Arzneimittel-Atlas 2020 - Methodische Erläuterungen

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Arzneimittel-Atlas 2020
         Methodische Erläuterungen

  Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Die Autoren

Lukas Maag
Dr. Ariane Höer

IGES Institut GmbH
Friedrichstraße 180
10117 Berlin
www.iges.com
www.arzneimittel-atlas.de

IGES Arzneimittel-Atlas ist eine eingetragene Marke
der IGES Institut GmbH.

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Methodische Erläuterungen
www.arzneimittel-atlas.de/methodik

Datenstand 2020

Ergänzungen zum Kapitel „Methodische Erläuterungen“ aus:
B. Häussler | A. Höer (Hrsg.)
Arzneimittel-Atlas 2020

© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2021
Inhalt

1 Methodische Erläuterungen______________________________________________________ 1
   Lukas Maag und Ariane Höer
   1.1 ATC-Klassifikation_______________________________________________________________________ 2
   1.2 DDD-Konzept__________________________________________________________________________ 4
   1.3 Datenbasis____________________________________________________________________________ 6
         1.3.1   Datenbasis für den Zeitraum 2003–2019__________________________________________________ 6
         1.3.2   Datenbasis für den Zeitraum 1996–2002__________________________________________________ 7
         1.3.3   Berechnung von mittleren Preisen je DDD________________________________________________ 7
         1.3.4   Berechnung der mittleren Erstattungspreise je DDD________________________________________ 7
   1.4 Statistische Komponentenzerlegung/Indexanalyse___________________________________________ 9
         1.4.1   Die Komponenten des Arzneimittel-­Atlas_________________________________________________ 11
   1.5 Epidemiologie, Bedarf und Angemessenheit der Versorgung___________________________________ 13
         1.5.1   Zusammenhang zwischen Verbrauch und Indikation________________________________________ 13
         1.5.2   Ermittlung der Prävalenz______________________________________________________________ 14
         1.5.3   Ermittlung der Behandlungsbedürftigkeit________________________________________________ 14
         1.5.4   Ermittlung der Zahl der behandelbaren Patienten__________________________________________ 14
   1.6 Entwicklung der Indikationsgruppen_______________________________________________________ 15
   1.7 Regionale Arzneimittelanalysen__________________________________________________________ 16
   1.8 Rabatte in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)_______________________________________ 16
         1.8.1   Datenlage über die Höhe der Einsparungen_______________________________________________ 16
         1.8.2   Arzneimittel mit Individualrabatten_____________________________________________________ 17

                                                                                                           iii
Abkürzungsverzeichnis

ABDA    Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände       GAmSi GKV-Arzneimittel-Schnellinformation
ApU     Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers       NVI   Nationale Verordnungsinformation
ATC     Anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation         (von INSIGHT Health)
AVP     Apothekenverkaufspreis                              PZN   Pharmazentralnummer
BMG     Bundesministerium für Gesundheit                    SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
DDD     Defined daily dose (definierte Tagesdosis)          VO    Verordnung
DIMDI   Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation   WHOCC World Health Organization Collaborating Centre
        und Information                                           for Drug Statistics Methodology
EP      Erstattungspreis                                    WIdO  Wissenschaftliches Institut der AOK

iv
1       Methodische Erläuterungen
        Lukas Maag und Ariane Höer

Es gibt viele verschiedene Einflussfaktoren auf      gen eingesetzt werden. Davon wird im Arznei-
die Entwicklung der Arzneimittelausgaben der         mittel-Atlas 2020 (www.arzneimittel-atlas.de)
GKV. Darunter sind nachfrage- und angebots-          eine Auswahl von 14 Indikationsgruppen näher
seitige Faktoren, die sich aus dem objektiven        dargestellt. Sie zeigten 2019 eine starke Umsatz-
und subjektiven Bedarf sowie der politischen         veränderung gegenüber dem Vorjahr und bedeut-
Steuerung ergeben. Aus der Vielfalt der wirk-        same strukturelle Marktverschiebungen durch
samen Einflussfaktoren erfolgt im Arzneimittel-­     neue Wirkstoffe. Die „Mittel zur Behandlung der
Atlas eine Fokussierung auf jene, die auf der        Hypertonie“ umfassen – abweichend von der
Basis von Verordnungsdaten der GKV ermittelt         üblichen Definition von Indikations- und Teil-
werden können. Grundlage der Analyse bildet          Indikationsgruppen – mehrere therapeutische
daher die Umsatzentwicklung der Apotheken            Untergruppen der ATC-Klassifikation: Zusam-
zulasten der GKV gemessen am Apothekenver-           mengefasst werden die Teil-Indikationsgruppen
kaufspreis (AVP).                                    „Antihypertonika“ (C02), „Diuretika“ (C03),
    Der Untersuchung liegt die Vorstellung           „Betablocker“ (C07), „Calciumkanalblocker“
zugrunde, dass der Verbrauch von Arznei­mitteln      (C08) und „Mittel mit Wirkung auf das Renin-
in der Bevölkerung (in diesem Fall der GKV-Ver-      Angiotensin-System“ (C09).
sicherten) in erster Linie aus der therapeutischen      Vor dem Hintergrund dieser versorgungs-
Versorgung dieser Bevölkerung zu verstehen ist.      bezogenen Sichtweise wird untersucht, ob
Aus diesem Grund erfolgt die Analyse struktu-        epidemiologische, medizinische, regulatori-
riert für insgesamt 93 Gruppen von Arzneimitteln     sche oder wettbewerbliche Erklärungen für die
(als „Indikationsgruppen“ bezeichnet), die zur       beobachteten Entwicklungen in den einzelnen
Behandlung beschriebener Gesundheitsstörun-          Indikationsgruppen erkannt werden können

                                                                                                    1
1 Methodische Erläuterungen

oder ob möglicherweise unbekannte bzw. ratio-      pharma­kologischen Untergruppen, die mehr
nal nicht begründbare Faktoren für die Entwick-    oder weniger detailliert das Wirkprinzip der
lungen verantwortlich sein könnten. Im Folgen-     klassifizierten Arzneimittel beschreiben. So
den werden einzelne Elemente der Methodik          finden sich in der pharmakologischen Unter-
detailliert erläutert.                             gruppe „A10B Antidiabetika exkl. Insuline“ z.B.
                                                   die chemischen Untergruppen „A10BA Bigua-
                                                   nide“ und „A10BB Sulfonylharnstoff-Derivate“.
1.1 ATC-Klassifikation                             Der ATC-Code der chemischen Substanz defi-
                                                   niert einzelne Wirkstoffe bzw. fixe Kombina-
Die ATC-Klassifikation ist die anatomisch-thera­   tionen. Wirkstoffe mit unterschiedlichen Indi-
peutisch-chemische Klassifikation von Arznei-      kationsgebieten können mehrere ATC-Codes
mitteln. Es handelt sich um ein international      haben. Ein Beispiel ist die Acetylsalicylsäure, die
anerkanntes Klassifikationssystem für Arznei-      als Analgetikum mit dem ATC-Code „N02BA01“
mittel, das durch das WHO Collaborating Centre     und als Mittel zur Hemmung der Thrombo-
for Drug Statistics Methodology (WHOCC) in         zytenaggregation mit dem ATC-Code „B01AC06“
Oslo erstellt und jährlich aktualisiert wird       bezeichnet wird.
(www.whocc.no/atc_ddd_index). Die interna-             Als international anerkanntes Klassifika-
tionale Version der ATC-Klassifikation kann den    tionsverfahren liegt die ATC-Klassifikation der
nationalen Besonderheiten angepasst werden.        Gliederung des Arzneimittel-Atlas zugrunde.
Die ATC-Klassifikation für Deutschland wird seit   Der Arzneimittel-Atlas gliedert die Arzneimittel
2005 in einer amtlichen Fassung vom Deutschen      nach Indikationsgruppen, sodass Mittel, die in
Institut für Medizinische Dokumentation und        medizinischer Hinsicht im Wesentlichen nicht
Information (DIMDI) herausgegeben. Die wis-        miteinander substituierbar sind, unterschied-
senschaftliche Bearbeitung der nationalen ATC-­    lichen Gruppen zugeordnet sind: Ein Mehrver-
Klassifikation für Deutschland erfolgt durch das   brauch an Antidiabetika kann z.B. nicht einen
Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO).         Minderverbrauch bei Mitteln gegen säure-
   ❱❱❱ Tabelle 1 veranschaulicht die fünf Ebenen   bedingte Erkrankungen zur Folge haben. Die
der ATC-Klassifikation. Die ATC-Klassifikation     Indikationsgruppen entsprechen den therapeu-
gliedert Arzneimittel zunächst in anatomische      tischen Untergruppen der ATC-Klassifikation.
Hauptgruppen, z.B. „A Alimentäres System           Da die therapeutischen Untergruppen an eini-
und Stoffwechsel“ oder „B Blut und blutbil-        gen Stellen der ATC-Klassifikation zu grob sind,
dende Organe“. Innerhalb der anatomischen          d.h. Wirkstoffgruppen enthalten, die prinzi-
Hauptgruppen erfolgt eine Gliederung nach          piell nicht untereinander substituierbar sind,
therapeutischen Untergruppen, z.B. „A02            musste man für einige Indikationsgruppen
Mittel bei säurebedingten Erkrankungen“ oder       Teil-Indikationsgruppen einführen. Auf diese
„A10 Antidiabetika“. Die therapeutischen           Weise wurde z.B. bei den Antianämika verfah-
Untergruppen umreißen in der Regel das Indi-       ren, weil Mittel gegen Eisenmangelanämie
kationsgebiet für die dazugehörigen Arznei­        nicht gegen Mittel austauschbar sind, die bei
mittel, definieren jedoch in einigen Fällen        renaler Anämie eingesetzt werden können. Die
nicht unbedingt ein Indikationsgebiet, sondern     Bildung von Teil-Indikationsgruppen folgt in
Wirkstoffgruppen wie z.B. die therapeutische       den meisten Fällen den pharmakologischen
Untergruppe „C09 Mittel mit Wirkung auf das        Untergruppen. So wird die Indikationsgruppe
Renin-Angiotensin-System“ oder „N06 Psycho-        „A10 Antidiabetika“ in die Teil-Indikations-
analeptika“. Innerhalb der therapeutischen         gruppen der Insuline (A10A) und der Anti­
Untergruppen erfolgt die Gliederung nach           diabetika exkl. Insuline (A10B) geteilt. Wenn

2
1.1 ATC-Klassifikation                                                                                                        1
 Tab. 1     Ebenen der ATC-Klassifikation und Verwendung im Arzneimittel-Atlas. Quelle: IGES nach Fricke et al. 2019a

  Ebene Bezeichnung                   Beispiel für Code Bedeutung des Codes        Verwendung im Arzneimittel-Atlas
                                                         alimentäres System
  1.      anatomische Hauptgruppe             A                                    wird nicht berücksichtigt
                                                         und Stoffwechsel
          therapeutische
  2.                                        A10          Antidiabetika             definiert die Indikationsgruppe
          Untergruppe
          pharmakologische                                                         definiert ggf. die Teil-Indikations-
  3.                                        A10A         Insuline und Analoga
          Untergruppe                                                              gruppe
                                                         Insuline und Analoga
                                                                                   definiert in der Regel Therapie­
  4.      chemische Untergruppe            A10AB         zur Injektion, schnell
                                                                                   ansätze
                                                         wirkend
                                                                                   definiert Analogwirkstoffe/
  5.      chemische Substanz              A10AB01        Insulin (human)
                                                                                   Wirkstoffe

auch innerhalb von pharmakologischen Unter-                      Die Analysen des Arzneimittel-Atlas bezie-
gruppen keine prinzipielle Substituierbarkeit                 hen sich jeweils auf das vorangegangene Kalen-
besteht bzw. keine pharmakologischen Unter-                   derjahr. Daher wird prinzipiell die ATC-Klassi-
gruppen definiert sind, werden einzelne che-                  fikation herangezogen, die in jenem Kalender-
mische Substanzen zu Teil-Indikationsgruppen                  jahr Gültigkeit hatte. Der vorliegende Arznei-
zusammengefasst. Die chemischen Untergrup-                    mittel-Atlas 2020 verwendet somit die für das
pen der ATC-Klassifikation definieren in der                  Jahr 2019 gültige Klassifikation (Fricke et al.
Regel die Therapieansätze im vorliegenden Arz-                2019a). In folgenden Ausnahmefällen weicht
neimittel-Atlas. Von dieser Vorgehensweise                    man davon ab:
weicht man dann ab, wenn chemische Unter-                     „ Für neue Wirkstoffe, die vom WIdO 2019 noch
gruppen erkennbar mehrere Therapieansätze                        nicht klassifiziert wurden, wird geprüft, ob
enthalten (so werden für die chemische Unter-                    das WHOCC bereits einen ATC-Code vergeben
gruppe „L01XX Andere antineoplastische Mit-                      hat. Ist dies nicht der Fall, wird ein eigener
tel“ u.a. die Therapieansätze Topoisomera-                       ATC-Code generiert, der für die Klassifikation
se-Hemmer und Retinoide definiert) oder wenn                     im Arzneimittel-Atlas so lange Gültigkeit
die Gliederung der chemischen Untergruppen                       hat, bis in den ATC-Klassifikationen des
nicht der üblichen klinischen Einteilung ent-                    WIdO bzw. des WHOCC ein entsprechender
spricht. So wurden die in über zehn chemische                    Code gefunden wird.
Subgruppen gegliederten Antipsychotika (N05A)                 „ Regelmäßig kommt es innerhalb der
in die Therapieansätze Atypika, niedrig- und                     ATC-Klassifikation zu kleineren strukturel-
mittelpotente konventionelle Neuroleptika,                       len Änderungen. Hat das WHOCC für das
hochpotente konventionelle Neuroleptika,                         Jahr 2020 eine solche Änderung publiziert,
Lithium und Tiaprid unterteilt. Die Indikations-                 deren Anwendung auch schon im Jahr 2019
gruppe der Mittel zur Behandlung der Hyperto-                    sinnvoll erscheint, so wird abweichend von
nie umfasst abweichend von der beschrie­benen                    der vom WIdO herausgegebenen Klassifika-
Gliederung mehrere therapeutische Untergrup-                     tion die Codierung des WHOCC zugrunde
pen der ATC-Klassifikation.                                      gelegt.

                                                                                                                          3
1 Methodische Erläuterungen

1.2 DDD-Konzept                                               schränkungen bietet die Verwendung der DDD
                                                              als Mengeneinheit für die Komponentenana-
Die DDD ist die „defined daily dose“, also die                lyse (s. ❱❱❱ Abschn. 1.4) den Vorteil, dass die tat-
definierte Tagesdosis oder kurz die Tagesdosis.               sächlich verbrauchten Mengen so viel besser
Die DDD ist die angenommene tägliche Erhal-                   erfasst werden als durch die Anzahl der Verord-
tungsdosis für die Hauptindikation eines Wirk-                nungen. Eine Erfassung von Verordnungen
stoffs bei Erwachsenen. Das DDD-Konzept ist                   kann weder die Packungsgröße noch die ver-
eng mit der ATC-Klassifikation verknüpft: Für                 ordnete Wirkstärke berücksichtigen. Dies ver-
viele Wirkstoffe werden auf der Ebene der che-                deutlicht das Beispiel des Wirkstoffs Diclofenac
mischen Substanz der ATC-Klassifikation DDDs                  (ATC-Code M01AB05), dessen DDD 100 mg
festgelegt. Die international gültigen DDDs                   beträgt: Wie ❱❱❱ Tabelle 2 zeigt, kann bei Ver-
gibt – wie die ATC-Klassifikation – das WHOCC                 wendung der Mengeneinheit „Verordnung“ ein
in Oslo bekannt. Auch Änderungen von DDDs                     gleichbleibender Verbrauch suggeriert werden,
publiziert diese Stelle. Genau wie die ATC-Klas-              wenn sich die Anzahl der Verordnungen nicht
sifikation kann die DDD-Festlegung nationalen                 ändert. Tatsächlich wurde jedoch eine größere
Besonderheiten angepasst werden. Wurde für                    Menge von Diclofenac verbraucht, weil einer-
einen Wirkstoff international bislang keine                   seits mehr größere und weniger kleine Packun-
DDD definiert, kann eine nationale DDD defi-                  gen verordnet wurden, andererseits mehr Ta­
niert werden. Die Methodik des DDD-Konzepts                   bletten höherer Wirkstärke. Derartige Artefakte
haben Fricke et al. (2019b) beschrieben. Eine                 vermeidet die Anwendung des DDD-Konzepts.
DDD entspricht weder der tatsächlich erforder-                Bei Verordnung von größeren Packungen oder
lichen individuellen Tagesdosis für einen ein-                Darreichungsformen höherer Wirkstärke sinkt
zelnen Patienten, noch kann sie als Dosierungs-               der mittlere Preis je DDD. Nur bei Anwendung
empfehlung verstanden werden. Bei der DDD                     des DDD-Konzepts spiegelt sich dieser Umstand
handelt es sich um eine Mengeneinheit, die in                 auch in einer negativen Packungsgrößenkom-
epidemiologischen Studien den Verbrauch von                   ponente bzw. in einer negativen Wirkstärke-
Arzneimitteln auch über längere Zeiträume                     komponente – also einer Umsatzminderung –
standardisiert erfassen soll.                                 wider, wenn der Anteil von größeren Packun-
    Prinzipiell erlauben die DDD-Festlegungen                 gen bzw. von Darreichungsformen mit höherer
auch keine Aussage über die relative Wirksam-                 Wirkstärke steigt. Im Arzneimittel-Atlas ist für
keit verschiedener Wirkstoffe. Trotz dieser Ein-              jedes durch eine Pharmazentralnummer (PZN)

 Tab. 2       Berechnete Differenz im Verbrauch als Grundlage der Komponentenanalyse am Beispiel von Diclofenac.
              Quelle: IGES

                                                                                            berechnete Differenz
                                            2014                        2015                   im Verbrauch
    Produkt                           VO            DDD           VO            DDD           VO           DDD
    Diclofenac 25 mg 50 St.           40            500           20            250          –20          –250
    Diclofenac 25 mg 100 St.          10            250           20            500           10            250
    Diclofenac 50 mg 100 St.          10            500           20           1.000          10            500
    Summe Diclofenac                  60           1.250          60           1.750           0            500

4
1.2 DDD-Konzept                                                                                                             1
definierte Arzneimittel die Anzahl der DDD je                    vom WHOCC keine DDD-Festlegung publiziert
PZN berechnet. Die Berechnung erfolgte prinzi-                   wurde, diese DDD-Festlegung zum Einsatz.
piell nach Fricke et al. (2019b) unter Verwen-                      Für Wirkstoffe oder Darreichungsformen,
dung der vom WIdO (Fricke et al. 2019a) publi-                   die weder in der Methodik von Fricke et al.
zierten DDD-Festlegung. Dabei wurden nicht                       (2019b) noch auf der Website des WHOCC zu
die amtlichen DDD-Festlegungen verwendet                         finden sind, ging man nach den verfügbaren
(DIMDI 2015), weil diese dem Kostenvergleich                     Regeln zur DDD-Berechnung vor. Da diese nicht
nach § 73 Abs. 8 SGB V dienen. Das WIdO ist                      für jeden Fall eindeutig formuliert sind, exis-
durch das WHO Collaborating Centre for Drug                      tieren wohl bei vielen Präparaten Abweichun-
Statistics Methodology autorisiert, die ATC-­                    gen zwischen der von uns und den vom WIdO
Klassifikationen und DDD-Festlegungen für                        berechneten DDD.
Deutschland anzupassen. Die WHO hat das                             Für Produkte, die nach der ATC-Klassifika-
DDD-System für epidemiologische Zwecke                           tion zur anatomischen Hauptgruppe V (Varia)
erarbeitet. Danach ist es weniger wichtig, dass                  gehören, ist eine Berechnung von DDD nicht in
die DDD-Festlegungen in einer Wirkstoffgruppe                    jedem Fall möglich bzw. nicht sinnvoll. Auch
äquieffektive Dosierungen angeben, als dass                      hier wurden so weit wie möglich die Angaben
eine über einen längeren Zeitraum stabile Maß-                   und Prinzipien von Fricke et al. (2019b) berück-
einheit zur Verfügung steht, um Arzneimittel-                    sichtigt. Wenn die Regeln mangels fehlender
verbräuche standardisiert zu erfassen.                           Informationen nicht anwendbar waren, ver-
    Bei neuen Wirkstoffen, für die das WIdO bis-                 wendeten wir anstelle einer berechneten DDD
lang noch keine DDD festgelegt hat, kam ggf.                     je PZN die Anzahl von Standardeinheiten je
die DDD-Festlegung des WHOCC zum Einsatz.                        PZN. Dies konnten je nach Produkt die Anzahl
Für alle durch eine PZN definierten Arznei­mittel,               von Ampullen, Infusionsflaschen oder Stück
die für ihre arzneilich wirksamen Bestandteile                   sein, ggf. aber auch Volumen- oder Gewichts-
weder seitens WIdO noch seitens WHOCC eine                       einheiten wie Milliliter oder Gramm. Fehlten
DDD erhalten haben, wurden präparatespezifi-                     bei PZN-definierten Arzneimitteln die Angaben
sche DDDs berechnet. Dies erfolgte gemäß der                     zu Standardeinheiten, so wiesen wir der PZN
vom WIdO herausgegebenen Methodik (Fricke                        den Mittelwert von DDD je PZN der Indikations-
et al. 2019b). Sie diente auch für Präparate, die                gruppe zu.
fixe Kombinationen von Wirkstoffen enthalten.                       Den Analysen für den Arzneimittel-Atlas lie-
So kam beispielsweise für alle ATC-Codes, für die                gen die Daten von über 100.000 PZN zugrunde.

 Tab. 3        Kategorien für die Häufigkeit von Verordnungen einer Indikationsgruppe je Versicherten der GKV im
               Jahr 2019 sowie Anzahl von Indikationsgruppen in der Kategorie. Quelle: IGES-Berechnungen nach
               NVI (INSIGHT Health) und KM6

      Kategorie                        DDD pro Versicherten und Jahr      Anzahl von Indikationsgruppen der Kategorie
 5    besonders häufig                          20 und mehr                                    10
 4    sehr häufig                              10 bis unter 20                                 6
 3    häufig                                   4 bis unter 10                                  12
 2    selten                                   0,4 bis unter 4                                 27
 1    sehr selten                             weniger als 0,4                                  38

                                                                                                                        5
1 Methodische Erläuterungen

Die Berechnung der DDD-Menge je PZN unter-         den von INSIGHT Health in seiner Gesamthöhe
liegt einer ständigen Qualitätskontrolle. Sowohl   separat erfasst. Abrechnungen mit Internet­
durch Anpassungen, die wegen Änderungen            apotheken sind von der NVI zum großen Teil,
von DDD-Festlegungen erforderlich sind, als        aber nicht komplett abgedeckt. Ebenso sind
auch durch sonstige Korrekturen ist es daher       in der amtlichen Statistik die Zu- und Aufzah-
möglich, dass sich im Vergleich zu früheren        lungen, welche von den Patienten getragen
Ausgaben des Arzneimittel-Atlas Abweichun-         werden, bereits abgezogen. Die beiden Statis-
gen bezüglich der verbrauchten Mengen von          tiken sind damit letztlich sehr ähnlich, und der
Tagesdosen in Indikationsgruppen oder Teil-­       Arzneimittel-Atlas verwendet aufgrund des
Indikationsgruppen oder von Anteilen der           geringen Unterschieds zwischen den beiden
Therapieansätze bzw. von Wirkstoffen ergeben.      Statistiken die NVI-Daten als Grundlage aller
Um festzustellen, wie häufig die Arzneimittel      Berechnungen. In der NVI ist jedes Fertig­arznei­
in den einzelnen Indikationsgruppen verord-        mittel durch eine Pharmazentralnummer (PZN)
net werden, bestimmte man für das Jahr 2017,       definiert, sodass Eigenschaften wie Wirkstoff,
wie viele DDD im Durchschnitt auf jeden Ver-       ATC-Code (entsprechend Fricke et al. 2019a),
sicherten der GKV entfielen. Die Häufigkeit        Darreichungsform, Wirkstärke usw. eindeutig
der betrachteten Indikationsgruppen wurde in       zuzuordnen sind. Je PZN stehen die Anzahl der
❱❱❱ Tabelle 3 kategorisiert.                       Verordnungen sowie der Umsatz in Apotheken-
                                                   verkaufspreisen (AVP) jeweils für die einzelnen
                                                   Jahre von 2003 bis 2019 zur Verfügung. Darüber
1.3 Datenbasis                                     hinaus enthält die NVI je PZN Informationen,
                                                   ob es sich um Parallelimporte, Generika, Biosi-
1.3.1 Datenbasis für den Zeitraum                  milars oder Originalprodukte handelt.
      2003–2019                                       Die Daten der NVI sind Grundlage der
                                                   Komponentenzerlegung (s. ❱❱❱ Abschn. 1.4).
Die Datenbasis für den Zeitraum 2003–2019 lie-     Um­sätze, Ausgaben sowie der Verbrauch von
fert die Nationale Verordnungsinformation          Fertig­arzneimitteln in DDD sind für die Jahre
(NVI), die vom Marktforschungsinstitut INSIGHT     2003–2019 aus den Angaben der NVI berechnet.
Health zur Verfügung gestellt wurde. Hierbei       Für die Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln
handelt es sich um Daten aus den Apotheken-        liegen die entsprechenden Informationen seit
rechenzentren zur Abrechnung der zulasten der      2011 vollständig vor. Die Komponentenzerle-
GKV verordneten Fertigarzneimittel und Zube-       gung wurde für den Vergleichszeitraum 2019 vs.
reitungen aus Fertigarzneimitteln. Ausgehend       2018 und 2018 vs. 2017 durchgeführt. Je Ver-
von diesen Apothekenumsätzen wurden für den        gleichszeitraum fließen jeweils alle Fertig­
Atlas 2020 die Ausgaben der Versicherungs­         arznei­mittel und Zubereitungen ein, für die
gemeinschaft bestimmt (s. ❱❱❱ Abschn. 1.3.4).      (bezogen auf die PZN) in mindestens einem der
In dieser Datenquelle sind – im Unterschied zu     Vergleichsjahre Angaben zur Anzahl der Ver-
den Ausgaben nach KV45- bzw. KJ1-Statistik –       ordnungen sowie zum Umsatz in AVP vorlagen
Impfstoffe unter den „Apothekenumsätzen“           und deren Werte größer als 0 waren. Die Berech-
enthalten, nicht aber klassische Rezepturen        nung der Komponentenzerlegung erfolgt auf
und andere Arzneimittel, die nicht über eine       Basis der Erstattungspreise (s. ❱❱❱ Abschn. 1.3.4).
eindeutige PZN abgegeben wurden. Des Weite-        Im Falle von Zubereitungen, die aus Fertig­
ren fallen bei Zubereitungen Vergütungen an,       arznei­mitteln hergestellt werden, erfolgte die
die sich nicht einer spezifischen Verordnung       Berechnung auf Basis der von INSIGHT Health
zuordnen lassen. Diese Apothekenumsätze wer-       ausgewiesenen Taxpreise, d.h. hier sind die

6
1.3 Datenbasis                                                                                          1
produktspezifischen Abschläge und Vergütun-       kann man aufgrund der mittleren Preise je DDD
gen in den Apotheken für Zubereitungen            auch keine validen Aussagen darüber machen,
berücksichtigt. Nicht enthalten sind Vergütun-    ob ein bestimmter Analogwirkstoff oder eine
gen für Apotheker, die nicht der entsprechen-     Wirkstoffgruppe möglicherweise kosteneffek-
den PZN zugeordnet werden können.                 tiver im Vergleich zu einem anderen Wirkstoff
                                                  oder einer anderen Gruppe ist. Angaben zu
                                                  mittleren Preisen je DDD lassen lediglich die
1.3.2 Datenbasis für den Zeitraum                 deskriptive Aussage zu, dass bei gegebener
      1996–2002                                   DDD-Festlegung der mittlere Preis je DDD von
                                                  Wirkstoff A sich wie angegeben zum mittleren
Für den Zeitraum 1996–2002 ist für ausgewählte    Preis je DDD von Wirkstoff B verhält. Ob bei
Indikationsgruppen der Verbrauch in DDD dar-      Bevorzugung des Wirkstoffs mit dem niedri-
gestellt. Die Angaben stammen aus dem Arznei­     geren mittleren Preis je DDD auch tatsächlich
ver­ord­nungs-Report (AVR) (Schwabe u. Paffrath   eine gleichwertige bzw. gleich effektive Thera-
1997ff.): Beginnend mit dem AVR 1997 werden       pie möglich ist, die zu geringeren Therapiekos-
jährlich im Kapitel „Ergänzende statistische      ten führt, kann man aus den Angaben nicht
Übersicht“ die Mengen der pro Jahr verordneten    ableiten.
DDD dargestellt. Die ATC-Gruppen im AVR ent-
sprechen der therapeutischen Untergruppe der
ATC-Klassifikation und damit den Indikations-     1.3.4 Berechnung der mittleren
gruppen im Arzneimittel-Atlas.                          Erstattungspreise je DDD

                                                  Seit der Ausgabe 2011 des Arzneimittel-Atlas
1.3.3 Berechnung von mittleren Preisen            erfolgt die Bestimmung der Ausgabenverände-
      je DDD                                      rung von Vorjahr zu Basisjahr nicht nur auf
                                                  Ebene der Apothekenverkaufspreise, sondern es
Die mittleren Apothekenverkaufspreise (AVP)       wird eine alternative Berechnung durchgeführt.
z.B. für eine Indikationsgruppe, einen Thera-     Es wird berücksichtigt, dass von Seiten der
pieansatz oder einen Wirkstoff wurden nach        Arznei­mittel­her­steller und Apotheker Rabatte
der nachfolgenden ❱❱❱ Formel zur Berechnung       an die GKV geleistet werden. Eine Berechnung
des mittleren Apothekenverkaufspreises (AVP)      auf Basis des AVP würde dagegen Kosten auf-
ermittelt.                                        zeigen, die letztlich von der Gemeinschaft aus
                                                  Krankenkassen und Patienten gar nicht getra-
                                                  gen werden.
                                                     Die Bestimmung des Erstattungspreises (EP)
                                                  der Versicherungsgemeinschaft erfolgt monats-
                                                  genau auf Ebene der einzelnen Krankenkassen.
                                                  Vom Arzneimittelhersteller der jeweiligen PZN
                                                  wurden die relevanten Rabatte und Abschläge
                                                  abgezogen (❱❱❱ Tab. 4).
An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hin­        Im Falle von Impfstoffen wurde berück-
gewiesen, dass nach den Angaben des WHOCC         sichtigt, dass diese vornehmlich im Rahmen
das ATC‑/DDD-System nicht dazu geeignet ist,      des Sprechstundenbedarfs abgegeben werden
Bewertungen hinsichtlich Kostenerstattung         und sich damit die Erstattungspreise nach den
und Preisbildung zu treffen. Aus diesem Grund     Arznei­mittel-­Liefer­ver­trä­gen zwischen Kranken­

                                                                                                   7
1 Methodische Erläuterungen

kassen und Apothekenverbänden auf regionaler                   Höhe des Rabatts (Erstattungsbetrag) wird im
Ebene ergeben (IGES Institut et al. 2010). Die                 Anschluss an die Entscheidung des G-BA über
Rabatte für Impfstoffe nach § 130a Abs. 2 SGB V                die Ausprägung des Zusatznutzens zwischen
basieren auf europäischen Referenzpreisen.                     dem GKV-Spitzenverband und dem betroffenen
Seit September 2011 wurden die Rabatte in der                  Hersteller verhandelt (§ 130b SGB V). Diese
Apothekensoftware ausgewiesen. Die Rabatte                     Rabatte werden seit Februar 2013 veröffentlicht,
gelten rückwirkend ab Januar 2011. Dies wurde                  und seit April 2014 sind sie direkt in den Abgabe­
bei der Berechnung der Erstattungspreise berück-               preis des pharmazeutischen Unternehmers
sichtigt. Einschränkend ist zu bemerken, dass                  (ApU) und damit auch den AVP eingepreist. Der
für eine einzelne Verordnung keine Information                 Erstattungsbetrag ist damit auch Grundlage für
zur Verfügung stand, ob es sich um eine Imp-                   die Bestimmung des Herstellerrabatts. Bei den
fung nach § 20i Abs. 1 SGB V handelte oder nicht               Berechnungen der Erstattungspreise im Rah-
(Impfungen nach dem Infektionsschutzgesetz,                    men der Analysen des Arzneimittel-Atlas wird
jedoch nicht Impfungen im Rahmen von                           angenommen, dass die Hersteller die Rabatte
Satzungsleistungen der Kassen). Nur auf Imp-                   rückwirkend ab dem zwölften Monat nach
fungen nach § 20i Abs. 1 ist der Rabatt zu                     Markteinführung erstatten müssen. Es wurde
gewähren. Diese Unsicherheit ist bei Betrach-                  dabei berücksichtigt, ob Rabatte nach § 130a
tung der EP für Impfstoffe wichtig. Bezüglich                  Abs. 1 oder 1a SGB V im Rahmen ganz oder teil-
der Individualrabatte nach § 130a Abs. 8 SGB V                 weise abgesenkt worden sind. Darüberhinaus-
wird ein einheitlicher Rabatt abhängig von der                 gehende, nicht bekannte Vertragsinhalte und
Kassenart und Kalenderjahr für die jeweilige                   mögliche Rabatte, z.B. bei Überschreitung ver-
Krankenkasse angenommen.                                       einbarter Mengen, können nicht berücksichtigt
    Nicht berücksichtigt ist, dass ggf. eine indi-             werden.
viduelle Rabattvereinbarung nach § 130a Abs. 8                     Schließlich haben Krankenkassen die Mög-
SGB V einen gesetzlichen Rabatt nach § 130a                    lichkeit, von der Vereinbarung nach § 130b
Abs. 1 oder 1a SGB V ablösen kann.                             SGB V abzuweichen. Nach § 130c SGB V können
    Seit Januar 2012 müssen pharmazeutische                    sie individuelle Verträge mit den Herstellern
Hersteller im Zuge der frühen Nutzenbewer-                     abschließen, welche eine Vereinbarung nach
tung (§ 35a SGB V) Rabatte abführen. Über die                  § 130b SGB V ablösen oder ergänzen. Im Unter-

 Tab. 4        Berücksichtigte Rabatte und Abschläge zur Bestimmung des Erstattungspreises der Versicherungs­
               gemeinschaft (EP). Quelle: IGES

    Regelung                                      gesetzliche Grundlage (SGB V)               Datenquelle
    Apothekenabschlag                                         § 130                      ABDA/IGES-Berechnung
    Herstellerrabatt                                   § 130a Abs. 1 und 1a                       ABDA
    Impfstoffrabatt                                       § 130a Abs. 2                           ABDA
    Preismoratorium                                       § 130a Abs. 3a                          ABDA
    Generikarabatt                                        § 130a Abs. 3b                          ABDA
    Individualrabatte                                  § 130a Abs. 8/§ 130c                 ABDA/KV45/IGES
    Rabatte nach früher Nutzenbewertung                      § 130b                            ABDA/IGES

8
1.4 Statistische Komponentenzerlegung/Indexanalyse                                                      1
schied zu Vereinbarungen nach § 130a Abs. 8             Der Einfluss derartiger Verschiebungen wird
und § 130b SGB V erfolgt aber keine systemati-       mithilfe von Strukturkomponenten unter-
sche Erfassung dieser Verträge, sie können           sucht. Die Berechnung von Strukturkomponen-
daher bei der Preisberechnung nur als Teil der       ten geht auf das klassische wirtschaftswissen-
Berechnung der Rabatte nach § 130a Abs. 8 SGB V      schaftliche Konzept der Indextheorie zurück.
berücksichtigt werden (s. ❱❱❱ Abschn. 1.8.1).        Mit der Berechnung eines Index verbindet sich
   Die berechneten Preise stellen somit die Aus-     die Erwartung, den jeweiligen Einzeleffekt
gaben dar, welche von den Krankenkassen              mehrerer voneinander verschiedener Einfluss-
(Erstattung) und Patienten (Zuzahlung) getra-        faktoren isoliert beschreiben zu können, wel-
gen werden müssen. Eine weitergehende Diffe-         che sich auf den Gesamtwert eines Warenkorbs
renzierung der Ausgaben nach den erstatteten         mit einer Vielzahl an Waren auswirken. Dieses
Kosten der Krankenkassen und den Zuzahlun-           Konzept wird seit Beginn der 1980er-Jahre auch
gen der Patienten ist nicht möglich, da für eine     auf die Ermittlung der Einflussfaktoren auf die
einzelne Verordnung keine Informationen zu           Entwicklung der Arzneimittelumsätze der GKV
einer evtl. erlassenen Zuzahlung wegen Über-         angewendet und im AVR publiziert. Grundlage
schreitung der Belastungsgrenze nach § 62            der dort veröffentlichten Ergebnisse sind die
SGB V vorliegt.                                      von Reichelt (1988) beschriebenen Methoden.
                                                     Auch die für den Arzneimittel-Atlas durch-
                                                     geführte Komponentenzerlegung basiert auf
1.4 Statistische Komponentenzerlegung/               den von Reichelt beschriebenen Formeltypen.
    Indexanalyse                                         Die Zerlegung in Komponenten erfolgt
                                                     durch die Berechnung eines Index für jede Kom-
Die Entwicklung des Umsatzes von bestimmten          ponente entsprechend den Formeln für Men-
Warenmärkten in einem bestimmten Zeit-               gen‑, Struktur- und Preiskomponenten wie von
raum – so auch des GKV-Arzneimittelmarktes –         Reichelt (1988) beschrieben. Die errechneten
ist generell dadurch gekennzeichnet, dass sich       Indexwerte selbst sind Steigerungs- und Wachs-
mehrere Faktoren gleichzeitig ändern können.         tumsraten und deshalb nicht summierbar. Die
Relativ einfach zu ermitteln sind die Verände-       Bewertung mit Absolutbeträgen in Euro erfolgt
rungen der Menge und der Preise der betrach-         ebenfalls entsprechend (Reichelt 1988). Die
teten Mengeneinheiten (beispielsweise Stück,         Summe der Eurobeträge aller elf Komponenten
Verordnung, DDD), die entsprechend durch             ist identisch mit der Ausgabenänderung des
eine Mengen- und Preiskomponente dargestellt         Jahres 2019 im Vergleich zum Jahr 2018.
werden. Parallel dazu kann die Umsatzände-               Als Mengeneinheit wird für die Berechnun-
rung bzw. Ausgabenveränderung durch struktu-         gen die Anzahl der DDD je Verordnung heran-
relle Änderungen beeinflusst werden, beispiels-      gezogen. Für Verordnungen, die nach der ATC-
weise durch Verschiebungen der Anteile von           Klassifikation zur anatomischen Haupt-
Wirkstoffen, Packungsgrößen und Generika.            gruppe V (Varia) gehören, dient als Mengenein-
Strukturelle Änderungen innerhalb eines Mark-        heit die Anzahl von Standardeinheiten je Ver-
tes können selbst dann zu Umsatzänderungen           ordnung (s. ❱❱❱ Abschn. 1.2).
führen, wenn die Verbrauchs- und Preiskom-               Die Spezifikation der betrachteten Einfluss-
ponente keine Änderungen gegenüber dem Ver-          faktoren einer Verordnung erfolgt anhand der
gleichszeitraum anzeigen, etwa wenn der              PZN. Die Wirkstoffe werden entsprechend der
An­teil von höherpreisigen Arzneimitteln zu-         ATC-Klassifikation (s. ❱❱❱ Abschn. 1.1) auf der
oder abnimmt.                                        Ebene der chemischen Substanz codiert. Zur

                                                                                                   9
1 Methodische Erläuterungen

Definition von Therapieansätzen siehe eben-                     abschließend zu den jeweiligen Beträgen der
falls ❱❱❱ Abschnitt 1.1.                                        Indikationsgruppe aufsummiert. Die Kompo-
    Die Komponentenzerlegung erfolgt nicht für                  nenteneffekte in Euro je Indikationsgruppe
den Gesamtmarkt, sondern für Teilmärkte, die                    können wiederum für den Gesamtmarkt sum-
jeweils therapeutische Ansätze bzw. Wirkstoffe                  miert werden.
umfassen und prinzipiell substituierbar sind.                      Der Indexwert der Verbrauchskomponente
Jeder Teilmarkt wird als Indikationsgruppe                      basiert auf den abgesetzten Mengen an DDD in
bezeichnet, die durch die therapeutische Unter-                 den betrachteten Indikationsgruppen bzw. Teil-
gruppe der ATC-Klassifikation beschrieben wird                  Indikationsgruppen für das Berichts- und Vor-
(s. ❱❱❱ Abschn. 1.1). Nicht immer beschreiben                   jahr, wobei die Menge des Berichtsjahres durch
die Indikationsgruppen auch tatsächlich                         die Menge des Vorjahres dividiert wird. Die
Therapieansätze bzw. Wirkstoffe, die prinzi-                    Strukturkomponenten sind inhaltlich Indizes
piell substituierbar sind. In solchen Fällen wer-               der mengenmäßigen Marktanteile bzw. ihrer
den die Indikationsgruppen in Teil-Indikations-                 Veränderungen. Die Strukturkomponenten
gruppen gegliedert, z.B. die Indikationsgruppe                  sind hierarchisch gegliedert (❱❱❱ Tab. 5), d.h.
„A10 Antidiabetika“ in die Teil-Indikations-                    der Einfluss des Therapieansatzes wird vor dem
gruppen „Insulinpflichtiger Diabetes mellitus“                  Einfluss des Analog-Wettbewerbs betrachtet.
und „Nicht insulinpflichtiger Diabetes melli-                   Um den Effekt einer Strukturkomponente tat-
tus“. Die für jede Teil-Indikationsgruppe ermit-                sächlich nur einmal zu betrachten, wird der
telten Eurobeträge je Komponente werden                         Effekt der jeweils zuvor betrachteten Struktur-

 Tab. 5     Übersicht über die Komponenten der Umsatzentwicklung im Arzneimittel-Atlas. Quelle: IGES

 Name der Komponente                                                        Kurzform         Art der Komponente
 epidemiologische und medizinische Entwicklungen
 1. Entwicklung des Verbrauchs                                              Verbrauch        Mengenkomponente
 2. Verschiebungen zwischen Therapieansätzen                              Therapieansatz     Strukturkomponente
 3. Verschiebungen zwischen Analogwirkstoffen                           Analog-Wettbewerb    Strukturkomponente
 überwiegend wirtschaftlich motivierte Veränderungen des Verbrauchs
 4. Verschiebungen zwischen Darreichungsformen                           Darreichungsform    Strukturkomponente
 5. Verschiebungen zwischen Wirkstärken                                     Wirkstärke       Strukturkomponente
 6. Verschiebungen zwischen Packungsgrößen                                Packungsgröße      Strukturkomponente
 7. Substitution durch Parallelimporte                                    Parallelimport     Strukturkomponente
 8. Substitution durch Generika                                              Generika        Strukturkomponente
 9. Substitution von Präparaten unterschiedlicher Hersteller (in der
                                                                            Hersteller       Strukturkomponente
 Regel Generikahersteller)
 Restkomponente                                                                Rest          Strukturkomponente
 Preisänderungen
 10. Preisänderungen                                                          Preis            Preiskomponente

10
1.4 Statistische Komponentenzerlegung/Indexanalyse                                                       1
komponente aus der nachfolgenden herausge-           Der ATC-Code definiert hier nicht wie erwartet
rechnet, indem der zunächst berechnete Index-        einen einzelnen Wirkstoff oder eine bestimmte
wert (als „Rechenwert“ bezeichnet) der betrach-      Wirkstoffkombination, sondern unter Umstän-
teten Komponente durch den „Rechenwert“ der          den mehrere Varianten, sodass Verschiebungen
vorhergehenden Strukturkomponente dividiert          der Anteile dieser Varianten erst durch die Rest-
wird. Der so berechnete Wert ist der dargestellte    komponente erfasst werden können.
Indexwert. Durch diese Methode wird erreicht,           Für folgende Faktorenkomplexe ermittelt
dass jeweils nur die Anteilsverschiebungen der       man den jeweiligen Einfluss auf die jährliche
gerade analysierten Strukturkomponente               Veränderung der Arzneimittelumsätze der GKV:
betrachtet werden und die Effekte der Verschie-      1. Epidemiologische und medizinische Entwick-
bungen auf der jeweils höheren Ebene rechne-            lungen
risch entfernt werden. Der Indexwert der Preis-      2. Überwiegend wirtschaftlich motivierte Ver-
komponente ergibt sich als Preisindex vom Typ           änderungen der Inanspruchnahme
Laspeyres aus den Preisen der einzelnen Präpa-       3. Preisänderungen
rate im Berichtsjahr geteilt durch die Preise im
Vorjahr, jeweils gewichtet mit den Mengen des
Basis- oder Vorjahres.                               Epidemiologische und
                                                     medizinische Entwicklungen

1.4.1 Die Komponenten des Arzneimittel-­Atlas        Entwicklung des Verbrauchs

Eine Übersicht der untersuchten Komponenten          Die Entwicklung des Verbrauchs wird gemessen
und ihre Beschreibung zeigt ❱❱❱ Tabelle 5. Bei       als Veränderung der Menge der in den einzel-
den insgesamt elf Komponenten (inkl. Rest-           nen Indikationsgruppen verbrauchten Tages-
komponente) beschreibt die Verbrauchskompo-          dosen (DDD). Zur Ermittlung der Ausgabenwir-
nente als Mengenkomponente die Ausgaben-             kung von Verbrauchsveränderungen wird ein
änderung durch Verbrauchsänderungen von              Mengenindex gebildet, bei dem die Tagesdosen
Arzneimitteln und die Preiskomponente ent-           in beiden Jahren mit den Erstattungspreisen
sprechend preisbedingten Änderungen. Mittels         des Berichtsjahres bewertet werden.
der neun Strukturkomponenten (inkl. Rest-                Die Beurteilung der Mengenentwicklung im
komponente) berechnet man den Einfluss von           Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr erfolgt vor
Anteilen der jeweils untersuchten Faktoren           dem Hintergrund einer zehnjährigen Zeitreihe,
(Therapieansatz, Analogwirkstoffe usw.). Die         die für die jeweilige Indikationsgruppe zusam-
Restkomponente beschreibt die Auswirkungen           mengestellt wurde. Die Zeitreihe ermöglicht
der Änderung von Produkteigenschaften, die           es, die Veränderungen im Berichtsjahr einzu-
durch die übrigen Komponenten nicht erfasst          ordnen und zu entscheiden, ob die beobachtete
werden. Ursache für das Entstehen von Rest-          Entwicklung im Rahmen einer langjährigen
komponenten kann beispielsweise sein, dass           Tendenz liegt oder ob es sich um eine Sonder-
mehrere Produkte mit identischen Eigenschaf-         entwicklung handelt. Zur Ermittlung saisona-
ten am Markt sind, die sich lediglich durch ihre     ler Besonderheiten (z.B. Grippewelle, Vorzieh-
Pharmazentralnummer (PZN) und den Preis              und Nachholeffekte) kann auch auf monatliche
unterscheiden. Die Inhaltsstoffe unterschied-        Verbrauchszahlen zurückgegriffen werden.
lich zusammengesetzte Phytopharmaka-­
Kombinationen, die nur durch einen ATC-Code
definiert werden, ergeben ein weiteres Beispiel:

                                                                                                   11
1 Methodische Erläuterungen

Therapeutische Ansätze und Analogwirkstoffe         stoffe gegen ältere ersetzt werden, wenn deren
                                                    Patentschutz abgelaufen ist, diese dann zu
Eine weitere Annahme des Arzneimittel-Atlas         geringeren Preisen verfügbar sind und eine
besteht darin, dass die Entwicklung neuer           Substitution in den Augen von Ärzten und
Therapieoptionen bzw. die Wiederentdeckung          Patienten gerechtfertigt erscheint.
bereits bekannter Ansätze die Struktur der             Ausgabenveränderungen, die auf Verschie-
Arznei­mittel­ver­sor­gung verändern und damit      bungen zwischen therapeutischen Ansätzen
auch Umfang und Struktur der Ausgaben beein-        oder Analogwirkstoffen zurückzuführen sind,
flussen kann. Der Arzneimittel-Atlas bildet         werden innerhalb einer Indikationsgruppe bzw.
diese in zweierlei Hinsicht ab:                     innerhalb eines therapeutischen Ansatzes in
„ Verschiebungen zwischen therapeutischen           der Art einer Strukturkomponente ermittelt.
   Ansätzen                                         Die zugrunde liegende Indexberechnung setzt
„ Verschiebungen zwischen Analogwirkstof-           bei den strukturellen Verschiebungen des Ver-
   fen                                              brauchs an Tagesdosen zwischen dem Berichts-
                                                    jahr und dem Vorjahr an und bewertet diese mit
Unter „therapeutischen Ansätzen“ versteht           den Preisen des Berichtsjahres. Vor allem die
man in der Regel unterschiedliche Wirkstoff-        „Analogkomponente“ ist von hohem gesund-
gruppen, die meist nacheinander entwickelt          heitspolitischen Interesse, da die Ansicht – wie
werden, auf verschiedenen Wirkprinzipien und        oben bereits dargestellt – weit verbreitet ist,
-profilen basieren und daher zum Teil unter-        dass ein großer Teil des jährlichen Ausgaben-
schiedliche therapeutische Vorgehensweisen          anstiegs auf die Verschiebung zu teuren
ermöglichen. Wirkstoffgruppen aus verschie-         Analog-Arzneimitteln zurückzuführen ist, die
denen Indikationsgruppen sind in Bezug auf die      mehr oder weniger pauschal als „Scheininno-
zu behandelnden Erkrankungen in gewissen            vationen“ bezeichnet werden. Dies zu überprü-
Grenzen untereinander substituierbar, wenn          fen ist eine wesentliche Aufgabe des Arzneimit-
auch mit oftmals sehr unterschiedlicher Wir-        tel-Atlas.
kung: So wurden in der Indikationsgruppe der
„Mittel bei säurebedingten Erkrankungen“
zu­n ächst die Antazida entwickelt, dann            Wirtschaftlich motivierte Strukturveränderungen
Muskarinrezeptor-Antagonisten, später die
H2-Rezeptoren-Blocker und dann folgend die          Patienten, Ärzte und Apotheker können die
Protonenpumpen-Inhibitoren. Alle Wirkstoff-         Inanspruchnahme von Arzneimitteln innerhalb
gruppen sind zur Behandlung säurebedingter          gewisser Grenzen zur Erzielung von Einsparun-
Erkrankungen geeignet, jedoch in unterschied-       gen beeinflussen. Hierfür kommen nicht nur
licher Wirksamkeit und bei teilweise unter-         Strategien infrage, die sich auf die unterschied-
schiedlicher Indikationsstellung.                   liche Konfektionierung von Fertigarzneimitteln
   Analogwirkstoffe sind dagegen Substanzen         beziehen, sondern auch solche, die sich auf die
innerhalb einer Wirkstoffgruppe und meist in        Wahl des Importeurs oder – im Falle von Gene-
zentralen Indikationen gegeneinander substi-        rika – des Herstellers beziehen. Im Einzelnen
tuierbar. In der Praxis kommt es vor, dass ältere   handelt es sich um folgende Strategien:
gegen neuere Wirkstoffe ersetzt werden, wenn        „ Verschiebungen zwischen Darreichungsfor-
diese in der Wahrnehmung von Ärzten und                men
Patienten zumindest für Teile der zu behan-         „ Verschiebungen zwischen Wirkstärken
delnden Patienten über günstigere Eigenschaf-       „ Verschiebungen zwischen Packungsgrößen
ten verfügen. Umgekehrt können neuere Wirk-         „ Substitution durch Parallelimporte

12
1.5 Epidemiologie, Bedarf und Angemessenheit der Versorgung                                               1
„ Substitution durch Generika                          Versorgungsrealität versorgt werden können
„ Substitution von Präparaten unterschiedli-           (behandelbare Patienten). Diese Angaben ver-
   cher Hersteller (in der Regel Generikaher-          gleicht man mit Schätzungen zur Prävalenz der
   steller)                                            jeweiligen Gesundheitsstörung, die aus epide-
                                                       miologischen Quellen stammen. Die Vorge-
Im vorliegenden Arzneimittel-Atlas werden              hensweise ermöglicht eine Abschätzung,
Ausgabenveränderungen ebenfalls auf der Basis          inwieweit die derzeitige Versorgung bedarfs-
von Tagesdosen als Indexwerte vom Typ einer            gerecht ist oder ob sich Anzeichen von Über-
Strukturkomponente ermittelt und monetär               oder Unterversorgung zeigen. Vor diesem Hin-
bewertet. Dieses Vorgehen ermöglicht es, dass          tergrund sind die Verbrauchs- und Ausgaben-
Verschiebungen auf größere (und in Bezug auf           veränderungen im Berichtsjahr einzuordnen.
die Tagesdosis zumeist preisgünstigere)                Dieses methodische Vorgehen ist im Folgenden
Packungen als negative Veränderungen und               detailliert beschrieben.
damit als Einsparungen erfasst werden.

                                                       1.5.1 Zusammenhang zwischen
Preisänderungen                                              Verbrauch und Indikation

Auf dem Arzneimittelmarkt kommt es laufend             Die Ermittlung der Bedarfsgerechtigkeit der Ver-
zu Veränderungen der Preise, die sich mögli-           sorgung hat zur Voraussetzung, dass zwischen
cherweise in unterschiedlichen Preisniveaus            dem Verbrauch der jeweils infrage stehen­den
zwischen zwei Jahren ausdrücken. Dies können           Indikationsgruppe und einer geringen Anzahl
reguläre Erhöhungen der Listenpreise sein,             von Indikationen ein enger Zusammenhang
wenn sie nicht durch entsprechende Regulie-            hergestellt werden kann. Das ist z.B. der Fall
rungen unterbunden werden. Es kann sich                zwischen der Indikationsgruppe „A10 Anti-
auch um Preissenkungen handeln, wenn diese             diabetika“ und der Indikation „Diabetes melli-
durch staatliche Eingriffe (wie z.B. durch Fest-       tus“, weil Antidiabetika nur gegen diese Erkran-
beträge oder Preisabschläge) oder durch den            kung eingesetzt werden. Nicht möglich ist eine
Wettbewerb erzwungen werden, was sowohl                solche Zuordnung, wenn in einer Indikations-
bei patentgeschützten als auch bei generischen         gruppe Wirkstoffe gegen eine größere Zahl von
Arzneimitteln der Fall sein kann.                      Indikationen zusammengefasst sind, wie z.B.
    Preisänderungen können Ausgabenände-               bei der Indikationsgruppe „L01 Antineoplasti-
rungen nach sich ziehen, die im Arzneimit-             sche Mittel“, oder wenn Wirkstoffe in einer
tel-Atlas als Preisindex ermittelt und auf die         Indikationsgruppe gegen eine Vielzahl von
Ausgabenentwicklung umgerechnet werden.                Erkrankungen wirksam sind, wie dies z.B. in
                                                       der Indikationsgruppe „J01 Antibiotika zur sys-
                                                       temischen Anwendung“ der Fall ist. Daher
1.5 Epidemiologie, Bedarf und                          kann man Aussagen über die Bedarfsgerechtig-
    Angemessenheit der Versorgung                      keit nicht für alle Indikationsgruppen treffen.
                                                       Der Arzneimittel-Atlas versucht, den Zusam-
Ein Ansatz zur Beurteilung des Verbrauchs ist          menhang zwischen Verbrauch und Prävalenz
die Umrechnung von Verbrauchszahlen in eine            auf der Ebene der gesamten Indikationsgruppe
Anzahl von Patienten, die mit der verbrauchten         herzustellen, weil hierfür aus dem AVR die
Gesamtmenge entsprechend den Leitlinien                längsten Zeitreihen zur Verfügung stehen. In
unter Berücksichtigung von Parametern zur              einzelnen Fällen muss die Betrachtung auf

                                                                                                    13
1 Methodische Erläuterungen

Teil-Indikationsgruppen beschränkt werden.           Zudem finden nur die häufigsten Indikationen
In diesen Fällen erfolgt die Betrachtung nur         Berücksichtigung, die auch in ihrem Ausmaß
über die Jahre 2003–2017, weil nur für diese Jahre   von Bedeutung für die ambulante Versorgung
Daten aus der NVI zur Verfügung stehen.              mit Arzneimitteln sind.

1.5.2 Ermittlung der Prävalenz                       1.5.4 Ermittlung der Zahl
                                                           der behandelbaren Patienten
Eine weitere Voraussetzung für die Ermittlung
der Bedarfsgerechtigkeit der Versorgung liegt        Die Zahl der theoretisch behandelbaren Patien-
darin, dass Daten zur Prävalenz der jeweiligen       ten ergibt sich aus dem Jahresverbrauch der
Indikation(en) verfügbar sind. Hierzu bieten         Arznei­mittel in den entsprechenden Indika-
sich im Wesentlichen zwei Quellen an: Daten          tionsgruppen. In der Regel gilt dabei die
aus Surveys oder Registern sowie Daten aus epi-      Annahme, dass pro Tag eine Tagesdosis (1 DDD)
demiologischen Studien. Vorrang haben Daten,         verbraucht wird. Abweichungen gibt es z.B. bei
die sich direkt auf die deutsche Bevölkerung         der Annahme, dass zur Behandlung der Hyper-
beziehen. In einzelnen Fällen wird auch auf          tonie im Durchschnitt nicht eine, sondern
Daten aus anderen Ländern zurückgegriffen,           1,8 Tagesdosen an Mitteln zur Behandlung der
bevorzugt aus Nordwest- oder Westeuropa, ggf.        Hypertonie erforderlich sind.
USA oder Kanada, nicht dagegen aus Asien oder            Die Annahme, dass an jedem Tag des Jahres
Afrika.                                              mindestens eine DDD zur Verfügung steht, ent-
                                                     spricht vermutlich nicht immer der realen
                                                     Behandlungssituation. Einerseits kann bei
1.5.3 Ermittlung der                                 einem individuellen Patienten die täglich not-
      Behandlungsbedürftigkeit                       wendige Dosis von der DDD erheblich abwei-
                                                     chen. Andererseits muss man – vor allem bei
Bei den meisten Erkrankungen ist nicht jeder         der Dauerbehandlung chronischer Erkrankun-
prävalente Fall gleichzusetzen mit einem Fall,       gen – davon ausgehen, dass nicht an jedem Tag
der mit einem Arzneimittel aus der betreffen-        eine Tagesdosis eingenommen wird – insbeson-
den Indikationsgruppe behandelt werden               dere bei Erkrankungen, bei denen die Ein-
muss. So gibt es Patienten, die an Diabetes          nahme der Medikamente die Krankheitssymp-
mellitus Typ 2 erkrankt sind, jedoch mit Diät        tomatik für den Patienten nicht spürbar beein-
behandelt werden können und weder orale              flusst (z.B. bei Bluthochdruck, Fettstoffwech-
Antidiabetika noch Insuline benötigen.               selstörungen oder Osteoporose). Es ist auch sehr
   Um den Anteil der behandlungsbedürftigen          wahrscheinlich, dass die Wirkungen verschie-
Patienten zu bestimmen, zieht man in jeder           dener Arzneimittel in der Dauerbehandlung
Indikations- oder Teilindikationsgruppe nach         nicht entscheidend nachlassen, wenn der
Möglichkeit medizinische Leitlinien heran. Die       Patient nicht jeden Tag eine Tagesdosis ein-
darin formulierten Behandlungsvorschriften           nimmt. Für die Therapie der Osteoporose mit
werden nach Möglichkeit auf epidemiologische         Bisphosphonaten wird es beispielsweise als aus-
Kenngrößen bezogen; somit sind die Anteile der       reichend angesehen, wenn der Anteil der mit
behandlungsbedürftigen Patienten schätzbar.          Medikation versorgten Tage mindestens 80%
   Für jede Indikationsgruppe rücken nur sol-        beträgt (Bartl et al. 2006, Huybrechts et al. 2006,
che Behandlungsindikationen in den Fokus, die        Siris et al. 2006). Diese Beobachtung darf man
typischerweise ambulant behandelt werden.            allerdings nicht als Empfehlung interpretieren,

14
1.6 Entwicklung der Indikationsgruppen                                                                                             1
tatsächlich nur für 80% der Tage eines Jahres                               „ Arzneimittelbrief, Westkreuz-Verlag, Berlin,
auch je eine Tagesdosis zur Verfügung zu stel-                                  Bonn
len. Ferner wird die Anzahl von Behandlungs-                                „ Arzneitelegramm, herausgegeben durch
episoden bestimmt, die bei einem Patienten pro                                  A.T.I. Arzneimittelinformation Berlin GmbH
Jahr anfallen, sowie die Anzahl von Tagen, die                              „ Forth W, Henschler D et al. (Hrsg.). Allge-
eine Behandlungsepisode dauert. Bei chroni-                                     meine und spezielle Pharmakologie und
schen Erkrankungen setzt man jeweils eine                                       Toxikologie. Für Studenten der Medizin,
Behandlungsepisode mit einer Dauer von                                          Veterinärmedizin, Pharmazie, Chemie und
365 Tagen an.                                                                   Biologie sowie für Ärzte, Tierärzte und Apo-
   Prävalenz und Behandlungsbedarf werden                                       theker. München, Jena: Urban und Fischer
jeweils für die Population der GKV hochgerech-                                  Verlag, 2001
net. Die Hochrechnungen basieren auf den                                    „   Fricke U, Klaus W. Kritische Wertung der
Angaben der Statistik KM6 (BMG 2017).1                                          neuen Arzneistoffe. Offizinpharmazie
   Da sich der Behandlungsbedarf abhängig von                                   1982;4:6–47
den verschiedensten Faktoren im Laufe der Zeit                              „   Fricke U, Klaus W. Die neuen Arzneimittel.
ändern kann, wird in den grafischen Darstel-                                    Wirkungsweise und therapeutischer Stellen-
lungen jeweils der angenommene Behandlungs-                                     wert. Eine Übersicht von April 1981–Dezem-
bedarf nur für den Zeitraum 2015–2019 angege-                                   ber 1982. Offizinpharmazie 1983;7:6–62
ben. Ableitungen für den künftigen Bedarf sind                              „   Fricke U, Klaus W. Die neuen Arzneimittel.
aus den Darstellungen nicht möglich.                                            Wirkungsweise und therapeutischer Stellen-
                                                                                wert. Eine Übersicht von Januar 1983–Juni
                                                                                1984. Offizinpharmazie 1985;10:1–71
1.6 Entwicklung der Indikationsgruppen                                      „   Fricke U, Klaus W. Die neuen Arzneimittel.
                                                                                Wirkungsweise und therapeutischer Stellen-
Die Darstellungen zur Entwicklung der Indika-                                   wert. Eine Übersicht von Juli 1984–März 1985.
tionsgruppen basieren auf Recherchen zur                                        Die Offizinpharmazie 1986;1:1–35
historischen Entwicklung der Indikationsgrup-                               „   Gothe H, Höer A, Häussler B et al. Die Bedeu-
pen, wobei die Entwicklung der jeweiligen Wirk-                                 tung von innovativen Arzneimitteln für die
stoffe und nicht die Entwicklung der Therapie                                   Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland.
in der betrachteten Indikation im Vordergrund                                   Schriftenreihe Struktur­forschung im Gesund-
steht. Da es vor allem darum geht, einen Über-                                  heitswesen, Sonderband 1., Berlin 2002
blick über die wichtigsten Entwicklungen zu                                 „   Hardman JG, Limbird LE (Hrsg.). Good-
geben, und weniger um die Vollständigkeit der                                   mans & Gilman’s The pharmacological basis
Darstellung, wird kein systematisches Review                                    of thera­peu­tics. 10. Aufl., New York: McGraw-­
durchgeführt, sondern es werden – neben ent-                                    Hill 2001
sprechenden Artikeln aus wissenschaftlichen                                 „   Brunton LL, Lazo JS, Parker KL (Hrsg.). Good-
Periodika – wenige ausgewählte Quellen heran-                                   mans & Gilman’s The pharmacological basis
gezogen, die ggf. durch Literatur- und Internet-                                of therapeutics. 11. Aufl., New York: McGraw-­
recherchen ergänzt werden:                                                      Hill 2005
                                                                            „   Müller-Jahncke WD, Friedrich C, Meyer U.
                                                                                Arzneimittelgeschichte. Stuttgart: Wissen-
                                                                                schaftliche Verlagsgesellschaft mbH 2005
1   Wenn die Anzahl der GKV-Versicherten je Jahrgang für die Hoch­          „   Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.) Arzneiverord-
    rechnung erforderlich ist (z. B. für die Indikationsgruppe „J07 Impf­
    stoffe“), wird zusätzlich die Satzart 40 – adjustiert an KM6 – heran­       nungs-Report. Stuttgart, New York: Sprin-
    gezogen.                                                                    ger 1987ff.

                                                                                                                             15
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