. November 2007              haltenstherapeutische Therapie der Körpersche-    see. In numerous presentations, current scien-
 fand die 1. Jahrestagung der Deutschen Gesell-      mastörung oder verhaltenstherapeutische Fami-     tific developments in the early diagnosis and
 schaft für Essstörungen (DGESS) in der Medizi-      lientherapie. Ebenso wird auf die zunehmende      treatment of eating disorders were presented.
 nisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in          Bedeutung und Rolle des Internets sowohl bei      The following article will give an overview of the
 Prien am Chiemsee statt. In zahlreichen Vorträ-     der Information der Betroffenen und ihrer Ange-   main developments in the diagnosis and treat-
 gen und verschiedenen Beiträgen wurden die          hörigen als auch auf professionelle therapeuti-   ment of eating disorders, e. g. recent diagnostic
 aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen in       sche Möglichkeiten mit Selbsthilfebüchern oder    entities such as binge-eating disorder, and will
 der Früherkennung, Diagnostik und Therapie von      Selbsthilfeinternetprogrammen eingegangen.        also show the state of updating and revision of
 Essstörungen präsentiert. Der folgende Beitrag                                                        the guidelines S3. There are also some new
 soll schwerpunktmäßig einen Überblick über die                                                        therapies, such as manualised behavioural
 wichtigsten Neuentwicklungen im Bereich der                                                           therapy of the body scheme or behavioural fam-
 Diagnostik und Therapie der Essstörungen ge-        Abstract: Latest Developments in the Diag-        ily therapy. Mention is also made of the growing
 ben. So werden neuere diagnostische Entitäten       nosis and Treatment of Eating Disorders.          importance and role of the internet both in in-
 wie die Binge-Eating-Störung ebenso darge-          From November 8–10, 2007, the First Annual        forming patients and their relatives, as well as
 stellt wie der Stand der Aktualisierung und         Meeting of the German Society for Eating Dis-     about the therapeutic possibilities by self-help
 Überarbeitung der S3-Leitlinien sowie neue          orders (DGESS) was held at the Medical Psycho-    books or self-help internet programs. J Neurol
 Therapieverfahren, wie die manualisierte ver-       somatic Hospital Roseneck in Prien am Chiem-      Neurochir Psychiatr 2008; 9 (4): 46–51.

„ Einleitung                                                                    Im Juni 2006 wurde auf dem Weltkongress der „Academy for
                                                                                Eating Disorders“ (AED) in Barcelona eine weltweite Charta
In einem aktuellen Editorial weist Loew [1] darauf hin, dass                    für Essstörungen verabschiedet, die auf die Rechte von
„zwar die Magersucht unter allen psychogenen Essstörungen                       Menschen mit Essstörungen verweist und damit zeigen soll,
die epidemiologisch gesehen geringste Bedeutung [hat], aber                     dass es auf der ganzen Welt gemeinsame Prinzipien gibt, die
aufgrund der hohen Letalität und Chronifizierungsgefahr […]                     Essgestörte, ihre Angehörigen, ihre Behandler und Unter-
es sicher gerechtfertigt [ist], sich insbesondere um dieses                     stützer gemeinsam verbindet. Diese Charta wurde im deut-
Gefährdungspotenzial zu kümmern“. Im September 2006                             schen Sprachraum erstmals während des Kongresses „Ess-
schockte die italienische Modemarke „No.l.ita“ die italieni-                    störungen 2006“ in Alpbach (Tirol) von Professor Günter
sche Öffentlichkeit im Vorfeld der Eröffnung der Mailänder                      Rathner aus Innsbruck der Öffentlichkeit und der Fachwelt
Modewoche mit einer Werbekampagne, die großformatige                            vorgestellt [2].
Plakate mit Photos einer jungen magersüchtigen Frau zeigte.
Der Fotograf Oliviero Toscani, der bereits für die Firma                        Neben der „Charta für Essstörungen“ als einer internationalen
Benetton Schockfotos gemacht hatte, wollte mit seinen Bil-                      Aktivität positionierten sich auch in der Bundesrepublik
dern auf das Problem Magersucht aufmerksam machen. Die                          Deutschland prominente Frauen des öffentlichen Lebens in
Photos zeigten den ausgemergelten Körper der seit 14 Jahren                     einer gemeinsamen Aktion gegen den Schlankheitswahn. Mit
magersüchtigen französischen Schauspielerin Isabelle Caro,                      dem programmatischen Titel „Leben hat Gewicht – gemein-
die für die Aufnahme nackt posierte. Diese Kampagne wurde                       sam gegen den Schlankheitswahn“ haben die Bundesgesund-
international in den verschiedensten Medien kontrovers und                      heitsministerin Ulla Schmidt, Familienministerin Ursula von
heftig diskutiert.                                                              der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan zusam-
                                                                                men diese Aktion von Berlin aus gestartet. Alice Schwarzer,
Seit mehreren Jahren finden sich vor allem in geschlossenen                     eine der Hauptinitiatorinnen, verweist vor allem auf die Not-
Internetforen Anorexie-verherrlichende („pro-Ana“) bzw.                         wendigkeit präventiver Maßnahmen zur Verhinderung des
Bulimie-verherrlichende Seiten („pro-Mia“), die ein Schön-                      gefährlichen Trends. Dass solch öffentlichkeitswirksame
heits- bzw. vor allem Schlankheitsideal propagieren, das alle                   Aktivitäten durchaus notwendig und sinnvoll sind, zeigt nicht
Kriterien der manifesten Magersucht oder Bulimia nervosa                        zuletzt auch die inzwischen bereits in dritter Staffel angelau-
(BN) erfüllt. Hier wird Hungern beziehungsweise Gewichts-                       fene Castingshow „Germany’s Next Topmodel“. Unter vielen
manipulation zum Lifestyle erhoben und mit dem Recht auf                        anderen medialen Beeinflussungen üben gerade auch solche
Selbstverwirklichung begründet. Man geht davon aus, dass                        Sendungen wegen ihrer durchaus sehr umstrittenen Idealisie-
viele Pro-Ana-Anhängerinnen Essstörungen nicht als Krank-                       rung eines übermäßigen, wenn nicht sogar manifest mager-
heit anerkennen und sich der Lebensgefahr sowie der Begleit-                    süchtigen Schönheits- und Schlankheitsideals erheblichen
erscheinungen und Folgekrankheiten nicht bewusst sind.                          Druck auf junge Frauen aus, indem sie eine Botschaft senden,
                                                                                die in etwa lautet: „sehr schlank = sehr schön = sehr erfolg-
                                                                                reich“. Die übermäßige Orientierung an einem sehr schlanken
Aus der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee
Korrespondenzadresse: Dr. med. Christian Ehrig, Medizinisch-Psychosomatische
                                                                                Schönheitsideal wird als ein wichtiger Risikofaktor für die
Klinik Roseneck, D-83209 Prien am Chiemsee, Am Roseneck 6;                      Entstehung und die Aufrechterhaltung von Essstörungen an-
E-Mail: cehrig@schoen-kliniken.de                                               gesehen.

46     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)

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Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen

Doch bei aller medialen Aufmerksamkeit stellt sich auch die       USA von Hudson lag die Häufigkeit von Bulimia nervosa im
Frage an die Fachleute, ob es eigentlich auch neue Ansätze im     Zeitquerschnitt bei 0,50 % und über die Lebenszeit bei
Bereich der Prävention und Therapie der Essstörungen gibt?        1,50 % (bei Frauen ≥ 18 Jahre) [5]. Insgesamt scheint es aber
Antworten darauf wurden auf der 1. Jahrestagung der Deut-         nicht so zu sein, dass die Gesamthäufigkeit der Essstörungen
schen Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) gesucht, die          – und hier vor allem der AN und BN – in den letzten Jahren
vom 8.–10. November 2007 in der Medizinisch-Psychosoma-           deutlich zugenommen hat.
tischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee stattfand. Die
DGESS e.V. wurde am 27. März 2006 gegründet und „will
sowohl Wissenschaft und Forschung als auch deren Anwen-           Risikoprofil und Frühwarnzeichen
dung in Prävention, Früherkennung, Diagnostik und Therapie        In einzelnen Altersgruppen hat sich allerdings das Risiko-
von Essstörungen fördern und vernetzen. Sie versteht sich als     profil verändert. Der Wunsch, dünner zu sein, lässt sich be-
Kristallisationspunkt für Forschung und als Lobby für die         reits in der Grundschule bei 50 % der Mädchen nachweisen
Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie deren            [6]. So kann ein frühes Warnzeichen einer Magersucht sein,
Angehörigen“ [3]. Zu vielen Bereichen der Essstörungsfor-         dass ein 12-, 13- oder 14-jähriges Mädchen beginnt, ständig
schung gab es State-of-the-art-Vorträge renommierter Fach-        sein Gewicht zu kontrollieren. Viele Patientinnen beginnen
vertreter. Der folgende Artikel geht auf die wichtigsten Ent-     damit, eine „zunehmende Unzufriedenheit mit ihrem Ausse-
wicklungen überblicksartig ein.                                   hen und ihrer Figur zu äußern und unter anderem den Konsum
                                                                  von Süßigkeiten und Kuchen einzuschränken oder unter ver-
Eine der am häufigsten kontrovers diskutierten Fragen ist die     schiedensten Ausreden immer wieder ganze Mahlzeiten aus-
nach der Zunahme von Essstörungen. Leider gibt es dazu            fallen zu lassen […] oder übermäßig viel Sport zu treiben“
wenig verlässliche Daten. Aus einer Mitteilung der DGESS          [9]. Zunehmender Perfektionismus bis hin zur Zwanghaftig-
[4] geht hervor, dass „Essstörungen […] im Vergleich zur ers-     keit und ausgeprägte Leistungsorientierung und Ehrgeiz er-
ten Hälfte des letzten Jahrhunderts, besonders in der zweiten     gänzen häufig das Bild. Für Angehörige und Freunde massiv
Hälfte des letzten Jahrhunderts, erheblich an Häufigkeit zuge-    belastend sind dabei vor allem die Veränderungen der Stim-
nommen [haben]“ und dass „in den letzten zehn Jahren […]          mungslage im weiteren Verlauf der Erkrankung. Die Patien-
die Häufigkeit von Essstörungen in Industrieländern – auf         ten werden entweder oft sehr traurig, wobei es dann auch zu
hohem Niveau – relativ stabil“ geblieben ist. In Ländern mit      vermehrtem sozialem Rückzug und dem Verlust von Hobbies
großer Armut treten Essstörungen dagegen offenbar nur sehr        kommt. Oder sie wechseln plötzlich und sehr schnell die
selten auf.                                                       Stimmungslage. Beim Unterschreiten einer bestimmten
                                                                  Gewichtsgrenze kommt es schließlich bei Mädchen zum Aus-
                                                                  fall der Menstruation. All das sind Hinweiszeichen, die für
Häufigkeit der Anorexia nervosa (AN)                              Haus- und Kinderärzte oder Gynäkologen ebenso wie für
Ebenfalls laut Mitteilung der DGESS [5] wurde in einer deut-      Angehörige oder Lehrer Symptome und Warnzeichen für den
schen Untersuchung von Wittchen (1998) [6] bei 14–24-jähri-       möglichen Beginn einer Magersucht sein können [5].
gen Frauen Anorexia nervosa (AN) in einer Häufigkeit von
0,30 % festgestellt (12-Monats-Prävalenz). Da die untersuch-
ten Frauen das Risikoalter bis ca. 40 Jahre für die Krankheits-   Prävention
entstehung noch nicht erreicht haben, dürfte es sich dabei um     Aufgrund der gewachsenen Wahrnehmung für die erhebli-
eine deutliche Unterschätzung handeln. Gleiches gilt wohl         chen Folgen der Essstörungen wurden inzwischen verschie-
auch für die Untersuchung von Steinhausen et al. (1997) [7],      denste Präventionsprogramme speziell für junge Mädchen
der Schülerinnen zwischen 14 und 17 Jahren untersuchte und        entwickelt und wissenschaftlich untersucht. Stellvertretend
dabei auf eine Häufigkeit von 0,70 % für die Anorexia ner-        für andere Projekte kann das von Berger et al. [10] erstellte
vosa kam [5]. In einer großen Bevölkerungsstichprobe in den       Projekt „PriMa“ erwähnt werden, das ausreichend ermuti-
USA mit fast 3000 Personen kommen Hudson et al. 2007 [8]          gende Effekte zeigte und in der Primärprävention zur Verbes-
zu einer Lebenszeit-Prävalenzrate von 0,90 % für Frauen im        serung des Essverhaltens und der Körperakzeptanz für Schü-
Alter ≥ 18 Jahre. In dieser Stichprobe sind auch Frauen im        lerinnen ab einem Alter von 12 Jahren eingesetzt wurde. Es
mittleren und höheren Alter enthalten, bei denen eine deutlich    wurde in Form von Projektunterricht mit 9 × 90 Minuten
geringere Häufigkeit anzunehmen ist, so dass es sich auch         Dauer in Thüringen durchgeführt und evaluiert.
hierbei um eine Unterschätzung der wahren Prävalenz han-
deln dürfte. Zusammenfassend sind ca. 0,50 % der Mädchen          „ Diagnostik
und Frauen im Risikoalter zwischen 15 und 35 Jahren an einer
Magersucht erkrankt, Knaben und Männer in dem entspre-            Erweiterung des Diagnosespektrums der Ess-
chenden Alter wesentlich seltener [5].                            störungen
                                                                  Neben den statistisch fassbaren Daten zeigt sich aber im klini-
                                                                  schen Versorgungsalltag immer mehr, dass die Verbreitung
Häufigkeit der Bulimia nervosa (BN)                               von essgestörtem Verhalten und seinen Folgen inzwischen
Bulimia nervosa ist in der Bevölkerung in größerer Häufigkeit     weit über das Maß der klinischen Hauptdiagnosen wie
zu finden als Anorexia nervosa. Die im Zeitquerschnitt vor-       Anorexia nervosa und Bulimia nervosa hinausgeht. Ständige
handene Häufigkeit von Bulimia nervosa in Deutschland liegt       Gewichtssorgen, Unzufriedenheit mit der eigenen Figur und
zwischen 0,70 und 1,30 % [5]. In der bereits erwähnten gro-       restriktives Essverhalten treten durchaus häufig auf, ohne als
ßen epidemiologischen Bevölkerungsuntersuchung in den             Essstörung und damit als im klinischen Sinne behandlungs-

                                                                                        J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)   47
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen

bedürftig wahrgenommen zu werden. In Erweiterung des be-            Tabelle 1: DSM-IV-Kriterien der „Eating Disorder Not Other-
kannten Diagnosespektrums bestehend aus restriktiver bzw.           wise Specified“
bulimischer Form der Magersucht sowie der Bulimia nervosa
                                                                    1. Bei einer Frau sind sämtliche Kriterien der Anorexia nervosa
mit Purging bzw. ohne Purging-Verhalten hat sich die klini-            erfüllt, außer dass die Frau regelmäßige Menstruationen hat
sche Aufmerksamkeit, nicht zuletzt auch aus Gründen der                (F50.1).
Prävention, auf die Erfassung der „nicht näher bezeichneten         2. Sämtliche Kriterien der Anorexia nervosa sind erfüllt, nur liegt
Essstörung“ verlagert.                                                 das Körpergewicht der Person trotz erheblichen Gewichtsver-
                                                                       lustes noch im Normalbereich (F50.1).
                                                                    3. Sämtliche Kriterien der Bulimia nervosa sind erfüllt, jedoch
                                                                       sind die „Fressattacken“ und das unangemessene Kompen-
EDNOS oder die „nicht näher bezeichnete Ess-                           sationsverhalten weniger häufig als zweimal pro Woche für
störung“                                                               eine Dauer von weniger als 3 Monaten (F50.3).
Die im ICD-10 mit F50.9 kodierte „Essstörung, nicht näher           4. Die regelmäßige Anwendung unangemessener, einer Ge-
                                                                       wichtszunahme gegensteuernder Maßnahmen durch eine
bezeichnet“ wird dort lediglich aufgeführt, aber in keiner             normalgewichtige Person nach dem Verzehr kleiner Nahrungs-
Weise inhaltlich erläutert. Im englischen Sprachgebrauch fin-          mengen (z. B. selbstinduziertes Erbrechen nach dem Verzehr
det sich die Erkrankung als „Eating Disorder Not Otherwise             von zwei Keksen) (F50.3).
Specified“ (EDNOS) unter dem Diagnoseschlüssel 307.50 im            5. Wiederholtes Kauen und Ausspucken großer Nahrungsmen-
                                                                       gen, ohne sie herunterzuschlucken (F50.8).
DSM-IV und wird dort beschrieben als „Kategorie […] [die]
                                                                    6. „Binge-eating-Störung“: Wiederholte Episoden von „Fress-
der Einordnung von Essstörungen [dient], die die Kriterien             attacken“ ohne die für Bulimia nervosa charakteristischen
für eine spezifische Essstörung nicht erfüllen“. Sie stellt ent-       regelmäßigen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden
weder eine symptomatische Mischform aus Anorexia ner-                  Maßnahmen (F50.9).
vosa, Bulimia nervosa und/oder Adipositas dar oder ist ein
Erkrankungsbild, das nicht eindeutig einer dieser Störungen
                                                                    Tabelle 2: DSM-IV-Forschungskriterien der „Binge-eating“-
zuzuordnen ist [11] (Tab. 1). Den einzelnen DSM-IV-Krite-
                                                                    Störung
rien sind in Klammern jeweils die am ehesten zutreffenden
Bezüge zur ICD-10-Diagnostik beigefügt.                             A. Wiederholte Episoden von Essanfällen mit folgenden Merk-
                                                                       malen:
                                                                       1. In einem abgrenzbaren Zeitraum wird eine Nahrungsmen-
Untergruppen der „nicht näher bezeichneten Essstörung“                     ge gegessen, die deutlich größer ist als die Menge, die
sind so genannte „subsyndromale Formen der Essstörungen“                   andere Menschen im selben Umfang unter den gleichen
(siehe dazu auch die Ausführungen zur Epidemiologie der AN                 Umständen essen würden.
                                                                       2. Während des Essanfalls wird der Verlust der Kontrolle über
in der Einleitung) oder die sogenannte „Binge-eating“-Stö-                 das Essen empfunden.
rung, die inzwischen als eigenständiges Krankheitsbild be-          B. Die Essanfälle sind mit mindestens 3 der folgenden Merkma-
forscht bzw. therapiert wird.                                          le verbunden:
                                                                       1. Es wird wesentlich schneller gegessen als normal.
                                                                       2. Es wird gegessen, bis man sich unangenehm voll fühlt.
                                                                       3. Es werden große Mengen gegessen, obwohl man sich
Binge-eating-Störung (BED)                                                 nicht körperlich hungrig fühlt.
In den letzten Jahren hat sich vor allem im Bereich der klini-         4. Es wird allein gegessen, weil es einem peinlich ist, wie
schen Forschung eine neue Krankheitsentität durchgesetzt.                  viel man isst.
Die so genannte „Binge Eating Disorder“, die im Deutschen              5. Man fühlt sich von sich selbst angeekelt, depressiv oder
                                                                           sehr schuldig nach dem Überessen.
noch keinen entsprechend anerkannten Namen gefunden hat
                                                                    C. Seelisches Befinden:
und sich am ehesten übersetzen lässt als „Essattacken-Krank-           Es besteht hinsichtlich der Essanfälle merkliche Verzweiflung.
heit“. Sie wird daher in Deutschland vorwiegend mit ihrer           D. Häufigkeit der Essanfälle:
englischen Benennung verwendet. Auch hier existiert mo-                Die Essanfälle treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen
mentan noch keine Darstellung der diagnostischen Kriterien             pro Woche über 6 Monate auf.
der Erkrankung im Krankheitskatalog der WHO (ICD-10),               E. Kein Kompensationsverhalten:
sondern nur im DSM-IV [11] (Tab. 2).                                   Die Essanfälle sind nicht mit der regelmäßigen Anwendung
                                                                       von unangemessenem Kompensationsverhalten (z. B. abfüh-
                                                                       rende Maßnahmen, Fasten oder exzessiver Sport) verbunden
Klinisch imponiert bei den meisten Betroffenen mit einer Bin-          und treten nicht im Verlauf einer Anorexia nervosa oder Buli-
ge-eating-Störung Übergewicht oder Adipositas. Es gibt zur             mia nervosa auf.
Verbreitung der Störung leider nur sehr wenig epidemiologi-
sche Untersuchungen die zeigen, dass auch bei dieser Form
der Essstörung Frauen überwiegen, aber durchaus auch Män-          positas ist dabei aber per se nicht als Essstörung definiert,
ner häufiger betroffen sind. Nach aktuellen Erkenntnissen          kann aber Folge einer Hyperalimentation sein (wie bei der
wird gegenwärtig davon ausgegangen, dass ca. 3,5 % der             BED), in die pathogenetisch auch psychische Faktoren ein-
Frauen und 2 % der Männer, jeweils ab dem 18. Lebensjahr           fließen. In diesem Sinne findet sich ein Binge-eating-Störung
gerechnet, betroffen sind.                                         gerade bei adipösen Menschen relativ häufig und ist hier
                                                                   „häufig komorbid mit anderen psychischen Störungen, insbe-
Herpertz [12] weist in einem hochaktuellen Übersichtsartikel       sondere affektiven Störungen und Persönlichkeitsstörungen“
auf die wichtigen Unterschiede zwischen Adipositas und Bin-        verbunden. Therapeutisch lehnt sich die psychotherapeuti-
ge-eating-Störung hin. Er verweist darauf, dass „Adipositas        sche Behandlung der Binge-eating-Störung eng an die Thera-
sich inzwischen quasi als Pandemie bei etwa einem Drittel          piestrategien der Bulimia nervosa an. Ergänzt werden die
aller Menschen in den Wohlstandsgesellschaften zeigt“. Adi-        Behandlungskonzepte, je nach Ausmaß des Übergewichts,

48   J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen

durch intensive sport- und bewegungstherapeutische Pro-           ten Hinweisen zur Ernährungsrehabilitation auch Empfehlun-
gramme. Psychotherapie ist die Therapie der ersten Wahl,          gen zur Durchführung und zum Einsatz von künstlicher
wobei hier vor allem Evidenz für kognitiv-verhaltensthera-        Ernährung bis hin zu den medizinischen und rechtlichen
peutische Programme vorliegt. Die medikamentöse Therapie          Implikationen von Zwangsernährung gegeben. Größere Auf-
mit Antidepressiva aus der Gruppe der Serotonin-Wiederauf-        merksamkeit und Beachtung finden in den Leitlinien auch die
nahmehemmer ist ebenso wirksam und gilt als Therapie der          bereits erwähnten subsyndromalen Formen der Essstörung
zweiten Wahl. Die Erfolgsquoten der Therapie der Binge-           (siehe Diagnostik).
eating-Störung liegen höher als bei der BN. Bis zu 50 % kön-
nen zumindest kurzfristig nach der Therapie als symptomfrei
gelten.                                                           Die Bedeutung des Internets
                                                                  Mit der raschen Verbreitung neuer Kommunikationsmöglich-
„ Therapie                                                        keiten, allen voran durch das Internet (z. B. per E-Mail) aber
                                                                  auch über Mobilfunknetze (z. B. SMS), sind in den letzten
Leitlinien für Essstörungen                                       Jahren zahlreiche neue Möglichkeiten für eine verbesserte
Im Jahr 2000 wurde unter der Federführung von Prof. M.            psychosoziale Versorgung entstanden. Zunehmend an Bedeu-
Fichter (Prien) und Prof. U. Schweiger (Lübeck) im Auftrag        tung gewinnen dabei für alle Fragen und Information rund um
der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie       das Thema Essstörungen Internetportale, die teilweise von
und Nervenheilkunde“ (DGPPN) die erste deutschsprachige           Selbsthilfegruppen (www.hungrig-online.de), Beratungs-
Leitlinie für die Behandlung der Essstörungen Anorexia            stellen (www.anad.de oder http://www.cinderella-rat-bei-ess-
nervosa und Bulimia nervosa erstellt und u. a. auf der Home-      stoerungen.de/) oder universitären Einrichtungen (http://
page der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizini-           www.ab-server.de/essstoerungen/ab-server.html) auf sehr
scher Fachgesellschaften e. V. (AWMF) veröffentlicht [13].        hohem fachlichen Niveau angeboten werden. Dass all diese
Die Leitlinie entspricht der Entwicklungsstufe 1 (Handlungs-      Internetseiten, die unter anderem auch geschlossene Chat-
empfehlungen von Experten). Ebenfalls auf dieser Entwick-         Foren enthalten, sehr gut angenommen werden, liegt nicht
lungsstufe 1 befindet sich die Leitlinie für die Behandlung       zuletzt am meist jugendlichen Alter der Betroffenen, die mit
von Essstörungen im Kindes- und Jugendalter der Deutschen         der Nutzung interaktiver Medien aufgewachsen sind.
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP), die
im Jahre 2003 unter der Federführung von Prof. B. Herpertz-
Dahlmann (Aachen) und Prof. J. Hebebrand (Marburg) eben-          Selbsthilfemanuale
falls auf den Internetseiten der AWMF publiziert wurde [14].      Ein „Klassiker der Selbsthilfeliteratur“ ist inzwischen „Die
                                                                  Bulimie besiegen“ von Ulrike Schmid und Jeanett Treasure
Im deutschen Sprachraum liegen Leitlinien der Entwick-            [18], das Betroffenen, die aus dem Teufelskreis des Ess- und
lungsstufe 3, die entsprechend den aktuellen evidenzbasierten     Brechzwangs herausfinden wollen, konkrete Anleitung zur
wissenschaftlichen Erkenntnissen erstellt wurden, bislang         Selbsthilfe in Form eines Arbeits- und Übungsbuches gibt.
noch nicht vor. Weltweit stellen die von namhaften Vertretern     Schritt für Schritt werden die Betroffenen auf dem Weg zur
der „British Psychological Society“ und des „Royal College        Besserung begleitet. Auch Therapeuten können das Selbst-
of Psychiatrists“ entwickelten und 2004 publizierten engli-       hilfebuch begleitend zur Behandlung einsetzen. Inzwischen
schen Leitlinien für Essstörungen vom „National Institute of      wird intensiv an weiteren Selbsthilfemanualen und -angebo-
Clinical Excellence“ (NICE 2004) die ersten auf Evidenz           ten für Patienten mit den verschiedensten Essstörungen gear-
basierenden Studien und damit vornehmlich randomisierten          beitet. Letztlich zeigen diese Bücher, dass Selbsthilfe –
und kontrollierten Studien beruhenden international aner-         vorerst zumindest bei Bulimia nervosa – möglich ist.
kannten Leitlinien dar [15]. Eine weitere qualitativ hochwer-
tige Leitlinie zur Behandlung von Essstörungen wurde von          Ein gutes Beispiel für ein internetgestütztes Selbsthilfe-
der „American Psychiatric Association“ (APA) im Juli 2006         programm ist z. B. das „Salut-Bulimie-Internetprogramm“
inzwischen bereits in der dritten Version publiziert [16]. Als    [19], welches von der Münchener Beratungsstelle „Cinde-
Vorlage für die Entwicklung qualitativ hochwertiger Leit-         rella“ für Patientinnen mit Bulimie angeboten wird. Es ist ein
linien wurden von den Vertretern der Fachgesellschaften in        leicht zu bedienendes Computerprogramm, das sich inhaltlich
Deutschland deshalb die NICE-Leitlinien genommen. Auf-            an zahlreichen verhaltenstherapeutischen Manualen orien-
grund einer ausreichenden Anzahl publizierter Therapiestu-        tiert, die bereits seit langer Zeit erfolgreich sowohl in der
dien konnten für die Bulimia nervosa und die Binge-eating-        Selbsthilfe als auch in Kliniken zur Anwendung kommen.
Störung Metaanalysen durchgeführt werden. Für die Anore-          Dieses Programm besteht aus 7 aufeinander aufbauenden
xia nervosa stellt sich die Datenlage deutlich heterogener dar,   Teilschritten. Jeder Schritt liefert bestimmte Informationen,
deshalb wird für dieses Krankheitsbild ein systematisches         die durch Übungen, Grafiken zu den Übungen, Beispiele und
Review erstellt. Geplant ist die Fertigstellung und damit auch    Diskussionen mit dem Coach verarbeitet werden. Die Aufga-
Publikation aller drei Leitlinien auf S3-Niveau für Mitte 2008    ben in den Teilschritten beginnen am konkreten Verhalten,
[17].                                                             wie z. B. dem Beobachten des Ernährungsverhaltens durch
                                                                  das Führen eines Esstagebuchs. Im Verlauf des Programms
Inhaltlich sollen alle 3 Leitlinien praxisnahe Empfehlungen       kommen weitere kognitive Elemente hinzu, z. B. das Erfassen
zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen im Sinne          des inneren Dialogs sowie Problemlösestrategien und Techni-
von Therapiestandards und Behandlungspfaden geben. So             ken der Selbstbehauptung. Die Teilnahme am Programm ist
werden z. B. bei bestehendem Untergewicht neben detaillier-       allerdings kostenpflichtig.

                                                                                       J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)   49
Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen

Prä- und poststationäre Nachbetreuung über                         bewertung hängt stark davon ab, wie zufrieden oder unzufrie-
neue Medien                                                        den sie gerade mit ihrer Figur sind. Neben der perzeptiven
Verbunden mit der Idee, eine möglichst kurze stationäre            Ebene und der kognitiv-affektiven Ebene spielt auch ein kör-
Behandlungsdauer der Essstörung in einer psychosomati-             perbezogenes Vermeidungs- und Kontrollverhalten als dritte
schen Klinik zu erreichen, wird in Anlehnung an die positiven      Ebene (behaviorale Ebene) der Körperbildstörung eine wich-
Erfahrungen und die Wirksamkeit von Selbsthilfeprogram-            tige Rolle. Inzwischen ergeben sich auch Hinweise darauf,
men den Betroffenen bereits bei ihrer Anmeldung zur Thera-         dass Patientinnen mit einer Essanfallstörung (Binge-eating-
pie ein entsprechendes, auf ihre Symptomatik zugeschnittenes       Störung) stark negative Gefühle und Gedanken gegenüber
Therapieprogramm auf CD zur Verfügung gestellt. Diese Pro-         ihrem Körper aufweisen. Ein ausgeprägtes Vermeidungsver-
gramme können die Patienten dann bereits zuhause am Com-           halten (z. B. Besuch öffentlicher Schwimmbäder), oft aus
puter bearbeiten und sich so intensiv auf ihre Behandlung vor-     Schamgefühlen heraus, kann in dieser Patientengruppe häufig
bereiten. Von entsprechend ausgebildeten Therapeuten be-           beobachtet werden. Die negative Körperwahrnehmung ist bei
kommen sie meist online regelmäßig Unterstützung.                  den zumeist übergewichtigen Patienten dabei offenbar stärker
                                                                   ausgeprägt als bei Menschen, die zwar übergewichtig sind,
Derartige CD-Selbsthilfeprogramme wurden unter anderem             aber nicht an Essanfällen leiden.
auch von der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Rosen-
eck entwickelt und evaluiert und haben sich als definitiv wirk-    Das Fortbestehen einer relevanten Körperschemastörung
sam und hilfreich vor allem bei leichteren Formen der Ess-         stellt einen der wichtigsten Risikofaktoren für den Rückfall in
störungen erwiesen. Im Mai 2007 hat die Klinik Roseneck mit        die Essstörung dar, die trotz oder gerade bei weitgehend ge-
einem weiteren Projekt begonnen, das vom Bundesministeri-          lungener Gewichtszunahme bestehen kann. Die bisherigen
um für Forschung und Technologie gefördert wird. Dabei             Therapieansätze zur Behandlung der Körperschemastörung
geht es um die Reduzierung der Rückfallgefahr von mager-           konzentrierten sich vor allem auf die verzerrte Körperwahr-
süchtigen Patientinnen, die zuvor eine stationäre Behandlung       nehmung, die Teil der inneren Realität und Selbstwahrneh-
absolviert haben. Die Teilnehmer erhalten Informationen            mung von vor allem Magersüchtigen ist. Die Außenwahrneh-
über das Internet und nehmen an einem von einem Psychothe-         mung für den körperlichen Zustand anderer Menschen bleibt
rapeuten geleiteten Chatroom teil. Ergebnisse zu diesem Pro-       dabei in aller Regel erhalten und ist nicht verzerrt, was des-
jekt werden aber erst in etwa 3 Jahren vorliegen. Gerade nach      halb in entsprechenden Körpertherapiegruppen zur gegensei-
einem intensiven stationären Aufenthalt in einer psychosoma-       tigen Rückmeldung der Patientinnen gut therapeutisch ge-
tischen Klinik zeigt sich immer wieder, dass bei fehlender         nutzt werden kann. Neuere Forschungsergebnisse weisen dar-
ambulanter Weiterbetreuung die Rückfallgefährdung für              auf hin, dass vor allem die kognitiv-affektiven Aspekte der
viele Patienten deutlich ansteigt. Seit mehreren Jahren gibt es    Körperbildstörung (wie z. B. innere Bewertungen) gravieren-
inzwischen ermutigende Erfahrungen mit der Nachbetreuung           der sind für den Verlauf der Erkrankung als die gestörte und
von essgestörten Patienten, die nach einem stationären Auf-        verzerrte Wahrnehmung. Die kognitive Arbeit und das Emo-
enthalt in einer psychosomatischen Klinik unter anderem in         tionsmanagement sind deshalb zu wichtigen therapeutischen
einem geschlossenen Chat-Forum oder aber auch durch SMS-           Standards bei der Aufarbeitung negativer Gedanken und Ge-
oder E-Mail-Brücken nachbetreut werden. In Zusammenar-             fühle in Bezug auf den eigenen Körper geworden. So wurden
beit mit der Forschungsstelle Psychotherapie in Heidelberg         deshalb im deutschsprachigen Raum unter anderem von
hat hier vor allem die Panorama-Fachklinik in Scheidegg            Vocks und Legenbauer [21] verhaltenstherapeutische Ange-
bereits seit 2001 mehrfach entsprechende Erfahrungen publi-        bote für die Behebung der Körperschemastörung weiter diffe-
ziert [20].                                                        renziert und auch manualisiert.

                                                                   Die Frage, wie es bei essgestörten Patienten zu verzerrten
Therapie der Körperschemastörung                                   Körperwahrnehmungen kommt, ist bisher letztlich nicht ge-
Die gestörte Körperwahrnehmung und ein verzerrtes sowie            klärt. Die Existenz selektiver Gedächtnis-, Urteils- und Auf-
negatives Körperbild verbunden mit einer übermäßigen Ori-          merksamkeitsprozesse wurde anhand zahlreicher empirischer
entierung an einem sehr schlanken Schönheitsideal spielen          Befunde nachgewiesen. Die Informationsverarbeitung von
bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung aller Essstörun-      Patientinnen mit Essstörungen fokussiert vor allem auf nega-
gen eine zentrale Rolle. Bei Magersüchtigen ergeben sich           tive Aspekte, die mit den Themen Fett, Essen, Körper und
Hinweise darauf, dass sie ihre Körperweite überschätzen und        Gewicht verbunden sind. Neuere Untersuchungen, die unter
sich breiter empfinden, als sie tatsächlich sind (gestörte Wahr-   anderem mit Blickbewegungskameras durchgeführt wurden,
nehmung der Figur und des Gewichts, perzeptive Ebene). Auf         weisen darauf hin, dass eine vermehrte, teils auch zwanghafte
eine Gewichtszunahme reagieren sie mit starken negativen           Aufmerksamkeitsfokussierung und -einengung auf bestimm-
Gefühlen (Angst vor der Gewichtszunahme) und es findet             te, vor allem negative Problembereiche für die verzerrte
sich ein übertriebener Einfluss des Gewichts und der Figur auf     Wahrnehmung mitverantwortlich sein können. In einem von
die Selbstbewertung (kognitiv-affektive Ebene), meist ver-         der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten
bunden mit einer Verleugnung des Schweregrads des Unter-           Projekt wird es darum gehen, bei verschiedenen Essstörungs-
gewichts. Bei der Bulimia nervosa ist die Definition der Kör-      patientinnen (AN, BN und Binge-eating-Störung) Blickmus-
perbildstörung begrenzt auf den übermäßigen Einfluss von           ter zu erfassen, die für die Aufrechterhaltung von Essstörung
Körpergewicht und Figur auf die Selbstbewertung (kognitiv-         relevant zu sein scheinen [22]. So gibt es Hinweise darauf,
affektive Ebene). Patientinnen mit einer BN bewerten ihren         dass Patientinnen mit Essstörungen bei der Betrachtung ihres
Körper häufig in vielerlei Hinsicht negativ und ihre Selbst-       Körpers länger und häufiger auf die Körperzonen schauen,

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Neues aus Diagnostik und Therapie der Essstörungen

mit denen sie sehr unzufrieden sind. Diese Überfokussierung       Literatur:                                        13. Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psycho-
                                                                                                                    therapie, Band 4: Behandlungsleitlinie Eßstö-
und einseitige Wahrnehmung kann die Unzufriedenheiten mit         1. Loew TS. Vom Zusammenspiel der Fächer          rungen. Steinkopff, Darmstadt, 2007.
dem Körper verfestigen und verschlimmern. Im Gegensatz            (Editorial). Z Psychosom Med Psychother
                                                                                                                    14. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und
                                                                  2008; 54: 1–3.
dazu scheinen gesunde Frauen bei der Körperbetrachtung ein                                                          Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u. a.
                                                                  2. Weltweite Charta für Essstörungen              (Hrsg). Leitlinien zur Diagnostik und Therapie
Blickmuster aufzuweisen, das der Gesundheit förderlich ist.       (deutschsprachige Fassung), 2006.                 von psychischen Störungen im Säuglings-,
                                                                  www.oeges.or.at [Gesehen 01.10.2008].             Kindes- und Jugendalter. 3. überarb. Aufl.
Sie konzentrieren sich auf jene Körperzonen, mit denen sie                                                          Deutscher Ärzte Verlag, Köln, 2007; 117–30.
                                                                  3. Endlich ein gemeinsames Dach – die
zufrieden sind, können aber ihren Körper auch in seiner Un-       Deutsche Gesellschaft für Essstörung e.V.         15. NICE Clinical Guideline Eating Disorders.
vollkommenheit betrachten, ohne Schreckreaktion zu zeigen.        wurde gegründet. http://www.dgess.de/             2004. http://www.nice.org.uk/guidance/
                                                                  index.php?page=22888&f=1&i=22888                  index.jsp?action=byID&r=true&o=10932
Derartige Aufmerksamkeitsprozesse sind bisher kaum syste-         [Gesehen 01.10.2008].                             [Gesehen 01.10.2008].
matisch untersucht worden. Von den Erkenntnissen erhofft          4. Fichter M, de Zwaan M, Zipfel S, Tuschen-      16. Yager J. Practice guideline – Treatment
man sich neue Impulse für die Verbesserung der Therapie.          Caffier B, Herpertz-Dahlmann B. Forschungs-       of patients with eating disorders. 3rd ed.
                                                                  bedarf zu Entstehung und Behandlung von           2006. http://www.psychiatryonline.com/
                                                                  anorektischen und bulimischen Essstörungen.       content.aspx?aid=138660 [Gesehen 01.10.
                                                                  http://www.dgess.de/files/Hintergrundinfor-       2008].
                                                                  mation.doc. 2007 [Gesehen 01.10.2008].
Familien-Verhaltenstherapie bei Adoleszenten                                                                        17. DGESS-Verlautbarungen zur Erstellung
                                                                                                                    neuer Leitlinien zur Therapie der Eßstörun-
                                                                  5. Berger U, Schilke C, Strauß B. Gewichts-
In den 1970er Jahren erlebte die Familientherapie durch den       sorgen und Diätverhalten bei Kindern in der       gen. http://www.dgess.de/index.php?page=
Einsatz in der Behandlung der AN ihre ersten großen interna-      3. und 4. Klasse. Psychother Psych Med 2005;      13241&f=1&i=0 [Gesehen 01.10.2008].
                                                                  7: 331–8.                                         18. Schmid U, Treasure J. Die Bulimie besie-
tionalen Erfolge. Zwischenzeitlich hatte vor allem der Effek-                                                       gen. 6. unveränderte Aufl. Belz-Verlag, Frank-
                                                                  6. Wittchen HU, Müller N, Storz S. Psychische
tivitätsnachweis der kognitiv-behavioralen Therapien den          Störungen: Häufigkeit, psychosoziale Beein-       furt, 2007.
Einsatz und die Möglichkeiten der Familientherapie fast in        trächtigungen und Zusammenhänge mit kör-          19. Salut – Bulimie-Internetprogramm. http://
                                                                  perlichen Erkrankungen. Das Gesundheits-          www.cinderella-rat-bei-essstoerungen.de
Vergessenheit geraten lassen. In den letzten Jahren erlebt die    wesen 1998; Sonderheft.                           [Gesehen 01.10.2008].
Familientherapie durch ermutigende Forschungsergebnisse           7. Steinhausen HC. An analysis of outcome of      20. Hunner S. Chat- und E-Mail-Brücke als
vor allem in der Therapie von jugendlichen essgestörten Pa-       anorexia nervosa and bulimia nervosa. Eur         wirksame Nachbetreuung stationärer Psy-
                                                                  Psychiatry 1997; 12 (Suppl 2): 145.               chotherapiepatienten – klinische Erfahrungen
tientinnen und ihren Familien ein Revival. So vergleicht eine     8. Hudson JI, Hiripi E, Pope HG Jr, Kessler RC.   am Beispiel essgestörter Patienten/innen.
aktuelle Studie aus Chicago eine individuell ausgerichtete        The prevalence and correlates of eating dis-      2007. http://www.egms.de/en/meetings/
                                                                  orders in the National Comorbidity Survey         dgess2007/07dgess51.shtml [Gesehen
supportive Psychotherapie mit einer manualisierten Familien-      Replication. Biol Psychiatry 2007; 61: 348–58.    01.10.2008].
Verhaltenstherapie bei insgesamt 80 jugendlichen Patient-         9. 1. Jahrestagung der DGESS vom 8.–10.11.
                                                                                                                    21. Vocks S, Legenbauer T. Körperbildthera-
                                                                                                                    pie bei Anorexia und Bulimia Nervosa. Ein
innen, die alle an einer Bulimia nervosa litten [23]. Die Pati-   2007. Hintergrundinformationen/Über die
                                                                                                                    kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behand-
                                                                  Warnzeichen und Symptome einer Mager-
enten wurden den beiden Vergleichsgruppen randomisiert zu-        sucht, Seite 23. http://www.dgess.de/
                                                                                                                    lungsprogramm. Hogrefe Verlag, Göttingen,
                                                                                                                    2005.
geordnet. Bei Therapieende (39 vs. 18 %) und in der Nachun-       index.php?page=1773434794&f=1&i=1773434794
                                                                  [Gesehen 01.10.2008].                             22. Kunzl F, Glaub J, Hoffmann H, Traue H,
tersuchung nach 6 Monaten (29 vs. 10 %) war die Familien-                                                           von Wietersheim J. Körperwahrnehmungen
                                                                  10. Berger U, Joseph A, Sowa M, Strauß B.
therapie den supportiven Einzelsitzungen jeweils statistisch      Die Barbie-Matrix: Wirksamkeit des Pro-
                                                                                                                    von essgestörten Patientinnen und Kontroll-
                                                                                                                    probanden. Abstract: 1. Kongress der Deut-
signifikant überlegen, vor allem was die Reduktion der Kern-      gramms PriMa zur Primärprävention von
                                                                                                                    schen Gesellschaft für Essstörungen, 8.–10.
                                                                  Magersucht bei Mädchen ab der 6. Klasse.
symptome betraf. Für die Mehrheit der Betroffenen hielten         Psychother Psych Med 2007; 57: 248–55.
                                                                                                                    11.2007. http://www.egms.de/en/meetings/
                                                                                                                    dgess2007/07dgess65.shtml [Gesehen 01.10.
die erreichten Verbesserungen auch über den Nachuntersu-          11. Diagnostisches und Statistisches Manual       2008]
chungszeitraum von 6 Monaten an.                                  Psychischer Störungen (DSM-IV). Hogrefe           23. Le Grange D, Crosby RD, Rathouz PJ,
                                                                  Verlag, Göttingen, 1996.                          Leventhal BL. A randomized controlled com-
                                                                  12. Herpertz S. Adipositas ist mehr als eine      parison of family-based treatment and sup-
 „ Relevanz für die Praxis                                        Essstörung – die multidimensionale Betrach-
                                                                  tung einer Pandemie. Z Psychosom Med
                                                                                                                    portive psychotherapy for adolescent bulimia
                                                                                                                    nervosa. Arch Gen Psychiatry 2007; 64:
                                                                  Psychother 2008; 54: 4–31.                        1049–56.
 Unter dem Einfluss der Entwicklung qualifizierter Leit-
 linien für die Behandlung der einzelnen Essstörungen vor
 allem in den USA und Großbritannien hat sich auch im
 deutschsprachigen Raum das wissenschaftliche Interesse
 noch einmal gebündelt und von den wissenschaftlichen
 Fachgesellschaften werden entsprechende Leitlinien auf
 S3-Niveau erstellt. Eine Reihe neuerer diagnostischer
 Ansätze wie z. B. das Konzept der Binge-eating-Disorder            Dr. med. Christian Ehrig
 wurden in den letzten Jahren entwickelt und werden hier            Geboren 1958. 1978–1985 Medizinstu-
                                                                    dium, 1985–1989 internistische Facharzt-
 dargestellt. Neue Ansätze im therapeutischen Bereich, wie
                                                                    ausbildung, 1990–1995 Mitarbeiter der Ab-
 die aus der Verhaltenstherapie weiterentwickelte manuali-          teilung für Psychosomatik an der Universi-
 sierte Behandlung der Körperschemastörung werden vor-              tätsklinik Heidelberg. 1995–1996 Mitarbei-
 gestellt. Aber auch auf die zunehmende Bedeutung des               ter der Psychiatrischen Universitätsklinik
 Internets z. B. für neue therapeutische Optionen in der Be-        Heidelberg. Seit 1996 Oberarzt der Medizi-
                                                                    nisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck
 handlung von Essstörungen vor allem für die überwiegend
                                                                    in Prien am Chiemsee.
 jugendliche Patientengruppe wird eingehend eingegangen.

                                                                                                     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (4)                  51
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