Arthroskopische Subakromiale Dekompression (ASAD) - eine obsolete Behandlungsmethode?
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FACHBEITRAG Arthroskopische Subakromiale Dekompression (ASAD) – eine obsolete Behandlungsmethode? Von Markus Loew und Sven Lichtenberg Key words: Impingement, arthroskopische subakromiale Dekompression, Rotatorenmanschettenläsion, CSAW-Studie Eine jüngst im „Lancet“ publizierte britische Studie mit dem Titel „Can shoulder arthroscopy work?“ stellt die arthroskopische subakro miale Dekompression (ASAD), einen sehr häufig durchgeführten und erfolgreichen Eingriff an der Schulter, unter den Verdacht der Wirkungs losigkeit. In diesem Beitrag wird anhand fundierter methodischer Kritik an der Studie deren Aussagekraft in Frage gestellt. Schulterschmerzen sind eine „Volkskrank- Diese Erkenntnisse führten in der Folge- heit“; nach einer Studie von Urwin (1998) zeit zu einer Ausdehnung der Indikationen erfolgen 2 – 4% aller Arztbesuche wegen zur Akromioplastik in der symptomati- Beschwerden, die früher undifferenziert schen Therapie bei einem so genannten als Periarthritis humeroscapularis (PHS) Impingementsyndrom, aber auch zur bezeichnet wurden und daher auch keiner Prävention der Entstehung einer RMR. spezifischen Behandlung zugeführt wer- Durch die technische Weiterentwicklung den konnten. der arthroskopischen Chirurgie beschrieb Ellman (1987) das Verfahren der arthro- Mit der Beschreibung des subakromialen skopischen subakromialen Dekompres- Engpassyndroms (Subacromial Impinge- sion (ASAD) (Abb. 2). Dieses technisch ment) als Grund für strukturell definierte relativ einfache Verfahren erfreute sich funktionelle Schulterbeschwerden durch in den folgenden Jahren immer größerer Charles Neer (1972) trat eine Zeitenwen- Beliebtheit. In der ersten Dekade des 21. de ein. Neer postulierte, dass 95% der Jahrhunderts stieg die Anzahl der ASAD Rotatorenmanschettenrupturen (RMR) in Großbritannien von 2.523 auf 21.355 durch ein mechanisches Impingement Fälle im Jahr um den Faktor 7; in den verursacht würden und dass diese erfolg- USA betrug in einer Analyse von Vitale reich durch eine vordere Akromioplastik (2010) die „population incidence“ mehr Von oben: behandelt werden könnten. Andererseits als 1/1000, d.h. dass jährlich einer von Prof. Dr. Markus Loew, mahnte er an, dass „diese Operation für tausend Einwohnern durch eine ASAD Dr. Sven Lichtenberg ausgewählte Patienten mit einem mecha- behandelt wurde; die Operation war somit nischen Impingement vorbehalten blei- 2,6 mal häufiger als jeder andere orthopä- ben sollte“. Bigliani (1982) erkannte einen dische Eingriff. Zusammenhang zwischen der Akromi- onform und dem Auftreten von RMR; bei Sehr häufig wird die ASAD als flankie- einem radiologisch erkennbaren Akromi- rende Maßnahme bei einer Rotatoren- onsporn (Typ III, Abb. 1) wurden signifikant manschettenrekonstruktion eingesetzt. häufiger Sehnenrupturen beobachtet als Dabei mehrten sich die Hinweise darauf, bei den flachen Formen (Typ I und II). dass dies nicht zwangsläufig zu besse- 36
ATOS NEWS Abb.1: Akromion Typ III (Rö: Supraspinatus Outlet View) mit spornförmiger Ausziehung durch eine Ansatzverknöcherung des Lig. coracoacromiale ren Ergebnissen führt. Gartsman (2004) schmerzen“ mit denen einer arthroskopi- bestanden keine Unterschiede. Die Au- postulierte nach einer prospektiven schen Plazebointervention (ausschließlich toren folgerten daraus, dass der Wert der Studie, dass die Dekompression das diagnostische Arthroskopie) und denen ASAD zumindest in Frage gestellt werden funktionelle Ergebnis nach einer arthro- einer Kontrollgruppe ohne spezifische müsse. skopischen Sehnenrekonstruktion nicht Behandlung. Für diese Studie wurden in verändert. Allerdings waren in dieser einem Zeitraum von 34 Monaten 313 Pati- KOMMENTAR Studie Patienten mit einem radiologisch enten randomisiert einer der drei Gruppen Die Studie weist erhebliche methodische nachweisbaren Akromionsporn ausge- zugeordnet. Von den Probanden wurden und systematische Mängel auf: schlossen worden. sechs Monate später 274 Personen Die Einschlusskriterien: der „subakromi- nachuntersucht. ale Schulterschmerz“ stellt keine Indi- „DIE LANCET STUDIE“ kation für eine ASAD dar. Die allgemein 2018 publizierte eine britische Arbeits- Die Auswertung ergab, dass unter anerkannten Indikationskriterien (Impin- gruppe in der renommierten medizi- Anwendung verschiedener Scores die gementzeichen nach Neer und nach Ha- nischen Fachzeitschrift Lancet eine Resultate der arthroskopisch therapierten wkins, schmerzhafter Bogen, spezifische prospektive, randomisierte, plazebo- Patienten bezüglich Schmerz und Funkti- Funktionstests und positiver Injektionstest kontrollierte Studie mit dem Titel CSAW on zwar besser waren als die der Kontroll- in Verbindung mit einem radiologisch („can shoulder arthroscopy work“): Diese gruppe; die Unterschiede waren jedoch erkennbaren Akromionsporn) wurden verglich die Ergebnisse der ASAD bei statistisch nicht signifikant und klinisch nicht angewandt. Therapieresistenz über Patienten mit mehr als drei Monaten nicht relevant. Zwischen der arthroskopi- 3 Monate ist nicht ausreichend, um den bestehenden „subacromialen Schulter- schen Plazebo- und der ASAD-Gruppe positiven Spontanverlauf auszuschließen. Abb.2: Arthroskopische Subakromiale Dekompression (ASAD): nach Ablösen des Lig. coracoacromiale wird der Akromionsporn (links) mit einem scharfen Synovialisresektor abgetragen (rechts). 37
Literatur: 1. Atoun E, Gilat R, van Tongel A, Pradhan R, Cohen O, Rath E, Levy O (2017). Intraobserver and interobser- ver reliability of the Copeland-Levy classification for arthroscopic evaluation of subacromial impinge- ment. J Shoulder Elbow Surg. 2017 Dec;26(12):2167-2172. 2. Beard D, Rees J, Cook J et al. (2018). Arthroscopic subacromial decom- pression for subacromial shoulder pain (CSAW): a multicenter, prag- matic, parallel group, placebo-con- trolled, three-group randomised surgical trial. Lancet 27;391:329–338 Abb. 3: Akromion Typ III (endoskopische Ansicht), mit Akromionsporn, Auffase- rung des Bandansatzes und teilweises Freiliegen des Knochens. 3. Bigliani L, Morrison D, April E. (1982). The morphology of the acromion and its relationship to rotator cuff tears. Orthop Trans 10:228–234 4. Ellman H (1987) Arthroscopic sub- acromial decompression: analysis of one- to three-year results. Arthrosco- py 3:173-81. Die Selektion: Von 2.975 Patienten, die FAZIT 5. Gartsman G, O´Connor D: (2004). theoretisch die Einschlusskriterien erfüll- Arthroscopic rotator cuff repair with Die Indikation zur ASAD ist in jedem ein- and without arthroscopic subacro- ten, wurden 313 in die Randomisierung zelnen Fall kritisch zu prüfen. Ein klinisch mial decompression: a prospective, einbezogen. Es ist völlig unklar aufgrund eindeutiges subakromiales Impingement- randomized study of one-year outco- welcher Gesichtspunkte fast 90% der syndrom ohne strukturelle Sekundärschä- mes. J Shoulder Elbow Surg.13:424- 426. verfügbaren Probanden ausgeschlossen den lässt sich durch eine konsequente wurden. medikophysikalische Behandlung über 6. Neer C (1972). Anterior acromioplasty bis zu sechs Monaten in den meisten for the chronic impingement syndro- Die Operationstechnik: 38 Operateu- Fällen heilen. me in the shoulder. J Bone Joint Surg A; 54:41–50 re führten über einen Zeitraum von 34 Relative Indikationen zur ASAD bestehen Monaten insgesamt 209 Eingriffe durch: • bei einem über diesen Zeitpunkt hinaus 7. Urwin M, Symmons D, Allsion T das entspricht weniger als zwei Eingriffen therapieresistenten Impingement- et al. (1998) Estimating the burden of musculoskeletal disorders in pro Chirurg und Jahr. Dies lässt mögli- syndrom mit den – wie vorstehend the community: the comparative cherweise an der operativen Routine und beschrieben -eindeutig definierten prevalence of symptoms at different damit an einer lege artis perfekt ausge- klinischen und radiologischen Kriterien. anatomical sites, and the relation to führten ASAD zweifeln. • bei artikular- oder bursalseitigen Partial- social deprivation. Ann Rheum Diss 57:649-655 läsionen der Supraspinatussehne Das Follow-up: Der Nachuntersuchungs- • bei aktiven Patienten, wenn zumindest 8. Vitale M, Arons R, Hurwitz S, Ahmad zeitraum über sechs Monate ist insbe- eine subakromiale Injektion mit einem C, Levine W (2010). The rising inci- sondere bei den mit ASAD therapierten dence of acromioplasty. J. Bone Joint Steroidzusatz zu einer vorübergehen- Surg (A) 92:1842-1850 Patienten grenzwertig kurz; dennoch den, aber nicht anhaltenden Besserung wurden 13% der Patienten nicht in die geführt hat. Analyse aufgenommen. • als flankierende Maßnahme bei der arthroskopischen Rekonstruktion einer Diese und weitere weniger relevante Rotatorenmanschettenläsion, wenn Mängel führten zu einer gemeinsamen das Akromion intraoperativ eindeutige Stellungnahme der zuständigen wissen- Zeichen einer mechanischen Irritation schaftlichen Fachgesellschaften und Be- vorliegen (Abb. 3) (Atoun 2017) rufsverbände, die feststellten, dass durch die Veröffentlichung ungerechtfertigt das gesamte Feld der Schulterarthroskopie Prof. Dr. Markus Loew Dr. Sven Lichtenberg unter Generalverdacht und seit Jahren Deutsches Gelenkzentrum Heidelberg durch wissenschaftliche Studien erwie- Markus.loew@atos.de sene erfolgreiche Behandlungsstandards infrage gestellt wurden. 38
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