Vom Gehirn zur Psyche - Wolf Singer

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Vom Gehirn zur Psyche - Wolf Singer
Wolf Singer

Vom Gehirn zur Psyche

Vor etwa 150 Jahren wurden hier in             heiût. Er äuûert, wie ich glaube, be-
Berlin folgende Sätze gesprochen:              gründete und nachvollziehbare Zwei-
     ¹Dies neue Unbegreifliche ist das         fel im Hinblick auf die Möglichkeit ei-
Bewuûtsein. Ich werde jetzt, wie ich           ner reduktionistischen Erklärung
glaube, in sehr zwingender Weise               mentaler Phänomene, unserer sub-
dartun, daû nicht allein bei dem heu-          jektiven Empfindungen, unserer
tigen Stand unserer Kenntnis das Be-           Möglichkeit zur freien Entscheidung
wuûtsein aus seinen materiellen Be-            und unserer Erfahrung, ein auto-
dingungen nicht erklärbar ist, was             nomes Selbst zu sein, das zwar in ei-
wohl jeder zugibt, sondern daû es              nem biologisch begründeten Organis-
auch der Natur der Dinge nach aus              mus residiert, von diesem aber als
diesen Bedingungen nicht erklärbar             ontologisch verschieden empfunden
sein wird. (. . .) Welche denkbare Ver-        wird. Diese mentalen Phänomene, so
bindung besteht zwischen bestimm-              die über Jahrhunderte unveränderte
ten Bewegungen bestimmter Atome                Position, verschlössen sich einer re-
in meinem Gehirn einerseits, ande-             duktionistischen Erklärung im Rah-
rerseits den für mich ursprünglichen,          men naturwissenschaftlicher Be-
nicht weiter definierbaren, nicht weg-         schreibungssysteme. Und je überzeu-
zuleugnenden Tatsachen: ¸ich fühle             gender die Beweise dafür werden,
Schmerz, fühle Lust; ich schmecke              daû wir unser Dasein und unser So-
Süûes, rieche Rosenduft, höre Orgel-           sein einem kontinuierlichen evolutio-
ton, sehe Rot und der ebenso unmit-           nären Prozeû verdanken, in dessen
telbar daraus schlieûenden Gewiû-              Verlauf es keinerlei Hinweise auf on-
heit: ¸Also bin ich? (. . .) Es ist in kei-   tologische Sprünge gibt, um so zwin-
ner Weise einzusehen, wie aus ih-              gender wird natürlich die Notwendig-
remª ± gemeint ist der Atome ± ¹Zu-            keit, sich erneut mit dem Phänomen
sammensein Bewuûtsein entstehen                der Emergenz mentaler Qualitäten
könne. Sollte ihre Lagerungs- und Be-          auseinanderzusetzen. Da die Phäno-
wegungsweise ihnen nicht gleichgül-            mene, die wir gemeinhin unter Be-
tig sein, so müûte man sie sich nach           wuûtsein subsumieren, unzweifelhaft
Art der Monaden schon einzeln mit              auf kognitiven Funktionen unserer
Bewuûtsein ausgestattet denken. We-            Gehirne beruhen, möchte ich das
der wäre damit das Bewuûtsein über-            Phänomen des Bewuûtseins im Lichte
haupt erklärt, noch für die Erklärung          dessen erneut kommentieren, was
des einheitlichen Bewuûtseins das              wir heute über die Evolution unserer
Mindeste gewonnen.ª                            Gehirne und über deren Funktions-
     So Emil Du Bois-Reymond in sei-           weise zu wissen glauben.
nem Vortrag ¹Über die Grenzen des
Naturerkennensª, den er 1872 auf
                                               Ein epistemologisches Caveat
der Tagung der Naturforscher und
¾rzte gehalten hat. Emil Du Bois-Rey-          Bevor ich mich dem Gehirn selbst zu-
mond war Mitglied der Preuûischen              wende, möchte ich ein erkenntnis-
Akademie der Wissenschaften, die               theoretisches Problem ansprechen,
jetzt die Berlin-Brandenburgische              das jemandem, der Hirnforschung be-
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                   treibt, besonders oft und eindringlich   Evolution und Emergenz neuer
                   begegnet. Bei der Erforschung des Ge-    Qualitäten
                   hirns betrachtet sich ein kognitives
                   System im Spiegel seiner selbst. Es      Ich möchte zunächst auf die Evoluti-
                   verschmelzen also Erklärendes und        on unseres kognitiven Organs, des
                   das zu Erklärende. Und es stellt sich    Gehirns, eingehen, dann an einigen
                   die Frage, inwieweit wir überhaupt in    Beispielen verdeutlichen, was wir
                   der Lage sind, das, was uns aus-         heute über die funktionelle Organisa-
                   macht, selbst zu erkennen. Natürlich     tion dieses Organs wissen, und zum
                   ist dies ein Problem, dem sich auch      Schluû noch kurz über die höchsten
                   die anderen Wissenschaften stellen       kognitiven Funktionen des Gehirns
                   müssen, denn erkennbar ist ja nur,       sprechen, die sich im Bewuût-Sein
                   was unser kognitiver Apparat, unser      ausdrücken. Ich schicke voraus, um
                   Gehirn, zu denken und zu erkennen        keine falschen Erwartungen zu wek-
                   vermag. Betrachtet man die evolutio-     ken, daû ich der Überzeugung bin,
                   nären Prozesse, die dieses Organ her-    daû diese höchsten Hervorbringun-
                   vorgebracht haben, drängt sich un-       gen unserer Gehirne, jene, die uns
                   weigerlich der Schluû auf, daû die       die Erfahrung vermitteln, autonome,
                   während der Evolution wirksamen          selbstbestimmte Agenten zu sein,
                   Selektionsmechanismen vermutlich         vermutlich kulturelle Konstrukte und
                   nicht dazu angetan waren, kognitive      deshalb der neurobiologischen Erklä-
                   Strukturen auszubilden, die für die      rung nicht direkt zugänglich sind.
                   Erfassung dessen optimiert sind, was         Bei der Betrachtung der Evolution
                   hinter den Dingen möglicherweise         des Gehirns fasziniert die ungeheue-
                   sich verbirgt. Unser Gehirn ist einzig   re Beständigkeit, mit der frühe Erfin-
                   und allein an den funktionalen Krite-    dungen über Jahrmillionen hinweg
                   rien gemessen worden, den Organis-       konserviert wurden. Nervenstruktu-
                   mus, der es trägt, so lange am Leben     ren, die bereits zu Beginn der Evoluti-
                   zu erhalten, bis dieser sich reprodu-    on von Nervennetzen, also schon von
                   zieren kann ± so zumindest die klas-     Invertebraten entwickelt wurden, fin-
                   sische Auffassung. Unsere kognitiven     den sich nahezu unverändert in den
                   Funktionen sind deshalb an eine ma-      Nervensystemen der spät hinzuge-
                   kroskopische Welt angepaût, und          kommenen Säugetiere wieder. Die
                   nicht an die Welt, in der die Quanten-   charakteristischen Merkmale von
                   mechanik relevant ist, oder an die       Nervenzellen, die Ausbildung von
                   Welt kosmischer Dimensionen. Be-         Dendritenbäumen, über die sie Infor-
                   deutsam ist für uns die Welt, die im     mation von anderen Nervenzellen
                   Zentimeter- bis Meterraum sich ereig-    empfangen, und von Axonen, mit de-
                   net, und vornehmste Aufgabe unse-        nen sie Kontakt zu nachgeschalteten
                   res kognitiven Systems ist es, Regel-    Nervenzellen aufnehmen, diese Pola-
                   haftigkeiten dieser Welt zu begreifen.   risierung in einen Empfänger- und
                   Daher rühren denn auch die Schwie-       Senderbereich, ist seit Jahrmillionen
                   rigkeiten, die wir mit der Vorstellung   unangetastet erhalten geblieben. Un-
                   von Welten haben, die uns Beckwith       verändert geblieben sind auch fast al-
                   und von Klitzing (siehe Beiträge in      le biochemischen Bestandteile dieser
                   diesem Band) vorgestellt haben. Pro-     Zellen. Etwa 90 % der Gene, die in
                   zesse im Bereich von Nanometern          menschlichen Nervenzellen expri-
                   und Lichtjahren sind zwar berechen-      miert sind, finden sich, abgesehen
                   bar, aber sie verwehren die Anschau-     von kleinen, funktionell wenig rele-
                   lichkeit und sind kaum nachempfind-      vanten Modifikationen, auch schon in
                   bar.                                     Nervenzellen von Schnecken. Was an
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diesen Weichtieren über zelluläre Ei-                                                        Abb. 1: Rekonstruk-
genschaften zu lernen ist, läût sich in                                                      tion einer Synapse.
                                                                                             Die gelben Sphären
der Regel direkt auf höhere Säuger                                                           enthalten chemische
und den Menschen übertragen. Kon-                                                            Überträgerstoffe, die
serviert sind erstaunlicherweise auch                                                        bei elektrischer
bis ins Detail die chemischen Über-                                                          Erregung freigesetzt
                                                                                             werden. (Quelle:
trägersubstanzen, über die Nerven-                                                           Archiv des MPI für
zellen miteinander kommunizieren.                                                            Hirnforschung)
Abbildung 1 zeigt eines der synapti-
schen Endknöpfchen, mit dem eine
Nervenzelle über ihr Axon eine nach-
geschaltete Nervenzelle kontaktiert.
Hier wird durch Freisetzung einer
chemischen Überträgersubstanz die
elektrische Aktivität der sendenden
Zelle in ein chemisches Signal umge-
setzt, das dann seinerseits über Re-
zeptoren und gekoppelte Ionenkanäle
in der nachgeschalteten Zelle wieder-
um elektrische Potentiale erzeugt. Es
gibt fast keine Überträgersubstanzen
im Säugetiergehirn, die nicht auch
schon in einfachen Organismen, wie
Insekten und Schnecken zu finden
wären. Konserviert worden ist auch
der allgemeine Bauplan von Gehir-         wendige, aber nicht eine hinreichen-
nen, vor allem der von Chordaten, al-     de Voraussetzung für Komplexität
so jenen Spezies, die über ein Rük-       und Leistung; es kommt auch auf die
kenmark verfügen.                         Verschaltungsweise an. Dennoch gilt,
    Abbildung 2 zeigt den Stamm-          daû all die kognitiven Eigenschaften,
baum von Wirbeltieren mit den ent-        die Säugetiere voneinander und den
sprechenden Gehirnen. Die ¾hnlich-        Menschen von diesen unterscheiden,
keiten sind unverkennbar. Bei allen       einzig und allein auf einer Volumen-
Gehirnen, ob von Fischen, Reptilien       zunahme der Groûhirnrinde beruhen.
oder Säugern, läût sich die gleiche       Abgesehen von diesem quantitativen
Unterteilung in Vorderhirn, Riech-        Unterschied läût sich keine wesentli-
hirn, Zwischenhirn, Mittelhirn, Klein-    che Veränderung im Aufbau der ver-
hirn und Hirnstamm vornehmen. Die-        schiedenen Gehirne ausmachen.
se Unterteilungen ergeben sich auf-           Bei der Groûhirnrinde handelt es
grund der Konnektivität der verschie-     sich um eine etwa 2 mm dünne gefal-
denen Zentren und der regionalen Ex-      tete Schicht von dicht gepackten Ner-
pressionsmuster hirnspezifischer Ge-      venzellen, die gemeinhin als graue
ne. Besonders auffällig sind diese        Substanz bezeichnet wird, im Gegen-
¾hnlichkeiten natürlich zwischen          satz zu der darunter liegenden wei-
den Gehirnen von Säugetieren. Be-
merkenswert ist dabei die enorme
Volumenzunahme der Groûhirnrinde
in den hochentwickelten Gehirnen          Abb. 2 (nächste Doppelseite): Evolution des Gehirns von Wirbeltieren. Die
                                          Farbmarkierungen beziehen sich auf homologe Hirnstrukturen.
von Primaten. Es ist jedoch keines-       (Quelle: Nieuwenhuys, ten Donkelaar, Nicholson: The Central Nervous
wegs so, daû wir Menschen das gröû-       System of Vertebrates, Springer 1998. Abdruck mit freundlicher Ge-
te Gehirn haben; Gröûe ist eine not-      nehmigung des Springer-Verlages, Heidelberg.)
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                          ûen Substanz, die aus Leitungsbah-       er Funktionen. Anders als in tech-
                          nen besteht. In einem Kubikmilli-        nischen Systemen ist im Gehirn kei-
                          meter Hirnrinde drängen sich etwa        ne Trennung zwischen Hard- und
                          vierzigtausend Nervenzellen, die un-     Software möglich. Im Gehirn wird das
                          tereinander aufs innigste in Verbin-     Programm für Funktionsabläufe aus-
                          dung stehen. Eine Nervenzelle kon-       schlieûlich durch die Verschaltungs-
                          taktiert etwa zwanzigtausend andere      muster der Nervenzellen festgelegt.
                          und empfängt von ebenso vielen ihre      Die Netzstruktur ist das Programm.
                          Eingangssignale. Dabei kommunizie-       Die Algorithmen, nach denen die
                          ren sowohl Nervenzellen mitein-          Groûhirnrinde arbeitet, haben sich
                          ander, die in unmittelbarer Nachbar-     somit im Laufe der Evolution kaum
                          schaft angeordnet sind, als auch Zel-    verändert. Es sind lediglich mehr
                          len, die weit entfernt in verschiede-    Areale hinzugekommen. Dies bedeu-
                          nen Hirnstrukturen liegen. Über Ein-     tet, erstens, daû die von der Groûhirn-
                          zelheiten dieser Verbindungsarchi-       rinde erbrachten Verarbeitungslei-
                          tekturen wird noch zu sprechen sein.     stungen sehr allgemeiner Natur sein
                              Die Evolution höherer kognitiver     müssen und, zweitens, daû die Itera-
                          Leistungen scheint also ganz vorwie-     tion von im Prinzip gleichen Prozes-
                          gend auf der Vergröûerung dieses         sen neue, qualitativ verschiedene
                          dünnen Mantels von Hirnrindenzel-        Funktionen hervorbringen kann.
                          len zu beruhen. Bestechend ist dabei,         Wie Abbildung 3 zeigt, läût sich
                          daû diese Struktur im Laufe der Evo-     die Hirnrinde aufgrund anatomischer
                          lution ihre interne Organisation na-     und funktioneller Kriterien in Regio-
                          hezu unverändert beibehalten hat.        nen einteilen. Im parietalen und tem-
                          Die Groûhirnrinde der Maus ist von       poralen Bereich liegen Areale, die
                          der des Menschen kaum zu unter-          sich mit der Verarbeitung visueller
                          scheiden. Dies hat wichtige Implika-     Signale befassen, dazwischen finden
                          tionen hinsichtlich der Evolution neu-   sich Areale, die akustische Aktivität

Abb. 3: Brodmanns
Topologie der Rinden-
areale des mensch-
lichen Gehirns. (Quel-
le: Archiv des MPI für
Hirnforschung.)
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vermitteln, und wenn es sich um die       Das Bindungsproblem
sprachdominante Hirnhälfte handelt,
liegen hier auch Areale, die sich mit
der sensorischen Verarbeitung von         Bis vor kurzem, und wohl schon seit
Sprachmaterial befassen. Ferner gibt      geraumer Zeit, sind Fachleute wie
es Areale, die sich mit der Körper-       Laien gleichermaûen, der Intuition
fühlsphäre auseinandersetzen, also        folgend, davon ausgegangen, daû ir-
mit den Signalen, die von den Rezep-      gendwo im Gehirn ein Konvergenz-
toren im Körper vermittelt werden. In     zentrum existieren müsse, wo alle Si-
frontalen Rindenfeldern werden Be-        gnale, die über die Sinnesorgane ge-
wegungsprogramme erstellt und in          sammelt werden, konvergieren, um
der dominanten Hemisphäre wird            dort einer einheitlichen Interpretati-
hier zusätzlich die Sprachproduktion      on zugeführt zu werden. Es wäre dies
verwaltet. Schlieûlich sind da die        dann auch der Ort, wo Handlungsent-
stammesgeschichtlich relativ rezen-       würfe erarbeitet und Entscheidungen
ten praefrontalen Areale, die für die     gefällt werden; und für die, die duali-
Handlungsplanung und vermutlich           stische Positionen bevorzugen, wäre
auch für die Einbindung in soziale        dies auch der Ort, wo der mit menta-
Gefüge zuständig sind. Hier findet        len Eigenschaften ausgestattete Ho-
sich auch der Kurzzeitspeicher, der       munkulus wirkt, der über alle Hirn-
es uns ermöglicht, Reaktionen auf         funktionen wacht und koordinierend
Reize aufzuschieben und Handlungs-        tätig ist. Aber selbst wer monisti-
entwürfe gegeneinander abzuwägen.         schen Positionen zuneigt, ist ver-
     Das Bestechende an dieser funk-      sucht, wenn er seiner Intuition folgt,
tionellen Unterteilung ist, daû die in-   ein hierarchisches oder pyramidales
terne Struktur der verschiedenen          Ordnungsprinzip zu postulieren ±
Hirnrindenareale praktisch identisch      ganz so, wie es Descartes natürlich
ist, obgleich sie doch offensichtlich     und unvermeidlich schien.
ganz verschiedene Funktionen wahr-            Nun hat uns die moderne Neuro-
nehmen. Nur der Spezialist ist in der     biologie belehrt, daû wir alle, Descar-
Lage, ein histologisches Präparat, das    tes eingeschlossen, irrten, daû die tat-
von der Sehrinde entnommen wurde,         sächliche Organisation des Nerven-
von einem zu unterscheiden, das von       systems auf dramatische Weise ver-
der Sprachregion stammt. Es gibt fei-     schieden ist. Es trifft zwar immer
ne Unterschiede, aber die generelle       noch zu, und ich will dies am Beispiel
Organisation, die Verschaltung, ist       des Sehsystems illustrieren, daû die
nahezu identisch.                         ersten Schritte der Informationsver-
     Dies legt die Schluûfolgerung na-    arbeitung dem seriellen Prinzip fol-
he, daû in der Hirnrinde ein Ver-         gen. Licht wird im Auge durch Photo-
arbeitungsalgorithmus realisiert          rezeptoren in neuronale Aktivität um-
wird, der zur Behandlung unter-           gewandelt, und diese elektrischen Si-
schiedlichster Inhalte taugt und des-     gnale gelangen über Fasersysteme
sen Iteration alleine offenbar zu im-     zum Thalamus und dann zur primä-
mer höheren kognitiven Leistungen         ren Sehrinde. Aber dann beginnt das
führen kann.                              groûe Verwirrspiel. Abbildung 4
     Welches nun sind die Leistungen,     zeigt, wie wir uns heute das Seh-
die in der Hirnrinde erbracht werden,     system von Primaten vorzustellen ha-
oder allgemeiner gefragt, welches         ben. Die verschiedenfarbigen Käst-
sind die grundlegenden Funktions-         chen stehen für Hirnrindenareale, die
prinzipien, nach denen Gehirne orga-      sich alle direkt mit der Verarbeitung
nisiert sind?                             visueller Signale befassen. Bis zur
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Abb. 4: Schaltdia-
gramm des Seh-
systems von Rhesus-
Affen (von B. Desimone
und L. Ungerleider, Er-
läuterungen im Text).

                          primären Sehrinde (V1/A17 in              Programmierung von Greifbewegun-
                          Abb. 4), dem Ort, an dem die sensori-     gen notwendig ist, wird hier auch die
                          sche Aktivität der Augen unter Wah-       Form von Objekten analysiert. Die rot
                          rung topologischer Beziehungen zu-        markierten Areale dagegen, die den
                          nächst repräsentiert wird, ist die Ver-   ventralen Pfad ausmachen, führen
                          arbeitung seriell. Ab dann aber domi-     Rechenoperationen durch, die für die
                          niert das Prinzip der Parallelverarbei-   Objektidentifikation unerläûlich sind.
                          tung. Die Verarbeitungswege ver-          Vergebens sucht man jedoch in die-
                          zweigen sich auf zahlreiche, oft par-     sem Schaltdiagramm nach Konver-
                          allel angeordnete Areale, die fast alle   genzzentren, die am Ende der Ver-
                          reziprok miteinander verbunden            arbeitungswege liegen könnten. Was
                          sind. Auch imponiert die Fülle von        in dem gezeigten Schaltdiagramm als
                          Rückkopplungsbahnen. Es existiert         mögliches Konvergenzzentrum in Er-
                          kaum eine Vorwärtsverbindung, die         scheinung tritt, ist nichts anderes als
                          nicht von einer quantitativ mächtige-     ein Areal, das sich mit der Kontrolle
                          ren Rückwärtsverbindung paralleli-        der Aufmerksamkeit beschäftigt und
                          siert wird. Zudem haben wir inzwi-        dafür sorgt, daû wir unsere Augen
                          schen gelernt, daû in all diesen Area-    und unseren Kopf den interessanten
                          len ganz unterschiedliche Aspekte         Objekten zuwenden, nachdem die
                          der Sehwelt abgearbeitet werden. In       vielen anderen Areale in einem kom-
                          grün gekennzeichneten Arealen, die        petitiven Abstimmungsprozeû ent-
                          den sogenannten dorsalen Verarbei-        schieden haben, was interessant ist.
                          tungsweg darstellen, werden haupt-            Im Einklang mit dieser distributi-
                          sächlich Signale über die Bewegung        ven Organisation des Sehsystems
                          und die Lokalisation von Objekten im      führt schon ein ganz einfacher Wahr-
                          Raum verarbeitet. Soweit es für die       nehmungsvorgang, wie etwa das Er-
Vom Gehirn zur Psyche - Wolf Singer
Vom Gehirn zur Psyche          65

                                                                                    Abb. 5: Darstellung
                                                                                    von Hirnrindenarea-
                                                                                    len, die bei der Be-
                                                                                    trachtung eines ein-
                                                                                    fachen visuellen Rei-
                                                                                    zes aktiv werden. Die-
                                                                                    se Aktivitätskarte wur-
                                                                                    de mit Hilfe der funk-
                                                                                    tionellen Kernspinto-
                                                                                    mographie erstellt (Dr.
                                                                                    R. Goebel, MPI Hirn-
                                                                                    forschung).

kennen eines dreidimensionalen Ob-       to-sensorische System, also das Sy-
jektes, zur gleichzeitigen Aktivierung   stem, das sich mit der Körperfühl-
zahlreicher Hirnrindenareale. Abbil-     sphäre befaût und links das auditori-
dung 5 illustriert das Ergebnis einer    sche System. Zusätzlich eingezeich-
Untersuchung mit der funktionellen       net ist noch ein Teil des limbischen
Kernspintomographie und zeigt die        Systems (oben), das sich mit der Zu-
Aktivitätsverteilungen im Gehirn ei-     ordnung von emotionalen Beiwerten
ner gesunden Versuchsperson wäh-         für die jeweiligen Wahrnehmungs-
rend eines einfachen Wahrneh-            inhalte befaût. Wir können Gesichter
mungsaktes. Die Groûhirnhemisphä-        ja nicht nur identifizieren, sondern
ren sehen hier etwas ungewöhnlich        auch deren Gestimmtheit ablesen
aus, weil hier durch Computerrekon-      und meist lösen Wahrnehmungen
struktion die Hirnrinde geglättet wur-   auch in uns bestimmte Emotionen
de. Die Hemisphären wurden wie ein       aus.
Ballon aufgeblasen, bis die Faltungen         Also selbst dann, wenn man meh-
der Hirnrinde verstrichen waren und      rere Sinnesmodalitäten zusammen-
auch die Bereiche in der Tiefe der       faût und deren Verbindungen unter-
Furchen sichtbar wurden.                 sucht, lassen sich keine Konvergenz-
    Nun könnte man einwenden, daû        zentren identifizieren. Man sieht sich
es vielleicht doch Konvergenzzentren     vielmehr einem hoch distributiv und
geben könnte, wenn man mehrere           parallel organisierten System gegen-
sensorische Modalitäten zusammen         über, das auf auûerordentlich kom-
betrachtet. Doch auch diese Hoffnung     plexe Weise reziprok vernetzt ist.
trügt, wie das Schaltdiagramm in Ab-     Und dies wirft die kritische Frage auf,
bildung 6 zeigt. Hier stehen die         wie diese vielen gleichzeitig ablau-
schwarzen Punkte für Hirnrinden-         fenden Verarbeitungsprozesse so ko-
areale der sensorischen Systeme der      ordiniert werden können, daû eine
Katze, und die farbigen Striche sym-     kohärente Interpretation der Welt
bolisieren die Verbindungen, die zwi-    möglich wird, daû sinnvolle Entschei-
schen den Hirnrindenarealen aus-         dungen getroffen werden können und
gespannt sind. Unten liegt das visuel-   daû gezielte Handlungsentwürfe rea-
le System ± es hat weniger Areale als    lisierbar sind. Es gibt hier keinen
das des Primaten ± rechts das soma-      Agenten, der interpretiert, kontrol-
66          Wolf Singer

Abb. 6: Vernetzungs-
diagramm von Hirn-
rindenarealen des
visuellen, auditori-
schen, somato-
sensorischen und
limbischen Systems
der Katze
(von M. Young).

                          liert und befiehlt. Koordiniertes Ver-     zeugt, wird deutlich, welch immense
                          halten und kohärente Wahrnehmung           Leistung das Sehsystem erbringen
                          müssen als emergente Qualitäten            muû, um die dargestellten Figuren
                          oder Leistungen eines Selbstorganisa-      vom Hintergrund abzugrenzen und
                          tionsprozesses verstanden werden,          als Pferde erkennen zu können.
                          der alle diese eng vernetzten Zentren          Unsere Sehzentren müssen von
                          gleichermaûen einbezieht. Zu klären,       den vielen Konturen und Helligkeits-
                          wie diese Koordination erfolgt, ist ei-    unterschieden jene herausfinden, die
                          ne der groûen Herausforderungen,           konstitutiv für eine bestimmte Figur
                          mit der sich die Neurobiologie im Au-      sind, diese perzeptuell binden und
                          genblick beschäftigt. Wir bezeichnen       dann gemeinsam interpretieren. Es
                          dieses Problem als das Bindungspro-        muû also wieder ein Bindungspro-
                          blem. Ich will hier nicht ins Detail ge-   blem gelöst werden. Würde dieses
                          hen, weil im Max-Planck-Spiegel in         Bindungsproblem falsch gelöst, wür-
                          Heft 4/1998 über dieses Problem aus-       den z. B. die dunklen Flecken der
                          führlich berichtet wurde.                  Pferde als zur Wiese gehörig interpre-
                               Die Struktur von Bindungsproble-      tiert, wäre es natürlich unmöglich,
                          men, die in solch distributiv organi-      die Tiere zu erkennen. Die Segmen-
                          sierten Systemen gelöst werden müs-        tierung muû folglich dem Erken-
                          sen, läût sich auch an scheinbar ein-      nungsprozeû vorausgehen. Erst wenn
                          fachen Wahrnehmungsakten ver-              richtig segmentiert wurde, kann er-
                          anschaulichen. Wenn man die Szene          kannt werden. Dies bedeutet aber,
                          in Abbildung 7 betrachtet und sich         daû der Segmentierungsprozeû sehr
                          dabei vergegenwärtigt, daû sie auf         allgemeinen Regeln folgen muû, die
                          der Netzhaut lediglich eine zweidi-        auf beliebige Szenen gleichermaûen
                          mensionale Helligkeitsverteilung er-       angewandt werden können. Wir ge-
Vom Gehirn zur Psyche         67

                                                                                 Abb. 7: Pferde auf aus-
                                                                                 apernder Wiese. (Zeich-
                                                                                 nung der Künstlerin
                                                                                 Bev Doolittle. Abdruck
                                                                                 mit freundlicher Ge-
                                                                                 nehmigung von ¹The
                                                                                 Greenwich Workshopª,
                                                                                 Shelton, CT/USA.)

hen heute davon aus, daû die Regeln,    Gehirn vorstellen? Wieder ist da das
denen solche Segmentierungsleistun-     klassische Konzept, das unsere For-
gen gehorchen, zum groûen Teil an-      schung über Dekaden hinweg moti-
geboren sind, also auf Wissen beru-     viert hat und das aus methodischen
hen, das im Laufe der Evolution er-     und konzeptionellen Gründen am
worben und in den Genen gespeichert     nächsten lag. Man postulierte hier-
wurde; Wissen über zweckmäûige          archisch aufgebaute Verarbeitungs-
Gruppierungen, das sich in genetisch    strukturen, in denen die Bindung von
determinierten Verschaltungs-           Merkmalen über die Konvergenz von
mustern ausdrückt, die ihrerseits das   anatomischen Bahnen auf spezielle
Programm für die Gruppierungsope-       Bindungsneurone erreicht werden
rationen darstellen. Gruppierungs-      sollte. Und einige Befunde sprachen
regeln können natürlich auch gelernt    auch für diese Annahme. In der Peri-
werden, und dies dürfte vor allem für   pherie des Systems dominieren Ner-
solche zutreffen, die auf komplexen     venzellen, die selektiv auf elementare
Gestaltkriterien beruhen. Auch dieses   Merkmale ansprechen, senkrechte
durch Erfahrung erworbene Wissen        oder horizontale Konturen, einfache
muû aber letztlich über ¾nderungen      Texturen und Farbkontraste. Hubel
der funktionellen Koppelung von Neu-    und Wiesel wurden mit dem Nobel-
ronen abgespeichert werden.             preis bedacht, nachdem sie vor inzwi-
    Wie sollen wir uns die Realisie-    schen fast 30 Jahren entdeckt hatten,
rung solcher Bindungsoperationen im     daû Nervenzellen in der primären
68          Wolf Singer

                          Sehrinde, also auf einer sehr frühen      der Sehwelt reagieren. Doch die Su-
                          Verarbeitungsstufe, selektiv auf die      che war vergebens. Es fanden sich
                          Orientierung von Lichtbalken anspre-      keine Nervenzellen, die selektiv
                          chen. Wenn ein Lichtbalken gering-        durch reale Objekte wie Bananen
                          fügig von der Vorzugsorientierung         oder Bäume aktiviert wurden. Theo-
                          des rezeptiven Feldes abweicht, ver-      retiker hatten überdies darauf hinge-
                          stummt die Zelle. Diese Beobachtung       wiesen, daû dies auch nicht zu erwar-
                          legte nahe, daû die Zellen als Merk-      ten sei. Computerwissenschaftler hat-
                          malsdetektoren arbeiten und die Ori-      ten versucht, auf der Basis solcher
                          entierung einer Kante signalisieren.      konvergenter Architekturen muster-
                          Folgerichtig haben sich die Neuro-        erkennende Maschinen zu entwik-
                          physiologen dann zu höheren Ver-          keln, und muûten erkennen, daû
                          arbeitungsstrukturen vorangetastet.       Merkmalsbindung über Konvergenz
                          Abbildung 8 zeigt, was sie dort ent-      alleine nicht zu realisieren ist. Wir
                          deckten. Hier sind die Reize abgebil-     können bekannte Objekte auch dann
                          det, die Neuronen auf einer höheren       wiedererkennen, wenn sie im Raum
                          Verarbeitungsstufe bevorzugen. Da-        gedreht sind. Dies führt jedesmal zu
                          bei handelt es sich um Zellen in ei-      völlig anderen Merkmalskonstellatio-
                          nem Areal, das zum ventralen Pfad         nen. Man bräuchte also für jedes Ob-
                          gehört, dem Verarbeitungsweg, dem         jekt einen ganzen Satz von Bindungs-
                          die Objektidentifikation obliegt. Weil    neuronen, die sich auf die verschiede-
                          diese Nervenzellen bereits auf recht      nen Ansichten eines bestimmten Ob-
                          komplexe Konstellationen von Merk-        jekts spezialisiert haben. Es bedürfte
                          malen ansprechen, stand zu erwar-         also einer viel zu groûen Zahl von
                          ten, daû sich schlieûlich Zellen finden   Nervenzellen, wollte man für jedes
                          würden, die selektiv auf reale Objekte    erkennbare und unterscheidbare Ob-

Abb. 8: Muster, auf die
Neuronen in höheren
Hirnrindenarealen des
Sehsystems bevorzugt
ansprechen
(nach K. Tanaka).
Vom Gehirn zur Psyche   69

jekt Bindungsneurone einrichten.          Hinweise die Hypothese, daû Neuro-
Ferner bräuchte man ein riesiges Re-      nen in der Hirnrinde, die sich mit der
servoir von nicht festgelegten Neuro-     Repräsentation des gleichen Objekts
nen, um dem Umstand Rechnung zu           befassen, sich dadurch als zusam-
tragen, daû wir neue Objekte sofort       mengehörig zu erkennen geben, daû
repräsentieren können, sobald wir sie     sie ihre Aktivität synchronisieren.
gesehen haben.                            Die Signatur eines Ensembles wäre
    Es wurden deshalb andere Hypo-        demnach die zeitliche Kohärenz der
thesen erdacht. Eine, die derzeit favo-   Aktivität der jeweils teilhabenden
risiert wird und auch experimentel-       Neuronen. Die zeitliche Auflösung,
len Überprüfungen zugänglich ist,         mit der diese Signatur definiert wird,
geht davon aus, daû die Repräsentati-     liegt dabei im Bereich von Milli-
on von Inhalten nicht über einzelne       sekunden. Entsprechend hoch ist die
hochspezialisierte Nervenzellen er-       Taktfrequenz, mit der verschiedene
folgt, sondern über ganze Ensembles       Ensembles aufeinander folgen kön-
von Nervenzellen, die über groûe Be-      nen. Experimentelle Befunde legen
reiche der Groûhirnrinde verteilt sein    nahe, daû die Synchronisationspro-
können und sich ad hoc aufgrund der       zesse auf der Basis von Oszillationen
vorhandenen Kopplungen zusam-             im 40 Hz-Bereich erfolgen.
menschlieûen. Jede einzelne dieser
Zellen würde dann nur Teilmerkmale
eines bestimmten kognitiven Objek-        Von Repräsentationen zum
tes repräsentieren. In ihrer Gesamt-      Bewuûtsein
heit aber wären die Antworten der
Zellen, die sich an einem Ensemble        Ich will der faszinierenden Frage
beteiligen, die nicht weiter reduzier-    nach dem neuronalen Code von Ob-
bare Beschreibung eines bestimmten        jektrepräsentationen nicht weiter
Inhaltes. Der groûe Vorteil dieser Re-    nachgehen, sondern mich wieder
präsentationsstrategie ist natürlich,     dem eingangs von Du Bois-Reymond
daû die gleiche Nervenzelle zu ver-       angesprochenen Problem zuwenden.
schiedenen Zeitpunkten benutzt wer-       Wie kommt es, daû wir nicht nur das
den kann, um ganz verschiedene In-        in unserem Gehirn repräsentieren
halte mit zu repräsentieren, indem        können, was in der Umwelt vorhan-
sie einfach in verschiedene Ensem-        den ist, sondern daû wir uns dessen
bles eingebunden wird. Eine Zelle,        auch bewuût sein können, daû wir
die auf vertikale Konturen anspricht,     uns gewahr sind, Wahrnehmungen
kann dann für die Kodierung aller         und Empfindungen zu haben? ± ein
Objekte benutzt werden, die vertikale     Phänomen, das die Angelsachsen als
Konturen enthalten usw. Dies löst je-     phenomenal awareness ansprechen.
doch noch nicht das Bindungspro-              Voraussetzung für diese Fähig-
blem. In der Regel sind sehr viele        keit ist, daû es im Gehirn kognitive
Nervenzellen gleichzeitig aktiv und       Strukturen gibt, die die Repräsentati-
es muû für die nachfolgenden Ver-         on des Drauûen noch einmal reflek-
arbeitungsstrukturen geklärt werden,      tieren, noch einmal auf die gleiche
welche Zellen jeweils zu einem be-        Weise verarbeiten wie die peripheren
stimmten Ensemble gehören und ge-         Areale die sensorischen Signale aus
meinsam einen bestimmten Inhalt           der Umwelt und dem Körper. Die
kodieren. Für die Lösung dieses Bin-      Funktion des ¹inneren Augesª läût
dungsproblems wurden verschiedene         sich denken als die Iteration, als die
Mechanismen vorgeschlagen. Wir fa-        wiederholte Anwendung auf sich
vorisieren aufgrund experimenteller       selbst, der gleichen kognitiven Opera-
70            Wolf Singer

                             tionen, die den unreflektierten Pri-      die dies vermögen, können Reaktio-
                             märrepräsentationen des Drauûen zu        nen auf Reize zurückstellen und
                             Grunde liegen.                            Handlungsentscheidungen abwägen,
                                 Nun gibt es tatsächlich Hinweise,     sie können interne Modelle aufbauen
                             daû die in der Evolution später hin-      und den erwarteten Erfolg von Aktio-
                             zugetretenen Hirnrindenareale ihre        nen an diesen messen. Sie können
                             Eingangssignale nicht mehr direkt         mit den Inhalten der Metarepräsenta-
                             von den Sinnesorganen beziehen, son-      tionen spielen und prüfen, was die
                             dern von den bereits vorhandenen          Konsequenzen bestimmter Reaktio-
                             stammesgeschichtlich älteren Area-        nen wären. Die Möglichkeit, Metare-
                             len, die ihrerseits mit den Sinnesorga-   präsentationen aufzubauen, befähigt
                             nen verbunden sind. Die neuen Areale      zu umsichtigem Handeln und erlaubt
                             scheinen die Signale, die sie von den     damit, Gefahren präventiv aus dem
                             alten, von den primären Arealen be-       Weg zu gehen. Wie bedeutend die
                             kommen, auf die gleiche Weise zu ver-     Rolle dieser internen Mustererzeu-
                             arbeiten wie letztere die Signale, die    gung, dieser internen Modellbildung
                             sie von den Sinnesorganen erhalten.       ist, läût sich mit der funktionellen
                             So lassen sich durch Iteration der im-    Kernspintomographie demonstrieren.
                             mer gleichen Repräsentationsprozes-       Abbildung 9 illustriert, welche Hirn-
                             se Metarepräsentationen aufbauen ±        rindenareale aktiviert werden, wenn
                             Repräsentationen von Repräsentatio-       man sich etwas vorstellt. Zwei Bedin-
                             nen ± die hirninterne Prozesse abbil-     gungen wurden verglichen: In einem
                             den anstatt die Welt drauûen.             Fall sah die Versuchsperson eine ro-
                                 Metarepräsentationen aufbauen         tierende Scheibe, im anderen hatte
                             zu können, bringt Vorteile. Gehirne,      sie die Augen geschlossen und stellte

Abb. 9: Vergleich der
Aktivierungsmuster
der Hirnrinde bei visu-
eller Wahrnehmung
und der Vorstellung
desselben Musters.
Rot: Areale, die nur bei
der Wahrnehmung rea-
ler Objekte aktiv wer-
den. Orange und gelb:
Areale, die sowohl bei
der Wahrnehmung als
auch bei der bloûen
Vorstellung aktiv wer-
den. Grün: Areale, die
nur bei der Vorstellung
aktiv werden. (Weitere
Erläuterungen im Text,
aus Goebel et al., Eur. J.
Neurosci. 10, 1563±
1573 (1998).)
Vom Gehirn zur Psyche         71

sich die Scheibe nur vor. Ein robustes         Unter bestimmten pathologischen
Ergebnis solcher Untersuchungen ist,       Bedingungen, z. B. bei Halluzinatio-
daû eine Vielzahl von Arealen in glei-     nen, werden diese intern generierten
cher Weise aktiv werden, unabhängig        Aktivitätsmuster als von drauûen
davon, ob die Muster tatsächlich ge-       kommend wahrgenommen. In sol-
sehen oder nur vorgestellt werden.         chen Fällen ändern sich dann die
Insbesondere die höheren Areale, al-       Verteilungsmuster. Das Beispiel in
so jene, denen die Erstellung von Me-      Abbildung 10 zeigt das Ergebnis ei-
tarepräsentationen obliegt, werden         ner Messung mit der funktionellen
auch aktiv, wenn sich die Probanden        Kernspintomographie bei einem schi-
bestimmte Inhalte nur vorstellen ±         zophrenen Patienten, der verbale Hal-
und diese interne Aktivierung ist mo-      luzinationen hatte. Dieser Patient ver-
dalitätsspezifisch. Bei visuellen Vor-     nahm zu genau angebbaren Zeit-
stellungen werden visuelle Areale ak-      punkten eine Stimme, die von einem
tiv und beim stummen Sprechen die          realen Sprecher zu kommen schien
Sprachareale. Aber es gibt auch Area-      und Schmähreden hielt. Diese Be-
le, die nur bei der Vorstellung aktiv      schimpfungen wurden als sehr unan-
werden und nicht bei der Wahrneh-          genehm empfunden und führten zur
mung realer Inhalte. Diesen Arealen        Aktivierung von Zentren im limbi-
fällt die Aufgabe zu, die Aktivität in     schen System (den Mandelkernen),
den spezifischen Arealen zu orche-         von denen bekannt ist, daû sie bei ne-
strieren, in denen die zur Vorstellung     gativen Empfindungen aktiviert wer-
erforderlichen Repräsentationen ge-        den. Hier also erzeugt sich das Ge-
speichert liegen. Schlieûlich fallen ei-   hirn Erregungsmuster, die als real er-
nige Areale auf, die tatsächlich nur       lebt und entsprechend emotional be-
bei der Wahrnehmung realer Inhalte         wertet werden. Anders als beim Ge-
aktiviert werden. Es sind dies die         sunden, der sich etwas vorstellt oder
phylogenetisch alten, primären, sen-       stumme Sprache spricht, werden bei
sorischen Areale, die ihre Eingangs-       halluzinierenden Patienten jedoch
signale vorwiegend von den Sinnes-         auch die primären Sinnesareale mit
organen beziehen.                          aktiviert. Bei akustischen Halluzina-
                                                                                     Abb. 10: Räumliche
                                                                                     und zeitliche Vertei-
                                                                                     lung von Aktivitäts-
                                                                                     mustern in der Hirn-
                                                                                     rinde eines halluzinie-
                                                                                     renden Patienten wäh-
                                                                                     rend Halluzinationen
                                                                                     (obere Diagramme)
                                                                                     und während akusti-
                                                                                     scher Reizung (untere
                                                                                     Diagramme). Die Kur-
                                                                                     ven stellen Aktivitäts-
                                                                                     schwankungen in der
                                                                                     primären Hörrinde (in
                                                                                     den Hirnschnitten far-
                                                                                     big markiert) dar, und
                                                                                     zwar bei Halluzinatio-
                                                                                     nen (oberes Diagramm,
                                                                                     schattierte Episoden)
                                                                                     und bei akustischer
                                                                                     Reizung (unteres Dia-
                                                                                     gramm). (Aus Dierks
                                                                                     et al., Neuron 22, 615±
                                                                                     621 (1999).)
72   Wolf Singer

                   tionen betrifft dies die primäre Hör-         Somit erscheint, zumindest im
                   rinde in der Heschelschen Querwin-        Prinzip, nachvollziehbar, wie die
                   dung der linken sprachdominanten          Funktion des inneren Auges neuronal
                   Hemisphäre. Jedesmal, wenn der hal-       realisiert sein kann, wie das Sich-Ge-
                   luzinierte Sprecher spricht, und die      wahr-Werden seiner eigenen Wahr-
                   Patienten können das genau ange-          nehmungen und Empfindungen über
                   ben, läût sich eine Zunahme der Hirn-     die Etablierung von Metarepräsenta-
                   aktivität messen, hier indirekt er-       tionen erreicht werden kann, ohne
                   schlossen über die Zunahme der            daû es ontologischer Diskontinuität
                   Durchblutung in den entsprechenden        in der Evolution bedarf. Offenbar ge-
                   Arealen. Die Aktivierung des primä-       nügt es zum Aufbau von Metareprä-
                   ren sensorischen Areals erfolgt ver-      sentationen, Areale hinzuzufügen,
                   mutlich über Rückkopplungsschlei-         die auf hirninterne Prozesse genauso
                   fen, die von höheren Hirnrindenarea-      ¹schauenª wie die bereits vorhande-
                   len kommen. Wenn dieses primäre           nen Areale auf die Peripherie.
                   Areal in der sprachkompetenten He-
                   misphäre mitaktiviert wird, werden
                   die selbsterzeugten Erregungsmuster       Das Subjekt als kulturelles
                   offenbar so wahrgenommen, als kä-         Konstrukt
                   men sie von drauûen. Werden diese
                   primären Areale nicht mitaktiviert,       Zum Schluû nun will ich mich noch
                   wie es bei Gesunden der Fall ist,         kurz einer der schwierigsten Fragen
                   wenn sie stumme Sprache sprechen,         zuwenden, die gegenwärtig im Grenz-
                   bleibt die Wahrnehmung des Gespro-        gebiet zwischen Neurobiologie und
                   chenen als selbst Erzeugtes erhalten.     Philosophie verhandelt werden ± der
                       Diese Beispiele sollten deutlich      Frage, ob wir innerhalb neurobiologi-
                   machen, wie groû bei Wahrnehmungs-        scher Beschreibungssysteme ange-
                   prozessen der Anteil selbstgenerierter    ben können, wie unsere Selbstkon-
                   Aktivität sein kann. Es bestätigt dies    zepte entstehen, unser Ichbewuût-
                   auf eindrucksvolle Weise, was wahr-       sein und unsere Erfahrung, ein auto-
                   nehmungsphysiologische Unter-             nomes Agens zu sein, das frei ist zu
                   suchungen nahelegen: daû Wahrneh-         entscheiden. Es geht um die Frage,
                   mung nicht als passive Abbildung von      wie es möglich ist, daû unser Ich, das
                   Wirklichkeit verstanden werden darf,      wir als eine mentale Entität erleben,
                   sondern als das Ergebnis eines auûer-     losgelöst von allen materiellen Bin-
                   ordentlich aktiven, konstruktivisti-      dungen, etwas beschlieûen kann, das
                   schen Prozesses gesehen werden muû,       dann, um ausgeführt zu werden, in
                   bei dem das Gehirn die Initiative hat.    neuronale Aktivität übersetzt werden
                   Das Gehirn bildet ständig Hypothesen      muû. Behandelt werden soll also die
                   darüber, wie die Welt sein sollte, und    Frage nach unserem Selbstbewuût-
                   vergleicht die Signale von den Sinnes-    sein, nach unserer Erfahrung, ein au-
                   organen mit diesen Hypothesen. Fin-       tonomes freies Ich zu sein.
                   den sich die Voraussagen bestätigt, er-       Nach meinem Dafürhalten läût
                   folgt die Wahrnehmung nach sehr kur-      sich diese Frage nicht mehr allein in-
                   zen Verarbeitungszeiten. Treffen sie      nerhalb neurobiologischer Beschrei-
                   nicht zu, muû das Gehirn seine Hypo-      bungssysteme fassen, da diese sich
                   thesen korrigieren, was die Reaktions-    ausschlieûlich an der naturwissen-
                   zeiten verlängert. In den meisten Fäl-    schaftlichen Analyse einzelner Gehir-
                   len dürfte sich der Wahrnehmungsakt       ne orientieren, die Ich-Erfahrung
                   jedoch auf das Bestätigen bereits for-    bzw. die subjektiven Konnotationen
                   mulierter Hypothesen beschränken.         von Bewuûtsein jedoch kulturelle
Vom Gehirn zur Psyche   73

Konstrukte sind, soziale Zuschrei-       reits in der frühen Kindheit und er-
bungen, die dem Dialog zwischen Ge-      laubt erste Ich-Identifikationen schon
hirnen erwuchsen und deshalb aus         nach den ersten paar Lebensjahren.
der Betrachtung einzelner Gehirne        Dieser frühe Dialog zwischen Bezugs-
nicht erklärbar sind. Die Hypothese,     person und Kind vermittelt diesem in
die ich diskutieren möchte, ist, daû     sehr prägnanter und asymetrischer
das Konstrukt des autonomen, sub-        Weise die Erfahrung, offenbar ein au-
jektiven Ichs nur hat entstehen kön-     tonomes, frei agierendes, verantwort-
nen, weil die Evolution Gehirne her-     liches Selbst zu sein, hört es doch oh-
vorbrachte, die zwei Eigenschaften       ne Unterlaû: ¹Tu nicht dies, sondern
aufweisen: Erstens, ein inneres Auge     tu das, laû das, sonst Ъ, oder ¹Mach
zu haben, also über die Möglichkeit      das, andernfalls ±!ª Diese Hinweise
zu verfügen, Protokoll zu führen über    sind in idealer Weise dazu angetan,
hirninterne Prozesse, diese in Meta-     dem Kind klar zu machen, daû es of-
repräsentationen zu fassen und deren     fensichtlich frei ist, nicht dies, aber
Inhalt über Gestik, Mimik und Spra-      das zu tun, und daû es für seine Ent-
che anderen Gehirnen mitzuteilen;        scheidung zur Verantwortung gezo-
und, zweitens, die Fähigkeit, mentale    gen, belohnt oder bestraft werden
Modelle von den Zuständen der je an-     kann. Wichtig für mein Argument ist
deren Gehirne zu erstellen, eine         nun, daû dieser frühe Lernprozeû in
¹theory of mindª aufzubauen, wie die     einer Phase sich ereignet, in dem die
Angelsachsen sagen. Diese Fähigkeit      Kinder noch kein episodisches Ge-
ist dem Menschen vorbehalten und         dächtnis aufbauen können. Wir erin-
fehlt dem Tier. Allenfalls Schimpan-     nern uns nicht an die ersten zwei bis
sen haben eine begrenzte Möglich-        drei Lebensjahre, weil in dieser frü-
keit, sich vorzustellen, was im ande-    hen Entwicklungsphase die Hirn-
ren vorgeht, wenn er bestimmten Si-      strukturen noch nicht ausgebildet
tuationen ausgesetzt ist. Wir Men-       sind, die zum Aufbau eines episo-
schen können dies in hervorragender      dischen Gedächtnisses erforderlich
Weise und sind deshalb in der Lage,      sind. Es geht dabei um das Ver-
in einen Dialog einzutreten der Art      mögen, Erlebtes in raum-zeitliche Be-
¹ich weiû, daû du weiût, wie ich füh-    züge einzubetten und den gesamten
leª oder ¹ich weiû, daû du weiût, daû    Kontext zu erinnern. Zwar kann auch
ich weiû, wie du fühlstª usw. Inter-     ohne episodisches Gedächtnis gelernt
aktionen dieser Art führen also zu ei-   werden, es fehlt aber dann die kon-
ner iterativen wechselseitigen Be-       textuelle Einbettung des Gelernten:
spiegelung im je anderen. Diese Re-      Man weiû das Gelernte, spürt das Er-
flexion wiederum ist, wie ich glaube,    fahrene, aber weiû nicht, woher das
die Voraussetzung dafür, daû der In-     Wissen, woher die Erfahrung kommt.
dividuationsprozeû einsetzen kann,       Was Kleinkinder wissen, wissen sie
daû die Erfahrung, ein Selbst zu sein,   an sich. Fragt man sie, woher sie dies
das autonom und frei agieren kann,       oder jenes wissen, dann werden sie
überhaupt möglich wird.                  sagen, dies sei halt so, selbst wenn
     Warum nun erscheinen uns die        ihnen das Abgefragte erst vor kurzem
subjektiven Konnotationen von Be-        beigebracht wurde. Diese frühkindli-
wuûtsein von so ganz anderer Art als     che Amnesie scheint mir dafür ver-
die üblichen Erfahrungen? Ich ver-       antwortlich, daû die subjektiven Kon-
mute, daû dies eine entwicklungspsy-     notationen von Bewuûtsein für uns
chologische Begründung hat. Der Dia-     eine ganz andere Qualität haben als
log, der den Individuationsprozeû        die Erfahrungen mit anderen sozialen
erst möglich macht, vollzieht sich be-   Konstrukten. Vielleicht erleben wir
74   Wolf Singer

                   diese Aspekte unseres Selbst deshalb     jektive Freiheit, weil die je nächste
                   auf so eigentümliche Weise als von       Handlung, der je nächste Zustand des
                   ganz anderer Qualität, als aus Be-       Gehirns immer determiniert wäre
                   kanntem nicht herleitbar, weil die Er-   durch das je unmittelbar Voraus-
                   fahrung, so zu sein, in einer Entwick-   gegangene. Variationen wären allen-
                   lungsphase installiert worden ist, an    falls denkbar als Folge zufälliger
                   die wir uns nicht erinnern können.       Fluktuationen. Innerhalb neurobiolo-
                   Wir haben an den Verursachungspro-       gischer Beschreibungssysteme wäre
                   zeû keine Erinnerung. Und deshalb        das, was wir als freie Entscheidung
                   erscheinen uns die subjektiven           erfahren, nichts anderes als eine
                   Aspekte von Bewuûtsein als immer         nachträgliche Begründung von Zu-
                   schon dagewesen, als von aller Ge-       standsänderungen, die ohnehin er-
                   bundenheit losgelöst, als alles Mate-    folgt wären, deren tatsächliche Ver-
                   rielle transzendierende Entitäten, die   ursachungen für uns aber in der Re-
                   jeder Verursachung entzogen sind         gel nicht in ihrer Gesamtheit faûbar
                   und jedem reduktionistischen Erklä-      sind. Nur ein Bruchteil der im Gehirn
                   rungsansatz trotzen.                     ständig ablaufenden Prozesse ist für
                        Aus neurobiologischer Sicht liegt   das innere Auge sichtbar und gelangt
                   somit der Schluû nahe, daû auch die      ins Bewuûtsein. Unsere Handlungs-
                   höheren Konnotationen von Bewuût-        begründungen können folglich nur
                   sein, die wir mit unseren Konzepten      unvollständig sein und müssen a
                   von Freiheit, Identität und Verant-      posteriori-Erklärungen miteinschlie-
                   wortlichkeit verbinden, Produkt eines    ûen.
                   evolutionären Prozesses sind, der zu-         Hier also haben wir ein weiteres
                   nächst Gehirne hervorgebracht hat,       Beispiel dafür ± die moderne Physik
                   die in der Lage waren, eine Theorie      hält weitere bereit ± daû naturwissen-
                   des Geistes zu erstellen, mentale Mo-    schaftliche Erklärungsmodelle mit
                   delle der Befindlichkeit des je ande-    subjektiven Erfahrungen und auf In-
                   ren zu entwerfen. Dies und die Her-      tuition beruhenden Überzeugungen
                   ausbildung differenzierter Sprachen      in krassem Widerspruch stehen kön-
                   ermöglichte die Entwicklung von          nen. Die Rezeptionsgeschichte der
                   Kommunikationsprozessen, die             heliozentrischen Kosmologielehre
                   schlieûlich zur Evolution mensch-        und der Darwinschen Evolutionstheo-
                   licher Kulturen führte und zur Emer-     rie legen nahe, daû sich schlieûlich
                   genz der nur den Menschen eigenen        die naturwissenschaftlichen Be-
                   subjektiven Aspekte von Bewuûtsein.      schreibungen gegen Überzeugungen
                   Wenn dem so ist, wenn also die sub-      durchsetzen, die auf unmittelbarer
                   jektiven Konnotationen von Bewuût-       Wirklichkeitserfahrung beruhen und
                   sein Zuschreibungen sind, die auf        daû wir uns letztlich an die neuen
                   Dialogen zwischen sich wechselseitig     Sichtweisen gewöhnen. Ob dies auch
                   spiegelnden Menschen gründen,            der Fall sein wird für Erkenntnisse,
                   dann ist zu erwarten, daû die Selbst-    die unser Selbstverständnis noch
                   erfahrung von Menschen kulturspezi-      nachhaltiger verändern als die vor-
                   fische Unterschiede aufweist. Auch       angegangenen wissenschaftlichen
                   kann nicht ausgeschlossen werden,        Revolutionen, muû die Zukunft beant-
                   daû bestimmte Inhalte dieser Selbst-     worten. Unaufschiebbar werden je-
                   erfahrung, z. B. die Überzeugung, frei   doch schon jetzt Überlegungen über
                   entscheiden zu können, illusionäre       die Beurteilung von Fehlverhalten,
                   Komponenten haben. Im Bezugs-            über unsere Zuschreibungen von
                   system neurobiologischer Beschrei-       Schuld und unsere Begründungen
                   bungen gibt es keinen Raum für sub-      von Strafe.
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