Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner - Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021 ...
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IWH Online 3/2017 Dezember 2017 Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021
IWH Online 3/2017 Impressum In der Reihe „IWH Online“ erscheinen aktuelle Manuskripte der IWH-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler zeitnah online. Die Bände umfassen Gutachten, Studien, Analysen und Berichterstattungen. Kontakt Professor Dr. Oliver Holtemöller Tel +49 345 77 53 800 Fax +49 345 77 53 799 E-Mail: oliver.holtemoeller@iwh-halle.de Bearbeiter Dr. Andrej Drygalla Professor Dr. Oliver Holtemöller Dr. Axel Lindner Diese Studie wurde von der Volkswagen Financial Services AG in Auftrag gegeben und finanziert. Herausgeber Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Geschäftsführender Vorstand Prof. Reint E. Gropp, Ph.D. Prof. Dr. Oliver Holtemöller Dr. Tankred Schuhmann Hausanschrift Kleine Märkerstraße 8 D-06108 Halle (Saale) Postanschrift Postfach 11 03 61 D-06017 Halle (Saale) Tel +49 345 7753 60 Fax +49 345 7753 820 www.iwh-halle.de Alle Rechte vorbehalten Zitierhinweis Drygalla, Andrej; Holtemöller, Oliver; Lindner, Axel: Internationale Konjunkturprognose und kon- junkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021. IWH Online 3/2017. Halle (Saale) 2017. ISSN 2195-7169 II
IWH Online 3/2017 Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2016 bis 2021 Halle (Saale), 28.10.2016 III
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Stressszenarien für die Jahre 2016 bis 2021 Zusammenfassung szenario) wird anhand grundlegender volkswirt- schaftlicher Kennzahlen, etwa der Zuwachsra- In der vorliegenden Studie werden zunächst te des Bruttoinlandsprodukts, beschrieben. Es die weltweiten konjunkturellen Aussichten für wird auch die Entwicklung für den Fall skiz- das Ende des Jahres 2016 und für die Jahre ziert, dass die Weltwirtschaft eine ungünstige, 2017 bis 2021 dargestellt. Dabei wird folgender eine sehr ungünstige Wendung (mittelschweres Länderkreis betrachtet: Deutschland, Österreich, und schweres Negativszenario), oder auch eine Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande, günstige Wendung nimmt (Positivszenario). Das Belgien, Griechenland, Portugal, Irland, Groß- mittelschwere Negativszenario ist so gewählt, britannien, Schweden, Polen, Tschechien, Russ- dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in der land, USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Türkei, betrachteten Ländergruppe im Jahr 2016 gemäß Japan, Südkorea, China, Indien und Australien. der aus dem Modell resultierenden Wahrschein- Die Weltkonjunktur dürfte im dritten Quar- lichkeitsverteilung nur mit einer Wahrschein- tal 2016 deutlich angezogen haben. Im wei- lichkeit von 10% noch geringer ausfällt; das teren Prognoseverlauf dürfte sich die Expan- schwere Negativszenario ist so gewählt, dass sion mit etwas geringerem Tempo fortsetzen. sich mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1% ei- In den Schwellenländern wird die Konjunktur ne noch geringere Produktion realisieren dürfte. im Allgemeinen an Fahrt gewinnen, allerdings Das Positivszenario wird schließlich so gewählt, dürften die Stimulierungsmaßnahmen in China dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von nur den dortigen Trend zu niedrigeren Wachstums- 10% zu einer noch höheren Produktion in der ge- raten nur vorübergehend überlagern. Getragen nannten Ländergruppe kommen dürfte. wird die weltwirtschaftliche Expansion voraus- Im Basisszenario liegt der weltwirtschaftliche sichtlich weiterhin vom privaten Konsum. Die Produktionszuwachs im Jahr 2016 bei 2,5%. Im Beschäftigung in den USA, im Euroraum und in Jahr 2017 liegt er mit 2,9% etwas höher, vor Japan dürfte weiter spürbar steigen. Allerdings allem, weil mit einer kräftigeren Konjunktur in fallen die Kaufkraftgewinne durch die zuvor ge- den USA und einem Auslaufen der Rezessionen fallenen Ölpreise allmählich weg. in Russland und in Brasilien gerechnet wird. Im Die Entscheidung der britischen Bevölkerung, Fall eines mittelschweren Einbruchs bleibt die aus der EU auszutreten, ist auch Zeichen für die Zuwachsrate der Weltproduktion im Jahr 2017 in vielen Ländern der Welt zunehmend nega- mit 1,2% um 1,7 Prozentpunkte unter der Rate tive Wahrnehmung von Globalisierungsprozes- im Basisszenario, im Fall eines schweren Ein- sen. Setzt sich diese Tendenz politisch durch, bruchs mit -0,2% um 3,1 Prozentpunkte. Re- könnte es zu weiteren Desintegrationsschritten lativ gering betroffen wäre entsprechend den in der Weltwirtschaft kommen, die ein geringe- Stressszenarien China. Besonders stark sind da- res Wirtschaftswachstum zur Folge hätten. gegen mit Russland, Brasilien, Mexiko und der Die wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwick- Türkei andere wichtige Schwellenländer betrof- lung in dem betrachteten Länderkreis (Basis- fen. Deutschland ist mit einem Verlust an Zu-
wachs von 1,8% im Fall eines schweren Ein- Hochzinspolitik wieder herzustellen auch unter bruchs etwas stärker betroffen als der Durch- Inkaufnahme einer längeren Phase gesamtwirt- schnitt aller Länder. Hier schlägt wohl zu Bu- schaftlicher Unterauslastung. Besonders stark che, dass die deutsche Wirtschaft stark von der würde im Vergleich mit dem schweren Ne- Nachfrage nach Investitionsgütern abhängt, wel- gativszenario die Produktion in Griechenland che besonders konjunkturreagibel ist. und Irland getroffen werden, also in Volks- Die länderspezifischen Szenarien erlauben auch wirtschaften, die sich in der Großen Rezession die Antwort auf die Frage, wie stark die deut- als labil gezeigt haben. Aber auch Deutschland sche Wirtschaft von dem Wirtschaftseinbruch ei- und Großbritannien wären überdurchschnittlich nes bestimmten Landes betroffen ist. Der über stark betroffen. Die britische Wirtschaft reagiert die Jahre ab 2017 kumulierte Produktionsverlust typischerweise besonders stark auf Schwankun- in Deutschland ist bei einem schweren Einbruch gen des heimischen Zinsniveaus, und die deut- der Konjunktur in den USA und in Großbritan- sche Konjunktur dürfte auf Schwankungen des nien am höchsten; es folgen China und die Nie- Weltzinsniveaus stärker reagieren als die meis- derlande. Auffallend ist ein relativ geringer Ef- ten anderen Volkswirtschaften, denn weltweit fekt einer Konjunkturkrise im großen Nachbar- höhere Zinsen dürften besonders stark die Nach- land Frankreich. frage nach Investitionsgütern dämpfen, für die Ein Hauptrisiko für die Konjunktur in Europa Deutschland ein wichtiger Anbieter ist. ist gegenwärtig die Möglichkeit, dass es zu ei- nem Wirtschaftseinbruch in Italien kommt. Des- halb wird der Frage nachgegangen, welche Aus- wirkungen ein Wirtschaftseinbruch in Italien auf andere Länder insbesondere in Europa hätte. Die Produktionsverluste wären für Griechen- land, Spanien und Österreich besonders hoch. Für die Produktion in Deutschland sind keine negativen Folgen zu sehen. Dafür gibt es zwei Ursachen: Zunächst ist der Anteil nach Italien exportierter Güter an den deutschen Ausfuhren deutlich geringer als im Fall der oben genann- ten Länder. Zum anderen dämpft die EZB durch zusätzliche expansive Maßnahmen die negativen Effekte des italienischen Wirtschaftseinbruchs für den Euroraum. Zuletzt wird ein Szenario betrachtet, in dem ein mehrjähriger weltwirtschaftlicher Wirtschaft- seinbruch mit einer deutlichen Erhöhung der Zinsen einhergeht. Ein solches Szenario könnte sich etwa aus einem Verlust an Vertrauen von Unternehmen und Haushalten in die Stabi- litätsorientierung der Geldpolitik entwickeln. In einem solchen Fall können die Zentralbanken gezwungen sein, ihre Reputation durch eine
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Die Lage der Weltwirtschaft im Herbst 2016 2 2.1 Schwäche von Produktivität, Investitionen und Welthandel im ersten Halbjahr 2016 be- sonders ausgeprägt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.2 Geldpolitik wartet ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.3 Finanzpolitik regt im Jahr 2016 an, in Asien auch in den Folgejahren . . . . . . . . . . . 4 2.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.5 Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3 Zur Methodik 6 3.1 Der Wachstumskern des makroökonometrischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3.2 Die konjunkturelle Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.3 Die Modellierung der Zinsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.4 Berechnung der Risikoszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4 Konjunkturprognose im Basisszenario 9 4.1 Annahmen für die Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4.2 Die Basisprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 5 Risikoszenarien 10 5.1 Mittelschweres und schweres Negativszenario und das Positivszenario . . . . . . . . . . 10 5.2 Länderspezifische Stressszenarien für das Jahr 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 5.3 Szenario eines tiefen Wirtschaftseinbruchs in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 5.4 Szenario eines langjährigen weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit Zinserhöhungen ein- hergeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A Anhang 16
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Stressszenarien für die Jahre 2016 bis 2021 1 Einleitung teten Ländergruppe im Jahr 2017 noch gerin- ger ausfällt, der zweite Fall wird so gewählt, In der vorliegenden Studie werden zunächst dass mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1% die weltweiten konjunkturellen Aussichten für sich eine noch geringere Produktion realisie- das Ende des Jahres 2016 und für die Jahre ren dürfte. Schließlich bedeutet das Positivsze- 2017 bis 2021 dargestellt. Dabei wird folgender nario, dass die gesamtwirtschaftliche Produkti- Länderkreis betrachtet: Deutschland, Österreich, on nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande, noch höher ausfallen wird. Die auf diese Weise Belgien, Griechenland, Portugal, Irland, Groß- präzise definierten Risikoszenarien eignen sich britannien, Schweden, Polen, Tschechien, Russ- auch als makroökonomische Basis für Stresssze- land, USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Türkei, narien von Unternehmen, deren wirtschaftliche Japan, Südkorea, China, Indien und Australi- Situation wesentlich von der Entwicklung der en. Es werden auch Szenarien einer ungünstigen gesamtwirtschaftlichen Produktion des betrach- und einer außerordentlich ungünstigen konjunk- teten Länderkreises abhängt. turellen Entwicklung dargestellt. In einem zwei- Die Konjunkturbilder werden anhand der fol- ten Teil der Studie geht es um die zu erwar- genden volkswirtschaftlichen Kennzahlen um- tenden Effekte eines Einbruchs der Aktivität in rissen: jährliche Veränderung des Bruttoinlands- Italien und um das Szenario einer ungünstigen produkts und des privaten Konsums, Arbeits- weltwirtschaftlichen Entwicklung, die beson- losenquote, kurzfristiger Zinssatz und lang- ders lange andauert. fristige Rendite von Staatsanleihen, Inflation Die Studie beginnt mit einer Beschreibung der gemessen am Verbraucherpreisindex, jährliche wahrscheinlichsten wirtschaftlichen Entwick- Veränderung der Industrieproduktion sowie Kfz- lung. Darüber hinaus werden Konjunkturbil- Absatz. Bei der Herleitung der Szenarien wer- der für die Fälle gezeichnet, dass die weltwirt- den die Wechselwirkungen zwischen den ver- schaftliche Entwicklung eine ungünstige (mittel- schiedenen Regionen berücksichtigt. Für jedes schweres Negativszenario), eine sehr ungünstige der vier Szenarien (Basisszenario, mittelschwe- Wendung (schweres Negativszenario), oder ei- res Negativszenario, schweres Negativszenario, ne günstige Wendung nimmt (Positivszena- Positivszenario) wird beschrieben, welche Ent- rio). Weil die Prognosen der Studie aus ei- wicklung für die betrachteten Länder in den Jah- nem makroökonometrischen Modell für die in- ren bis 2021 zu erwarten wäre. ternationale Konjunktur gewonnen werden, kann Daraufhin werden die gemäß dem Weltmodell präzise definiert werden, was unter günstig“ zu erwartenden Effekte eines Einbruchs der ” und ungünstig“ zu verstehen ist: Der erste Fall Wirtschaftsleistung in Italien auf die internatio- ” bedeutet, dass nur mit einer Wahrscheinlichkeit nale Konjunktur und insbesondere auf die in den von 10% gemäß der im verwendeten Modell ge- europäischen Nachbarländern beschrieben. nerierten Wahrscheinlichkeitsverteilung die ge- Schließlich wird das Szenario eines mindes- samtwirtschaftliche Produktion in der betrach- tens dreijährigen weltweiten Konjunkturein- 1
bruchs bei zugleich steigenden Zinsen darge- dürfte die Produktion inzwischen wieder stärker stellt. Es zeigt sich, dass ein Anstieg der welt- ausgeweitet werden, und die Konjunktur in den weiten Zinsen um etwa eineinhalb Prozentpunk- Schwellenländern stabilisiert sich weiter. In der te über drei Jahre den Zuwachs der Produktion Grundtendenz ist die weltwirtschaftliche Dyna- im zweiten Jahr stärker als im schweren Nega- mik allerdings nach wie vor geringer als in den tivszenario drücken würde. Diese Aussage gilt Jahren vor der Großen Rezession. Darin schlägt allgemein für die internationale Konjunktur. Zu sich wohl auch ein geringeres Potenzialwachs- den von den Zinsen überdurchschnittlich stark tum nieder. betroffenen Ländern gehören Deutschland und Vor allem für die USA zeichnet sich ein An- Großbritannien ziehen der Produktion ab, nachdem der Zu- Der Aufbau der Studie ist wie folgt: In Ab- wachs des Bruttoinlandsprodukts im ersten schnitt 2 wird die Lage der Weltwirtschaft im Halbjahr recht niedrig war. Dafür, dass die Herbst 2016 dargestellt, wobei es im Abschnitt US-Wirtschaft bereits im dritten Quartal deut- 2.5 um die derzeit wichtigsten Risiken für die lich beschleunigt zugelegt hat, sprechen der Weltkonjunktur geht. Danach wird das ma- trendmäßige Anstieg der Industrieproduktion kroökonometrische Modell skizziert (Abschnitt seit dem Frühjahr und die anhaltend kräftige 3), mit dem die Prognose, die beiden Negativs- Zunahme der Beschäftigung. In Japan dürfte zenarien und das Positivszenario hergeleitet wer- die Wirtschaft durch neue Konjunkturprogram- den (Abschnitt 4). me stimuliert werden, auch wenn die deutliche Darauf werden länderspezifische Risikoszena- Aufwertung des Yen dämpfend wirkt. Für den rien dargestellt (Abschnitt 5.2). Dem folgt die Euroraum deuten Stimmungsindikatoren darauf Analyse von zu erwartenden Effekten eines Ein- hin, dass sich die Erholung im Sommer in we- bruchs der Wirtschaftsleistung in Italien sowie nig verändertem Tempo fortgesetzt hat. In China eines Einbruchs in Italien, der mit geringeren wurde die Produktion bereits im zweiten Quar- negativen Schocks in allen großen Euroraum- tal deutlich stärker ausgeweitet als in den drei Ländern einhergeht (Abschnitt 5.3). Schließlich Monaten zuvor. Hier schlugen sich die expan- stellt die Studie das Szenario einer ungünstigen siven wirtschaftspolitischen Maßnahmen nieder, weltwirtschaftlichen Entwicklung dar, die be- mit denen die Regierung auf die konjunkturel- sonders lange, nämlich drei Jahre über andauert, le Schwäche zu Jahresbeginn reagiert hat. Die und die mit einem starken Anstieg der Zinsen davon ausgehenden Impulse dürften auch in der einhergeht (Abschnitt 5.4). zweiten Jahreshälfte spürbar sein. Für Russland und Brasilien, Länder, die sich in der Rezessi- 2 Die Lage der Weltwirtschaft im on befanden, gibt es Anzeichen, dass sich die Herbst 2016 konjunkturelle Lage bessert. Dazu dürften stei- gende Exporterlöse aufgrund eines Wiederanzie- Die Weltwirtschaft hat sich im Sommer dieses hens der Rohstoffpreise seit Jahresbeginn beige- Jahres belebt, nachdem der Produktionsanstieg tragen haben. in der ersten Jahreshälfte sehr verhalten gewesen Die verstärkt steigende Nachfrage aus Chi- war.1 In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften na, aber auch die kräftige Expansion der in- 1 dischen Wirtschaft haben dazu beigetragen, Der Abschnitt ist eine aktualisierte Fassung des Überblickskapitels zum internationalen Teil des Herbst- dass der Preis für Rohöl, der zu Jahres- gutachtens der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose vom beginn unter 30 US-Dollar je Barrel gefal- Oktober. An dem Gutachten hat das IWH mitgewirkt (Pro- jektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2016). len war, in den vergangenen Monaten wie- 2
der gestiegen ist. Dagegen dürften die Versu- vergangenen Jahre noch verschärft. Für den che von Ölproduzenten, die Rohölpreise durch schwachen Produktivitätstrend kommt eine Rei- Absprachen über Fördermengen zu stützen, he von Ursachen in Frage, etwa eine Ver- nur vorübergehende Effekte haben. Dafür dass langsamung der Rate des technischen Fort- die gestiegenen Rohstoffpreise vor allem auf schritts. Auch haben die Anlageinvestitionen nachfrageseitige Faktoren zurückzuführen sind, und damit die Kapitalintensität der Produkti- spricht auch der jüngste Anstieg der beson- on in den vergangenen Jahren deutlich weni- ders konjunkturreagiblen Preise für Metalle und ger als in den Jahrzehnten zuvor zugelegt. Im Kohle. Für den Prognosezeitraum ist zu er- ersten Halbjahr 2016 sind die Unternehmensin- warten, dass die Rohstoffpreise weiter leicht vestitionen in Japan und den USA sogar gesun- anziehen. Während die davon ausgehenden ken, im Euroraum legten die Anlageinvestitio- dämpfenden Effekte in den Industrieländern mo- nen (ohne Wohnungsbau) in etwa im Gleich- derat sein dürften, wird die konjunkturelle Er- schritt mit der gesamtwirtschaftlichen Produk- holung in den rohstoffexportierenden Schwel- tion zu. Angesichts des weltweit sehr nied- lenländern unterstützt. rigen Zinsniveaus ist die Investitionsschwäche Indes sind durch die Entscheidung Großbritan- zunächst bemerkenswert. Dass die langfristigen niens, die Europäische Union zu verlassen, neue Zinsen auf Tiefstständen liegen (für Staatsan- Belastungen für die internationale Konjunktur leihen von Ländern wie Deutschland, Frank- entstanden. Schon auf kurze Sicht dürften die reich und Japan sogar im negativen Bereich), getrübten Erwartungen der Unternehmen die ist freilich nicht nur der Geldpolitik zuzuschrei- wirtschaftliche Entwicklung in Großbritannien ben, sondern auch einem verbreiteten Wachs- hemmen. Dadurch wird allerdings die weltweite tumspessimismus. Denn im Zins spiegelt sich Konjunktur nur geringfügig beeinträchtigt wer- auch wider, wie das zukünftige Wachstum und den. Auf längere Frist drohen Wachstumsver- damit die Rendite von Sachinvestitionen ein- luste für Großbritannien und den Rest der Eu- geschätzt werden. Eine weitere mögliche Ursa- ropäischen Union, wenn der Austritt eine Desin- che für die Produktivitätsschwäche könnte ein tegration der beiden Wirtschaftsräume zur Folge Nachlassen des Trends zur verstärkten interna- hat. tionalen Arbeitsteilung sein. Dies spiegelt sich auch in einer schwächeren Dynamik des Welt- handels wider. Mit der Verlangsamung des Glo- 2.1 Schwäche von Produktivität, balisierungsprozesses in der Produktion sind Investitionen und Welthandel im ersten in den vergangenen Jahren wohl die aus ihm Halbjahr 2016 besonders ausgeprägt geschöpften Produktivitätsgewinne immer wei- Obwohl die Produktion in den meisten fortge- ter zurückgegangen. Auch die Schwäche des schrittenen Volkswirtschaften im ersten Halb- Welthandels trat im ersten Halbjahr 2016 be- jahr nur moderat ausgeweitet wurde, hat sich sonders scharf zutage: Der Warenhandel ist ge- die Lage auf den Arbeitsmärkten weiter ge- genüber dem zweiten Halbjahr 2015 sogar ge- bessert: In den USA, im Euroraum und in Ja- sunken. pan fielen die Arbeitslosenquoten leicht, und Der Preisauftrieb war in vielen Ländern bis die Beschäftigung stieg stärker als die Produkti- zuletzt niedrig. Die Teuerungsrate lag im Eu- on. In allen drei Wirtschaftsräumen war die Ar- roraum und in den USA deutlich unter 1 Pro- beitsproduktivität also rückläufig. Damit hat sich zent, in Japan sanken die Preise in den vergange- die Schwäche der Produktivitätsentwicklung der nen Monaten wieder, und auch in China war der 3
Preisauftrieb verhältnismäßig gering. Zwar läuft banken im Euroraum und in Japan ihren expan- der dämpfende Effekt des vergangenen Roh- siven geldpolitischen Kurs wohl bis auf weiteres stoffpreisverfalls in den kommenden Monaten fortsetzen. aus, was zu einem deutlichen Wiederanstieg der Inflationsrate führt. Aber der mäßige Lohnauf- 2.3 Finanzpolitik regt im Jahr 2016 an, in trieb dürfte die Teuerung weiterhin bremsen und Asien auch in den Folgejahren die Inflation in vielen Ländern im Prognosezeit- raum niedriger halten als von der Geldpolitik Von der Finanzpolitik dürften in vielen Regio- mittelfristig angestrebt. nen zurzeit stützende Effekte auf die Konjunk- tur ausgehen. Vor allem in China wurden Maß- 2.2 Geldpolitik wartet ab nahmen zur Stimulierung der Bauwirtschaft und der Industrie beschlossen, von welchen noch bis Vor dem Hintergrund der niedrigen Inflati- ins Jahr 2017 hinein deutliche Impulse zu er- onsraten ist die Geldpolitik in den großen warten sind. Zudem ist mit zusätzlichen Maß- Währungsräumen seit Längerem ausgesprochen nahmen zu rechnen, sollte sich eine deutliche expansiv ausgerichtet. Zuletzt verhielten sich Abschwächung des Expansionstempos abzeich- die Notenbanken dort mehrheitlich abwartend. nen. In Japan wurde im Sommer ein weiteres Lediglich die Bank von England lockerte ih- großes Konjunkturprogramm angekündigt, das ren Kurs nach der Volksabstimmung über den vor allem im kommenden Jahr Impulse entfal- EU-Austritt; sie senkte den Leitzins und weite- ten dürfte. Im Euroraum dürfte die Finanzpolitik te das Ankaufprogramm für Staatsanleihen aus. im Jahr 2016 insgesamt gesehen expansiv aus- Zudem machte sie deutlich, dass sie einer Ab- gerichtet sein. Hier ist für die kommenden bei- schwächung der Konjunktur mit weiteren geld- den Jahre mit nachlassenden fiskalischen Impul- politischen Maßnahmen begegnen würde. An- sen zu rechnen, da in einigen Ländern wieder dernorts wurde der geldpolitische Kurs dage- stärker konsolidiert werden soll. Für die USA gen kaum verändert: Die chinesische Noten- sind angesichts der stärkeren Produktionsaus- bank ließ der Senkung der Mindestreservesätze weitung von der Finanzpolitik keine konjunk- für Banken im Februar keine weiteren geld- turstützenden Maßnahmen zu erwarten, so dass politischen Maßnahmen folgen, und in Japan das strukturelle Defizit dort im gesamten Pro- wurde das Ankaufprogramm für Staatsanleihen gnosezeitraum in etwa konstant bleibt. nur geringfügig ausgeweitet. Die Europäische Zentralbank hat bislang noch nicht über ei- 2.4 Ausblick ne Verlängerung ihres Ankaufprogrammes für Staatsanleihen entschieden. Die Notenbank der Die vorliegenden Indikatoren deuten darauf hin, USA beabsichtigt zwar, ihren Kurs der geldpoli- dass die Weltkonjunktur im dritten Quartal 2016 tischen Straffung fortzusetzen, hat ihre nächste deutlich angezogen hat. Im weiteren Prognose- Zinserhöhung allerdings bereits mehrmals ver- verlauf dürfte sich die Expansion in den fort- schoben und auch auf ihrer jüngsten Sitzung geschrittenen Volkswirtschaften dann mit etwas im September nicht gehandelt. Bei der von den geringerem Tempo fortsetzen. In den Schwel- Instituten erwarteten robusten konjunkturellen lenländern wird die Konjunktur im Allgemei- Entwicklung in den USA dürfte der Leitzins im nen an Fahrt gewinnen, allerdings dürften die Prognosezeitraum aber allmählich weiter ange- Stimulierungsmaßnahmen in China den dorti- hoben werden. Hingegen werden die Zentral- gen Trend zu niedrigeren Wachstumsraten nur 4
vorübergehend überlagern. rung, die etwa von Problemen in den Banken- Getragen wird die weltwirtschaftliche Expansi- sektoren Italiens und Portugals oder von den on voraussichtlich weiterhin vom privaten Kon- Konflikten in Anrainerstaaten des östlichen Mit- sum. Die Beschäftigung in den USA, im Eu- telmeers ausgeht, Verbraucher und Unterneh- roraum und in Japan dürfte weiter spürbar men dazu bewegen, weniger ausgabefreudig zu steigen, wenngleich der Produktivitätsfortschritt sein und so die gesamtwirtschaftliche Nachfra- voraussichtlich wohl gering bleiben wird, so ge dämpfen. Vor allem stellen aber die Fol- dass die Löhne nur allmählich schneller stei- gen der Entscheidung Großbritanniens über den gen dürften. Zudem fallen die Kaufkraftgewin- Austritt aus der EU ein Risiko dar. Da sich der ne durch die niedrigen Ölpreise allmählich weg, Austrittsprozess wohl hinziehen wird und unklar was die Expansion des privaten Konsums wohl bleibt, in welchem Maß der Gemeinsame Markt bremsen dürfte. dem Land in Zukunft offen stehen wird, könnte Die Investitionsgüternachfrage dürfte angesichts Großbritannien und in geringerem Maß auch die der steigenden Kapazitätsauslastung und der Al- übrige Europäische Union vor einer langen Pha- terung des Kapitalstocks allmählich etwas zu- se der Investitionszurückhaltung stehen. nehmen. Dazu trägt auch bei, dass die Finan- Die Entscheidung der britischen Bevölkerung, zierungsbedingungen nach wie vor günstig sind aus der EU auszutreten, ist auch Zeichen für und sich im Prognosezeitraum kaum verschlech- ein allgemeineres Risiko, nämlich für die in tern dürften. Die Investitionstätigkeit wird aber vielen Ländern der Welt zunehmend negati- dadurch geschwächt, dass die Exportaussichten ve Wahrnehmung von Globalisierungsprozessen in die Schwellenländer von dem sich dort ab- sowie die stärkere Betonung nationalstaatlicher flachenden Wachstumstrend gedämpft werden. Souveränität. Setzen sich diese Tendenzen po- Auch wenn Brasilien und Russland die Rezes- litisch durch, könnte es zu weiteren Desinte- sion überwinden dürften, ist zu erwarten, dass grationsschritten in der Weltwirtschaft kommen, das Expansionstempo in diesen Ländern verhal- die ein geringeres Wirtschaftswachstum zur Fol- ten bleibt. In Großbritannien dürfte insbeson- ge hätten. Die hiervon ausgehende Unsicherheit dere die Investitionstätigkeit unter der Brexit- über die zukünftigen institutionellen und regu- Entscheidung leiden. latorischen Rahmenbedingungen könnte bereits im Vorfeld solcher Entwicklungen die Investiti- 2.5 Risiken onsneigung der Unternehmen spürbar dämpfen. Noch immer dominieren die Abwärtsrisiken für Allerdings bestehen auch Aufwärtsrisiken. So die Weltkonjunktur. So ist in China durch die könnte die Stabilisierung der Weltwirtschaft am jüngsten Fiskalmaßnahmen zwar die Produktion aktuellen Rand einen Schub bei den Investi- aktuell stimuliert worden, das Risiko eines wirt- tionen auslösen. In vielen Ländern hat sich schaftlichen Einbruchs in dem Land auf längere nämlich aufgrund der bereits lange währenden Sicht aber gestiegen. Denn ein Nebeneffekt der Zurückhaltung bei den Investitionen das Durch- dortigen expansiven Wirtschaftspolitik ist der schnittsalter des Kapitalstocks merklich erhöht. Aufbau hoher Verschuldung im Unternehmens- Verbessern sich die Absatzerwartungen von Un- sektor, und zwar gerade in Branchen, die zuneh- ternehmen, dann könnten vermehrt notwendi- mend mit sinkender Ertragskraft zu kämpfen ha- ge Ersatzinvestitionen getätigt werden, die die ben. Nachfrage stärker steigen lassen als in dieser In der Europäischen Union könnte Verunsiche- Prognose unterstellt. 5
3 Zur Methodik Zunächst wird die Beschäftigungsquote mit ei- nem univariaten Zeitreihenmodell bis in das Die Konjunkturprognose und die Risikoszenari- Jahr 2030 fortgeschrieben und anschließend en werden mit Hilfe eines internationalen ma- der H ODRICK -P RESCOTT-Filter (HP-Filter) an- kroökonometrischen Modells erstellt. Es handelt gewendet, um die Trendkomponente (ρ) und sich dabei um ein Modell, das einen neoklas- die zyklische Komponente (ρ̃) zu ermitteln.3 sischen Wachstumskern besitzt und kurzfristig Die Trendkomponente der Erwerbspersonenzahl einen neukeynesianischen Charakter hat. In dem (N ) wird berechnet, indem die trendmäßige Modell sind die Länder Deutschland, Österreich, Beschäftigungsquote mit der Erwerbspersonen- Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Tschechi- zahl multipliziert wird, wobei für die Progno- en, Portugal, Belgien, die Niederlande, Irland, se die Vorausschätzung der Erwerbspersonen- Großbritannien, Griechenland, die Türkei, Ka- zahl durch die International Labour Organizati- nada, Schweden, die USA, Mexiko, Brasilien, on (ILO) zugrunde gelegt wird:4 Russland, Japan, China, Indien, Südkorea und Australien abgebildet. Aus diesem Länderkreis N t = ρt × Pt . stammen gut 80% der Weltproduktion an Gütern und Dienstleistungen. Im folgenden Abschnitt Die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität 3.1 wird zunächst der Wachstumskern des Mo- wird ebenfalls zunächst mit Hilfe eines uni- dells beschrieben, bevor die konjunkturelle Dy- variaten Zeitreihenmodells (Random Walk mit namik in Abschnitt 3.2 und die Berechnung der Drift für die logarithmierte Arbeitsprodukti- Risikoszenarien in Abschnitt 3.4 erläutert wer- vität) bis in das Jahr 2030 fortgeschrieben, den. das heißt es wird eine konstante trendmäßige Wachstumsrate unterstellt. Anschließend wird 3.1 Der Wachstumskern des die Trendkomponente der Arbeitsproduktivität makroökonometrischen Modells (A) wiederum mit dem HP-Filter bestimmt. Das Bei der Spezifikation des ma- trendmäßige Bruttoinlandsprodukt (Y , Produk- kroökonometrischen internationalen Kon- tionspotenzial) ergibt sich dann aus dem Pro- junkturmodells wird davon ausgegangen, dass dukt von trendmäßiger Arbeitsproduktivität und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in eine trendmäßiger Anzahl der Erwerbspersonen: Trendkomponente und in eine zyklische Kom- Y t = At × N t . ponente (Konjunktur) zerlegt werden kann und dass die einzelnen Länder individuellen langfris- tigen Wachstumstrends folgen. Diese ergeben Die Trend- und Zykluskomponenten des realen sich basierend auf theoretischen Überlegungen effektiven Wechselkurses (Z) und der Inflations- aus der trendmäßigen Wachstumsrate der Ar- rate (π) werden ebenfalls mit Hilfe von univaria- beitsproduktivität (A) und der trendmäßigen ten Zeitreihenmodellen und anschließender Ver- Entwicklung der Erwerbstätigenzahl (N ). Diese wendung des HP-Filters berechnet. wird in die Komponenten Beschäftigungsquote (ρ) und Erwerbspersonenzahl (P ) zerlegt:2 3 Nt = ρt × Pt . Siehe zum H ODRICK -P RESCOTT-Filter Hodrick und Prescott (1997). 2 4 Die Erwerbspersonenzahl ist die Summe aus Er- Bei einer natürlichen Arbeitslosenquote ut gilt für die werbstätigen und arbeitsuchenden Erwerbslosen. trendmäßige Beschäftigungsquote: ρt = 1 − ut . 6
3.2 Die konjunkturelle Dynamik raten im In- und Ausland mit entsprechenden Gewichten zur Berechnung herangezogen wer- Während die trendmäßigen Verläufe der ma- den. Schließlich wird die Zinspolitik der Zentral- kroökonomischen Variablen auf die zuvor be- bank mit Hilfe einer geldpolitischen Reaktions- schriebene Weise unabhängig voneinander er- funktion abgebildet, in die der Auslastungsgrad mittelt worden sind, folgt die konjunkturelle der Volkswirtschaft und die Abweichung der In- Dynamik der wichtigsten makroökonomischen flationsrate von der trendmäßigen Inflationsra- Variablen aus einem multivariaten Modell für te eingeht. Den Kern des Modells für die Pro- die jeweiligen Abweichungen vom Trend. Da- gnose der konjunkturellen Dynamik bildet al- zu wird die Produktionslücke (ỹ) als die re- so ein System mit den vier Variablen Produkti- lative Abweichung vom trendmäßigen Brutto- onslücke, zyklische Komponente der Inflations- inlandsprodukt und die zyklische Komponen- rate, realer effektiver Wechselkurs und Zinssatz te der Inflationsrate (π̃) als absolute Abwei- für jedes Land, wobei die kurzfristigen Zinsen chung von der trendmäßigen Inflationsrate defi- in den Ländern der Euroraums aufgrund der ge- niert. Im Einklang mit der neukeynesianischen meinsamen Geldpolitik identisch sind.6 makroökonomischen Theorie wird unterstellt, Die weiteren endogenen Variablen privater dass Güterpreise eine gewisse Rigidität auf- Konsum, Arbeitslosenquote, Industrieprodukti- weisen, so dass die Produktion kurzfristig von on und Kfz-Absatz werden mit Einzelgleichun- der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage determi- gen modelliert, in die die jeweilige nationa- niert wird. Die gesamtwirtschaftliche Nachfra- le wirtschaftliche Lage eingeht, insbesondere ge hängt von den Einkommenserwartungen, dem das Bruttoinlandsprodukt. Das Modell hat somit realen Zins, der internationalen preislichen Wett- eine blockrekursive Struktur. Zunächst werden bewerbsfähigkeit (gemessen anhand des rea- die zentralen makroökonomischen Variablen mit len effektiven Wechselkurses) und der konjunk- Hilfe des internationalen Konjunkturmodells de- turellen Situation im Ausland (gemessen an- terminiert, anschließend werden die zusätzlich hand der handelsgewichteten Produktionslücke interessierenden Variablen aus den jeweiligen der übrigen Länder) ab.5 Auf dieser Stufe wer- nationalen Entwicklungen abgeleitet ohne dass den also explizit internationale Verflechtungen privater Konsum, Arbeitslosenquote, Industrie- berücksichtigt. Die Inflationsrate ergibt sich aus produktion und Kfz-Absatz eine Rückwirkung den Inflationserwartungen, dem Auslastungs- auf die Dynamik der anderen Variablen haben. grad der Volkswirtschaft (gemessen anhand der Hier besteht zwar Potenzial, die Methodik zu Produktionslücke) und der Veränderung des rea- verfeinern; für den in dieser Studie verfolg- len effektiven Wechselkurses, denn dieser be- ten Prognosezweck ist diese Vorgehensweise je- einflusst die Preise ausländischer Güter, die in doch grundsätzlich gut geeignet, weil von der den inländischen Warenkorb eingehen. Der rea- Verfeinerung – wenn überhaupt – nur eine ge- le Effektive Wechselkurs wird im Modell de- ringfügige Verringerung der Prognosefehler zu terminiert, indem der nominale Wechselkurs als erwarten ist. konstant unterstellt wird und dann die Inflations- 5 6 In einer vorherigen Version des Modells wurde die Das hier verwendete Modell basiert auf dem am IWH konjunkturelle Dynamik eines Landes auch in direk- entwickelten Halle Economic Projection Model (Giesen ter Abhängigkeit vom langfristigen Zinssatz modelliert. et al., 2012a), das für den hiesigen Einsatzzweck um wei- Zu den direkten Einflüssen langfristiger Zinsen auf die tere Länder ergänzt und in einer reduzierte-Form-Variante Konjunktur bzw. indirekten Wirkungen über kurzfristige mit klassischen ökonometrischen Methoden geschätzt wor- Zinssätze besteht jedoch noch weiterer Forschungsbedarf. den ist. 7
3.3 Die Modellierung der Zinsstruktur • Schätzung des ma- kroökonometrischen Modells Die Leitzinsen werden über eine geldpoliti- • Prognose aller Variablen mit dem Mo- sche Reaktionsfunktion bestimmt. Diese gibt dell an, wie die Zentralbank den Kurzfristzins in Abhängigkeit von Produktionslücke und In- • Ermittlung des Prognoseintervalls für flation setzt. Ferner wird eine Verzögerung eine Referenzgröße (beispielsweise der Anpassung des Zinses an sein Zielniveau deutsches reales Bruttoinlandspro- berücksichtigt. dukt oder Summe der Bruttoinlands- Sodann werden die Niveaus der Marktzinssätze produkte aller oder mehrerer Länder unterschiedlicher Fristigkeit in Abhängigkeit im Modell) vom Leitzins geschätzt. Die Modellierung • Ermittlung des 10% (1%)-Quantils der Stützstellen der Zinsstruktur erfolgt unter der Referenzgröße Berücksichtigung signifikanter Zusammenhänge • Simulation (bedingte Prognose) des ihrer Dynamik und der Verläufe der kurzfristi- Modells basierend auf dem jeweiligen gen Zinsen (dreimonatiger Geldmarktzins) und Quantil der Referenzgröße der Renditen für zehnjährige Staatsanleihen. Für die Dynamik der Zinsen (Z) gilt dabei: • Negativ- bzw. Positivszenario spie- gelt Unsicherheit bezüglich der ver- schiedenen Schocks im Modell und ∆Zt = α(β0 + Zt−1 + β1 × RZt−1 ) bezüglich der geschätzten Modellpa- + γ∆RZt + t . rameter wider, soweit diese sich auf die Referenzgröße auswirken Referenzzins (RZ) für kurzfristige Zinsen ist der dreimonatige Geldmarktzins, während sich 2. Impulsantwortfolge die langfristigen Renditen an der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen orientieren. Letzte- • Schätzung des ma- re sind wiederum mit dem dreimonatigen Geld- kroökonometrischen Modells marktzins kointegriert.7 • Prognose aller Variablen mit dem Mo- dell 3.4 Berechnung der Risikoszenarien • Ermittlung der Quantile (10%/1%) ei- ner festzulegenden Referenzgröße Es werden zwei Negativszenarien ermittelt, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer noch • Kalibrierung eines spezifischen ungünstigeren konjunkturellen Entwicklung Schocks (beispielsweise geldpoli- 10% bzw. 1% beträgt. Zudem wird ein Po- tischer Schock, Inflationsschock, sitivszenario betrachtet. Hier beträgt die Nachfrageschock), der zu den ent- Wahrscheinlichkeit einer noch günstigeren sprechenden Realisierungen der konjunkturellen Entwicklung 10%. Um solche Referenzgröße führt Szenarien zu definieren, bestehen folgender • Simulation des Modells Alternativen: • Szenario verdeutlicht die Folgen eines spezifischen Schocks 1. Bedingte Simulation 7 Vgl. Campbell und Shiller (1987). 3. Multivariate Verteilung 8
• Schätzung des ma- tische Ausrichtung in den einzelnen Ländern. kroökonometrischen Modells Die Kurzfristzinsen als wesentliche Instrumen- • Prognose aller Variablen mit dem Mo- te der Geldpolitik sind hingegen modellendo- dell gen. Für die Wechselkurse wird nominale Kon- stanz unterstellt. Dies ist für Konjunkturprogno- • Ermittlung der multivariaten Vertei- sen gängige Praxis, weil die beste Kurzfrist- lung aller endogenen Variablen prognose für einen nominalen Wechselkurs des- • Bestimmung des jeweiligen 10% sen gegenwärtiger Stand ist, wenn – wie ge- (1%)-Quantils anhand der multivaria- genwärtig für den betrachteten Länderkreis – ten Verteilung keine großen Inflationsdifferenzen vorliegen. • Szenario bildet die Unsicherheit Die vorliegende Prognose stützt sich auf eine bezüglich der verschiedenen Schocks Modellprognose, in die keine finanzpolitischen im Modell und bezüglich der Impulse eingestellt sind. Denn die Finanzpoli- geschätzten Modellparameter wider, tik dürfte zurzeit in den meisten Ländern keinen liefert aber nicht unbedingt ein großen Einfluss auf die Konjunktur haben, auch konsistentes Szenario wenn die Finanzpolitik etwa im Euroraum im Jahr 2016 leicht expansiv ausgerichtet ist (vgl. Hier wird die Alternative 1, bedingte Simulati- (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2016), on, gewählt. Als Referenzgröße wird die Wachs- S. 24). In den USA ist sie in etwa neutral. tumsrate des über den betrachteten Länderkreis aggregierten Bruttoinlandsprodukts verwendet. Um mit dem Modell die entsprechenden Quan- 4.2 Die Basisprognose tile dieser Referenzgröße zu simulieren, wird in Unter den oben erläuterten Annahmen ergeben den Nachfragegleichungen der einzelnen Länder sich mit dem in Abschnitt 3 skizzierten ma- jeweils ein allgemeiner Nachfrageschock ein- kroökonometrischen Modell für die Konjunk- gebaut, so dass sich in der Summe unter tur der in dieser Studie betrachteten Länder in Berücksichtigung der internationalen Verflech- den Jahren 2016 und 2017 Prognosen (Tabelle tungen die entsprechende Entwicklung des ag- A.1), die sehr nahe an denen der Projektgrup- gregierten realen Bruttoinlandsprodukts ergibt. pe Gemeinschaftsdiagnose vom Oktober und Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass die Sze- auch an denen des IMF World Economic Out- narien aus makroökonomischer Sicht konsistent look (ebenfalls Oktober 2016) liegen.8 Ledig- sind. Analog dazu werden beide Negativszenari- lich für Japan ist der Produktionszuwachs mit en ferner für alle im Modell enthaltenen Länder 1,5% im Jahr 2017 in vorliegender Prognose et- einzeln simuliert. was höher angesetzt als in der Gemeinschafts- diagnose (0,8%). Dafür spricht der fiskalpoliti- 4 Konjunkturprognose im sche Schwenk von einer restriktiven hin zu ei- Basisszenario ner leicht expansiven Ausrichtung vom Sommer. 4.1 Annahmen für die Prognose Zudem ist die Konjunktur des wichtigen Han- delspartners China im Herbst in etwas besserer Die Annahmen über die exogenen Variablen Verfassung, als im Spätsommer erwartet wor- sind in allen drei skizzierten Szenarien iden- den war. Der weltwirtschaftliche Produktionszu- tisch (siehe Abschnitt 4.2 und 5.1). Zu nen- 8 Siehe Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2016), nen sind die Wechselkurse und die finanzpoli- und IMF: World Economic Outlook (2016). 9
wachs beträgt im Jahr 2016 2,5%. Im Jahr 2017 5 Risikoszenarien liegt er mit 2,9% etwas höher, vor allem, weil mit einer kräftigeren Konjunktur in den USA und ei- 5.1 Mittelschweres und schweres nem Auslaufen der Rezessionen in Russland und Negativszenario und das Positivszenario in Brasilien gerechnet wird. Im Folgenden wird auf Grundlage des ma- Die vorliegende Studie gibt auch einen Ausblick kroökonometrischen Modells gezeigt, mit auf die weiteren weltwirtschaftlichen Perspekti- welcher gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ven bis zum Jahr 2021. Auch der World Eco- für den betrachteten Länderkreis zu rechnen nomic Outlook des IMF vom Oktober enthält ist, wenn die internationale Konjunktur im neben den Prognosen für 2016 und 2017 sol- Jahr 2017 eine mittelschwere beziehungsweise che für das Jahr 2021. Nach beiden Progno- schwere Krise trifft. Für eine schwere Krise, sen erhöht sich das weltwirtschaftliche Wachs- das erste Risikoszenario, gilt, dass mit einer tum nur leicht auf knapp 3%.9 Der Produkti- noch schwächeren Entwicklung nur mit einer onszuwachs Chinas schwächt sich dabei wei- Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen ist. Für ter auf 5.4% im Jahr 2021 ab. Das globale das zweite Risikoszenario einer sehr schweren Wirtschaftswachstum wird allerdings dadurch Wirtschaftskrise gilt, dass die Wahrscheinlich- gestützt, dass auf die im Schnitt immer noch keit einer noch schwächeren Entwicklung 1% besonders schnell wachsenden Schwellenländer beträgt. Für das Positivszenario gilt, dass mit ein immer größerer Anteil an der Weltproduk- einer noch günstigeren Entwicklung nur mit tion entfällt. Die kurz- und langfristigen Zin- einer Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen sen sind im verwendeten Weltmodell endogen. ist. Maßstab ist die Jahreszuwachsrate des über Im Modell steigen insbesondere die Kurzfrist- die betrachteten Volkswirtschaften aggregierten zinsen in den entwickelten Volkswirtschaften im Bruttoinlandsprodukts. Prognosezeitraum leicht an, denn die vielfach Im Fall eines mittelschweren Einbruchs bleibt in etwa normal ausgelasteten Kapazitäten le- die Zuwachsrate der Weltproduktion im Jahr gen leicht höhere Zinsen nahe. Sie bleiben aber 2017 mit 1,2% um 1,7 Prozentpunkte unter der auch nach der Modellprognose im nächsten Jahr Rate im Basisszenario, im Fall eines schweren niedrig. Die Finanzmärkte erwarten vorsichtige Einbruchs mit -0,2% um 3,1 Prozentpunkte. Das Zinsanhebungen in den USA, nicht jedoch für sind keine außerordentlich hohen Rückgänge, den Euroraum und seit der Brexit-Entscheidung bedenkt man, dass die Weltproduktion im Kri- auch nicht für Großbritannien. Nach vorliegen- senjahr 2009 um 2,1% zurückging. Nach der der Prognose wären die kurzfristigen Zinsen kräftigen Erholung im Jahr 2010 ist die Weltpro- auch mit 0.9% noch im Jahr 2018 ausgesprochen duktion einem mäßigen Trend bei recht gerin- niedrig. gen Schwankungen gefolgt, und der Einbruch im Jahr 2009 ist ein historischer Ausnahmefall ge- blieben, dem nur die Große Depression ab 1929 zur Seite gestellt werden kann. Denkbar ist al- lerdings, dass für die Weltproduktion ähnliches 9 Im Herbst 2015 gab es hier noch erhebliche Differen- gilt wie für etliche Größen, welche die Entwick- zen: Während die Internationale Konjunkturprognose des IWH im Auftrag von VWFS schon damals ein mittelfristig lung auf den Finanzmärkten kennzeichnen: Ex- in etwa konstantes Wachstum der Weltwirtschaft beinhal- treme Ausreißer könnten häufiger anfallen, als tete, zog es gemäß IMF-Projektion recht erheblich auf 4% im Jahr 2020 an. makroökonometrische Modelle dies nahelegen. 10
Die Zuwachsraten sind noch im Jahr 2018 deut- che besonders konjunkturreagibel ist. lich niedriger als im Basisszenario. Das ist aber Das Positivszenario ist nahezu symmetrisch zum vor allem eine Folge der schwachen Zuwachsra- Szenario eines mittelschweren Einbruchs. ten in der zweiten Hälfte des Jahres 2017, wel- che auch noch das Produktionsniveau des Ge- 5.2 Länderspezifische Stressszenarien für samtjahres 2018 relativ zum Vorjahr drücken. Im das Jahr 2017 Jahr 2019 und in schwächerem Maß in den fol- genden Jahren ist die Wachstumsdynamik dann Die Analyse der Risikoszenarien in Abschnitt höher, denn die freien Produktionskapazitäten 5.1 hat gezeigt, wie sehr die einzelnen Länder werden nach und nach wieder ausgeschöpft. We- von einem weltwirtschaftlichen Konjunkturein- niger rasch würde sich die Weltwirtschaft er- bruch betroffen wären. So liegt das deutsche holen, wenn der Konjunktureinbruch strukturel- Bruttoinlandsprodukt im Fall einer schweren le Ursachen hätte, welche nicht rasch zu be- weltwirtschaftlichen Krise im Jahr 2017 1,8 Pro- heben sind. Das zeigt der Gang der Weltwirt- zentpunkte unter dem Niveau im Basisszena- schaft nach der Großen Rezession: Zwar er- rio. Von Interesse ist aber auch, wie tief ei- holte sich die Weltkonjunktur seit Mitte 2009 ne typische länderspezifische Krise in den ein- überraschend schnell; die in der Finanzkrise auf- zelnen Volkswirtschaften ausfällt. Zur Beant- getretenen Probleme auf den Finanz- und Immo- wortung dieser Frage werden für jedes Land bilienmärkten sowie die Krisen der öffentlichen jeweils zwei Szenarien betrachtet. Das Szena- Finanzen haben die Wirtschaft in vielen fortge- rio einer schweren Krise ist dadurch gekenn- schrittenen Volkswirtschaften aber noch lange zeichnet, dass mit einer noch schwächeren Ent- belastet, zum Teil bis zum heutigen Tag. wicklung in dem betreffenden Land nur mit ei- Es ist damit zu rechnen, dass sich die Produk- ner Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen ist. tionsverluste eines weltweiten Konjunkturein- Für das zweite Risikoszenario einer sehr schwe- bruchs nicht gleichmäßig über die Volkswirt- ren Wirtschaftskrise gilt, dass die Wahrschein- schaften verteilen (vgl. Tabellen A.1, A.2 und lichkeit einer noch schwächeren Entwicklung A.3). Gering betroffen wäre entsprechend den 1% beträgt. Maßstab ist die Jahreszuwachsra- Stressszenarien China, wohl weil das chinesi- te des Bruttoinlandsprodukts in dem betreffen- sche Bruttoinlandsprodukt in der Vergangenheit den Land. Um abzuschätzen, wie sich Industrie- vergleichsweise geringen Schwankungen unter- produktion, Arbeitslosenquote, privater Konsum lag; von der Stabilität Chinas profitieren auch und Inflation in dem jeweiligen Szenario entwi- dessen wichtige Handelspartner Südkorea und ckeln, werden für jedes Land jeweils zwei spezi- Australien. Besonders stark sind dagegen mit fische Simulationen des Weltmodells vorgenom- Russland, Brasilien, Mexiko und der Türkei an- men. Dabei wird in die Nachfragegleichung des dere wichtige Schwellenländer betroffen. Diese Landes ein allgemeiner Nachfrageschock einge- Volkswirtschaften haben sich in der Vergangen- baut, so dass unter Berücksichtigung der interna- heit als vergleichsweise labil erwiesen. Deutsch- tionalen Verflechtungen das reale Bruttoinland- land ist mit einem Verlust an Zuwachs von sprodukt des Landes auf dem 10%- bzw. 1%- 1,8 Prozentpunkten im Fall eines schweren Ein- Konfidenzband zu liegen kommt. bruchs etwas stärker betroffen als der Durch- Die Ergebnisse der länderspezifischen Simula- schnitt aller Länder. Hier schlägt wohl zu Bu- tionen finden sich in den Tabellen A.5 und A.6. che, dass die deutsche Wirtschaft stark von der Vergleicht man die Werte für die Veränderung Nachfrage nach Investitionsgütern abhängt, wel- des Bruttoinlandsprodukts mit denen des Ba- 11
sisszenarios, ist festzustellen, dass Irland, Grie- 5.3 Szenario eines tiefen chenland, Russland und die Türkei von einer Wirtschaftseinbruchs in Italien länderspezifischen Krise besonders stark betrof- fen sind. Auf der anderen Seite weicht das Brut- Ein Hauptrisiko für die Konjunktur in Europa toinlandsprodukt im Krisenfall für Frankreich, ist gegenwärtig die Möglichkeit, dass es zu ei- Australien, Belgien und Kanada besonders we- nem Wirtschaftseinbruch in Italien kommt. Die nig vom Basisszenario ab. Für Deutschland ist italienische Volkswirtschaft ist schon länger in der Produktionsverlust im Fall einer schweren einer prekären Lage: Das Bruttoinlandsprodukt deutschlandspezifischen Krise mit 3,4 Prozent- ist real zurzeit nicht höher als im Jahr 2000, und punkten etwas schwächer als im ungewichte- nach Schätzungen der EU-Kommission sinkt das ten Mittel aller betrachteten Länder (3,7 Pro- Produktionspotenzial des Landes seit dem Jahr zentpunkte), während im Fall einer schweren 2012. Die Arbeitslosenquote liegt seit über ei- internationalen Krise der Produktionsverlust in nem Jahr bei etwa 11 12 %. Außerordentlich hoch Deutschland mit 1,8 Prozentpunkten in etwa ist die Verschuldung der öffentlichen Hand, re- so hoch ist wie im Mittel aller Länder (1,9 lativ zum Bruttoinlandsprodukt beträgt sie über Prozentpunkte). Der Grund für diese Differenz 130%. In diesem Jahr dürfte das öffentliche De- liegt in der starken internationalen Verflechtung fizit bei etwa 2,4% relativ zum Bruttoinlandspro- der deutschen Volkswirtschaft und insbesondere dukt liegen, und der Budgetentwurf für nächstes in der großen Bedeutung der exportorientierten Jahr sieht keine wesentliche Rückführung des deutschen Investitionsgüterindustrien, deren Ab- Defizits vor. Allerdings ist aufgrund der Inter- satz stark von der Verfassung der Weltkonjunk- ventionen der EZB auf dem Kapitalmarkt die tur abhängt. Auffallend ist die relative Stabilität Finanzierung dieses Defizits zumindest derzeit der angelsächsischen Länder USA, Großbritan- kein Problem. Mit erheblichen Problemen hat nien, Kanada und Australien. Sie könnte mit ei- aber gegenwärtig der italienische Bankensek- ner größeren Flexibilität dieser Volkswirtschaf- tor zu kämpfen. Nicht zuletzt aufgrund von ten erklärt werden. realwirtschaftlicher Rezession und Stagnation beläuft sich der Anteil notleidender Kredite am gesamten Kreditvolumen der Banken auf etwa Die länderspezifischen Szenarien erlauben auch 12%; er ist auch im Verlauf der jüngsten mo- die Antwort auf die Frage, wie stark die deut- deraten Erholung im Euroraum und in Italien sche Wirtschaft von dem Wirtschaftseinbruch ei- nicht zurückgegangen. Ist in nächster Zeit keine nes bestimmten Landes betroffen ist. Es zeigt Trendwende bei den notleidenden Krediten zu sich, dass der über die Jahre ab 2017 kumulier- erkennen, ist es denkbar, dass einige italienische te Produktionsverlust in Deutschland bei einem Banken öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen schweren Einbruch der Konjunktur in den USA müssen. An solchen Hilfen müssten sich dann und in Großbritannien mit 0,5 Prozentpunk- wohl auch private Gläubiger beteiligen, und die ten am höchsten ist. Es folgen China und die Verunsicherung von Unternehmen und Haushal- Niederlande (0,3 Prozentpunkte). Auffallend ist ten in Italien würde wohl sprunghaft steigen. Ein ein relativ geringer Effekt einer Konjunkturkri- anderer möglicher Auslöser eines Wirtschaft- se in Frankreich (0,1 Prozentpunkte). Der Grund seinbruchs in Italien wäre ein Machtgewinn von dürfte darin liegen, dass eine typische Konjunk- in den vergangenen Jahren erstarkten europakri- turkrise in diesem Land deutlich weniger schwer tischen Parteien, etwa wenn die Bürger in dem ist als in den meisten anderen Ländern. für Anfang Dezember dieses Jahres angesetz- 12
ten Referendum die von der Regierung verfolgte ren wirkt die Zinssenkung dem dämpfenden Ef- Verfassungsreform ablehnen. fekt entgegen.11 Alles in allem legt im Fall ei- In diesem Abschnitt wird deshalb der Frage nes Produktionseinbruchs in Italien um 6% im nachgegangen, welche Auswirkungen ein Wirt- Jahr 2017 die Produktion im Euroraum mit 0,5% schaftseinbruch in Italien auf andere Länder ins- statt mit 1,6% und im Jahr 2018 nur mit 0,6% besondere in Europa hätte. Zu diesem Zweck statt mit 1,5% zu. Soll das Bruttoinlandspro- wird die Produktion in Italien im Jahr 2017 dukt im Euroraum um 1% sinken, also etwa so mittels eines modellexogenen Schocks um 6 stark, wie auf dem Höhepunkt der Schulden- und Prozent zum Vorjahr reduziert. Im verwende- Vertrauenskrise im Jahr 2012, müssten die Part- ten Weltmodell lässt die geringere Nachfrage nerländer von der unterstellten Krise in Italien aus Italien die Exporte anderer Länder sin- stärker betroffen sein, etwa über Kanäle, die das ken, umso mehr, je wichtiger Italien als Ziel- verwendete Modell nicht abbildet. Zu denken land für die Ausfuhren einer Volkswirtschaft wäre etwa an Ansteckungseffekte wegen sinken- ist. Der Auslastungsgrad der Wirtschaft sinkt, den Vertrauens in die Zukunft der europäischen und die Zentralbank reagiert mit zusätzlichen politischen Institutionen. Es ist plausibel, an- expansiven Maßnahmen, um die Wirkung des zunehmen, dass sich solche Schocks nicht ein- negativen Schocks abzufedern. Vorwiegend ist fach entsprechend der jeweiligen Größen auf die natürlich der Euroraum betroffen. Hier sinken Länder verteilen, sondern dass dabei eine Rol- die kurzfristigen Zinsen im Jahr des Schocks le spielt, wie volatil die einzelnen Volkswirt- um 0,3 Prozentpunkte und in den darauffolgen- schaften sind, etwa entsprechend der jeweiligen den Jahren um etwa einen Prozentpunkt.10 Et- Stabilität ihrer Bankensektoren. Werden deshalb wa halb so groß ist der Rückgang der langfris- die zusätzlichen Nachfrageschocks so auf die tigen Zinsen. Auch wenn die geldpolitische Re- Euroraum-Länder verteilt, wie es der Volatilität aktion die dämpfenden Effekte verringert, führt der Produktion in der Vergangenheit entspricht, der Konjunktureinbruch in Italien bei den Nach- müsste das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland barländern aufgrund der hohen Handelsverflech- im Jahr 2017 sogar leicht zurückgehen (-0,1%), tungen zu deutlich geringeren Zuwachsraten des statt wie im Basisszenario um 1,7% zu stei- Bruttoinlandsprodukts, besonders im Jahr 2018. gen (vgl. A.8). Die weniger volatile französische Der Verlust beträgt in diesem Jahr für Griechen- Produktion verliert gegenüber dem Basisszena- land fast 2 Prozentpunkte, für Spanien 0,7 Pro- rio nur reichlich einen Prozentpunkt (0,2% statt zentpunkte und für Österreich 0,5 Prozentpunk- 1,3%). te, für Frankreich 0,2 Prozentpunkte. Für die Produktion in Deutschland sind keine negativen 5.4 Szenario eines langjährigen Folgen zu sehen. Dafür gibt es zwei Ursachen: weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit Zunächst lag der Anteil nach Italien exportier- Zinserhöhungen einhergeht ter Güter an den deutschen Ausfuhren im Jahr 2015 nur bei 4,8%, wogegen er etwa bei den spa- Zuletzt werden die Auswirkungen von nischen und französischen Ausfuhren über 7% Veränderungen der Zinsen auf ma- und für Griechenland 11% betrug. Zum ande- kroökonomische Variablen simuliert. Es wird 10 Der kurzfristige Zinssatz wird also sehr deutlich nega- ein Szenario betrachtet, in dem ein mehrjähriger tiv. Falls die EZB die mit deutlich negativen Zinsen verbun- 11 denen Probleme vermeiden wollte, könnte sie stattdessen Die im Modell geschätzte Elastizität der Produkti- durch erhöhte Interventionen am Kapitalmarkt den lang- onslücke nach dem Zinssatz ist für Deutschland größer als fristigen Zinssatz drücken. etwa für Spanien und Frankreich. 13
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