APROPOS - TIEF VERWURZELT Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
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APROPOS Nr. 118 Den VerkäuferInnen bleibt EUR 1,25 2,E5ur0o DIE SALZBURGER STRASSENZEITUNG TIEF VERWURZELT Nicht zu stark Sommerszene-Managerin Angela Glechner im Titelinterview Sicherer Halt Die Kraft der Gemeinschaft JULI 2013
2 [INHALT] [EDITORIAL] 3 Thema: TIEF VERWURZELT Schreibwerkstatt Platz für Menschen und Themen, die sonst 4 Schwarz-Weiß-Denken nur am Rande wahrgenommen werden. editorial TIEF VERWURZELT Cartoon 6 17 Narcista 5 Tief verwurzelt 18 Georg & Evelyne Soziale Zahlen 19 Kurt Du bist hier! 6 Du bist hier Ogi Szene-Intendantin Angela Glechner Liebe Leserinnen und Leser! Szene-Intendantin im Apropos-Titelinterview 20 Luise Angela Glechner erzählt im 21 Erwin Apropos-Titelinterview über Jeder von uns hat seine Wurzeln. Manchmal sind Schwierig wird es, wenn Menschen in Vorur- 10 Zwischen Wollknäueln und Sternen häufige Ortswechsel, den sie so stark, dass wir nicht vom Fleck kommen, teilen und im Schwarz-Weiß-Denken verhaftet Volkskulturpreis 2013 Drang nach Freiheit und manchmal sind sie so schwach, dass wir nicht bleiben. So bequem eine einfache Sicht auf die das kosmopolitische Flair 11 Wurzeln brauchen Raum Pflanzen-Tipps Aktuell Fuß fassen können. Immer jedoch habe wir den Wunsch, uns dort, wo wir uns gerade befinden, in Welt auch sein mag, so hat sie oft nichts mit der Realität zu tun, sondern nur mit den eigenen Salzburgs. 22 Autoren über Verkäufer irgendeiner Art und Weise zu verankern. Befindlichkeiten (S. 4). 12 Gemeinsam sind wir stark Autorin Gerlinde Weinmüller porträtiert Im zeitgenössischen Kulturbetrieb ist es hilfreich, Interview Apropos-Verkäuferin Thi Nhin seine Wurzeln nicht zu tief zu schlagen, da häu- Immer wieder bedanken sich Schriftstellerinnen fige Ortswechsel an der Tagesordnung stehen. und Schriftsteller bei uns für das „Geschenk der 13 Endlich angekommen 24 Kultur-Tipps Die neue Szene-Intendantin Angela Glechner Begegnung“ mit unseren Verkäuferinnen und Heimisch in der Fremde Was ist los im Juli. erzählt im Apropos-Interview, wo ihre Wurzeln Verkäufern. So auch die Salzburger Autorin 10 14 Sicheres Terrain oder quälender Ballast? 25 Gehört & gelesen liegen, warum sie für ihre erste Sommerszene das Gerlinde Weinmüller, die unsere vietnamesische Volkskultur Motto „You are here“ gewählt hat und was ihr Verkäuferin Thi Nhin getroffen hat (S. 22/23). Wie starke Wurzeln brauchen wir? Buch- und CD-Tipps zum Nachhören Wie groß der und Nachlesen. Halt gibt (S. 6–9). Volkskulturbegriff ist, zeigt 16 Sprachkurs 26 Kolumne: Robert Buggler die Bandbreite der Preisträger. Ich fahr in die Zukunft Was dem einen Halt bedeutet, gerät dem an- Apropos war in der Jury. deren schnell zur Last. Gaben früher Religion Herzlichst, Ihre oder Traditionen Orientierung, befinden sich heutzutage immer mehr Menschen auf der Suche 12 Kraft der Gemeinschaft Im Spannungsfeld zwischen 22 Interview In unserer Serie „Schriftsteller Vermischt 27 28 Kochen mit Alfons Schuhbeck Apropos Kreuzworträtsel nach einem Weltbild, das für sie passt (S. 14/15). Aber auch Brauchtum verändert sich und mit ihm seine Begrifflichkeiten, wie die Verleihung des diesjährigen Volkskulturpreises zeigt (S. 10). Michaela Gründler Chefredakteurin Ich und Wir finden wir zu trifft Verkäufer“ schreibt unserer Mitte. Schriftstellerin Gerlinde 29 Leserbrief Weinmüller über Apropos- Für Menschen, die nach Österreich zuwandern, Verkäuferin Thi Nhin. 30 Kolumne: Das erste Mal ist es oft nicht einfach, „anzukommen“. Umso Diesmal von Gerhard Rettenegger schöner, wenn sich Einheimische finden, die den 31 Neues vom Team Neuzugängen behilflich sind, sich immer besser zu verwurzeln (S. 13). Gerade in der Gemeinschaft 14 zu anderen Menschen lässt sich viel Kraft tanken und Hoffnung schöpfen (S. 12). Wie starke Wurzeln brauchen wir? Wann geben uns Tradi- tionen, Religionen und Brauchtum Halt – und wann hindern sie uns, uns Grundlegende Richtung Apropos ist ein parteiunabhängiges, sozi- herausragende journalistische Leistungen. zu entfalten? ales Zeitungsprojekt und hilft seit 1997 Apropos erscheint monatlich. Die Verkäu- Menschen in sozialen Schwierigkeiten, ferInnen kaufen die Zeitung im Vorfeld sich selbst zu helfen. Die Straßenzeitung um 1,25 Euro ein und verkaufen sie um wird von professionellen JournalistInnen 2,50 Euro. Apropos ist dem „Internatio- gemacht und von Männern und Frauen nalen Netz der Straßenzeitungen” (INSP) 27 verkauft, die obdachlos, wohnungslos angeschlossen. Die Charta, die 1995 in Aufgekocht im Juli und/oder langzeitarbeitslos sind. In der London unterzeichnet wurde, legt fest, Rubrik „Schreibwerkstatt“ haben sie dass die S traßenzeitungen alle Gewinne Diesmal stellt Alfons die Möglichkeit, ihre Erfahrungen und zur Unterstützung ihrer V erkäuferinnen Schuhbeck ein vegetarisches Anliegen eigenständig zu artikulieren. und Verkäufer verwenden. Rezept vor. Im März 2009 erhielten Chefredakteu- rin Michaela Gründler und Redakteurin Anja Eichinger den René-Marcic-Preis für APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013 APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013
4 [TIEF VERWURZELT] Foto: Thinkstock berühmte Täuschung. Sie können sich nicht dagegen wehren, die grauen Punkte Soziale Zahlen Der Berliner Physiologe Prof. Ludimar Hermann entdeckte 1870 zufällig diese im Monat Juli 8.351.700 Menschen lebten 2012 in Österreich 1.578.900 an den Schnittstellen der weißen Linien zu sehen. davon sind Menschen mit Migrationshintergrund (1.166.800 erste Generation, 412.200 zweite Generation) 500.000 ÖsterreicherInnen leben Schwarz, weiß und ... im Ausland TICKER ... unheimlich viele Graustufen Die soziale Zahl des Monats entsteht in Kooperation mit dem Institut für Grundlagenforschung von Christina Repolust W enn ich wenig Zeit habe, großen Hunger habe oder im Stau ste- he, hilft es mir, in klarem Schwarz und liebe ich die Graustufen, die ich in der Dunkelkammer beim Selberentwickeln meiner Schwarz-Weiß-Aufnahmen beendete? „Er hat einfach Schluss ge- macht!“ So klangen meine Schluchzer, ich inszenierte mich im Kreise meiner sauberem Weiß zu denken: „Warum kennengelernt habe: Grau kann ziemlich Freundinnen als die Verlassene und war fährt der Trottel vor mir nicht! Wie blöd hell, ziemlich bedrohlich dunkel und in gleichzeitig selber froh, dass „es“ – un- kann man sein, jetzt noch abzubiegen.“ jedem Fall nicht nur fad sein. Seit ich das sere Sprach- und Lieblosigkeit – vorbei Ein Sojajoghurt später verstehe ich auf meinen Alltag übertrage, frage ich und ausgestanden war! Darum mag ich mich und den Linksabbieger mit Hut mich immer häufiger: Warum boomen „Tatort“-Krimis so gern: Da geht’s zu aber wieder besser. Manchmal muss seit einigen Jahren ausgerechnet jene wie in der Dunkelkammer und selbst diese einfache Schwarz-Weiß-Sicht Krimis, die die klare Schwarz-Weiß- die KommissarInnen haben dort dunkle auf die Welt einfach sein: Wenn ich Zeichnung aufgegeben haben? Warum Seiten und graue noch viel mehr.
6 [TIEF VERWURZELT] [TIEF VERWURZELT] 7 Titelinterview Du bist hier! Name Angela Glechner STECKBRIEF ARBEITET ALS Kulturmanagerin FREUT SICH über gutes Essen ÄRGERT SICH über schlechtes Essen Dort, wo man gerade ist, beginnt man Wurzeln zu schlagen, auch wenn es nur für ei- nen Moment ist. Im zeitgenössischen Kulturbetrieb ist es hilfreich, seine Wurzeln nicht zu fest an einem Ort zu verankern, da die meisten Arbeitsverhältnisse befristet sind. Die neue Szene-Intendantin Angela Glechner erzählt im Apropos-Interview über häufige Ortswechsel, den Drang nach Freiheit und den kostbaren Moment der Überforderung. Interview mit Angela Glechner von Michaela Gründler Wo liegen Ihre Wurzeln? men“ stammt von der Wiener Künstlerin Barbara Kraus, In meiner Familie. Und damit ein Stück weit auch dort, er war also schon vergeben. Nach kurzer Zeit in Salzburg wo ich geboren bin. Ich komme aus einem kleinen Dorf kam mir die Idee für das heurige Sommerszene-Motto. in Oberösterreich bei Ried im Innkreis. Mit 18 wollte ich Ich beobachtete, wie sich Touristen mit dem Stadtplan möglichst schnell und weit weg, weil mir das dörfliche in Salzburg zurechtfinden wollten und oft zur Antwort Leben zu einengend war. Je älter ich werde, umso weniger bekamen: „You are here.“ Das passt zu dieser touristischen kann ich allerdings ausschließen, dass ich später wieder Stadt schon mal gut. Darüber hinaus drückt es die Geste dorthin zurückkehre. einer großen Einladung aus: an alle, hier und dabei zu sein – lokal, global, universell, spartenübergreifend. Wie wichtig ist für Sie das Gefühl, verwurzelt zu sein? Glaubt man der Astrologie, dann müsste ich bei meinem Die Sommerszene ist in den vergangenen Jahren immer stär- Sternzeichen sehr tief verwurzelt sein.Tatsächlich habe ich ker in den öffentlichen Raum gegangen. Was bedeutet für Sie jedoch einen großen Freiheitsdrang. Im Kulturbetrieb ist der öffentliche Raum? es jedenfalls hilfreich, in einer Stadt nicht zu tiefe Wurzeln Für ein Sommerfestival ist es mittlerweile State of the Art, zu schlagen, da man bereit sein muss, häufige Ortswech- Projekte außerhalb des institutionellen Bühnenraumes sel vorzunehmen, allein schon aufgrund der befristeten einzuladen und damit verstärkt in die Stadt zu kommu- Verträge. nizieren. Aufführungen und Aktionen im öffentlichen Raum genießen eine erhöhte Aufmerksamkeit, nicht nur Vor genau einem Jahr haben Sie die Nachfolge vom langjäh- beim Publikum, auch bei den Medien. Diese Sichtbarkeit rigen Szene-Intendanten Michael Stolhofer übernommen. Die schlägt sich logischerweise auf das restliche Programm heurige Sommerszene mit dem Motto „You are here“ trägt nieder. zum ersten Mal Ihre Handschrift. Wie sieht diese aus? Ich bin aus zwei Gründen für die Leitung der Szene Der öffentliche Raum ist sehr sensibel, gerade in der Weltkul- geholt worden: zum einen, um das Haus als Ganzjahres- turerbe-Stadt Salzburg. Vor 15 Jahren haben unsere Straßen- betrieb zu leiten, und zum anderen, um das internationale zeitungsverkäuferinnen und -verkäufer manche Menschen Flaggschiff für zeitgenössische, darstellende Kunst, die irritiert: Plötzlich war Armut auf Salzburgs Straßen sichtbar, Sommerszene, zu programmieren. Genau das hat Michael was zu Beginn zu Reaktionen führte wie: „Was tut ihr hier? Stolhofer dreißig Jahre lang auch gemacht. Deshalb ist es Geht doch arbeiten!“ Das hat sich zum Glück geändert. Wel- für Außenstehende vielleicht auf den ersten Blick nicht chen Eindruck haben Sie von den Apropos-Verkäufern? so leicht, meine Handschrift zu sehen. Tatsächlich gibt Selbstverständlich nehme ich die Apropos-Verkäuferinnen es aber nur an die 30 Prozent, wo sich unser künstleri- und -Verkäufer in Salzburg wahr, nur treten sie hier weni- sches Interesse deckt. Das macht sich an der Auswahl von ger dicht auf wie in meinen beiden vorherigen Wohnorten Künstlern bei dem Programm meiner ersten Sommer Hamburg und Wien. Straßenzeitungen gehören für mich szene fest, aber auch im graphischen Erscheinungsbild des seit Jahren zu jedem urbanen Stadtbild dazu und sind aus Programmhefts. diesen nicht mehr wegzudenken. Ich finde es wichtig und gut, dass es sie gibt. >> Wieso „You are here“? Man steht ja immer vor der Wahl, ob man einem Festival ein Thema voranstellt, das programmatisch gefüllt wird, oder ob man sich alles offenhält. Ich wollte ein Motto, Überforderung ist für mich aber es sollte mich gleichzeitig nicht in meiner Auswahl einengen. Mein Lieblings-Slogan „Wer will, kann kom- positiv besetzt.“ APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013 APROPOS · Nr. 118 · Juli 2013
8 [TIEF VERWURZELT] [TIEF VERWURZELT] 9 Boris Charmatz/ Foto: Boris Brussey Musée de la danse enfant Mi 3. und Do 4. Juli, 20:30 Uhr republic Immer wieder irritieren Kunstobjekte, die aufgestellt Was ist für Sie die Aufgabe von Kunst? Sie arbeiten mit vielen internationalen Künstlern zusam- werden, wie die Lüpertz-Mozartstatue oder auch der Zeitgenössische Kunst dient nicht zur Behübschung men. Was ist deren „gemeinsame Wurzel“ für Sie? umgedrehte Helikopter von Paola Pivi am Mozartplatz, des Lebens. Sie muss Fragen aufwerfen, die Men- Es ist wohl ihre Position als freischaffende Künstler. und treten in den Medien einen Sturm der Empörung los. schen zum Nachdenken anregen. Impulse setzen, Keiner hat Bedingungen wie in einem Stadttheater- Wie wichtig ist für Sie Irritation? Denkräume schaffen. Sie darf aber auch unterhalten System, sondern arbeitet vorwiegend unter unsiche- Zeitgenössische Kunst trägt bis zu einem gewissen und zum Lachen bringen. Eines darf Kunst in kei- ren, befristeten Produktionsbedingungen. Und dann Grad ein Irritationspotential in sich. Irritation nur nem Fall: stehen bleiben. das globale Umfeld, in dem sich der international um der Irritation willen ist mir allerdings zu wenig, arbeitende Künstler ständig bewegt. zu spekulativ und inhaltlich zu dünn. Für mich ist der Sie haben in Wien, Berlin und Hamburg gelebt und sind Moment der Überforderung wesentlicher: Im Theater vor einem Jahr nach Salzburg gezogen. Wie unterscheidet Was braucht der Mensch, um Wurzeln schlagen zu Cie. Willi Dorner bodies etwas zu erfahren, wofür ich kein Referenzsystem sich das Lebensgefühl zwischen diesen Orten? können? Foto: Lisa Rastl in urban spaces habe, da fängt es an, mich richtig zu interessieren. Das unterscheidet sich ganz wesentlich. Auffallend Wahrscheinlich einen gesunden Boden, auf dem die Fr 5. Juli, 20:30 Uhr an Salzburg sind die Wege, die sind in jeder Hinsicht Wurzeln sich entfalten können. Sa 6. Juli, 13:00 Uhr So 7. Juli, 17:00 Uhr Treffpunkt Was bedeutet für Sie der Moment der Überforderung? kurz. Vom Zentrum benötige ich nicht länger als 20 Platzl Überforderung ist für mich positiv besetzt, da sie Minuten zu Fuß bis zum Stadtrand, während ich in Was gibt Ihnen Halt? mich eben (heraus)fordert, es mir nicht bequem Hamburg alleine schon 20 Minuten für die Strecke Beruflich gesehen: meine Überzeugung, dass der macht, sondern eine intensivere Auseinandersetzung von der S-Bahn zu meiner Wohnung gebraucht habe. Bereich, in dem ich arbeite, wichtig ist. Die Sparte mit dem Gesehenen verlangt. Auch die Amtswege sind in Salzburg kürzer, es geht zeitgenössische Kunst hat es in unserer Gesellschaft vergleichsweise schnell, Genehmigungen zu bekom- nicht leicht, weil ihr der Glamour wie beispielsweise men. Überraschenderweise strahlt Salzburg durch die dem Film oder der Bildenden Kunst fehlt. Daher ist vielen Touristen mehr kosmopolitisches Flair aus, als es mir wichtig, dafür Präsentations-Plattformen wie ich das erwartet hatte. die Sommerszene zu bieten. Persönlich geben mir Familie und Freunde ein gutes back up.
10 [TIEF VERWURZELT] [TIEF VERWURZELT] 11 AUTORIN Eva Helfrich STECKBRIEF Foto: Privat Volkskultur zwischen ARBEITET als freie Wollknäueln Journalistin FREUT SICH über gutes Essen, laue Sommernächte und Spontanität und Sternen ÄRGERT SICH über schlechte Autofahrer und Leute, die sich über die Hitze be- schweren PFLANZT GERNE Heimat ist ein Thema, das jeden Menschen beschäftigt, aber nur wenige können mit ihren aromatische Kräuter Gedanken darüber auch an die Öffentlichkeit gehen – am wenigsten Menschen in Not. Dass wie Rosmarin, Korian- der, Thymian, Minze. vor zwei Jahren das Apropos-Buch „Denk ich an Heimat“ mit dem Volkskulturpreis geadelt Und Margeriten. Und wurde, erfüllt uns nach wie vor mit Stolz. Wie groß der Volkskultur-Begriff ist, zeigt auch Lavendel! die Bandbreite der diesjährigen Preisträger. E in gelungener Garten sieht nicht nur gut aus, er macht stressresistent und hebt die Stimmung. Mediterrane Pflanzen bringen mit ihrem Blüten- Ost- und Westbalkon liegt ab mittags bereits im Schatten. Ideal ist hier alles, was Halbschatten mag, wie Margeriten, Buchsbaum, Zierahorn duft und ihrer schlichten Eleganz ein Stückchen oder Storchenschnabel. Für die Begrünung eines Süden in jedes Heim. Doch bevor man zum Nord-Balkons bieten sich Schatten-Liebhaber wie Gärtner des Vertrauens pilgert, sollte man sich Gräser und Farne an. Eine Überlebenskünstlerin, zwei Dinge bewusst machen: Wie groß ist der die ohne Sonne auskommt, ist die Fuchsie. Sie Pflanzen-Tipps Balkon, bzw. Garten und welche Ausrichtung fühlt sich pudelwohl, wo andere längst die Blätter hat er? Norden, Süden, Osten oder Westen? hängen lassen. Anders als im Garten sind Bal- Das Halleiner Weihnachtsspiel „A Stern kummt auf“ nach Carl Orff Das „Woll-Lust-Strickprojekt“ des Kulturkreises „Das Zentrum Radstadt“ Christine Schweinöster gestaltete drei Wanderausstellungen und eine Gesamtbroschüre zum Thema „100 Jahre bewegtes Leben im Salzburger Saalachtal“ Wurzeln Viele unserer Balkonpflanzen stammen ur- sprünglich aus den Tropen, Subtropen oder den Mittelmeerländern und benötigen beson- konpflanzen größeren Belastungen durch Sonne und Wind ausgesetzt. Der Balkon muss aber nicht windgeschützt sein, im Gegenteil: Wird die von Michaela Gründler brauchen ders viel Licht. Lavendel, Olivenbäumchen oder Hibiskus sind daher auf Süd-Balkonen Luft bewegt, ist das gut für die Bestäubung der Pflanzen und wirkt auch dem leichten Ansetzen V or zwei Jahren waren wir überrascht und hocherfreut, als entstand eine wirkungsvolle Einheit von szenischer Darstel- besonders glücklich. Auch Vertreter der Gat- von Schädlingen entgegen. Tägliches Gießen ist Raum unser Buch „Denk ich an Heimat“ aus 46 Einreichungen lung, Gesang und chorischem Sprechen zwischen Dialekt, tung Citrus brauchen es warm und sonnig. Pflicht. Morgens und abends können Ihre Pflanzen aus dem Bundesland Salzburg den ersten Platz beim Salzburger lateinischer und deutscher Hochsprache. Zudem spannt sich Im Sommer ist der Bedarf an Wasser und das Wasser richtig aufnehmen, während es in der Volkskulturpreis gewonnen hat. 15 Straßenzeitungs-Auto- der musikalische Bogen von Volkslied-Bearbeitungen bis zu Nährstoffen groß, „nasse Füße“ vertragen sie Mittagssonne verdunsten würde. rinnen und -Autoren hatten unter der Schreibwerkstätten- Neuer Musik. Auch das Ensemble spiegelt eine enorme Vielfalt Die Gartensaison ist eröffnet: Endlich jedoch gar nicht. Zum Gießen sollte man Leitung des Salzburger Schriftstellers Walter Müller viel wider: Laien wirken mit professionellen Künstlern zusammen kann man wieder in der eigenen Oase ent- Regenwasser verwenden. Es ist sehr weich Anbau auf Balkonien Arbeit und Mut gezeigt, ihren ganz persönlichen Zugang – und das vom Volksschul- bis zum Seniorenalter. Die beiden spannen. Sofern man zu den glücklichen und hält den pH-Wert konstant niedrig. Das zu Heimat einer größeren Öffentlichkeit preiszugeben. Vor Förderpreise gehen an das „Woll-Lust-Strickprojekt“ des Gartenbesitzern gehört. Auch der Balkon fördert die Aufnahme von Eisen, die Blätter Aromatische Tomaten, pralle Paprika und duften- allem waren wir stolz darauf, dem Begriff Volkskultur eine Kulturkreises „Das Zentrum Radstadt“ sowie an die Projekte ist im Großstadtdschungel heilig. Wir bleiben dunkelgrün. Wichtig ist, dass beim de Kräuter: Ein umfangreicher Schmankerlgarten neue Facette hinzugefügt zu haben. „Loferer Geschichte(n)“ und „100 Jahre bewegtes Leben im haben für Sie die wertvollsten Tipps für Pflanzen immer genügend Raum für die für Sterneköche lässt sich auf vielen Balkonen Salzburger Saalachtal“ von Christine Schweinöster. eine erfolgreiche Begrünung und Pflege Wurzeln eingeplant wird. problemlos umsetzen. Mediterrane Blüher wie Stiftung ausgelobt. Der Hauptpreis ist mit 6.000 Euro dotiert, Wie aufgeschlossen und wohl auch mutig die damalige Jury Das gesamte Apropos-Team gratuliert den Volkskultur- gesammelt. Salbei und Thymian lieben pralles Sonnenlicht. Volkskulturpreis des Landes Salzburg mit Unterstützung der Salzburger Nachrichten und der Kurt-und-Felicitas-Vössing- Zum vierten Mal wurde heuer der alle zwei Jahre vergebene war, erschloss sich mir noch intensiver bei der Jurysitzung, preisträgerinnen und -trägern 2013 ganz herzlich!
12 [TIEF VERWURZELT] Systemische Beratung und Therapie haben im Kern [TIEF VERWURZELT] 13 INFO name Johannes Rubenz IST gerne mit inter- die Erkenntnis, dass man den Menschen nicht als AUTORIN Andrea Huttegger ÄRGERT SICH über Diskri- STECKBRIEF Foto: Privat STECKBRIEF Foto: design.rubenz ARBEITET in freier essanten Menschen Individuum, als „Insel“ verstehen kann, sondern ARBEITET als Pressereferen- minierung und Unfreund- Praxis als systemischer zusammen nur im Zusammenspiel mit anderen Menschen. tin und Journalistin lichkeit Psychotherapeut (in Wehrt sich gegen FREUT SICH über ihre fühtl sich verwurzelt Ausbildung unter Super- „Da kann man eh nichts gemütliche Terrasse und im Kreis ihrer Lieben vision) und systemischer machen“-Haltungen auf den nächsten Camping- Coach und Organisati- Urlaub onsberater Heimisch in der Fremde Endlich angekommen Foto: Thinkstock Nicht immer fällt für Zuwanderer der Empfang freundlich aus. Das Projekt „Melete“ bringt Einheimische und Migranten zusammen. von Andrea Huttegger D ie Begrüßung fällt herzlich aus: Eine Umarmung und ein liebenswürdiges „Wie geht’s dir?“ lassen ein freundschaft- gefragt, ob eine Stelle frei ist“, erinnert sich die Mentorin. Die Mühe hat sich gelohnt: Heba arbeitet nun in einem Die einen bräuchten Hilfe beim Lernen, wenn sie z. B. gerade eine Ausbildung absolvieren, andere wiederum würden ein- liches Verhältnis zwischen Susanne Kis- Souvenirgeschäft. „Das macht Spaß, denn fach neue Kontakte und Ansprechpartner sing und Heba Abou El Seoud vermuten. ich treffe viele Leute.“ Natürlich sei es für ihre Anliegen suchen. „Mentoring Die Frauen wirken vertraut, wie ein ist keine professionelle Beratung, eingespieltes Team. Die beiden haben aber eine hilfreiche und ergänzende Foto: Andrea Hutteggger Gemeinsam sind wiR sich vor einem halben Jahr durch Unterstützung“, betont Liebing. stark das Projekt „Melete“ kennengelernt. Dabei begleiten Mentoren nach Den „Melete“-Paaren ist es frei Österreich zugewanderte Frauen überlassen, wie sie ihre Beziehungen und Männer und helfen ihnen, sich gestalten. „Wir sind oft ins Museum im hiesigen Bildungssystem bzw. am gegangen“, erzählt Heba. „Nun tref- Arbeitsmarkt zurechtzufinden. fen wir uns eher im Kaffee, um zu Plaudern und um uns zu erzählen, „Das Schwierigste für mich war, was es Neues gibt“, fügt Mentorin Interessierte Männer können sich ab sofort bei Josef Mautner, E-Mail: melete@menschen- Die Projektverantwortlichen suchen dringend männliche Mentoren. Am 9. September wird Menschen sind keine Einzelwesen, sondern eng mit anderen Menschen die Sprache zu lernen. Aber mein Susanne hinzu. Auch die Salzburger es um 17.30 Uhr im „ABZ – Haus der Möglichkeiten“ in Itzling einen Workshop geben. verbunden. Der systemische Psychotherapeut Johannes Rubenz erzählt über Deutsch wird immer besser“, sagt Schranne hat es der Ägypterin ange- die Kraft der Gemeinschaft und über gefährliches Eigenbrötlertum. Heba und lacht. Die 39-jährige tan. Ein guter Grund, um den Markt- Interview von Bernd Rosenkranz Ägypterin ist vor neun Jahren der besuch mit dem Mentoring-Treffen rechte-salzburg.at oder Ursula Liebing E-Mail: u.liebing@frau-und-arbeit.at. Liebe wegen nach Salzburg gekom- zu verbinden. „Ich koche wahnsinnig Worin liegt die Kraft der Gemeinschaft? irgendeiner Form auf Gemeinschaft bezieht, verkommt zum Ei- men und ist froh, diesen Schritt getan gerne, vor allem Putenschnitzel“, Johannes Rubenz: Ich glaube, dass der Aspekt von Gemein- genbrötlertum. Da zeigt sich für mich eine Abwehr des Gemein- zu haben. „Ich finde Salzburg sehr erzählt Heba. Kissing nickt zustim- schaft und Gesundheit immer noch unterschätzt wird. Nicht nur schaftlichen – vielleicht auch eine Angst vor Menschen – und schön. Vor allem die Natur und den mend: „Und ihre Vanillekipferl sind ältere Menschen werden Ihnen eindrucksvoll erzählen, worunter nicht ein autonomes Bestreben. Winter mag ich.“ Die Mutter einer erst köstlich.“ sie am meisten leiden, nämlich Einsamkeit. In Redewendungen sechsjährigen Tochter hat an der Uni- wie „mit vereinten Kräften“ und „gemeinsam sind wir stark“ Welche Rolle spielt hier das psychotherapeutische Setting? versität in Kairo den Bachelor of Arts Für Menschen, die nach Österreich kommt zum Ausdruck, was Religionen und andere Gesinnungs- Johannes Rubenz: Es spielt die Rolle, im kleinen Rahmen wie- gemacht. Ihr großer Wunsch ist es, zuwandern, sei es oft nicht einfach gemeinschaften seit tausenden Jahren praktizieren. der soziale Kompetenz aufzubauen. Eine Person, die Vorbehalte am Theater im Bereich Kostüm oder „anzukommen“. Viele Hürden müss- im Umgang mit anderen Menschen hat, gleich einer größeren Bühnenbild zu arbeiten. „Leider habe ten übersprungen werden, schildert Nun fragt sich aber der kranke Mensch manchmal: „Wie soll mir die Gruppe auszusetzen, das ist so, als würde man jemanden in einen ich bis jetzt noch nichts gefunden“, Kissing ihre Eindrücke, die sie auch Gemeinschaft helfen, wenn ich sie oft nicht aushalte?“ Löwenkäfig schmeißen und ihm sagen, er muss jetzt seine Angst sagt sie enttäuscht. Durch „Melete“ Heba Abou El Seoud und Susanne Kissing bei „Melete“ gesammelt hat. „Ich habe sind durch "Melete" zusammengekommen. Tel.: 0662 – 880723-17 melden. Johannes Rubenz: Für mich klingt das zunächst eher nach vor Raubtieren überwinden lernen. Ich glaube, es besteht hier die erhoffte sie sich Unterstützung bei größten Respekt vor Zuwanderern. schlechten Erfahrungen mit bestimmten Menschen oder Situa- Aufgabe des Therapeuten, das Vertrauen in die eigenen Ressour- der Jobsuche, diese bekommt sie nun. Sie sind ein unheimlicher Zugewinn Männliche Mentoren gesucht: tionen. Da ich mich aber auch nicht vollständig abkapseln kann, cen wieder zu stärken. Schließlich ist auch das Therapiesystem Susanne Kissing steht ihrer Mentee mit nicht ihr Traumberuf, aber sie wird sich für Österreich.“ Das Gefühl, in Salzburg kommt doch wieder das Thema Gemeinschaft herein. Und: Ist eine kleine Gemeinschaft, in der beispielhaft wieder neue, güns- Rat und Tat zur Seite, hat stets ein offenes weiter bewerben, um doch irgendwann heimisch zu sein, hätte sich für Heba es nicht eher eine bestimmte Position, die ich in einer Gruppe tigere Beziehungsformen entdeckt und gelernt werden können. Ohr für ihre Anliegen. „Anfangs hat sich einmal am Theater zu arbeiten. erst im Laufe der Zeit eingestellt. „Am einnehme, die mir nicht zusagt – und welche wünsche ich mir? Heba wenig zugetraut. Sie meinte, dass Anfang war es für mich oft wie Urlaub Alte Muster kritisch zu hinterfragen und neue Wege zu ergrün- Was würden Sie Apropos mit auf den Weg geben? sie nicht gut genug Deutsch spreche, um „Unser Ziel ist es, Menschen mit Mi- hier. Jetzt fühle ich mich zu Hause.“ den – das kann Psychotherapie ermöglichen. Johannes Rubenz: Der Gedanke der Redaktion und der sich für Jobs zu bewerben“, erzählt Kis- grationshintergrund den Zugang zu Dafür verantwortlich seien natürlich Förderer scheint mir wichtig, dass hier mit kleinen Gesten und sing von den ersten Treffen. Nach kurzer österreichischen Bildungsangeboten ihr Mann und ihre kleine Tochter. Aber Braucht der Mensch den anderen Menschen, um autonom zu werden? mit kleinen Beträgen ausgesprochen viel Gutes geleistet wird Zeit gingen die beiden gemeinsam auf und zum Arbeitsmarkt zu erleichtern“, auch „Melete“ habe beim Ankommen in Johannes Rubenz: Autonomie kann ich nur leben, wenn ich und auch dass man einen gesunden Trotz gegen vorherrschende Arbeitssuche. „Wir haben jedes Geschäft sagt Projektleiterin Ursula Liebing. Die Salzburg geholfen.
14 [TIEF VERWURZELT] [TIEF VERWURZELT] 15 name Wilhelm Ortmayr STECKBRIEF Foto: Privat ARBEITET als freier Journalist FREUT sich auf Grado werde. Wie entscheidend Vorurteile für unser festigte politische Ansichten sind freilich nicht ÄRGERT sich zum Glück tägliches Überleben seien, gerate darüber in das Problem an sich, sondern Scheuklappen, immer seltener Vergessenheit. Der moderne Alltag sei ohne Denkverbote, blinde Ideologien und Dogma- HAT SEINE WURZELN zwischen Weinbergen und Vorurteile nicht zu bewältigen. Horkheimer tismus. Getreidefeldern erklärt: „Im Dschungel der Zivilisation reichen Zum Glück leben Foto: Thinkstock angeborene Instinkte noch weniger aus als im wir in einer pluralis- Wie starke Wurzeln brauchen wir? Urwald. Ohne die Maschinerie der Vorurteile tischen Demokratie, könnte einer nicht über die Straße gehen, in der sich jeder Sicheres oder quälender geschweige denn einen Kunden bedienen … Jedes Individuum hat den Wunsch, die Welt zu beurteilen, sein Ge- oder Missfallen an den aussuchen darf, ob er sich in guter Verwur- zelung – sei sie ererbt Terrain Ballast? Geschehnissen auszudrücken – dies ist ohne Vorurteile ein unmögliches Unterfangen.“ Mit den Ritualen als Teil unseres Verwurzelt- oder selbst geschaffen – wohler fühlt als in schmetterlingsähnli- Ideologie, Religion, Brauchtum – feste Ansichten, vorgefertigte Seins ist es wohl ähnlich. Sie helfen uns in cher Abwechslung Meinungen und ein paar Vorurteile. Lebt es sich darin eingebettet Krisen und geben Halt und Sicherheit. Die und Freilebigkeit. leichter? Oder sind tiefe Wurzeln nichts als Denk-Fesseln, die den althergebrachten Totenbräuche und Trau- Wir dürfen Wurzeln Flug ins eigene Glück verhindern? errituale der ländlichen, religiös geprägten schlagen, wenn wir von Wilhelm Ortmayr Kulturen bedienen sich im Prinzip der gleichen meinen, dadurch bes- Eckpfeiler wie moderne Trauerarbeit. Beide ser im Leben zu ste- W ir werden sie niemals ganz los. Und wissen bis zuletzt nicht, ob das gut ist oder nicht. Unsere Wurzeln begleiten Weltbild ihrer Vor-Generation brechen, war bis damals nie vorgekommen und hat zu enormer Irritation in der ganzen westlichen können, dass es immer noch viele Vorurteile und festgefügte Images gibt – so wie es Mentalitäten gibt. Für sie wie für gewisse Zugänge haben Vor- und Nachteile. Richtig und passend ist, was den Betroffenen in der Krise hilft. Rituale geben dem jungen Kind hen. Und wir können wählen, wo uns der Halt zu fest und somit uns ein Leben lang: jene, die in der DNA Welt geführt. Heute, so sagen Soziologen, wird Vorurteile mag gelten: „Und oft stimmt es Sicherheit und Geborgenheit, sie steigern das zur Fessel wird. Doch: gespeichert sind, ebenso wie unsere geistigen tendenziell wertfreier und offener erzogen, doch“ – wenngleich nicht für jeden Einzelfall. Gefühl, mitgestalten zu können. Auch die Gänzlich los werden und sozialen Prägungen. Mit der Muttermilch die vermittelten Weltbilder und Meinungen Vorurteile und Ressentiments trüben unsere Psychotherapie bedient sich verschiedenster wir die Muttermilch aufgesogen, so der Volksmund, haben wir all sind pluralistischer als in der Nachkriegszeit. Sinne und führen zu selektiver Wahrnehmung. Rituale als Werkzeug. Mit ihrer Hilfe sollen und die Wurzeln das, was unsere Vorfahren, Lehrer, Vorbilder, Was wenig wundert. Nach den Erschütterun- Und sobald die Realität fallweise Bestätigun- Ordnungen wiederhergestellt werden, wo sie unserer Stammbäu- Wegbegleiter sind und waren, was sie gedacht, gen zweier Weltkriege waren Eltern ebenso gen bietet (und das tut sie immer irgendwann), nicht mehr als Struktur vorhanden sind. me wohl nie. Trotz gelebt, gefürchtet und geliebt haben. Sie wie Bildungseinrichtungen tunlichst darauf wird verallgemeinert. Gleichzeitig aber können Rituale zum völlig Pizza, Pasta, Sushi haben unser erstes Weltbild geschaffen und bedacht, stabilisierende und tugendhafte Es ist erstaunlich, wie festgefügt manche sinnentleerten Korsett werden und zum Klotz und Burger, trotz Stück für Stück erweitert, ehe wir selbst eines Wertgebäude zu schaffen. Über den Tellerrand Bilder von den Menschen dieser Welt sind. am Bein. Sie können neue Denkansätze und täglicher Wahlfreiheit bauen konnten. Unser geistiges und seelisches brauchte da vorerst nicht geschaut zu werden. Selbst afro-amerikanische Kinder spielen Sichtweisen blockieren oder ein Hinterfragen und weitgehender Wurzelbett ist so alt wie das genetische, aber lieber mit weißen als mit schwarzen Puppen überhaupt verhindern. Und Vorurteile, so Kostenneutralität längst nicht so unveränderbar. Genau das und in einigen Gegenden Asiens gilt als schön, notwendig sie sein mögen, habe in negativ ins- bleiben Schnitzel, macht’s spannend – und wirft die Frage auf, wer möglichst europäisch aussieht. Wir sind trumentalisierter Ausformung die schlimmsten Schweinsbraten und ob und wie fest man in seinen angestammten Wurzeln stehen bleiben sollte. Wo ist der geprägt über Jahrhunderte. Die „Steirische Völkertafel“ ist dafür ein wunderschönes op- Verbrechen der Menschheitsgeschichte mit ermöglicht. Dies geschah fast immer Hand in Kaiserschmarren des Österreichers Leib- Trotz H & M tragen wir gerne Dirndl und Lederhose – dieses Wechseln zwischen Eine Generalantwort kann es auf diese Frage nicht geben. Was dem einen Halt ist, gerät dem Halt zu fest?" tisches Beispiel. Sie stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert und war nichts anderes als Hand mit religiösem oder politischem Fana- tismus. Beide Phänomene brauchen sozialen speise. Trotz H&M (oder etwa wegen?) Moderne und Tradition macht frei. Und manchmal auch ein bisschen ängstlich. anderen schnell zur Last oder Fessel, woher eine Art „Reiseführer“ für junge männliche Neid, brauchen Ausgrenzung als Teil eines tragen wir gerne und der eine Lebenskraft und Ruhe bezieht, ver- Adelige, die zwischen Ausbildung und Famili- „Wir-Gefühls“, brauchen Stereotypen, die zur wieder immer öfter sucht ein anderer möglichst vollständig hinter engründung für einige Zeit das Weite suchten, selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Die Dirndl und Lederhose. Genau so wie das sich zu lassen – um in reiferen Lebensjahren Dass die Elterngeneration von heute auf um die Welt kennenzulernen. Die Völkertafel Geschichtsbücher, allein des 20. Jahrunderts, Ausland uns sieht. Alles nur Vorurteile?
[SCHREIBWERKSTATT] 16 [APROPOS-SPRACHKURS] 17 AUTORIN Christina LEITET seit Novem- STECKBRIEF Foto: Privat Repolust ber 2011 mit großem Narcista Das apropos-strassenbuch: BERUF Bibliothe- Erfolg und viel Spaß so viele wege Die Tricks der Betrüger karin, Journalistin, auf beiden Seiten den Sprachlehrerin, Foto- Apropos-Sprachkurs grafin & Autorin 32 Apropos-Verkäuferinnen und -Verkäufer berichten über WOHNORT Salzburg ihre Irrwege, Umwege und Weggabelungen: In Spanien ist jeder Tag ein Wer im Internet seine Traumfrau oder Apropos-Sprachkurs „Tag des Flamencos“. Ladro- seinen Traummann sucht, wird bitter ent- Ich fahr nes (Diebe), wohin das Auge täuscht sein. Die Fotos werden von Finn- blickt: Es gibt falsche Poli- land oder sonst wo in der Welt herunter- zisten, abzockende Gastrono- geladen. Statt Psychologie studiert dann men, fingierte Drogendealer, eine vermeintliche Frieda aus Stockholm in die Zukunft Narcista macht sich viele Gedanken die gar keinen Stoff haben, und Frauen, die keine sind. Als mich die zwei Polizisten die Kunst des Abzockens. Und aus Iwan, dem Trickbetrüger aus der Ukraine, wird binnen kürzester Zeit ein Martin, Warum Kurs I die Gegenwart schätzt und Kurs II das Staunen lernt. direkt vor der Polizeiwache aufhalten, Abteilungsleiter aus Köln. So einfach wo ich täglich meine Straßenkunst ze- geht das. Hierzulande ist das auch üb- lebriere, lache ich erst einmal. „Was, lich. Fotos werden auf CD gepresst und Foto: Zigmas Soluchas ihr seid Polizisten? Ihr habt ja nicht kursieren dann irgendwo umher. Auf das einmal eine Dienstkleidung. Ihr seht aus versprochene Geschenk wartest du heute wie ganz normale Diskothekenbesucher.“ noch. Also hütet euch vor allzu gewagten „Wir sind undercover“, antworten sie. Der Posen, Porträts, Autos und Immobilien, eine zückt seine Dienstmarke. Die sieht Yachten und sonstigem. Alles wird dann sogar ziemlich echt aus, doch das uralte als Schnäppchen irgendwo auf der Welt Teil von einem Funkgerät erinnert mehr angeboten. Ich jedenfalls fotografiere an einen Comicfilm als an einen wahren seitdem nur noch Landschaften und Kir- Polizeieinsatz. Vor meinen Augen fuchtelt chen. Wenn du das komische Gefühl hast, er mit dem Ding umher. Trotz falscher und überwacht zu werden, dann ist dringend echter Polizisten werden die Touristen zu raten, den Computer aus dem Fenster täglich tausend Mal ausgeraubt. Am hell- zu werfen. Verfolgungswahn, Schlafstö- lichten Tag. Nächtens wird sowieso mit rungen und Medikamentensucht sind die dem ältesten Trick der Welt gearbeitet. zwingenden Langzeitfolgen. Ihr wundert Meist ist die Dame ein Transvestit und euch auch noch, dass am Konto ohne er- Ogi ist der Poet in Gruppe I mit den tollen Versprechungen für die sichtlichen Grund Kleinstbeträge wie Nacht wird es leider nichts. Der Tourist 2,40 Euro oder 3,20 Euro verschwinden? ist seit der Befummelung durch die „Da- Mit fünfzig tausend Mal multipliziert von Christina Repolust men“ pleite. reicht das für ein paar Traumurlaube für die Hacker. Ein Mathematikfreak geht J etzt ist jetzt. Dass wussten alle Sprach- lehrerInnen schon immer, lange, bevor diese Weisheit auch die AutorInnen der dressiert die Zeitung feilzubieten. Wohl aber die Regeln zu kennen: den Gruß, die Einleitungssätze, den Hinweis auf zur Bank und rechnet den „Irrtum“ der erhöhten Kreditrückzahlungsraten vor. Leider ist nicht jeder Bürger Kenner der Selbsthilfebücher entdeckten. Wenn jetzt den Deutschkurs in jeder Zeitung, die Zinsrechnung. jetzt ist, dann liegt die Vergangenheit hinter Höhe der Auflage etc. „Nix kaufen!“ So Wer beschwert sich da noch über ver- mir – außer Sie sind nachtragend, haben ein Befund aus Gruppe II. Ja, manchmal dreckte, einarmige, knieamputierte ein gutes Erinnerungsvermögen etc. – und kaufen die Menschen weniger Exemplare Bettler, die quer durch Europa gekarrt die Zukunft vor Ihnen. „Blödsinn. Ich von Apropos, manchmal hat ein Passant werden und die dann die angeblich er- fahr mit dem Rad und vor mir ein Baum. seinen schlechtesten Tag des Monats schnorrten zweihundert Euro pro Mann den Das ist ein Baum. Nicht Zukunft.“ Klar, und kauft eben nicht. Manchmal müssen Die Rubrik Schreibwerkstatt Hintermännern im Mercedes abliefern? Im das muss Ogi sagen, er ist der Poet der VerkäuferInnen-Ausweise auch im Kurs spiegelt die Erfahrungen, Gegensatz zum Ösi-Volk organisieren sich Gruppe I. Aurel, der Verkaufer in Gneis, eingesammelt werden, um die Anwesenheit Gedanken und Anliegen jene Völker eben besser und die Zuhälter fehlt, fehlt so richtig, denn an dieser Stelle in die Liste eintragen zu können. Ich sehe der Bettlerstraße kaufen sich weder Lu- hätte er still und das sehr nachdrücklich da viel Zukunft, Professionalisierung und unserer VerkäuferInnen und xusvillen noch sonstigen Schnickschnack. in sich hinein gelächelt. Gruppe II wird Empowerment der VerkäuferInnen in den anderer Menschen in sozialen Rechnerisch geht sich jedwedes Luxusgut jetzt in zwei Gruppen geteilt, Frauen- und neuen drei Gruppen. Apropos steht nicht Grenzsituationen wider. mit der Bettelei niemals aus. Es muss Männergruppe, die Frauen freuen sich auf für Jammerjournalismus und der Deutsch- schon ein großer Idiot sein, wer einen Sie bietet Platz für Menschen den Unterricht und manche Männer ha- kurs nicht für Jammergrammatik: Jammern beinamputierten Bettler, der den ganzen ben immer viele Fragen. Zu ihrem Leben, ist immer gut, aber halt am richtigen Ort und Themen, die sonst nur am Tag in der Kälte herumsitzt, um seinen nicht zur Grammatik: Der Deutschkurs zur richtigen Zeit. Auf in die Zukunft!
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 18 19 Verkäufer KURT Verkäufer Ogi Verkäuferehepaar Georg und Evelyne freut sich, wenn er etwas will jeden Augenblick leben setzen und beim Wachsen Wir machen Radio beobachten kann … mit der Pädagogischen Hochschule Salzburg Am 11. Juni hatten wir live zu Gast in unserer Sendung vier Studierende: Andrea Gautsch, Christina Günther, Josef Wimmer und Andreas Zehner von der Pädak Salzburg. Der Verkäuferin Evelyne Verkäufer Georg Grund für ihren Besuch war, dass wir heuer Evelyne freut sich im Juli Georg freut sich im Juli auf schon im März von den Ausbildnerinnen der auf hoffentlich schönes gemeinsames Zelten mit Pädagogischen Hochschule eingeladen wurden, Badewetter Frau und Hund Lilly Verkäufer Kurt Verkäufer Ogi um vor ca. 140 Studierenden einen Vortrag über das Thema „Armut“ zu halten. Im An- schluss hatten die Studierenden die Aufgabe, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ei- Uns Radiomacher interessierte auch ganz be- sonders folgende Frage: Wenn die angehenden Wie eine Geburt Auslassen nige von den künftigen Grundschullehrerin- Grundschullehrerinnen und -lehrer künftig Das Leben hat erst einen Sinn, wenn man seine Ich habe mit Windmühlen gekämpft und bin mit der Zeit nen und -lehrern verkauften mit uns Apropos eine Klasse haben und Kinder darunter sind, Wurzeln gesetzt hat. Wurzeln, die dich durch launisch geworden. und schrieben anschließend eine Arbeit über deren Eltern an der Armutsgrenze leben, das ganze Leben begleiten. Sich nicht durch ihre Eindrücke. Andere setzten sich mit dem wie gehen sie damit um? Herr Zehner dazu: Misserfolge geschlagen geben. Sondern mit Ich habe Abwehrtürme aus Sand und Schlösser gebaut, Thema Mindestsicherung auseinander. Und ein Gerade im sozialen Umgang in der Klasse ist frischer Energie und Freude wieder etwas welche die stürmischen Wogen in der Nacht brechen, paar von ihnen entschlossen sich, mit uns es wichtig, sich dieser Problemstellung zu aufbauen. Wurzeln setzen ist wie eine Geburt, mit Leichtigkeit im Meer und mit der eigenen, ewig und eine Radiosendung zu gestalten. Wir fragten widmen. Besonders diese Kinder sollen die eine Entstehungsgeschichte, die viele Aus- bodenlostiefen Umarmung. Wer hungrig und arbeitslos die Studierenden etwa, was sie davon halten, Möglichkeit haben, sich voll in eine Gruppe läufer hat. Irgendwo neue anfangen, Wurzeln herumstreicht, ohne Unterbringung, sucht traurig dass in der Pädak das Thema Armut zum Vor- zu integrieren. Um auch Kinder aus armutsge- setzen für eine Beziehung, in der daraus nette und gute Worte, einen häuslichen Herd und sau- tragsthema geworden ist. Frau Gautsch dazu: fährdeten Familien Ausflüge, Projekte usw. eine Liebe geboren wird, die ein Leben lang bere Bettwäsche. Aber man findet Trost im Altertum, „Ich finde, dass dieses Thema ein sehr wich- zu ermöglichen, gibt es verschiedene Mög- anhält. Was ist mit dieser Welt geschehen: ist still geworden und beleidigt vom Misserfolg. Den Studierende der Pädagogi- tiges ist – nicht nur für uns als angehende lichkeiten: Man könnte Einnahmen aus diver- Krieg, Frieden, Geldentwertung, Aufbau nach Augenblick auslassen, mir gelingt der Punkt nicht. schen Hochschule Salzburg Lehrpersonen, sondern auch für uns selbst sen Klassenprojekten zur Verfügung stellen dem Zusammenfall. Ein Ziegel nach dem anderen Der alte Mythos wieder erobert mich und verzögert das (v. l. n. r.) Andreas Zehner, Josef Wimmer, Christina persönlich, weil ich mir sicher bin, dass es oder auch diverse Einrichtungen anfragen, gesetzt, um die verlorene Wurzel wieder auf- Überlegen. Aber was mir welcher Gott auch immer gibt, Günther, Andrea Gautsch. viele Erwachsene gibt, die bestimmt nicht die diese Kinder finanziell bei Ausflügen zubauen. Jeder Stein des Lebens eine Freude, werde ich mit ihm in Gefangenschaft geraten. Die wissen, ab wann man und Schulmaterial unterstützen. Generell Frohsinn und innerlicher Friede. Etwas setzen Erwartungen an die Nacht in duftender Morgenfrühe Foto: Aigner in Österreich als sollte man als Lehrperson sich davor nicht und das Wachstum begutachten, wann die ersten bei den Küsten am Meer, werden Begegnung und lassen armutsgefährdet scheuen, auf diese Möglichkeiten zurückzu- Blüten entstehen für ein neues Leben. Nach mich schnell blicken. gilt.“ greifen, um diese Familien zu unterstützen. Niederlagen habe auch ich meine Wurzeln Man sollte jedoch immer darauf achtgeben, gesetzt in Salzburg und ich bin froh darüber, Keinen Augenblick auszulassen, das sind Erkennungs- dass nichts auf eigene Faust geschieht und dass ich nie aufgegeben habe an mich zu glau- zeichen der Zukunft.
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 20 21 Verkäuferin Luise Verkäufer erwin Verkäufer Erwin freut sich im Juli auf Schafalm am nahen Mondsee Tief verwurzelt schönes Wetter Ich möchte Ihnen heute von einem wunderbaren Frau Nagel bietet Seminare an, zum Beispiel Projekt berichten. Liebe Bekannte von mir, „Ein Blick ins Landleben“. In diesen erfährt Als kleiner Winzling geboren verbrachte ich meine Nicole und Stephan Nagel, haben sich vom man Wissenswertes über das Landleben (Termi- Jugendjahre im Kreise einer ärmlichen Familie. Da ich Großstadtleben verabschiedet und bewirt- ne: 13. Juli, 10. August, 14. September und am am Land geboren wurde, interessierten mich schon in schaften nun einen Bauernhof am nahe gele- 28. September jeweils von 9.30 bis 18 Uhr). jungen Jahren die Arbeiten rund um unser Haus. Beim genen Mondsee mit guter Fernsicht. Da haben Ich kann Ihnen nur empfehlen: Machen Sie sich Nachbarn, einem Bauern, half ich auf dem Feld mit sie Schafe, Hühner, Lauf-Enten, Küken, Katzen auf den Weg zum Landleben! Ich war selbst oder ging mit der Kathi Kühe auf die Weide bringen. Verkäuferin Luise sowie einen Hund, den sie aus der Großstadt schon dort und bin einfach nur begeistert: Verkäufer Erwin Nach der sorglosen Jugend kam die Schule und später tankte unlängst Kraft auf der Schafalm mitgenommen haben. Stephan Nagel macht Es ist eine Traumlandschaft mit Natur pur eine Lehre als Wasserleitungs-Installateur. Ich Kamel-Samstag viel selbst, auch eine Fischzucht mit Mini- und man hat einen wunderbaren Blick auf den versuchte, mich in meiner Heimat tief zu verwurzeln, Forellen und Saiblingen betreiben die beiden Mondsee und das Salzkammergut. Dort lässt es was mir aber nicht gelang. Es folgten verschiedene sowie eine Bienenzucht. Sie sind der Meinung: sich gut einen Tag das Landleben genießen! Stationen in den folgenden Jahren, wobei ich mich Nur bei Nahrung, die selbst angebaut wird, Frau Nagel wird mit Ihnen Käsen, Brotbacken, Durch meine Bekanntschaft mit den Pächtern des Im- nie richtig verwurzeln konnte. Seit 2002 lebe ich in weiß man sicher, was drinnen ist – und was Fischräuchern und als Heilpraktikerin einen bissstandes beim Hofwirt in der Franz-Josef-Straße Salzburg und hoffe mich hier verwurzeln zu können. nicht. Blick in die Gemüse- und Kräuterkunde ge- erfuhr ich, dass im Theater Odeion ein Bakota-Fest Der Grund, der die Familie Nagel aufs Land ben. Gemeinsam wird Brot gebacken, das beim stattfindet – das ist ein „Better World Festival“. verschlagen hat, war, dass sie ein Leben Mittagessen gemeinsam verspeist wird. Sie Da ich Frau Martina Saddik ein Apropos-Kochbuch im Einklang mit Mensch, Tier und Natur mit wünscht sich, dass jeder Besucher mit schö- versprochen hatte, entschloss ich mich am Samstag Besinnung auf das Wesentliche abseits vom nen Eindrücken und Bildern nach Hause geht. Mittag, diese Veranstaltung zu besuchen. Alltagsstress führen wollten. Ihr ist es wichtig, dass sie Wissen weiterge- Ich brachte auch das versprochene Kochbuch und die ben kann, und sie macht das sehr gut.
[PORTRÄT-SERIE] [PORTRÄT-SERIE] 22 23 Den letzten BUCHTIPP AutorIN Gerlinde Wein- ÄRGERT SICH über Unrecht STECKBRIEF küssen die Hunde müller Freut SICH über Men- Kurzgeschichten lebt in Niederalm bei schen, die einander zuge- Salzburg neigt sind Gerlinde Weinmüller schreibt Gedichte, Kurz- Edition Garamond geschichten, Romane 21,80 Euro Lesung von Gerlinde Weinmüller am 6. August 2013 um Schriftstellerin trifft Verkäuferin 17 Uhr zur Eröffnung der Vernissage (Werke von Karl Hartwig Kaltner) in der Bibliotheksaula, Eingang gegen- Verstehen heiSSt leben über dem Festspielhaus. oder von Frau zu Frau Dann muss ich an die Kinder denken. Ganz fest. Dann chen können. Und mit wird es besser. Ein bisschen besser.“ der Angst. Alles weg. Über Apropos-Verkäuferin Thi Nhin Nguyen, Alleine sein macht ihr Angst. Sie fürchtet die Geister der Einfach weg. über offene Augen, Ohren und Hände. Einsamkeit. Auch die Dunkelheit macht ihr Angst. Aber da gibt es ja das Licht, das sie über Nacht eingeschalten Doch von Salzburg will lässt. Und den Salzburger Himmel und das Salzburger sie nicht mehr weg. Hier Wetter und die Salzburger Straßen und die Salzburger kommt sie zurecht. Ist selbst. Sie fühlt sich wohl unter Menschen. Denn dann zur rechten Zeit am ist sie nicht alleine. rechten Ort. Kommt alleine zurecht. Sie ist Oft hat Thi Nhin Nguyen Schmerzen. Grässliche Kopf- immer alleine zurecht- schmerzen. Die hatte sie schon als Kind. In Vietnam. gekommen. Alleiner- von Gerlinde Weinmüller Schlimme Zeiten waren es, erzählt sie. Der Vater tot. ziehend nennt man das. Die Mutter immer traurig. Schwestern. Brüder. Überall S ie heißt Thi Nhin Nguyen und kommt aus Vietnam. Sie hat kein Heimweh, sagt sie. Sommer. Herbst und Winter. Ab acht Uhr früh steht sie auf ihrem Platz in der Altstadt in der Welt verstreut. Viele versuchten zu fliehen. In Booten. Übers Meer. „Erst Geld bezahlen und dann sterben“, sagt sie und „Für Männer habe ich keine Zeit“, meint sie und lacht mich an. „Leider“, fügt sie hinzu. Ihre Augen lachen. Ihre Hände lachen. „Aber ich bin zufrieden“, meint sie. Ihre Kinder sind ihre Heimat. und verkauft Zeitungen. Über sieht mich an. Was für ein Satz, denke ich. Ein Satz voller Mut. Ein Sie hat drei Töchter, einen Sohn dreihundert im Monat. Doch „Drei Millionen Menschen tot.“ Satz voller Demut. Ein Satz, der mich herausfordert. und acht Enkelkinder. Eines manchmal verkauft sie nur eine In ihrem Blick ist kein Vorwurf. Und doch, ich fühle, Und was bist du, frage ich mich? davon heißt Hannah. Wie meine Zeitung am Tag. wie sich diese Zahl einen Weg bahnt in meinen Kopf künstlerische Arbeiten sind ein dreiteiliges Riesenpanorama von mit fotohauch@aon.at eine voll knuffige Mailanschrift. Aktuelle Kunden aus Wirtschaft, Politik und Kunst. Zentrales Thema ist Tochter. „Ist egal“, sagt sie, „Hauptsache, und in mein Herz. So viele. So unvorstellbar viele. „Danke“, sage ich. Andreas Hauch arbeitet seit genau 20 Jahren als Fotograf mit immer der Mensch. Er braucht keine Homepage, aber er hat sie kommen.“ Danke für das Gespräch. Danke für das Zuhören. Danke Sie lächelt. Ihr Lächeln ist vol- Und alle kommen sie. Män- „Aber ich bin da“, lacht Thin Nhin Nguyen. Sie reißt für das Entgegenkommen. Danke für die Offenheit. ler Stolz. Voller Stolz auf ihre ner wie Frauen. Kaufen eine mich aus meinen Gedanken. Wir sitzen an unserem Danke für das Vertrauen. Danke für den Einblick in ein Kinder, ihre Enkelkinder und Zeitung und erzählen ihre Kaffeehaustisch. Es ist weder warm noch kalt. Wie so anderes Leben. Danke für den Blick über mein Leben ihre Arbeit. Damit kann sie ihre Geschichten. Sprechen über oft ist das Wetter unentschieden. Der große Schirm hinaus. Danke für den neuen Blick auf mein eigenes Kinder unterstützen. Und das ihre Probleme. Über ihre über uns schützt vor Sonne und Regen. Schutz für uns Leben. Danke für die Worte, die sich in meinem Kopf will sie. Unbedingt. Sie liebt Hoffnungen und Ängste. Ihre beide. Ich bin dankbar. formen: Kinder. Kinder bedeuten Leben. Freuden und Sehnsüchte. Ihre Salzburg und diverse Kurzfilme. Aufleben. Weiterleben. Wirklichkeiten und Träume. Es ist spät geworden. Sie zeigt mir Fotos. Fotos von den den kopf auf Sie alle wissen: Thi Nhin Kindern. Von den Enkelkindern. Sie macht sich Sorgen. die leichte schulter „Ich kann nicht nein sagen“, sagt Nguyen ist da. Jederzeit. Bei Sie würde so gerne noch mehr für sie alle tun. Doch sie nehmen sie. „Kann nicht nein sagen, wenn jedem Wetter. Und sie kann kann nur ihr eigenes Leben leben. Nicht das der Kinder. und dann jemand etwas braucht.“ zuhören. Und sie will lernen. Loslassen lernen, denke ich und sehe meine Kinder vor auf händen tragen Sie passt auf ihren Enkelsohn auf. Sie will Deutsch lernen. Jeden mir. Den eigenen Weg finden lassen. Sie sein lassen, den neuen blick Aber sie nimmt ihn nicht mit. Tag. Sie hört die Melodie der wie sie sind. Loslassen, um zu finden. Verlassen, um Nicht zum Zeitung-Verkaufen. Sprache. Formt Laute nach. anzukommen. Lassen, um zu sein. Thi Nhin Nguyen nimmt meine Hand. Wir halten Denn dann denken die Leute, sie bettelt. Und großzügigen Mund. Sie sitzt ganz aufrecht, den Sammelt Wörter. Prägt sich Sätze ein. Was sie einander fest. Ein paar kostbare Augenblicke lang. das will sie nicht. Auf keinen Fall. Körper leicht nach vorne geneigt. Mir zugeneigt. nicht versteht, schlägt sie nach. Im Wörterbuch. „Brauchst du irgendetwas?“ frage ich. „Danke auch“, sagt sie. Der Kaffee ist inzwischen kalt Wir sind einander zugeneigt. Ich spreche. Sie Daheim. Sie weiß, verstehen ist wichtig. Ver- „Nichts“, sagt sie. „Mein Leben ist einfach.“ geworden. „Macht nichts“, denke ich. Mir ist warm ums FOTOS Mit ihrer Tochter ist sie 1995 nach Deutschland hört zu. Sie spricht. Ich höre zu. Ein Geben und stehen heißt leben. Herz. Und ich weiß, warum.
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