ARBEITSSICHERHEITS REPORT 2018/19 - GEFÄHRDUNG BELASTUNG ARBEITSSTRESS - DEKRA Certification GmbH
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ARBEITSSICHERHEITS REPORT 2018/19 GEFÄHRDUNG · BELASTUNG · ARBEITSSTRESS Eine DEKRA/forsa-Befragung in mittelständischen Unternehmen.
INHALTSVERZEICHNIS 08 GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG | Defizite in vier von zehn Unternehmen 10 14 UNTERWEISUNG | Ein Muss für PGB | Psychische Gefährdungen Arbeitsschutz und Brandschutz häufig nicht beachtet 03 | VORWORT 14 | PSYCHISCHE Jann Fehlauer, Geschäftsführer GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG DEKRA Automobil GmbH Psychische Belastung oft kein Thema 04 | DEKRA STUDIE 17 | INTERVIEW 300 Entscheider zeigen Trends auf Dr. Karin Müller, DEKRA „Mensch & Gesundheit“: „Weniger Stress – mehr Leistung“ 06 | GASTBEITRAG DGUV Hauptgeschäftsführer 18 | BETRIEBLICHE Prof. Dr. Joachim Breuer GESUNDHEITSFÖRDERUNG Gesundheitsförderung nur für jeden Dritten 08 | GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG Zentrales Element des Arbeitsschutzes 20 | INTERVIEW wird oft vergessen Sebastian Bartels, DEKRA Organisational Reliability: „Kultur als Schlüssel für 10 | UNTERWEISUNG mehr Sicherheit“ ARBEITSSCHUTZ Mitarbeiter sind meist informiert 22 | ARBEITSSCHUTZ- MANAGEMENT 12 | UNTERWEISUNG ISO 45001 – eine Norm für alle Fälle BRANDSCHUTZ Brandschutz-Informationen für Mitarbeiter 24 | NACHRICHTEN mit Lücken Arbeitsmedizin/Basi-Umfrage 13 | INTERVIEW 26 | SCHLUSSBETRACHTUNG Fatih Yilmaz, DEKRA Konzernbeauftragter Dr. Clemens Mayr, Mitglied der EHS: „EHS-Richtlinie als gemeinsame Basis“ Geschäftsleitung DEKRA Automobil GmbH 2
VORWORT Sehr geehrte Leserinnen und Leser, jedes Unternehmen ist einzigartig. Aber alle haben eines gemeinsam: Sie müssen die Gesundheit und Unversehrt- heit ihrer Mitarbeiter sicherstellen. DEKRA ist dafür ein verlässlicher Partner. Wir erweitern stetig unser Angebot an Lösungen und Dienstleistungen im Arbeits- und Ge- sundheitsschutz. DEKRA Experten sorgen bei unseren Kunden technisch und organisatorisch für sichere und gesunde Arbeitsplätze. Denn jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel. Laut offiziellen Zahlen kommt es in Deutschland pro Jahr durchschnittlich zu über 950.000 Arbeitsunfällen. 2017 endeten über 450 Arbeitsunfälle tödlich. Zusätzlich zum menschlichen Leid entsteht ein großer wirtschaftlicher Schaden: Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fielen 2016 in Deutsch- land etwa 675 Millionen Erwerbstage durch Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Unfällen und Krankheit aus. Der deutschen Volkswirtschaft gingen damit rund 133 Milliarden Euro an Brutto- wertschöpfung verloren. Als Expertenorganisation wollten wir wissen: Wie steht es um den Arbeits- und Gesundheits- schutz in der Praxis? Wie setzt der Mittelstand gesetzliche Neuerungen um? Wo stecken die Verbesserungspotenziale? DEKRA hat dafür das Institut forsa beauftragt. Die Meinungsfor- scher führten Interviews mit 300 Entscheidern aus Personal und Arbeitsschutz, repräsentativ quer durch alle Branchen und Betriebsgrößenklassen bis 500 Mitarbeiter. Die Ergebnisse haben wir in diesem DEKRA Arbeitssicherheitsreport 2018/2019 zusammen- getragen und redaktionell aufbereitet. Die Erkenntnisse sind für Führungskräfte in Unterneh- men gleichermaßen interessant wie für Arbeits- und Gesundheitsschutz-Experten. Wir hoffen, dass wir damit einen Anstoß für mehr Sicherheit in den Unternehmen geben können. Ich wünsche eine aufschlussreiche Lektüre. JANN FEHLAUER Geschäftsführer DEKRA Automobil GmbH 3
DIE DEKRA STUDIE Das Markt- und Meinungsforschungsunternehmen forsa hat im Auftrag von DEKRA eine repräsentative Befragung zum Thema „Arbeitsschutz in Unternehmen“ durch- geführt. Befragt wurden 300 kleine und mittelständische Unternehmen. Repräsentatives Gesamtbild Im Auftrag von DEKRA hat das Markt- und Meinungsfor- tative Gesamtbild wurde im Rahmen der Auswertung eine schungsunternehmen forsa Politik- und Sozialforschung Gewichtung der Subgruppen entsprechend ihrer tatsäch- GmbH eine repräsentative Befragung zum Thema lichen Verteilung vorgenommen. „Arbeitsschutz in Unternehmen“ durchgeführt. Befragt wurden Unternehmen aller Branchen: Bau und Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt 300 Handwerk, Industrie/verarbeitendes Gewerbe, Dienst- nach einem systematischen Zufallsverfahren ausgewähl- leistungen/Gastgewerbe, Chemie, Pharma, Bio, Energie, te Entscheider im Personalbereich oder Arbeitsschutz in Kommunikation, Handel und Verkehr. Die Erhebung wurde kleinen und mittleren Unternehmen (10 bis unter 500 Mit- vom 28. Juni bis 20. Juli 2018 mithilfe computergestützter arbeiter) befragt. Um für verschiedene Betriebsgrößen- Telefoninterviews durchgeführt. Die ermittelten Ergebnisse klassen Aussagen treffen zu können, wurden jeweils 100 können mit den bei allen Stichprobenerhebungen mög- Unternehmen mit 10 bis unter 50, 50 bis unter 250 und lichen Fehlertoleranzen auf die Gesamtheit der mittelstän- 250 bis unter 500 Mitarbeitern befragt. Für das repräsen- dischen Unternehmen in Deutschland übertragen werden. Körperliche Tätigkeit dominiert Knapp die Hälfte der Entscheider im Personalbereich also geistiger Tätigkeit. Bei jedem vierten Unternehmen oder Arbeitsschutz (46 %) gibt an, dass es in ihrem Be- (25 %) ist das Verhältnis von physischer und psychischer trieb überwiegend Arbeitsplätze mit eher physischer, Tätigkeit nach Angaben der Befragten ausgeglichen be- also körperlicher Tätigkeit gibt. 29 Prozent der Betriebe ziehungsweise beide Arten sind in gleichem Maße vor- haben überwiegend Arbeitsplätze mit eher psychischer, handen. ART DER TÄTIGKEIT IN % 50 49 46 47 Im Betrieb gibt es überwiegend Arbeitsplätze mit eher ... 40 36 35 physischer/körperlicher Tätigkeit 30 psychischer/geistiger Tätigkeit 29 29 27 27 26 ausgeglichen bzw. in gleichem Maße 25 24 20 10 0 10–50 50–250 250–500 insgesamt Mitarbeiter Mitarbeiter Mitarbeiter 5
GASTBEITRAG Auf dem Weg zu einer Kultur der Prävention Eine schöne Bestätigung bekam der deutsche Arbeitsschutz jüngst vom Arbeits- ministerium in Singapur. Eine weltweite Recherche hat ergeben, dass Deutsch- land eines von vier Ländern der Welt ist, die nachhaltig über mehrere Jahre das Niveau von nur einem tödlichen Arbeitsunfall pro 100.000 Beschäftigte erreicht haben. Das kann sich sehen lassen. „Höchste Priorität hat die Vermeidung tödlicher und schwerer Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.“ --------- Der Autor: Prof. Dr. Joachim Breuer Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Vision Zero als Ziel Die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte ist eindeu- unfall ums Leben gekommen. Das sind 206 zu viel. Aus tig: Im Zeitraum zwischen 1997 und 2017 sind die mel- diesem Grund verfolgt die gesetzliche Unfallversicherung depflichtigen Arbeitsunfälle um gut 40 Prozent zurück- bereits seit Jahren die Strategie der Vision Zero, mit der gegangen. Betrachtet man die tödlichen Arbeitsunfälle sie sich für eine Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbe- allein, ergibt sich ein Rückgang um knapp 60 Prozent. dingte Erkrankungen einsetzt. Höchste Priorität hat dabei Aber so erfreulich diese Zahlen auch sind, sie geben die Vermeidung tödlicher und schwerer Arbeitsunfälle so- keinen Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Im ersten wie von Berufskrankheiten. Halbjahr 2018 sind 206 Beschäftigte bei einem Arbeits- Prävention in den Betrieben Um hier Prioritäten zu setzen und ihre Kräfte zu fokus- verantwortlich. Das sind Unfälle im Straßenverkehr und sieren, hat die gesetzliche Unfallversicherung jüngst durch Fahrzeuge auf dem Betriebsgelände, Absturzun- die Unfallschwerpunkte untersucht: Wenige Unfallgrup- fälle, Unfälle durch Krane und pendelnde Lasten sowie pen sind für fast die Hälfte der schweren Arbeitsunfälle Maschinenunfälle. 6
GASTBEITRAG Kontrolle ist nicht alles Dieses Ergebnis wird auch in die Zusammenarbeit mit schaften und Unfallkassen gehen jeden Tag über 2.500 den Arbeitsschutzbehörden der Länder in der Gemein- Präventionsfachleute in die Betriebe. samen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) einflie- Aber so notwendig Überwachung in manchen Fällen ßen. Innerhalb der GDA werden gezielt Schwerpunkte auch ist – Kontrolle ist nicht alles. Eine ganzheitliche Prä- gesetzt, die beide Partner dann in ihrer Präventionsarbeit vention, die die Vision Zero im Blick hat, umfasst sehr viel adressieren. Aktuell sind das zum Beispiel psychische mehr. Deshalb bieten Berufsgenossenschaften und Un- Belastungen am Arbeitsplatz oder die Gefährdungsbe- fallkassen auch ein breit gefächertes Portfolio. Es reicht urteilung. Ein gemeinsames Thema der GDA sind auch von der Forschung über eine Vielzahl von Medien bis zur die Überwachung und Beratung von Betrieben und Bil- Schulung von jährlich fast 400.000 Fach- und Führungs- dungseinrichtungen. Allein aufseiten der Berufsgenossen- kräften aus den Betrieben. Kampagne unterstützt Betriebe Ziel aller Bemühungen ist es, eine Kultur der Prävention der Gesellschaft und jedem einzelnen Menschen die Res- zu schaffen. Das bedeutet nichts anderes, als Sicherheit sourcen Sicherheit und Gesundheit sind. Die aktuelle Prä- und Gesundheit immer mitzudenken bei der Arbeit, aber ventionskampagne „kommmitmensch“ unterstützt Betrie- auch im Alltag. Denn wie die zukünftige (Arbeits-)Welt be und Einrichtungen darin, ihre eigene Präventionskultur aussehen wird, hängt sehr stark davon ab, wie wertvoll aufzubauen und zu leben. 7
GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG Zentrales Element wird noch zu oft vergessen Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Element des betrieblichen Arbeitsschut- zes. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt vor, dass für jeden Typ eines Arbeitsplatzes im Unternehmen beurteilt werden muss, welche Gefahren für den Arbeitnehmer da- von ausgehen können. Die Ergebnisse sind die Grundlagen für alle weiteren Maß- nahmen und Empfehlungen durch Arbeitssicherheitsfachkraft und Arbeitsmediziner. Gefährdungsbeurteilung nicht selbstverständlich Gefährdungsbeurteilungen für alle Typen von Arbeits- Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung gibt, geben plätzen sind in 59 Prozent der befragten Unternehmen nur wenige Befragte (5 %) an. Gefährdungsbeurteilun- erfolgt. Bei 24 Prozent der Unternehmen gibt es nicht für gen für alle Typen von Arbeitsplätzen gibt es vor allem alle, aber für mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze eine bei den größeren Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbei- Gefährdungsbeurteilung, bei sechs Prozent gibt es für tern sowie tendenziell bei den Unternehmen der Industrie weniger als die Hälfte der Arbeitsplätze eine solche Ge- und des verarbeitenden Gewerbes und bei Unternehmen fährdungsbeurteilung. Dass es in ihrem Betrieb für keinen aus den Bereichen Chemie, Pharma, Bio und Energie. Büroarbeitsplätze werden häufig vergessen Von den Entscheidern, die angegeben haben, dass es Gefährdungsbeurteilung für Bürotätigkeiten oder Bild- in ihrem Unternehmen nicht für alle Arbeitsplätze eine schirmarbeitsplätze gibt. Zehn Prozent der befragten Ent- Gefährdungsbeurteilung gibt, gibt etwas mehr als je- scheider nennen hier speziell Arbeitsplätze im kaufmän- der zweite (55 %) an, dass es in seinem Betrieb keine nischen Bereich. Neuregelung beim Mutterschutz Das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts ist zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Wesentliche Än- derungen betreffen den Arbeitsschutz und die Gefährdungsbeurteilung. Die Arbeitgeberpflichten bezüglich Be- urteilung und Gestaltung der Arbeitsbedingungen sind jetzt klar definiert, ebenso Information und Unterweisung. Ein zentraler Punkt ist, dass ausdrücklich eine präventive Gefährdungsbeurteilung gefordert wird. Für die Arbeitgeber bedeutet dies: Sie müssen im Zusammenhang mit der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes für alle Tätigkeiten auch eine (abstrakte) Gefährdungsbeurteilung im Falle einer Schwangerschaft durchführen. Dies gilt auch dann, wenn die Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt von einem Mann ausgeübt wird. Wenn eine Beschäftigte eine Schwangerschaft anzeigt, muss die allgemeine Gefährdungsbeurtei- lung für den speziellen Fall konkretisiert werden. Schwangere oder stillende Arbeitnehmerinnen dürfen dann die Tätigkeiten nur ausführen, wenn der Arbeitgeber die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen hat. 8
GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG 5% Im Unternehmen gibt es eine 6% gar keine* Gefährdungsbeurteilung für … weniger als die Hälfte der Arbeitsplätze 24 % mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze 59 % alle Arbeitsplätze 90 NACH UNTERNEHMENSGRÖSSE IN % 80 77 Im Unternehmen gibt es eine 70 69 Gefährdungsbeurteilung für … 60 55 50 alle Arbeitsplätze 40 mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze 30 weniger als die Hälfte der Arbeitsplätze 27 26 20 gar keine* 10 13 2 2 2 6 6 6 0 10–50 50–250 250–500 Mitarbeiter Mitarbeiter Mitarbeiter ART DER ARBEITSPLÄTZE 19 % sonstige Für welche Art von Arbeitsplätzen Arbeitsplätze gibt es keine Gefährdungsbeurteilung?** 4% einfache Anlern-/ Helfertätigkeiten 55 % 5% Bürotätigkeiten/ Verwaltung/Logistik Bildschirmarbeitsplätze 7% bestimmte Tätigkeiten allgemein 10 % kaufmännischer Bereich * an 100 Prozent fehlende Angaben = „weiß nicht“ ** Basis: Unternehmen, in denen es nicht für alle Arbeitsplätze Gefährdungsbeurteilungen gibt; offene Abfrage, Mehrfachnennungen möglich 9
UNTERWEISUNG ARBEITSSCHUTZ Mitarbeiter sind meist informiert Insgesamt geben 97 Prozent der Befragten an, dass es in ihrem Unternehmen Un- terweisungen der Beschäftigten zum Arbeitsschutz gibt. Diese Unterweisungen sind gesetzlich vorgeschrieben und müssen dokumentiert werden. Dokumentation gesetzlich vorgeschrieben In 84 Prozent der Unternehmen erfolgen diese Unterwei- Dass es in ihrem Unternehmen keine Unterweisungen der sungen zum Arbeitsschutz in regelmäßigen festgelegten Beschäftigten zum Arbeitsschutz gibt, geben nur drei Pro- Abständen. Bei neun Prozent gibt es diese Unterweisun- zent der Befragten an. Etwas seltener als im Durchschnitt gen nur unregelmäßig oder bei Änderungen im Betriebs- gibt es regelmäßige Unterweisungen der Beschäftigten ablauf und bei vier Prozent nur einmalig, beispielsweise zum Arbeitsschutz in Unternehmen, die hauptsächlich für neue Mitarbeiter. Arbeitsplätze mit eher geistigen Tätigkeiten haben. UNTERWEISUNGEN ZUM ARBEITSSCHUTZ 4% 3% nein, gibt keine* nur einmalig Im eigenen Unternehmen gibt es Unterweisungen 9% der Beschäftigten zum Arbeitsschutz … nur unregelmäßig 84 % in regelmäßigen Abständen * an 100 Prozent fehlende Angaben = „weiß nicht“ 10
UNTERWEISUNG ARBEITSSCHUTZ Unterweisung: Digital geht‘s einfacher! Die meisten Unternehmen sind beim Thema Unterweisung gut aufgestellt, zeigt die DEKRA Befragung durch forsa. Dies hat aus Sicht der DEKRA Experten einen Grund. Die Unterweisung wird durch die neuen digitalen Möglichkeiten immer einfacher. Online-Unterweisung und -Dokumentation setzen sich zunehmend durch. So wird zum Beispiel das DEKRA eigene Online-Tool „DEKRA Safety Web“ immer häufiger nachgefragt. So- wohl das Unternehmen als auch die Mitarbeiter profitieren von den Vorzügen moderner Lösungen. Die Arbeits- schutz-Unterweisungen können bequem online absolviert werden, dadurch entfallen aufwendige Präsenzver- anstaltungen für die Mitarbeiter und der Arbeitgeber erzielt in der Regel eine höhere Unterweisungsquote. Ein umfangreiches Dokumentationssystem ermöglicht Unternehmern, Vorgesetzten und Arbeitsschutz-Fachkräften einen lückenlosen Nachweis über absolvierte Unterweisungen. 11
UNTERWEISUNG BRANDSCHUTZ Brandschutz-Informationen mit Lücken Alle Beschäftigten müssen regelmäßig (mindestens einmal jährlich) über die Brandgefahren und Brandschutzeinrichtungen (Feuerlöscheinrichtungen, Wand- hydranten, Alarmierungseinrichtungen usw.) sowie das Verhalten im Gefahren- fall (Gebäuderäumung, Flucht- und Rettungswege, Sammelplatz) unterwiesen werden. Für neue Mitarbeiter ist eine Erstunterweisung über die wichtigsten be- trieblichen Brandschutzaspekte vorgeschrieben. Gefährliche Nachlässigkeiten Diese Unterweisungen sind in den Unternehmen offensicht- nur unregelmäßig, beispielsweise bei Änderungen, bei fünf lich weniger etabliert als die Arbeitsschutz-Unterweisung: Prozent nur einmalig, zum Beispiel für neue Mitarbeiter. Eine große Mehrheit der von forsa befragten Entschei- der (85 %) gibt zwar an, dass es in ihrem Unternehmen In 14 Prozent der Unternehmen finden keine Unterwei- Unterweisungen der Beschäftigten zum Brandschutz sungen der Beschäftigten zum Brandschutz statt. Dass gibt, allerdings finden nur bei 71 Prozent diese Unter- es gar keine Unterweisungen zum Brandschutz für die weisungen zum Brandschutz in regelmäßigen Abstän- Mitarbeiter gibt, geben am häufigsten die kleinen Unter- den statt. Bei neun Prozent gibt es diese Unterweisungen nehmen mit unter 50 Mitarbeitern an. UNTERWEISUNGEN ZUM BRANDSCHUTZ IN % 90 86 Im eigenen Unternehmen gibt es Unterweisungen 80 der Beschäftigten zum Brandschutz ... 79 70 69 in regelmäßigen Abständen 60 nur unregelmäßig nur einmalig 50 nein, gibt keine* 40 30 20 17 10 11 8 7 6 2 5 5 4 0 10–50 50–250 250–500 * an 100 Prozent fehlende Angaben = „weiß nicht“ Mitarbeiter Mitarbeiter Mitarbeiter 12
INTERVIEW EHS-Richtlinie als gemeinsame Basis --------- Fatih Yilmaz In Bearbeitung. DEKRA Konzernbeauftragter Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutz (EHS) Für Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten ist der Arbeitsschutz eine besondere Herausforde- rung. Wo liegen die Knackpunkte? Yilmaz: Lokationen eines Unternehmens haben oft eine andere Historie als die Zentrale. Und es fallen dort zu- weilen andere Tätigkeiten an, zum Beispiel Lager- oder Montagearbeiten, die es in der Zentrale nicht gibt. Bei ex- pandierenden Unternehmen treffen dann unterschiedliche beispielsweise über die ILO-Rechtsdatenbank –, welche Sicherheitskulturen aufeinander. Bei international agie- nationalen Rechtsnormen in eine gemeinsame EHS-Richtli- renden Unternehmen kommen unterschiedliche Rechts- nie einfließen müssen. vorschriften, Sprachen und Kulturen hinzu. Hier gilt es, dennoch ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln und Welche unterschiedlichen Akteure sitzen dabei mit ein einheitliches Niveau des Arbeits- und Gesundheits- am Tisch? schutzes zu erreichen. Yilmaz: Grundsätze für den Arbeits- und Gesundheits- schutz müssen immer gemeinsam erarbeitet werden: Was muss die Unternehmensleitung tun? Am Tisch sitzen Unternehmensleitung, Arbeitnehmerver- Yilmaz: Die Konzernleitung ist in der Verantwortung, auch tretung, EHS-Fachleute sowie die Führungskräfte, die mit wenn sie die Aufgabe des Arbeits- und Gesundheits- den Sicherheitsregeln für ihre Verantwortungsbereiche schutzes an die Führungskräfte der einzelnen Lokationen vertraut sind. delegieren muss. Die Unternehmensführung muss sicher- stellen, dass die Führungskräfte ihre Aufgaben gesetzes- Wie gelingt die praktische Umsetzung? konform wahrnehmen können. Hilfreich ist dafür eine un- Yilmaz: In erster Linie müssen Vorstand und Geschäfts- ternehmensweite EHS-Richtlinie: Dort sind die wichtigsten leitungen überzeugt und eingebunden sein. Eine Ver- Grundsätze festgeschrieben, um eine einheitliche Sicher- haltensänderung der Belegschaft entsteht nur, wenn die heitskultur im ganzen Unternehmen zu etablieren. Führungskräfte die Sicherheitsgrundsätze vorleben und verfolgen. Wichtig ist dann das Controlling: Neben den Wie soll ein Unternehmen vorgehen, wenn es eine obligatorischen Unfall-Krankheitszahlen unterstützen gemeinsame Sicherheitskultur anstrebt? auch Feedback-Instrumente, um zu messen, wie inten- Yilmaz: Zuerst gilt es, eine Basis für ein gemeinsames siv Sicherheitsschulungen, Trainings oder Events ange- Handeln zu definieren: Grundlage für eine konzernwei- nommen werden. Zudem benötigt das Unternehmen ein te „EHS-Richtlinie“ oder „EHS-Policy“ kann zum Beispiel Gremium, das regelmäßig die EHS-Richtlinie prüft und die EU-Arbeitsschutz-Richtlinie 89/391/EWG sein oder im Bedarfsfall aktualisiert. Ideal wäre die Einführung eine Norm für ein Arbeitsschutz-Managementsystem wie eines Präventionsindex, der nicht nur Unfallzahlen aus ISO 45001 oder früher die OSHAS 18001. Unterneh- der Vergangenheit abbildet, sondern auch Präventions- men, die außerhalb der EU aktiv sind, sollten prüfen – maßnahmen. 13
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PSYCHISCHE GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG Psychische Belastung oft kein Thema Das Arbeitsschutzgesetz schreibt vor, dass auch psychische Belastungen am Ar- beitsplatz zu beurteilen sind. Aber nur in vier von zehn Unternehmen (41 %) wurde nach Angaben der Entscheider im Personalbereich oder Arbeitsschutz eine Gefähr- dungsbeurteilung zu psychischen Belastungen für die Beschäftigten durchgeführt. Eine Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastun- gen für die Beschäftigten erfolgte tendenziell insbeson- dere in mittleren und größeren Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern. Dasselbe gilt für Unternehmen, in denen sowohl Arbeitsplätze mit geistigen Tätigkeiten als auch mit körperlichen vorhanden sind. Unternehmen, die für alle Arbeitsplätze eine allgemei- ne Gefährdungsbeurteilung durchgeführt haben, haben auch überdurchschnittlich häufig eine Gefährdungsbeur- teilung zu psychischen Belastungen für die Beschäftigten vorgenommen. Die Fehlzeiten aufgrund von psychischen Belastungen nehmen bundesweit zu: Laut dem AOK-Fehl- zeitenreport 2018 ist die Häufigkeit von Fehlzeiten auf- grund psychischer Erkrankungen zwischen 2007 und 2017 um 67,5 Prozent angestiegen. Außerdem führen diese Erkrankungen zu besonders langen Ausfallzeiten. Mit durchschnittlich 26 Krankheitstagen je Attest dauer- Wird häufig ignoriert: die Gefährdungsbeurteilung ten sie 2017 mehr als doppelt so lange wie eine durch- psychischer Belastungen schnittliche Krankschreibung. GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG PSYCHISCHER BELASTUNGEN IN % Im Betrieb wurde (auch) eine Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastungen für die Beschäftigten durchgeführt: Anzahl der Mitarbeiter 250–500 73 50–250 55 10–50 37 ingesamt 41 Art der Arbeitsplätze vorw. körperliche Tätigkeit 29 vorw. geistige Tätigkeit 48 sowohl als auch 57 10 20 30 40 50 60 70 80 0 15
PSYCHISCHE GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG Psychische Belastungen erkennen Die Entscheider im Personalbereich oder Arbeitsschutz geändert hat. Dass die psychischen Belastungen für die wurden gebeten anzugeben, ob die psychischen Belas- Mitarbeiter in ihrem Unternehmen in den letzten Jahren tungen in der Arbeitswelt sowie in ihrem Unternehmen größer geworden sind, glaubt allerdings nur jeder zweite sich ihrer Meinung nach in den letzten Jahren verändert Entscheider (50 %). 47 Prozent meinen, dass sich daran haben. Die Ergebnisse zeigen ein widersprüchliches Bild: letztendlich nichts geändert hat. Die große Mehrheit der Befragten (76 %) meint, dass die psychischen Belastungen in der Arbeitswelt heute alles in Nach Meinung der DEKRA Experten könnte dieser Unter- allem größer sind als vor ungefähr zehn Jahren. Nur 20 schied zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahr- Prozent sind der Auffassung, dass sich an der psychischen nehmung ein Grund für den zurückhaltenden Umgang mit Belastung in der Arbeitswelt im Großen und Ganzen nichts dem Thema „Psychische Belastungen“ sein. PSYCHISCHE BELASTUNGEN IN DER ARBEITSWELT UND IM EIGENEN 76 ja UNTERNEHMEN IN % 50 Sind die psychischen Belastungen in den 20 letzten Jahren größer geworden? nein* 47 insgesamt in der Arbeitswelt 4 insgesamt im Unternehmen weiß nicht 3 * daran hat sich nichts geändert 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Arbeitgeber sehen die Verantwortung Wer hat die Verantwortung für die psychische Gesund- Dass sich ein Arbeitgeber aktiv um die psychische Ge- heit der Mitarbeiter? Drei von vier Befragten (74 %) – sundheit seiner Mitarbeiter kümmern sollte, meinen vor Entscheider im Personalbereich oder Arbeitsschutz – allem diejenigen Befragten, die in einem Unternehmen sind der Meinung, dass sich ein Arbeitgeber aktiv um die mit 50 bis unter 500 Mitarbeitern tätig sind oder in deren psychische Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmern soll- Betrieb bereits eine Gefährdungsbeurteilung zu psychi- te. Nur 21 Prozent sind hingegen der Ansicht, dies sei schen Belastungen durchgeführt wurde. Sache eines jeden Arbeitnehmers selbst. VERANTWORTUNG FÜR DIE PSYCHISCHE GESUNDHEIT DER ja 74 MITARBEITER IN % nein* 21 Sollte sich der Arbeitgeber aktiv um die weiß nicht 5 psychische Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmern? 0 10 20 30 40 50 60 70 90 * ist Sache eines jeden Arbeitnehmers selbst 16
INTERVIEW Weniger Stress – mehr Leistung --------- Dr. Karin Müller Leiterin des Bereichs „Mensch & Gesundheit“ bei DEKRA Seit mehr als fünf Jahren ist die psychische Gefähr- dungsbeurteilung (PGB) gesetzlich vorgeschrieben. Welchen Nutzen bietet eine PGB? Dr. Müller: Arbeitsplätze ohne negativen psychischen Stress bieten den Unternehmen zahlreiche Chancen: produktivere Mitarbeiter, weniger Fehltage und Prozess- verbesserungen. Das Arbeitsschutzgesetz (§4 ArbSchG) schreibt vor, dass die Arbeit so zu gestalten ist, dass Ge- fährdungen für Leben und Gesundheit möglichst gering gehalten werden. Dass hier auch die Psyche eine große Rolle spielt, ist mittlerweile unbestritten. Warum finden persönliche Befragungen in der Wie wirkt sich psychischer Stress aus? Praxis vergleichsweise selten statt? Dr. Müller: Chronischer psychischer Stress kann sich indi- Dr. Müller: Gruppengespräche oder Interviews werden viduell sehr unterschiedlich auswirken. Die Folgen können in der Regel von einem externen Moderator geleitet und Burn-out, Depression oder Rückenleiden sein – dies sind sollen auch Verbesserungsideen entwickeln. Ein Nachteil die Gründe für die längsten krankheitsbedingten Fehlzei- dieser Methoden ist der hohe Kosten- und Zeitaufwand. ten von Mitarbeitern. Auch die Wahrscheinlichkeit von Un- Außerdem vergeht zwischen Befragung, Auswertung und fällen wächst bei zu hohem Stress. tatsächlicher Maßnahme viel Zeit. Welche Methoden gibt es, um die psychische Ge- Wie sieht aus Ihrer Sicht der Königsweg aus? fährdungsbeurteilung zu erheben? Dr. Müller: Unternehmen sollten auf jeden Fall eine Me- Dr. Müller: Es gibt verschiedene Methoden: Man kann thode anwenden, die aussagekräftig erfasst, wie es der zum Beispiel mit einfachen Checklisten die „objektiven“ Belegschaft wirklich geht. Bei DEKRA setzen wir auf ein Belastungen ermitteln, die von außen erkennbar sind. Die wissenschaftlich fundiertes Online-Befragungsverfahren, subjektive Einschätzung der Betroffenen wird bei diesem das von dem Berliner Start-up DearEmployee entwickelt Vorgehen nicht systematisch erfasst. Es hängt jedoch ent- wurde. In standardisierten Online-Fragebögen werden scheidend von den individuellen Voraussetzungen ab, ob neben den objektiven Belastungen auch die subjektiven eine psychische Belastung wirklich eine negative Beanspru- Gefährdungen detailliert erhoben. Die Befragung wird chung erzeugt oder nicht. Deshalb ist es zielführender, eine durch Experten begleitet und auf den Bedarf des Unter- Methode anzuwenden, bei der die Arbeitsplatzinhaber nehmens maßgeschneidert. Der Vorteil ist, dass die ge- tatsächlich selbst befragt werden. Neben standardisierten samte Belegschaft anonym die Möglichkeit zur Teilnahme Einzel- oder Gruppeninterviews oder auch Workshops mit hat, die Ergebnisse sofort nach der Befragung vorliegen ausgewählten Mitarbeitern bieten sich hier vor allem syste- und damit Verbesserungspotenziale sehr schnell aufge- matische Befragungsmethoden an. zeigt werden können. 17
Gesundheitsförderung nur für jeden Dritten Die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zielt darauf ab, Gesundheitsressourcen im Unternehmen aufzubauen. Unternehmen können mit verschiedenen Maßnahmen dazu beitragen, dass ihre Mitarbeiter leistungsfähig und gesund bleiben – diese Angebote sind nicht gesetzlich vorgeschrie- ben und gehen über die Arbeitsschutzvorschriften hinaus.
BETRIEBLICHE GESUNDHEITSFÖRDERUNG Belastung am Büroarbeitsplatz: Gesundheitsförderung soll Mitarbeiter fit halten Rund jedes dritte Unternehmen (32 %) bietet solche An- kleinen Unternehmen mit 10 bis unter 50 Mitarbeitern an. gebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung an, also In Unternehmen von 250 bis 500 Mitarbeitern geben beispielsweise Rückentraining, Entspannungskurse oder 50 Prozent der Beschäftigten an, dass es regelmäßige Kooperationen mit Fitnessstudios. Bei knapp einem Vier- BGF-Angebote gibt. tel (23 %) gibt es regelmäßig solche Angebote, bei neun Prozent nur unregelmäßig. Zwei Drittel der Befragten (67 Besonders auffällig: In Unternehmen mit überwiegend kör- %) geben jedoch an, dass es in ihrem Unternehmen keine perlicher Tätigkeit gibt es Angebote zur Gesundheitsförde- freiwilligen Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförde- rung am seltensten (15 % regelmäßig). Am ehesten bieten rung gibt. Unternehmen mit hauptsächlich geistigen Tätigkeiten am Arbeitsplatz Angebote der betrieblichen Gesundheits- Dass es in ihrem Betrieb keine Angebote zur betrieblichen förderung an. Dort kann jeder dritte Mitarbeiter (36 %) Gesundheitsförderung gibt, geben vor allem Befragte von regelmäßig von entsprechenden Angeboten profitieren. ANGEBOTE ZUR GESUNDHEITSFÖRDERUNG Wie viel Prozent der befragten Unternehmen bieten freiwillige Angebote wie Rückentraining, Entspannungskurse oder Kooperationen mit Fitnessstudios an? 1% 9% keine Angabe unregelmäßig freiwillige Angebote 23 % regelmäßig freiwillige 67 % Angebote keine freiwilligen Angebote 19
INTERVIEW Unternehmenskultur als Schlüssel für mehr Sicherheit --------- Sebastian Bartels Vice President bei DEKRA Organisational Reliability In Bearbeitung. In hoch industrialisierten Ländern wie Deutschland stagniert die Verbesserung der Unfallzahlen. Was hat es mit diesem Phänomen auf sich? Bartels: Diese Entwicklung stellt viele Unternehmen vor eine neue Herausforderung: Es gab mehrere Jahre er- folgreicher Anstrengungen, um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz zu verbessern, woraus sinkende Unfallraten und Krankenstände resultierten. Das Manage- ment und die Fachleute sahen sich in ihren Bemühungen bestätigt und wurden mit großen Erfolgen belohnt. Aber seit einigen Jahren gerät die Entwicklung ins Stocken. Be- merkbar macht sich dies unter anderem durch ein Plateau Unterweisungen, Trainings, verstärkte Kontrollen, neue in der Entwicklung der Arbeitsunfälle und Krankenstände. Anweisungen, Kampagnen oder schlicht Abmahnungen. Man schafft es einfach nicht, diese weiter zu reduzieren. Diese Maßnahmen haben jedoch meist nicht den ge- wünschten Effekt. Man erkennt dies dann oft auch daran, Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? dass als Unfallursachen „Verhalten“ oder „nicht konfor- Bartels: Die Unternehmen fragen sich natürlich, wie es zu mes Arbeiten“ zitiert werden. Wenn wir dann mit unserer dieser Stagnation kommt und wie man darauf reagieren Vorgehensweise die echten Ursachen ermitteln, sehen wir kann. Weil viele der Unfälle vermeintlich auf „mensch- aber oft, dass die betreffenden Personen tatsächlich nur liches Versagen“ oder das Verhalten der Beschäftigten dem „üblichen“ Vorgehen im Unternehmen folgten und in zurückgeführt werden, geht man davon aus, dass man Wirklichkeit die begleitenden Faktoren die Beschäftigten wenig tun kann. Ein Schuldiger ist meist schnell gefunden indirekt zu diesen Handlungen animiert haben oder diese und man definiert Maßnahmen, beispielsweise erneute zumindest geduldet wurden. TYPISCHE ENTWICKLUNG DER UNFALLRATEN IN INDUSTRIELÄNDERN (BEISPIELHAFT) 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 20
INTERVIEW DEKRA CULTURE OF CARE DIAGNOSTIC® MATURITY LADDER Entwicklung der Reifegrade der Unternehmenskultur Zunehmend informiert sein GEWINNBRINGEND Alle Beschäftigten stehen PROAKTIV für Qualität, Umwelt- SHEQ* wird durch Ein- schutz, Gesundheit und BERECHNEND bindung und Engage- Sicherheit – und leben SHEQ* wird durch ment aller Beschäftigten es sichtbar vor. REAKTIV erreicht – und über Organisation, Regeln, SHEQ* ist wichtig. Das Prozesse, Training und Leading Indications PATHOLOGISCH Unternehmen unter- Kennzahlen erreicht gesteuert. SHEQ* ist anstren- nimmt viel – immer, – von Compliance gend und hält uns von wenn etwas passiert. getrieben. der eigentlichen Arbeit ab –„lass dich nicht erwischen“. Vertrauen und Verantwortung nehmen zu * SHEQ = Safety, Health, Environment and Quality (Sicherheit, Gesundheit, Umwelt und Qualität) Warum wirken diese üblichen Maßnahmen nicht Wie muss eine Unternehmenskultur aussehen, die über einen bestimmten Punkt hinaus? hilft, Unfälle zu vermeiden? Bartels: Unternehmen haben aus ihrer Sicht alle techni- Bartels: Die Entwicklung dahin geht einher mit einem schen und organisatorischen AuG-Maßnahmen abge- tiefen Verständnis über Zusammenhänge, starkem Ver- arbeitet. Aber in den Köpfen und Herzen der Führungs- trauen und der Bereitschaft, Verantwortung für sich und kräfte und Mitarbeiter ist das Verständnis von sicherem andere zu übernehmen. Die Kultur wirkt sich dabei nicht und gesundem Arbeiten bisher nur wenig angekommen. nur auf die Sicherheit aus. Auch Qualität, Zuverlässig- Der eigentliche Treiber ist für viele Unternehmen der keit, Motivation und andere Faktoren sind erheblich Wunsch nach Konformität und Rechtssicherheit. Unsere beeinflusst. In Beratungsprojekten finden unsere Exper- DEKRA Experten treffen in vielen Betrieben auf Mitar- ten daher in der Regel bei Betrieben mit einer reiferen beiter und Führungskräfte, die Sicherheit und Gesund- Unternehmenskultur auch bessere Ergebnisse als bei heit zwar großschreiben und als wichtig bezeichnen, einer geringer ausgeprägten Kultur. als Begründung nennt man aber rechtliche Verpflichtun- gen, Forderungen des Managements oder die Forde- Wie lassen sich solche Veränderungen erreichen? rung nach „null Unfällen“. Bartels: Die besten Erfolge erzielen Betriebe, die sich zunächst einen Einblick in die tatsächliche Führungs- Was ist daran falsch? und Unternehmenskultur verschaffen und darauf basie- Bartels: Eine solche Unternehmenskultur ist reaktiv oder rend gezielt Verständnis, Verhalten, Glaubwürdigkeit Compliance-getrieben. Die Aktivitäten und Ansprüche und Vertrauen verändern. Dafür gibt es unter den füh- sind dabei nicht falsch oder kontraproduktiv, aber es renden Unternehmen viele positive Beispiele. Entwickelt wird sich keine Unternehmenskultur einstellen, in der man die Unternehmens- und Führungskultur systema- Sicherheit und Gesundheit als Mehrwert angesehen tisch weiter, verbessert sich auch die gelebte Sicherheit. werden. Eine reaktive Kultur führt dazu, dass nur das Und dies zeigt sich letztlich in sinkenden Unfallraten. „Nötigste“ getan wird. Dagegen sind in einem Betrieb In den vergangenen Jahren haben wir dies bei vielen mit einer gut ausgeprägten proaktiven oder gewinnbrin- Kunden angewandt und die Entwicklungen und Erfolge genden Kultur Sicherheit und Gesundheit in die DNA auch mit konkreten Werten gemessen. Verbesserungen übergegangen und man macht das alles selbstverständ- der Sicherheit der verhaltensbasierten Qualität oder lich und mit einem Blick auf den Mehrwert, den es allen, der Unfallquoten von 25 bis 50 Prozent sind in der auch der Unternehmensleistung, bringt. Regel realistische Ziele. 21
ARBEITSSCHUTZ-MANAGEMENTSYSTEM Neue Norm für alle Fälle Im Jahr 2018 wurde die neue Norm für Arbeitsschutz-Managementsysteme ISO 45001 veröffentlicht. Die Norm beinhaltet viele Maßnahmen für einen moder- neren Arbeitsschutz, der auch komplexe Projektstrukturen abdeckt. Unternehmen, die ein Arbeitsschutz-Managementsystem In der ISO 45001 wird das Top-Management stärker einführen, können gegenüber Interessenten, Kunden und gefordert als bisher. Die Unternehmensleitung muss Füh- Lieferanten nachweisen, dass sie Risiken und Chancen im rungsverantwortung für den Arbeits- und Gesundheits- Arbeits- und Gesundheitsschutz zuverlässig ermittelt und schutz übernehmen sowie das Engagement dafür be- Maßnahmen wirksam umgesetzt haben. Die neue ISO- weisen und weiterentwickeln. Zudem müssen Gefahren Norm führt erstmals den traditionellen Arbeitsschutz mit identifiziert werden: Die Unternehmen müssen mögliche dem betrieblichen Gesundheitsmanagement zusammen, Risiken bewerten und eine Maßnahmenhierarchie für das so beschreiben die Experten von DEKRA eine wesentliche Reduzieren von Risiken im Gesundheits- und Arbeitsschutz Weiterentwicklung. ableiten. Chancen zur Verbesserung müssen nun in einem eigenen Prozess identifiziert werden. Das Managementsystem betrachtet die komplette Wert- schöpfungskette. Es berücksichtigt beispielsweise auch die Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren nach Veröffent- Arbeitsbedingungen von Fremdfirmen und ausgelagerten lichung der ISO 45001 verlieren Zertifikate nach der bis- Prozessen. Ein weiterer Vorteil: Durch die sogenannte herigen Norm BS OHSAS 18001 ihre Gültigkeit. Wer HLS-Grundstruktur (High-Level Structure), der alle inter- bereits nach BS OHSAS zertifiziert ist, kann entweder die nationalen Managementsystem-Normen folgen, kann die Differenzen Schritt für Schritt ausräumen und das System ISO 45001 leichter als die BS OHSAS 18001 in ein be- auf die ISO 45001 umstellen oder gleich eine Erstzerti- reits bestehendes Qualitäts- und Umweltmanagementsys- fizierung nach der neuen Norm anstreben. tem integriert werden. www.dekra-certification.de Das Managementsystem hat die komplette Wertschöpfungskette im Blick 23
NACHRICHTEN Neue Rolle der Arbeitsmedizin Ohne Gefährdungsbeurteilung ist auch keine angemes- Vorsorgen anzubieten oder zu veranlassen. Beispiele sene arbeitsmedizinische Vorsorge möglich. Darauf wei- dafür sind die Exposition gegenüber Gefahrstoffen, Lärm sen die Experten von DEKRA angesichts der forsa-Befra- und Vibrationen oder Tätigkeiten am Bildschirm. Die gung im Auftrag von DEKRA hin. Denn in vier von zehn Arbeitsmedizin hat so eine neue Rolle eingenommen: der befragten Unternehmen gibt es keine Gefährdungs- Fachkräfte für Arbeitssicherheit arbeiten mit den Arbeits- beurteilung für alle Arten von Arbeitsplätzen (s. Seite medizinern – unter Wahrung der Schweigepflicht – eng 10). Das heißt auch: In vier von zehn Unternehmen kann zusammen. der Arbeitgeber keine zielgerichtete arbeitsmedizinische Vorsorge veranlassen. DEKRA verzeichnet insgesamt eine wachsende Nachfra- ge nach arbeitsmedizinischen Dienstleistungen. Dies gilt Für die betriebsärztliche Betreuung gelten laut der Ver- für die arbeitsmedizinische Vorsorge, aber auch für freiwil- ordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) lige Angebote der Arbeitgeber durch den Betriebsarzt im seit 2013 strengere Vorschriften. Bei bestimmten berufli- Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. In den chen Belastungen und Tätigkeiten, die im Rahmen der Ge- vergangenen fünf Jahren hat DEKRA deshalb 17 regiona- fährdungsbeurteilung ermittelt werden, sind die Arbeitge- le Standorte für Arbeitsmedizin mit qualifiziertem Personal ber jetzt verpflichtet, entsprechende arbeitsmedizinische und voll ausgestatteten Untersuchungsräumen eröffnet. Basi-Umfrage: Professionen im Arbeitsschutz Welche Erfahrungen gibt es mit der Kommunikation und Kooperation der (Fach-)Professionen und betriebli- chen Akteure, die für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit verantwortlich sind? Diese Frage beschreibt das zentrale Anliegen einer Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (Basi) in Zusammenarbeit mit der Bergischen Universität Wuppertal. Eine wachsende Zahl von Professionen für Sicherheit und Gesundheit ist heute in und für Unternehmen tätig: Das Spektrum reicht von der Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten bis hin zu Ergonomie, Gesund- heitswissenschaft und Arbeitshygiene. Trotz des steigenden Bedarfs ist derzeit nicht viel über die Ziele, Metho- den sowie die besonderen Stärken der jeweiligen Akteure bekannt. Dies gilt noch mehr für die Kommunikation und Kooperation untereinander wie auch mit den Funktionsträgern im Unternehmen. Auch ihre Rolle und Tätigkeit in den Arbeitsbereichen entlang der Wertschöpfung von der Arbeitsplanung bis zum Verkauf sind laut Basi weitgehend unbekannt. Die Umfrage richtet sich an alle, die für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit fachlich unterstützend tätig sind, und läuft mindestens bis zum A+A Kongress 2019 vom 5. bis 8. November 2019 in Düsseldorf. Jetzt teilnehmen unter: www.soscisurvey.de/Basi/ 25
SCHLUSSBETRACHTUNG Sehr geehrte Leserinnen und Leser, die Ergebnisse des DEKRA Arbeitssicherheitsreports 2018/2019 stimmen nachdenklich. Nur sechs von zehn Unternehmen aus dem Mittelstand erfüllen eine zentrale Forderung des Arbeitsschutzgesetzes: eine Gefährdungsbeurteilung für jeden Arbeitsplatztyp. Geht es um die Beurteilung psychischer Gefährdun- gen, erfüllen sogar nur vier von zehn KMU die ge- setzliche Pflicht. Zugegeben: Deutschland besetzt in puncto Arbeits- und Gesundheitsschutz weltweit eine gute Position. Die Zahl der Arbeitsunfälle bewegt sich seit Jahren auf einem historischen Tiefstand. Der technische Arbeits- schutz befindet sich auf einem hohen Niveau. Organisatorischer Arbeitsschutz, Gesundheits- förderung und Gesundheitsmanagement werden für die Unternehmen immer wichtiger. Aber gerade die kleineren Mittelständler scheinen sich mit den grundlegenden Anforderungen der Arbeitssicherheit schwer zu tun. Auch dies ist ein wesentliches Ergebnis der forsa-Befra- gung im Auftrag von DEKRA: In den KMU – je kleiner, desto offensichtlicher – fehlt es häufig an Bewusstsein und sicher auch an Know-how für einen guten Arbeits- und Gesundheitsschutz. Es bleibt viel zu tun. Denn das gemeinsame Ziel heißt „Vision Zero“: So wie alle Akteure bei Fragen der Verkehrssicherheit das gemeinsame Ziel von null Verkehrstoten verfolgen, muss dieses Ziel auch beim Arbeits- und Gesundheitsschutz stärker propagiert und konsequent ver- folgt werden. Denn jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel – und erst recht jeder mit tödlichem Ausgang. Seit über 90 Jahren beruft sich DEKRA auf den satzungsgemäßen Auftrag Sicherheit. Das gilt auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Unsere Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmedizi- ner, Betriebspsychologen und Sachverständigen auf den Gebieten Sicherheit und Gesundheit unterstützen unsere Kunden Hand in Hand und erweitern Jahr für Jahr ihr Tätigkeitsspektrum. So wird DEKRA als Know-how-Träger und Akteur diesen Weg fortsetzen und sich noch stärker für sicheres und gesundes Arbeiten einsetzen. DR. CLEMENS MAYR Mitglied der Geschäftsleitung der DEKRA Automobil GmbH 26
Mit Sicherheit produktiver. DEKRA Arbeits- und Gesundheitsschutz. Unsere Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte unterstützen und beraten Sie bei der effizienten Umsetzung der Arbeitsschutzvorschriften, beim Aufbau eines wirksamen Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagements und vielem mehr. Persönlich, digital und mit der ganzen Erfahrung eines führenden Prüfdienstleisters. Jetzt mehr erfahren unter www.dekra.de oder der Service-Hotline 0800.333 333 3. Arbeits- und Gesundheitsschutz Psychische Gefährdungsbeurteilung Safety Web Betriebliches Gesundheitsmanagement 27
DEKRA Handwerkstraße 15 70565 Stuttgart Telefon +49.711.7861-3900 Telefax +49.711.7861-743999 kundencenter @dekra.com Änderungen vorbehalten. 28
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