APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg

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APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
APROPOS
                                     Nr. 118

Den VerkäuferInnen bleibt EUR 1,25
                                               2,E5ur0o

                                                          DIE SALZBURGER STRASSENZEITUNG

TIEF VERWURZELT
Nicht zu stark Sommerszene-Managerin Angela Glechner im Titelinterview
Sicherer Halt Die Kraft der Gemeinschaft                               JULI 2013
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
2    [INHALT]                                                                                                                                                                                            [EDITORIAL]          3
                                                                                        Thema:   TIEF VERWURZELT                                 Schreibwerkstatt
                                                                                                                                                 Platz für Menschen und Themen, die sonst
                                                                                                 4    Schwarz-Weiß-Denken                        nur am Rande wahrgenommen werden.                         editorial

                                                                                                                                                                                                           TIEF VERWURZELT
                                                                                                      Cartoon

                                        6
                                                                                                                                                 17    Narcista
                                                                                                 5    Tief verwurzelt
                                                                                                                                                 18    Georg & Evelyne
                                                                                                      Soziale Zahlen
                                                                                                                                                 19    Kurt
                      Du bist hier!                                                              6    Du bist hier                                     Ogi
                                                                                                      Szene-Intendantin Angela Glechner                                                                    Liebe Leserinnen und Leser!
                      Szene-Intendantin                                                               im Apropos-Titelinterview                  20    Luise
                      Angela Glechner erzählt im                                                                                                 21    Erwin
                      Apropos-Titelinterview über                                                                                                                                                          Jeder von uns hat seine Wurzeln. Manchmal sind                Schwierig wird es, wenn Menschen in Vorur-
                                                                                                 10   Zwischen Wollknäueln und Sternen
                      häufige Ortswechsel, den                                                                                                                                                             sie so stark, dass wir nicht vom Fleck kommen,                teilen und im Schwarz-Weiß-Denken verhaftet
                                                                                                      Volkskulturpreis 2013
                      Drang nach Freiheit und                                                                                                                                                              manchmal sind sie so schwach, dass wir nicht                  bleiben. So bequem eine einfache Sicht auf die
                      das kosmopolitische Flair                                                  11   Wurzeln brauchen Raum
                                                                                                      Pflanzen-Tipps
                                                                                                                                                 Aktuell                                                   Fuß fassen können. Immer jedoch habe wir den
                                                                                                                                                                                                           Wunsch, uns dort, wo wir uns gerade befinden, in
                                                                                                                                                                                                                                                                         Welt auch sein mag, so hat sie oft nichts mit der
                                                                                                                                                                                                                                                                         Realität zu tun, sondern nur mit den eigenen
                      Salzburgs.
                                                                                                                                                 22    Autoren über Verkäufer                              irgendeiner Art und Weise zu verankern.                       Befindlichkeiten (S. 4).
                                                                                                 12   Gemeinsam sind wir stark                         Autorin Gerlinde Weinmüller porträtiert             Im zeitgenössischen Kulturbetrieb ist es hilfreich,
                                                                                                      Interview                                        Apropos-Verkäuferin Thi Nhin                        seine Wurzeln nicht zu tief zu schlagen, da häu-              Immer wieder bedanken sich Schriftstellerinnen
                                                                                                                                                                                                           fige Ortswechsel an der Tagesordnung stehen.                  und Schriftsteller bei uns für das „Geschenk der
                                                                                                 13   Endlich angekommen                         24    Kultur-Tipps                                        Die neue Szene-Intendantin Angela Glechner                    Begegnung“ mit unseren Verkäuferinnen und
                                                                                                      Heimisch in der Fremde                           Was ist los im Juli.
                                                                                                                                                                                                           erzählt im Apropos-Interview, wo ihre Wurzeln                 Verkäufern. So auch die Salzburger Autorin

                      10
                                                                                                 14   Sicheres Terrain oder quälender Ballast?   25    Gehört & gelesen                                    liegen, warum sie für ihre erste Sommerszene das              Gerlinde Weinmüller, die unsere vietnamesische
                                Volkskultur                                                                                                                                                                Motto „You are here“ gewählt hat und was ihr                  Verkäuferin Thi Nhin getroffen hat (S. 22/23).
                                                                                                      Wie starke Wurzeln brauchen wir?                 Buch- und CD-Tipps zum Nachhören
                                Wie groß der                                                                                                           und Nachlesen.                                      Halt gibt (S. 6–9).
                      Volkskulturbegriff ist, zeigt                                              16   Sprachkurs
                                                                                                                                                 26    Kolumne: Robert Buggler
                      die Bandbreite der Preisträger.                                                 Ich fahr in die Zukunft                                                                              Was dem einen Halt bedeutet, gerät dem an-
                      Apropos war in der Jury.                                                                                                                                                             deren schnell zur Last. Gaben früher Religion                 Herzlichst, Ihre
                                                                                                                                                                                                           oder Traditionen Orientierung, befinden sich
                                                                                                                                                                                                           heutzutage immer mehr Menschen auf der Suche

12       Kraft der
         Gemeinschaft
Im Spannungsfeld zwischen
                                                                                                            22          Interview
                                                                                                             In unserer Serie „Schriftsteller
                                                                                                                                                 Vermischt
                                                                                                                                                 27
                                                                                                                                                 28
                                                                                                                                                       Kochen mit Alfons Schuhbeck
                                                                                                                                                       Apropos Kreuzworträtsel
                                                                                                                                                                                                           nach einem Weltbild, das für sie passt (S. 14/15).
                                                                                                                                                                                                           Aber auch Brauchtum verändert sich und mit
                                                                                                                                                                                                           ihm seine Begrifflichkeiten, wie die Verleihung
                                                                                                                                                                                                           des diesjährigen Volkskulturpreises zeigt (S. 10).
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Michaela Gründler
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Chefredakteurin
Ich und Wir finden wir zu                                                                                    trifft Verkäufer“ schreibt
unserer Mitte.                                                                                               Schriftstellerin Gerlinde           29    Leserbrief
                                                                                                             Weinmüller über Apropos-                                                                      Für Menschen, die nach Österreich zuwandern,
                                                                                                             Verkäuferin Thi Nhin.               30    Kolumne: Das erste Mal                              ist es oft nicht einfach, „anzukommen“. Umso
                                                                                                                                                       Diesmal von Gerhard Rettenegger                     schöner, wenn sich Einheimische finden, die den
                                                                                                                                                 31    Neues vom Team                                      Neuzugängen behilflich sind, sich immer besser zu
                                                                                                                                                                                                           verwurzeln (S. 13). Gerade in der Gemeinschaft

         14
                                                                                                                                                                                                           zu anderen Menschen lässt sich viel Kraft tanken
                                                                                                                                                                                                           und Hoffnung schöpfen (S. 12).

         Wie starke Wurzeln
         brauchen wir?
         Wann geben uns Tradi-
         tionen, Religionen und
         Brauchtum Halt – und
         wann hindern sie uns, uns                                                                                                               Grundlegende Richtung
                                                                                                                                                 Apropos ist ein parteiunabhängiges, sozi-   herausragende journalistische Leistungen.
         zu entfalten?                                                                                                                           ales Zeitungsprojekt und hilft seit 1997    Apropos erscheint monatlich. Die Verkäu-
                                                                                                                                                 Menschen in sozialen Schwierigkeiten,       ferInnen kaufen die Zeitung im Vorfeld
                                                                                                                                                 sich selbst zu helfen. Die Straßenzeitung   um 1,25 Euro ein und verkaufen sie um
                                                                                                                                                 wird von professionellen JournalistInnen    2,50 Euro. Apropos ist dem „Internatio-
                                                                                                                                                 gemacht und von Männern und Frauen          nalen Netz der Straßenzeitungen” (INSP)

                                                                                                                                       27
                                                                                                                                                 verkauft, die obdachlos, wohnungslos        angeschlossen. Die Charta, die 1995 in
                                                                                                            Aufgekocht im Juli                   und/oder langzeitarbeitslos sind. In der    London unterzeichnet wurde, legt fest,
                                                                                                                                                 Rubrik „Schreibwerkstatt“ haben sie         dass die S
                                                                                                                                                                                                      ­ traßenzeitungen alle Gewinne
                                                                                                            Diesmal stellt Alfons                die Möglichkeit, ihre Erfahrungen und       zur Unterstützung ihrer V ­erkäuferinnen
                                                                                                            Schuhbeck ein vegetarisches          Anliegen eigenständig zu artikulieren.      und Verkäufer verwenden.
                                                                                                            Rezept vor.                          Im März 2009 erhielten Chefredakteu-
                                                                                                                                                 rin Michaela Gründler und Redakteurin
                                                                                                                                                 Anja Eichinger den René-Marcic-Preis für

                                                        APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013                                                                                                                                                    APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
4     [TIEF VERWURZELT]

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Foto: Thinkstock
berühmte Täuschung. Sie können sich nicht dagegen wehren, die grauen Punkte                                                                                                                                               Soziale Zahlen
Der Berliner Physiologe Prof. Ludimar Hermann entdeckte 1870 zufällig diese

                                                                                                                                                                                                                          im Monat Juli

                                                                                                                                                                                                                    8.351.700
                                                                                                                                                                                                                    Menschen lebten 2012 in
                                                                                                                                                                                                                          Österreich

                                                                                                                                                                                                                    1.578.900
an den Schnittstellen der weißen Linien zu sehen.

                                                                                                                                                                                                                    davon sind Menschen mit
                                                                                                                                                                                                                     Migrationshintergrund
                                                                                                                                                                                                                           (1.166.800
                                                                                                                                                                                                                        erste Generation,
                                                                                                                                                                                                                            412.200
                                                                                                                                                                                                                       zweite Generation)

                                                                                                                                                                                                                     500.000
                                                                                                                                                                                                                    ÖsterreicherInnen leben
                                                                                                                                     Schwarz, weiß und ...
                                                                                                                                                                                                                          im Ausland

    TICKER                                                                    ... unheimlich viele Graustufen                                                                                                                Die soziale Zahl des Monats
                                                                                                                                                                                                                        entsteht in Kooperation mit dem
                                                                                                                                                                                                                       Institut für Grundlagenforschung

                                                                              von Christina Repolust

                                                                              W        enn ich wenig Zeit habe, großen
                                                                                       Hunger habe oder im Stau ste-
                                                                              he, hilft es mir, in klarem Schwarz und
                                                                                                                          liebe ich die Graustufen, die ich in der
                                                                                                                          Dunkelkammer beim Selberentwickeln
                                                                                                                          meiner Schwarz-Weiß-Aufnahmen
                                                                                                                                                                        beendete? „Er hat einfach Schluss ge-
                                                                                                                                                                        macht!“ So klangen meine Schluchzer,
                                                                                                                                                                        ich inszenierte mich im Kreise meiner
                                                                              sauberem Weiß zu denken: „Warum             kennengelernt habe: Grau kann ziemlich        Freundinnen als die Verlassene und war
                                                                              fährt der Trottel vor mir nicht! Wie blöd   hell, ziemlich bedrohlich dunkel und in       gleichzeitig selber froh, dass „es“ – un-
                                                                              kann man sein, jetzt noch abzubiegen.“      jedem Fall nicht nur fad sein. Seit ich das   sere Sprach- und Lieblosigkeit – vorbei
                                                                              Ein Sojajoghurt später verstehe ich         auf meinen Alltag übertrage, frage ich        und ausgestanden war! Darum mag ich
                                                                              mich und den Linksabbieger mit Hut          mich immer häufiger: Warum boomen             „Tatort“-Krimis so gern: Da geht’s zu
                                                                              aber wieder besser. Manchmal muss           seit einigen Jahren ausgerechnet jene         wie in der Dunkelkammer und selbst
                                                                              diese einfache Schwarz-Weiß-Sicht           Krimis, die die klare Schwarz-Weiß-           die KommissarInnen haben dort dunkle
                                                                              auf die Welt einfach sein: Wenn ich         Zeichnung aufgegeben haben? Warum             Seiten und graue noch viel mehr.
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
6   [TIEF VERWURZELT]                                                                                                         [TIEF VERWURZELT]              7
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                                                                                                                                                                                 Name Angela Glechner

                                                                                                                                                                    STECKBRIEF
                                                                                                                                                                                 ARBEITET ALS Kulturmanagerin
                                                                                                                                                                                 FREUT SICH über gutes Essen
                                                                                                                                                                                 ÄRGERT SICH über schlechtes Essen

                                              Dort, wo man gerade ist, beginnt man Wurzeln zu schlagen, auch wenn es nur für ei-
                                              nen Moment ist. Im zeitgenössischen Kulturbetrieb ist es hilfreich, seine Wurzeln nicht
                                              zu fest an einem Ort zu verankern, da die meisten Arbeitsverhältnisse befristet sind.
                                              Die neue Szene-Intendantin Angela Glechner erzählt im Apropos-Interview über häufige
                                              Ortswechsel, den Drang nach Freiheit und den kostbaren Moment der Überforderung.

                                                                      Interview mit Angela Glechner
                                                                      von Michaela Gründler

                                                              Wo liegen Ihre Wurzeln?                                                              men“ stammt von der Wiener Künstlerin Barbara Kraus,
                                                                    In meiner Familie. Und damit ein Stück weit auch dort,                         er war also schon vergeben. Nach kurzer Zeit in Salzburg
                                                                    wo ich geboren bin. Ich komme aus einem kleinen Dorf                           kam mir die Idee für das heurige Sommerszene-Motto.
                                                                    in Oberösterreich bei Ried im Innkreis. Mit 18 wollte ich                      Ich beobachtete, wie sich Touristen mit dem Stadtplan
                                                                    möglichst schnell und weit weg, weil mir das dörfliche                         in Salzburg zurechtfinden wollten und oft zur Antwort
                                                                    Leben zu einengend war. Je älter ich werde, umso weniger                       bekamen: „You are here.“ Das passt zu dieser touristischen
                                                                    kann ich allerdings ausschließen, dass ich später wieder                       Stadt schon mal gut. Darüber hinaus drückt es die Geste
                                                                    dorthin zurückkehre.                                                           einer großen Einladung aus: an alle, hier und dabei zu sein
                                                                                                                                                   – lokal, global, universell, spartenübergreifend.
                                                              Wie wichtig ist für Sie das Gefühl, verwurzelt zu sein?
                                                                    Glaubt man der Astrologie, dann müsste ich bei meinem                Die Sommerszene ist in den vergangenen Jahren immer stär-
                                                                    Sternzeichen sehr tief verwurzelt sein.Tatsächlich habe ich          ker in den öffentlichen Raum gegangen. Was bedeutet für Sie
                                                                    jedoch einen großen Freiheitsdrang. Im Kulturbetrieb ist             der öffentliche Raum?
                                                                    es jedenfalls hilfreich, in einer Stadt nicht zu tiefe Wurzeln               Für ein Sommerfestival ist es mittlerweile State of the Art,
                                                                    zu schlagen, da man bereit sein muss, häufige Ortswech-                      Projekte außerhalb des institutionellen Bühnenraumes
                                                                    sel vorzunehmen, allein schon aufgrund der befristeten                       einzuladen und damit verstärkt in die Stadt zu kommu-
                                                                    Verträge.                                                                    nizieren. Aufführungen und Aktionen im öffentlichen
                                                                                                                                                 Raum genießen eine erhöhte Aufmerksamkeit, nicht nur
                                                              Vor genau einem Jahr haben Sie die Nachfolge vom langjäh-                          beim Publikum, auch bei den Medien. Diese Sichtbarkeit
                                                              rigen Szene-Intendanten Michael Stolhofer übernommen. Die                          schlägt sich logischerweise auf das restliche Programm
                                                              heurige Sommerszene mit dem Motto „You are here“ trägt                             nieder.
                                                              zum ersten Mal Ihre Handschrift. Wie sieht diese aus?
                                                                     Ich bin aus zwei Gründen für die Leitung der Szene                  Der öffentliche Raum ist sehr sensibel, gerade in der Weltkul-
                                                                     geholt worden: zum einen, um das Haus als Ganzjahres-               turerbe-Stadt Salzburg. Vor 15 Jahren haben unsere Straßen-
                                                                     betrieb zu leiten, und zum anderen, um das internationale           zeitungsverkäuferinnen und -verkäufer manche Menschen
                                                                     Flaggschiff für zeitgenössische, darstellende Kunst, die            irritiert: Plötzlich war Armut auf Salzburgs Straßen sichtbar,
                                                                     Sommerszene, zu programmieren. Genau das hat Michael                was zu Beginn zu Reaktionen führte wie: „Was tut ihr hier?
                                                                     Stolhofer dreißig Jahre lang auch gemacht. Deshalb ist es           Geht doch arbeiten!“ Das hat sich zum Glück geändert. Wel-
                                                                     für Außenstehende vielleicht auf den ersten Blick nicht             chen Eindruck haben Sie von den Apropos-Verkäufern?
                                                                     so leicht, meine Handschrift zu sehen. Tatsächlich gibt                     Selbstverständlich nehme ich die Apropos-Verkäuferinnen
                                                                     es aber nur an die 30 Prozent, wo sich unser künstleri-                     und -Verkäufer in Salzburg wahr, nur treten sie hier weni-
                                                                     sches Interesse deckt. Das macht sich an der Auswahl von                    ger dicht auf wie in meinen beiden vorherigen Wohnorten
                                                                     Künstlern bei dem Programm meiner ersten Sommer­                            Hamburg und Wien. Straßenzeitungen gehören für mich
                                                                     szene fest, aber auch im graphischen Erscheinungsbild des                   seit Jahren zu jedem urbanen Stadtbild dazu und sind aus
                                                                     Programmhefts.                                                              diesen nicht mehr wegzudenken. Ich finde es wichtig und
                                                                                                                                                 gut, dass es sie gibt. >>
                                                              Wieso „You are here“?
                                                                    Man steht ja immer vor der Wahl, ob man einem Festival
                                                                    ein Thema voranstellt, das programmatisch gefüllt wird,
                                                                    oder ob man sich alles offenhält. Ich wollte ein Motto,
  Überforderung ist für mich                                        aber es sollte mich gleichzeitig nicht in meiner Auswahl
                                                                    einengen. Mein Lieblings-Slogan „Wer will, kann kom-
       positiv besetzt.“
              APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013                                                                                     APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
8    [TIEF VERWURZELT]                                                                                                                                                        [TIEF VERWURZELT]        9
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Boris Charmatz/

                                                                                                                                                                                                                                                                                               Foto: Boris Brussey
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Musée de la danse enfant
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Mi 3. und Do 4. Juli,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     20:30 Uhr republic
                                                 Immer wieder irritieren Kunstobjekte, die aufgestellt              Was ist für Sie die Aufgabe von Kunst?                         Sie arbeiten mit vielen internationalen Künstlern zusam-
                                                 werden, wie die Lüpertz-Mozartstatue oder auch der                       Zeitgenössische Kunst dient nicht zur Behübschung        men. Was ist deren „gemeinsame Wurzel“ für Sie?
                                                 umgedrehte Helikopter von Paola Pivi am Mozartplatz,                     des Lebens. Sie muss Fragen aufwerfen, die Men-                 Es ist wohl ihre Position als freischaffende Künstler.
                                                 und treten in den Medien einen Sturm der Empörung los.                   schen zum Nachdenken anregen. Impulse setzen,                   Keiner hat Bedingungen wie in einem Stadttheater-
                                                 Wie wichtig ist für Sie Irritation?                                      Denkräume schaffen. Sie darf aber auch unterhalten              System, sondern arbeitet vorwiegend unter unsiche-
                                                        Zeitgenössische Kunst trägt bis zu einem gewissen                 und zum Lachen bringen. Eines darf Kunst in kei-                ren, befristeten Produktionsbedingungen. Und dann
                                                        Grad ein Irritationspotential in sich. Irritation nur             nem Fall: stehen bleiben.                                       das globale Umfeld, in dem sich der international
                                                        um der Irritation willen ist mir allerdings zu wenig,                                                                             arbeitende Künstler ständig bewegt.
                                                        zu spekulativ und inhaltlich zu dünn. Für mich ist der      Sie haben in Wien, Berlin und Hamburg gelebt und sind
                                                        Moment der Überforderung wesentlicher: Im Theater           vor einem Jahr nach Salzburg gezogen. Wie unterscheidet        Was braucht der Mensch, um Wurzeln schlagen zu
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Cie. Willi Dorner bodies
                                                        etwas zu erfahren, wofür ich kein Referenzsystem            sich das Lebensgefühl zwischen diesen Orten?                   können?

                                                                                                                                                                                                                                                                                               Foto: Lisa Rastl
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     in urban spaces
                                                        habe, da fängt es an, mich richtig zu interessieren.               Das unterscheidet sich ganz wesentlich. Auffallend            Wahrscheinlich einen gesunden Boden, auf dem die                                                                            Fr 5. Juli, 20:30 Uhr
                                                                                                                           an Salzburg sind die Wege, die sind in jeder Hinsicht         Wurzeln sich entfalten können.                                                                                              Sa 6. Juli, 13:00 Uhr So 7.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Juli, 17:00 Uhr Treffpunkt
                                                 Was bedeutet für Sie der Moment der Überforderung?                        kurz. Vom Zentrum benötige ich nicht länger als 20
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Platzl
                                                       Überforderung ist für mich positiv besetzt, da sie                  Minuten zu Fuß bis zum Stadtrand, während ich in        Was gibt Ihnen Halt?
                                                       mich eben (heraus)fordert, es mir nicht bequem                      Hamburg alleine schon 20 Minuten für die Strecke              Beruflich gesehen: meine Überzeugung, dass der
                                                       macht, sondern eine intensivere Auseinandersetzung                  von der S-Bahn zu meiner Wohnung gebraucht habe.              Bereich, in dem ich arbeite, wichtig ist. Die Sparte
                                                       mit dem Gesehenen verlangt.                                         Auch die Amtswege sind in Salzburg kürzer, es geht            zeitgenössische Kunst hat es in unserer Gesellschaft
                                                                                                                           vergleichsweise schnell, Genehmigungen zu bekom-              nicht leicht, weil ihr der Glamour wie beispielsweise
                                                                                                                           men. Überraschenderweise strahlt Salzburg durch die           dem Film oder der Bildenden Kunst fehlt. Daher ist
                                                                                                                           vielen Touristen mehr kosmopolitisches Flair aus, als         es mir wichtig, dafür Präsentations-Plattformen wie
                                                                                                                           ich das erwartet hatte.                                       die Sommerszene zu bieten. Persönlich geben mir
                                                                                                                                                                                         Familie und Freunde ein gutes back up.
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
10      [TIEF VERWURZELT]                                                                                                                                                                                                  [TIEF VERWURZELT]               11
                                                                                                                                                                                                                                                         AUTORIN Eva Helfrich

                                                                                                                                                                                                                                            STECKBRIEF
                                                                                                                                                                                                                     Foto: Privat
                                                                 Volkskultur zwischen                                                                                                                                                                    ARBEITET als freie

                                                                 Wollknäueln
                                                                                                                                                                                                                                                         Journalistin
                                                                                                                                                                                                                                                         FREUT SICH über
                                                                                                                                                                                                                                                         gutes Essen, laue
                                                                                                                                                                                                                                                         Sommernächte und
                                                                                                                                                                                                                                                         Spontanität

                                                                 und Sternen
                                                                                                                                                                                                                                                         ÄRGERT SICH über
                                                                                                                                                                                                                                                         schlechte Autofahrer
                                                                                                                                                                                                                                                         und Leute, die sich
                                                                                                                                                                                                                                                         über die Hitze be-
                                                                                                                                                                                                                                                         schweren
                                                                                                                                                                                                                                                         PFLANZT GERNE
                                                                                                              Heimat ist ein Thema, das jeden Menschen beschäftigt, aber nur wenige können mit ihren                                                     aromatische Kräuter
                                                                                                              Gedanken darüber auch an die Öffentlichkeit gehen – am wenigsten Menschen in Not. Dass                                                     wie Rosmarin, Korian-
                                                                                                                                                                                                                                                         der, Thymian, Minze.
                                                                                                              vor zwei Jahren das Apropos-Buch „Denk ich an Heimat“ mit dem Volkskulturpreis geadelt                                                     Und Margeriten. Und
                                                                                                              wurde, erfüllt uns nach wie vor mit Stolz. Wie groß der Volkskultur-Begriff ist, zeigt auch                                                Lavendel!
                                                                                                              die Bandbreite der diesjährigen Preisträger.

                                                                                                                                                                                                                                                                                 E
                                                                                                                                                                                                                                                                            in gelungener Garten sieht nicht nur gut aus, er
                                                                                                                                                                                                                                                                            macht stressresistent und hebt die Stimmung.
                                                                                                                                                                                                                                                                        Mediterrane Pflanzen bringen mit ihrem Blüten-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Ost- und Westbalkon liegt ab mittags bereits im
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Schatten. Ideal ist hier alles, was Halbschatten
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          mag, wie Margeriten, Buchsbaum, Zierahorn
                                                                                                                                                                                                                                                                        duft und ihrer schlichten Eleganz ein Stückchen                   oder Storchenschnabel. Für die Begrünung eines
                                                                                                                                                                                                                                                                        Süden in jedes Heim. Doch bevor man zum                           Nord-Balkons bieten sich Schatten-Liebhaber wie
                                                                                                                                                                                                                                                                         Gärtner des Vertrauens pilgert, sollte man sich                  Gräser und Farne an. Eine Überlebenskünstlerin,
                                                                                                                                                                                                                                                                         zwei Dinge bewusst machen: Wie groß ist der                      die ohne Sonne auskommt, ist die Fuchsie. Sie
                                                                                                                                                                                                                         Pflanzen-Tipps                                   Balkon, bzw. Garten und welche Ausrichtung                      fühlt sich pudelwohl, wo andere längst die Blätter
                                                                                                                                                                                                                                                                           hat er? Norden, Süden, Osten oder Westen?                      hängen lassen. Anders als im Garten sind Bal-
    Das Halleiner Weihnachtsspiel „A Stern kummt auf“
    nach Carl Orff
                                                                                           Das „Woll-Lust-Strickprojekt“ des Kulturkreises
                                                                                           „Das Zentrum Radstadt“
                                                                                                                                                        Christine Schweinöster gestaltete drei Wanderausstellungen
                                                                                                                                                        und eine Gesamtbroschüre zum Thema „100 Jahre bewegtes
                                                                                                                                                        Leben im Salzburger Saalachtal“
                                                                                                                                                                                                                       Wurzeln                                             Viele unserer Balkonpflanzen stammen ur-
                                                                                                                                                                                                                                                                            sprünglich aus den Tropen, Subtropen oder
                                                                                                                                                                                                                                                                            den Mittelmeerländern und benötigen beson-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          konpflanzen größeren Belastungen durch Sonne
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          und Wind ausgesetzt. Der Balkon muss aber
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          nicht windgeschützt sein, im Gegenteil: Wird die
                                                                   von Michaela Gründler
                                                                                                                                                                                                                       brauchen                                              ders viel Licht. Lavendel, Olivenbäumchen
                                                                                                                                                                                                                                                                             oder Hibiskus sind daher auf Süd-Balkonen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Luft bewegt, ist das gut für die Bestäubung der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Pflanzen und wirkt auch dem leichten Ansetzen

                                                                   V     or zwei Jahren waren wir überrascht und hocherfreut, als            entstand eine wirkungsvolle Einheit von szenischer Darstel-                                                                     besonders glücklich. Auch Vertreter der Gat-                 von Schädlingen entgegen. Tägliches Gießen ist

                                                                                                                                                                                                                       Raum
                                                                         unser Buch „Denk ich an Heimat“ aus 46 Einreichungen                lung, Gesang und chorischem Sprechen zwischen Dialekt,                                                                          tung Citrus brauchen es warm und sonnig.                     Pflicht. Morgens und abends können Ihre Pflanzen
                                                                   aus dem Bundesland Salzburg den ersten Platz beim Salzburger              lateinischer und deutscher Hochsprache. Zudem spannt sich                                                                       Im Sommer ist der Bedarf an Wasser und                       das Wasser richtig aufnehmen, während es in der
                                                                   Volkskulturpreis gewonnen hat. 15 Straßenzeitungs-Auto-                   der musikalische Bogen von Volkslied-Bearbeitungen bis zu                                                                       Nährstoffen groß, „nasse Füße“ vertragen sie                 Mittagssonne verdunsten würde.
                                                                   rinnen und -Autoren hatten unter der Schreibwerkstätten-                  Neuer Musik. Auch das Ensemble spiegelt eine enorme Vielfalt                      Die Gartensaison ist eröffnet: Endlich        jedoch gar nicht. Zum Gießen sollte man
                                                                   Leitung des Salzburger Schriftstellers Walter Müller viel                 wider: Laien wirken mit professionellen Künstlern zusammen                        kann man wieder in der eigenen Oase ent-      Regenwasser verwenden. Es ist sehr weich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Anbau auf Balkonien
                                                                   Arbeit und Mut gezeigt, ihren ganz persönlichen Zugang                    – und das vom Volksschul- bis zum Seniorenalter. Die beiden                       spannen. Sofern man zu den glücklichen        und hält den pH-Wert konstant niedrig. Das
                                                                   zu Heimat einer größeren Öffentlichkeit preiszugeben. Vor                 Förderpreise gehen an das „Woll-Lust-Strickprojekt“ des                           Gartenbesitzern gehört. Auch der Balkon       fördert die Aufnahme von Eisen, die Blätter                  Aromatische Tomaten, pralle Paprika und duften-
                                                                   allem waren wir stolz darauf, dem Begriff Volkskultur eine                Kulturkreises „Das Zentrum Radstadt“ sowie an die Projekte                        ist im Großstadtdschungel heilig. Wir         bleiben dunkelgrün. Wichtig ist, dass beim                   de Kräuter: Ein umfangreicher Schmankerlgarten
                                                                   neue Facette hinzugefügt zu haben.                                        „Loferer Geschichte(n)“ und „100 Jahre bewegtes Leben im                          haben für Sie die wertvollsten Tipps für     Pflanzen immer genügend Raum für die                          für Sterneköche lässt sich auf vielen Balkonen
                                                                                                                                             Salzburger Saalachtal“ von Christine Schweinöster.                                eine erfolgreiche Begrünung und Pflege      Wurzeln eingeplant wird.                                       problemlos umsetzen. Mediterrane Blüher wie
Stiftung ausgelobt. Der Hauptpreis ist mit 6.000 Euro dotiert,

                                                                   Wie aufgeschlossen und wohl auch mutig die damalige Jury                     Das gesamte Apropos-Team gratuliert den Volkskultur-                                gesammelt.                                                                                            Salbei und Thymian lieben pralles Sonnenlicht.
Volkskulturpreis des Landes Salzburg mit Unterstützung der
Salzburger Nachrichten und der Kurt-und-Felicitas-Vössing-
Zum vierten Mal wurde heuer der alle zwei Jahre vergebene

                                                                   war, erschloss sich mir noch intensiver bei der Jurysitzung,              preisträgerinnen und -trägern 2013 ganz herzlich!
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
12     [TIEF VERWURZELT]
                                                                                                                                 Systemische Beratung und Therapie haben im Kern
                                                                                                                                                                                                                                                                            [TIEF VERWURZELT]                                     13

                                                                                                                          INFO
                                           name Johannes Rubenz       IST gerne mit inter-                                       die Erkenntnis, dass man den Menschen nicht als                                                                                                                                       AUTORIN Andrea Huttegger       ÄRGERT SICH über Diskri-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                        STECKBRIEF
                                                                                                                                                                                                                                                             Foto: Privat
                              STECKBRIEF
Foto: design.rubenz

                                           ARBEITET in freier         essanten Menschen                                          Individuum, als „Insel“ verstehen kann, sondern                                                                                                                                       ARBEITET als Pressereferen-    minierung und Unfreund-
                                           Praxis als systemischer    zusammen                                                   nur im Zusammenspiel mit anderen Menschen.                                                                                                                                            tin und Journalistin           lichkeit
                                           Psychotherapeut (in        Wehrt sich gegen                                                                                                                                                                                                                                 FREUT SICH über ihre           fühtl sich verwurzelt
                                           Ausbildung unter Super-    „Da kann man eh nichts                                                                                                                                                                                                                           gemütliche Terrasse und        im Kreis ihrer Lieben
                                           vision) und systemischer   machen“-Haltungen                                                                                                                                                                                                                                auf den nächsten Camping-
                                           Coach und Organisati-                                                                                                                                                                                                                                                       Urlaub
                                           onsberater

                                                                                                                                                                                                               Heimisch in der Fremde

                                                                                                                                                                                                               Endlich angekommen

                                                                                                                                                                 Foto: Thinkstock
                                                                                                                                                                                                               Nicht immer fällt für Zuwanderer der Empfang freundlich aus.
                                                                                                                                                                                                               Das Projekt „Melete“ bringt Einheimische und Migranten zusammen.

                                                                                                                                                                                    von Andrea Huttegger

                                                                                                                                                                                    D    ie Begrüßung fällt herzlich aus: Eine
                                                                                                                                                                                         Umarmung und ein liebenswürdiges
                                                                                                                                                                                    „Wie geht’s dir?“ lassen ein freundschaft-
                                                                                                                                                                                                                                 gefragt, ob eine Stelle frei ist“, erinnert
                                                                                                                                                                                                                                 sich die Mentorin. Die Mühe hat sich
                                                                                                                                                                                                                                 gelohnt: Heba arbeitet nun in einem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Die einen bräuchten Hilfe beim Lernen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              wenn sie z. B. gerade eine Ausbildung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              absolvieren, andere wiederum würden ein-
                                                                                                                                                                                    liches Verhältnis zwischen Susanne Kis-      Souvenirgeschäft. „Das macht Spaß, denn                                      fach neue Kontakte und Ansprechpartner
                                                                                                                                                                                    sing und Heba Abou El Seoud vermuten.        ich treffe viele Leute.“ Natürlich sei es                                    für ihre Anliegen suchen. „Mentoring
                                                                                                                                                                                    Die Frauen wirken vertraut, wie ein                                                                                           ist keine professionelle Beratung,
                                                                                                                                                                                    eingespieltes Team. Die beiden haben                                                                                          aber eine hilfreiche und ergänzende

                                                                                                                                                                                                                                                                                    Foto: Andrea Hutteggger
                                                               Gemeinsam sind wiR                                                                                                   sich vor einem halben Jahr durch                                                                                              Unterstützung“, betont Liebing.

                                                             stark
                                                                                                                                                                                    das Projekt „Melete“ kennengelernt.
                                                                                                                                                                                    Dabei begleiten Mentoren nach                                                                                                    Den „Melete“-Paaren ist es frei
                                                                                                                                                                                    Österreich zugewanderte Frauen                                                                                                   überlassen, wie sie ihre Beziehungen
                                                                                                                                                                                    und Männer und helfen ihnen, sich                                                                                                gestalten. „Wir sind oft ins Museum
                                                                                                                                                                                    im hiesigen Bildungssystem bzw. am                                                                                               gegangen“, erzählt Heba. „Nun tref-
                                                                                                                                                                                    Arbeitsmarkt zurechtzufinden.                                                                                                    fen wir uns eher im Kaffee, um zu
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Plaudern und um uns zu erzählen,
                                                                                                                                                                                    „Das Schwierigste für mich war,                                                                                                  was es Neues gibt“, fügt Mentorin

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Interessierte Männer können sich ab sofort bei Josef Mautner, E-Mail: melete@menschen-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Die Projektverantwortlichen suchen dringend männliche Mentoren. Am 9. September wird
                                                                Menschen sind keine Einzelwesen, sondern eng mit anderen Menschen                                                   die Sprache zu lernen. Aber mein                                                                                                 Susanne hinzu. Auch die Salzburger

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                es um 17.30 Uhr im „ABZ – Haus der Möglichkeiten“ in Itzling einen Workshop geben.
                                                              verbunden. Der systemische Psychotherapeut Johannes Rubenz erzählt über                                               Deutsch wird immer besser“, sagt                                                                                                 Schranne hat es der Ägypterin ange-
                                                                  die Kraft der Gemeinschaft und über gefährliches Eigenbrötlertum.                                                 Heba und lacht. Die 39-jährige                                                                                                   tan. Ein guter Grund, um den Markt-
                      Interview von Bernd Rosenkranz                                                                                                                                Ägypterin ist vor neun Jahren der                                                                                                besuch mit dem Mentoring-Treffen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                rechte-salzburg.at oder Ursula Liebing E-Mail: u.liebing@frau-und-arbeit.at.
                                                                                                                                                                                    Liebe wegen nach Salzburg gekom-                                                                                                 zu verbinden. „Ich koche wahnsinnig
            Worin liegt die Kraft der Gemeinschaft?                                                               irgendeiner Form auf Gemeinschaft bezieht, verkommt zum Ei-       men und ist froh, diesen Schritt getan                                                                                           gerne, vor allem Putenschnitzel“,
                  Johannes Rubenz: Ich glaube, dass der Aspekt von Gemein-                                        genbrötlertum. Da zeigt sich für mich eine Abwehr des Gemein-     zu haben. „Ich finde Salzburg sehr                                                                                               erzählt Heba. Kissing nickt zustim-
                  schaft und Gesundheit immer noch unterschätzt wird. Nicht nur                                   schaftlichen – vielleicht auch eine Angst vor Menschen – und      schön. Vor allem die Natur und den                                                                                               mend: „Und ihre Vanillekipferl sind
                  ältere Menschen werden Ihnen eindrucksvoll erzählen, worunter                                   nicht ein autonomes Bestreben.                                    Winter mag ich.“ Die Mutter einer                                                                                                erst köstlich.“
                  sie am meisten leiden, nämlich Einsamkeit. In Redewendungen                                                                                                       sechsjährigen Tochter hat an der Uni-
                  wie „mit vereinten Kräften“ und „gemeinsam sind wir stark“                           Welche Rolle spielt hier das psychotherapeutische Setting?                   versität in Kairo den Bachelor of Arts                                                                                           Für Menschen, die nach Österreich
                  kommt zum Ausdruck, was Religionen und andere Gesinnungs-                                  Johannes Rubenz: Es spielt die Rolle, im kleinen Rahmen wie-           gemacht. Ihr großer Wunsch ist es,                                                                                            zuwandern, sei es oft nicht einfach
                  gemeinschaften seit tausenden Jahren praktizieren.                                         der soziale Kompetenz aufzubauen. Eine Person, die Vorbehalte          am Theater im Bereich Kostüm oder                                                                                             „anzukommen“. Viele Hürden müss-
                                                                                                             im Umgang mit anderen Menschen hat, gleich einer größeren              Bühnenbild zu arbeiten. „Leider habe                                                                                          ten übersprungen werden, schildert
            Nun fragt sich aber der kranke Mensch manchmal: „Wie soll mir die                                Gruppe auszusetzen, das ist so, als würde man jemanden in einen        ich bis jetzt noch nichts gefunden“,                                                                                          Kissing ihre Eindrücke, die sie auch
            Gemeinschaft helfen, wenn ich sie oft nicht aushalte?“                                           Löwenkäfig schmeißen und ihm sagen, er muss jetzt seine Angst          sagt sie enttäuscht. Durch „Melete“         Heba Abou El Seoud und Susanne Kissing                                            bei „Melete“ gesammelt hat. „Ich habe
                                                                                                                                                                                                                                sind durch "Melete" zusammengekommen.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Tel.: 0662 – 880723-17 melden.
                  Johannes Rubenz: Für mich klingt das zunächst eher nach                                    vor Raubtieren überwinden lernen. Ich glaube, es besteht hier die      erhoffte sie sich Unterstützung bei                                                                                           größten Respekt vor Zuwanderern.
                  schlechten Erfahrungen mit bestimmten Menschen oder Situa-                                 Aufgabe des Therapeuten, das Vertrauen in die eigenen Ressour-         der Jobsuche, diese bekommt sie nun.                                                                                          Sie sind ein unheimlicher Zugewinn

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Männliche Mentoren gesucht:
                  tionen. Da ich mich aber auch nicht vollständig abkapseln kann,                            cen wieder zu stärken. Schließlich ist auch das Therapiesystem         Susanne Kissing steht ihrer Mentee mit nicht ihr Traumberuf, aber sie wird sich                                           für Österreich.“ Das Gefühl, in Salzburg
                  kommt doch wieder das Thema Gemeinschaft herein. Und: Ist                                  eine kleine Gemeinschaft, in der beispielhaft wieder neue, güns-       Rat und Tat zur Seite, hat stets ein offenes weiter bewerben, um doch irgendwann                                          heimisch zu sein, hätte sich für Heba
                  es nicht eher eine bestimmte Position, die ich in einer Gruppe                             tigere Beziehungsformen entdeckt und gelernt werden können.            Ohr für ihre Anliegen. „Anfangs hat sich einmal am Theater zu arbeiten.                                                   erst im Laufe der Zeit eingestellt. „Am
                  einnehme, die mir nicht zusagt – und welche wünsche ich mir?                                                                                                      Heba wenig zugetraut. Sie meinte, dass                                                                                    Anfang war es für mich oft wie Urlaub
                  Alte Muster kritisch zu hinterfragen und neue Wege zu ergrün-                        Was würden Sie Apropos mit auf den Weg geben?                                sie nicht gut genug Deutsch spreche, um „Unser Ziel ist es, Menschen mit Mi-                                              hier. Jetzt fühle ich mich zu Hause.“
                  den – das kann Psychotherapie ermöglichen.                                                Johannes Rubenz: Der Gedanke der Redaktion und der                      sich für Jobs zu bewerben“, erzählt Kis- grationshintergrund den Zugang zu                                                Dafür verantwortlich seien natürlich
                                                                                                            Förderer scheint mir wichtig, dass hier mit kleinen Gesten und          sing von den ersten Treffen. Nach kurzer österreichischen Bildungsangeboten                                               ihr Mann und ihre kleine Tochter. Aber
            Braucht der Mensch den anderen Menschen, um autonom zu werden?                                  mit kleinen Beträgen ausgesprochen viel Gutes geleistet wird            Zeit gingen die beiden gemeinsam auf und zum Arbeitsmarkt zu erleichtern“,                                                auch „Melete“ habe beim Ankommen in
                  Johannes Rubenz: Autonomie kann ich nur leben, wenn ich                                   und auch dass man einen gesunden Trotz gegen vorherrschende             Arbeitssuche. „Wir haben jedes Geschäft sagt Projektleiterin Ursula Liebing. Die                                          Salzburg geholfen.
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
14     [TIEF VERWURZELT]                                                                                                                                                                               [TIEF VERWURZELT]               15
                                      name Wilhelm Ortmayr

                         STECKBRIEF
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                                      ARBEITET als freier Journalist
                                      FREUT sich auf Grado                                                                                                                   werde. Wie entscheidend Vorurteile für unser       festigte politische Ansichten sind freilich nicht
                                      ÄRGERT sich zum Glück                                                                                                                  tägliches Überleben seien, gerate darüber in       das Problem an sich, sondern Scheuklappen,
                                      immer seltener
                                                                                                                                                                             Vergessenheit. Der moderne Alltag sei ohne         Denkverbote, blinde Ideologien und Dogma-
                                      HAT SEINE WURZELN
                                      zwischen Weinbergen und                                                                                                                Vorurteile nicht zu bewältigen. Horkheimer         tismus.
                                      Getreidefeldern                                                                                                                        erklärt: „Im Dschungel der Zivilisation reichen       Zum Glück leben

                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Foto: Thinkstock
                                                                                                                                                                             angeborene Instinkte noch weniger aus als im       wir in einer pluralis-
                                                                         Wie starke Wurzeln brauchen wir?                                                                    Urwald. Ohne die Maschinerie der Vorurteile        tischen Demokratie,
                                                                                                                                                                             könnte einer nicht über die Straße gehen,          in der sich jeder

                                  Sicheres                                              oder
                                                                                                              quälender                                                      geschweige denn einen Kunden bedienen …
                                                                                                                                                                             Jedes Individuum hat den Wunsch, die Welt
                                                                                                                                                                             zu beurteilen, sein Ge- oder Missfallen an den
                                                                                                                                                                                                                                aussuchen darf, ob er
                                                                                                                                                                                                                                sich in guter Verwur-
                                                                                                                                                                                                                                zelung – sei sie ererbt

                                  Terrain                                                                      Ballast?                                                      Geschehnissen auszudrücken – dies ist ohne
                                                                                                                                                                             Vorurteile ein unmögliches Unterfangen.“
                                                                                                                                                                                Mit den Ritualen als Teil unseres Verwurzelt-
                                                                                                                                                                                                                                oder selbst geschaffen
                                                                                                                                                                                                                                – wohler fühlt als in
                                                                                                                                                                                                                                schmetterlingsähnli-
                                                             Ideologie, Religion, Brauchtum – feste Ansichten, vorgefertigte                                                 Seins ist es wohl ähnlich. Sie helfen uns in       cher Abwechslung
                                                             Meinungen und ein paar Vorurteile. Lebt es sich darin eingebettet                                               Krisen und geben Halt und Sicherheit. Die          und Freilebigkeit.
                                                             leichter? Oder sind tiefe Wurzeln nichts als Denk-Fesseln, die den                                              althergebrachten Totenbräuche und Trau-            Wir dürfen Wurzeln
                                                                             Flug ins eigene Glück verhindern?                                                               errituale der ländlichen, religiös geprägten       schlagen, wenn wir
               von Wilhelm Ortmayr                                                                                                                                           Kulturen bedienen sich im Prinzip der gleichen     meinen, dadurch bes-
                                                                                                                                                                             Eckpfeiler wie moderne Trauerarbeit. Beide         ser im Leben zu ste-

               W        ir werden sie niemals ganz los. Und
                        wissen bis zuletzt nicht, ob das gut
               ist oder nicht. Unsere Wurzeln begleiten
                                                                       Weltbild ihrer Vor-Generation brechen, war
                                                                       bis damals nie vorgekommen und hat zu
                                                                       enormer Irritation in der ganzen westlichen
                                                                                                                          können, dass es immer noch viele Vorurteile
                                                                                                                          und festgefügte Images gibt – so wie es
                                                                                                                          Mentalitäten gibt. Für sie wie für gewisse
                                                                                                                                                                             Zugänge haben Vor- und Nachteile. Richtig
                                                                                                                                                                             und passend ist, was den Betroffenen in der
                                                                                                                                                                             Krise hilft. Rituale geben dem jungen Kind
                                                                                                                                                                                                                                hen. Und wir können
                                                                                                                                                                                                                                wählen, wo uns der
                                                                                                                                                                                                                                Halt zu fest und somit
               uns ein Leben lang: jene, die in der DNA                Welt geführt. Heute, so sagen Soziologen, wird     Vorurteile mag gelten: „Und oft stimmt es          Sicherheit und Geborgenheit, sie steigern das      zur Fessel wird. Doch:
               gespeichert sind, ebenso wie unsere geistigen           tendenziell wertfreier und offener erzogen,        doch“ – wenngleich nicht für jeden Einzelfall.     Gefühl, mitgestalten zu können. Auch die           Gänzlich los werden
               und sozialen Prägungen. Mit der Muttermilch             die vermittelten Weltbilder und Meinungen          Vorurteile und Ressentiments trüben unsere         Psychotherapie bedient sich verschiedenster        wir die Muttermilch
               aufgesogen, so der Volksmund, haben wir all             sind pluralistischer als in der Nachkriegszeit.    Sinne und führen zu selektiver Wahrnehmung.        Rituale als Werkzeug. Mit ihrer Hilfe sollen       und die Wurzeln
               das, was unsere Vorfahren, Lehrer, Vorbilder,           Was wenig wundert. Nach den Erschütterun-          Und sobald die Realität fallweise Bestätigun-      Ordnungen wiederhergestellt werden, wo sie         unserer Stammbäu-
               Wegbegleiter sind und waren, was sie gedacht,           gen zweier Weltkriege waren Eltern ebenso          gen bietet (und das tut sie immer irgendwann),     nicht mehr als Struktur vorhanden sind.            me wohl nie. Trotz
               gelebt, gefürchtet und geliebt haben. Sie               wie Bildungseinrichtungen tunlichst darauf         wird verallgemeinert.                                 Gleichzeitig aber können Rituale zum völlig     Pizza, Pasta, Sushi
               haben unser erstes Weltbild geschaffen und              bedacht, stabilisierende und tugendhafte              Es ist erstaunlich, wie festgefügt manche       sinnentleerten Korsett werden und zum Klotz        und Burger, trotz
               Stück für Stück erweitert, ehe wir selbst eines         Wertgebäude zu schaffen. Über den Tellerrand       Bilder von den Menschen dieser Welt sind.          am Bein. Sie können neue Denkansätze und           täglicher Wahlfreiheit
               bauen konnten. Unser geistiges und seelisches           brauchte da vorerst nicht geschaut zu werden.      Selbst afro-amerikanische Kinder spielen           Sichtweisen blockieren oder ein Hinterfragen       und weitgehender
               Wurzelbett ist so alt wie das genetische, aber                                                             lieber mit weißen als mit schwarzen Puppen         überhaupt verhindern. Und Vorurteile, so           Kostenneutralität
               längst nicht so unveränderbar. Genau das                                                                   und in einigen Gegenden Asiens gilt als schön,     notwendig sie sein mögen, habe in negativ ins-     bleiben Schnitzel,
               macht’s spannend – und wirft die Frage auf,                                                                wer möglichst europäisch aussieht. Wir sind        trumentalisierter Ausformung die schlimmsten       Schweinsbraten und
               ob und wie fest man in seinen angestammten
               Wurzeln stehen bleiben sollte.                                Wo ist der                                   geprägt über Jahrhunderte. Die „Steirische
                                                                                                                          Völkertafel“ ist dafür ein wunderschönes op-
                                                                                                                                                                             Verbrechen der Menschheitsgeschichte mit
                                                                                                                                                                             ermöglicht. Dies geschah fast immer Hand in
                                                                                                                                                                                                                                Kaiserschmarren des
                                                                                                                                                                                                                                Österreichers Leib-          Trotz H & M tragen wir gerne Dirndl und
                                                                                                                                                                                                                                                             Lederhose – dieses Wechseln zwischen
                  Eine Generalantwort kann es auf diese Frage
               nicht geben. Was dem einen Halt ist, gerät dem               Halt zu fest?"                                tisches Beispiel. Sie stammt aus dem frühen
                                                                                                                          18. Jahrhundert und war nichts anderes als
                                                                                                                                                                             Hand mit religiösem oder politischem Fana-
                                                                                                                                                                             tismus. Beide Phänomene brauchen sozialen
                                                                                                                                                                                                                                speise. Trotz H&M
                                                                                                                                                                                                                                (oder etwa wegen?)
                                                                                                                                                                                                                                                             Moderne und Tradition macht frei. Und
                                                                                                                                                                                                                                                             manchmal auch ein bisschen ängstlich.
               anderen schnell zur Last oder Fessel, woher                                                                eine Art „Reiseführer“ für junge männliche         Neid, brauchen Ausgrenzung als Teil eines          tragen wir gerne und
               der eine Lebenskraft und Ruhe bezieht, ver-                                                                Adelige, die zwischen Ausbildung und Famili-       „Wir-Gefühls“, brauchen Stereotypen, die zur       wieder immer öfter
               sucht ein anderer möglichst vollständig hinter                                                             engründung für einige Zeit das Weite suchten,      selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Die         Dirndl und Lederhose. Genau so wie das
               sich zu lassen – um in reiferen Lebensjahren               Dass die Elterngeneration von heute auf         um die Welt kennenzulernen. Die Völkertafel        Geschichtsbücher, allein des 20. Jahrunderts,      Ausland uns sieht. Alles nur Vorurteile?
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
[SCHREIBWERKSTATT]
                                                                      16     [APROPOS-SPRACHKURS]                                                                                                                                                                                17
                                              AUTORIN Christina        LEITET seit Novem-

                                 STECKBRIEF
Foto: Privat

                                              Repolust                 ber 2011 mit großem                                                                                                                                  Narcista
                                                                                                                                          Das apropos-strassenbuch:
                                              BERUF Bibliothe-         Erfolg und viel Spaß
                                                                                                                                          so viele wege

                                                                                                                                                                                                                            Die Tricks der Betrüger
                                              karin, Journalistin,     auf beiden Seiten den
                                              Sprachlehrerin, Foto-    Apropos-Sprachkurs
                                              grafin & Autorin                                                                            32 Apropos-Verkäuferinnen und -Verkäufer berichten über
                                              WOHNORT Salzburg                                                                            ihre Irrwege, Umwege und Weggabelungen:

                                                                                                                                                                                                                                In Spanien ist jeder Tag ein           Wer im Internet seine Traumfrau oder
Apropos-Sprachkurs                                                                                                                                                                                                              „Tag des Flamencos“. Ladro-            seinen Traummann sucht, wird bitter ent-

Ich fahr
                                                                                                                                                                                                                                nes (Diebe), wohin das Auge            täuscht sein. Die Fotos werden von Finn-
                                                                                                                                                                                                                                blickt: Es gibt falsche Poli-          land oder sonst wo in der Welt herunter-
                                                                                                                                                                                                                                zisten, abzockende Gastrono-           geladen. Statt Psychologie studiert dann
                                                                                                                                                                                                                                men, fingierte Drogendealer,           eine vermeintliche Frieda aus Stockholm

in die Zukunft                                                                                                                                                                                          Narcista
                                                                                                                                                                                                        macht sich viele
                                                                                                                                                                                                        Gedanken
                                                                                                                                                                                                                                die gar keinen Stoff haben,
                                                                                                                                                                                                                                und Frauen, die keine sind.
                                                                                                                                                                                                                                Als mich die zwei Polizisten
                                                                                                                                                                                                                                                                       die Kunst des Abzockens. Und aus Iwan,
                                                                                                                                                                                                                                                                       dem Trickbetrüger aus der Ukraine,
                                                                                                                                                                                                                                                                       wird binnen kürzester Zeit ein Martin,
  Warum Kurs I die Gegenwart schätzt und Kurs II das Staunen lernt.                                                                                                                                                 direkt vor der Polizeiwache aufhalten,             Abteilungsleiter aus Köln. So einfach
                                                                                                                                                                                                                    wo ich täglich meine Straßenkunst ze-              geht das. Hierzulande ist das auch üb-
                                                                                                                                                                                                                    lebriere, lache ich erst einmal. „Was,             lich. Fotos werden auf CD gepresst und

                                                                                                                  Foto: Zigmas Soluchas
                                                                                                                                                                                                                    ihr seid Polizisten? Ihr habt ja nicht             kursieren dann irgendwo umher. Auf das
                                                                                                                                                                                                                    einmal eine Dienstkleidung. Ihr seht aus           versprochene Geschenk wartest du heute
                                                                                                                                                                                                                    wie ganz normale Diskothekenbesucher.“             noch. Also hütet euch vor allzu gewagten
                                                                                                                                                                                                                    „Wir sind undercover“, antworten sie. Der          Posen, Porträts, Autos und Immobilien,
                                                                                                                                                                                                                    eine zückt seine Dienstmarke. Die sieht            Yachten und sonstigem. Alles wird dann
                                                                                                                                                                                                                    sogar ziemlich echt aus, doch das uralte           als Schnäppchen irgendwo auf der Welt
                                                                                                                                                                                                                    Teil von einem Funkgerät erinnert mehr             angeboten. Ich jedenfalls fotografiere
                                                                                                                                                                                                                    an einen Comicfilm als an einen wahren             seitdem nur noch Landschaften und Kir-
                                                                                                                                                                                                                    Polizeieinsatz. Vor meinen Augen fuchtelt          chen. Wenn du das komische Gefühl hast,
                                                                                                                                                                                                                    er mit dem Ding umher. Trotz falscher und          überwacht zu werden, dann ist dringend
                                                                                                                                                                                                                    echter Polizisten werden die Touristen             zu raten, den Computer aus dem Fenster
                                                                                                                                                                                                                    täglich tausend Mal ausgeraubt. Am hell-           zu werfen. Verfolgungswahn, Schlafstö-
                                                                                                                                                                                                                    lichten Tag. Nächtens wird sowieso mit             rungen und Medikamentensucht sind die
                                                                                                                                                                                                                    dem ältesten Trick der Welt gearbeitet.            zwingenden Langzeitfolgen. Ihr wundert
                                                                                                                                                                                                                    Meist ist die Dame ein Transvestit und             euch auch noch, dass am Konto ohne er-
               Ogi ist der Poet in Gruppe I                                                                                                                                                                         mit den tollen Versprechungen für die              sichtlichen Grund Kleinstbeträge wie
                                                                                                                                                                                                                    Nacht wird es leider nichts. Der Tourist           2,40 Euro oder 3,20 Euro verschwinden?
                                                                                                                                                                                                                    ist seit der Befummelung durch die „Da-            Mit fünfzig tausend Mal multipliziert
  von Christina Repolust                                                                                                                                                                                            men“ pleite.                                       reicht das für ein paar Traumurlaube für
                                                                                                                                                                                                                                                                       die Hacker. Ein Mathematikfreak geht

  J   etzt ist jetzt. Dass wussten alle Sprach-
      lehrerInnen schon immer, lange, bevor
  diese Weisheit auch die AutorInnen der
                                                                      dressiert die Zeitung feilzubieten. Wohl
                                                                      aber die Regeln zu kennen: den Gruß,
                                                                      die Einleitungssätze, den Hinweis auf
                                                                                                                                                                                                                                                                       zur Bank und rechnet den „Irrtum“ der
                                                                                                                                                                                                                                                                       erhöhten Kreditrückzahlungsraten vor.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Leider ist nicht jeder Bürger Kenner der
  Selbsthilfebücher entdeckten. Wenn jetzt                            den Deutschkurs in jeder Zeitung, die                                                                                                                                                            Zinsrechnung.
  jetzt ist, dann liegt die Vergangenheit hinter                      Höhe der Auflage etc. „Nix kaufen!“ So                                                                                                                                                           Wer beschwert sich da noch über ver-
  mir – außer Sie sind nachtragend, haben                             ein Befund aus Gruppe II. Ja, manchmal                                                                                                                                                           dreckte, einarmige, knieamputierte
  ein gutes Erinnerungsvermögen etc. – und                            kaufen die Menschen weniger Exemplare                                                                                                                                                            Bettler, die quer durch Europa gekarrt
  die Zukunft vor Ihnen. „Blödsinn. Ich                               von Apropos, manchmal hat ein Passant                                                                                                                                                            werden und die dann die angeblich er-
  fahr mit dem Rad und vor mir ein Baum.                              seinen schlechtesten Tag des Monats                                                                                                                                                              schnorrten zweihundert Euro pro Mann den
  Das ist ein Baum. Nicht Zukunft.“ Klar,                             und kauft eben nicht. Manchmal müssen                                                                                         Die Rubrik Schreibwerkstatt                                        Hintermännern im Mercedes abliefern? Im
  das muss Ogi sagen, er ist der Poet der                             VerkäuferInnen-Ausweise auch im Kurs                                                                                          spiegelt die Erfahrungen,                                          Gegensatz zum Ösi-Volk organisieren sich
  Gruppe I. Aurel, der Verkaufer in Gneis,                            eingesammelt werden, um die Anwesenheit                                                                                       Gedanken und Anliegen                                              jene Völker eben besser und die Zuhälter
  fehlt, fehlt so richtig, denn an dieser Stelle                      in die Liste eintragen zu können. Ich sehe                                                                                                                                                       der Bettlerstraße kaufen sich weder Lu-
  hätte er still und das sehr nachdrücklich                           da viel Zukunft, Professionalisierung und                                                                                     unserer VerkäuferInnen und                                         xusvillen noch sonstigen Schnickschnack.
  in sich hinein gelächelt. Gruppe II wird                            Empowerment der VerkäuferInnen in den                                                                                         anderer Menschen in sozialen                                       Rechnerisch geht sich jedwedes Luxusgut
  jetzt in zwei Gruppen geteilt, Frauen- und                          neuen drei Gruppen. Apropos steht nicht                                                                                       Grenzsituationen wider.                                            mit der Bettelei niemals aus. Es muss
  Männergruppe, die Frauen freuen sich auf                            für Jammerjournalismus und der Deutsch-                                                                                                                                                          schon ein großer Idiot sein, wer einen
                                                                                                                                                                                                    Sie bietet Platz für Menschen
  den Unterricht und manche Männer ha-                                kurs nicht für Jammergrammatik: Jammern                                                                                                                                                          beinamputierten Bettler, der den ganzen
  ben immer viele Fragen. Zu ihrem Leben,                             ist immer gut, aber halt am richtigen Ort                                                                                     und Themen, die sonst nur am                                       Tag in der Kälte herumsitzt, um seinen
  nicht zur Grammatik: Der Deutschkurs                                zur richtigen Zeit. Auf in die Zukunft!
APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
[SCHREIBWERKSTATT]                                                                                                                                                 [SCHREIBWERKSTATT]
                                                       18                                                                                                                                                                                                            19
                                                                                                                                                                                                    Verkäufer KURT                                                    Verkäufer Ogi
                                    Verkäuferehepaar Georg und Evelyne
                                                                                                                                                                                                    freut sich, wenn er etwas                                         will jeden Augenblick leben
                                                                                                                                                                                                    setzen und beim Wachsen

                                    Wir machen Radio                                                                                                                                                beobachten kann

                                    … mit der Pädagogischen Hochschule Salzburg

                                    Am 11. Juni hatten wir live zu Gast in
                                    unserer Sendung vier Studierende: Andrea
                                    Gautsch, Christina Günther, Josef Wimmer und
                                    Andreas Zehner von der Pädak Salzburg. Der
                                                                                                                     Verkäuferin Evelyne          Verkäufer Georg
                                    Grund für ihren Besuch war, dass wir heuer
                                                                                                                     Evelyne freut sich im Juli   Georg freut sich im Juli auf
                                    schon im März von den Ausbildnerinnen der
                                                                                                                     auf hoffentlich schönes      gemeinsames Zelten mit
                                    Pädagogischen Hochschule eingeladen wurden,                                      Badewetter                   Frau und Hund Lilly            Verkäufer Kurt                                        Verkäufer Ogi
                                    um vor ca. 140 Studierenden einen Vortrag
                                    über das Thema „Armut“ zu halten. Im An-
                                    schluss hatten die Studierenden die Aufgabe,
                                    sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ei-
                                                                                                        Uns Radiomacher interessierte auch ganz be-
                                                                                                        sonders folgende Frage: Wenn die angehenden
                                                                                                                                                                                 Wie eine Geburt                                       Auslassen
                                    nige von den künftigen Grundschullehrerin-                          Grundschullehrerinnen und -lehrer künftig                                Das Leben hat erst einen Sinn, wenn man seine         Ich habe mit Windmühlen gekämpft und bin mit der Zeit
                                    nen und -lehrern verkauften mit uns Apropos                         eine Klasse haben und Kinder darunter sind,                              Wurzeln gesetzt hat. Wurzeln, die dich durch          launisch geworden.
                                    und schrieben anschließend eine Arbeit über                         deren Eltern an der Armutsgrenze leben,                                  das ganze Leben begleiten. Sich nicht durch
                                    ihre Eindrücke. Andere setzten sich mit dem                         wie gehen sie damit um? Herr Zehner dazu:                                Misserfolge geschlagen geben. Sondern mit             Ich habe Abwehrtürme aus Sand und Schlösser gebaut,
                                    Thema Mindestsicherung auseinander. Und ein                         Gerade im sozialen Umgang in der Klasse ist                              frischer Energie und Freude wieder etwas              welche die stürmischen Wogen in der Nacht brechen,
                                    paar von ihnen entschlossen sich, mit uns                           es wichtig, sich dieser Problemstellung zu                               aufbauen. Wurzeln setzen ist wie eine Geburt,         mit Leichtigkeit im Meer und mit der eigenen, ewig und
                                    eine Radiosendung zu gestalten. Wir fragten                         widmen. Besonders diese Kinder sollen die                                eine Entstehungsgeschichte, die viele Aus-            bodenlostiefen Umarmung. Wer hungrig und arbeitslos
                                    die Studierenden etwa, was sie davon halten,                        Möglichkeit haben, sich voll in eine Gruppe                              läufer hat. Irgendwo neue anfangen, Wurzeln           herumstreicht, ohne Unterbringung, sucht traurig
                                    dass in der Pädak das Thema Armut zum Vor-                          zu integrieren. Um auch Kinder aus armutsge-                             setzen für eine Beziehung, in der daraus              nette und gute Worte, einen häuslichen Herd und sau-
                                    tragsthema geworden ist. Frau Gautsch dazu:                         fährdeten Familien Ausflüge, Projekte usw.                               eine Liebe geboren wird, die ein Leben lang           bere Bettwäsche. Aber man findet Trost im Altertum,
                                    „Ich finde, dass dieses Thema ein sehr wich-                        zu ermöglichen, gibt es verschiedene Mög-                                anhält. Was ist mit dieser Welt geschehen:            ist still geworden und beleidigt vom Misserfolg. Den
Studierende der Pädagogi-           tiges ist – nicht nur für uns als angehende                         lichkeiten: Man könnte Einnahmen aus diver-                              Krieg, Frieden, Geldentwertung, Aufbau nach           Augenblick auslassen, mir gelingt der Punkt nicht.
schen Hochschule Salzburg
                                    Lehrpersonen, sondern auch für uns selbst                           sen Klassenprojekten zur Verfügung stellen                               dem Zusammenfall. Ein Ziegel nach dem anderen         Der alte Mythos wieder erobert mich und verzögert das
(v. l. n. r.) Andreas Zehner,
Josef Wimmer, Christina             persönlich, weil ich mir sicher bin, dass es                        oder auch diverse Einrichtungen anfragen,                                gesetzt, um die verlorene Wurzel wieder auf-          Überlegen. Aber was mir welcher Gott auch immer gibt,
Günther, Andrea Gautsch.            viele Erwachsene gibt, die bestimmt nicht                           die diese Kinder finanziell bei Ausflügen                                zubauen. Jeder Stein des Lebens eine Freude,          werde ich mit ihm in Gefangenschaft geraten. Die
                                                              wissen, ab wann man                       und Schulmaterial unterstützen. Generell                                 Frohsinn und innerlicher Friede. Etwas setzen         Erwartungen an die Nacht in duftender Morgenfrühe
Foto: Aigner

                                                              in Österreich als                         sollte man als Lehrperson sich davor nicht                               und das Wachstum begutachten, wann die ersten         bei den Küsten am Meer, werden Begegnung und lassen
                                                              armutsgefährdet                           scheuen, auf diese Möglichkeiten zurückzu-                               Blüten entstehen für ein neues Leben. Nach            mich schnell blicken.
                                                              gilt.“                                    greifen, um diese Familien zu unterstützen.                              Niederlagen habe auch ich meine Wurzeln
                                                                                                        Man sollte jedoch immer darauf achtgeben,                                gesetzt in Salzburg und ich bin froh darüber,         Keinen Augenblick auszulassen, das sind Erkennungs-
                                                                                                        dass nichts auf eigene Faust geschieht und                               dass ich nie aufgegeben habe an mich zu glau-         zeichen der Zukunft.
[SCHREIBWERKSTATT]                                                                                        [SCHREIBWERKSTATT]
                                                                                     20                                                                                                                                                 21
                           Verkäuferin Luise                                                                                                                      Verkäufer erwin                       Verkäufer Erwin
                                                                                                                                                                  freut sich im Juli auf

                           Schafalm am nahen Mondsee                                                                                                                                                    Tief verwurzelt
                                                                                                                                                                  schönes Wetter

                           Ich möchte Ihnen heute von einem wunderbaren                   Frau Nagel bietet Seminare an, zum Beispiel
                           Projekt berichten. Liebe Bekannte von mir,                     „Ein Blick ins Landleben“. In diesen erfährt                                                                  Als kleiner Winzling geboren verbrachte ich meine
                           Nicole und Stephan Nagel, haben sich vom                       man Wissenswertes über das Landleben (Termi-                                                                  Jugendjahre im Kreise einer ärmlichen Familie. Da ich
                           Großstadtleben verabschiedet und bewirt-                       ne: 13. Juli, 10. August, 14. September und am                                                                am Land geboren wurde, interessierten mich schon in
                           schaften nun einen Bauernhof am nahe gele-                     28. September jeweils von 9.30 bis 18 Uhr).                                                                   jungen Jahren die Arbeiten rund um unser Haus. Beim
                           genen Mondsee mit guter Fernsicht. Da haben                    Ich kann Ihnen nur empfehlen: Machen Sie sich                                                                 Nachbarn, einem Bauern, half ich auf dem Feld mit
                           sie Schafe, Hühner, Lauf-Enten, Küken, Katzen                  auf den Weg zum Landleben! Ich war selbst                                                                     oder ging mit der Kathi Kühe auf die Weide bringen.
Verkäuferin Luise
                           sowie einen Hund, den sie aus der Großstadt                    schon dort und bin einfach nur begeistert:            Verkäufer Erwin                                         Nach der sorglosen Jugend kam die Schule und später
tankte unlängst Kraft
auf der Schafalm
                           mitgenommen haben. Stephan Nagel macht                         Es ist eine Traumlandschaft mit Natur pur                                                                     eine Lehre als Wasserleitungs-Installateur. Ich

                                                                                                                                                Kamel-Samstag
                           viel selbst, auch eine Fischzucht mit Mini-                    und man hat einen wunderbaren Blick auf den                                                                   versuchte, mich in meiner Heimat tief zu verwurzeln,
                           Forellen und Saiblingen betreiben die beiden                   Mondsee und das Salzkammergut. Dort lässt es                                                                  was mir aber nicht gelang. Es folgten verschiedene
                           sowie eine Bienenzucht. Sie sind der Meinung:                  sich gut einen Tag das Landleben genießen!                                                                    Stationen in den folgenden Jahren, wobei ich mich
                           Nur bei Nahrung, die selbst angebaut wird,                     Frau Nagel wird mit Ihnen Käsen, Brotbacken,          Durch meine Bekanntschaft mit den Pächtern des Im-      nie richtig verwurzeln konnte. Seit 2002 lebe ich in
                           weiß man sicher, was drinnen ist – und was                     Fischräuchern und als Heilpraktikerin einen           bissstandes beim Hofwirt in der Franz-Josef-Straße      Salzburg und hoffe mich hier verwurzeln zu können.
                           nicht.                                                         Blick in die Gemüse- und Kräuterkunde ge-             erfuhr ich, dass im Theater Odeion ein Bakota-Fest
                           Der Grund, der die Familie Nagel aufs Land                     ben. Gemeinsam wird Brot gebacken, das beim           stattfindet – das ist ein „Better World Festival“.
                           verschlagen hat, war, dass sie ein Leben                       Mittagessen gemeinsam verspeist wird. Sie             Da ich Frau Martina Saddik ein Apropos-Kochbuch
                           im Einklang mit Mensch, Tier und Natur mit                     wünscht sich, dass jeder Besucher mit schö-           versprochen hatte, entschloss ich mich am Samstag
                           Besinnung auf das Wesentliche abseits vom                      nen Eindrücken und Bildern nach Hause geht.           Mittag, diese Veranstaltung zu besuchen.
                           Alltagsstress führen wollten.                                  Ihr ist es wichtig, dass sie Wissen weiterge-         Ich brachte auch das versprochene Kochbuch und die
                                                                                          ben kann, und sie macht das sehr gut.
[PORTRÄT-SERIE]                                                                                                                                                                   [PORTRÄT-SERIE]
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                                                                                                                                                                                                                                                              BUCHTIPP
                            AutorIN Gerlinde Wein-       ÄRGERT SICH über Unrecht

               STECKBRIEF
                                                                                                                                                                                                                                                                                           küssen die Hunde
                            müller                       Freut SICH über Men-                                                                                                                                                                                                              Kurzgeschichten
                            lebt in Niederalm bei        schen, die einander zuge-
                            Salzburg                     neigt sind                                                                                                                                                                                                                        Gerlinde Weinmüller
                            schreibt Gedichte, Kurz-                                                                                                                                                                                                                                       Edition Garamond
                            geschichten, Romane                                                                                                                                                                                                                                            21,80 Euro

                                                                                                                                                                                                                                                                         Lesung von Gerlinde Weinmüller am 6. August 2013 um
                                                             Schriftstellerin trifft Verkäuferin
                                                                                                                                                                                                                                                                         17 Uhr zur Eröffnung der Vernissage (Werke von Karl
                                                                                                                                                                                                                                                                         Hartwig Kaltner) in der Bibliotheksaula, Eingang gegen-

              Verstehen heiSSt leben
                                                                                                                                                                                                                                                                         über dem Festspielhaus.

                                                oder von Frau zu Frau                                                                                            Dann muss ich an die Kinder denken. Ganz fest. Dann          chen können. Und mit
                                                                                                                                                                 wird es besser. Ein bisschen besser.“                        der Angst. Alles weg.
                                                           Über Apropos-Verkäuferin Thi Nhin Nguyen,                                                             Alleine sein macht ihr Angst. Sie fürchtet die Geister der   Einfach weg.
                                                             über offene Augen, Ohren und Hände.                                                                 Einsamkeit. Auch die Dunkelheit macht ihr Angst. Aber
                                                                                                                                                                 da gibt es ja das Licht, das sie über Nacht eingeschalten    Doch von Salzburg will
                                                                                                                                                                 lässt. Und den Salzburger Himmel und das Salzburger          sie nicht mehr weg. Hier
                                                                                                                                                                 Wetter und die Salzburger Straßen und die Salzburger         kommt sie zurecht. Ist
                                                                                                                                                                 selbst. Sie fühlt sich wohl unter Menschen. Denn dann        zur rechten Zeit am
                                                                                                                                                                 ist sie nicht alleine.                                       rechten Ort. Kommt
                                                                                                                                                                                                                              alleine zurecht. Sie ist
                                                                                                                                                                 Oft hat Thi Nhin Nguyen Schmerzen. Grässliche Kopf-          immer alleine zurecht-
                                                                                                                                                                 schmerzen. Die hatte sie schon als Kind. In Vietnam.         gekommen. Alleiner-
von Gerlinde Weinmüller                                                                                                                                          Schlimme Zeiten waren es, erzählt sie. Der Vater tot.        ziehend nennt man das.
                                                                                                                                                                 Die Mutter immer traurig. Schwestern. Brüder. Überall

S   ie heißt Thi Nhin Nguyen
    und kommt aus Vietnam.
Sie hat kein Heimweh, sagt sie.
                                                                                                                            Sommer. Herbst und Winter.
                                                                                                                            Ab acht Uhr früh steht sie auf
                                                                                                                            ihrem Platz in der Altstadt
                                                                                                                                                                 in der Welt verstreut. Viele versuchten zu fliehen. In
                                                                                                                                                                 Booten. Übers Meer.
                                                                                                                                                                 „Erst Geld bezahlen und dann sterben“, sagt sie und
                                                                                                                                                                                                                              „Für Männer habe ich keine Zeit“, meint sie und lacht
                                                                                                                                                                                                                              mich an. „Leider“, fügt sie hinzu. Ihre Augen lachen.
                                                                                                                                                                                                                              Ihre Hände lachen. „Aber ich bin zufrieden“, meint sie.
Ihre Kinder sind ihre Heimat.                                                                                               und verkauft Zeitungen. Über         sieht mich an.                                               Was für ein Satz, denke ich. Ein Satz voller Mut. Ein
Sie hat drei Töchter, einen Sohn                                                                                            dreihundert im Monat. Doch           „Drei Millionen Menschen tot.“                               Satz voller Demut. Ein Satz, der mich herausfordert.
und acht Enkelkinder. Eines                                                                                                 manchmal verkauft sie nur eine       In ihrem Blick ist kein Vorwurf. Und doch, ich fühle,        Und was bist du, frage ich mich?
davon heißt Hannah. Wie meine                                                                                               Zeitung am Tag.                      wie sich diese Zahl einen Weg bahnt in meinen Kopf

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    künstlerische Arbeiten sind ein dreiteiliges Riesenpanorama von
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    mit fotohauch@aon.at eine voll knuffige Mailanschrift. Aktuelle
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Kunden aus Wirtschaft, Politik und Kunst. Zentrales Thema ist
Tochter.                                                                                                                    „Ist egal“, sagt sie, „Hauptsache,   und in mein Herz. So viele. So unvorstellbar viele.          „Danke“, sage ich.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Andreas Hauch arbeitet seit genau 20 Jahren als Fotograf mit

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    immer der Mensch. Er braucht keine Homepage, aber er hat
                                                                                                                            sie kommen.“                                                                                      Danke für das Gespräch. Danke für das Zuhören. Danke
Sie lächelt. Ihr Lächeln ist vol-                                                                                           Und alle kommen sie. Män-            „Aber ich bin da“, lacht Thin Nhin Nguyen. Sie reißt         für das Entgegenkommen. Danke für die Offenheit.
ler Stolz. Voller Stolz auf ihre                                                                                            ner wie Frauen. Kaufen eine          mich aus meinen Gedanken. Wir sitzen an unserem              Danke für das Vertrauen. Danke für den Einblick in ein
Kinder, ihre Enkelkinder und                                                                                                Zeitung und erzählen ihre            Kaffeehaustisch. Es ist weder warm noch kalt. Wie so         anderes Leben. Danke für den Blick über mein Leben
ihre Arbeit. Damit kann sie ihre                                                                                            Geschichten. Sprechen über           oft ist das Wetter unentschieden. Der große Schirm           hinaus. Danke für den neuen Blick auf mein eigenes
Kinder unterstützen. Und das                                                                                                ihre Probleme. Über ihre             über uns schützt vor Sonne und Regen. Schutz für uns         Leben. Danke für die Worte, die sich in meinem Kopf
will sie. Unbedingt. Sie liebt                                                                                              Hoffnungen und Ängste. Ihre          beide. Ich bin dankbar.                                      formen:
Kinder. Kinder bedeuten Leben.                                                                                              Freuden und Sehnsüchte. Ihre

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Salzburg und diverse Kurzfilme.
Aufleben. Weiterleben.                                                                                                      Wirklichkeiten und Träume.           Es ist spät geworden. Sie zeigt mir Fotos. Fotos von den     den kopf auf
                                                                                                                            Sie alle wissen: Thi Nhin            Kindern. Von den Enkelkindern. Sie macht sich Sorgen.        die leichte schulter
„Ich kann nicht nein sagen“, sagt                                                                                           Nguyen ist da. Jederzeit. Bei        Sie würde so gerne noch mehr für sie alle tun. Doch sie      nehmen
sie. „Kann nicht nein sagen, wenn                                                                                           jedem Wetter. Und sie kann           kann nur ihr eigenes Leben leben. Nicht das der Kinder.      und dann
jemand etwas braucht.“                                                                                                      zuhören. Und sie will lernen.        Loslassen lernen, denke ich und sehe meine Kinder vor        auf händen tragen
Sie passt auf ihren Enkelsohn auf.                                                                                          Sie will Deutsch lernen. Jeden       mir. Den eigenen Weg finden lassen. Sie sein lassen,         den neuen blick
Aber sie nimmt ihn nicht mit.                                                                                               Tag. Sie hört die Melodie der        wie sie sind. Loslassen, um zu finden. Verlassen, um
Nicht zum Zeitung-Verkaufen.                                                                                                Sprache. Formt Laute nach.           anzukommen. Lassen, um zu sein.                              Thi Nhin Nguyen nimmt meine Hand. Wir halten
Denn dann denken die Leute, sie bettelt. Und           großzügigen Mund. Sie sitzt ganz aufrecht, den     Sammelt Wörter. Prägt sich Sätze ein. Was sie                                                                       einander fest. Ein paar kostbare Augenblicke lang.
das will sie nicht. Auf keinen Fall.                   Körper leicht nach vorne geneigt. Mir zugeneigt.   nicht versteht, schlägt sie nach. Im Wörterbuch.       „Brauchst du irgendetwas?“ frage ich.                        „Danke auch“, sagt sie. Der Kaffee ist inzwischen kalt
                                                       Wir sind einander zugeneigt. Ich spreche. Sie      Daheim. Sie weiß, verstehen ist wichtig. Ver-          „Nichts“, sagt sie. „Mein Leben ist einfach.“                geworden. „Macht nichts“, denke ich. Mir ist warm ums                                   FOTOS
Mit ihrer Tochter ist sie 1995 nach Deutschland        hört zu. Sie spricht. Ich höre zu. Ein Geben und   stehen heißt leben.                                                                                                 Herz. Und ich weiß, warum.
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