Alterstypisches Verkehrsrisiko - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 193 - OPUS

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Alterstypisches
                                                                                 Verkehrsrisiko

                         Heft M 193
                         Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

                                                                                           Berichte der
                                                                       Bundesanstalt für Straßenwesen
                                                                              Mensch und Sicherheit   Heft M 193
ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-86509-814-6
Alterstypisches
                         Verkehrsrisiko

                                                     von
                                     Franz-Dieter Schade
                                  Hans-Jürgen Heinzmann

                                     Kraftfahrt-Bundesamt
                                                 Flensburg
                                        Abteilung Statistik

                                Berichte der
            Bundesanstalt für Straßenwesen
                   Mensch und Sicherheit    Heft M 193

Umschlag M193       2                                         18.08.1905, 12:18 Uhr
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs-
ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
besteht aus folgenden Unterreihen:

A -Allgemeines
B -Brücken- und Ingenieurbau
F -Fahrzeugtechnik
M-Mensch und Sicherheit
S -Straßenbau
V -Verkehrstechnik

Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
dem Namen der Verfasser veröffentlichten
Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
Herausgebers wiedergeben.

Nachdruck und photomechanische Wieder-
gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi-
gung der Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen können
direkt beim Wirtschaftsverlag NW,
Verlag für neue Wissenschaft GmbH,
Bgm.-Smidt-Str. 74-76,
D-27568 Bremerhaven,
Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0, bezogen werden.

Über die Forschungsergebnisse und ihre
Veröffentlichungen wird in Kurzform im
Informationsdienst BASt-Info berichtet.
Dieser Dienst wird kostenlos abgegeben;
Interessenten wenden sich bitte an die
Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

Impressum

Bericht zum Forschungsprojekt AP 89.179/2006
Alterstypisches Verkehrsrisiko

Projektbetreuung
Rosemarie Schleh

Herausgeber
Bundesanstalt für Straßenwesen
Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
Telefon: (0 22 04) 43 - 0
Telefax: (0 22 04) 43 - 674

Redaktion
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit

Druck und Verlag
Wirtschaftsverlag NW
Verlag für neue Wissenschaft GmbH
Postfach 10 11 10, D-27511 Bremerhaven
Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0
Telefax: (04 71) 9 45 44 77
Email: vertrieb@nw-verlag.de
Internet: www.nw-verlag.de

ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-86509-814-6

Bergisch Gladbach, Juni 2008
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Kurzfassung – Abstract

Alterstypisches Verkehrsrisiko                          Age-specific traffic risk

Gefragt ist nach alterstypischen Verkehrsver-           Age-specific traffic offences, which indicate an
stößen, die bei Senioren auf eine zunehmende Ver-       increasing traffic accident risk for senior citizens,
kehrsunsicherheit hinweisen. Die Studie basiert auf     were investigated. The study was based on a
Stichprobendaten des Verkehrszentralregisters           random sample of 350,000 persons aged between
(VZR) von 350.000 Personen zwischen 35 und 84           35 and 84 years, whose traffic behaviour was
Jahren, deren Verkehrsauffälligkeit im Anschluss an     monitored over a period of two years after an entry
eine VZR-Eintragung über zwei Jahre beobachtet          into the Central Traffic Register.
wurde.                                                  It was indeed possible to identify age-typical
Tatsächlich lässt sich ein alterstypisches Fehl-        mistakes: These mainly concern right-of-way errors
verhalten identifizieren: überwiegend Vorfahrtfeh-      as well as driving manoeuvres with a high accident
ler sowie Fahrmanöver mit hohem Unfallanteil.           rate. Two contradictory trends approximately
Zwei gegenläufige Effekte halten sich etwa die          balance each other out: on the one hand, persons
Waage: Zum einen weisen Personen mit einem al-          committing       age-specific    offences      commit
terstypischen Fehlverhalten in den nachfolgenden        significantly fewer traffic offences in subsequent
Jahren im Vergleich zu Personen mit anderen De-         years when compared to people committing other
likten erheblich weniger Verkehrsverstöße auf,          types of offences; on the other hand they show a
zum anderen zeigen sie einen bedeutend höheren          significantly higher proportion of accidents in their
Unfallanteil an den (reduzierten) VZR-Eintragun-        (less frequent) Central Traffic Register entries. Both
gen. Beide Effekte werden mit dem Alter prägnan-        effects become stronger with increasing age.
ter. Entsprechend dem „Risiko-Homöostase-               According to a “risk homeostasis model” the traffic
Modell“ versuchen Verkehrsteilnehmer, beide             participants try to balance the two components, but
                                                        not all of them manage with increasing age.
Komponenten im Gleichgewicht zu halten, was
mit zunehmendem Alter aber nicht mehr allen ge-         The results as well as the figures of the official
lingt.                                                  statistics currently (still) show no serious increase
                                                        of accident risk with increasing age. The
Diese Ergebnisse wie auch Zahlen der amtlichen
                                                        mechanisms currently available – voluntary
Statistik zeigen gegenwärtig aber (noch) kein mit
                                                        reduction of the distance travelled, revocation of the
dem Alter bedrohlich steigendes Verkehrsrisiko an.
                                                        driving licence as well as giving up driving
Die vorhandenen Mechanismen – neben der
                                                        voluntarily – seem to be sufficient for the majority of
Selbstbeschränkung der Fahrleistung auch die Ent-
                                                        the drivers to compensate for the increase of traffic
ziehung der Fahrerlaubnis sowie der Verzicht –
                                                        accident risk with age. All others could be
scheinen für die weitaus meisten Kraftfahrer auszu-
                                                        influenced by warnings and information after a
reichen, ihr steigendes Risiko wegen höherer Fahr-
                                                        Central Traffic Register entry for age-specific traffic
unsicherheit im Alter auszugleichen. Auf die Übri-
                                                        offences. When new offences show that this was
gen könnte aufgrund einer VZR-Eintragung mit
                                                        not successful, other measures could be taken.
einem alterstypischen Fehlverhalten durch Verwar-
                                                        This procedure should be considered from the age
nung und Aufklärung, und wenn dies nachweislich         of 75 years onwards, but could already be justified
einer erneuten Verkehrsauffälligkeit nicht ausreicht,   from the age of 70 years onwards. Such warnings
durch weitere Maßnahmen gezielt Einfluss genom-         would currently affect a maximum of 30,000
men werden. Dies wäre ab einem Alter von 75 Jah-        persons per year. In the current system - i.e. without
ren zu erwägen, doch schon ab 70 Jahren zu recht-       warning – a maximum of 2,800 repeat offences is
fertigen. Eine Verwarnung würde ab 70 Jahren ge-        to be expected within two years.
genwärtig maximal 30.000 Personen pro Jahr be-
treffen. Mit einer Wiederauffälligkeit innerhalb
von zwei Jahren wäre im heutigen System – also
ohne Verwarnung – in maximal 2.800 Fällen zu
rechnen.
5

Inhalt                                                                   Begriffserklärungen

1       Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          7   Altersanstieg
1.1     Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      7   zu beobachtender Effekt, dass ab einem gewissen
1.2     Problemanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . .           7   Alter oberhalb von 60 Jahren das Unfallrisiko in
1.3     Lösungsansatz und Fragestellung . . . .                     10   höheren Altersgruppen wieder ansteigt, obwohl es
                                                                         bis zu diesem Alter absank
2       Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     10
                                                                         Alterstypisches Fehlverhalten
2.1     Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . .             10
                                                                         Verhaltensweisen im Verkehr, die besonders häufig
2.2     Untersuchungsmerkmale . . . . . . . . . . .                 11
                                                                         bei älteren Fahrern auftreten und einen Altersan-
2.2.1   Prädiktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     11
                                                                         stieg bei den Unfällen bewirken (s. Tabelle 4)
2.2.2   Indikatoren für das Prognosekriterium
        „Verkehrsbewährung“ . . . . . . . . . . . . . .             12
                                                                         Indikator „Gefährdung“
2.3     Datengewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .          13
                                                                         Verkehrsverstoß ohne Unfall, aber mit konkret oder
2.4     Statistische Methode . . . . . . . . . . . . . .            15
                                                                         grob gefährdendem Verhalten innerhalb der Beob-
                                                                         achtungszeit, der zu einer erneuten VZR-Eintra-
3       Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        16
                                                                         gung führt (s. Kapitel 2.2.2)
3.1     Das Verkehrsrisiko im Alter . . . . . . . . .               16
3.2     Referenztat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     18   Indikator „Fahrerlaubnisverlust“
3.3     Kritische Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . .          20   Eintragung einer Fahrerlaubnis-Entziehung, Aber-
3.4     Test der zentralen Hypothese . . . . . . . .                21   kennung oder eines Verzichtes innerhalb der Beob-
3.5     Zwei-Stufen-Modell des Unfalls . . . . . .                  25   achtungszeit
3.6     Feinanalyse der Ergebnisse nach Ge-
        schlecht und Alter . . . . . . . . . . . . . . . . .        28   Indikator „Unfall“
3.6.1   Veränderungen im höheren Alter . . . . .                    28   Verkehrsverstoß mit Unfall innerhalb der Beobach-
3.6.2   Deskriptive Statistik der Indikatoren                            tungszeit, der zu einer erneuten VZR-Eintragung
        nach Geschlecht und Alter . . . . . . . . . .               30   führt
3.7     Zusammenfassende Diskussion . . . . . .                     32
3.7.1   Altersanstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     32   Referenzgruppe
3.7.2   Altersspezifisches Fehlverhalten . . . . .                  36   ausgewählte Personengruppe, mit der die anderen
3.7.3   Indikatoren des Verkehrsrisikos . . . . . .                 37   Gruppen im Rahmen der Regressionsanalyse ver-
3.7.4   Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      38   glichen werden
3.7.5   Fazit und Empfehlung . . . . . . . . . . . . . .            39
                                                                         Referenztat
4       Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   41   Eintragung eines Verkehrsverstoßes, mit der die
                                                                         zweijährige Beobachtungszeit beginnt

                                                                         VZR-Unfallquote
                                                                         Prozentualer Anteil der VZR-Eintragungen mit Un-
                                                                         fall an allen Eintragungen mit einem Verkehrsver-
                                                                         stoß

                                                                         Wiederauffälligkeit
                                                                         Verkehrsverstoß innerhalb der Beobachtungszeit,
                                                                         der zu einer erneuten VZR-Eintragung führt

                                                                         Abkürzungen
                                                                         KBA Kraftfahrt-Bundesamt

                                                                         VZR Verkehrszentralregister
7

1 Fragestellung                                        suchungen an älteren Kraftfahrern zu urteilen, kön-
                                                       nen jedoch die meisten von ihnen sehr wohl ihre al-
1.1 Problem                                            tersbedingten Beeinträchtigungen einschätzen und
                                                       entsprechend wirkungsvolle Maßnahmen treffen,
Unter dem Gesichtspunkt des „demografischen            ihr Risiko im Straßenverkehr zu begrenzen. Ältere
Wandels“ richtet sich die Aufmerksamkeit der Ver-      Kraftfahrer achten entsprechend bewusster auf ihre
kehrssicherheitsarbeit zunehmend auf das Verhal-       eigene Tagesverfassung, auf die Art und den Zu-
ten von Senioren im Straßenverkehr. Als Senioren       stand des benutzten Fahrzeugs, auf die Tageszeit
werden gemeinhin Personen ab dem Alter von 65          und die Wetterbedingungen, auf die Art der Strecke
Jahren bezeichnet.                                     und den zu erwartenden Verkehr. Im Zweifel ver-
                                                       zichten sie oftmals auf die Benutzung des Kraft-
Wenn auch die Zahl der jährlich als Fußgänger
                                                       fahrzeugs im Einzelfall oder sogar grundsätzlich.
oder Radfahrer verunglückten Senioren mit etwa
                                                       Es kann also damit gerechnet werden, dass ältere
17.500 fast so groß ist wie die als Pkw-Insassen mit
                                                       Kraftfahrer durch eigene Einsicht oder notfalls
etwa 20.100 (Statistisches Bundesamt, 2006), so
                                                       durch mehr oder weniger freiwillige Maßnahmen im
zeigt sich die Öffentlichkeit eher über spektakuläre
                                                       Anschluss an eine Verkehrsauffälligkeit etwaige
Fehlverhaltensweisen der Pkw-Fahrer besorgt und
                                                       Leistungseinbußen wenigstens zum Teil kompen-
empört, etwa von „Geisterfahrten“ auf der Auto-
                                                       sieren.
bahn. Dies ist so weit verständlich, als der Fußgän-
ger oder Radfahrer hauptsächlich sich selbst ge-       Die Frage ist aber, ob die von den Gerichten und
fährdet, der Pkw-Fahrer aber eine große Gefahren-      Behörden im Anschluss an eine Verkehrsauffällig-
quelle auch für andere Verkehrsteilnehmer dar-         keit ergriffenen Maßnahmen oder die vom Fahrer
stellt.                                                selbst entwickelten Vorsätze früh genug kommen
Die Zahl der Fahrerlaubnisinhaber im Seniorenalter     und zur Kompensation ausreichen oder ob gesetz-
wächst heute bereits und wird in den kommenden         liche Vorschriften nötig sind, nach denen der Kraft-
15 Jahren erheblich weiter wachsen. In einer Prog-     fahrer ab einem bestimmten Alter seine Fahreig-
noserechnung für das Jahr 2022 im Vergleich zur        nung in regelmäßigen Abständen nachweisen
Lage im Jahr 2002 kommt SCHADE (2007) zu dem           muss. Unbeachtet der ausstehenden wissenschaft-
Schluss: „Eine Steigerung der Zahl der Fahrerlaub-     lichen Klärung dieser Fragen hat eine Reihe von
nisinhaber um 40 oder mehr Prozent finden wir bei      Ländern der Europäischen Union wie Luxemburg,
Männern in der Altersgruppe ab 75 Jahren, bei          Finnland, Griechenland, Portugal, Niederlande und
Frauen schon in den Altersgruppen ab 55 Jahren.        Dänemark Vorschriften erlassen, nach denen die
Bei Frauen ab 70 und Männern ab 80 Jahren              Gültigkeit der allgemeinen Fahrerlaubnis nach dem
kommt es sogar zu mehr als einer Verdoppelung          Alter begrenzt wird, um die Verlängerung vom Er-
der Zahl der Fahrerlaubnisinhaber …“ Dies und die      gebnis einer medizinischen oder medizinisch-psy-
heute schon zu beobachtende Zunahme von                chologischen Untersuchung abhängig machen zu
Single-Haushalten der Senioren sowie die Zunah-        können.
me nicht nur der Lebenserwartung, sondern darü-
ber hinaus der gesunden und das heißt auch mobi-       1.2 Problemanalyse
len Lebensjahre werden zu einer gesteigerten Ver-
kehrsnachfrage der Senioren führen (Wissen-            Zunächst sind zwei Komponenten des Verkehrsrisi-
schaftlicher Beirat beim BMVBS, 2004). Aber schon      kos zu unterscheiden: Gefahrenexposition und Ver-
seit einiger Zeit tritt das Problem hervor: Seit an-   haltensdefizite. Da diese beiden Komponenten sich
fangs der 1990er Jahre hat sich der Anteil der an      multiplikativ zum Verkehrsrisiko verknüpfen, kann
Unfällen mit Personenschaden beteiligten Pkw-          ein Plus im einen durch ein Minus im anderen aus-
Fahrer im Seniorenalter von ursprünglich etwa          geglichen werden (bis einer der Werte an seine
4,5 % auf 9,0 % im Jahr 2005 verdoppelt (Statisti-     Grenze stößt bzw. auf null sinkt).
sches Bundesamt, 2006).
                                                       Die Gefahrenexposition kann als „Intensität der
Seit langem diskutiert werden die vielfach bestätig-   Verkehrsteilnahme“ aufgefasst werden (SCHADE,
ten Befunde, dass das Unfallrisiko im Alter deutlich   2002, S. 326): „Die Intensität der Verkehrsteilnah-
ansteigt (z. B. HAUTZINGER, TASSAUX-BECKER             me meint nicht allein die Quantität der Fahrleistung,
& HAMACHER, 1996). Nach den von WEINAND                sondern umfasst auch qualitative Merkmale der Ex-
(1997) in einer Literaturanalyse angeführten Unter-    position: die Wahl des Fahrzeugs (z. B. Sportwa-
8

gen), der Strecke (z. B. Innenstadtbereich mit Un-      tiert wurden und diese beim Fahrverhalten berück-
fallschwerpunkten), des Wetters (z. B. bei schlech-     sichtigt werden“ (LEWRENZ, 2000). In einem Urteil
ter Sicht) und der Jahres-, Wochen- und Tageszeit       vom 20.10.1987 kam der Bundesgerichtshof zu fol-
(z. B. zur Schulzeit bei Dunkelheit im Winter).“ Die    gender Auffassung (VIZR 280/86; zit. nach
Exposition spiegelt sich also nicht ausschließlich in   BECKER, 2000): „Ein Kraftfahrer, der bei gewis-
der Gesamtfahrleistung wider, sondern meint             senhafter Selbstprüfung altersbedingte Auffälligkei-
immer eine risikobezogene Exposition: das häufi-        ten erkennt und erkennen muss, die ihn zu Zweifeln
ge Fahren unter anspruchsvollen bzw. gefahren-          an der Gewährleistung seiner Fahrtüchtigkeit ver-
trächtigen Umständen. Zu differenzieren wäre            anlassen müssen, ist verpflichtet, sich – ggf. unter
damit die durchschnittliche Fahrleistung pro Jahr       Hinzuziehung eines Arztes – vor Antritt einer Fahrt
von dem durchschnittlichen Streckenrisiko, das          zu vergewissern, ob er eine Beeinträchtigung sei-
sich aus der Unfallgefahr auf den gewöhnlich be-        ner Fahrtüchtigkeit noch durch Erfahrung, Routine
fahrenen Strecken ergibt, sowie dem durchschnittli-     und Fahrverhalten auszugleichen vermag.“
chen Fahrtrisiko, das sich aus der Unfallgefahr der
                                                        Insgesamt lässt sich für die Bestimmung des Ver-
dabei gewöhnlich vorliegenden und akzeptierten
                                                        kehrsrisikos einer nach Geschlecht und Alter diffe-
Bedingungen ergibt (z. B. eigene Verfassung, Ver-
                                                        renzierten Bevölkerungsgruppe von Fahrerlaubnis-
kehrsaufkommen, Tageszeit, Witterung, Bekannt-
                                                        inhabern folgendes Modell aufstellen (schematisch,
heit der Strecke, Langstreckenfahrt).
                                                        s. Tabelle 1): Das Verkehrsrisiko ergibt sich aus der
Verhaltensdefizite sind zu konstatieren, wenn eine      Zahl der verursachten Unfälle sowie der durch-
Fahrt trotz mangelnder Fahreignung, Fahrbefähi-         schnittlichen Unfallschwere. Die Zahl der als Haupt-
gung oder Fahrtüchtigkeit durchgeführt wird. Die        verursacher beteiligten Kraftfahrer an Unfällen pro
Fahreignung ist gegeben, wenn der Fahrzeugführer        10.000 Fahrerlaubnisinhaber und Jahr ist eine
„die notwendigen körperlichen und geistigen Anfor-      Funktion der durchschnittlichen Fahrleistung in km
derungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wie-    pro Jahr – diese ergibt sich aus dem Anteil der Kfz-
derholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder      mobilen Personen an den Fahrerlaubnisinhabern
gegen Strafgesetze verstoßen hat“ (§ 2 Abs. 4           (mindestens eine Fahrt als Kfz-Fahrer pro Tag), der
StVG). Von der Befähigung zum Führen von Kraft-         durchschnittlichen Zahl dieser Fahrten pro Tag und
fahrzeugen wird ausgegangen, wenn der Kraftfah-         der durchschnittlichen Länge dieser Fahrten –, des
rer „1. ausreichende Kenntnisse der für das Führen      durchschnittlichen Streckenrisikos pro km, des
von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen            durchschnittlichen Fahrtrisikos pro km, des durch-
Vorschriften hat, 2. mit den Gefahren des Straßen-      schnittlichen Grads der Fahrtüchtigkeit, Fahreig-
verkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen         nung und Fahrbefähigung.
Verhaltensweisen vertraut ist, 3. die zum sicheren
                                                        Von der Unfallschwere hängt es ab, ob ein Unfall
Führen eines Kraftfahrzeugs, gegebenenfalls mit
                                                        als Unfall mit Personenschaden eingestuft werden
Anhänger, erforderlichen technischen Kenntnisse
                                                        muss und damit ein wichtiges Kriterium der amtli-
besitzt und zu ihrer praktischen Anwendung in der
                                                        chen Unfallstatistik erfüllt. Die Unfallschwere wird
Lage ist und 4. über ausreichende Kenntnisse einer
                                                        beeinflusst unter anderem von der Art des Fahr-
umweltbewussten und energiesparenden Fahrwei-
                                                        zeugs und seiner Sicherheitseinrichtungen, von der
se verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung in
                                                        Unfallart, vom Gesundheitsstatus des Fahrers und
der Lage ist“ (§ 2 Abs. 5 StVG). Die Fahrtüchtigkeit
                                                        generell auch von der Gesamtzahl aller am Unfall
meint temporäre körperlich-seelische Zustände, die
                                                        Beteiligten.
sich auf das Verkehrsverhalten auswirken. Die
Fahrtüchtigkeit kann beeinträchtigt sein etwa durch     Dabei treten die genannten Faktoren nicht nur ein-
Einnahme von Alkohol, anderen Drogen oder Medi-         zeln für sich in Erscheinung, sondern oftmals in
kamenten, durch akute Krankheitssymptome,               Wechselwirkung, da sie zum Teil untereinander ab-
durch körperlichen Stress, emotionale Belastung         hängig sind. So wird z. B. mit sinkender Fahreig-
oder durch Übermüdung. Zur Fahreignung gehört           nung oft die Fahrleistung zurückgenommen. Zu die-
schließlich auch die Einsichtsfähigkeit, um Ein-        sen Faktoren und ihrer Entwicklung mit dem Alter
schränkungen in der eigenen Fahrtüchtigkeit recht-      liegt eine Fülle von Literatur vor, die aber im Rah-
zeitig zu erkennen, insbesondere „eine sicherheits-     men des vorliegenden empirisch orientierten Pro-
und verantwortungsbewusste Grundeinstellung, die        jekts nicht aufgearbeitet werden kann. In der Tabel-
erwarten lässt, dass die Unzulänglichkeiten der         le sind daher nur beispielhafte Literaturhinweise ge-
eigenen Leistungsausstattung selbstkritisch reflek-     geben.
9

                                                                                          Tendenz        Auswir-           Literatur-
 Komponenten des Verkehrsrisikos                                            Risiko1
                                                                                          im Alter2       kung3            hinweise
 A. Umfang des Verkehrsrisikos
 Zahl der als Hauptverursacher beteiligten Kraftfahrer an Unfällen
                                                                            steigert      sinkend        mindert
 pro 10.000 Fahrerlaubnisinhaber und Jahr
 1. Exposition      a) Fahrleistung in km pro Jahr im Durchschnitt          steigert      sinkend        mindert          [1: Abb. 1-5]
                       über alle Fahrerlaubnisinhaber, gegeben
                       durch
                    • Anteil der Kfz-Mobilen (Personen mit minde-           steigert      sinkend        mindert
                      stens einer Fahrt als Kfz-Fahrer pro Tag) an
                      den Fahrerlaubnisinhabern
                    • Zahl dieser Fahrten im Durchschnitt pro Tag           steigert      sinkend        mindert
                    • Länge dieser Fahrten im Durchschnitt in km            steigert      sinkend        mindert
                   b) Streckenrisiko pro km im Durchschnitt über
                                                                            steigert      steigend       steigert            [2, 3]
                      alle von ihnen zurückgelegten Fahrten
                   c) Fahrtrisiko pro km im Durchschnitt über alle
                                                                            steigert      sinkend        mindert               [3]
                      von ihnen zurückgelegten Fahrten
                                                                                                                              [4; 6:
                   a) Grad der Fahrtüchtigkeit im Durchschnitt über                                                      Bild 153 zum
                                                                            mindert       sinkend        steigert
                      alle von ihnen zurückgelegten Fahrten                                                                 Alkohol-
                                                                                                                            einfluss]
 2. Leistungs-
    defizite       b) Grad der Fahrbefähigung im Durchschnitt
                                                                            mindert    gleichbleibend     gleich
                      über alle Fahrerlaubnisinhaber
                   c) Grad der Fahreignung im Durchschnitt über                                                            [1: Abb. 9,
                                                                            mindert       sinkend        steigert
                      alle Fahrerlaubnisinhaber                                                                              13, 14]
 B. Schwere des Verkehrsrisikos
 Anteil der Unfälle mit Personenschaden an allen Unfällen der
                                                                                                                          [5: Abb. 3.1
 Gruppe (ersatzweise Anteil der tödlichen Unfälle an allen Unfällen         steigert      steigend       steigert
                                                                                                                            und 3.2]
 mit Personenschaden der Gruppe)
 1. Fahrzeug-      a) Sicherheit der von der Gruppe gewöhnlich be-
                                                                            mindert       steigend       mindert
    sicherheit        nutzten Fahrzeuge
                                                                                                                          [6: Bild 148,
                   a) Geschwindigkeit bei Unfällen im Durchschnitt          steigert      sinkend        mindert
 2. Unfallart                                                                                                                 150]
                   b) Aufprallwinkel (seitlich)                             steigert      steigend       steigert              [3]
                   a) Anteil der Alleinunfälle an allen Unfällen der
                                                                            mindert       sinkend        steigert              [3]
                      Gruppe
 3. Beteiligte
                   b) Besetzungszahl im verunfallten Fahrzeug im
                                                                            steigert      sinkend        mindert
                      Durchschnitt
 4. Gesundheits-                                                                                                          [3, 5: Figure
                   a) Verletzlichkeit des Fahrers                           steigert      steigend       steigert
    status                                                                                                                     3.2]
 5. Sicherheits-
                   a) Gurtanlegequote                                       mindert       steigend       mindert
    verhalten
1   Einfluss der erhöhten Komponente auf das Verkehrsrisiko;     2   Tendenz der Komponente mit steigendem Alter;   3   Nettowirkung
    der Tendenz auf das Verkehrsrisiko mit steigendem Alter

[1] SCHADE, 2007; [2] KEALL & FRITH, 2005; [3] LANGFORD & KOPPEL, 2006; [4] LANGFORD, KOPPEL & CHARLTON et
    al., 2006; [5] OECD, 2001; [6] OTTE, 2000

Tab. 1: Zu den Komponenten des Verkehrsrisikos einer nach Geschlecht und Alter differenzierten Bevölkerungsgruppe von Fahrer-
        laubnisinhabern

Die Tabelle nennt in der Spalte „Wirkung“ Faktoren,                    Anteil von Alleinunfällen (mit geringer Verunglück-
die zum „Altersanstieg“ beitragen (Näheres im Ab-                      tenzahl), steigende Verletzlichkeit des Fahrers. Die
schnitt 3.7): steigender Anteil von Fahrten mit er-                    übrigen genannten Faktoren des Verkehrsrisikos
höhtem Steckenrisiko, verminderte Fahreignung                          weisen mit zunehmendem Alter, soweit Ergebnisse
und Fahrtüchtigkeit, erhöhter Anteil von Unfällen                      dazu bekannt, fast alle auf eine Verminderung des
mit ungünstigem Aufprallwinkel (Seite), sinkender                      Risikos hin. Ungeklärt ist zunächst, ob und wie
10

lange die risikomindernden Faktoren die Wirkung         2 Methode
der steigernden Faktoren des Altersanstiegs aus-
gleichen.                                               2.1 Untersuchungsdesign
                                                        Verkehrsverstöße, die als Indikatoren einer alters-
1.3 Lösungsansatz und Fragestellung
                                                        bedingt verminderten Fahreignung oder Fahrbe-
Ein Ansatz zur Problemlösung, der hier verfolgt         fähigung dienen sollen, müssen eine bei älteren
werden soll, besteht darin, im Verkehrszentralre-       Verkehrsteilnehmern erhöhte prognostische Vali-
gister (VZR) bereits vorliegende Informationen zu       dität für zukünftige „kritische Ereignisse“ besitzen.
Verkehrsauffälligkeiten zu nutzen, um zu prüfen, ob     Als kritisch zu werten sind Verkehrsunfälle oder zu-
                                                        mindest Gefährdungsdelikte, aber auch andere Er-
wegen eines erhöhten Verkehrsrisikos behördli-
                                                        eignisse, die die Justiz oder die Behörden veran-
cherseits einzuschreiten ist. So kann die Fahrer-
                                                        lassen, die Fahrerlaubnis zu entziehen oder abzu-
laubnisbehörde veranlassen, dass Fahreignung
                                                        erkennen, oder Ereignisse, die den Führerscheinin-
und Fahrbefähigung überprüft werden, und das
                                                        haber selbst dazu bewegen, auf seine Fahrerlaub-
Führen von Fahrzeugen notfalls untersagen, be-
                                                        nis zu verzichten. Weniger kritisch zu werten sind
schränken oder mit Auflagen belegen (§ 11 sowie
                                                        übrige Verkehrsauffälligkeiten, die deshalb nur am
§ 46 in Verbindung mit § 3 FeV). Allerdings recht-
                                                        Rande betrachtet werden.
fertigen sich solche einschneidenden Maßnahmen
nur, wenn „Tatsachen bekannt (sind), die Bedenken       Nötig ist ein prospektiver Untersuchungsansatz, der
gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers         einen Vergleich zwischen älteren und jüngeren Ver-
begründen …“ (§ 2 Abs. 8 StVG) bzw. „Tatsachen          kehrsteilnehmern ermöglicht. Betrachtet werden
bekannt (sind), die Bedenken gegen die körperliche      Personen im Altersbereich zwischen 35 und 84 Jah-
oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers        ren. Die Altersgruppen werden grob geteilt in „Seni-
begründen …“ (§ 11 Abs. 2 FeV). Ähnlich nimmt §         oren“ im Alter zwischen 65 und 84 Jahren, die die
46 Abs. 3 und 4 FeV Bezug auf Tatsachen, die Be-        „Experimentalgruppe E“ stellen, sowie „Best Ager1“
denken oder Annahmen begründen, der Kraftfahrer         im Alter zwischen 45 und 64 Jahren, die die „Kon-
sei nicht geeignet oder befähigt. Die Hauptaufgabe      trollgruppe K“ bildet. Um längere Entwicklungen
der vorliegenden Studie besteht darin zu prüfen, ob     aufzeigen zu können, wird noch eine jüngere „Ver-
bestimmte Eintragungstatbestände des VZR als            gleichsgruppe V“ hinzugenommen. Die Gruppe E,
Tatsachen in diesem Sinne gelten können und ob          die Senioren, werden weiter untergliedert in die
sie eine ausreichende Grundlage für „begründete         Gruppe der „jüngeren Senioren E1“ zwischen 65
Bedenken“ liefern.                                      und 69 Jahren und die Gruppe der „älteren Senioren
                                                        E2“. Für feinere Analysen kann die Gruppe E2 noch
Die Hauptfragestellung betrifft den Nachweis, ob in     in drei Stufen a, b und c weiter unterteilt werden.
bestimmten Fällen auch solche Verkehrsauffällig-        Einen Überblick über die Gruppen gibt die Tabelle 2.
keiten, die nicht schon unmittelbar zu einer gericht-
lichen Entziehung führen, bei älteren Kraftfahrern      In die Untersuchung einbezogen werden alle Per-
die Prognose eines erhöhten Verkehrsrisikos er-         sonen, zu denen im „Rekrutierungszeitraum“ (siehe
lauben. Dazu sollen folgende Hypothesen geprüft         Kapitel 2.3) eine VZR-Eintragung mit einem Ver-
werden: Es gibt altersspezifische Verkehrsver-          kehrsverstoß registriert ist. Jedoch werden Perso-
stöße, die auf einen „Altersabbau“ hinweisen, das       nen ausgeklammert, deren Verkehrsverstoß wegen
heißt hier eine geminderte Fahreignung oder Fahr-       seiner Schwere direkt zum Verlust der Fahrerlaub-
befähigung oder ein Fahren trotz mangelnder Ver-        nis führt, denn die mangelnde Fahreignung dieser
kehrstüchtigkeit aufgrund altersbedingter medizi-       Personen ist damit nicht mehr strittig. Ausgehend
nisch-psychologischer Einschränkungen. Der An-          von dieser ersten Tat, im Folgenden als „Referenz-
teil altersspezifischer Verkehrsverstöße nimmt mit      tat“ bezeichnet, wird für eine gewisse Beobach-
dem Alter stark zu. Personen mit altersspezifischen     tungszeit ermittelt, ob es zur selben Person im Re-
Verkehrsverstößen zeigen im Vergleich zu Perso-
nen mit anderen Verkehrsverstößen generell ein
erhöhtes Verkehrsrisiko. Dieser Effekt ist für Per-
                                                        1 Ein Begriff aus der Markt- und Konsumforschung, der für
sonen mittleren Alters jedoch nur wenig ausge-
                                                          Personen ab 50 Jahren, z. T. schon ab 40 Jahren geprägt
prägt, nimmt dann aber mit höherem Alter erheb-           wurde. Er dient zumeist der Abgrenzung gegen die Jüngeren
lich zu.                                                  sowie gegen Personen im Ruhestand
11

gister zu weiteren Eintragungen mit Tatdatum in                    duell einsetzt, so endet sie für das gesamte Unter-
dieser Zeitspanne kommt. Die individuelle Beob-                    suchungskollektiv einheitlich 10 Monate vor der Ab-
achtungszeit beginnt also im vorliegenden Untersu-                 frage des VZR auf Folgetaten, nämlich am
chungsplan mit dem Zeitpunkt der Eintragung der                    25.04.2006. Dadurch kommt es zu einer variablen
Referenztat ins Register, nicht mit ihrer Begehung,                Beobachtungslänge.
die in der Regel etliche Wochen, bei Straftaten
sogar etliche Monate, früher liegt. Wenn auch die
Beobachtungsspanne für jeden Probanden indivi-                     2.2 Untersuchungsmerkmale

   Funktion der
                                                                   2.2.1 Prädiktoren
                                                Altersbereich
 Gruppe im Unter-       Bezeichnung      Kürzel
                                                  in Jahren        Im VZR vorliegende Informationen zu einem als al-
 suchungsdesign
 Vergleichsgruppe      mittleres Alter     V       35 bis 44       tersspezifisch geltenden Fehlverhalten im Straßen-
   Kontrollgruppe        Best Ager         K       45 bis 64       verkehr sollen als Prädiktoren für die spätere Ver-
Experimentalgruppe        Senioren         E       65 bis 84       kehrsbewährung dienen. Es existiert eine kaum
                      jüngere Senioren     E1      65 bis 69       überschaubare Fülle an Untersuchungen zu den
                      ältere Senioren      E2      70 bis 84       spezifischen Problemen älterer Menschen im Ver-
      davon:                              E2 a     70 bis 74       kehr. Jedoch steht dabei eine geringe Zahl immer
                           davon:         E2 b     75 bis 79
                                                                   wiederkehrender Faktoren im Vordergrund, sodass
                                          E2 c     80 bis 84
                                                                   bereits eine kleine Auswahl von Untersuchungen
Tab. 2: Untersuchungsgruppen nach Alter                            ein konsistentes Bild ergibt (Tabelle 3).

      Quelle                         Art der Untersuchung                                    gefundene Probleme
TRÄNKLE &
METKER, 1992        Befragung zur subjektiven Einschätzung der Schwie-       erschwerte Sichtbedingungen (z. B. Nacht, Regen);
(zitiert n.         rigkeit der Bewältigung von Situationen als Kraftfah-    Kreuzungssituationen; dichter Berufsverkehr;
WEINAND,            rer; Personen älter als 50 J. im Vergleich zu jüngeren   Manövrieraufgaben (z. B. Wenden, Rückwärtsfahren)
1997, S. 14)

                                                                           Konflikt zwischen einem Abbieger und einem Ver-
                                                                           kehrsteilnehmer, der in gleicher oder entgegenge-
                    Unfallbeteiligte bei Pkw-Unfällen 1980 in Nordrhein-   setzter Richtung fährt (Abbiegeunfall); Konflikt zwi-
                    Westfalen; „Schuldindex“ als Verhältnis der schuldi-   schen einem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer und
ARAND et al.,       gen zu den nicht schuldigen Beteiligten der jeweiligen einem an einem Knotenpunkt bevorrechtigten (Einbie-
1992                Altersgruppe; gewertet wird ein Anstieg von mehr als gen-/Kreuzen-Unfall); Konflikt zwischen dem fließen-
                    50 % bei den über 65-Jährigen im Vergleich zu den      den Verkehr und einem anhaltenden oder ein- und
                    35- bis 54-Jährigen                                    ausfahrenden Fahrzeug; Unfälle an Kreuzungen, Ein-
                                                                           und Ausfahrten sowie Einmündungen; stärkere Alters-
                                                                           abhängigkeit auf Außerortsstraßen
                    Stichprobe von 100.000 Verkehrsverstößen aus dem
                                                                             Vorfahrt; Abbiegen; Rechtsfahrgebot (im Alter über 75
                    VZR der Jahre 1990 bis 1994; gewertet wird ein An-
                                                                             J. zusätzlich: Verhalten an Fußgängerüberwegen;
SCHADE, 2000        stieg der fahrleistungsbezogenen Auffälligkeitsrate
                                                                             Rotlichtmissachtung; Wenden/Rückwärtsfahren; un-
                    von mehr als 50 % bei den über 65-Jährigen im Ver-
                                                                             angepasste Geschwindigkeit)
                    gleich zu den 35- bis 54-Jährigen
                    amtliche Statistik des Jahres 2005: beteiligte Pkw-
                    Führer bei Unfällen mit Personenschaden; gemessen
Statistisches                                                              Vorfahrt, Vorrang; Fehler beim Abbiegen; falsches
                    wird das Fehlverhalten pro 1.000 Beteiligte der jewei-
Bundesamt,                                                                 Verhalten gegenüber Fußgängern; falsche Straßen-
                    ligen Altersgruppe; gewertet wird ein Anstieg um mehr
2006                                                                       benutzung
                    als 50 % bei den über 65-Jährigen im Vergleich zu
                    den 35- bis 54-Jährigen
                    tödliche Unfälle 1996-1999 in Australien mit „leichten   Fahrzeug-Fahrzeug-Begegnungen; Kreuzungen und
                    Fahrzeugen“ (darunter Pkw); um mehr als 10%-Punk-        Einmündungen; Stopp- und Vorfahrtsschilder; Rechts-
LANGFORD &
                    te erhöhter Anteil bei den über 75-Jährigen (z. T.       abbiegen (entspricht unserem Linksabbiegen); gene-
KOPPEL, 2006
                    schon bei den über 65-Jährigen) im Vergleich zum         rell: Konflikte mit Entscheidungszwang unter Zeit-
                    Prozentanteil bei den 44- bis 54-Jährigen                druck

                                                                             Missachtung des Rechtsfahrgebots (bei Gegenver-
                    Stichprobe von 72.000 Pkw-Verkehrsverstößen aus
                                                                             kehr, Überholtwerden, Kuppen, Kurven); Vorfahrt-
                    dem VZR der Jahre 1995 bis 2003; gewertet wird das
                                                                             missachtung; Unfallflucht; Fehlverhalten beim
                    Fehlen des altersspezifischen Rückgangs der fahr-
SCHADE, 2008                                                                 Abbiegen, beim Wenden oder Rückwärtsfahren, an
                    leistungsbezogenen Verkehrsauffälligkeitsrate der
                                                                             Fußgängerüberwegen; gefährdendes verkehrs-
                    über 65-Jährigen im Vergleich zu den 45- bis
                                                                             widriges Überholen; Rotlichtmissachtung; Fahren mit
                    64-Jährigen
                                                                             unangepasster Geschwindigkeit

Tab. 3: Probleme von Senioren im Straßenverkehr
12

Überraschend in der Liste ist das Delikt Unfallflucht                gnosekriterien dienen sollen (s. Tabelle 4). Den als
(Tabelle 3, letzte Zeile), da dies gewöhnlich als mo-                altersspezifisches Fehlverhalten in der Tabelle be-
ralisches, nicht aber als altersbedingt psychomoto-                  zeichneten Verkehrsverstößen ist gemeinsam,
risches Versagen aufgefasst wird. Kommt es vor,                      dass ihre fahrleistungsbezogene Rate mit dem Alter
dass stark altersbeeinträchtigte Fahrer Unfälle                      nicht sinkt, sondern in der Regel sogar ansteigt
nicht als solche erkennen oder ihre Schuld oder gar                  (SCHADE, 2000 und 2008).
ihre Mitwirkung daran verkennen? Tatsächlich zeigt
                                                                     Da der Bestätigungsgrad, welches Fehlverhalten
eine Studie aufgrund von 141 unfallanalytischen
                                                                     für das Alter besonders typisch ist, stark variiert
Gutachten aus Baden-Württemberg und Sachsen
                                                                     (siehe Spalte „Zahl der Nennungen“), soll der Indi-
von Fahrern ab 65 Jahren, dass fast 50 % der un-
                                                                     kator für das altersspezifische Fehlverhalten in zwei
tersuchten Unfälle solche im „ruhenden Verkehr“
                                                                     Varianten erstellt werden (siehe Spalte „Indikator“):
waren, nämlich so genannte Kleinkollisionen bzw.
                                                                     ein „Kernindikator“ und ein „erweiterter Indikator“,
„Rempler“, etwa beim Ein- und Ausparken (EGEL-
                                                                     wobei letzterer Informationen über Fehlverhaltens-
HAAF, ZIMMERMANN & BERG, 2008). Dabei sei
                                                                     weisen beinhaltet, deren prognostischer Wert noch
es häufig zu Unfallflucht gekommen, wobei die
                                                                     unklar ist. Die Frage wird entsprechend sein, ob die
Bemerkbarkeit des Unfalls vom technischen Gut-
                                                                     Hinzunahme des erweiterten Indikators zu einer
achter zumeist als „nicht nachweisbar“ einge-
                                                                     höheren Vorhersagekraft führt als allein bei Ver-
stuft wurde. Das Delikt Unfallflucht scheint also
                                                                     wendung des Kernindikators.
tatsächlich mit Manövrierfehlern in Verbindung zu
stehen.                                                              Im Falle, dass pro Tat mehr als eine Tatbestands-
                                                                     nummer angegeben ist oder mehr als eine Tat pro
Auf Grundlage der Befunde dieser in der Tabelle
                                                                     Tag vorliegt, wird die schwerste im Sinne der Klas-
genannten Untersuchungen werden die Indikatoren
                                                                     sifikationen gewertet. So genannte Tatmehrheiten,
für das altersspezifische Fehlverhalten konstruiert,
                                                                     bei denen die Taten auf verschiedene Tage fallen,
die als Prädiktorvariablen zur Vorhersage der Pro-
                                                                     werden wie andere Folgetaten behandelt.

                                     Zahl der
 Problematische
                                    Nennungen Indikator Nr.          2.2.2 Indikatoren für das Prognosekriterium
 Verhaltensweisen                                                          „Verkehrsbewährung“
                                     in Tab. 3

 Missachtung von Vorfahrt bzw.
                                         6          Kern      1      Es geht in der Studie um den prognostischen Wert
 Vorrang, Fehler beim Abbiegen
                                                                     von Informationen über altersspezifisches Fehlver-
 Fehler beim Ein- und Ausfah-                                        halten im Straßenverkehr für die Vorhersage der
 ren, Wenden oder Rückwärts-             5          Kern      2      Verkehrsbewährung. Die Verkehrsbewährung misst
 fahren
                                                                     sich an „kritischen Ereignissen“. Als kritische Ereig-
 falsche Straßenbenutzung (ins-                                      nisse – diese bilden die letztlich gemessenen Indi-
 besondere Fahren entgegen                                           katoren für das Prognosekriterium – werden ge-
 der Fahrtrichtung auf Autobah-                                      zählt:
 nen oder Kraftfahrstraßen),
                                         4          Kern      3
 Verstoß gegen das Rechtsfahr-
                                                                     a) im VZR eingetragene Schädigungen anderer
 gebot (insbesondere bei Ge-
 genverkehr, Überholtwerden,                                            durch schuldhaft begangene Unfälle („Unfälle“),
 Kuppen, Kurven)
                                                                     b) Verkehrsverstöße im VZR ohne schuldhafte Un-
 Fehlverhalten gegenüber                                                fälle, aber mit konkret oder grob gefährdendem
                                         3        erweitert   4
 Fußgängern                                                             Verhalten („Gefährdungen“),
 Rotlichtmissachtung                     2        erweitert   5
                                                                     c) sonstige Verkehrsverstöße im VZR („sonstige
 Fahren mit unangepasster Ge-                                           Verkehrsverstöße“),
                                         2        erweitert   6
 schwindigkeit
                                                                     d) rechtskräftige Entziehungen, Aberkennungen
 verkehrswidriges Überholen              1        erweitert   7
                                                                        oder Verzichte der Fahrerlaubnis („Fahrerlaub-
 Unfallflucht                            1        erweitert   8         nisverluste“).
Tab. 4: Zusammenstellung des Indikators „altersspezifisches          Zu jedem Verkehrsverstoß wird also ermittelt, ob
        Fehlverhalten“ als Prädiktor für zukünftige kritische Er-
        eignisse (in zwei Varianten: als Kernindikator und als er-   und gegebenenfalls in welchem Ausmaß von die-
        weiterter Indikator)                                         sem Delikt eine Gefährdung konkreter Verkehrs-
13

teilnehmer ausging. Dafür werden die im Bundes-                  zu einer Person wird die jüngste Eintragung ausge-
einheitlichen Tatbestandskatalog normierten Tat-                 wählt. Diese Eintragung wird „Referenztat“ ge-
bestandstexte daraufhin untersucht, ob explizit                  nannt. Personen, bei denen die Eintragung zur Ent-
eine Gefährdung konkreter Verkehrsteilnehmer                     ziehung der Fahrerlaubnis führt, werden ausge-
konstatiert ist. Gezählt werden also nicht schon                 schlossen, da die Nichteignung dieser Personen
„abstrakte Gefährdungen des Verkehrs“. Zusätz-                   nicht mehr strittig ist.
lich wird unabhängig von der Tatbestandsbe-
                                                                 Im Einzelnen ergeben sich die folgenden Selekti-
schreibung in allen Fällen, in denen wegen der
                                                                 ons- und Bereinigungsschritte: Von den ursprüng-
Schwere der Tat ein Regelfahrverbot vorgesehen
                                                                 lich 3,11 Mio. Mitteilungen an das VZR aus dem Re-
ist, ein grob gefährdendes Verhalten angenom-
                                                                 krutierungszeitraum werden 5 % wegen (noch) un-
men. Dies betrifft vor allem das Fahren mit Alkohol
                                                                 klarer Identifizierung ausgeschlossen. Vom verblei-
oder anderen Drogen sowie die extremen Formen
                                                                 benden Rest werden ausgeschlossen: Mitteilungen
von Geschwindigkeitsüberschreitungen und Ab-
                                                                 ohne Bezug zu Verkehrsverstößen (14 %)3, Mittei-
standsverstößen2.
                                                                 lungen mit Verkehrsverstößen, die zu Entziehun-
Die Ereignisse a, b und c werden im Beobach-                     gen oder Aberkennungen der Fahrerlaubnis führten
tungszeitraum unabhängig voneinander gezählt                     (3,2 %), Mitteilungen mit Bezug zu Verkehrsver-
und als Zählvariablen gespeichert, genannt „Anzahl               stößen, die zum Zeitpunkt ihrer VZR-Eintragung
Unfälle“, „Anzahl Gefährdungen“, „Anzahl sonstiger               älter als 24 Monate sind (0,8 %), Mitteilungen zu
Verkehrsverstöße“. Bei der Zählung ist gegebenen-                Personen mit Wohnsitz im Ausland (3,4 %) und
falls auch die Tat, die zum Verlust der Fahrerlaub-              schließlich Mitteilungen zu Personen außerhalb
nis führt, berücksichtigt. Etwaige Taten, die noch               des zu untersuchenden Altersbereichs zum Zeit-
nach Verlust der Fahrerlaubnis innerhalb der Beob-               punkt der VZR-Eintragung (38,5 %). Nach Abzug
achtungszeit auftreten, werden ebenfalls in die                  von Folgemitteilungen zur selben Person (4,7 %)
Zählung einbezogen. Pro Tattag wird nur eine Tat                 verbleiben 1,38 Mio. „erste“ Mitteilungen, genannt
gewertet, nämlich die schwerste im Sinne der Ab-                 Referenztaten. Dies ist zugleich die Anzahl der für
stufung a, b, c.                                                 die Untersuchung geeigneten Personen in der
Zusätzlich werden die drei Zählvariablen als Binär-              „Ausgangsgesamtheit“.
variablen gespeichert, die darüber informieren, ob               Das Ziel war ein Stichprobenumfang von je rund
die Person im Beobachtungszeitraum zwischen                      120.000 Personen in der Experimentalgruppe E,
der Eintragung der Referenztat und dem Beob-                     der Kontrollgruppe K und der Vergleichsgruppe V.
achtungsende überhaupt ein kritisches Ereignis                   Um dieses Ziel zu erreichen, wurden aus der „Aus-
der untersuchten Art zu verzeichnen hat (Bezeich-                gangsgesamtheit“ sämtliche Personen der Alters-
nung: „Unfall“, „Gefährdung“, „sonstiger Verkehrs-               gruppe ab 65 Jahren übernommen und von den 45-
verstoß“). Der Verlust der Fahrerlaubnis im Beob-                bis 64-Jährigen sowie den 35- bis 44-Jährigen je
achtungszeitraum (Ereignis d) wird ebenfalls als                 knapp 20 %. Von diesen mussten 3,7 % wegen un-
binäre Variable „Fahrerlaubnisverlust“ gespei-                   eindeutiger Abfrageergebnisse im VZR4 und 0,3 %
chert.                                                           wegen fehlender Geschlechtsangabe ausgeschlos-
                                                                 sen werden. Es verbleiben damit für die Untersu-
                                                                 chung 350.088 Personen, davon 121.049 in der Ex-
2.3 Datengewinnung
                                                                 perimentalgruppe, 114.931 in der Kontrollgruppe
Aus dem VZR-Zugang der Monate Januar bis Au-                     und 114.108 in der Vergleichsgruppe. Das sind
gust 2004 („Rekrutierungszeitraum“) werden alle                  97,3 % von der „Ausgangsgesamtheit“ in der
Eintragungen zu Verkehrsverstößen von Personen                   schließlich verwendeten E-, 18,0 % in der K- und
mit Wohnsitz in Deutschland im Alter zwischen 35                 18,6 % in der V-Stichprobe.
und 84 Jahren zum Zeitpunkt der Eintragung he-
rausgeschrieben. Bei mehreren Verkehrsverstößen
                                                                 3 Die Prozentangaben beziehen sich auf das jeweilig verblie-
                                                                   bene Gesamt vor dem betrachteten Schritt.
2 Details zur Ermittlung der „schuldhaften Unfallbeteiligung“    4 Es handelt sich um Personen mit identischem Geburtstag
  und des „konkret oder grob gefährdendes Verhaltens“ siehe         und (nahezu) identischem Namen und Geburtsort. Aus
  „Unfall-Indikator“ und „Gefährdungs-Indikator“ des Verkehrs-      Kostengründen musste darauf verzichtet werden, eine per-
  risikos bei HEINZMANN & SCHADE (2004, S. 22 f.)                   sonalintensive Einzelfall-Identifizierung durchzuführen.
14

Die Untergliederung der Experimentalgruppe in fei-                                                           Insge-
                                                                   Alter       Frauen           Männer
nere Altersgruppen zeigt die Tabelle 5. Der Anteil       Gruppe     in                                        samt
der Frauen variiert je nach Altersgruppe zwischen                 Jahren
                                                                           absolut   in %   absolut   in %   absolut
16,4 und 23,4 %.
                                                         V        35-44    26.662    23,4   87.446    76,6   114.108
Die Gewinnung der Daten unterliegt den folgenden         K        45-64    23.158    20,1   91.773    79,9   114.931
vier technisch bedingten Einschränkungen, die in         E1       65-69    10.712    16,5   54.294    83,5   65.006
der speziellen Form der verfügbaren Daten begrün-        E2a      70-74    4.969     16,4   25.421    83,6   30.390
det sind.
                                                         E2b      75-79    3.236     18,0   14.779    82,0   18.015
1. Aus technischen Gründen können als Referenz-          E2c      80-84    1.664     21,8    5.974    78,2    7.638
   tat nur solche Verkehrsverstöße einbezogen
                                                         Insge-
   werden, deren Tatzeit zum Zeitpunkt der Eintra-                35-84    70.401    20,1   279.687   79,9   350.088
                                                         samt
   gung weniger als zwei Jahre zurückliegt. Diese
   Einschränkung ist für die Generalisierbarkeit der    Tab. 5: Anzahl der Personen in der Stichprobe untergliedert
                                                                nach Untersuchungsgruppen (Geschlecht und Alter)
   Ergebnisse unerheblich, weil sie weniger als ein
   Prozent der Verkehrsverstöße, darunter nur Ver-
                                                             nummern gehören. Diese Wechsel der Register-
   kehrsstraftaten, ausschließt.
                                                             nummern wurden aber nur im Register vollzo-
2. Die individuelle Beobachtungszeit beginnt aus             gen und nicht in dem Datenkörper, der für die
   technischen Gründen mit dem Zeitpunkt der                 vorliegende Auswertung zur Verfügung steht.
   Eintragung der Referenztat ins Register und               Daher mussten sie aus technischen Protokollen
   nicht mit ihrer Begehung, die in der Regel etliche        rekonstruiert werden. Dies war mit vertretbarem
   Wochen, bei Straftaten sogar etliche Monate,              Aufwand nur möglich für Personen mit einem
   vorher liegt. Diese aus technischen Gründen               einzigen solchen Wechsel. Diese Einschrän-
   gewählte Definition des Beobachtungsbeginns               kung erscheint hinnehmbar, weil bei einer Beob-
   erzeugt einen „blinden Fleck“: Auf die Referenz-          achtungszeit von nur rund zwei Jahren nur sehr
   tat können Taten folgen, die auf diese Weise un-          wenige Personen mehr als zwei Eintragungen
   berücksichtigt bleiben, weil sie vor Beobach-             haben und von diesen wiederum nur sehr weni-
   tungsbeginn, nämlich vor Eintragung der Refe-             ge überhaupt von einem Registerwechsel be-
   renztat, begangen wurden. Generell wird also              troffen sind, weil die meisten im elektronischen
   durch dieses Vorgehen die Rückfallwahrschein-             Register verbleiben und von den „Wechslern“
   lichkeit systematisch unterschätzt. Allerdings ist        sehr wenige einen zweiten oder gar weiteren
   das Ausmaß der Unterschätzung nicht sehr                  Wechsel haben. Auch wenn genaue Zahlen
   groß. Nach einer Abschätzung des KBA anhand               dazu nicht bekannt sind, ergibt eine Abschät-
   von VZR-Daten der 90er Jahre aus einer Lang-              zung aufgrund von Plausibilitäten, dass ein Ver-
   zeitstichprobe begehen rund 10 % aller rückfäl-           fahren, welches nur einen einzigen Register-
   ligen Personen den ersten Rückfall, schon                 wechsel in zwei Jahren berücksichtigt, die Rück-
   bevor der erste Verstoß rechtskräftig war. Dieser         fallhäufigkeit zwar systematisch, aber nur um
   Anteil scheint zudem weitgehend unabhängig                wenige Prozent unterschätzt. Da von dieser ge-
   von Geschlecht und Alter der Person zu sein,              ringen Unterschätzung alle Untersuchungsgrup-
   sodass alle Untersuchungsgruppen gleichmäßig              pen gleichmäßig betroffen sein werden, sind für
   von der Unterschätzung betroffen sind. Weil es            die Untersuchung, in der es nur auf relative Un-
   in der Untersuchung nur auf relative Unterschie-          terschiede ankommt, keine Auswirkungen auf
   de ankommt, spielt eine gleichmäßige Unter-               die Schlussfolgerungen zu befürchten.
   schätzung, zumal wenn sie gering ist, für die
                                                        4. Der Instanzenweg kann in einzelnen Fällen
   Schlussfolgerungen keine Rolle.
                                                           dazu führen, dass Eintragungen im VZR erst
3. Das VZR wird zum kleinen Teil noch händisch             sehr spät erfolgen. Während innerhalb von
   auf Grundlage von Akten geführt, sodass es              10 Monaten nach Tatbegehung praktisch alle
   neben dem elektronischen noch weiterhin ein             Ordnungswidrigkeiten das VZR erreichen, feh-
   manuelles Register gibt. Da ein Registerwech-           len von den Straftaten auch nach 10 Monaten
   sel mit einer neuen Registernummer verbunden            noch rund 5 Prozent. Auch dies führt zu einer
   ist, können zu Personen mit einer längeren              (geringen) Unterschätzung der Wiederauffällig-
   „VZR-Historie“ zwei oder sogar mehr Register-           keit.
15

                          Frauen             Männer          flussfaktoren als unabhängige Variablen (z. B. Ge-
           Alter in
 Gruppe                                                      schlecht) kann als so genannte Kovariate auch eine
           Jahren     Mittel   Summe     Mittel   Summe
                                                             Bezugsgröße für die Zählung (z. B. die Beobach-
 V         35-44      1,977    52.709    1,981    173.256
                                                             tungsdauer) berücksichtigt werden. Die Poisson-
 K         45-64      1,977    45.794    1,983    182.009
                                                             Regression sagt die erwartete Anzahl der Ereignis-
 E1        65-69      1,976    21.167    1,976    107.291    se (z. B. die Summe der Unfälle) in den Gruppen
 E2a       70-74      1,978    9.827     1,976    50.221     vorher, die durch die Stufen der Faktoren gegeben
 E2b       75-79      1,978    6.400     1,974    29.180     sind. Die Regressionskoeffizienten geben den Bei-
 E2c       80-84      1,975    3.286     1,973    11.788     trag der jeweils betrachteten Faktorstufe zur Vor-
                                                             hersage der Ereigniszahlen an. Zu jedem Faktor
Tab. 6: Durchschnitt und Summe der Beobachtungszeiten (in
                                                             muss eine Stufe als Referenzkategorie festgelegt
        Jahren) nach Untersuchungsgruppen (Geschlecht und
        Alter)                                               werden (z. B. „männlich“ für Geschlecht) – ihr Koef-
                                                             fizient ist dann definitionsgemäß null. Der Koeffizi-
Bei variablem Beginn der Beobachtungszeit zwi-               ent einer anderen Stufe (z. B. „weiblich“) gibt dann
schen dem 01. Januar und dem 31. August 2004                 ihren Unterschied gegenüber der Referenzkatego-
und festem Ende am 25.04.2006 variiert die indivi-           rie an. Die Methode erlaubt es, Standardfehler für
duelle Beobachtungszeit der Personen um einen                die Koeffizienten zu berechnen, mit denen z-Werte
Wert von rund zwei Jahren. Die Tabelle 6 zeigt die           zum Test der Hypothese auf Abweichung von null
genauen Werte für die einzelnen Untersuchungs-               ermittelt werden können. Weicht der Regressions-
gruppen, die sich nur sehr geringfügig unterschei-           koeffizient signifikant von null ab, so kann vorbe-
den und vom angestrebten Wert kaum abweichen.                haltlich der Irrtumswahrscheinlichkeit von einem
Insgesamt über alle Gruppen konnten 692.930 Be-              unterschiedlichen Einfluss der betrachteten Faktor-
obachtungsjahre realisiert werden.                           ausprägung von der Referenzkategorie gespro-
                                                             chen werden.
                                                             Die Größe des Einflusses lässt sich anhand des re-
2.4 Statistische Methode                                     lativen Risikos RR (z. B. das Verhältnis der Unfall-
Die zu prüfenden statistischen Hypothesen bezie-             rate in der Gruppe der Frauen zu der der Männer)
hen sich darauf, ob bestimmte Merkmale die Vor-              mit Hilfe der Exponentialfunktion aus dem Regres-
hersage eines so genannten Kriteriums gestatten.             sionskoeffizienten β einfach bestimmen: RR =
Das Vorhersagekriterium ist in diesem Fall das               exp(β). Ein relatives Risiko der Frauen von bei-
„Verkehrsrisiko“, gemessen durch die in Kapitel              spielsweise RR = 0,60 bedeutet ein gegenüber den
2.2.2 beschriebenen vier Indikatoren. Die Merkma-            Männern um 40 % vermindertes Risiko. Dieser Fall
le, deren Vorhersagekraft zu prüfen ist, sind die in         würde bei einem β von -0,511 auftreten (denn
Kapitel 2.2.1 beschriebenen Prädiktoren. Die Me-             e-0,511 = 0,60).
thode der Wahl für Zwecke der Vorhersage ist die             In manchen Fällen, hier z. B. beim Fahrerlaubnis-
Regression: für Zählvariablen (Anzahlen) speziell            verlust, liegt nicht die Häufigkeit des Ereignisses
die so genannte Poisson-Regression und für binä-             pro Person, sondern nur das Faktum des Auftretens
re Variablen (Null-Eins-Merkmale) speziell die so            oder Nicht-Auftretens pro Person („Inzidenz“) vor.
genannte logistische Regression5.                            Das Auftreten eines kritischen Ereignisses im Be-
Die Poisson-Regression ist ein statistisches Verfah-         obachtungszeitraum als abhängige Variable kann
ren, um Zähldaten, die näherungsweise einer                  mit Hilfe einer so genannten logistischen Regressi-
Poisson-Verteilung folgen, in Abhängigkeit von Ein-          on aus den unabhängigen Variablen, den Prädikto-
flussfaktoren zu analysieren (KLEINBAUM et al.,              ren, vorhergesagt werden. Diese Regression be-
1998, S. 687-705; Berechnung mit der Prozedur                nutzt die so genannte logistische Funktion von der
GENLOG des Statistik-Auswertungssystems                      Form (s. KLEINBAUM et al., 1998):
SPSS, Version 14.0). Neben der abhängigen Varia-
ble (z. B. der Zahl der Unfälle) sowie den Ein-

                                                             In diesem Fall wird die Wahrscheinlichkeit p des
5 Der folgende Text dieses Abschnittes ist im Wesentlichen   Eintretens eines kritischen Ereignisses y aus k Prä-
  aus HEINZMANN & SCHADE, 2003, S. 17, sowie HEINZ-          diktoren vorhergesagt; z ergibt sich in diesem Mo-
  MANN & SCHADE, 2004, S. 19-20, entnommen.                  dell linear aus den k Prädiktoren x1 bis xk:
16

                                                         gang zu Jahrgang kontinuierlich ab. Dies gilt zurzeit
                                                         (am Anfang des demografischen Wandels; Daten-
                                                         stand 2005) – mit leichten Schwankungen und eini-
Mit β sind die Regressionskoeffizienten bezeichnet,      gen „Ausreißerwerten“ – auch für die auf 10.000
die in der Regressionsrechnung durch Anpassung           Einwohner des jeweiligen Jahrgangs relativierten
des Modells bestimmt und auf Signifikanz geprüft         Verunglücktenzahlen (Statistisches Bundesamt,
werden. Die Größe z kann man in Verbindung mit           2006, Abbildung S. 14). Dies sei in Erinnerung ge-
den – zumindest in epidemiologischen Studien –           rufen, wenn vom Altersrisiko im Straßenverkehr die
häufig verwendeten „Odds“ setzen, dem Verhältnis         Rede ist.
von Auftretenswahrscheinlichkeit zur Wahrschein-         Dagegen steht – zunächst paradox – der vielfach
lichkeit des Nicht-Auftretens (dabei sei ln der natür-   bestätigte Befund, dass das Unfallrisiko im Alter an-
liche Logarithmus):                                      steigt (z. B. HAUTZINGER, TASSAUX-BECKER &
                                                         HAMACHER, 1996, mit deutschen Daten; OECD,
                                                         2001, mit US-amerikanischen Daten; LANGFORD
                                                         et al., 2006a, mit Daten aus Neuseeland). Dieser
                                                         Effekt wird im Folgenden als „Altersanstieg“ be-
Die Regressionskoeffizienten lassen sich mit Hilfe
                                                         zeichnet. Dieser Anstieg konnte kürzlich in einer
der Exponentialfunktion exp(β) für Interpretations-
                                                         Studie des KBA anhand von Unfalldaten aus dem
zwecke als Verhältnis zweier Odds, genannt Odds-
                                                         Verkehrszentralregister (VZR) repliziert werden
Verhältnis OR („Odds-Ratio“), verstehen:
                                                         (SCHADE, 2007, Abb. 21, daraus siehe Bild 1). Die
                                                         damit gewonnene Erkenntnis ist insoweit neu, als
                                                         es sich hierbei – im Gegensatz zur amtlichen Un-
                                                         fallstatistik, die auf dem ersten Anscheinsbeweis
Ein β von null sagt beispielsweise aus – wegen           der Hauptschuld am Unfallort beruht – um nachge-
exp(0) = 1 –, dass die zwei verglichenen Odds Oa         wiesen schuldhaft begangene Unfälle handelt. Al-
und Ob gleich groß sind, ein anderes β von bei-          lerdings enthält die Studie Anhaltspunkte dafür,
spielsweise -0,69 dagegen, dass Oa nur die Hälfte        dass das Ergebnis zum erheblichen Teil von im
von Ob beträgt – denn exp(-0,69) = 0,50. Da der          Alter veränderten Expositionsbedingungen ab-
Regressionskoeffizient die Aussage über eine Re-         hängt, sodass eine Ursachenzuschreibung noch
lation enthält, kommt es auf die Wahl des Nenners        nicht eindeutig möglich ist.
an, im gewählten Beispiel die Faktorstufe b, allge-
mein Referenzkategorie genannt. Entsprechend             Mit höherem Alter ab etwa 65 Jahren nimmt
sind die Referenzkategorien für alle Prädiktoren         nach HAUTZINGER, TASSAUX-BECKER & HA-
festzulegen. Die logistischen Regressionsanalysen        MACHER (1996, dort Bild 5 und Bild 7) für Pkw-
werden mit der Standard-Statistiksoftware SPSS,          Fahrer sowohl das Risiko zu, in einen Unfall mit
Version 14.0, durchgeführt.                              Personenschaden verwickelt zu werden, wie
                                                         auch das Risiko, dass er selbst verletzt wird.
Statistische Effekte werden wegen der möglichen          Allerdings zeigt sich dieser Altersanstieg beson-
verkehrspolitischen Bedeutung der Ergebnisse,
wenn nicht anders angegeben, auf dem 0,1-Pro-
zentniveau getestet. Als signifikant bezeichnete Be-
funde haben also eine Irrtumswahrscheinlichkeit
von 0,1 Prozent.

3 Ergebnisse
3.1 Das Verkehrsrisiko im Alter
Die absolute Zahl der pro Jahr im Straßenverkehr
Verunglückten nimmt in Deutschland, von einzel-
nen „Ausreißerwerten“ abgesehen, mit dem Alter           Bild 1: VZR-Eintragungen 2002 mit Unfall pro Milliarde Kilome-
des Verkehrsteilnehmers ab 18 Jahren von Jahr-                   ter (nach SCHADE, 2007, Abb. 21)
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