Antisemitismus-bericht 2021 - für die deutsch-, die italienisch- und die rätoromanisch-sprachige Schweiz - Schweizerischer Israelitischer ...
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Antisemitismus- bericht 2021 für die deutsch-, die italienisch- und die rätoromanisch- sprachige Schweiz
Inhaltsverzeichnis Vorwort 3 9. Verurteilungen 25 wegen Verstosses Überblick 5 gegen Art. 261bis StGB 1. Allgemeine Analyse 6 10. Interventionen 26 2. Statistiken 10 11. Prävention von 27 2.1 Vorfälle des Jahres 2021 Antisemitismus 2.2 Die Online-Vorfälle 12. Positive Entwicklungen 28 2.3 Trigger im Jahr 2021 3. Die gravierendsten 18 13. Europäischer und 29 Vorfälle internationaler Kontext 4. Situation in der 19 italienisch- 14. Algorithmen – sprachigen Schweiz Programmieren gegen Hass im Netz 5. Nationale Synthese 15. Anhang 31 6. Sicherheit der 21 jüdischen 15.1 Daten Gemeinschaft 15.2 Methodik 15.2.1 Wie kommt der SIG zu den 7. Empfehlungen und 22 Vorfällen? Handlungsfelder 15.2.2 Vorgehen bei der 8. Ergebnisse aus 23 Internetrecherche der Umfrage 15.2.3 Geografische Eingrenzung «Zusammenleben in 15.2.4 Meldeverhalten der Schweiz» 15.2.5 Definitionen: Antisemitismus, Antizionismus, Kritik am Staat Israel 15.2.6 Vorfälle und ihre Kategorien 15.3 Zusammenfassung der Vorfälle und Analyse Website 2
Vorwort dem Einfluss des zweiten Lockdowns, weisen stark auf diese Tendenzen hin. Auch die Zunah- me antisemitischer Zusendungen verdeutlicht Die Stimmungslage in der Schweiz ist aufgela- das neue Klima, das aktuell herrscht. SIG und den. Die anhaltende Pandemie schwächt das GRA hatten immer wieder davor gewarnt, dass Miteinander in der Schweiz und bringt neue auf Worte Taten folgen können. Konflikte zwischen unterschiedlichsten Grup- pen hervor. Es ist wenig überraschend, dass in Hinzu kommt die zunehmende Verbreitung der diesem Umfeld auch antisemitische Vorstellun- Nutzung von Vergleichen rund um Corona- gen und Haltungen gedeihen. Das Verlangen massnahmen mit der Schoah und dem natio- nach einer Erklärung und Verarbeitung dieser nalsozialistischen Regime. Diese Vergleiche Situation bringt viele Menschen dazu, einen sind falsch, absurd und verwerflich. Auch wenn vermeintlichen Sündenbock finden und zur diese Vergleiche nicht per se antisemitisch sind, Rechenschaft ziehen zu wollen. Wie bereits heizen sie die Stimmungslage zusätzlich an früher, werden dann sehr schnell auch Juden und schaffen einen Nährboden für antisemiti- und Jüdinnen als Schuldige identifiziert. Unter sche Vorurteile, Stereotypen und Haltungen. diesen Gegebenheiten gedeihen auch antise- Aus diesen Gründen fordern wir von der Politik mitisch konnotierte Verschwörungstheorien. eine umfassende Strategie zur Bekämpfung Bereits vor der Krise konnten wir eine gewisse der Umstände, die den Nährboden für Anti- Steigerung von antisemitischen Vorfällen beo- semitismus bilden. Konkret heisst das: mehr bachten, die Pandemie hat diese Tendenz Investitionen in Bildungsmassnahmen gegen zusätzlich verstärkt. Die Coronakrise fungiert Verschwörungstheorien, mehr staatliche also als Trigger für bereits bestehende antise- Unterstützung für Präventionsprojekte, end- mitische Haltungen in der Gesellschaft. Wäh- lich auch ein staatliches Engagement beim rend andere Trigger, wie etwa eine bewaffnete Monitoring von Antisemitismus und Rassismus Auseinandersetzung in Nahost, auf einige Tage sowie eine Prüfung der rechtlichen Mittel zur oder Wochen zeitlich begrenzt sind, hält die Erfassung von Hassrede. Pandemie als Trigger nun schon fast zwei Jahre Doch nicht nur der Bund und die Institutionen ununterbrochen an. Die grosse Präsenz anti- sind gefordert. Wir appellieren an die gesamte semitischer Verschwörungstheorien war schon Zivilbevölkerung, ihre Stimme stärker und be- zuvor besorgniserregend. Doch seit Ausbruch stimmter zu erheben, um der jetzigen Stim- von Corona ist die Zahl der Anhängerinnen und mungslage etwas entgegenzusetzen. Anhänger von Verschwörungstheorien förm- lich explodiert. Damit gewannen auch jene mit Wir müssen als Gesellschaft wieder zu einer antisemitischem Hintergrund grossen Zulauf. sachlichen und vernünftigen Diskussionskultur zurückkehren und Antisemitismus sowie Eine solche Krise mit einem geschwächten Rassismus konsequent und entschieden und zerrütteten gesellschaftlichen Zusam- entgegentreten. menhalt hat Folgen: Die Grenze dessen, was in der Öffentlichkeit gesagt werden kann, Ralph Lewin, Präsident SIG, verschiebt sich merklich. Die Hemmschwellen Pascal Pernet, Präsident GRA sinken, Ressentiments nehmen zu und mitunter manifestiert sich gar Hass in Taten. Dies beka- men auch Jüdinnen und Juden zu spüren. Die Schändungen von Synagogen Anfang 2020, während der zweiten Coronawelle und unter 3
Antisemitischen Vorfall melden Haben Sie einen antisemitischen Bei der Meldestelle des SIG können antisemi- tische Vorfälle aus der deutsch-, der italienisch- Vorfall erlebt oder beobachtet? und der rätoromanischsprachigen Schweiz Sind Sie in den sozialen Medien gemeldet werden, die selbst erlebt oder beob- auf einen antisemitischen achtet wurden. Dies können tätliche Angriffe und Beschimpfungen, Schmierereien, Briefe Beitrag gestossen? und Nachrichten oder im Internet und auf den sozialen Medien entdeckte Beiträge und Melden Sie sich bei uns via Kommentare sein. Die Vorfälle werden von uns analysiert sowie eingeordnet und die Betroffenen beraten. +41 43 305 07 77 Auch wenn Sie unsicher sind, ob es sich um vorfall@swissjews.ch einen antisemitischen Vorfall handelt oder nicht, können Sie sich bei uns melden. swissjews.ch/vorfallmelden Wir helfen Ihnen gern bei der Einordnung. Vorfall melden 4
Überblick 53 806 Vorfälle Vorfälle (reale Welt) (online) davon davon 0 51 % Tätlichkeiten Verschwörungstheorien 1 37 % Sachbeschädigung Antisemitismus allgemein 7 Schmierereien 8% Antisemitismus israelbezogen 16 Beschimpfungen 4% Schoahleugnung/ 26 -banalisierung Aussagen 3 Auftritte 5
1. Allgemeine Antisemitismus online Analyse Antisemitismus nimmt in der digitalen Welt weiterhin stark zu. Im Berichtsjahr wurde eine deutliche höhere Zahl (806) – eine Steigerung von 66 Prozent – an Online-Vorfällen erfasst Antisemitismus in der als im Jahr 2020 (485). Der grösste Teil der be- realen Welt obachteten und gemeldeten Vorfälle stammte vom Messengerdienst Telegram (61 Prozent) Im Vergleich zum Vorjahr kam es zu einer und dem Kurznachrichtendienst Twitter (28,2 Steigerung der registrierten antisemitischen Prozent). Ein weitaus geringerer Teil wurde bei Vorfälle in der realen Welt (2021: 53, 2020: Facebook und in den Kommentarspalten von 47). Hierzu trug vor allem eine Steigerung Onlinemedien gesichtet. der antisemitischen Zusendungen (2021: 23, Die geringe Anzahl an Vorfällen auf Facebook hat mehrere Gründe: Einerseits verzichte- ten viele Zeitungen darauf, Artikel über das Judentum oder den Nahostkonflikt auf ihren Facebook-Profilen zu posten, da dies in den Jahren zuvor jeweils zu einer grossen Menge an unmoderierten und offen antisemitischen Kommentaren geführt hatte. Andererseits fing der Facebook-Konzern als Reaktion auf die massive Kritik an, schneller und umfänglicher antisemitische Posts und Gruppen zu lö- schen, was Medienberichten zufolge auch die Eingangstür der Synagoge Biel, in die mit einem Schweiz betraf. Dies führte in der Folge dazu, scharfen Gegenstand antisemitische Parolen und dass viele User, die antisemitische Inhalte ver- ein Hakenkreuz eingeritzt wurden. breiten wollten, auf andere Plattformen (zum Beispiel Telegram) umstiegen. Teils wurde dies von den Usern selbst auf Telegram so darge- 2020: 15) bei. Bei den Beschimpfungen (16) legt. Erfreulich ist, dass die Anzahl der anti- und öffentlich getätigten Aussagen (7) war semitischen Vorfälle in den Kommentarspalten die Steigerung im Vergleich zu 2020 geringer. der Onlineportale von Medien weiter zurück- Bei den Schmierereien (7) ist ein Rückgang zu ging. Dies zeigt, dass die meisten Redaktionen verzeichnen. Auch 2021 wurden glücklicher- ihre Verantwortung wahrnehmen und be- weise keine Tätlichkeiten gemeldet. Weiterhin sonders bei heiklen Themen eine umfassende muss aber mit einer Dunkelziffer, besonders Moderation durchführen oder die Kommentar- bei Beschimpfungen und Aussagen, gerechnet spalte gar nicht erst freischalten. Ausnahmen werden, da viele Vorfälle weder dem SIG noch bildeten im Berichtsjahr drei Artikel auf «Inside der Polizei gemeldet werden. Dies ist bei jeder Paradeplatz», die zusammen zu 15 antisemiti- Erfassung, die auf freiwilligen Meldungen be- schen Kommentaren führten. ruht, unvermeidlich. Wenn das Meldeverhalten aber in etwa gleich bleibt, sind Vergleiche im Eine politische und gesellschaftliche Zu- Lauf der Zeit dennoch möglich. ordnung der Verfasserinnen und Verfasser antisemitischer Kommentare ist oftmals nicht einfach. Dort, wo eine Zuordnung möglich ist, 6
kann festgehalten werden, dass unterschied- was deutlich mehr ist als im Vorjahr (143) – dies lichste Milieus vorhanden sind: Rechtsextreme, auch unter der Berücksichtigung, dass im Jahr Linksextreme, radikale Tierschützerinnen und 2020 diese Chats nur während acht Monaten Tierschützer, Muslimas und Muslime, aber durch das SIG-Monitoring beobachtet wur- auch die sogenannte «Mitte der Gesellschaft». den. Posts in dieser Art machen mehr als die Hälfte aller online registrierten Vorfälle dieses Berichts aus und dürfen darum keineswegs Antisemitismus bei den vernachlässigt oder als unproblematisch an- sogenannten «Corona- gesehen werden. Bei teilweise mehreren Tau- Rebellen» send Mitgliedern in den Gruppen, die zwischen hundert und fast tausend Nachrichten pro Tag Seit Beginn der Coronapandemie im Frühjahr absetzen, handelt es sich im Verhältnis aber 2020 entstanden in der Schweiz Gruppierun- um eine geringe Anzahl. Dennoch: Der noch gen, die sich gegen die Massnahmen zur Ein- höhere Anteil der coronabezogenen online re- dämmung der Pandemie wehren. Sie werden gistrierten Vorfälle dieses Jahr zeigt, dass die hier unter der von grossen Teilen der Gruppen Coronapandemie ein entscheidender Trigger selbst gewählten Bezeichnung «Corona-Re- ist und die «Corona-Rebellen» auch Personen bellen» zusammengefasst. Die Mitglieder mit antisemitischem und extremistischem Ge- organisieren sich – soweit dem SIG bekannt – dankengut anziehen. mehrheitlich über Gruppenchats auf Telegram und sind auch immer wieder mit kleineren und grösseren Demonstrationen in der gesamten Vergleiche mit der Schoah Schweiz präsent. Gerade Telegram gewann Weiterhin ein grosses und ernst zu nehmendes in den vergangenen zwei Jahren als Kanal für Problem sind die in der Szene der «Corona-Re- Menschen, die extreme Meinungen und Ver- bellen» häufig beobachteten, unangebrachten schwörungstheorien vertreten, an Bedeutung. Vergleiche zum nationalsozialistischen Regime Unter den «Corona-Rebellen» gibt es ebenfalls sowie zur Verfolgung und Ermordung der jüdi- viele Anhänger und Anhängerinnen solcher schen Bevölkerung während der Schoah. Dies Theorien. Ab Mai 2020 wurden daher mehrere konnte sowohl in den Gruppenchats wie auch dieser Chats durch das SIG-Monitoring bei Demonstrationen beobachtet werden. Bei- beobachtet. spielsweise sieht man «Judensterne» mit der Wie schon im letztjährigen Bericht, konnte Aufschrift «ungeimpft» oder «Covid-Zertifikat» festgestellt werden, dass antisemitische Inhal- gleichermassen bei Telegram wie auf den De- te in diesen Gruppenchats weiterhin verbreitet monstrationen. Die Vergleiche nahmen beson- werden. Auch wenn es 2021 zu einer Zunahme ders im Zusammenhang mit dem Covid-Zertifi- von antisemitischen Inhalten kam, handelt kat noch zu und wurden sogar von bekannten es sich dabei aber nach wie vor nicht um ein Meinungsmachern und Meinungsmacherinnen mehrheitsfähiges Gedankengut. Ein Grossteil getätigt. Der SIG und die GRA starteten des- der antisemitischen Posts stammt von ein paar wegen mehrere Aufrufe, solche Vergleiche zu wenigen Usern. Viele der Posts sind nicht für unterlassen. Diese wurden in der Politik und der alle User als antisemitisch direkt erkennbar, da Gesellschaft gehört und diskutiert. sie codiert und verklausuliert sind. So passiert Vergleiche der Coronamassnahmen mit Gegenrede dann auch nur bei offenem Antise- der Schoah und der nationalsozialistischen mitismus. Im Berichtsjahr wurden 451 Vorfälle Diktatur entbehren jeglicher Realität und sind im Umfeld der «Corona-Rebellen» registriert, zweifellos unangebracht. Die Vergleiche 7
können nach der IHRA-Antisemitismusdefini- tion aber nicht als antisemitisch klassiert und damit auch nicht der Kategorie «Schoah- banalisierung» zugeteilt werden. Solange diese Vergleiche den Holocaust nicht gezielt und offensichtlich abwerten, werden sie im vorliegenden Bericht nicht als antisemitische Vorfälle erfasst. Durch die Beobachtung wurde klar, dass im Umfeld der «Corona-Rebellen» solche Vergleiche mehrheitlich nicht explizit als Banalisierung der Leiden und Schrecken Profilbild eines Telegram-Users. der Opfer der Ausgrenzungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialis- ten angesehen werden, sondern vielmehr als Schoahleugnung/- starke Überhöhung der eigenen Opferrolle. banalisierung Obwohl die Vergleiche in diesem Kontext nicht In dieser Inhaltskategorie wurden im Berichts- per se antisemitisch sind, führen sie in ihrer jahr 38 Vorfälle gezählt. Sie ist damit weiterhin Menge, ihrer Häufigkeit und ihrer Verbreitung die kleinste der vier Inhaltskategorien, den- zu einer Abschwächung der Wahrnehmung der noch nahm die Anzahl der Vorfälle zu (2020: damaligen Ereignisse und somit doch zu einer 25). Es kam zu eindeutigen Aussagen, die di- gewissen Verharmlosung. rekt die Schoah leugneten: So wurde beispiels- weise bestritten, dass sechs Millionen Juden ermordet wurden oder dass Vernichtungslager mit Gaskammern existierten. Es gab aber auch Fälle, bei denen Begriffe wie «angeblich» oder «sogenannt» verwendet wurden, um die Leugnung zu verklausulieren. Unter Schoahba- nalisierung fallen einerseits Kommentare und Posts mit geschmacklosen Witzen oder Aussa- gen, wonach die Konzentrationslager «schon nicht so schlimm» gewesen seien; anderer- seits kommen immer wieder Sätze wie «Hitler hat leider seine Arbeit nicht fertig machen können» vor. Von den 38 Vorfällen in dieser In- haltskategorie waren 28 schoahleugnend und 10 schoahbanalisierend. Entsprechende Äusserungen werden in den verschiedensten Milieus getätigt. In der rechts- extremen Szene gibt es sowohl Personen, die den Völkermord an den Juden leugnen, als Post mit Schoah-Vergleich. auch solche, die ihn feiern. Viele der Verfas- serinnen und Verfasser schoahleugnender oder -banalisierender Kommentare und Posts können aber keiner spezifischen Gruppe zugeordnet werden. 8
Israelbezogener die fast ausschliesslich im Internet zirkulieren, machen somit die grösste der vier Inhaltskate- Antisemitismus gorien aus. Es fällt auf, dass eine grosse Anzahl Antisemitismus in Zusammenhang mit dem von Anhängerinnen und Anhängern solcher Staat Israel kam mit 74 Vorfällen (online und Verschwörungstheorien oftmals die schon et- reale Welt) etwas öfter vor als im Jahr zuvor was älteren Verschwörungstheorien nun auch (62). Auch konzentriert sich ein Grossteil dieser noch mit der Coronapandemie vermischen. Vorfälle auf die Monate April, Mai und Juni So soll zum Beispiel der von den Juden orches- während der erneuten Eskalation im Nahost- trierte «Genozid an den Weissen» nicht mehr konflikt. Während der restlichen Zeit führte der nur durch Einwanderung von schwarzen und Medienfokus auf die Coronapandemie dazu, muslimischen Menschen stattfinden, sondern dass die Schweizer Medien, wie schon im letz- zusätzlich durch die Impfung, welche die Men- ten Jahr, deutlich weniger über den Nahost- schen sterilisiert oder tötet. konflikt berichteten und dadurch auch weniger Die Veröffentlichung der «Protokolle der Wei- Trigger entstanden, die zu Vorfällen hätten sen von Zion» im Parteimagazin «Harus» der führen können. Ein interessanter Vergleich Partei National Orientierter Schweizer PNOS bietet ein Blick ins Jahr 2014, als der Konflikt zeigt, dass auch die älteste und bekannteste zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Strei- antisemitische Verschwörungstheorie noch fen einen dermassen starken Trigger darstellte, nicht ausgedient hat. Bei diesem nachweislich dass die Online-Vorfälle entsprechend stark gefälschten Text soll es sich um die Protokolle zunahmen. Im Jahr 2021 dominierte die Coro- eines Treffens von «jüdischen Weltverschwörern» napandemie den öffentlichen Diskurs dem- handeln, die darin ihre Pläne zur Errichtung gegenüber so sehr, dass der entsprechende der Weltherrschaft darlegen. Die «Protokolle» israelbezogene Trigger sich viel weniger stark wurden um 1900 in Russland von Antisemiten auf die Online-Vorfälle auswirken konnte. geschrieben und von dort aus in der ganzen Die Darstellungsformen des israelbezogenen Welt verbreitet. Mit diesem antisemitischen Antisemitismus sind sehr unterschiedlich und Pamphlet wird bewusst der Mythos der jüdi- facettenreich. Die Urheberinnen und Urheber schen Weltverschwörung verbreitet. Der SIG dieser Kommentare und Posts stammen aus reichte deswegen bei der Staatsanwaltschaft verschiedensten Milieus, wobei das muslimi- Berner Oberland Anzeige wegen Verstosses sche und das linksextreme Milieu überwiegen. gegen die Rassismusstrafnorm Art. 261bis StGB Einige Verfasserinnen und Verfasser scheinen ein. Die Leitung der PNOS wurde in der Folge aber auch aus der sogenannten «Mitte der Ge- von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern sellschaft» zu kommen. per Strafbefehl der Rassendiskriminierung für schuldig befunden und zu einer bedingten Geldstrafe sowie einer Busse verurteilt. Verschwörungstheorien Verschwörungstheorien, die oft absurde Schlüsse ziehen und meist eine jüdische Welt- verschwörung als Kern haben, machen im Be- richtsjahr einen grösseren Anteil an allen Vor- fällen aus als in den letzten Jahren. 51 Prozent aller Online-Vorfälle haben inzwischen zeitge- nössische antisemitische Verschwörungstheo- rien zum Inhalt. Diese Verschwörungstheorien, 9
2. Statistiken 2.1 Vorfälle des Jahres 2021 in der deutsch-, der italienisch- und der rätoromanischsprachigen Schweiz Zeitliche Entwicklung der antisemitischen Vorfälle Entwicklung antisemitischer Vorfälle 2018-2021 (alle Vorfälle) Entwicklung antisemitischer Vorfälle 2018-2021 (online) 10
Entwicklung antisemitischer Vorfälle 2018-2021 (reale Welt) Verteilung der Vorfälle 11% Verteilung nach gemeldeten und beobachteten Vorfällen (alle Vorfälle) Vorfälle durch Meldestelle 11% 89% Vorfälle durch Monitoring 89% Verteilung nach Vorfällen in der 6% realen Welt und online Vorfälle reale Welt 6% Vorfälle online 94% 94% 11
Verteilung der Vorfälle nach Inhalt Verteilung nach Inhalt (alle Vorfälle) 38,5% Antisemitismus allgemein 38,5% 48,4% Schoahleugnung/-banalisierung 4,5% 4,5% Antisemitismus israelbezogen 8,6% 8,6% Antisemitische Verschwörungstheorien 48,4% Verteilung nach Inhalt (Online) 37% Antisemitismus allgemein 37% Schoahleugnung/-banalisierung 4% 51% Antisemitismus israelbezogen 8% Antisemitische Verschwörungstheorien 51% 4% 8% 10% Verteilung nach Inhalt 11% (reale Welt) Antisemitismus allgemein 66% 13% Schoahleugnung/-banalisierung 13% 66% Antisemitismus israelbezogen 11% Antisemitische Verschwörungstheorien 10% 12
Verteilung der Vorfälle nach Form Verteilung nach Form (alle Vorfälle) Beschimpfungen 2% Aussagen 95,5% Sachbeschädigungen 0,1% Schmierereien 0,8% Karikaturen 1,2% Auftritte 0,3% Verteilung nach Form (online) Beschimpfungen 0,1% Aussagen 98,6% Karikaturen 1,3% 6% Verteilung nach Form (reale Welt) 13% 30% 2% Beschimpfungen 30% Aussagen 49% Sachbeschädigungen 2% Schmierereien 13% 49% Auftritte 6% 13
Vergleich aller Vorfälle pro Monat in den Jahren 2020 und 2021 Zeitliche Entwicklung der Vorfälle seit 2018 Zeitliche Entwicklung nach Inhalt (alle Vorfälle) Antisemitismus allgemein Schoahleugnung/-banalisierung Antisemitismus israelbezogen Antisemitische Verschwörungstheorien 14
Zeitliche Entwicklung nach Form (reale Welt) Tätlichkeiten Beschimpfungen Aussagen Sachbeschädigungen Schmierereien Auftritte 2.2 Die Online-Vorfälle Verteilung der Online-Vorfälle Die folgende Tabelle zeigt, wo die Online-Vor- Erfassung von Online-Vorfällen fälle registriert wurden. Dabei ist zu beachten, dass bei den Medien (Nau, Tages-Anzeiger, Das Monitoring von Antisemitismus im Online- Basler Zeitung usw.) nur diejenigen Vorfäl- Bereich bringt einige Schwierigkeiten mit sich. le gezählt werden, die auf der Website des Aufgrund der hohen Zahl an Online-Posts ist es jeweiligen Mediums in den Kommentarspalten auch mit grossen Ressourcen nicht möglich, beobachtet wurden. Kommentare zu den auf alle Social-Media-Plattformen und alle On- der Facebook-Seite der Medien geposteten linemedien-Erzeugnisse abzudecken. Daher Artikeln zählen zur Kategorie «Facebook». dienen die erfassten Fälle nicht der Bestimmung des absoluten Niveaus antisemitischer Äusse- Es entzieht sich naturgemäss unserer Kenntnis, rungen im Netz. Dem SIG ist es anhand seines wie viele Online-Kommentare bei Medien oder Online-Monitorings jedoch möglich, gewisse Social-Media-Plattformen gelöscht werden, Trends und Stimmungslagen zu erfassen und im bevor sie publiziert und somit von uns entdeckt Antisemitismusbericht abzubilden. Die so erho- worden wären. Es wurde dem SIG jedoch von benen Zahlen helfen zudem, eine möglichst aus- verschiedenen Medien gemeldet, dass sie bei sagekräftige qualitative Analyse zu erstellen. bestimmten Artikeln eine grosse Anzahl an Kommentaren nicht publizieren, da diese unter anderem antisemitische Inhalte verbreiten. Im Vergleich zum Jahr 2020 wurden erneut weniger antisemitische Inhalte auf Facebook beobachtet. Mit lediglich 33 Vorfällen stam- men nur noch 4,5 Prozent von dieser Plattform. 15
Einerseits wurden durch die Coronapandemie Die Anzahl Vorfälle bei Twitter blieb mit 221 weniger Artikel zu Themen veröffentlicht, die in etwa gleich und macht 28,2 Prozent der Trigger für antisemitische Kommentare hätten Online-Vorfälle aus. Die Gruppenchats auf darstellen können (Nahostkonflikt, jüdisches Telegram zum Thema Corona, die seit Mai Leben); andererseits verzichteten viele Medien 2020 beobachtet werden, generierten jedoch auch darauf, solche Artikel auf ihrem Face- weiterhin viele antisemitische Online-Vorfälle book-Profil zu veröffentlichen. Dadurch sank und sind im Jahr 2021 für 61 Prozent der die Zahl antisemitischer Aussagen bei den auf Online-Vorfälle verantwortlich. Facebook publizierten Artikeln und auch in den Kommentarspalten der Medien. Verteilung Online-Vorfälle nach Plattform Telegram 61% Instagram 1% Twitter 28,2% SRF Online 0,4% Facebook 4,5% Blick 0,2% Inside Paradeplatz 1,9% Andere 1,9% Nau 1% 16
2.3 Trigger Folgende Spitzen können einem bestimmten Trigger zugeordnet werden: Als Trigger werden Anlässe oder Ereignisse → Kalenderwoche 7: Ein Artikel in «Inside bezeichnet, die für einen begrenzten Zeitraum Paradeplatz», der zahlreiche Vorurteile eine massiv höhere Anzahl an antisemitischen gegenüber jüdischen Menschen enthält, Vorfällen und grenzwertigen Fällen zur Folge sowie die Replik des SIG-Präsidenten haben. Dies kann auf internationale (etwa im Ralph Lewin darauf führen in den Zusammenhang mit dem Nahen Osten) oder Kommentarspalten des Online-Mediums auf nationale Ereignisse (lokale Abstimmungen, zu zahlreichen antisemitischen und Gerichtsprozesse usw.) respektive auf Medien- grenzwertigen Kommentaren. berichte dazu zurückzuführen sein. → Kalenderwoche 10: Die Diskussion um ein Im folgenden Diagramm werden alle Vorfälle Schweizer Memorial für die Opfer des Na- und grenzwertigen Fälle auf die jeweilige Ka- tionalsozialismus führt zu einigen antisemi- lenderwoche verteilt dargestellt. So wird ersich- tischen und grenzwertigen Kommentaren. tlich, dass es im Berichtsjahr immer wieder zu → Kalenderwochen 18–20: Die Eskalation Spitzen gekommen ist. Auch in diesem Berichts- des Israel-Palästina-Konflikts im Mai 2021 jahr war es bei einem Grossteil der Spitzen nicht dient als Trigger für zahlreiche antisemiti- möglich, diese einem spezifischen Trigger zuzu- sche und grenzwertige Kommentare und ordnen, da der Trigger «Coronapandemie» Posts, vor allem in den sozialen Medien. über das ganze Jahr verteilt vorkam. → Kalenderwoche 40: Die Berichterstattung über den Fall des deutschen Sängers Gil Ofarim führt zu mehreren antisemitischen und grenzwertigen Kommentaren. 17
3. Die gravierends- → Ein jüdisches Ehepaar aus der Region Basel wird im Juni während eines Wortge- ten Vorfälle fechts um einen laufenden Automotor von einer Nachbarin als «Scheiss Judenpack» beschimpft. Sachbeschädigung → Ein Auto fährt im Oktober in Zürich an mehreren jüdischen Menschen vorbei und → In die Eingangstür der Synagoge in Biel hupt. Aus dem Fenster wird der Hitlergruss werden im Februar mit einem scharfen gezeigt. Es wird auch «Scheiss Juden» und Gegenstand antisemitische Parolen und «Heil Hitler» gerufen. ein Hakenkreuz eingeritzt. → Eine jüdische Schülerin aus dem Kanton Zürich wird im November von einer Mitschü- Online lerin mehrmals antisemitisch beschimpft. Die Äusserungen «Hitler hätte dich umbrin- → Ein Zoom-Event der Jüdischen Liberalen gen sollen» und «Hitler hätte deine ganze Gemeinde JLG in Zürich zum Museum in Familie umbringen sollen» werden ihr der Brunngasse wird im Januar von zahl- mehrmals in Anwesenheit fast aller Mit- reichen Personen mit Hitlerbildern und schülerinnen und Mitschüler zugerufen. obszönen Schmierereien gestört. → Ebenfalls im Januar wird eine universitäre Zoom-Veranstaltung der Universität Basel Zusendungen im Bereich Judaistik mit Videos aus → Der SIG-Präsident erhält im Februar ein Nazideutschland und der Bildunterschrift Schreiben, in dem die Schweizer Juden für «The Holocaust was a lie» gestört. den Nahostkonflikt und den Antisemitis- → Eine stark antisemitische Mail wird im Ap- mus verantwortlich gemacht werden. Wei- ril an das Bundesamt für Gesundheit BAG ter stösst der Verfasser Drohungen gegen und im Cc an Dutzende andere Empfän- jüdische Menschen aus und schreibt, gerinnen und Empfänger verschickt. man solle dem SIG-Präsidenten die Zunge herausschneiden. Beschimpfungen/Aussagen → Der SIG erhält im Juli eine E-Mail mit einem Bild von Adolf Hitler mit der Be- → Ein Auto fährt im April in Zürich knapp schriftung «The truth will never vanish». hinter einem streng religiösen Juden auf dem Fussgängerstreifen durch. Dann ruft der Fahrer aus dem Fenster: «Euch Juden Schmierereien habe ich auf dem Radar. Man sollte euch → Rund um einen Bahnhof im Kanton Aargau alle umfahren.» werden im August mehrmals antisemitische → Ein Vermieter aus dem Kanton Bern zieht Schmierereien und Hakenkreuze entdeckt. im April immer wieder über jüdische und → Während einer Pause wird im Juni an muslimische Menschen her und sagt, man einer Kantonsschule eine Karikatur eines solle sie alle köpfen und der Holocaust Juden an die Wandtafel gezeichnet. In der sei eine Lüge. Klasse hat es auch jüdische Schülerinnen → An einem Schabbat-Abend im Mai und Schüler. werden orthodoxe Juden in Zürich von einer Gruppe unter anderem mit «Scheiss Juden» angeschrien. 18
4. Situation 5. Nationale in der italienisch- Synthese sprachigen Schweiz In der Schweiz gibt es zwei Antisemitismusbe- richte: einen für die deutsch-, die Italienisch- Die SIG-Meldestelle nimmt auch antisemiti- und die rätoromanischsprachige Schweiz und sche Vorfälle aus der italienischsprachigen einen für die französischsprachige Schweiz. Schweiz entgegen und registriert diese. Es wer- Dies widerspiegelt den föderalistischen und den jedoch nur vereinzelt Vorfälle gemeldet. multikulturellen Charakter der Schweiz und der jüdischen Organisationen. Diese gemein- Die Goren Monti Ferrari Foundation wird ab same Synthese fasst die wichtigsten Trends Frühling 2022 mit Unterstützung der Università zusammen. Dieses Jahr werden die Zahlen della Svizzera Italiana eine spezifische Melde- für die Schweiz erstmals gesamthaft darge- stelle für die italienischsprachige Schweiz ein- stellt und publiziert. richten, die antisemitische Vorfälle aufnimmt und registriert. Diese Vorfälle werden an den SIG weitergeleitet und fliessen in den Antisemi- tismusbericht für das Berichtsjahr 2022 ein. 19
Bei der Analyse der Ähnlichkeiten und Unter- wie auch in der französischsprachigen Schweiz schiede zwischen den verschiedenen Sprach- eine relativ grosse Anzahl an israelbezogenen räumen des Landes ist auch zu berücksichti- Vorfällen beobachtet. Dies aufgrund der dorti- gen, dass die französische Schweiz kulturell gen Eskalation des Israel-Palästina-Konflikts. von Frankreich beeinflusst wird, während in der Unterschiede bei den Sprachregionen sind Deutschschweiz ein Einfluss, wenn auch in ge- bei den Plattformen auszumachen: Während ringerem Mass, von Deutschland erkennbar ist. in der Deutschschweiz Telegram eine überaus Ein Beispiel: Dieudonné, seine antisemitischen wichtige Rolle spielt, ist dieser Messenger in der Lieder und seine «Quenelle» sind bei Antisemi- französischen Schweiz noch weniger bekannt ten in der Westschweiz sehr beliebt, während und deshalb noch nicht so prominent vorhan- letztere in der Deutschschweiz praktisch den. Dafür wurden in der französischen Schweiz unbekannt ist. mehr Vorfälle auf Facebook, Twitter und Insta- gram entdeckt. Auf der anderen Seite haben in der deut- schen Schweiz bekannte Deutsche wie Attila Hildmann oder Xavier Naidoo Anhänger, die Antisemitische wiederum in der französischen Schweiz wenig Verschwörungstheorien Bekanntheit geniessen. Durch die Coronapandemie haben allgemein Verschwörungstheorien grossen Zulauf und dies Gewalt, Beschimpfungen wirkt sich dann natürlich auch auf die anti- und Vandalismus semitischen Verschwörungstheorien aus. Der Anteil von Verschwörungstheorien hat deshalb Sowohl in der deutsch- und italienischspra- bei den Online-Vorfällen in der Deutschschweiz chigen Schweiz, wie auch in der Westschweiz noch einmal zugenommen. In der französischen kam es im Jahr 2021 zu einer Steigerung der Schweiz hat die Anzahl der antisemitischen Ver- antisemitischen Vorfälle in der realen Welt. In schwörungstheorien in der Statistik abgenom- der deutschen wie auch in der französischen men. Das liegt an der Tatsache, dass dort meist Schweiz kam es zu Schändungen von Synago- Verschwörungstheorien mit dem Holocaust gen, Beschimpfungen und öffentlichen Aus- verknüpft wurden und diese Vorfälle darum sta- sagen. In der französischen Schweiz fanden tistisch gesehen in die Kategorie «Holocaust- auch zwei tätliche Angriffe auf jüdische Men- leugnung/-banalisierung» des Berichtes für die schen statt. Im Rest des Landes wurden keine französische Schweiz eingeteilt werden. Diese solchen registriert. Schmierereien gingen da- Kategorie wiederum hat massiv zugenommen. gegen im ganzen Land leicht zurück. Für die ganze Schweiz lässt sich der Schluss ziehen, wonach antisemitische Verschwörungs- Antisemitismus im Internet theorien weiter an Zugkraft gewinnen. 2021 wurde in der ganzen Schweiz eine star- ke Zunahme an antisemitischen Vorfällen im Holocaustleugnung Internet und in den sozialen Medien registriert, Die Leugnung bzw. Banalisierung des Holo- in der Deutschschweiz ausgeprägter, als in der causts hat in der ganzen Schweiz zugenom- französischen Schweiz Der Hauptgrund dafür men, wenn auch in der Deutschschweiz im war die Coronapandemie, welche als Trigger für geringeren Ausmass, als in der französischen Antisemitismus das ganze Jahr hindurch wirkte. Schweiz. Mitverantwortlich für die starke Zu- Im Mai wurde zusätzlich sowohl in der deutsch- nahme im französischsprechenden Landes- 20
teil ist eine Website die stetig neue Artikel zu semitisch motivierte Angriffe auf die jüdische diesem Thema veröffentlichte und wie schon Gemeinschaft. erwähnt die Verknüpfung von Verschwörungs- Die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz ist theorien mit Holocaustleugnung. schon seit Jahrzehnten mit höheren Anforde- rungen an die Sicherheit konfrontiert. Auf die nochmals erhöhte Bedrohung in den letzten 6. Sicherheit der Jahren wurde zeitnah reagiert. Die Sicherheits- konzepte wurden angepasst und verstärkt. jüdischen Gemein- Dazu gehören Gebäudesicherung, Sicherheits- personal und Ausbildung. Die daraus resultie- schaft in der Schweiz renden Kosten müssen die jüdischen Gemein- den immer noch mehrheitlich allein stemmen Antisemitismus in seiner extremsten Form äus- – schweizweit wird aktuell von vier bis fünf sert sich in physischen Angriffen auf jüdische Millionen Franken pro Jahr ausgegangen. Eine Menschen und Einrichtungen. Die jüdische akkurate Sicherung jüdischer Einrichtungen Gemeinschaft und ihre Institutionen in der ist nicht verhandelbar, und darum können die Schweiz sind einer erhöhten Bedrohung aus- Sicherheitsmassnahmen trotz der sehr grossen gesetzt. Versammlungsorte, Synagogen oder finanziellen Belastung nicht reduziert werden. Schulen könnten Ziele terroristischer Angriffe Die jüdischen Gemeinden haben die Belas- werden. Insbesondere geht diese Gefahr von tungsgrenze schon längst erreicht und müssen rechtsextremen oder islamistischen Kreisen folglich bei Ausgaben für andere Budgetposten aus. Diese Lagebeurteilung fusst auf den Er- wie Ausbildung, Veranstaltungen oder Erziehung fahrungen mehrerer terroristischer Angriffe sparen. Das trifft direkt den Kern einer Religi- weltweit und im europäischen Umfeld. Der onsgemeinschaft: die Ausübung ihrer Religion. Nachrichtendienst des Bundes NDB bekräftigt Nach jahrelangen Debatten um Verantwor- diese Einschätzung in seinem jährlichen Lage- tung und Zuständigkeiten im Sicherheitsbe- bericht und stuft insbesondere die jüdische reich wurde die unbefriedigende Lage vom und die muslimische Gemeinschaft als erhöht Bund 2017 anerkannt. Im November 2019 setzte gefährdet ein. der Bundesrat schliesslich die «Verordnung Europa sieht sich seit über zehn Jahren mit über Massnahmen zur Gewährleistung der einer steigenden Bedrohung extremistischer Sicherheit von Minderheiten mit besonde- Gewalt konfrontiert. Die zahlreichen Atten- ren Schutzbedürfnissen» VSMS in Kraft. Die tate zeigen, dass es sich dabei nicht um ein Verordnung entspricht dem Beschluss des vorübergehendes Phänomen handelt, son- Bundesrates vom Juli 2018, die Sicherheit dern um ein permanentes und reales Sicher- gefährdeter Minderheiten zu stärken und sie heitsrisiko. Betroffen waren über ein Dutzend bei der Finanzierung im Bereich Sicherheit zu europäische Länder, was auch zeigt, dass entlasten. Die in der Verordnung definierten derartige terroristische Aktionen vor Grenzen Massnahmen basieren auf dem Schutzkon- keinen Halt machen. Wiederholt richteten sich zept, das eine Arbeitsgruppe mit Vertreterin- Angriffe spezifisch auf jüdische Einrichtungen. nen und Vertretern des Bundes, der Kantone Die Anschläge auf das jüdische Museum in und Städte sowie der betroffenen Minderhei- Brüssel, eine Synagoge in Kopenhagen, eine ten, darunter des SIG, vorgeschlagen hatte. jüdische Schule in Toulouse, einen Supermarkt Die Verordnung sieht vor, dass sicherheitsrele- für koschere Waren in Paris und eine Synagoge vante Projekte der betroffenen Minderheiten in Halle sind Beispiele für gezielte und anti- in den Bereichen bauliche und technische 21
Massnahmen, Ausbildung, Sensibilisierung und beobachteten Vorfällen und deren Analyse Information unterstützt werden – zu maximal werden Formen, Ausmass und Ursprünge 50 Prozent der Gesamtaufwendungen des sichtbar. Im Mehrjahresvergleich können jeweiligen Projekts. Der Bund setzt dafür einen damit auch Potenziale, Entwicklungen und jährlichen Beitrag von bis zu 500’000 Franken Dynamiken abgelesen werden. Für den SIG an. Das fedpol sprach im Juli 2020, im Januar und die GRA selbst, aber eben auch für die 2021 und im Januar 2022 die ersten Finanz- Politik, für Bildungsinstitutionen, Medien und hilfen für Projekte jüdischer Gemeinden und schliesslich für die Bevölkerung ergibt sich Einrichtungen. Die von jüdischen Gemeinden so ein Bild der Gesamtlage. Auf dieser Basis und Einrichtungen eingegebenen Projekte können entsprechende Massnahmen in der zielen vor allem auf bauliche Massnahmen ab, Prävention, der Aufklärung und der strafrecht- welche die Sicherheit von Synagogen, Schulen lichen Verfolgung entwickelt werden. Diese und Gemeindeeinrichtungen erhöhen. Liste von Empfehlungen zielt auf einen sol- chen Massnahmenkatalog und richtet sich an Explizit bezeichnete der Bund die Verordnung verschiedene Akteure in der Gesellschaft. Die als einen ersten Schritt und kündigte an, wei- Liste ist aufgrund der Dynamik des Phänomens tergehende Massnahmen, auch bezüglich der Antisemitismus, aber auch aufgrund gesell- laufenden Kosten, zu skizzieren und ein ent- schaftlicher Diskurse und Entwicklungen nicht sprechendes Bundesgesetz zu prüfen. Zudem vollständig oder abschliessend. wurden die Kantone dazu aufgerufen, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren. Mittler- weile entschlossen sich einige Kantone und Analyse Städte dazu, sich an den Sicherheitskosten Um Antisemitismus zu verstehen und dagegen zu beteiligen. Insbesondere der Kanton und Massnahmen zu ergreifen, braucht es ein um- die Stadt Zürich sowie der Kanton Basel-Stadt fangreiches Bild des Phänomens. setzten umfangreichere Finanzierungshilfen und Lösungen um. Weitere Unterstützungs- → Der Bund sollte vermehrt die verschie- leistungen sprachen die Kantone Aargau, denen bestehenden Beobachtungs- und Bern, Luzern und Waadt sowie die Städte Biel, Analyseinstrumente aus der Zivilgesell- Lausanne und Winterthur. schaft unterstützen. Im Hinblick auf eine Ausweitung der Unterstüt- → Der Bund sollte die eigenen Beobach- zung ist der SIG seit einiger Zeit im Gespräch tungs- und Analyseinstrumente stärken mit dem Bund, und er ist zuversichtlich, und weiterentwickeln. dass in nächster Zeit Lösungen gefunden werden können. Soziale Medien Antisemitische Hassrede und Verschwörungs- 7. Empfehlungen und theorien finden in den sozialen Medien grosse Verbreitung. Dementsprechend muss diesem Handlungsfelder Phänomen mit adäquaten Mitteln entgegen- gewirkt werden. Der jährlich erscheinende Antisemitismusbe- → Die Justizbehörden sollten zusätzliche richt des SIG und der GRA gibt einen fundier- juristische Mittel zur Beobachtung und ten Einblick in das Problemfeld Antisemitis- Verfolgung entsprechender Posts sowie mus in der Schweiz. Mit den gemeldeten und ihrer Verfasserinnen und Verfasser prüfen. 22
→ Social-Media-Plattformen sollten ihre Antisemitismus und Rassismus überprüfen eigenen Anstrengungen zur Eindämmung sowie weiterentwickeln. solcher Beiträge stark erhöhen und ihre → Bund und Kantone sind dazu angehal- entsprechenden Richtlinien verschärfen, ten, Projekte der Wissensvermittlung mit soweit sie das noch nicht getan haben. präventivem Charakter zu fördern und zu → Der Bund sollte prüfen, wie diese Platt- unterstützen. formen stärker in die Pflicht genommen werden können. Gegenrede Medien Jeder und jede kann sich gegen Antisemitis- mus und Rassismus einsetzen. Den Medien kommt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Vorurteilen und → Staatliche Behörden sowie Vertreterinnen Hassrede zu. und Vertreter der Politik sind dazu auf- gefordert, Antisemitismus mit gezielten, → Medien sollten ihre Kommentarspalten starken Statements entschieden und hör- auf ihren Websites und vor allem ihren bar entgegenzutreten. Social-Media-Kanälen umfassender moni- → Unternehmen und Organisationen sind toren sowie klare Community-Richtlinien dazu aufgefordert, klar Position zu bezie- erstellen und anwenden. hen und antisemitische sowie rassistische → Medien sollten ihre eigenen Mitarbeiten- Vorfälle zu verurteilen. den aktiver in den Bereichen interkultu- → Die Bevölkerung als Ganzes ist dazu auf- relles Wissen, Verwendung stereotyper gerufen, in ihrem eigenen Umfeld und in Begriffe und Verstärkung von Vorurteilen ihrem Alltag antisemitischen und rassisti- weiterbilden. schen Haltungen entgegenzutreten. Prävention und Bildung Um Antisemitismus den Nährboden zu entzie- 8. Ergebnisse hen, müssen antisemitische Vorurteile bereits früh bekämpft werden. aus der Umfrage → Der Bund sollte vermehrt und gezielter «Zusammenleben in Präventionsprojekte aus der Zivilgesell- schaft unterstützen. der Schweiz» (2020) → Die Bildungsbehörden sollten in den In regelmässigem Abstand von zwei Jahren Lehrplänen sowie in schulischen Program- führt das Bundesamt für Statistik BFS die Um- men vermehrt und umfassender sowohl frage «Zusammenleben in der Schweiz» durch. Aufklärung als auch Wissen zu Minder- Ziel der Erhebung ist es, ein verlässliches Bild heiten, zur Entstehung und zu den Konse- über das Zusammenleben verschiedener quenzen von Vorurteilen und Stereotypen Bevölkerungsgruppen zu erhalten und gesell- berücksichtigen. schaftliche Entwicklungen in Bezug auf Rassis- → Unternehmen und Organisationen sollten mus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung ihre Leitlinien und Werte in Bezug auf zu verfolgen. den Umgang mit Religion, Minderheiten, 23
Auch das Thema Antisemitismus, der Blick der jüdischen Menschen gegenüber eine feind- Mehrheitsgesellschaft auf die jüdische Minder- selige Einstellung haben, wobei ein leichter heit und die Akzeptanz gängiger jüdischer Trend nach unten zu beobachten ist. Stereotypen spielen in der Umfrage eine Rolle. So stimmen 22 Prozent der Schweizer Bevölke- rung den gängigen Stereotypen über jüdische Menschen vollständig zu. Gleichzeitig lehnen nur 16 Prozent diese Stereotypen vollständig ab. Es ist sehr erschreckend, dass also fast zwei Millionen Menschen in der Schweiz Stereoty- pen – wie: Juden sind geldgierig, machthung- rig, intelligent und geschäftstüchtig – zustim- men. Gleichzeitig zeigt der Vergleich dieser Einstellung mit den tatsächlich geschehenen Vorfällen auch, dass sich bei einem grossen Teil der Menschen die Zustimmung zu den Vorurteilen nicht in antisemitischen Handlun- gen widerspiegelt. Dies ist einerseits erfreu- Weiterführende Informationen zur Erhebung lich, andererseits besteht die Gefahr, dass in finden sich beim Bundesamts für Statistik BFS: Zeiten grosser Krise solche Einstellungen sich vermehrt auch in offenem Antisemitismus https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/sta- niederschlagen, so wie wir dies seit Beginn der tistiken/bevoelkerung/erhebungen/zids.html Coronapandemie schon beobachten konnten. Antisemitismus wurde in der Schweiz schon vor der Studie untersucht, sodass es Zahlen für die letzten zehn Jahre gibt. Bei der Analyse der Daten wird ersichtlich, dass zwischen acht und zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung 24
9. Verurteilungen Staatsanwaltschaft Basel-Stadt per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe 2021 wegen und einer Busse verurteilt. → Im März hatte eine Lokalpolitikerin aus Verstosses gegen Capriasca im Tessin in einem Fernseh- interview schoahleugnende Aussagen Art. 261bis StGB gemacht. Der SIG reichte daraufhin Straf- anzeige ein. Im November 2021 wurde Durch Strafanzeigen des SIG oder der GRA kam die Frau dann durch die Tessiner Staats- es im Berichtsjahr zu sechs Verurteilungen von anwaltschaft per Strafbefehl zu einer rechtsextremen und antisemitischen Personen: bedingten Geldstrafe verurteilt. → Der Präsident und der Vizepräsident der → Die Zürcher Staatsanwaltschaft verurteil- rechtsextremen PNOS wurden von der te nach einigen Jahren Ermittlungen den Staatsanwaltschaft des Kantons Bern Sänger der Neonazi-Band Mordkomman- wegen Rassendiskriminierung für schuldig do zu einer Gefängnisstrafe. Die rechts- erklärt und zu einer bedingten Geldstra- extreme Schweizer Band hatte in ihren fe sowie einer Busse verurteilt. In ihrem Songtexten jüdischen Menschen mit dem Parteimagazin «Harus» hatte die PNOS Tod gedroht und die Lieder auf YouTube vor knapp einem Jahr die hetzerischen hochgeladen. In den Texten wurden expli- «Protokolle der Weisen von Zion» abge- zit Personen aus dem öffentlichen Leben druckt. Dieses Urteil ist jedoch noch nicht genannt, so auch Herbert Winter, damali- rechtskräftig. ger Präsident des SIG. → Das Regionalgericht Berner Oberland → Ein Aargauer Twitter-User hatte in einem verurteilte im Dezember einen Mann zu Tweet geschrieben, dass zum Holocaust einer bedingten Geldstrafe und einer vieles erfunden sei, wie Beschreibungen, Busse. Dieser hatte auf seiner Website ein Erinnerungen, Familienerzählungen und Gutachten aus den 1930er-Jahren veröf- Zahlen. Ausserdem wisse niemand genau, fentlicht, das zu beweisen versucht, dass wie der Holocaust stattgefunden habe. die «Protokolle der Weisen von Zion» echt Das meiste sei «jüdische Geschichts- seien, und dabei zusätzlich offen gegen verdrehung». Darüber hinaus hatte er in Juden hetzt. Der Verurteilte akzeptierte Dutzenden von Tweets verschiedenste das Urteil, es ist somit rechtskräftig. Versionen einer «jüdische Weltverschwö- rung» verbreitet. Er wurde dafür vom Bezirksgericht Zofingen zu einer beding- ten Geldstrafe und zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt. → Der bekannte Rechtsextreme Tobias Steiger hatte einerseits in den sozialen Medien immer wieder antisemitische und schoahleugnende Posts abgesetzt und andererseits an einer Demonstration der Partei National Orientierter Schweizer PNOS in Basel eine offen antisemitische Rede gehalten. Dafür wurde er von der 25
10. Interventionen Im März hatte eine Lokalpolitikerin aus Ca- priasca im Tessin in einem Fernsehinterview schoahleugnende Aussagen gemacht. Der SIG und GRA äusserten sich im Berichtsjahr SIG reichte daraufhin Strafanzeige ein. SIG mehrmals zu Antisemitismusvorfällen und und GRA hatten sich besorgt darüber geäus- Schoahvergleichen: sert, dass sich die Politikerin weiterhin für die Exekutive und die Legislative in Capriasca zur Wahl stellte. Erfreulicherweise wurde sie nicht Im Januar wurde eine Online-Kulturveran- gewählt. Im November 2021 wurde sie schliess- staltung der Jüdischen Liberalen Gemeinde lich per Strafbefehl zu einer bedingten Geld- JLG in Zürich von Vermummten sabotiert. strafe verurteilt. Die Gruppe störte das Programm mit obszö- nen und verletzenden Abbildungen, darunter Hakenkreuze und Hitlerbilder. Den Verantwort- Mehrmals mussten SIG und GRA dazu auf- lichen war es nicht möglich, die Aktionen zu rufen, keine Vergleiche zwischen den Mass- stoppen und deren Urheberinnen und Urheber nahmen gegen die Coronapandemie und der zu sperren. Sie mussten darum die Veranstal- Schoah zu machen, nachdem dies gehäuft tung umgehend abbrechen. SIG und GRA ver- sowohl in der Gesellschaft als auch in der urteilten den Vorfall öffentlich. Der SIG unter- Politik geschehen war. Solche Vergleiche sind stützte die JLG beim Einreichen einer Klage. nicht nur unsinnig und falsch, sondern ver- harmlosen auch das unermessliche Leid und die Schmerzen der Opfer des nationalsozialis- Ebenfalls im Januar reichte der SIG erneut tischen Regimes. Strafanzeige gegen die rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer PNOS ein. Diese hatte in ihrem Parteimagazin «Harus» Zwei Urteile des Presserates im Juli und die hetzerischen «Protokolle der Weisen von August lösten grosse Irritationen bei SIG und Zion» abgedruckt. Mit diesem antisemitischen GRA aus. Einerseits entschied der Presserat, Pamphlet wird bewusst der Mythos der jüdi- dass das Medium «Prime News» die Wahr- schen Weltverschwörung verbreitet. Gerade in heitspflicht verletzt habe, weil es die BDS-Be- Zeiten von Corona gewinnen Verschwörungs- wegung (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) theorien, auch mit antisemitischem Hinter- als «antisemitisch gefärbt» bezeichnet hatte. grund, erneut an Zulauf. Die Veröffentlichung In seiner Herleitung hatte er sich dabei auf der «Protokolle» gibt solchen Mythen zusätzli- die Argumentation von BDS gestützt. Der SIG chen Auftrieb und fördert den Antisemitismus. kritisierte diesen Entscheid öffentlich. Anderer- Während des ganzen Jahres machten SIG und seits wurde auf «Inside Paradeplatz» ein Artikel GRA auf das Thema der antisemitischen Ver- publiziert, in dem zahlreiche Vorurteile und schwörungstheorien aufmerksam. Klischees über jüdische Menschen zusammen- getragen und verbreitet wurden. Dieser wurde vom Presserat unter dem Stichwort «Meinungs- Im Februar wurden an der Eingangstür der freiheit» nicht beanstandet. Nachdem der SIG Synagoge in Biel eingeritzte antisemitische öffentlich auf verschiedene Widersprüche und Symbole und Parolen vorgefunden. Diese Tat Fehler in der Argumentation der beiden Urteile stellt eine Schändung der Synagoge dar. Die aufmerksam gemacht hatte und sowohl SIG Jüdische Gemeinde Biel, der SIG und die GRA als auch GRA beim Presserat intervenierten, verurteilten die Tat aufs Schärfste. Die Schuldi- entschied sich dieser, die beiden Fälle noch gen konnten bis Ende Jahr noch nicht ausfin- einmal zu überprüfen. dig gemacht werden. 26
11. Prävention von In der diesjährigen Ausgabe wurde zusätzlich ein mobiler Ansatz eingeführt. Mit Kurzbesu- Antisemitismus chen wurden auch neue Destinationen erkun- det und abgedeckt. Dazu zählten der Blausee, Crans Montana, Engelberg, Grindelwald, Riederalp und Sedrun. An diesen neuen Orten Die Armee will neue Wege im Umgang mit wurde beim Besuch geklärt, ob Potenzial und Minderheiten gehen. In Kooperation mit dem Nachfrage für den Likrateinsatz bestehen. Dialog- und Aufklärungsprojekt Likrat Pub- lic des SIG entstand dabei das Pilotprojekt «Sensibilisierung zu Diversität und Inklusion Die GRA organisierte in Kooperation mit dem in der Armee» SEDIA. Spezialisten von Likrat FC Hakoah und dem FC Kosova ein Freund- Public führten Anfang Juli 2021 einen Sensibili- schaftsspiel im Namen von Toleranz und sierungslehrgang für angehende Kader durch. Vielfalt, um ein Zeichen gegen Rassismus Das Kommando Ausbildung der Armee hatte und Antisemitismus im Sport zu setzen sowie die Armeeseelsorge damit beauftragt, zusam- bestehende Vorurteile abzubauen. Dass das men mit dem SIG ein solches Pilotprojekt zu Spiel auf grosses Interesse stiess, zeigt, wie entwickeln und durchzuführen. wichtig solche Begegnungen im Alltag sind und welch wichtige Rolle der Sport in der Präventions- und Sensibilisierungsarbeit ein- 2021 konnten durch Likrat über hundert nehmen kann. Schulbegegnungen durchgeführt werden. Sogenannte Likratinos und Likratinas besuch- ten interessierte Schulklassen, wo sie sowohl Um der Verbreitung antisemitischer Ver- zum Judentum als Religion als auch zu ihrer schwörungstheorien entgegenzuwirken und persönlichen religiösen und kulturellen Lebens- die Sensibilisierung in der breiten Öffentlich- erfahrung Auskunft gaben. Aufgrund der Co- keit zu stärken, gab die GRA einen Informa- ronapandemie wurden diese teils online durch- tionsflyer für Lehrpersonen zum Umgang mit geführt. Neu fanden auch Begegnungen an Verschwörungstheorien im Klassenzimmer Primarschulen statt. Dafür wurde das Konzept heraus. Sie entwickelte auch ein Glossar, das speziell angepasst. Besonders erwähnenswert antisemitisch konnotierte Wörter aus dem ist, dass viele Lehrpersonen von den Likrat-Be- Verschwörungsjargon kontextualisiert. Das gegnungen so angetan sind, dass sie diese Glossar wurde unter anderem im «Tangram», jedes Jahr erneut buchen. Für das Jahr 2022 ist der Zeitschrift der Eidgenössischen Kommis- nun wieder ein neuer Ausbildungslehrgang für sion gegen Rassismus EKR, publiziert und dient Likratinos und Likratinas geplant. Zum ersten Journalistinnen und Journalisten zur Einord- Mal wird es eine gemeinsame Ausbildung für nung bestimmter Aussagen. Deutsch- und Französischsprachige geben. Dem Bundesrat wurde im Mai 2021 ein Kon- Zum dritten Mal wurde das Sommerprojekt zept überreicht, das die Errichtung eines Me- von Likrat Public rund um jüdische Gäste in morials für die Opfer des Nationalsozialismus Schweizer Ferienregionen durchgeführt. Ziel verlangt. Demnach soll in Bern ein innovativer war weiterhin, mehr gegenseitiges Verständ- Erinnerungs-, Vermittlungs- und Vernetzungs- nis zwischen Gastgebenden und jüdischen ort entstehen. Der SIG arbeitet intensiv am Gästen zu fördern. Fix stationiert waren die Projekt mit. Die dazugehörigen Vorstösse im Vermittler und Vermittlerinnen in Davos mit Parlament wurden jeweils im Erstrat einstim- den Ablegern Arosa, St. Moritz und Saastal. mig angenommen. 27
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