Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner - Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021 ...

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IWH Online                                             3/2017
                                                    Dezember 2017

Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner

Internationale Konjunkturprognose und
konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021
IWH Online 3/2017

Impressum
In der Reihe „IWH Online“ erscheinen aktuelle Manuskripte der IWH-Wissenschaftlerinnen
und -Wissenschaftler zeitnah online. Die Bände umfassen Gutachten, Studien, Analysen und
Berichterstattungen.

Kontakt
Professor Dr. Oliver Holtemöller
Tel    +49 345 77 53 800
Fax    +49 345 77 53 799
E-Mail: oliver.holtemoeller@iwh-halle.de

Bearbeiter
Dr. Andrej Drygalla
Professor Dr. Oliver Holtemöller
Dr. Axel Lindner

Diese Studie wurde von der Volkswagen Financial Services AG in Auftrag gegeben und finanziert.

Herausgeber
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

Geschäftsführender Vorstand
Prof. Reint E. Gropp, Ph.D.
Prof. Dr. Oliver Holtemöller
Dr. Tankred Schuhmann

Hausanschrift
Kleine Märkerstraße 8
D-06108 Halle (Saale)

Postanschrift
Postfach 11 03 61
D-06017 Halle (Saale)

Tel    +49 345 7753 60
Fax    +49 345 7753 820

www.iwh-halle.de

Alle Rechte vorbehalten

Zitierhinweis
Drygalla, Andrej; Holtemöller, Oliver; Lindner, Axel: Internationale Konjunkturprognose und kon-
junkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021. IWH Online 3/2017. Halle (Saale) 2017.

ISSN 2195-7169

                                                                                               II
IWH Online 3/2017

Internationale Konjunkturprognose
und konjunkturelle Szenarien für die
Jahre 2016 bis 2021

Halle (Saale), 28.10.2016

                                                      III
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle
      Stressszenarien für die Jahre 2016 bis 2021

Zusammenfassung                                      szenario) wird anhand grundlegender volkswirt-
                                                     schaftlicher Kennzahlen, etwa der Zuwachsra-
In der vorliegenden Studie werden zunächst          te des Bruttoinlandsprodukts, beschrieben. Es
die weltweiten konjunkturellen Aussichten für       wird auch die Entwicklung für den Fall skiz-
das Ende des Jahres 2016 und für die Jahre          ziert, dass die Weltwirtschaft eine ungünstige,
2017 bis 2021 dargestellt. Dabei wird folgender      eine sehr ungünstige Wendung (mittelschweres
Länderkreis betrachtet: Deutschland, Österreich,   und schweres Negativszenario), oder auch eine
Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande,       günstige Wendung nimmt (Positivszenario). Das
Belgien, Griechenland, Portugal, Irland, Groß-       mittelschwere Negativszenario ist so gewählt,
britannien, Schweden, Polen, Tschechien, Russ-       dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in der
land, USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Türkei,       betrachteten Ländergruppe im Jahr 2016 gemäß
Japan, Südkorea, China, Indien und Australien.      der aus dem Modell resultierenden Wahrschein-
Die Weltkonjunktur dürfte im dritten Quar-          lichkeitsverteilung nur mit einer Wahrschein-
tal 2016 deutlich angezogen haben. Im wei-           lichkeit von 10% noch geringer ausfällt; das
teren Prognoseverlauf dürfte sich die Expan-        schwere Negativszenario ist so gewählt, dass
sion mit etwas geringerem Tempo fortsetzen.          sich mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1% ei-
In den Schwellenländern wird die Konjunktur         ne noch geringere Produktion realisieren dürfte.
im Allgemeinen an Fahrt gewinnen, allerdings         Das Positivszenario wird schließlich so gewählt,
dürften die Stimulierungsmaßnahmen in China         dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von nur
den dortigen Trend zu niedrigeren Wachstums-         10% zu einer noch höheren Produktion in der ge-
raten nur vorübergehend überlagern. Getragen       nannten Ländergruppe kommen dürfte.
wird die weltwirtschaftliche Expansion voraus-       Im Basisszenario liegt der weltwirtschaftliche
sichtlich weiterhin vom privaten Konsum. Die         Produktionszuwachs im Jahr 2016 bei 2,5%. Im
Beschäftigung in den USA, im Euroraum und in        Jahr 2017 liegt er mit 2,9% etwas höher, vor
Japan dürfte weiter spürbar steigen. Allerdings    allem, weil mit einer kräftigeren Konjunktur in
fallen die Kaufkraftgewinne durch die zuvor ge-      den USA und einem Auslaufen der Rezessionen
fallenen Ölpreise allmählich weg.                  in Russland und in Brasilien gerechnet wird. Im
Die Entscheidung der britischen Bevölkerung,        Fall eines mittelschweren Einbruchs bleibt die
aus der EU auszutreten, ist auch Zeichen für die    Zuwachsrate der Weltproduktion im Jahr 2017
in vielen Ländern der Welt zunehmend nega-          mit 1,2% um 1,7 Prozentpunkte unter der Rate
tive Wahrnehmung von Globalisierungsprozes-          im Basisszenario, im Fall eines schweren Ein-
sen. Setzt sich diese Tendenz politisch durch,       bruchs mit -0,2% um 3,1 Prozentpunkte. Re-
könnte es zu weiteren Desintegrationsschritten      lativ gering betroffen wäre entsprechend den
in der Weltwirtschaft kommen, die ein geringe-       Stressszenarien China. Besonders stark sind da-
res Wirtschaftswachstum zur Folge hätten.           gegen mit Russland, Brasilien, Mexiko und der
Die wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwick-       Türkei andere wichtige Schwellenländer betrof-
lung in dem betrachteten Länderkreis (Basis-        fen. Deutschland ist mit einem Verlust an Zu-
wachs von 1,8% im Fall eines schweren Ein-           Hochzinspolitik wieder herzustellen auch unter
bruchs etwas stärker betroffen als der Durch-       Inkaufnahme einer längeren Phase gesamtwirt-
schnitt aller Länder. Hier schlägt wohl zu Bu-     schaftlicher Unterauslastung. Besonders stark
che, dass die deutsche Wirtschaft stark von der      würde im Vergleich mit dem schweren Ne-
Nachfrage nach Investitionsgütern abhängt, wel-    gativszenario die Produktion in Griechenland
che besonders konjunkturreagibel ist.                und Irland getroffen werden, also in Volks-
Die länderspezifischen Szenarien erlauben auch      wirtschaften, die sich in der Großen Rezession
die Antwort auf die Frage, wie stark die deut-       als labil gezeigt haben. Aber auch Deutschland
sche Wirtschaft von dem Wirtschaftseinbruch ei-      und Großbritannien wären überdurchschnittlich
nes bestimmten Landes betroffen ist. Der über       stark betroffen. Die britische Wirtschaft reagiert
die Jahre ab 2017 kumulierte Produktionsverlust      typischerweise besonders stark auf Schwankun-
in Deutschland ist bei einem schweren Einbruch       gen des heimischen Zinsniveaus, und die deut-
der Konjunktur in den USA und in Großbritan-         sche Konjunktur dürfte auf Schwankungen des
nien am höchsten; es folgen China und die Nie-      Weltzinsniveaus stärker reagieren als die meis-
derlande. Auffallend ist ein relativ geringer Ef-    ten anderen Volkswirtschaften, denn weltweit
fekt einer Konjunkturkrise im großen Nachbar-        höhere Zinsen dürften besonders stark die Nach-
land Frankreich.                                     frage nach Investitionsgütern dämpfen, für die
Ein Hauptrisiko für die Konjunktur in Europa        Deutschland ein wichtiger Anbieter ist.
ist gegenwärtig die Möglichkeit, dass es zu ei-
nem Wirtschaftseinbruch in Italien kommt. Des-
halb wird der Frage nachgegangen, welche Aus-
wirkungen ein Wirtschaftseinbruch in Italien auf
andere Länder insbesondere in Europa hätte.
Die Produktionsverluste wären für Griechen-
land, Spanien und Österreich besonders hoch.
Für die Produktion in Deutschland sind keine
negativen Folgen zu sehen. Dafür gibt es zwei
Ursachen: Zunächst ist der Anteil nach Italien
exportierter Güter an den deutschen Ausfuhren
deutlich geringer als im Fall der oben genann-
ten Länder. Zum anderen dämpft die EZB durch
zusätzliche expansive Maßnahmen die negativen
Effekte des italienischen Wirtschaftseinbruchs
für den Euroraum.
Zuletzt wird ein Szenario betrachtet, in dem ein
mehrjähriger weltwirtschaftlicher Wirtschaft-
seinbruch mit einer deutlichen Erhöhung der
Zinsen einhergeht. Ein solches Szenario könnte
sich etwa aus einem Verlust an Vertrauen von
Unternehmen und Haushalten in die Stabi-
litätsorientierung der Geldpolitik entwickeln. In
einem solchen Fall können die Zentralbanken
gezwungen sein, ihre Reputation durch eine
Inhaltsverzeichnis

1   Einleitung                                                                                              1

2   Die Lage der Weltwirtschaft im Herbst 2016                                                              2
    2.1   Schwäche von Produktivität, Investitionen und Welthandel im ersten Halbjahr 2016 be-
          sonders ausgeprägt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     3
    2.2   Geldpolitik wartet ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     4
    2.3   Finanzpolitik regt im Jahr 2016 an, in Asien auch in den Folgejahren . . . . . . . . . . .        4
    2.4   Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    4
    2.5   Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     5

3   Zur Methodik                                                                                            6
    3.1   Der Wachstumskern des makroökonometrischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . .             6
    3.2   Die konjunkturelle Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        7
    3.3   Die Modellierung der Zinsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       8
    3.4   Berechnung der Risikoszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        8

4   Konjunkturprognose im Basisszenario                                                                     9
    4.1   Annahmen für die Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        9
    4.2   Die Basisprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       9

5   Risikoszenarien                                                                                        10
    5.1   Mittelschweres und schweres Negativszenario und das Positivszenario . . . . . . . . . .          10
    5.2   Länderspezifische Stressszenarien für das Jahr 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    11
    5.3   Szenario eines tiefen Wirtschaftseinbruchs in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    12
    5.4   Szenario eines langjährigen weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit Zinserhöhungen ein-
          hergeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    13

A Anhang                                                                                                   16
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle
      Stressszenarien für die Jahre 2016 bis 2021

1   Einleitung                                           teten Ländergruppe im Jahr 2017 noch gerin-
                                                         ger ausfällt, der zweite Fall wird so gewählt,
In der vorliegenden Studie werden zunächst              dass mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1%
die weltweiten konjunkturellen Aussichten für           sich eine noch geringere Produktion realisie-
das Ende des Jahres 2016 und für die Jahre              ren dürfte. Schließlich bedeutet das Positivsze-
2017 bis 2021 dargestellt. Dabei wird folgender          nario, dass die gesamtwirtschaftliche Produkti-
Länderkreis betrachtet: Deutschland, Österreich,       on nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10%
Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande,           noch höher ausfallen wird. Die auf diese Weise
Belgien, Griechenland, Portugal, Irland, Groß-           präzise definierten Risikoszenarien eignen sich
britannien, Schweden, Polen, Tschechien, Russ-           auch als makroökonomische Basis für Stresssze-
land, USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Türkei,           narien von Unternehmen, deren wirtschaftliche
Japan, Südkorea, China, Indien und Australi-            Situation wesentlich von der Entwicklung der
en. Es werden auch Szenarien einer ungünstigen          gesamtwirtschaftlichen Produktion des betrach-
und einer außerordentlich ungünstigen konjunk-          teten Länderkreises abhängt.
turellen Entwicklung dargestellt. In einem zwei-         Die Konjunkturbilder werden anhand der fol-
ten Teil der Studie geht es um die zu erwar-             genden volkswirtschaftlichen Kennzahlen um-
tenden Effekte eines Einbruchs der Aktivität in         rissen: jährliche Veränderung des Bruttoinlands-
Italien und um das Szenario einer ungünstigen           produkts und des privaten Konsums, Arbeits-
weltwirtschaftlichen Entwicklung, die beson-             losenquote, kurzfristiger Zinssatz und lang-
ders lange andauert.                                     fristige Rendite von Staatsanleihen, Inflation
Die Studie beginnt mit einer Beschreibung der            gemessen am Verbraucherpreisindex, jährliche
wahrscheinlichsten wirtschaftlichen Entwick-             Veränderung der Industrieproduktion sowie Kfz-
lung. Darüber hinaus werden Konjunkturbil-              Absatz. Bei der Herleitung der Szenarien wer-
der für die Fälle gezeichnet, dass die weltwirt-       den die Wechselwirkungen zwischen den ver-
schaftliche Entwicklung eine ungünstige (mittel-        schiedenen Regionen berücksichtigt. Für jedes
schweres Negativszenario), eine sehr ungünstige         der vier Szenarien (Basisszenario, mittelschwe-
Wendung (schweres Negativszenario), oder ei-             res Negativszenario, schweres Negativszenario,
ne günstige Wendung nimmt (Positivszena-                Positivszenario) wird beschrieben, welche Ent-
rio). Weil die Prognosen der Studie aus ei-              wicklung für die betrachteten Länder in den Jah-
nem makroökonometrischen Modell für die in-            ren bis 2021 zu erwarten wäre.
ternationale Konjunktur gewonnen werden, kann            Daraufhin werden die gemäß dem Weltmodell
präzise definiert werden, was unter günstig“           zu erwartenden Effekte eines Einbruchs der
                                      ”
und ungünstig“ zu verstehen ist: Der erste Fall         Wirtschaftsleistung in Italien auf die internatio-
     ”
bedeutet, dass nur mit einer Wahrscheinlichkeit          nale Konjunktur und insbesondere auf die in den
von 10% gemäß der im verwendeten Modell ge-             europäischen Nachbarländern beschrieben.
nerierten Wahrscheinlichkeitsverteilung die ge-          Schließlich wird das Szenario eines mindes-
samtwirtschaftliche Produktion in der betrach-           tens dreijährigen weltweiten Konjunkturein-

                                                     1
bruchs bei zugleich steigenden Zinsen darge-                   dürfte die Produktion inzwischen wieder stärker
stellt. Es zeigt sich, dass ein Anstieg der welt-              ausgeweitet werden, und die Konjunktur in den
weiten Zinsen um etwa eineinhalb Prozentpunk-                  Schwellenländern stabilisiert sich weiter. In der
te über drei Jahre den Zuwachs der Produktion                 Grundtendenz ist die weltwirtschaftliche Dyna-
im zweiten Jahr stärker als im schweren Nega-                 mik allerdings nach wie vor geringer als in den
tivszenario drücken würde. Diese Aussage gilt                Jahren vor der Großen Rezession. Darin schlägt
allgemein für die internationale Konjunktur. Zu               sich wohl auch ein geringeres Potenzialwachs-
den von den Zinsen überdurchschnittlich stark                 tum nieder.
betroffenen Ländern gehören Deutschland und                  Vor allem für die USA zeichnet sich ein An-
Großbritannien                                                 ziehen der Produktion ab, nachdem der Zu-
Der Aufbau der Studie ist wie folgt: In Ab-                    wachs des Bruttoinlandsprodukts im ersten
schnitt 2 wird die Lage der Weltwirtschaft im                  Halbjahr recht niedrig war. Dafür, dass die
Herbst 2016 dargestellt, wobei es im Abschnitt                 US-Wirtschaft bereits im dritten Quartal deut-
2.5 um die derzeit wichtigsten Risiken für die                lich beschleunigt zugelegt hat, sprechen der
Weltkonjunktur geht. Danach wird das ma-                       trendmäßige Anstieg der Industrieproduktion
kroökonometrische Modell skizziert (Abschnitt                 seit dem Frühjahr und die anhaltend kräftige
3), mit dem die Prognose, die beiden Negativs-                 Zunahme der Beschäftigung. In Japan dürfte
zenarien und das Positivszenario hergeleitet wer-              die Wirtschaft durch neue Konjunkturprogram-
den (Abschnitt 4).                                             me stimuliert werden, auch wenn die deutliche
Darauf werden länderspezifische Risikoszena-                  Aufwertung des Yen dämpfend wirkt. Für den
rien dargestellt (Abschnitt 5.2). Dem folgt die                Euroraum deuten Stimmungsindikatoren darauf
Analyse von zu erwartenden Effekten eines Ein-                 hin, dass sich die Erholung im Sommer in we-
bruchs der Wirtschaftsleistung in Italien sowie                nig verändertem Tempo fortgesetzt hat. In China
eines Einbruchs in Italien, der mit geringeren                 wurde die Produktion bereits im zweiten Quar-
negativen Schocks in allen großen Euroraum-                    tal deutlich stärker ausgeweitet als in den drei
Ländern einhergeht (Abschnitt 5.3). Schließlich               Monaten zuvor. Hier schlugen sich die expan-
stellt die Studie das Szenario einer ungünstigen              siven wirtschaftspolitischen Maßnahmen nieder,
weltwirtschaftlichen Entwicklung dar, die be-                  mit denen die Regierung auf die konjunkturel-
sonders lange, nämlich drei Jahre über andauert,             le Schwäche zu Jahresbeginn reagiert hat. Die
und die mit einem starken Anstieg der Zinsen                   davon ausgehenden Impulse dürften auch in der
einhergeht (Abschnitt 5.4).                                    zweiten Jahreshälfte spürbar sein. Für Russland
                                                               und Brasilien, Länder, die sich in der Rezessi-
2       Die Lage der Weltwirtschaft im                         on befanden, gibt es Anzeichen, dass sich die
        Herbst 2016                                            konjunkturelle Lage bessert. Dazu dürften stei-
                                                               gende Exporterlöse aufgrund eines Wiederanzie-
Die Weltwirtschaft hat sich im Sommer dieses                   hens der Rohstoffpreise seit Jahresbeginn beige-
Jahres belebt, nachdem der Produktionsanstieg                  tragen haben.
in der ersten Jahreshälfte sehr verhalten gewesen             Die verstärkt steigende Nachfrage aus Chi-
war.1    In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften            na, aber auch die kräftige Expansion der in-
    1                                                          dischen Wirtschaft haben dazu beigetragen,
     Der Abschnitt ist eine aktualisierte Fassung des
Überblickskapitels zum internationalen Teil des Herbst-       dass der Preis für Rohöl, der zu Jahres-
gutachtens der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose vom
                                                               beginn unter 30 US-Dollar je Barrel gefal-
Oktober. An dem Gutachten hat das IWH mitgewirkt (Pro-
jektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2016).                       len war, in den vergangenen Monaten wie-

                                                           2
der gestiegen ist. Dagegen dürften die Versu-              vergangenen Jahre noch verschärft. Für den
che von Ölproduzenten, die Rohölpreise durch              schwachen Produktivitätstrend kommt eine Rei-
Absprachen über Fördermengen zu stützen,                 he von Ursachen in Frage, etwa eine Ver-
nur vorübergehende Effekte haben. Dafür dass              langsamung der Rate des technischen Fort-
die gestiegenen Rohstoffpreise vor allem auf                schritts. Auch haben die Anlageinvestitionen
nachfrageseitige Faktoren zurückzuführen sind,            und damit die Kapitalintensität der Produkti-
spricht auch der jüngste Anstieg der beson-                on in den vergangenen Jahren deutlich weni-
ders konjunkturreagiblen Preise für Metalle und            ger als in den Jahrzehnten zuvor zugelegt. Im
Kohle. Für den Prognosezeitraum ist zu er-                 ersten Halbjahr 2016 sind die Unternehmensin-
warten, dass die Rohstoffpreise weiter leicht               vestitionen in Japan und den USA sogar gesun-
anziehen. Während die davon ausgehenden                    ken, im Euroraum legten die Anlageinvestitio-
dämpfenden Effekte in den Industrieländern mo-            nen (ohne Wohnungsbau) in etwa im Gleich-
derat sein dürften, wird die konjunkturelle Er-            schritt mit der gesamtwirtschaftlichen Produk-
holung in den rohstoffexportierenden Schwel-                tion zu. Angesichts des weltweit sehr nied-
lenländern unterstützt.                                   rigen Zinsniveaus ist die Investitionsschwäche
Indes sind durch die Entscheidung Großbritan-               zunächst bemerkenswert. Dass die langfristigen
niens, die Europäische Union zu verlassen, neue            Zinsen auf Tiefstständen liegen (für Staatsan-
Belastungen für die internationale Konjunktur              leihen von Ländern wie Deutschland, Frank-
entstanden. Schon auf kurze Sicht dürften die              reich und Japan sogar im negativen Bereich),
getrübten Erwartungen der Unternehmen die                  ist freilich nicht nur der Geldpolitik zuzuschrei-
wirtschaftliche Entwicklung in Großbritannien               ben, sondern auch einem verbreiteten Wachs-
hemmen. Dadurch wird allerdings die weltweite               tumspessimismus. Denn im Zins spiegelt sich
Konjunktur nur geringfügig beeinträchtigt wer-            auch wider, wie das zukünftige Wachstum und
den. Auf längere Frist drohen Wachstumsver-                damit die Rendite von Sachinvestitionen ein-
luste für Großbritannien und den Rest der Eu-              geschätzt werden. Eine weitere mögliche Ursa-
ropäischen Union, wenn der Austritt eine Desin-            che für die Produktivitätsschwäche könnte ein
tegration der beiden Wirtschaftsräume zur Folge            Nachlassen des Trends zur verstärkten interna-
hat.                                                        tionalen Arbeitsteilung sein. Dies spiegelt sich
                                                            auch in einer schwächeren Dynamik des Welt-
                                                            handels wider. Mit der Verlangsamung des Glo-
2.1    Schwäche von Produktivität,
                                                            balisierungsprozesses in der Produktion sind
       Investitionen und Welthandel im ersten
                                                            in den vergangenen Jahren wohl die aus ihm
       Halbjahr 2016 besonders ausgeprägt
                                                            geschöpften Produktivitätsgewinne immer wei-
Obwohl die Produktion in den meisten fortge-                ter zurückgegangen. Auch die Schwäche des
schrittenen Volkswirtschaften im ersten Halb-               Welthandels trat im ersten Halbjahr 2016 be-
jahr nur moderat ausgeweitet wurde, hat sich                sonders scharf zutage: Der Warenhandel ist ge-
die Lage auf den Arbeitsmärkten weiter ge-                 genüber dem zweiten Halbjahr 2015 sogar ge-
bessert: In den USA, im Euroraum und in Ja-                 sunken.
pan fielen die Arbeitslosenquoten leicht, und               Der Preisauftrieb war in vielen Ländern bis
die Beschäftigung stieg stärker als die Produkti-         zuletzt niedrig. Die Teuerungsrate lag im Eu-
on. In allen drei Wirtschaftsräumen war die Ar-            roraum und in den USA deutlich unter 1 Pro-
beitsproduktivität also rückläufig. Damit hat sich       zent, in Japan sanken die Preise in den vergange-
die Schwäche der Produktivitätsentwicklung der            nen Monaten wieder, und auch in China war der

                                                        3
Preisauftrieb verhältnismäßig gering. Zwar läuft       banken im Euroraum und in Japan ihren expan-
der dämpfende Effekt des vergangenen Roh-                siven geldpolitischen Kurs wohl bis auf weiteres
stoffpreisverfalls in den kommenden Monaten               fortsetzen.
aus, was zu einem deutlichen Wiederanstieg der
Inflationsrate führt. Aber der mäßige Lohnauf-          2.3   Finanzpolitik regt im Jahr 2016 an, in
trieb dürfte die Teuerung weiterhin bremsen und                Asien auch in den Folgejahren
die Inflation in vielen Ländern im Prognosezeit-
raum niedriger halten als von der Geldpolitik             Von der Finanzpolitik dürften in vielen Regio-
mittelfristig angestrebt.                                 nen zurzeit stützende Effekte auf die Konjunk-
                                                          tur ausgehen. Vor allem in China wurden Maß-
2.2   Geldpolitik wartet ab                               nahmen zur Stimulierung der Bauwirtschaft und
                                                          der Industrie beschlossen, von welchen noch bis
Vor dem Hintergrund der niedrigen Inflati-                ins Jahr 2017 hinein deutliche Impulse zu er-
onsraten ist die Geldpolitik in den großen                warten sind. Zudem ist mit zusätzlichen Maß-
Währungsräumen seit Längerem ausgesprochen             nahmen zu rechnen, sollte sich eine deutliche
expansiv ausgerichtet. Zuletzt verhielten sich            Abschwächung des Expansionstempos abzeich-
die Notenbanken dort mehrheitlich abwartend.              nen. In Japan wurde im Sommer ein weiteres
Lediglich die Bank von England lockerte ih-               großes Konjunkturprogramm angekündigt, das
ren Kurs nach der Volksabstimmung über den               vor allem im kommenden Jahr Impulse entfal-
EU-Austritt; sie senkte den Leitzins und weite-           ten dürfte. Im Euroraum dürfte die Finanzpolitik
te das Ankaufprogramm für Staatsanleihen aus.            im Jahr 2016 insgesamt gesehen expansiv aus-
Zudem machte sie deutlich, dass sie einer Ab-             gerichtet sein. Hier ist für die kommenden bei-
schwächung der Konjunktur mit weiteren geld-             den Jahre mit nachlassenden fiskalischen Impul-
politischen Maßnahmen begegnen würde. An-                sen zu rechnen, da in einigen Ländern wieder
dernorts wurde der geldpolitische Kurs dage-              stärker konsolidiert werden soll. Für die USA
gen kaum verändert: Die chinesische Noten-               sind angesichts der stärkeren Produktionsaus-
bank ließ der Senkung der Mindestreservesätze            weitung von der Finanzpolitik keine konjunk-
für Banken im Februar keine weiteren geld-               turstützenden Maßnahmen zu erwarten, so dass
politischen Maßnahmen folgen, und in Japan                das strukturelle Defizit dort im gesamten Pro-
wurde das Ankaufprogramm für Staatsanleihen              gnosezeitraum in etwa konstant bleibt.
nur geringfügig ausgeweitet. Die Europäische
Zentralbank hat bislang noch nicht über ei-              2.4   Ausblick
ne Verlängerung ihres Ankaufprogrammes für
Staatsanleihen entschieden. Die Notenbank der             Die vorliegenden Indikatoren deuten darauf hin,
USA beabsichtigt zwar, ihren Kurs der geldpoli-           dass die Weltkonjunktur im dritten Quartal 2016
tischen Straffung fortzusetzen, hat ihre nächste         deutlich angezogen hat. Im weiteren Prognose-
Zinserhöhung allerdings bereits mehrmals ver-            verlauf dürfte sich die Expansion in den fort-
schoben und auch auf ihrer jüngsten Sitzung              geschrittenen Volkswirtschaften dann mit etwas
im September nicht gehandelt. Bei der von den             geringerem Tempo fortsetzen. In den Schwel-
Instituten erwarteten robusten konjunkturellen            lenländern wird die Konjunktur im Allgemei-
Entwicklung in den USA dürfte der Leitzins im            nen an Fahrt gewinnen, allerdings dürften die
Prognosezeitraum aber allmählich weiter ange-            Stimulierungsmaßnahmen in China den dorti-
hoben werden. Hingegen werden die Zentral-                gen Trend zu niedrigeren Wachstumsraten nur

                                                      4
vorübergehend überlagern.                               rung, die etwa von Problemen in den Banken-
Getragen wird die weltwirtschaftliche Expansi-            sektoren Italiens und Portugals oder von den
on voraussichtlich weiterhin vom privaten Kon-            Konflikten in Anrainerstaaten des östlichen Mit-
sum. Die Beschäftigung in den USA, im Eu-                telmeers ausgeht, Verbraucher und Unterneh-
roraum und in Japan dürfte weiter spürbar               men dazu bewegen, weniger ausgabefreudig zu
steigen, wenngleich der Produktivitätsfortschritt        sein und so die gesamtwirtschaftliche Nachfra-
voraussichtlich wohl gering bleiben wird, so              ge dämpfen. Vor allem stellen aber die Fol-
dass die Löhne nur allmählich schneller stei-           gen der Entscheidung Großbritanniens über den
gen dürften. Zudem fallen die Kaufkraftgewin-            Austritt aus der EU ein Risiko dar. Da sich der
ne durch die niedrigen Ölpreise allmählich weg,         Austrittsprozess wohl hinziehen wird und unklar
was die Expansion des privaten Konsums wohl               bleibt, in welchem Maß der Gemeinsame Markt
bremsen dürfte.                                          dem Land in Zukunft offen stehen wird, könnte
Die Investitionsgüternachfrage dürfte angesichts        Großbritannien und in geringerem Maß auch die
der steigenden Kapazitätsauslastung und der Al-          übrige Europäische Union vor einer langen Pha-
terung des Kapitalstocks allmählich etwas zu-            se der Investitionszurückhaltung stehen.
nehmen. Dazu trägt auch bei, dass die Finan-
                                                          Die Entscheidung der britischen Bevölkerung,
zierungsbedingungen nach wie vor günstig sind
                                                          aus der EU auszutreten, ist auch Zeichen für
und sich im Prognosezeitraum kaum verschlech-
                                                          ein allgemeineres Risiko, nämlich für die in
tern dürften. Die Investitionstätigkeit wird aber
                                                          vielen Ländern der Welt zunehmend negati-
dadurch geschwächt, dass die Exportaussichten
                                                          ve Wahrnehmung von Globalisierungsprozessen
in die Schwellenländer von dem sich dort ab-
                                                          sowie die stärkere Betonung nationalstaatlicher
flachenden Wachstumstrend gedämpft werden.
                                                          Souveränität. Setzen sich diese Tendenzen po-
Auch wenn Brasilien und Russland die Rezes-
                                                          litisch durch, könnte es zu weiteren Desinte-
sion überwinden dürften, ist zu erwarten, dass
                                                          grationsschritten in der Weltwirtschaft kommen,
das Expansionstempo in diesen Ländern verhal-
                                                          die ein geringeres Wirtschaftswachstum zur Fol-
ten bleibt. In Großbritannien dürfte insbeson-
                                                          ge hätten. Die hiervon ausgehende Unsicherheit
dere die Investitionstätigkeit unter der Brexit-
                                                          über die zukünftigen institutionellen und regu-
Entscheidung leiden.
                                                          latorischen Rahmenbedingungen könnte bereits
                                                          im Vorfeld solcher Entwicklungen die Investiti-
2.5    Risiken                                            onsneigung der Unternehmen spürbar dämpfen.

Noch immer dominieren die Abwärtsrisiken für            Allerdings bestehen auch Aufwärtsrisiken. So
die Weltkonjunktur. So ist in China durch die             könnte die Stabilisierung der Weltwirtschaft am
jüngsten Fiskalmaßnahmen zwar die Produktion             aktuellen Rand einen Schub bei den Investi-
aktuell stimuliert worden, das Risiko eines wirt-         tionen auslösen. In vielen Ländern hat sich
schaftlichen Einbruchs in dem Land auf längere           nämlich aufgrund der bereits lange währenden
Sicht aber gestiegen. Denn ein Nebeneffekt der            Zurückhaltung bei den Investitionen das Durch-
dortigen expansiven Wirtschaftspolitik ist der            schnittsalter des Kapitalstocks merklich erhöht.
Aufbau hoher Verschuldung im Unternehmens-                Verbessern sich die Absatzerwartungen von Un-
sektor, und zwar gerade in Branchen, die zuneh-           ternehmen, dann könnten vermehrt notwendi-
mend mit sinkender Ertragskraft zu kämpfen ha-           ge Ersatzinvestitionen getätigt werden, die die
ben.                                                      Nachfrage stärker steigen lassen als in dieser
In der Europäischen Union könnte Verunsiche-            Prognose unterstellt.

                                                      5
3      Zur Methodik                                      Zunächst wird die Beschäftigungsquote mit ei-
                                                         nem univariaten Zeitreihenmodell bis in das
Die Konjunkturprognose und die Risikoszenari-            Jahr 2030 fortgeschrieben und anschließend
en werden mit Hilfe eines internationalen ma-            der H ODRICK -P RESCOTT-Filter (HP-Filter) an-
kroökonometrischen Modells erstellt. Es handelt         gewendet, um die Trendkomponente (ρ) und
sich dabei um ein Modell, das einen neoklas-             die zyklische Komponente (ρ̃) zu ermitteln.3
sischen Wachstumskern besitzt und kurzfristig            Die Trendkomponente der Erwerbspersonenzahl
einen neukeynesianischen Charakter hat. In dem           (N ) wird berechnet, indem die trendmäßige
Modell sind die Länder Deutschland, Österreich,        Beschäftigungsquote mit der Erwerbspersonen-
Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Tschechi-           zahl multipliziert wird, wobei für die Progno-
en, Portugal, Belgien, die Niederlande, Irland,          se die Vorausschätzung der Erwerbspersonen-
Großbritannien, Griechenland, die Türkei, Ka-           zahl durch die International Labour Organizati-
nada, Schweden, die USA, Mexiko, Brasilien,              on (ILO) zugrunde gelegt wird:4
Russland, Japan, China, Indien, Südkorea und
Australien abgebildet. Aus diesem Länderkreis                                N t = ρt × Pt .
stammen gut 80% der Weltproduktion an Gütern
und Dienstleistungen. Im folgenden Abschnitt
                                                         Die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität
3.1 wird zunächst der Wachstumskern des Mo-
                                                         wird ebenfalls zunächst mit Hilfe eines uni-
dells beschrieben, bevor die konjunkturelle Dy-
                                                         variaten Zeitreihenmodells (Random Walk mit
namik in Abschnitt 3.2 und die Berechnung der
                                                         Drift für die logarithmierte Arbeitsprodukti-
Risikoszenarien in Abschnitt 3.4 erläutert wer-
                                                         vität) bis in das Jahr 2030 fortgeschrieben,
den.
                                                         das heißt es wird eine konstante trendmäßige
                                                         Wachstumsrate unterstellt. Anschließend wird
3.1     Der Wachstumskern des
                                                         die Trendkomponente der Arbeitsproduktivität
        makroökonometrischen Modells
                                                         (A) wiederum mit dem HP-Filter bestimmt. Das
Bei       der    Spezifikation       des     ma-         trendmäßige Bruttoinlandsprodukt (Y , Produk-
kroökonometrischen      internationalen     Kon-        tionspotenzial) ergibt sich dann aus dem Pro-
junkturmodells wird davon ausgegangen, dass              dukt von trendmäßiger Arbeitsproduktivität und
die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in eine            trendmäßiger Anzahl der Erwerbspersonen:
Trendkomponente und in eine zyklische Kom-
                                                                              Y t = At × N t .
ponente (Konjunktur) zerlegt werden kann und
dass die einzelnen Länder individuellen langfris-
tigen Wachstumstrends folgen. Diese ergeben              Die Trend- und Zykluskomponenten des realen
sich basierend auf theoretischen Überlegungen           effektiven Wechselkurses (Z) und der Inflations-
aus der trendmäßigen Wachstumsrate der Ar-              rate (π) werden ebenfalls mit Hilfe von univaria-
beitsproduktivität (A) und der trendmäßigen            ten Zeitreihenmodellen und anschließender Ver-
Entwicklung der Erwerbstätigenzahl (N ). Diese          wendung des HP-Filters berechnet.
wird in die Komponenten Beschäftigungsquote
(ρ) und Erwerbspersonenzahl (P ) zerlegt:2

                                                            3
                 Nt = ρt × Pt .                                Siehe zum H ODRICK -P RESCOTT-Filter Hodrick und
                                                         Prescott (1997).
   2                                                         4
     Die Erwerbspersonenzahl ist die Summe aus Er-             Bei einer natürlichen Arbeitslosenquote ut gilt für die
werbstätigen und arbeitsuchenden Erwerbslosen.          trendmäßige Beschäftigungsquote: ρt = 1 − ut .

                                                     6
3.2   Die konjunkturelle Dynamik                                raten im In- und Ausland mit entsprechenden
                                                                Gewichten zur Berechnung herangezogen wer-
Während die trendmäßigen Verläufe der ma-                    den. Schließlich wird die Zinspolitik der Zentral-
kroökonomischen Variablen auf die zuvor be-                    bank mit Hilfe einer geldpolitischen Reaktions-
schriebene Weise unabhängig voneinander er-                    funktion abgebildet, in die der Auslastungsgrad
mittelt worden sind, folgt die konjunkturelle                   der Volkswirtschaft und die Abweichung der In-
Dynamik der wichtigsten makroökonomischen                      flationsrate von der trendmäßigen Inflationsra-
Variablen aus einem multivariaten Modell für                   te eingeht. Den Kern des Modells für die Pro-
die jeweiligen Abweichungen vom Trend. Da-                      gnose der konjunkturellen Dynamik bildet al-
zu wird die Produktionslücke (ỹ) als die re-                  so ein System mit den vier Variablen Produkti-
lative Abweichung vom trendmäßigen Brutto-                     onslücke, zyklische Komponente der Inflations-
inlandsprodukt und die zyklische Komponen-                      rate, realer effektiver Wechselkurs und Zinssatz
te der Inflationsrate (π̃) als absolute Abwei-                  für jedes Land, wobei die kurzfristigen Zinsen
chung von der trendmäßigen Inflationsrate defi-                in den Ländern der Euroraums aufgrund der ge-
niert. Im Einklang mit der neukeynesianischen                   meinsamen Geldpolitik identisch sind.6
makroökonomischen Theorie wird unterstellt,                    Die weiteren endogenen Variablen privater
dass Güterpreise eine gewisse Rigidität auf-                  Konsum, Arbeitslosenquote, Industrieprodukti-
weisen, so dass die Produktion kurzfristig von                  on und Kfz-Absatz werden mit Einzelgleichun-
der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage determi-                   gen modelliert, in die die jeweilige nationa-
niert wird. Die gesamtwirtschaftliche Nachfra-                  le wirtschaftliche Lage eingeht, insbesondere
ge hängt von den Einkommenserwartungen, dem                    das Bruttoinlandsprodukt. Das Modell hat somit
realen Zins, der internationalen preislichen Wett-              eine blockrekursive Struktur. Zunächst werden
bewerbsfähigkeit (gemessen anhand des rea-                     die zentralen makroökonomischen Variablen mit
len effektiven Wechselkurses) und der konjunk-                  Hilfe des internationalen Konjunkturmodells de-
turellen Situation im Ausland (gemessen an-                     terminiert, anschließend werden die zusätzlich
hand der handelsgewichteten Produktionslücke                   interessierenden Variablen aus den jeweiligen
der übrigen Länder) ab.5 Auf dieser Stufe wer-                nationalen Entwicklungen abgeleitet ohne dass
den also explizit internationale Verflechtungen                 privater Konsum, Arbeitslosenquote, Industrie-
berücksichtigt. Die Inflationsrate ergibt sich aus             produktion und Kfz-Absatz eine Rückwirkung
den Inflationserwartungen, dem Auslastungs-                     auf die Dynamik der anderen Variablen haben.
grad der Volkswirtschaft (gemessen anhand der                   Hier besteht zwar Potenzial, die Methodik zu
Produktionslücke) und der Veränderung des rea-                verfeinern; für den in dieser Studie verfolg-
len effektiven Wechselkurses, denn dieser be-                   ten Prognosezweck ist diese Vorgehensweise je-
einflusst die Preise ausländischer Güter, die in              doch grundsätzlich gut geeignet, weil von der
den inländischen Warenkorb eingehen. Der rea-                  Verfeinerung – wenn überhaupt – nur eine ge-
le Effektive Wechselkurs wird im Modell de-                     ringfügige Verringerung der Prognosefehler zu
terminiert, indem der nominale Wechselkurs als                  erwarten ist.
konstant unterstellt wird und dann die Inflations-

    5                                                               6
      In einer vorherigen Version des Modells wurde die               Das hier verwendete Modell basiert auf dem am IWH
konjunkturelle Dynamik eines Landes auch in direk-              entwickelten Halle Economic Projection Model (Giesen
ter Abhängigkeit vom langfristigen Zinssatz modelliert.        et al., 2012a), das für den hiesigen Einsatzzweck um wei-
Zu den direkten Einflüssen langfristiger Zinsen auf die        tere Länder ergänzt und in einer reduzierte-Form-Variante
Konjunktur bzw. indirekten Wirkungen über kurzfristige         mit klassischen ökonometrischen Methoden geschätzt wor-
Zinssätze besteht jedoch noch weiterer Forschungsbedarf.       den ist.

                                                            7
3.3      Die Modellierung der Zinsstruktur                            • Schätzung              des           ma-
                                                                        kroökonometrischen Modells
Die Leitzinsen werden über eine geldpoliti-
                                                                      • Prognose aller Variablen mit dem Mo-
sche Reaktionsfunktion bestimmt. Diese gibt
                                                                        dell
an, wie die Zentralbank den Kurzfristzins in
Abhängigkeit von Produktionslücke und In-                           • Ermittlung des Prognoseintervalls für
flation setzt. Ferner wird eine Verzögerung                            eine Referenzgröße (beispielsweise
der Anpassung des Zinses an sein Zielniveau                             deutsches reales Bruttoinlandspro-
berücksichtigt.                                                        dukt oder Summe der Bruttoinlands-
Sodann werden die Niveaus der Marktzinssätze                           produkte aller oder mehrerer Länder
unterschiedlicher Fristigkeit in Abhängigkeit                          im Modell)
vom Leitzins geschätzt. Die Modellierung                             • Ermittlung des 10% (1%)-Quantils
der Stützstellen der Zinsstruktur erfolgt unter                        der Referenzgröße
Berücksichtigung signifikanter Zusammenhänge
                                                                      • Simulation (bedingte Prognose) des
ihrer Dynamik und der Verläufe der kurzfristi-
                                                                        Modells basierend auf dem jeweiligen
gen Zinsen (dreimonatiger Geldmarktzins) und
                                                                        Quantil der Referenzgröße
der Renditen für zehnjährige Staatsanleihen. Für
die Dynamik der Zinsen (Z) gilt dabei:                                • Negativ- bzw. Positivszenario spie-
                                                                        gelt Unsicherheit bezüglich der ver-
                                                                        schiedenen Schocks im Modell und
        ∆Zt = α(β0 + Zt−1 + β1 × RZt−1 )                                bezüglich der geschätzten Modellpa-
              + γ∆RZt + t .                                            rameter wider, soweit diese sich auf
                                                                        die Referenzgröße auswirken
Referenzzins (RZ) für kurzfristige Zinsen ist
der dreimonatige Geldmarktzins, während sich                   2. Impulsantwortfolge
die langfristigen Renditen an der Rendite
zehnjähriger Staatsanleihen orientieren. Letzte-                     • Schätzung              des           ma-
re sind wiederum mit dem dreimonatigen Geld-                            kroökonometrischen Modells
marktzins kointegriert.7                                              • Prognose aller Variablen mit dem Mo-
                                                                        dell
3.4      Berechnung der Risikoszenarien                               • Ermittlung der Quantile (10%/1%) ei-
                                                                        ner festzulegenden Referenzgröße
Es werden zwei Negativszenarien ermittelt,
bei denen die Wahrscheinlichkeit einer noch                           • Kalibrierung      eines       spezifischen
ungünstigeren        konjunkturellen      Entwicklung                  Schocks      (beispielsweise     geldpoli-
10% bzw. 1% beträgt. Zudem wird ein Po-                                tischer   Schock,       Inflationsschock,
sitivszenario       betrachtet.    Hier    beträgt   die               Nachfrageschock), der zu den ent-
Wahrscheinlichkeit einer noch günstigeren                              sprechenden       Realisierungen      der
konjunkturellen Entwicklung 10%. Um solche                              Referenzgröße führt
Szenarien zu definieren, bestehen folgender                           • Simulation des Modells
Alternativen:                                                         • Szenario verdeutlicht die Folgen eines
                                                                        spezifischen Schocks
  1. Bedingte Simulation
   7
       Vgl. Campbell und Shiller (1987).                        3. Multivariate Verteilung

                                                            8
• Schätzung             des           ma-       tische Ausrichtung in den einzelnen Ländern.
           kroökonometrischen Modells                    Die Kurzfristzinsen als wesentliche Instrumen-
         • Prognose aller Variablen mit dem Mo-           te der Geldpolitik sind hingegen modellendo-
           dell                                           gen. Für die Wechselkurse wird nominale Kon-
                                                          stanz unterstellt. Dies ist für Konjunkturprogno-
         • Ermittlung der multivariaten Vertei-
                                                          sen gängige Praxis, weil die beste Kurzfrist-
           lung aller endogenen Variablen
                                                          prognose für einen nominalen Wechselkurs des-
         • Bestimmung des jeweiligen 10%                  sen gegenwärtiger Stand ist, wenn – wie ge-
           (1%)-Quantils anhand der multivaria-           genwärtig für den betrachteten Länderkreis –
           ten Verteilung                                 keine großen Inflationsdifferenzen vorliegen.
         • Szenario bildet die Unsicherheit               Die vorliegende Prognose stützt sich auf eine
           bezüglich der verschiedenen Schocks           Modellprognose, in die keine finanzpolitischen
           im     Modell    und    bezüglich   der       Impulse eingestellt sind. Denn die Finanzpoli-
           geschätzten Modellparameter wider,            tik dürfte zurzeit in den meisten Ländern keinen
           liefert aber nicht unbedingt ein               großen Einfluss auf die Konjunktur haben, auch
           konsistentes Szenario                          wenn die Finanzpolitik etwa im Euroraum im
                                                          Jahr 2016 leicht expansiv ausgerichtet ist (vgl.
Hier wird die Alternative 1, bedingte Simulati-
                                                          (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2016),
on, gewählt. Als Referenzgröße wird die Wachs-
                                                          S. 24). In den USA ist sie in etwa neutral.
tumsrate des über den betrachteten Länderkreis
aggregierten Bruttoinlandsprodukts verwendet.
Um mit dem Modell die entsprechenden Quan-                4.2   Die Basisprognose
tile dieser Referenzgröße zu simulieren, wird in
                                                          Unter den oben erläuterten Annahmen ergeben
den Nachfragegleichungen der einzelnen Länder
                                                          sich mit dem in Abschnitt 3 skizzierten ma-
jeweils ein allgemeiner Nachfrageschock ein-
                                                          kroökonometrischen Modell für die Konjunk-
gebaut, so dass sich in der Summe unter
                                                          tur der in dieser Studie betrachteten Länder in
Berücksichtigung der internationalen Verflech-
                                                          den Jahren 2016 und 2017 Prognosen (Tabelle
tungen die entsprechende Entwicklung des ag-
                                                          A.1), die sehr nahe an denen der Projektgrup-
gregierten realen Bruttoinlandsprodukts ergibt.
                                                          pe Gemeinschaftsdiagnose vom Oktober und
Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass die Sze-
                                                          auch an denen des IMF World Economic Out-
narien aus makroökonomischer Sicht konsistent
                                                          look (ebenfalls Oktober 2016) liegen.8 Ledig-
sind. Analog dazu werden beide Negativszenari-
                                                          lich für Japan ist der Produktionszuwachs mit
en ferner für alle im Modell enthaltenen Länder
                                                          1,5% im Jahr 2017 in vorliegender Prognose et-
einzeln simuliert.
                                                          was höher angesetzt als in der Gemeinschafts-
                                                          diagnose (0,8%). Dafür spricht der fiskalpoliti-
4     Konjunkturprognose im
                                                          sche Schwenk von einer restriktiven hin zu ei-
      Basisszenario
                                                          ner leicht expansiven Ausrichtung vom Sommer.
4.1    Annahmen für die Prognose                         Zudem ist die Konjunktur des wichtigen Han-
                                                          delspartners China im Herbst in etwas besserer
Die Annahmen über die exogenen Variablen                 Verfassung, als im Spätsommer erwartet wor-
sind in allen drei skizzierten Szenarien iden-            den war. Der weltwirtschaftliche Produktionszu-
tisch (siehe Abschnitt 4.2 und 5.1). Zu nen-                 8
                                                               Siehe Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2016),
nen sind die Wechselkurse und die finanzpoli-             und IMF: World Economic Outlook (2016).

                                                      9
wachs beträgt im Jahr 2016 2,5%. Im Jahr 2017                   5     Risikoszenarien
liegt er mit 2,9% etwas höher, vor allem, weil mit
einer kräftigeren Konjunktur in den USA und ei-                 5.1    Mittelschweres und schweres
nem Auslaufen der Rezessionen in Russland und                           Negativszenario und das Positivszenario
in Brasilien gerechnet wird.
                                                                 Im Folgenden wird auf Grundlage des ma-
Die vorliegende Studie gibt auch einen Ausblick                  kroökonometrischen      Modells   gezeigt,   mit
auf die weiteren weltwirtschaftlichen Perspekti-                 welcher gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
ven bis zum Jahr 2021. Auch der World Eco-                       für den betrachteten Länderkreis zu rechnen
nomic Outlook des IMF vom Oktober enthält                       ist, wenn die internationale Konjunktur im
neben den Prognosen für 2016 und 2017 sol-                      Jahr 2017 eine mittelschwere beziehungsweise
che für das Jahr 2021. Nach beiden Progno-                      schwere Krise trifft. Für eine schwere Krise,
sen erhöht sich das weltwirtschaftliche Wachs-                  das erste Risikoszenario, gilt, dass mit einer
tum nur leicht auf knapp        3%.9    Der Produkti-            noch schwächeren Entwicklung nur mit einer
onszuwachs Chinas schwächt sich dabei wei-                      Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen ist. Für
ter auf 5.4% im Jahr 2021 ab. Das globale                        das zweite Risikoszenario einer sehr schweren
Wirtschaftswachstum wird allerdings dadurch                      Wirtschaftskrise gilt, dass die Wahrscheinlich-
gestützt, dass auf die im Schnitt immer noch                    keit einer noch schwächeren Entwicklung 1%
besonders schnell wachsenden Schwellenländer                    beträgt. Für das Positivszenario gilt, dass mit
ein immer größerer Anteil an der Weltproduk-                    einer noch günstigeren Entwicklung nur mit
tion entfällt. Die kurz- und langfristigen Zin-                 einer Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen
sen sind im verwendeten Weltmodell endogen.                      ist. Maßstab ist die Jahreszuwachsrate des über
Im Modell steigen insbesondere die Kurzfrist-                    die betrachteten Volkswirtschaften aggregierten
zinsen in den entwickelten Volkswirtschaften im                  Bruttoinlandsprodukts.
Prognosezeitraum leicht an, denn die vielfach                    Im Fall eines mittelschweren Einbruchs bleibt
in etwa normal ausgelasteten Kapazitäten le-                    die Zuwachsrate der Weltproduktion im Jahr
gen leicht höhere Zinsen nahe. Sie bleiben aber                 2017 mit 1,2% um 1,7 Prozentpunkte unter der
auch nach der Modellprognose im nächsten Jahr                   Rate im Basisszenario, im Fall eines schweren
niedrig. Die Finanzmärkte erwarten vorsichtige                  Einbruchs mit -0,2% um 3,1 Prozentpunkte. Das
Zinsanhebungen in den USA, nicht jedoch für                     sind keine außerordentlich hohen Rückgänge,
den Euroraum und seit der Brexit-Entscheidung                    bedenkt man, dass die Weltproduktion im Kri-
auch nicht für Großbritannien. Nach vorliegen-                  senjahr 2009 um 2,1% zurückging. Nach der
der Prognose wären die kurzfristigen Zinsen                     kräftigen Erholung im Jahr 2010 ist die Weltpro-
auch mit 0.9% noch im Jahr 2018 ausgesprochen                    duktion einem mäßigen Trend bei recht gerin-
niedrig.                                                         gen Schwankungen gefolgt, und der Einbruch im
                                                                 Jahr 2009 ist ein historischer Ausnahmefall ge-
                                                                 blieben, dem nur die Große Depression ab 1929
                                                                 zur Seite gestellt werden kann. Denkbar ist al-
                                                                 lerdings, dass für die Weltproduktion ähnliches
   9
     Im Herbst 2015 gab es hier noch erhebliche Differen-
                                                                 gilt wie für etliche Größen, welche die Entwick-
zen: Während die Internationale Konjunkturprognose des
IWH im Auftrag von VWFS schon damals ein mittelfristig           lung auf den Finanzmärkten kennzeichnen: Ex-
in etwa konstantes Wachstum der Weltwirtschaft beinhal-
                                                                 treme Ausreißer könnten häufiger anfallen, als
tete, zog es gemäß IMF-Projektion recht erheblich auf 4%
im Jahr 2020 an.                                                 makroökonometrische Modelle dies nahelegen.

                                                            10
Die Zuwachsraten sind noch im Jahr 2018 deut-             che besonders konjunkturreagibel ist.
lich niedriger als im Basisszenario. Das ist aber         Das Positivszenario ist nahezu symmetrisch zum
vor allem eine Folge der schwachen Zuwachsra-             Szenario eines mittelschweren Einbruchs.
ten in der zweiten Hälfte des Jahres 2017, wel-
che auch noch das Produktionsniveau des Ge-
                                                          5.2   Länderspezifische Stressszenarien für
samtjahres 2018 relativ zum Vorjahr drücken. Im
                                                                das Jahr 2017
Jahr 2019 und in schwächerem Maß in den fol-
genden Jahren ist die Wachstumsdynamik dann               Die Analyse der Risikoszenarien in Abschnitt
höher, denn die freien Produktionskapazitäten           5.1 hat gezeigt, wie sehr die einzelnen Länder
werden nach und nach wieder ausgeschöpft. We-            von einem weltwirtschaftlichen Konjunkturein-
niger rasch würde sich die Weltwirtschaft er-            bruch betroffen wären. So liegt das deutsche
holen, wenn der Konjunktureinbruch strukturel-            Bruttoinlandsprodukt im Fall einer schweren
le Ursachen hätte, welche nicht rasch zu be-             weltwirtschaftlichen Krise im Jahr 2017 1,8 Pro-
heben sind. Das zeigt der Gang der Weltwirt-              zentpunkte unter dem Niveau im Basisszena-
schaft nach der Großen Rezession: Zwar er-                rio. Von Interesse ist aber auch, wie tief ei-
holte sich die Weltkonjunktur seit Mitte 2009             ne typische länderspezifische Krise in den ein-
überraschend schnell; die in der Finanzkrise auf-        zelnen Volkswirtschaften ausfällt. Zur Beant-
getretenen Probleme auf den Finanz- und Immo-             wortung dieser Frage werden für jedes Land
bilienmärkten sowie die Krisen der öffentlichen         jeweils zwei Szenarien betrachtet. Das Szena-
Finanzen haben die Wirtschaft in vielen fortge-           rio einer schweren Krise ist dadurch gekenn-
schrittenen Volkswirtschaften aber noch lange             zeichnet, dass mit einer noch schwächeren Ent-
belastet, zum Teil bis zum heutigen Tag.                  wicklung in dem betreffenden Land nur mit ei-
Es ist damit zu rechnen, dass sich die Produk-            ner Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen ist.
tionsverluste eines weltweiten Konjunkturein-             Für das zweite Risikoszenario einer sehr schwe-
bruchs nicht gleichmäßig über die Volkswirt-            ren Wirtschaftskrise gilt, dass die Wahrschein-
schaften verteilen (vgl. Tabellen A.1, A.2 und            lichkeit einer noch schwächeren Entwicklung
A.3). Gering betroffen wäre entsprechend den             1% beträgt. Maßstab ist die Jahreszuwachsra-
Stressszenarien China, wohl weil das chinesi-             te des Bruttoinlandsprodukts in dem betreffen-
sche Bruttoinlandsprodukt in der Vergangenheit            den Land. Um abzuschätzen, wie sich Industrie-
vergleichsweise geringen Schwankungen unter-              produktion, Arbeitslosenquote, privater Konsum
lag; von der Stabilität Chinas profitieren auch          und Inflation in dem jeweiligen Szenario entwi-
dessen wichtige Handelspartner Südkorea und              ckeln, werden für jedes Land jeweils zwei spezi-
Australien. Besonders stark sind dagegen mit              fische Simulationen des Weltmodells vorgenom-
Russland, Brasilien, Mexiko und der Türkei an-           men. Dabei wird in die Nachfragegleichung des
dere wichtige Schwellenländer betroffen. Diese           Landes ein allgemeiner Nachfrageschock einge-
Volkswirtschaften haben sich in der Vergangen-            baut, so dass unter Berücksichtigung der interna-
heit als vergleichsweise labil erwiesen. Deutsch-         tionalen Verflechtungen das reale Bruttoinland-
land ist mit einem Verlust an Zuwachs von                 sprodukt des Landes auf dem 10%- bzw. 1%-
1,8 Prozentpunkten im Fall eines schweren Ein-            Konfidenzband zu liegen kommt.
bruchs etwas stärker betroffen als der Durch-            Die Ergebnisse der länderspezifischen Simula-
schnitt aller Länder. Hier schlägt wohl zu Bu-          tionen finden sich in den Tabellen A.5 und A.6.
che, dass die deutsche Wirtschaft stark von der           Vergleicht man die Werte für die Veränderung
Nachfrage nach Investitionsgütern abhängt, wel-         des Bruttoinlandsprodukts mit denen des Ba-

                                                     11
sisszenarios, ist festzustellen, dass Irland, Grie-          5.3   Szenario eines tiefen
chenland, Russland und die Türkei von einer                       Wirtschaftseinbruchs in Italien
länderspezifischen Krise besonders stark betrof-
fen sind. Auf der anderen Seite weicht das Brut-             Ein Hauptrisiko für die Konjunktur in Europa
toinlandsprodukt im Krisenfall für Frankreich,              ist gegenwärtig die Möglichkeit, dass es zu ei-
Australien, Belgien und Kanada besonders we-                 nem Wirtschaftseinbruch in Italien kommt. Die
nig vom Basisszenario ab. Für Deutschland ist               italienische Volkswirtschaft ist schon länger in
der Produktionsverlust im Fall einer schweren                einer prekären Lage: Das Bruttoinlandsprodukt
deutschlandspezifischen Krise mit 3,4 Prozent-               ist real zurzeit nicht höher als im Jahr 2000, und
punkten etwas schwächer als im ungewichte-                  nach Schätzungen der EU-Kommission sinkt das
ten Mittel aller betrachteten Länder (3,7 Pro-              Produktionspotenzial des Landes seit dem Jahr
zentpunkte), während im Fall einer schweren                 2012. Die Arbeitslosenquote liegt seit über ei-
internationalen Krise der Produktionsverlust in              nem Jahr bei etwa 11 12 %. Außerordentlich hoch
Deutschland mit 1,8 Prozentpunkten in etwa                   ist die Verschuldung der öffentlichen Hand, re-
so hoch ist wie im Mittel aller Länder (1,9                 lativ zum Bruttoinlandsprodukt beträgt sie über
Prozentpunkte). Der Grund für diese Differenz               130%. In diesem Jahr dürfte das öffentliche De-
liegt in der starken internationalen Verflechtung            fizit bei etwa 2,4% relativ zum Bruttoinlandspro-
der deutschen Volkswirtschaft und insbesondere               dukt liegen, und der Budgetentwurf für nächstes
in der großen Bedeutung der exportorientierten               Jahr sieht keine wesentliche Rückführung des
deutschen Investitionsgüterindustrien, deren Ab-            Defizits vor. Allerdings ist aufgrund der Inter-
satz stark von der Verfassung der Weltkonjunk-               ventionen der EZB auf dem Kapitalmarkt die
tur abhängt. Auffallend ist die relative Stabilität        Finanzierung dieses Defizits zumindest derzeit
der angelsächsischen Länder USA, Großbritan-               kein Problem. Mit erheblichen Problemen hat
nien, Kanada und Australien. Sie könnte mit ei-             aber gegenwärtig der italienische Bankensek-
ner größeren Flexibilität dieser Volkswirtschaf-           tor zu kämpfen. Nicht zuletzt aufgrund von
ten erklärt werden.                                         realwirtschaftlicher Rezession und Stagnation
                                                             beläuft sich der Anteil notleidender Kredite am
                                                             gesamten Kreditvolumen der Banken auf etwa
Die länderspezifischen Szenarien erlauben auch              12%; er ist auch im Verlauf der jüngsten mo-
die Antwort auf die Frage, wie stark die deut-               deraten Erholung im Euroraum und in Italien
sche Wirtschaft von dem Wirtschaftseinbruch ei-              nicht zurückgegangen. Ist in nächster Zeit keine
nes bestimmten Landes betroffen ist. Es zeigt                Trendwende bei den notleidenden Krediten zu
sich, dass der über die Jahre ab 2017 kumulier-             erkennen, ist es denkbar, dass einige italienische
te Produktionsverlust in Deutschland bei einem               Banken öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen
schweren Einbruch der Konjunktur in den USA                  müssen. An solchen Hilfen müssten sich dann
und in Großbritannien mit 0,5 Prozentpunk-                   wohl auch private Gläubiger beteiligen, und die
ten am höchsten ist. Es folgen China und die                Verunsicherung von Unternehmen und Haushal-
Niederlande (0,3 Prozentpunkte). Auffallend ist              ten in Italien würde wohl sprunghaft steigen. Ein
ein relativ geringer Effekt einer Konjunkturkri-             anderer möglicher Auslöser eines Wirtschaft-
se in Frankreich (0,1 Prozentpunkte). Der Grund              seinbruchs in Italien wäre ein Machtgewinn von
dürfte darin liegen, dass eine typische Konjunk-            in den vergangenen Jahren erstarkten europakri-
turkrise in diesem Land deutlich weniger schwer              tischen Parteien, etwa wenn die Bürger in dem
ist als in den meisten anderen Ländern.                     für Anfang Dezember dieses Jahres angesetz-

                                                        12
ten Referendum die von der Regierung verfolgte                       ren wirkt die Zinssenkung dem dämpfenden Ef-
Verfassungsreform ablehnen.                                          fekt entgegen.11 Alles in allem legt im Fall ei-
In diesem Abschnitt wird deshalb der Frage                           nes Produktionseinbruchs in Italien um 6% im
nachgegangen, welche Auswirkungen ein Wirt-                          Jahr 2017 die Produktion im Euroraum mit 0,5%
schaftseinbruch in Italien auf andere Länder ins-                   statt mit 1,6% und im Jahr 2018 nur mit 0,6%
besondere in Europa hätte. Zu diesem Zweck                          statt mit 1,5% zu. Soll das Bruttoinlandspro-
wird die Produktion in Italien im Jahr 2017                          dukt im Euroraum um 1% sinken, also etwa so
mittels eines modellexogenen Schocks um 6                            stark, wie auf dem Höhepunkt der Schulden- und
Prozent zum Vorjahr reduziert. Im verwende-                          Vertrauenskrise im Jahr 2012, müssten die Part-
ten Weltmodell lässt die geringere Nachfrage                        nerländer von der unterstellten Krise in Italien
aus Italien die Exporte anderer Länder sin-                         stärker betroffen sein, etwa über Kanäle, die das
ken, umso mehr, je wichtiger Italien als Ziel-                       verwendete Modell nicht abbildet. Zu denken
land für die Ausfuhren einer Volkswirtschaft                        wäre etwa an Ansteckungseffekte wegen sinken-
ist. Der Auslastungsgrad der Wirtschaft sinkt,                       den Vertrauens in die Zukunft der europäischen
und die Zentralbank reagiert mit zusätzlichen                       politischen Institutionen. Es ist plausibel, an-
expansiven Maßnahmen, um die Wirkung des                             zunehmen, dass sich solche Schocks nicht ein-
negativen Schocks abzufedern. Vorwiegend ist                         fach entsprechend der jeweiligen Größen auf die
natürlich der Euroraum betroffen. Hier sinken                       Länder verteilen, sondern dass dabei eine Rol-
die kurzfristigen Zinsen im Jahr des Schocks                         le spielt, wie volatil die einzelnen Volkswirt-
um 0,3 Prozentpunkte und in den darauffolgen-                        schaften sind, etwa entsprechend der jeweiligen
den Jahren um etwa einen           Prozentpunkt.10       Et-         Stabilität ihrer Bankensektoren. Werden deshalb
wa halb so groß ist der Rückgang der langfris-                      die zusätzlichen Nachfrageschocks so auf die
tigen Zinsen. Auch wenn die geldpolitische Re-                       Euroraum-Länder verteilt, wie es der Volatilität
aktion die dämpfenden Effekte verringert, führt                    der Produktion in der Vergangenheit entspricht,
der Konjunktureinbruch in Italien bei den Nach-                      müsste das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland
barländern aufgrund der hohen Handelsverflech-                      im Jahr 2017 sogar leicht zurückgehen (-0,1%),
tungen zu deutlich geringeren Zuwachsraten des                       statt wie im Basisszenario um 1,7% zu stei-
Bruttoinlandsprodukts, besonders im Jahr 2018.                       gen (vgl. A.8). Die weniger volatile französische
Der Verlust beträgt in diesem Jahr für Griechen-                   Produktion verliert gegenüber dem Basisszena-
land fast 2 Prozentpunkte, für Spanien 0,7 Pro-                     rio nur reichlich einen Prozentpunkt (0,2% statt
zentpunkte und für Österreich 0,5 Prozentpunk-                     1,3%).
te, für Frankreich 0,2 Prozentpunkte. Für die
Produktion in Deutschland sind keine negativen
                                                                     5.4    Szenario eines langjährigen
Folgen zu sehen. Dafür gibt es zwei Ursachen:
                                                                            weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit
Zunächst lag der Anteil nach Italien exportier-
                                                                            Zinserhöhungen einhergeht
ter Güter an den deutschen Ausfuhren im Jahr
2015 nur bei 4,8%, wogegen er etwa bei den spa-                      Zuletzt     werden       die     Auswirkungen          von
nischen und französischen Ausfuhren über 7%                        Veränderungen         der      Zinsen        auf      ma-
und für Griechenland 11% betrug. Zum ande-                          kroökonomische Variablen simuliert. Es wird
  10
      Der kurzfristige Zinssatz wird also sehr deutlich nega-        ein Szenario betrachtet, in dem ein mehrjähriger
tiv. Falls die EZB die mit deutlich negativen Zinsen verbun-
                                                                       11
denen Probleme vermeiden wollte, könnte sie stattdessen                  Die im Modell geschätzte Elastizität der Produkti-
durch erhöhte Interventionen am Kapitalmarkt den lang-              onslücke nach dem Zinssatz ist für Deutschland größer als
fristigen Zinssatz drücken.                                         etwa für Spanien und Frankreich.

                                                                13
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