Der Mensch im Mittelpunkt
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
26. Heidelberger Kongress des Fachverbandes Sucht e.V. 10.-12. Juni 2013 Der Mensch im Mittelpunkt - Was bedeutet dies für die Suchtbehandlung? Forum 6 Dipl.-Psych. Uwe Kallina Wie lassen sich diagnostische Instrumente zur Erfassung arbeitsbezogener Verhaltens- und Erlebensmuster in der Adaptionsbehandlung sinnvoll nutzen?
Indikatoren psychischer Gesundheit Merkmale arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens aus 3 Bereichen (Schaarschmidt, 2006) Arbeitsengagement Widerstandskraft Emotionen Bedeutsamkeit der Distanzierungs- Erfolgserleben im Arbeit fähigkeit Beruf Beruflicher Ehrgeiz Resignationstendenz Lebens- Verausgabungs- Offensive Problem- zufriedenheit bereitschaft bewältigung Erleben sozialer Perfektionsstreben Innere Ruhe und Unterstützung Ausgeglichenheit
Zielsetzung des AVEM Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (Schaarschmidt, 2006) Ressourcen- anstatt symptomorientierter Ansatz Abklärung berufsbezogener gesundheitlicher Risiken Individualisierung rehabilitativer Maßnahmen Verlaufs- und Erfolgskontrolle im rehabilitativen Prozess Aspekt der Früherkennung und Prävention
AVEM-Dimensionen (Schaarschmidt, 2006) 1. Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit (BA): Stellenwert der Arbeit im persönlichen Leben Beispielitem: Die Arbeit ist für mich der wichtigste Lebensinhalt. 2. Beruflicher Ehrgeiz (BE): Streben nach Zielen und Weiterkommen im Beruf Beispielitem: Ich möchte beruflich weiter kommen, als es die meisten meiner Bekannten geschafft haben. 3. Verausgabungsbereitschaft (VB): Bereitschaft, die persönliche Kraft für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe einzusetzen Beispielitem: Wenn es sein muss, arbeite ich bis zur Erschöpfung. 4. Perfektionsstreben (PS): Anspruch bezüglich Güte und Zuverlässigkeit der eigenen Arbeitsleistung Beispielitem: Was immer ich tue, es muss perfekt sein.
AVEM-Dimensionen (Schaarschmidt, 2006) 5. Distanzierungsfähigkeit (DF): Fähigkeit zur psychischen Erholung von der Arbeit Beispielitem: Nach der Arbeit kann ich ohne Probleme abschalten. 6. Resignationstendenz bei Misserfolgen (RT): Neigung, sich mit Misserfolgen abzufinden und leicht aufzugeben Beispielitem: Wenn ich keinen Erfolg habe, resigniere ich schnell. 7. Offensive Problembewältigung (OP): Aktive und optimistische Haltung gegenüber Herausforderungen und auftretenden Problemen Beispielitem: Für mich sind Schwierigkeiten dazu da, dass ich sie überwinde. 8. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit (IR): Erleben psychischer Stabilität und inneren Gleichgewichts Beispielitem: Mich bringt so leicht nichts aus der Ruhe.
AVEM-Dimensionen (Schaarschmidt, 2006) 9. Erfolgserleben im Beruf (EE): Zufriedenheit mit dem beruflich Erreichten Beispielitem: Mein bisheriges Berufsleben war recht erfolgreich. 10. Lebenszufriedenheit (LZ): Zufriedenheit mit der gesamten, auch über die Arbeit hinausgehenden Lebenssituation Beispielitem: Im Großen und Ganzen bin ich glücklich und zufrieden. 11. Erleben sozialer Unterstützung (SU): Vertrauen in die Unterstützung durch nahe stehende Menschen, Gefühl der sozialen Geborgenheit Beispielitem: Wenn ich mal Rat und Hilfe brauche, ist immer jemand da.
Kennzeichen der Profiltypen (Schaarschmidt, 2006) Muster G berufliches Engagement, ausgeprägte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen, positives Lebensgefühl („Gesundheitsmuster“) Muster S ausgeprägte Schonungstendenz gegenüber beruflichen Anforderungen
Kennzeichen der Profiltypen (Schaarschmidt, 2006) Risikomuster A überhöhtes Engagement (Selbstüberforderung) bei verminderter Widerstandsfähigkeit und eher eingeschränktem Lebensgefühl Muster B Resignation und deutlich verminderte Belastbarkeit, einhergehend mit reduziertem Arbeitsengagement
AVEM-Profile (Schaarschmidt, 2006) Muster S Risikomuster A Risikomuster B Muster G
Stichprobenbeschreibung Anzahl Patienten: 136 Anzahl Männer: 102 Anzahl Frauen: 34 Durchschnittliches Alter (bei Aufnahme): 36,5 Jahre Durchschnittliche Behandlungsdauer: 98,9 Tage Voraussetzungen: • Vorliegende Tests zu Beginn und Ende der Behandlung (Prätest/Posttest) • Keine Berücksichtigung von „Mischtypen“ bei den AVEM-Profilen
Fragestellung Wie verteilen sich die Profilmuster/-typen unter den Adaptionspatienten?
Häufigkeitsverteilung der Profiltypen bei der Aufnahmetestung (TZ 1) 53,7% 60,0% 50,0% Typ A 40,0% 24,3% Typ B Anzahl in Prozent 30,0% Typ S 20,0% 12,5% Typ G 9,5% 10,0% 0,0% Profiltypen (TZ 1)
Fragestellung Gibt es Unterschiede in der Verteilung der Profiltypen / Risikomuster zwischen Männer und Frauen?
Häufigkeitsverteilung der Profiltypen in Abhängigkeit vom Geschlecht (m/w) Typ A 60 N=102 Typ B 53,9 52,9 N=34 Typ S 50 Typ G 40 32,4 Anzahl in Prozent 30 21,6 20 12,7 11,8 11,8 10 2,9 0 Männer Frauen Geschlecht
Fragestellung Finden sich in Abhängigkeit vom Status der Erwerbsfähigkeit der Patienten unterschiedliche Häufungen von Risikomustern ?
Prozentuale Häufigkeitsverteilung der Profiltypen (TZ1) in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus der letzten 6 Monate vor Beginn der Adaptionsbehandlung N=8 N=36 N=75 N=8 0 Typ G 0 0 100% 8 12,5 16,7 Typ S 90% 14,7 Typ B 80% 11,1 Typ A 70% 75 50 60% Anzahl in Prozent 52 50% 55,5 40% 30% 37,5 20% 25 25,3 16,7 10% 0% Arbeiter / Angestellter / Arbeitslos ALG I Arbeitslos ALG II Sonstige Beamter Nichterwerbspersonen Status Erwerbstätigkeit (6 Monate vor Behandlungsbeginn)
Verteilung der prozentualen Anteile der Profiltypen (TZ1) in Abhängigkeit von der Dauer der Erwerbslosigkeit 45 41,6 40 33,3 32,9 33,3 35 31,5 Anteile der Profiltypen in Prozent 29,4 29,4 30 25 Typ A N=33 23,5 25 21,2 21,9 Typ B N=73 20 16,7 17,6 16,7 Typ S N=17 13,7 Typ GN=12 15 12,1 10 5 0 Nges=135 0 Monate 1-12 Monate 13-24 Monate 25-36 Monate Dauer der Erwerbslosigkeit
Fragestellung Lassen sich bei Patienten mit komorbiden Störungen in Abhängigkeit von der Diagnosegruppe häufiger Risikomuster finden?
Generelle Symptombelastung: Prozentuale Häufigkeitsverteilung der Patienten in Abhängigkeit der Anzahl an Zusatzdiagnosen (ICD-10: Kapitel F) N=136 14% 24,2% Zusätzl. 0 21,3% Zusätzl. 1 Zusätzl. 2 18,4% Zusätzl. 3 Zusätzl. 4 22,1%
Prozentuale Verteilung der Profiltypen/Risikomuster auf vier ausgewählte ICD-Diagnose-Cluster N=3 N=40 N=20 N=37 0 2,7 Typ G 100% 5 10 5 13,5 Typ S 90% 12,5 Typ B 80% Typ A 70% 66,7 60% 70 59,5 Anzahl in Prozent 50% 60 40% 30% 20% 33,3 17,5 20 24,3 10% 0% F2 F3 F4 F6 ICD-10 Diagnose-Gruppen
Verteilung der prozentualen Anteile der Profiltypen/Risikomuster auf ausgewählte Cluster von komorbiden psychischen Störungen 70 66,6 Typ A N=21 60 Typ B N=62 Anteile der Profiltypen in Prozent 50 45,5 45,5 Typ S N=11 35,5 38,7 Typ G N=6 40 42,9 33,3 30 22,6 19 20 16,7 16,7 9 10 4,8 3,2 0 0 0 F2 F3 F4 F6 ICD-10 Diagnose-Gruppen
Fragestellung Wie und in welche Richtung verändern sich die Profiltypen im Behandlungsverlauf?
Häufigkeitsverteilung der Profiltypen in Abhängigkeit vom Testzeitpunkt Typ A 60,0% 53,7% 54,4% Typ B Typ S 50,0% Typ G 40,0% Anzahl in Prozent 24,3% 30,0% 19,1% 20,0% 12,5% 13,2% 13,2% 9,5% 10,0% 0,0% TZ 1 TZ 2 Testzeitpunkt
Veränderung der Profiltypen in Abhängigkeit vom Testzeitpunkt (TZ 1 → TZ 2) 6,1% 4,1% nach G 100% 8,2% nach S 9,1% 23,5% 90% nach B 80% nach A 70% 39,4% 60% 41,2% 69,2% Anzahl in Prozent 75,3% 50% 40% 30% 23,5% 15,4% 45,4% 20% 10% 12,3% 11,8% 15,4% 0% Typ A Typ B Typ S Typ G N=33 N=73 N=17 N=12 Profilyp (TZ 1)
Fragestellung Gibt es Unterschiede in der (subjektiven) Bewertung der Motivation der Patienten im Rahmen des Arbeitstrainings und des externen Praktikums in Abhängigkeit vom Profiltyp?
Verteilung der prozentualen Anteile der Profiltypen/Risikomuster in Bezug auf die Bewertung der Motivation im Rahmen des Arbeits- und Bewerbertrainings 90,0% 88,2% Typ A 80,0% 69,2% Typ B 70,0% Typ S Anteile der Profiltypen in Prozent 60,0% 57,5% Typ G 50,0% 45,5% 40,0% 30,3% 28,8% 30,0% 15,4% 11,8% 15,2% 20,0% 9,1% 9,6% 7,7% 4,1% 7,7% 10,0% 0,0% 0,0% 0,0% keine Angabe gut mittelmäßig schlecht Motivationseinschätzung
Verteilung der prozentualen Anteile der Profiltypen/Risikomuster in Bezug auf die Rückmeldungen der externen Praktikumsstellen zum Arbeitsverhalten und Arbeitsqualität 90,0% 84,6% 76,5% 80,0% 74,0% 70,0% Anteile der Profiltypen in Prozent 60,6% 60,0% Typ A 50,0% Typ B 40,0% 33,3% Typ S 30,0% 21,9% 20,0% 23,5% 15,4% 6,1% 4,1% 10,0% 0,0% 0,0% 0,0% keine Angabe positiv kritisch Rückmeldung externe Praktikumsstelle
Diskussion der Befunde
Schlussfolgerungen für die Adaptionsbehandlung • Stabilität vs. Veränderbarkeit von (berufsbezogenen) Verhaltens- und Erlebensmustern Das „Risikomuster B“ erweist sich als das „stabilste“ Muster und ist damit scheinbar „schwerer“ beeinflussbar/veränderbar. Entsprechend sind gezielte und aufeinander abgestimmte Inter- ventionen während des gesamten Behandlungsverlaufes und in verschiedenen Kontexten (Arbeitstraining, Gruppen- und Einzel- therapie, Indikativangebote, multiprofessionelle Fallkonferenzen, etc.) erforderlich. Dies steht weitgehend in Übereinstimmung mit den Implikationen, die sich aufgrund vorliegender Studienergebnisse aus dem psycho- somatischen Rehabilitationsbereich ergaben (vgl. Schaarschmidt, 2006; Koch, Geissner & Hillert, 2007; Beutel et al., 2004).
Schlussfolgerungen für die Adaptionsbehandlung • Messbarkeit der Veränderungen von (berufsbezogenen) Verhaltens- und Erlebensmustern Profiltypen bzw. Risikomuster sind als Veränderungsmaß im Adaptionsbereich nur bedingt geeignet. Partielle Veränderungen kritischer Verhaltens- und Erlebens- muster lassen sich wahrscheinlich besser auf den spezifischen Einzeldimensionen des AVEM abbilden und mit dem Patienten diskutieren.
Schlussfolgerungen für die Adaptionsbehandlung • Betrachtung von Risikotypen vor dem Hintergrund der Suchterkrankung Berücksichtigt man die suchtspezifischen Charakteristika von vielen Patienten im Adaptionsbereich: - früh beginnende und / oder langjährige Abhängigkeitsentwicklung, - erhöhte Symptombelastung durch komorbide psychische Erkrankungen, - defizitäre emotionale und kognitive Entwicklungen, - diskontinuierliche Berufsbiografien mit einem hohen Anteil an Arbeitslosigkeitszeiten / langjähriger Erwerbslosigkeit, - und daraus resultierende sozialen / wirtschaftliche Problemen spiegelt der gehäuft auftretende „Risikotyp B“ sicherlich nicht allein kritische berufsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster wider, sondern auch die zwangsläufig eintretenden negativen psycho- sozialen Auswirkungen des Krankheitsbildes auf den Patienten und damit sein Selbstwert- und Kontrollerleben.
Schlussfolgerungen für die Adaptionsbehandlung • Bedeutung der Adaptionsbehandlung für die Veränderung problematischer berufsbezogener Verhaltens- und Erlebensmuster Positive Beurteilungen der Motivation und Arbeitsqualität im Rahmen des Arbeitstrainings und der externen Praktika scheinen weitgehend unabhängig von problematischen Mustern zu sein. Andererseits ist davon auszugehen, dass interne Arbeits- und Bewerbertrainings und insbesondere die externe Belastungs- erprobung im Rahmen der Adaptionsbehandlung enorm wichtig sind, um (therapeutisch geleitet) korrigierende berufsbezogene Erfahrungen auf der Verhaltens- und Erlebensebene zu ermög- lichen und zu festigen (vgl. Veränderung/Reduktion von „Muster S“ in der vorliegenden Untersuchung).
Schlussfolgerungen für die Adaptionsbehandlung • Schnittstelle Fachklinik-Adaption Der Einsatz des AVEM in der stationären Behandlung ermöglicht ein gezieltes und frühzeitiges Bearbeiten problematischer Verhaltens- und Erlebensmuster bereits in der Fachklinik. Die Adaptionsbehandlung sollte daher die diagnostischen Vorbefunde aufgreifen und in die Behandlungsplanung aktiv einfließen lassen. Gemeinsame Forschungsprojekte (Klinik/Adaptionseinrichtung) zur weiteren Evaluation des Verfahrens und dessen spezifischen Einsatz im Suchtrehabilitationsbereich sind wünschenswert.
Literatur Beutel, M.E., Zwerenz, R., Kayser, E., Schattenburg, L. & Knickenberg, R.J. (2004). Berufsbezogene Einstellungen, Ressourcen und Risikomerkmale im Therapieverlauf: Eignet sich der AVEM als Messverfahren für psychisch und psychosomatisch Kranke? Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 33 (2), 110–119. Koch, S., Geissner, E. & Hillert, A. (2007). Berufliche Behandlungseffekte in der stationären Psychosomatik. Der Beitrag einer berufsbezogenen Gruppentherapie im Zwölf-Monats-Verlauf. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 55 (2), 2007, 97–109. Schaarschmidt, U. (2006). AVEM - ein persönlichkeitsdiagnostisches Instrument für die berufsbezogene Rehabilitation. In Arbeitskreis Klinische Psychologie in der Rehabilitation BDP (Hrsg.). Psychologische Diagnostik - Weichenstellung für den Reha-Verlauf. Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn. S. 59-82.
Sie können auch lesen