Anatomie der Milchstraße - MINT Zirkel

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Anatomie der Milchstraße - MINT Zirkel
                                                               Dezember 2021    MINT Zirkel

Downloadmaterial zum Beitrag „Neues aus der Milchstraße“ – MINT Zirkel 4-2021

Anatomie der Milchstraße
Die Milchstraße ist ein System aus 100 bis 400                  wie Astronom*innen früher vermutet haben, son­
Milliarden Sternen, die überwiegend in einer dün­               dern balkenförmig langgestreckt. Daher wird die
nen Scheibe und einem zentralen Bulge (englisch                 Milchstraße neuerdings als Balkenspiralgalaxie
„Bauch“) lokalisiert sind. Die galaktische Scheibe              klassifiziert.
enthält viel Gas und Staub sowie vor allem jünge­
re, heiße Sterne, was sie bläulich erscheinen lässt.            Bulge und Scheibe der Galaxis sind in den sphäri­
Hier entstehen auch die meisten neuen Sterne. Die               schen stellaren Halo eingehüllt. Er hat einen Durch­
Scheibe besteht aus vier Spiralarmen und hat einen              messer von etwa 200.000 Lichtjahren und enthält
Durchmesser von 170.000 bis 200.000 Lichtjahren                 kaum Staub, aber isolierte einzelne Sterne sowie
(also mehr als die lange angenommenen 100.000).                 über 150 Kugelsternhaufen. Diese kompakten Stern­
                                                                agglomerationen sind sehr alt, kleiner als 100 Licht­
Zwei Komponenten lassen sich unterscheiden: Der                 jahre im Durchmesser und beherbergen typischer­
dickere Teil hat eine Höhe von bis zu 3.000 Licht­              weise einige Zehn- bis Hunderttausend Sterne. Alles
jahren und wird von durchschnittlich älteren Ster­              zusammen hat eine Masse von rund 400 Milliarden
nen bevölkert als der darin eingebettete dünnere                Sonnen. Darüber hinaus gibt es einen Halo aus bis
Bereich, der vertikal etwa 700 Lichtjahre misst. Un­            zu 2,5 Millionen Grad heißem Gas, der fast diesel­
sere Sonne befindet sich in dieser dünnen Scheibe –             be Masse hat wie die Milchstraße und sich bis zu
etwa in der Mitte zwischen der Scheibenperipherie               150.000 Lichtjahre oder mehr ins All erstreckt.
und dem 26.000 Lichtjahre entfernten galaktischen
Zentrum, das sie mit einer Geschwindigkeit von                  Auf einer noch großräumigeren Skala ist die Milch­
230 Kilometern pro Sekunde ungefähr alle 230 Mil­               straße wahrscheinlich in einen unsichtbaren Halo
lionen Jahre einmal umkreist. Es beherbergt ein su­             aus Dunkler Materie eingebettet. Er wiegt 0,6 bis
permassereiches Schwarzes Loch mit vier Millionen               3 Billionen Sonnenmassen, ist leicht abgeflacht und
Sonnenmassen.                                                   allenfalls langsam rotierend. Sein Durchmesser
                                                                könnte über zwei Millionen Lichtjahre betragen. Er
Umhüllt wird es vom galaktischen Bulge. Er besteht              besteht vermutlich aus unbekannten Elementarteil­
aus rund zehn Milliarden Sternen, die überwiegend               chen, die keine elektromagnetische Wechselwirkung
alt, massearm und rötlich sind. Er ist nicht ellipsoid,         ausüben.
                                                                                                                            NASA/JPL-Caltech; ESA/ATG medialab

Grazile Galaxis

                                                                                                  © Klett MINT GmbH, 2021
Anatomie der Milchstraße - MINT Zirkel
                                                                             Dezember 2021        MINT Zirkel

Karambolagen und Kannibalismus
In fernerer Vergangenheit verlief die Geschichte der                      laxie im südlichen Sternbild Schwertfisch, die nur
Milchstraße besonders turbulent. So müssen viele                          ein Zehntel der Galaxis misst. Doch damals war die
Sterne im inneren Halo und in der äußeren Scheibe                         Milchstraße nicht einmal halb so groß. Sie wuchs
der Galaxis von einer anderen Galaxie stammen, die                        allerdings rasch, weil sie sich die meisten Sterne des
vor rund zehn Milliarden Jahren mit der Milch­                            fremden Systems einverleibt hat.
straße kollidierte.
                                                                          Dabei wurde nicht nur der galaktische Halo mit Ster­
Signaturen dieses kosmischen Crashs entdeckten                            nen aufgefüllt, sondern auch die Bildung der dicken
Amina Helmi von der niederländischen Universität                          Scheibe angeregt. Sie ist einige Tausend Lichtjahre
Groningen und ihre Kollegen. Sie fanden eine Schar                        hoch, enthält etwa 10 bis 20 Prozent der Milchstra­
von etwa 30.000 Sternen, die sich synchron in der                         ßen-Sterne und umhüllt die dünne, wenige Hundert
weiteren Nachbarschaft unserer Sonne bewegen –                            Lichtjahre hohe Scheibe, die die Spiralarme beher­
aber entgegengesetzt zu sieben Millionen anderen                          bergt. Diese Zweiteilung war lange rätselhaft. An­
Sternen in derselben Region. Außerdem sind die                            scheinend hat der Crash die ursprüngliche galakti­
stellaren Fremdgänger in ihrer Zusammensetzung                            sche Scheibe so stark erschüttert, dass sie diffuser
anders als die Mehrzahl der Sterne in der Galaxis,                        wurde und sich auch viele Sterne der einverleibten
wie sich aus der Kombination ihrer Farben und                             Fremdgalaxie dort ansiedelten.
Helligkeiten erschließen lässt.
                                                                          „Einer Legende zufolge wurde Enceladus unter dem
Diese mit der Milchstraße kollidierte und von ihr                         Ätna auf Sizilien begraben und sorgt dort immer
kannibalisierte Kleingalaxie wird Gaia-Enceladus                          wieder für Erdbeben. Und ganz ähnlich lagen die
genannt – nach der Erdgöttin Gaia der griechischen                        Sterne von Gaia-Enceladus tief in den Daten des
Mythologie und ihrem Sohn, einem Giganten, den                            Gaia-Katalogs verborgen und zeigen nun die Er­
sie mit dem Blut des Himmelsgottes Uranos zeugte.                         schütterungen der Milchstraße, die zur Bildung
Das fremde Sternsystem hatte etwa das Ausmaß der                          ihrer dicken Scheibe führten“, zieht Amina Helmi
Großen Magellanschen Wolke – einer Satellitenga­                          einen geradezu weltgeschichtlichen Vergleich.

                                                                                                                                              ESA; H. H. Koppelman, A. Villalobos, A. Helmi; NASA/ESA/Hubble

Die Milchstraße kollidierte vor etwa zehn Milliarden Jahren mit einer anderen Galaxie, Gaia-Enceladus. Gelbe Pfeile markieren dabei die
kannibalisierten Sterne und ihre Bewegungsrichtungen.

                                                                                                                    © Klett MINT GmbH, 2021
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Die Sagittarius-Zwerggalaxie

                                                                                                                                         Grafik: ESA
Die Sagittarius-Zwerggalaxie umkreist seit Langem die Milchstraße und hat dabei immer wieder deren Scheibe durchstoßen.

                                                                                                                          Rüdiger Vaas

                                                                                                               © Klett MINT GmbH, 2021
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