FINANZIERUNG UND VERGÜTUNG IM MVZ - ZUR DISKUSSION GESTELLT

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Felix Cornelius I Günther E. Braun I Carsten Jäger

Finanzierung und Vergütung im MVZ
Die sozialrechtliche Konstruktion eines Medizinischen Ver-                                       Wer als Arzt von sich sagen kann, qua-
sorgungszentrums (MVZ) bietet die Chance, ein „großes                                            litativ zum oberen Drittel zu gehören,
Haus“ aufzubauen, in dem viele Ärzte aus unterschied-                                            der beansprucht auch eine entsprechend
lichsten Fachrichtungen gemeinsam, miteinander abge-                                             hohe Vergütung. Das Dilemma eines
stimmt und konsequent patientenfreundlich medizinische                                           großen MVZ und Thema des vorlie-
Versorgung anbieten.                                                                             genden Beitrags lautet daher: Wie lässt
                                                                                                 sich überdurchschnittliche Qualität mit

L
                                                                                                 durchschnittlichen Budgets finanzieren?
         aut Bundesgesundheitsminis­                Zulassungen bezüglich der Höhe des je-       Bei der Diskussion dieser Frage und mög-
         terium1 gibt es zum Stichtag 31.           weils erworbenen IB wählerisch zu sein.      lichen Antworten dient POLIKUM als
         März 2007 in Deutschland von               Wenn die Fachrichtung passt, ist jedes IB    laufendes Beispiel.
         insgesamt 733 lediglich 9 MVZ              recht. Das Gesetz der großen Zahlen legt     Die folgenden Ausführungen gelten zu-
mit fünf und nur 6 MVZ mit mehr als fünf            nahe, dass sich das Gesamt-IB eines MVZ      nächst nur für Berlin. Die Aufbereitung
Fachgebieten. Der weit überwiegende Teil            mit steigender Anzahl von Zulassungen        der Aussagen und Daten erfolgt aber so,
(415 = 57%) aller MVZ hat lediglich zwei            dem Durchschnittsbudget annähert. Das        dass eine Übertragung auf andere Re-
Fachgebiete. Diese sind hier explizit nicht         POLIKUM MVZ in Berlin-Friedenau ist          gionen möglich ist. Wo nicht anders er-
gemeint.                                            laut der oben zitierten Quelle des BMG       wähnt, ist das Statistische Bundesamt die
                                                    das größte seiner Art und bestätigt die-     Quelle der genannten Zahlen.
1 Das „Große-MVZ-                                   se Annahme. Beim Aufbau des Hauses
­Dilemma“                                           war jedes überdurchschnittliche Budget       2 Status quo der
Die Finanzierung von MVZ folgt den                  willkommen. Dennoch sind in der Zwi-         Finanzierung im MVZ
etablierten Regeln der Finanzierung von             schenzeit so viele unterdurchschnittliche    Die Finanzierung eines MVZ ist im We-
Einzelpraxen. Wesentliche Elemente sind             Budgets hinzugekommen, dass POLI-            sentlichen das Resultat der folgenden Ein-
die vertragsärztliche Zulassung und das             KUM ein „Durchschnitts-MVZ“ mit gut          flussgrößen:
je Zulassung vergebene Individualbudget             40 Zulassungen ist.                          • In Berlin sind knapp 80% aller Einwoh-
(IB). Das IB besagt praktisch, wie viele            Aus unternehmerischer Sicht der erfolg-         ner in der GKV versichert. Im Bundes-
EBM2-Punkte der Arzt auf seiner Zulas-              reichen Führung eines MVZ ist es bei            durchschnitt sind es mit knapp 85% et-
sung pro Quartal mit der KV abrechnen               der Gewinnung von Ärzten keineswegs             was mehr. In beiden Fällen gilt jedoch,
darf. Ein MVZ vereinigt in einer Hand               so, dass ein MVZ jeden Kandidaten neh-          dass GKV-Versicherte den entschei-
mehrere IBs. Aus der Summe ergibt sich              men muss, der sich anbietet oder bewirbt.       denden Teil der „Kunden“ eines Me-
das jeweils geltende MVZ-Budget.                    Vielmehr ist ein großes und deshalb auf-        dizinischen Versorgungszentrums aus-
Vertragsärztliche Zulassungen sind be-              fälliges MVZ in besonderer Weise da-            machen. Die KV-Abrechnung ist daher
schränkt. Ein MVZ kann es sich deshalb              rauf angewiesen, überdurchschnittliche          auch für ein MVZ das Fundament jeder
realistisch nicht leisten, beim Erwerb von          Leistungen anzubieten. Der Erfolg von           Finanzierung. Denn eine weitere An-
                                                    POLIKUM bindet sich an die Erfüllung            wendung des Gesetzes der großen Zah-
1
  Antwort des BMG auf eine Kleine Anfrage der       des Anspruchs, dass die hier tätigen Ärzte      len besagt, dass die Patientenstruktur
Linksfraktion, datiert vom 30.07.07, BT-Druck-
sache 16/6081, zu finden unter http://dokumente.
                                                    zu den Besten ihrer Zunft gehören.              im MVZ sich mit steigender Zahl dem
linksfraktion.net/pdfmdb/7765615821.pdf.            Diesem Qualitätsanspruch auf Seiten             (Berliner) Durchschnitt annähert.
2
 EBM = Einheitlicher Bewertungsmaßstab; das         eines großen MVZ entspricht naturge-         • Die KV-Einnahmen resultieren aus der
Regelwerk zur Dokumentation und Abrechnung
vertragsärztlicher Leistungen in der Gesetzlichen
                                                    mäß auf Seiten der Ärzte ein Anspruch           Vergütung von EBM-Punkten, die es
Krankenversicherung (www.ebm2000plus.de)            auf Vergütung und Erfolgsbeteiligung.           für ärztliche Leistungen gibt. Für eine

RPG | Band 14 | Heft 2 | 2008    www.grpg.de                                                                                            43
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  Erfolgsrechnung eines MVZ, die im         • IGeL-Leistungen                             hoch ist. Er hängt von sehr schwer zu
  Weiteren ansatzweise entwickelt wird,       IGeL bedeutet Individuelle Gesund-          planenden Faktoren ab, bspw.: Standort,
  ist es glücklicherweise nicht nötig,        heitsleistungen. Damit werden privat        Vernetzung und Kontakt mit anderen
  auf die hohe Komplexität des Abrech-        zu zahlende Leistungen bezeichnet,          Ärzten, Wirkung des MVZ auf den Pri-
  nungssystems EBM 2000 plus einzu-           die von GKV-Versicherten in Anspruch        vatpatient, Höhe des durchschnittlichen
  gehen. Eine erfolgreiche Praxis rechnet     genommen werden können, ohne dass           Steigerungsfaktors bei der Abrechnung
  nämlich gegenüber der KV in jedem           die GKV als Finanzierer in Erschei-         nach GOÄ.
  Quartal mehr Punkte ab, als sie im In-      nung tritt. Es gibt Praxen, die mit In-     Für den vorliegenden Geschäftsplan
  dividualbudget hat. Wofür die Punkte        dividuellen      Gesundheitsleistungen      wird das durchschnittliche Honorar pro
  aufgeschrieben werden, ist finanziell       den größten Teil ihrer Einkünfte be-        GKV-Patient auf den Privatpatienten
  unerheblich. Das IB wirkt dadurch wie       streiten. Problematisch ist, dass viele     übertragen, in dem der durchschnitt-
  eine Art Fixhonorar für die Behandlung      dieser Leistungen umstritten sind,          liche Bevölkerungsanteil an Privatpati-
  aller GKV-Patienten einer Praxis:           gemäß der Logik: Wären sie wirklich         enten zugrunde gelegt wird.
                                                                                          Dazu eine erläuternde Anmerkung: Im
 Beispiel-Budgets           EBM-Pkte p.a.          Punktwert          „Fixhonorar“        POLIKUM liegt die aktuelle Privat-
 Berlin 2006                 Durchschnitt                                  p.a.           patientenquote bei gut 16%. Das ist
 Hausärzte                    2.268.036               4,23                 95.873 €       weniger, als der Durchschnitt von
 Orthopäden                   3.899.248               4,22               164.442 €        21,82% in Berlin nahelegt. Allerdings
 Neurologen                   2.218.364               4,19                 92.964 €       ist zu bedenken, dass Privatpatienten
                                                                                          statistisch eine deutlich geringere
 Dermatologen                 2.188.164               4,29                 93.766 €
                                                                                          Morbidität aufweisen und seltener
                                                                                          zum Arzt gehen. Mit der Annahme
Eine Praxis hat außer dem genann-             nötig, würden sie wohl in den gesetz-       der Übertragung des statistischen
ten „Fixhonorar“ drei weitere reguläre        lichen Leistungskatalog der von der         Bevölkerungsanteils auf die Honorar-
Einkommensquellen:        extrabudgetäre      GKV übernommenen Leistungen auf-            verteilung werden dieser nachteilige
Leistungen, IGeL-Leistungen und die Be-       genommen. Hinzu kommt, dass der             Faktor und der Vorteil, dass das Ho-
handlung von Privatpatienten, deren Ab-       „IGeL-Vertrieb“ durch die Ärzte erfol-      norar pro Privatpatient in der Regel
rechnung anderen Regeln folgt:                gen muss. Es verändert sich dadurch         höher ist als in der GKV, miteinander
• Extrabudgetäre Leistungen                   der Charakter der Tätigkeit: vom rein       verrechnet.
  Zu den extrabudgetären Leistungen zäh-      Helfenden zum „Verkäufer“. Aus die-       Es ergibt sich somit folgender Einstieg in
  len alle Vorsorgeuntersuchungen, Imp-       sem Grund wird IGeL bei POLIKUM           den Geschäftsplan für ein großes MVZ,
  fungen, eine Vielzahl von Leistungen        sehr zurückhaltend behandelt. Wo es       der als Ziel die Ermittlung des Umsatzes
  im Zusammenhang mit ambulanten              sich in ausgewählten Bereichen mit        pro Jahr hat:
  Operationen und bspw. sämtliche An-
  trags-Psychotherapien. Die Höhe der       Berechnung Berlin              Basis GKV    + extrabudgetäre         + Privatumsatz
                                                                                              Leistungen
  extrabudgetären Leistungen ist deshalb
  je nach Fachgruppe sehr unterschied-      Honorar                        100,00 €            130,00 €                163,15 €
  lich. Der größte Teil der Zulassungen     (pro 100 € GKV-Umsatz)
  im MVZ POLIKUM ist hausärztlich;                                                             plus 30%        79,68%  100%
  im statistischen Durchschnitt betragen
  die extrabudgetären Leistungen bei          der Zeit entwickelt, handelt es sich um   • Der Umsatz eines MVZ hängt von sei-
  Hausärzten 20% des Kassenbudgets.           Zusatzeinnahmen, die jedoch in einem        nem Arztvektor ab. Dieser Begriff steht
  Durch die besonders hohen Anteile bei       konservativen Geschäftsplan nicht vor-      für die Zusammensetzung des MVZ
  Anästhesisten, fachärztlichen Inter-        kommen sollten.                             nach Fachrichtungen und Arztzahl.
  nisten und Psychotherapeuten beträgt      • Privatpatienten                             Aus den Erfahrungen von POLIKUM
  der Durchschnitt im MVZ POLIKUM             Der Umsatz mit Privatpatienten ist          wird für ein großes MVZ der folgende
  etwa 30%.                                   schwer zu schätzen, weil die Varianz        Arztvektor angenommen:

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Anästhesisten             2 Hautärzte                  2 Neurologen                  4     servativ gelten, wenn man eine stärkere
 Augenärzte                4 Hausärzte internist.      10 Orthopäden                  4     IB-Bindung an die Fallzahlentwicklung
 Chirurgen                 4 Internisten fachärztl.     6 Urologen                    2     annimmt.
 Gynäkologen               4 Kinderärzte                4 Psychotherapeuten           2
                                                                                            3 Anforderungen an ein
 HNO-Ärzte                 4 Lungenärzte                2 Hausärzte allg.            10
                                                                                            erfolgreiches MVZ
                                                                                            3.1 Was muss gelten, damit ein
Die Modellplanung nimmt 64 Ärzte an,          • Übertragbarkeit des IBs gemeinsam           MVZ erfolgreich ist?
von denen 20 hausärztlich tätig sind.            mit der Zulassung.                         Am 22. Juli 07 berichtete die Berliner
Aus dieser angenommenen Größe mit 64          • Bestandsschutz: Eine Schrumpfung des        Abendschau – eine sehr beliebte Sendung
Ärzten wird deutlich, dass es sich bei der       IB war nahezu ausgeschlossen.              des lokalen ARD-Senders RBB – über
Kalkulation des Geschäftsplans um eine        • Recht auf Wachstum: Insbesondere            das POLIKUM Friedenau. Anlass war
Betrachtung für die Zukunft handelt. Denn        das IB von neu übernommenen Praxen         die Beschwerde einer Patientin, die sich
das bislang größte MVZ in Deutschland            durfte schnell bis zur Höhe des Fach-      über zu lange Wartezeiten im MVZ be-
arbeitet derzeit mit gut 40 angestellten         gruppendurchschnitts anwachsen.            klagte.
Ärzten als Vollkräfte.                        Mit dem aktuell gültigen HVV (ab Juli         Lange Wartezeiten in Arztpraxen sind
Wird die oben beispielhaft vorgenommene       2007 in Kraft) hat sich diese Logik an ei-    eine Folge von zwei Faktoren: Begrenzter
Berechnung der Finanzierungsquellen pro       ner entscheidenden Stelle verändert. Neu      Marktzugang für niederlassungswillige
Zulassung auf den Arztvektor übertragen –     ist, dass die Zahl der behandelten Fäl-       Fachärzte und Beliebtheit bei Patienten.
unter Verwendung der konkreten Budgets        le von der KV als Einflussgröße bei der       Wenn viele Patienten zur gleichen Zeit
und Punktwerte pro Fachrichtung in Ber-       Festlegung des IB benutzt werden kann.        eine Praxis besuchen (wollen), dann re-
lin –, ergibt sich das folgende Gesamtbild:   Die KV-Interpretation des Zusammen-           sultieren zwangsläufig immer wieder
                                                                                            lange Wartezeiten. Die Kapazität einer
 Arztvektor Plan (p.a.)        GKV-Honorar      + extrabudgetäre        + Privatumsatz      Praxis könnte zwar durch die Einstellung
                                                      Leistungen                            neuer Fachärzte erhöht werden. Ein sol-
 64 Ärzte gesamt                7.075.113 €           9.197.647 €         11.543.231 €      ches Wachstum setzt jedoch voraus, dass
                                                                                            bei der Kassenärztlichen Vereinigung für
 Durchschnitt / Arzt              110.549 €             143.713 €            180.363 €
                                                                                            jeden Arzt eine Zulassung erworben wird.
                                                                                            Das geht in den meisten Zulassungsbezir-
Auf Basis der vorliegenden statistischen      hangs zwischen Fall und IB ist unklar.        ken und für nahezu sämtliche Fachrich-
Daten kann ein großes MVZ mit 64              Schwierig ist bereits die Frage, wie „Fäl-    tungen aber nur, wenn gleichzeitig ein an-
Ärzten mit einem Umsatz von gut 11,5          le in so unterschiedlichen Einrichtungen      derer Arzt seine Zulassung aufgibt – die
Mio. Euro rechnen.                            wie Einzelpraxis und 64-Ärzte-MVZ             KV in Berlin hat bspw. seit Jahren nahezu
Wichtig ist, auf folgende Besonderheit        vergleichbar gemacht werden können. Es        sämtliche Fachgruppen „gesperrt“ mit
hinzuweisen: Es gibt ein Regelwerk, das       gibt aber starke Indizien dafür, dass die     der Begründung, die Stadt sei „überver-
die KV anwendet, um das ihr zur Verfü-        oben dargelegte Planung eine entschei-        sorgt“. In der Konsequenz bedeutet dies,
gung stehende Geld an die zugelassenen        dende Unsicherheit aufweist.                  dass dem Angebotswachstum von stark
Ärzte zu „verteilen“, der Honorarvertei-      Jedoch ist Folgendes zur berücksichti-        nachgefragten Praxen oder MVZ enge
lungsvertrag (HVV), früher Honorarver-        gen: POLIKUM erfährt seit Gründung,           Grenzen gesetzt sind.
teilungsmaßstab (HVM).                        dass das Modell des „integrierten MVZ“        Jeder erfahrene Patient weiß dies, er
• Bislang (bis Ende Juni 2007) folgte der     so attraktiv ist, dass die Zahl der Fälle     erfährt es regelmäßig. Warum also ist
   Berliner HVM wichtigen Prinzipien,         nach kurzer Anlaufphase deutlich stärker      diese Erkenntnis dem Rundfunk Berlin-
   die der dargestellten Planung zugrunde     steigt als in jeder vergleichbaren Institu-   Brandenburg einen Fernsehbericht wert?
   liegen:                                    tion. Die Fallzahlen haben sich bspw. im      Einfache Antwort: Das POLIKUM ist im
• Bindung des IB an die Punktzahl, die        POLIKUM von Q2/06 auf Q2/07 nahe-             Kontext der ambulanten Medizin etwas
   von einer Praxis in der Vergangenheit      zu verdoppelt. Langfristig gesehen kann       Besonderes; dementsprechend werden
   abgerechnet wurde.                         die Planung daher auch dann als kon-          besondere Leistungen erwartet.

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Zur Diskussion gestellt

Wir vertreten in diesem Abschnitt im-                  jeweils nächsten Facharzt zu überwei-     • Qualitätsmanagement
plizit die These, dass ein „erfolgreiches              sen und diese Überweisung mit einem          Management ist immer dann nötig,
MVZ“ wichtige Prinzipien von POLI-                     Arztbrief zu begleiten.                      wenn viele Menschen gemeinsam ein
KUM übernehmen muss. Das wichtigste                    POLIKUM implementiert ein Case               Ziel verfolgen. Wenn die im MVZ tä-
Prinzip ist: Ein MVZ muss sich von den                 Management Zentrum, ein struktu-             tigen Ärzte über Fachgrenzen hinweg
bisher vorherrschenden Management-                     riertes Programm zur Früherkennung           zum Wohle des Patienten kooperieren,
und Organisationsprinzipien der ambu-                  von Gesundheitsrisiken und eine stei-        braucht es Management, damit diese
lanten Versorgung spürbar unterscheiden.               gende Zahl von Behandlungspfaden             Kooperation erfolgreich ist. Das Ma-
Die folgenden POLIKUM-Prinzipien las-                  und Richtlinien. Hinzu kommt, dass           nagement der Qualität wird hier aus
sen sich nach Meinung der Autoren ohne                 der Kommunikation der Ärzte unter-           nahe liegenden Gründen in besonderer
große Probleme auf alle großen MVZ                     einander viel Raum und Zeit gegeben          Weise hervorgehoben. POLIKUM hat
übertragen:                                            wird.                                        schon 9 Monate vor Eröffnung einen
• Fachliche Vollversorgung                           • Transparenz                                  Qualitätsmanager eingestellt. Seit Janu-
  Das MVZ versorgt komplexe Krank-                     Die typische deutsche ambulante Praxis       ar 2008 ist POLIKUM nach DIN/ISO
  heitsbilder vollständig. Dazu sind                   scheint zu den letzten computer-vernet-      9001/2000 zertifiziert.
  sämtliche notwendigen Fachrichtungen                 zungsfreien Refugien der Republik zu      Aus dieser Darstellung folgt: An die in
  im Haus vertreten. POLIKUM hat sich                  gehören. Wie anders ist folgendes Zitat   einem erfolgreichen MVZ tätigen Ärzte
  vorgenommen, 80% aller ambulant be-                  aus dem Beitrag eines Arztes auf www.     werden fachlich und organisatorisch
  handelbaren Krankheiten vollständig                  facharzt.de, erschienen am 19.07.2007,    außergewöhnlich hohe Anforderungen
  zu versorgen. Denkbar sind speziali-                 einzuschätzen?: „Wenn das E-Rezept        gestellt. Umgekehrt ließe sich auch for-
  sierte Varianten, bspw. zur Diabetes-                (vorerst) nur auf der Karte abgelegt      mulieren: Wenn die Ärzte im MVZ nicht
  versorgung.                                          wird, wenn die Patientenakte erst in      weit überdurchschnittlich agieren, kann
• Zeitliche Vollversorgung                             einigen Jahren kommt […], brauch ich      es nicht erfolgreich sein. Denn dann kom-
  Der Begriff übertreibt naturgemäß. Ge-               dann wirklich jetzt ‘nen Internetan-      men die Patienten schlicht und einfach
  meint ist, dass das MVZ unabhängig von               schluss für meine Praxis-EDV mit aller    nicht ins Haus.
  der Anwesenheit einzelner Ärzte wesent-              Sicherheit + Brimborium + all den Kos­    Speziell folgt das aus einem interessanten
  lich umfänglicher Sprechzeiten anbietet,             ten? Nur fürs Rezept? Wann wird das       Aspekt der zeitlichen Vollversorgung: In
  als das von der ambulanten Medizin bis-              zur Pflicht?“ Mit einer solchen Haltung   der Einzelpraxis mag die Praxis nur 25
  lang bekannt ist. Im POLIKUM ist – von               wird Transparenz in der medizinischen     Stunden in der Woche geöffnet sein. Iso-
  Ausnahmen abgesehen – jede Fachrich-                 Versorgung effektiv nicht gefördert.      liert betrachtet ist das aus der Sicht eines
  tung von Montag bis Freitag von 8 bis 20             Was ein Arzt tut, erfährt sein Kollege    Patienten gegenüber den 70 Wochenstun-
  Uhr besetzt3.                                        nur aus dem möglicherweise vorlie-        den Gesamtsprechzeit im POLIKUM
• Integriertes Behandlungsmanagement                   genden Arztbrief. Beim Zusammenspiel      natürlich von Nachteil. Die Einzelpraxis
  Der entscheidende Unterschied des                    der Ärzte entlang komplexer Symptome      kann jedoch grundsätzlich garantieren,
  Integrierten MVZ zum Ärztehaus ist                   oder Erkrankungen bzw. einer Koordi-      dass der dem Patienten vertraute „Leib-
  die Koordination der Ärzte, vor allem                nation über längere Zeit zum Wohle des    und Magenarzt“ immer anwesend ist,
  zur gezielten Behandlung komplexer                   Patienten ist die Offenlegung der eige-   wenn die Praxis geöffnet ist. Diese Ei-
  Krankheiten. Solche Abstimmung ist                   nen Dokumentation unabdingbar.            genschaft kann das POLIKUM naturge-
  heutzutage unter ambulanten Einzel-                  Bei POLIKUM ist eine einheitliche         mäß nicht bieten. Es herrscht eine etwas
  praxen (auch wenn sie als sog. Ärzte­                digitale Patientenakte im Einsatz, die    geringere persönliche Bindung und damit
  haus in derselben Immobilie ihren Sitz               prinzipiell sämtliche Daten der ärzt-     eine umso höhere Anforderung an alle
  haben) nur sehr rudimentär gegeben.                  lichen Dokumentation allen Ärzten         objektivierbaren Qualitätskriterien.
  Typisch ist lediglich, den Patienten zum             automatisch zur Verfügung stellt, die
                                                       denselben Patienten behandeln. Fast       3.2 Wer soll das bezahlen?
3
 Das Haus ist sogar von 7 bis 21 Uhr geöffnet. Die     alle Patienten des POLIKUM stimmen        Was ein MVZ im Durchschnitt pro Arzt
Randstunden sind jedoch zurzeit nur hausärztlich
besetzt. Von 8 bis 20 Uhr sind in der Regel auch
                                                       diesem Vorgehen datenschutzrechtlich      einnimmt, wurde in Abschnitt 1 bereits
alle Fachrichtungen ärztlich vertreten.                regelmäßig zu.                            hergeleitet. Im Folgenden sei nun die

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Position eines in der Klinik tätigen er-     vereinfacht angenommener Durchschnitt       Doch selbst wenn das gelingt, können
folgreichen (bspw. Ober-)Arztes einge-       über alle Fachrichtungen. Tatsächlich       gute Ärzte ohne die Aussicht, signifikant
nommen, der mit dem Gedanken spielt,         liegen aber die echten Sätze gerade bei     mehr als der Durchschnitt zu verdienen,
in die ambulante Versorgung zu gehen.        den zwei genannten Fachrichtungen deut-     nicht gehalten werden! Einschränkend ist
Ihm stehen dieselben Statistiken offen,      lich höher, während sie bei den übrigen     allerdings die Analogie von Kaiser Per-
die wir weiter oben zur Planung verwen-      Fachrichtungen etwas darunter liegen.       manente, USA, hilfreich (siehe auch die
det haben, bspw. die KBV-Statistik zur       Um die Planung nicht zu kompliziert zu      ausführlichere Darstellung im nächsten
Honorar- und Einkommensverteilung der        gestalten, wurde auf eine differenzierte    Abschnitt). Dort arbeiten die Ärzte mit
niedergelassenen Ärzte. Die folgende Ta-     Betrachtung des extrabudgetären Anteils     der Metapher, dass ihr Gehalt sich am
belle stellt einige Beispiele aus der KBV-   hier verzichtet. (Der tatsächliche extra-   Median ihrer Fachrichtung orientiert. Das
Statistik des Jahres 2005 zusammen           budgetäre Anteil der Anästhesie beträgt     ist für die dort tätigen Ärzte akzeptabel.
und vergleicht Planumsätze und Durch-        statistisch 80,3%, in der Psychotherapie
schnittseinkommen:                           sind es 86,6%.)                             3.3 Ein erster Weg: Kosten spa-
                                                                                         ren
 2005                              Einkommen         Planumsatz     Einkommen in         Ein MVZ kann gegenüber der Einzelpra-
                                  Durchschnitt                      % vom Umsatz         xis Kosten sparen durch:
 Hausärzte                            73.221 €         156.420 €            46,81%       • Doppelnutzung aller Räume durch
 Orthopäden                          148.651 €         268.292 €            55,41%         Schichtsystem
 Neurologen                           86.340 €         151.673 €            56,93%       • Doppelnutzung aller Medizintechnik.
 Dermatologen                         79.446 €         152.982 €            51,93%       • Einsparung von Medizintechnik durch
                                                                                           bessere Organisation.
 Anästhesisten                        98.435 €          37.475 €          262,67%
                                                                                           Im POLIKUM gibt es bspw. nur 3 So-
 Augenärzte                          129.856 €         177.840 €            73,02%
                                                                                           nographiegeräte. Schätzungen von Bran-
 Chirurgen                            72.940 €         125.820 €            57,97%         chenkennern sagen, dass es ca. 20 Geräte
 Gynäkologen                          98.794 €         133.490 €            74,01%         wären, wenn die POLIKUM-Ärzte in
 HNO-Ärzte                            95.474 €         188.353 €            50,69%         einzelnen Niederlassungen tätig wären.
 Internisten HÄ                       77.114 €         183.241 €            42,08%       • Pooling von Dienstleistungen: Reini-
 Internisten FÄ                      191.063 €         199.779 €            95,64%         gung, Serviceverträge, Abrechnung,
                                                                                           Hardware + Software
 Kinderärzte                         179.307 €         372.866 €            48,09%
                                                                                         Es gibt dem gegenüber allerdings auch
 Lungenärzte                         118.856 €         264.300 €            44,97%
                                                                                         Kosten, die im Vergleich zur Einzelpra-
 Urologen                             99.337 €         174.304 €            56,99%       xis mitunter erheblich höher liegen. Zum
 Psychotherapeuten                    34.051 €           8.247 €          412,91%        Einen liegt das an der Natur des großen
 64 Ärzte gesamt im                6.755.427 €      11.543.231 €           58,52%        MVZ, da bedeutende sprungfixe Kosten
 großen MVZ des Beispiels                                                                vorliegen (z.B. großer Parkplatz, 24h
                                                                                         Wachschutz, besonders hohe EDV-Sicher-
Die vorige Tabelle gibt zur Zusammen-        Entscheidend ist die Gesamtbetrachtung:     heit, Neuerwerb aller Medizintechnik zur
fassung sämtliche Fachrichtungen des         Das große MVZ muss mit einem Kosten-        Eröffnung und besonders hohe Qualität,
Arztvektors wieder. Erklärungsbedürf-        satz von 41,48% auskommen. Der statis­      zentrales Qualitätsmanagement); zum An-
tig sind die beiden Prozentsätze in Höhe     tische Durchschnitt in der Einzelpraxis     deren daran, dass das Geschäftsmodell des
von 262,67% bzw. 412,91% bei Anästhe-        liegt bei 53,75%!                           großen MVZ noch neu ist. So war bspw.
sisten bzw. Psychotherapeuten. Hier lie-     Bereits aus dieser oberflächlichen Be-      die Entwicklung des Gebäudes zur Unter-
gen die durchschnittlichen Einkommen         trachtung zeigt sich das Problem: Um al-    bringung eines großen integrierten MVZ
deutlich höher, als die geplanten Umsät-     lein die Forderung der Ärzte nach einem     – das es so in Deutschland ja noch nicht
ze. Hintergrund dieser Anomalie ist die      durchschnittlichen Gehalt zu befriedi-      gab – überdurchschnittlich aufwendig.
Planannahme von durchschnittlich 30%         gen, muss das große MVZ die Kosten von      Dennoch schätzt POLIKUM das Potenti-
extrabudgetären Einnahmen. Dies ist ein      53,75 auf 41,48%, also um 22,8% senken!     al zu Kosteneinsparungen auf 20%. Die

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Zur Diskussion gestellt

oben genannte Anforderung in Höhe                „Beitrag“ von lediglich 2.765 € p. a. je       • Last but not least: Das MVZ verdient
von 22,8% zur Finanzierung von Durch-            Arzt gedeckt werden könnte.                        nach der entwickelten Planungsrech-
schnittseinkommen der Ärzte lässt sich         • Die kalkulierte Kostenreduktion um                 nung noch kein Geld! Investitionen in
daher nahezu erfüllen. POLIKUM hat               20% ist mit einer gebotenen Unsicherheit           ein großes MVZ sind erst dann realis-
in der Aufbauphase Ärzte gefunden, die           versehen. Lässt sich diese – vor allem             tisch, wenn der Investor damit lang-
bereit waren, das unternehmerische Auf-          anfangs – nicht in der erhofften Höhe              fristig eine akzeptable Rendite erwirt-
baurisiko mit zu tragen. Sie haben sich          realisieren, steigt die Unterdeckung.              schaften kann.
in den ersten Jahren mit geringeren Ein-       • Die Kernaussage dieses Beitrags liegt          Das im Folgenden vorgestellte Modell
künften begnügt, begründet auch damit,           in folgender Aussage: Die Ärzte er-            ist von POLIKUM bereits grundsätzlich
dass POLIKUM das finanzielle Risiko              warten mehr, als lediglich den Durch-          realisiert: Seit Dezember 2006 hat PO-
der „Praxisgründung allein getragen hat.         schnitt. Weil auch der Durchschnitt in         LIKUM in zwei Verträgen mit der AOK
Für die im vorliegenden Beitrag skizzierte       der Einzelpraxis erst verdient werden          Berlin und mit der Barmer Ersatzkasse
Zukunft braucht es weitere Umsatzquel-           muss, geht POLIKUM davon aus, dass             die ersten IV-Verträge geschlossen; im
len. Diese werden im nächsten Abschnitt          die Ärzte akzeptieren können, wenn             ­August 2007 kamen die GEK und die
erläutert. Zum Abschluss noch einmal zu-         die Erhöhung über den Mittelwert hi-            HEK in einem gemeinsamen IV-Vertrag
sammenfassend eine Gesamtübersicht für           naus als variable Gehaltskomponente             hinzu. Es ist die Basis aller weiteren
das beispielhaft eingeführte große MVZ           definiert wird. Auch diese kann aber            Modelle und wird deshalb etwas aus-
(mit 64 Ärzten), aus der sich der verblei-       nur ausgezahlt werden, wenn genügend            führlicher besprochen. Voraussetzung ist
bende Kostendeckungsbedarf und das               Geld erwirtschaftet werden kann.                zunächst der Abschluss eines Vertrages
Potential für eine höhere Anreizbildung        • Dazu kann als Exkurs das Beispiel               zur Integrierten Versorgung mit Popula-
der Ärzte ablesen lässt:                         von Kaiser Permanente (KP) erwähnt              tionsbezug, bei dem die Teilnahme des
                                                                                                 Versicherten an keine Bedingung gebun-
 Groß-MVZ als             Umsatz gem. Plan          Allg. Kosten im            Einsparziel:      den ist. Jeder Versicherte ist qualifiziert,
 Beispiel                                          Durchschnitt der          Kosten minus        unabhängig davon, ob er gesund oder
                                                      Einzelpraxen                   20%
                                                                                                 krank ist.
 64 Ärzte                      11.543.231 €                 53,75%                   43,00%
                                                                                                 Aus einem solchen Vertrag folgt die Ei-
 Reduzierte Kosten         Arzteinkommen                  Resultierende Unterdeckung             genschaft, dass Termine des Versicherten
       in € gesamt               gem. Plan                              Umsatz minus
                                                      (Reduzierte Kosten plus Einkom-            exklusiv mit einem Leistungserbringer
                                                                                 men)            vereinbart werden müssen, bei dem die
            4.963.589 €         6.755.427 €                                     – 175.785 €      IV-Teilnahme erklärt worden ist. Der
                                                                                                 Versicherte verzichtet also für die Zeit der
               pro Arzt             pro Arzt                                         pro Arzt
                                                                                                 Teilnahme an der IV in einem Populati-
              77.556 €            105.554 €                                        – 2.765 €
                                                                                                 onsvertrag auf die freie Arztwahl!
                                                                                                 Für den Leistungserbringer folgt, dass er
4 Finanzierung einer von                           werden, einer bekannten US-ameri-             die Möglichkeit hat, das gesamte medizi-
einem großen MVZ ge-                               kanischen Managed Care Organisati-            nische Leistungsgeschehen zu koordinie-
tragenen Vollversorgung:                           on. Ein Kardiologe bezieht bei KP ein         ren. Abb. 1 illustriert dies.
Virtuelles Budget für                              durchschnittliches Anfangsgehalt von          Der Patient hat ohne IV-Vertrag die Mög-
veranlasste Leistungen                             250.000 US-$; ein Kinderarzt kann             lichkeit, beliebige Haus- und Fachärzte
mit einem IV-Vertrag                               nur mit ca. 100.000 US-$ rechnen. Als         direkt aufzusuchen. Diese Ärzte veran-
nach § 140a ff. SGB V                              Begründung wird auf die jeweiligen            lassen durch Verordnungen, Rezepte,
Die oben dargestellte Planungsrechnung             Marktwerte verwiesen. Und was die             Einweisungen etc. weitere Leistungen,
ist aus drei Gründen unbefriedigend, die           Kandidaten „draußen“ bekommen kön-            die in der Summe wesentlich höhere Kos­
hier noch einmal zusammengefasst wer-              nen, muss ihnen KP ebenfalls bieten4.
den sollen:
                                                                                                verantwortlich für „Recruiting, Compensation etc.“
• Es verbleibt eine Unterdeckung, auch         4
                                                Angaben aus einem persönlichen Gespräch         in der Permanente Medical Group North California
   wenn diese gering ist und durch einen       von Dr. Felix Cornelius mit Sharon Levine, MD,   (www.kaiserpermanente.org).

48                                                                                   RPG | Band 14 | Heft 2 | 2008    www.grpg.de
                                                                                             

    
Abb. 1: Veranlassung von Leistung
                                                                                   Einsparungen in den veranlassten Sek-
                                                                                   toren beteiligen. Das Prinzip ist in Abb.
                                                                                   2 illustriert.
                                                                                   Das folgende schrittweise Vorgehen ist im
                                                                                   Rahmen eines Businessplans festzulegen:
                                                                                   • Zunächst Bindung der Patienten an das
                                                                                     große MVZ.
                                                                                   • Im zweiten Schritt Gewinnung einer
                                                                                     möglichst großen Zahl von Versicher-
                                                                                     ten, die bereit sind, sich in die Integrierte
                                                                                     Versorgung einzuschreiben. So wird er-
                                                                                     reicht, dass die Abschätzung der veran-
                                                                                     lassten Kosten statistisch valide wird.
                                                                                   • Abschluss einer Vereinbarung zwischen
                                                                                     großem MVZ und der Kasse bzw. den
                                                                                     Kassen über die erwarteten Leistungen
                                                                                     in jedem Sektor pro Jahr für das insge-
                                                                                     samt eingeschriebene Patientenkollek-
                                                                                     tiv.
                                                                                   • Abschluss einer Vereinbarung über das
                                                                                    Messverfahren zur Bestimmung der
                                                                                  tatsächlichen Kosten nach Ablauf jedes           
ten verursachen als die ambulante Medi- Die steuernde Rolle eines großen MVZ         Jahres.
zin insgesamt (siehe zu Einsparungen im als IV-Partner und die hohen Gesamtsum-    • Schließlich Vereinbarung über die Höhe
stationären Bereich und bei den Arznei- men, über die das MVZ auf dem Wege           der Partizipation an Einsparerfolgen.
mitteln Abb. 2).                            der Veranlassung „verfügt“, ermöglichenAbb. 2 zeigt das Prinzip: Die schraffier­
Wird in der IV jeder Weg des Patienten es bspw. POLIKUM, mit den Kassen Ver-       ten Flächen bezeichnen den Bonus, der
                                   
über dasselbe „Eingangsportal“ geleitet,    träge zu schließen, die das große MVZ an
                                                                                   dem großen MVZ als Anteil an den Ein-
lässt sich zentral koordinieren, welche
Leistungen auf welche Weise aufeinan- Abb. 2: Ausgabe in den drei wichtigsten Sektoren
der abgestimmt erbracht werden – und zu
welchen Kosten.
Für jeden Euro, den die Krankenkassen
für die ambulante Medizin ausgeben,
fließen statistisch zusätzlich 3 Euro für
Krankenhaus und Arzneimittelversor-
gung (siehe Abb. 2). Der größte Teil dieses
Geldes wird als Folge einer direkten Ent-
scheidung durch die Haus- und Fachärzte
ausgegeben, die der Patient besucht. Wie
Abb. 1 illustriert, wird nur ca. 1% al-
ler Kosten in den veranlassten Sektoren
(KH, Pharma, etc.) durch direkte Ent-
scheidungen der Patienten verursacht.5

5
 Diese Schätzung resultiert aus Hochrechnungen,
die POLIKUM mit IV-Partnern auf Krankenkas-       senseite vorgenommen hat.                                                    

RPG | Band 14 | Heft 2 | 2008    www.grpg.de                                                                                  49
Zur Diskussion gestellt

sparerfolgen in den beiden beispielhaft            • Mindest-Einsparpotential, nach ersten      • Lange Öffnungszeiten: Je länger das
genannten Sektoren ausbezahlt wird. Die              Abschätzungen von POLIKUM: 20%              MVZ geöffnet ist, desto geringer sind
gepunkteten Segmente bezeichnen den                  Ergebnis von Schätzungen gemeinsam           die Selbsteinweisungen in die Notauf-
Vorteil für die Krankenkasse. Um diesen              mit Partnern aus den angrenzenden            nahme des Krankenhauses.
Betrag sinken die Gesamtausgaben6.                   Sektoren.                                  • Komplettes Fachspektrum: Wenn am
Ein solcher Vertrag ist in jeder Hinsicht                                                         Freitagnachmittag der Facharzt im ei-
Neuland. POLIKUM und die jeweiligen                • Einsparvolumen pro Arzt in Euro:            genen Hause konsultiert werden kann,
Vertragspartner haben sich bspw. noch                                          86.228 €          kann medizinisch gesichert werden,
nicht abschließend auf Berechnungsver-               20% des Krankenhaus- und Pharma-             dass auf eine Einweisung verzichtet
fahren für erwartete und tatsächliche                volumens                                     werden kann. Bei POLIKUM gibt es
Leistungen geeinigt. Dies wird im Laufe                                                           die Einweisung wegen „unspezifischem
des Jahres 2008 erfolgen.                          • Ertrag für MVZ bei Annahme hälftiger         Brustschmerz“ faktisch nicht mehr. In
Interessant im Zusammenhang mit der                  Erfolgsteilung:         43.114 €            der durchschnittlichen Einzel-Haus-
Rechtsgrundlage § 140a ff. SGB V ist,                                                             arztpraxis ist dies aber ein typischer
dass diese Vertragsvariante im Grun-               Cave: Die Teilnahme an der IV ist für die      Grund für eine zwingende Einweisung
de nicht auf die Anschubfinanzierung               Patienten freiwillig. Das hoch erschei-        aus Sicherheitsgründen (Verdacht auf
(sog.1%-Regelung) angewiesen ist. Die              nende Potenzial kann daher nur auf die         Herzinfarkt).
Finanzierung erfolgt ausschließlich aus            jeweils gültige Einschreibequote ange-       • Vollständiger Überblick: Durch die
belegten Einsparungen. Die Anschubfi-              rechnet werden:                                Implementierung der digitalen Pati-
nanzierung geht zu Lasten der niederge-            • Prozentsatz eingeschriebener Versi-          entenakte nach dem Prinzip der voll-
lassenen Kollegen; die Einspar-Variante              cherter:                         30%        ständigen Transparenz erhält jeder
wird indirekt von den außerhalb der                  POLIKUM rechnet zunächst nur mit ei-         behandelnde Arzt die komplette Be-
ambulanten Medizin liegenden Sektoren                ner Einschreibung von 20% aller Versi-       handlungs- und Krankengeschichte des
finanziert. (Standes-)Politisch gesehen ist          cherter. Entscheidend ist aber nicht die     Patienten. Es ist vor allem die Vollstän-
ein solcher Vertrag deshalb leichter zu              Zahl der Köpfe, sondern der Anteil an        digkeit, die sicherstellt, dass es keine
kommunizieren und umzusetzen als bis-                den von den IV-Teilnehmern erzeugten         Notwendigkeit mehr gibt, Maßnahmen
herige IV-Verträge.                                  Kosten. Hier zeigt die Erfahrung, dass       redundant durchzuführen: Arzneimit-
Die Planungsrechnung des finanziellen                die Bereitschaft zur Einschreibung und       telverschreibung, Heil- und Hilfsmit-
Erfolges im Rahmen der Businessplanung               damit zur koordinierten Behandlung           tel, Laboruntersuchungen, bildgebende
stellt sich – bezogen auf die 2 Hauptsek-            mit der Morbidität korreliert. Daher die     Verfahren etc. werden nur noch einmal
toren der veranlassten Leistungen – fol-             Annahme 30%.                                 durchgeführt bzw. veranlasst. Alle wei-
gendermaßen dar:                                                                                  teren Behandler greifen auf die bereits
• Durchschnittliches GKV-Honorar pro               • Resultierender IV-Ertrag pro Arzt im         existierenden Daten zurück.
   Arzt:                       143.713 €            MVZ:                      12.934 €        • Kurze Wege: Die Überweisung zum
   Durchschnittlicher Arztumsatz ohne                                                             Facharzt erfolgt im großen MVZ so
   Privatanteil (Tabelle S. 45)                    • Nach Abzug der kalkulatorischen Un-          schnell, wie der Arzt es für nötig hält,
                                                     terdeckung verbleiben: + 10.169 €           der die Überweisung auslöst. Das kann
• Statistisches Volumen veranlasster                 Die Unterdeckung betrug 2.765 € (Ta-         in einem dringenden Fall auch sofort
  Leistungen für Krankenhausbehand-                  belle Seite 48)                              sein. In der Einzelpraxis ist das unmög-
  lung und Arzneimittelversorgung:                                                               lich. Der einzige Ausweg ist häufig das
                            431.139 €             Warum lassen sich im großen MVZ Ein-           Krankenhaus. Auch Komplikationen
  Die dreifache Summe – gemäß statis­              sparungen bei veranlassten Leistungen          durch lange Übergangszeiten gibt es im
  tischem Verhältnis 1:3 (Abb. 2)                  erzielen? Die folgende Auflistung be-          MVZ nur in Ausnahmefällen.
                                                   zieht sich vor allem auf die Eigenschaften   • Case Management: POLIKUM hat im
6
  In der abgebildeten Darstellung wird von einer   eines erfolgreichen MVZ, die oben unter        Rahmen der IV ein Case Management
jeweils hälftigen Verteilung der Einsparungen
zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse
                                                   „3 Anforderungen an ein erfolgreiches          Zentrum eingerichtet. Es dient der ak-
ausgegangen.                                       MVZ“ erläutert worden sind:                    tiven Betreuung der Patienten mit der

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höchsten Morbidität (ca. 20%). Die Pa-    medizinische Versorgung in die Hand ei-      lerdings ist zu bedenken, dass die Komple-
   tienten erhalten Sicherheit über lange    ner Art von Versorgungs-Manager gelegt       xität des deutschen Gesundheitssystems so
   Zeiträume hinweg, und es wird langfris­   wird, der dafür mit einer Komplett-Pau-      hoch ist, dass es aus heutiger Sicht kaum
   tig vermieden, dass sich schleichend      schale pro Kopf vergütet wird. Alternativ    vorstellbar erscheint, die Kompetenzen zu
   Komplikationen / Dekompensationen         dazu kann die Kopfpauschale nur Teile        bündeln und operativ umsetzbar zu ma-
   einstellen. Nicht zu unterschätzen ist    der Versorgung abbilden und vergüten,        chen, die es für eine solche Management-
   bspw. die Angst vieler schwer kranker     vor allem die stationären Leistungen oder    Gesellschaft braucht. Der im Rahmen des
   Patienten, „über das Wochenende“ zu       die Arzneimittelversorgung. Dann spricht     virtuellen Budgets in einer integrierten
   kommen. Das Case Management kann          man von Teil-Capitation.                     Versorgung vorgezeichnete Weg geht be-
   diese Angst erheblich mindern.            An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen,     reits ziemlich weit. Im Capitation-Modell
Die Abschätzung des Einspar-Volumens         dass es einen umfassenden Versorgungs-       wäre dagegen neu, dass der Versorger
und der Auszahlungssumme ist in mehr-        Manager bereits gibt: Die Krankenkasse       • auch ein finanzielles Risiko übernimmt;
facher Hinsicht konservativ: Sie ist zu-     versucht, die Versicherungsbeiträge mög-        das tut er nach den vorgestellten Mo-
nächst auf nur zwei Sektoren beschränkt;     lichst günstig für die unterschiedlichen        dellen noch nicht;
sie geht von 20% Einsparungen aus und        Formen der Leistungserbringung zu ver-       • die Grundlagen der Verträge mit An-
sie geht von einem GKV-Umsatz aus,           wenden. Dazu verhandelt sie z.B. in der         bietern aus anderen Sektoren frei ver-
der weit unter dem statistischen Bundes-     ambulanten Medizin mit der KV, legt al-         handeln kann; im Grunde wäre bspw.
durchschnitt liegt. Immerhin entspricht      lein oder mit ihren Verbänden direkt mit        eine Abweichung vom DRG-System
der positive Saldo von 10.169 € pro Arzt     den Krankenhäusern Budgets fest.                denkbar; oder man kann sich einen
unter Annahme keiner weiteren Kosten –       Im Rahmen einer Teil-Capitation zur             Mengenrabatt für en gros eingekaufte
bspw. in Form einer Bonuszahlung an den      Steuerung der Kosten im stationären Be-         Arzneimittel vorstellen.
Arzt – einer Umsatzrendite von 5,64%         reich und der Arzneimittelversorgung         Bis ein derartiger Capitation-Anbieter im
für das MVZ (unter Verwendung der Um-        würde direkt von den Krankenkassen           deutschen Markt existiert, der die Größe
satzschätzung in der Tabelle auf Seite 45.   eine Kopfpauschale an das Management         und Stärke hat, für große Versicherten-
Bezeichnend für die vorgestellte Varian-     des MVZ gezahlt. Was könnte eine Ma-         kollektive das Kostenrisiko zu überneh-
te der Integrierten Versorgung ist, dass     nagement-Gesellschaft anders tun, als die    men, werden mit Sicherheit noch Jahre
die Einsparpotenziale im Rahmen des          Kasse? Ein wesentlicher Unterschied läge     vergehen.
virtuellen Budgets im stationären Sektor     darin, dass Wettbewerb in das System
und im Arzneimittelbereich ausgeschöpft      Einzug hielte. Während die Krankenkas-       5 Fazit und offene Fragen
werden sollen. Grundsätzlich kann sich       sen seit Jahrzehnten nach dem Grundsatz      Aus den detaillierten Darstellungen im
das virtuelle Budget aber auch auf weitere   „einheitlich und gemeinsam“ agieren,         vorliegenden Artikel folgt die wesent-
Sektoren des Gesundheitswesens bezie-        also bspw. gemeinsame Konditionen mit        liche Erkenntnis: Schon heute kann sich
hen, z.B. auf den Heil- und Hilfsmittelbe-   Krankenhausbetreibern vereinbaren –          das Management großer MVZ lohnen,
reich. Allerdings bleiben die Leistungen     und vorher bereits die Abrechnungssy-        das richtige unternehmerische Geschick
des ambulanten Sektors und damit die         stematik unabhängig vom Preis über alle      vorausgesetzt; allerdings ist im Fixgehalt
ambulante Vergütung unangetastet. Denn       Verhandlungen hinweg vereinheitlichen        die Reduktion der ärztlichen Ansprüche
das Management des großen MVZ und            –, sind private Managementgesellschaften     auf den Durchschnitt in der Niederlassung
die im MVZ tätigen Ärzte sind als Kos­       grundsätzlich in der Lage, für das von ihr   zu beachten, und es ist unverzichtbar, die
teneinspartreiber zu verstehen, ohne die     verwaltete echte Budget ganz eigene Ver-     Grundlagen der Finanzierung über das
Einsparpotentiale in anderen Sektoren        gütungsformen und -höhen zu verhandeln.      virtuelle Budget einer integrierten Ver-
nicht zu heben sind.                         Darin liegt unbestritten ein Potenzial,      sorgung sorgfältig weiter zu entwickeln.
Eine weitere Veränderung könnte der Weg      zumal sektorenübergreifende Leistungs-       In der Praxis stehen die folgenden Fragen
vom virtuellen Budget zum echten Budget      anbieter in Richtung von Managed Care        zur Diskussion. Sie muss jeder beantwor-
sein. Ein solches Budget ergibt sich als     Organisationen nach amerikanischem           ten, der sich mit der Gründung und dem
die Summe von Kopfpauschalen (Capi-          Vorbild dadurch möglich werden können.       Betrieb großer MVZ befassen will:
tation). Unter dem Begriff der Full Capi-    Diese Überlegung hat auch für einen An-      • Rolle und Reaktion der lokalen KV?
tation wird verstanden, dass die gesamte     bieter wie POLIKUM reizvolle Seiten. Al-        Es ist wichtig, eine gute und möglichst

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Zur Diskussion gestellt

  konfliktfreie, auf Kooperation bauende        gen über die durchschnittlichen Kosten
  Beziehung zur KV aufzubauen.                  des IV-Versicherten-Kollektivs sowie      Autoren:
• Nicht alle Krankenkassen sind glei-           der geschätzten Kosten in zukünftigen     Dr. Ing. Felix Cornelius, Mit-
  chermaßen leicht zu bewegen, die vor-         Jahren. Die rasche Akquisition von        glied der Geschäftsleitung
  geschlagenen Verträge zu schließen.           Teilnehmern kann über den Erfolg des      (Strategie und Entwicklung),
  Es ist deshalb wichtig, die jeweils re-       Modells entscheiden.                      POLIKUM Gruppe, Berlin
  gionale Marktposition und die Wettbe-       • Es ist wichtig, regionale Unterschiede    Univ.-Prof. Dr. Günther E. Braun,
  werbssituation der aktiven Kassen zu          zu berücksichtigen. Der vorliegende       Vorstand des Instituts für
  berücksichtigen.                              Beitrag berücksichtigt sehr stark die     ­Betriebswirtschaftslehre des
• Erfolgreiche Großpraxen in der Nähe           Situation Berlins. In anderen Städten     öffentlichen Bereichs und
  eines großen Zentrums sind gleichzeitig       und Siedlungsstrukturen stellen sich      Gesundheitswesens, Universi-
  potente Wettbewerber und aussichtsreiche      spezielle Anforderungen; auch sind die    tät der Bundeswehr München,
  Kooperationspartner. Es ist bedeutsam,        Menschen ihre jeweils eigenen Wege        Neubiberg
  die aktuell dominanten Praxen rechtzeitig     und Abläufe gewohnt. Darauf muss          Dipl.-Kfm. Carsten Jäger,
  in die Planung einzubeziehen und ihnen        sich ein neues Angebot einstellen.        Doktorand am Institut für
  eine passende Perspektive zu bieten.        • Die Darstellung der integrierten Ver-     Betriebswirtschaftslehre des
• Morbidität: Je früher eine große Zahl         sorgung legt dar, dass „neues Geld“ in    öffentlichen Bereichs und
  von Versicherten/Patienten gewonnen           die ambulante Versorgung fließt, wäh-     Gesundheitswesens, Universi-
  wird, sich an der IV zu beteiligen, desto     rend gleichzeitig die Kassen in anderen   tät der Bundeswehr München,
  statistisch aussagekräftiger sind Aussa-      Sektoren Geld sparen.                     Neubiberg

     Die GRPG begrüßt als neue Mitglieder
     Arentz, Hermann-Josef           Arentz Consulting, Köln
     Dr. Bönte, Markus               Sanofi Pasteuer MSD GmbH, Senior Spezialist für Gesundheitsökonomie und Outcomes
                                     Research, Leimen
     Dr. Heckemann, Klaus            KV Sachsen, Vorstandsvorsitzender, Dresden
     Henkel, Markus                  Berufsverband der Deutschen Radiologen, Rechtsanwalt und Geschäftsführer, München
     Horak, Ingo                     DocInsider GmbH, Hamburg
     Hruschka, Dieter                Pfizer Deutschland GmbH, Projektmanager Integrated Care, München
     Dr. Huber, Hans-Georg           Ärztekammer Nordrhein, Leiter Geschäftsstelle Qualitätssicherung NRW, Düsseldorf
     Dr. Kunze, Inken                Sozietät Dr. Rehborn, Rechtsanwälte, Rechtsanwältin und Ärztin, Dortmund
     Schindewolf, Ulrich             Schindewolf und Schneider GbR, Orthopädie-Technik, Eisenach
     Schmuck von Troilo, Eberhard    Intendis Dermatologie GmbH, Rechtsanwalt, Berlin

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