Aufwachsen in Brandenburg - Beispiele von Selbstorganisierung und Unterstützung von jungen Geflüchteten
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Aufwachsen in Brandenburg Beispiele von Selbstorganisierung und Unterstützung von jungen Geflüchteten
IMPRESSUM HERAUSGEBER Förderverein des Brandenburgischen Flüchtlingsrates e.V. Rudolf-Breitscheid-Str. 164 14482 Potsdam Tel.: 0331 – 716 499 info@fluechtlingsrat-brandenburg.de www.fluechtlingsrat-brandenburg.de PROJEKTMITARBEITERINNEN Ivana Domazet, Lotta Schwedler REDAKTION Lotta Schwedler (ViSdP) ZEICHNUNGEN Elwin Chalabianlou Veijeh (mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus) FOTOS Wenn nich anders angegeben: privat GESTALTUNG UND PRODUKTION TEKTEK | Tünya Özdemir | www.tektek.de BERLIN, AUGUST 2018 Die Inhalte der vorliegenden Broschüre dürfen vollständig oder in Teilen verwendet, kopiert und weitergeleitet werden, sofern der Urheber in allen Kopien genannt wird. Das Projekt MentorInnen für Flüchtlingskinder – Begleitung der Integration von Flüchtlingskindern wurde gefördert von Aktion Mensch, Terre des hommes, der Heidehof Stiftung, der Freudenberg Stiftung und der F.C. Flick Stiftung. SPENDENKONTO Förderverein des Brandenburgischen Flüchtlingsrates e.V. Mittelbrandenburgische Sparkasse Potsdam IBAN.: DE33 1605 0000 3501 0100 00 BIC: WELADED1PMB WWW.FLUECHTLINGSRAT-BRANDENBURG.DE 2
„Das Wichtigste ist, dass man den Kindern und Jugendlichen zuhört und sie nach ihren Wünschen fragt und sie dementsprechend unterstützt.“ Elisabeth Helm, Mentorin bei TASK 3
Inhalt 5 Vorwort Teilhabe an Kita und Schule: Drei Jahre TASK – Beratung, Vernetzung und Fortbildung von Mentor*innen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen Lotta Schwedler 6 Einleitung Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Land Brandenburg Lotta Schwedler 11 Als Gruppe finden wir gemeinsam unseren Weg Ein Gespräch mit Jibran Khalil, Mentor des Projektes TASK, Mohamed, Hafizulah, Arif und Saad 17 Im Heim habe ich viele Abschiebungen gesehen Ein Gespräch mit Elisabeth Helm, Mentorin des Projektes TASK, und der zwölfjährigen Khava 22 Verbindliche Netzwerke sind für eine Unterstützung von jungen Geflüchteten wichtig Ein Gespräch mit Christiane Goldschmidt, Mitarbeiterin beim Jugendmigrationsdienst Barnim-Oberhavel 25 Rassismuserfahrungen von geflüchteten Jugendlichen in der Schule Ibrahim Mohamad 28 Die Auswirkungen von Rassismus und Gewalt auf das Leben junger Geflüchteter im Land Brandenburg – Das Beispiel Jüterbog Hannes Püschel, Opferperspektive e.V. 4
Vorwort Teilhabe an Kita und Schule: Drei Jahre TASK – Beratung, Vernetzung und Fortbildung von Mentor*innen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen Die vorliegende Broschüre ist im Rahmen des Mentor*innen-Projektes TASK – Teilhabe an Kita und Schule des Flüchtlingsrats Brandenburg entstanden. Von September 2015 bis August 2018 konnte ein Netzwerk von Mentor*innen und anderen Eh- renamtlichen aufgebaut werden, lange und Bedarfe von geflüchteten dungsträger*innen auf Landes- und das geflüchtete Kinder und Jugend- Kindern in Brandenburg. Mit lokalen kommunaler Ebene bedarf, um Teil- liche in ihrem Alltag begleitet und Informationsveranstaltungen sowie habe zu ermöglichen und Ungleich- unterstützt. Ziel des Netzwerkes ist durch Lobby- und Öffentlichkeitsar- heiten abzubauen. Gleichzeitig zeigen es, Bedingungen zu schaffen, die ge- beit konnte hier ein Dialog angeregt die Beiträge, wie viel Stärke und Moti- flüchteten Kindern und Jugendlichen werden, der über das Projekt hinaus- vation gemeinsam freigesetzt werden Chancen auf eine kindgerechte Ent- reicht. kann, um an der Basis durch solida- wicklung bieten. Dies schließt ein risches Handeln Unterstützung zu leis- kindgerechtes Wohnumfeld, einen Die Broschüre stellt ein Blitzlicht auf ten und so Veränderungen herbeizu- diskriminierungsfreien Zugang zu die Themen dar, die viele geflüchtete führen. Dies ist von großer Bedeutung Kindergarten, Schule und staatlichen Kinder und Jugendliche in Branden- für ein gesundes Aufwachsen und ein Hilfsangeboten sowie eine ausrei- burg beschäftigen. Sie gibt einen Ein- Ankommen geflüchteter Kinder. chende Gesundheitsversorgung mit blick in die Projektarbeit der vergan- ein. Die begleiteten Mentor*innen genen drei Jahre. Die Interviews mit Wir danken allen Mentor*innen für sind zu kompetenten und engagier- Mentor*innen, geflüchteten Kindern ihr unermüdliches Engagement der ten Ansprechpartner*innen für die und Jugendlichen und Fachkräften letzten Jahre und allen Kindern und Fragen und Probleme der Kinder und sowie die begleitenden Artikel zeigen Jugendlichen, mit denen wir im Rah- Jugendlichen, aber auch ihrer Eltern eindrücklich, welchen Formen von men des Projektes zusammenarbeiten geworden. Durch Beratung, Fortbil- (struktureller) Diskriminierung He- durften. Einige ihrer Perspektiven dung und Vernetzungsveranstaltun- ranwachsende mit Fluchterfahrung finden sich in dieser Broschüre wie- gen wurden sie vom Flüchtlingsrat ausgesetzt sind. Sie machen deutlich, der. Außerdem bedanken wir uns bei dabei unterstützt. Ein weiteres An- dass es vor allem im Bereich Unter- den Fördermittelgebern für die Un- liegen war die Sensibilisierung von bringung, Gesundheit und Bildung terstützung des Projektes. Fachkräften und politischen Ent- klarer politischer Positionen, Kon- scheidungsträger*innen für die Be- zepte und Visionen von Entschei- Lotta Schwedler, Projektleitung 5
Einleitung Geflüchtete Kinder und Jugendliche im Land Brandenburg Lotta Schwedler 2017 lebten im Land Brandenburg 10.885 minderjährige Ge- Kinder und ihre Familien werden nach ihrer Ankunft in flüchtete1. Damit waren rund 30 Prozent aller Geflüchteten oder ihrer Verteilung nach Brandenburg zunächst in einer in Brandenburg unter 18 Jahre alt und 51 Prozent unter 25 Einrichtung der Erstaufnahme untergebracht. Im Lauf des Jahre. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stellen die Jahres 2016 wurden dort 3.421 begleitete Minderjährige re- weit größte Gruppe der Geflüchteten im Bundesland dar. gistriert, 2017 waren es 1.107. 3 Kindern und Jugendlichen steht in den isolierten Lagern nur medizinische Notversor- Jedes Kind – unabhängig davon, ob es mit seinen Eltern gung zu, immer wieder wird der Auszug von Minderjähri- oder ohne diese nach Deutschland eingereist ist – genießt gen mit zum Teil schweren körperlichen und psychischen nach der UN-Kinderrechtskonvention dieselben Rechte wie Erkrankungen aus der Erstaufnahme trotz medizinischer alle anderen Minderjährigen. Außerdem gelten nach der Gutachten nicht gestattet. Sie verbleiben zum Teil weit über EU-Aufnahmerichtlinie geflüchtete Kinder und Jugendliche die maximal zulässigen sechs Monate hinaus in der Erst- als besonders schutzbedürftig. Ihnen stehen als Gruppe be- aufnahmeeinrichtung. Schulpflichtige Kinder werden – ob- sondere Rechte zu, die ihnen aber häufig verwehrt werden. wohl die Gesetzeslage eine Schulpflicht ab dem dritten Mo- Zur rechtlichen Schlechterstellung von begleiteten minder- nat des Aufenthalts vorsieht – weiterhin in Lagerschulen jährigen Geflüchteten schreibt der Bundesfachverband un- auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung unterrich- begleitete minderjährige Flüchtlinge: tet, deren Stundeninhalte und -umfang hinter dem Curri- culum von Regelschulen zurückbleiben. „Verschiedene Bestimmungen u.a. im Asylgesetz Viele Kinder, besonders Kinder aus sogenannten sicheren (Unterbringung, Residenzpflicht, Sachleistungsprin- Herkunftsstaaten und Kinder im Dublin-Verfahren, sind zip) und Asylbewerberleistungsgesetz (Gesundheits- damit auf Dauer von einem Regelschulbesuch ausgeschlos- versorgung) führen nicht nur zu einer systematischen sen. Dies verstößt gegen ihr Recht auf Bildung nach Art. 28 der UN-Kinderrechtskonvention. Familien mit Kindern Benachteiligung gegenüber anderen Kindern, sondern sollten schnellstmöglich, spätestens aber nach drei Mona- implizieren auch die Nichtbeachtung des Kindeswohls ten, aus der Erstaufnahme aus- und in den dann zuständi- im deutschen Asyl- und Aufnahmesystem.“ 2 gen Landkreis ziehen dürfen. Die Angst vor Abschiebungen ist für Kinder und Jugendliche dauerhaft präsent: Während im Jahr 2014 aus der Erstauf- Ankommen in der Erstaufnahme: nahme sechs Kinder und Jugendliche (0–20 Jahre) abgescho- ben wurden, stieg diese Zahl im Jahr 2017 auf 94 Abschie- „Was die Kinder dann in bungen. Zwischen 2013 und 2017 waren 33 junge Menschen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren in der Abschiebehaft in Deutschland erwartet, sind Eisenhüttenstadt sogar inhaftiert.4 Darüber hinaus nehmen neue Lager mit Stacheldraht“ Kinder und Jugendliche natürlich auch die zum Teil gewalt- vollen Abschiebungen von Erwachsenen wahr. 6
„Der Aufenthalt in der Erstaufnahme macht Kinder krank. Viele von ihnen haben ihre Kindheit in Lagern Kindheit in der Schwebe: verbracht – in der Türkei, im Sudan, in Libyen, in Grie- chenland, im Libanon. Sie hoffen auf Schule, ein Zu- Kettenduldungen und Angst hause und Sicherheit. Was die Kinder dann in Deutsch- vor Abschiebung land erwartet, sind neue Lager mit Stacheldraht“, berichtet Jibran Khalil, Mitglied der Initiative Jugendliche Unsichere Aufenthaltssituationen, Kettenduldungen und ohne Grenzen und Mentor des TASK-Projektes.5 eine rechtliche Schlechterstellung z.B. wegen einer ver- meintlich „schlechten Bleibeperspektive“ führen darüber hinaus zu umfassender Ausgrenzung von Kindern und Ju- gendlichen. Sie verhindern die gesellschaftliche Teilhabe in Eine Kindheit in kommunalen Systemen. Ende 2017 lebten 2.082 Minderjäh- rige mit einer Duldung bzw. mit einer so genannten Ausrei- Gemeinschaftsunterkünften sepflicht in Brandenburg. 6 In dem Interview mit der 12–jährigen Khava (S. 17) wer- Die große Mehrheit der Familien wird nach dem Auszug aus den die Auswirkungen dieser unsicheren Situation und der der Erstaufnahme auch in der dann zuständigen Kommune Angst, abgeschoben zu werden, deutlich. Ihre Mentorin in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Ein Auszug Elisabeth erzählt: „Im Kirchenasyl hat Khussein [Khavas ist auf Grund des angespannten Wohnungsmarktes, fehlen- Bruder] fast gar nicht gestottert. Man hat gemerkt, wie die den sozialen Wohnungsbaus und diskriminierender Struk- Angst vor der Abschiebung nach Polen sein Stottern ver- turen bei der Vergabe von Wohnungen für viele auch nach schlimmert hat.“ Und Khava ergänzt: „Ja, vor dem Kirchena- der Anerkennung nicht möglich. So werden Übergangs- und syl hat er fast gar nicht sprechen können.“ Und dass es beim Gemeinschaftswohnheime zu einem langfristigen Zuhause, jüngeren Bruder im Grunde genauso gewesen sei. in dem Kinder und Jugendliche eine wichtige Phase ihres Aufwachsens verbringen. Fehlende Privatsphäre und Rückzugsäume, das Zusam- Begleitete Minderjährige: menleben mit fremden Menschen auf engstem Raum, das Erleben von Gewalt sowie die oft abgelegene Lage der Nicht im Blickfeld der Jugendämter Unterkünfte führen zu Isolation und gesellschaftlichem Ausschluss. Gemeinschaftsunterkünfte können kein kind- gerechtes Wohnumfeld darstellen. Eine Unterbringung in Ein wichtiges Anliegen des Projekts war die Verbesserung Sammelunterkünften – ob in der Erstaufnahmeeinrichtung des Zuganges zu Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe oder in einer der Landkreise – gefährdet das Wohl der dort für begleitete minderjährige Geflüchtete. Denn obwohl al- lebenden Kinder und verletzt elementare Rechte von Min- len geflüchteten Kindern diese Leistungen zustehen, sind derjährigen. Um ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, besonders begleitete Minderjährige von ihnen in der Praxis müssen Kinder dezentral und in Wohnungen untergebracht häufig ausgeschlossen. Dies zeigten diverse Gespräche mit werden. Mitarbeiter*innen und Leiter*innen von verschiedenen Jugendämtern. Nur wenige Jugendämter halten über akute Der große Wunsch nach einer eignen Wohnung und einem Meldungen von Kindeswohlgefährdungen hinaus regelmä- eigenen Zimmer als geschützter Raum zog sich durch alle ßigen Kontakt zu Familien in Gemeinschaftsunterkünf- Gespräche, die im Rahmen des Projektes mit geflüchteten ten und den Unterkünften der Erstaufnahme. Es besteht Kindern und Jugendlichen geführt wurden; es ist ein zent- in der Regel kein Wissen über die Anzahl der Kinder und rales Thema bei vielen unserer Beratungen. Jugendlichen in Unterkünften und ihre Bedarfe. Es fehlen 7
oft Strategien, Netzwerke und Ressourcen für eine aufsu- Bundesweit sind die bereinigten Gesamtschutzquoten für chende, präventive und Vertrauen aufbauende Arbeit in unbegleitete Minderjährige stark gesunken: Während die den Unterkünften. Die systematische Gefährdung des Kin- Schutzquote 2016 bei etwa 95 Prozent lag, sank sie im 2. deswohls durch (versorgungs-) rechtliche Schlechterstel- Quartal 2018 auf nur noch etwa 60 Prozent .8 Dies deckt lung und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sich mit den Erfahrungen aus der Beratungspraxis in fordert jedoch eine Unterstützung durch Jugendämter und Brandenburg. Obwohl die Schutzquoten sinken, hat sich andere Regeldienste in besonderer Weise. Dem sozialpäda- die Sicherheitslage in den Herkunftsländern der Minder- gogischen Bedarfen von begleiteten Minderjährigen muss jährigen jedoch in der Regel nicht verbessert. Die Ableh- durch einen flächendeckenden Zugang zu Leistungen der nung des Asylantrages und die damit einhergehende unsi- Kinder- und Jugendhilfe Rechnung getragen werden. chere Perspektive belasten geflüchtete Jugendliche stark. Die Interviews mit einer Gruppe junger Erwachsener, die als unbegleitete Minderjährige nach Brandenburg gekom- men sind (S. 11), und Christiane Goldschmidt, Mitarbeite- Unbegleitete rin des Jugendmigrationsdienstes in Barnim-Oberhavel (S. 22), zeigen die schwerwiegenden Konsequenzen: Da die minderjährige Geflüchtete Finanzierung von Anwält*innen nicht über das SGB VIII gedeckt wird, müssen viele nach der Schule und in ihren Ferien arbeiten, um im Asyl- und Klageverfahren die an- Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Un- waltliche Vertretung bezahlen zu können. Die Bestellung terbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer von Fachanwält*innen als Ergänzungspfleger*in neben Kinder und Jugendlicher am 01.11.2015 werden nun auch dem/der Vormund*in wäre eine Lösung, die in Branden- unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) auf die Bun- burg leider bisher kaum bis gar keine Anwendung findet. desländer verteilt. Während sich 2014 lediglich 76 UMF in Viele der Jugendlichen sehen sich nach Ablehnung ihres Brandenburg aufhielten, wurden im Januar 2017 1.554 UMF Asylantrages gezwungen, die Schule abzubrechen, um im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe betreut .7 Rund sich zur Sicherung ihres Aufenthaltes einen Ausbildungs- neun Prozent leben in Gemeinschafts- und anderen Unter- platz zu suchen. Häufig steht bei der Wahl der Ausbildung künften, die nicht in Kinder- und Jugendhilfeträgerschaft nicht der eigene Berufswunsch im Mittelpunkt, sondern sind. Vormund*in ist dann in der Regel ein anderes Fami- der Handlungsdruck, möglichst schnell in Ausbildung zu lienmitglied. Der überwiegende Teil der Minderjährigen ist kommen. Gleichzeitig bleibt nun der Nachzug der Eltern bei Inobhutnahme durch die Jugendämter zwischen 16 und endgültig verwehrt – eine große psychische Belastung, die 17,5 Jahren alt. Die Hauptherkunftsländer sind Afghanistan sich auf ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit und auch auf und Syrien, die Zahl der Jugendlichen aus Eritrea und So- ihre Bildungserfolge auswirken kann. Eine aktuelle Studie malia ist steigend. der Fachhochschule Potsdam zeigt, dass 8
„sich der Großteil der Belastungen der [unbegleiteten einzugliedernden Schüler*innen an Gymnasien zeigt die Undurchlässigkeit des Schulsystems „nach oben“. Kinder Minderjährigen] nicht vorwiegend in ihren vergan- und Jugendliche und ihre Mentor*innen berichteten immer genen Erfahrungen, sondern im derzeitigen lebens- wieder davon, dass geflüchteten Kinder trotz der entspre- weltlichen Kontext [artikuliert]. Ohne planbare Zu- chenden Noten eine Gymnasialempfehlung verwehrt, oder kunftsperspektive können sich dabei auch die für eine der nötige Nachhilfeunterricht zur Versetzung in die gym- nasiale Oberstufe nicht genehmigt wird (vgl. S. 18 dieser eigenständige Lebensführung notwendigen Alltagsrou- Broschüre). tinen kaum etablieren .“ 9 Für Kinder ohne oder mit nicht ausreichenden Deutsch- Bei einer Befragung von Fachkräften aus Clearingeinrich- kenntnissen wurden an allgemeinbildenden Schulen Vor- tungen und Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung durch bereitungsgruppen und Förderkurse eingerichtet. Studien 13 das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport sagten zeigen, dass die segregierte Beschulung in vielerlei Hinsicht 91 Prozent der Befragten aus, dass Probleme aufweist und Bildungsbenachteiligung dadurch verschärft wird. Um diese strukturelle Diskriminierung ab- zufedern, wäre eine flächendeckende inklusive Beschulung „sich das laufende Asylverfahren und der unklare in Regelklassen mit entsprechenden Ressourcen und Kon- Aufenthalt unmittelbar und erkennbar negativ auf das zepten zentral. physische und psychische Befinden der Jugendlichen“ Die Ergebnisse dieser Studien decken sich mit den Erfah- auswirkten .10 rungen im Rahmen der Projektarbeit des Flüchtlingsrates. Die Kritik von Fachkräften, Mentor*innen und geflüchte- Ein zentrales Thema neben diesen Unsicherheiten war für die ten Jugendlichen an der segregierten Beschulung betrifft Jugendlichen, die durch Mentor*innen und den Flüchtlings- vor allem die Beschulungspraxis im Bildungsgang beruf- rat im Rahmen des Projektes begleitet wurden, der Zugang zu liche Grundbildung Plus (BFS-G-Plus) an Brandenburger Schule und Ausbildung. Oberstufenzentren. Der zweijährige Bildungsgang soll be- rufsschulpflichtige Geflüchtete ohne Ausbildungsplatz fit für eine Ausbildung machen. Die für diese Broschüre in- terviewten Jugendlichen beschreiben, dass die segregierte Gleiche Bildungschancen? Beschulung den Kontakt zu deutschen Jugendlichen ver- hindert, was gesellschaftliche Teilhabe und das Erlernen der deutschen Sprache erschwert. Eine Binnendifferen- zierung innerhalb der Klassen findet kaum statt, sodass Ab sechs Wochen nach der Verteilung auf die Kommunen den unterschiedlichen Bildungsniveaus keine Rechnung gilt in Brandenburg die Schulpflicht für geflüchtete Kinder getragen werden kann. Auch nach Abschluss des Bildungs- und Jugendliche. Wohnen die Minderjährigen in einer Ju- ganges fühlen sich viele nicht ausreichend auf eine Aus- gendhilfeeinrichtung, ruht die Schulpflicht für drei Monate bildung vorbereitet. Viele von ihnen besuchen weitere nach dem Beginn der Inobhutnahme. Das heißt, dass auch Deutschkurse nach Unterrichtsschluss am Nachmittag, um Kinder, die sich im Asylverfahren befinden oder eine Dul- eigenständig diese Lücke zu schließen (vgl. S. 12 dieser Bro- dung besitzen, schulpflichtig sind. Die überwiegende Mehr- schüre). Eine Evaluation des Bildungsganges und entspre- heit der rund 9.000 einzugliedernden Kinder 11 in Branden- chende Nachbesserungen bzw. die sukzessive Integration burg geht in Grundschulen (5.519), 2.369 in Oberschulen der geflüchteten Jugendlichen in Regelklassen müssen un- und lediglich 190 in Gymnasien. 12 Die geringe Anzahl von bedingt in Angriff genommen werden. 9
Die Forschungsergebnisse zu Rassismuserfahrungen von geflüchteten Schüler*innen in Cottbus (S. 25 dieser Bro- schüre) weisen außerdem darauf hin, dass Alltagsrassismus an Brandenburger Schulen und strukturelle Diskriminie- rung im Bildungssystem dazu führen, dass Bildungschan- cen ungleich verteilt sind und Schule häufig nicht als Ort der Stärkung und des Schutzes empfunden wird. Eine intensive Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus wäre ENDNOTEN für Brandenburger Lehr- und Fachkräfte unbedingt nötig. 1 Quelle: Ausländerzentralregister, Stand Dezem- Ein zentraler Ort, um Bildungsungleichheiten frühzeitig ber 2017. Die Zahl umfasst Kinder mit Aufent- vorzubeugen, sind darüber hinaus Kindertagesstätten. In haltsgestattung, Duldung und mit einem Aufent- haltstitel aus völkerrechtlichen, humanitären Brandenburg besteht ab dem ersten Geburtstag des Kindes oder politischen Gründen. ein Anspruch auf eine Betreuung von sechs Stunden täg- 2 Quelle: BumF (2017): http://www.b-umf.de/de/ lich. Dieser gilt auch für Geflüchtete. Viele Eltern bleiben je- themen/begleitete-minderjaehrige. doch bei ihrer Suche nach einem Kindergarten erfolglos, da 3 Quelle: Antwort des Innenministeriums auf eine landesweit Kitaplätze fehlen. In Cottbus konnten beispiels- telefonische Anfrage. weise Anfang 2018 81 Prozent der geflüchteten Kinder im 4 Quelle: Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage Nr. 29 der Fraktion BÜNDNIS 90/ Kindergartenalter keine Kindertagesstätte besuchen. Um DIE GRÜNEN, Drucksache 6/7793, Abschiebungen dem Recht eines jeden Kindes auf frühkindliche Bildung zu ausreisepflichtiger Ausländer aus Brandenburg, März 2018. entsprechen, bedarf es eines massiven Ausbaus der Kinder- 5 Quelle: Flüchtlingsrat Brandenburg (2018): Ge- gartenbetreuung im Land. plante AnKER-Zentren verletzen elementare Rech- te von Minderjährigen, PM vom 05.07.2018. 6 Quelle: Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage Nr. 29 der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Drucksache 6/7793, Abschiebungen Ausblick: ausreisepflichtiger Ausländer aus Brandenburg, März 2018. Solidarität und Unterstützung 7 Quelle: Alle folgenden Zahlen stammen aus dem „Bericht der Landesregierung zu den Auswirkun- durch Selbstorganisation gen der bundes- und landesrechtlichen Regelungen auf die Unterbringung, Versorgung und Betreuung und neue Netzwerke unbegleiteter minderjähriger Ausländerinnen und Ausländer im Land Brandenburg“, Stand Februar 2017. 8 Quelle: Ergänzende Informationen zur Asylsta- In den Vergangenen Jahren und vor allem seit 2015 haben tistik für das zweite Quartal des Jahres 2018, BT-Drucksache 19/3886. sich in Brandenburg zunehmend selbstorganisierte Struk- 9 Thomas, S. et al. (2017): Unbegleitete minder- turen von geflüchteten Jugendlichen, aber auch neue Netz- jährige Geflüchtete in Brandenburg. Evaluation werke von ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierten der Unterbringungssituation unbegleiteter min- gebildet, die ein gegenseitiges Empowerment und eine qua- derjähriger Geflüchteter im Land Brandenburg mit Schwerpunkt auf die subjektive Sicht der Jugend- lifizierte Unterstützung für geflüchtete Heranwachsende lichen. FH Potsdam. S. 82. bieten. Organisationen wie Jugendliche ohne Grenzen, das 10 Drucksache 6/8135, Bericht der Landesregierung: Geflüchteten Netzwerk Cottbus und afghanische, syrische Auswirkungen der bundes- und landesrechtlichen Regelungen auf die Unterbringung, Versorgung und und tschetschenische Selbstorganisationen und Netzwerke, Betreuung unbegleiteter minderjähriger Auslän- um nur einige zu nennen, haben dazu beigetragen, dass die derinnen und Ausländer im Land Brandenburg, De- Perspektiven von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in zember 2017. S. 33. der Öffentlichkeit Gehör finden. Mit Kreativität und Vehe- 11 Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind nur eine Teilmenge der Schulpflichtigen, die nach menz setzen sie sich gegen Rassismus und für eine selbst- der Eingliederungs- und Schulpflichtruhensver- bestimmte Teilhabe von Geflüchteten in Brandenburg ein. ordnung beschult werden, allerdings bilden sie hier die mit Abstand größte Gruppe. 12 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (2018): Flucht, Asyl und Integration: Kinder und Jugend- liche, Weiterbildung und Sport im Land Branden- burg. 13 Vgl. z.B. Karakayali, J. et al./Berliner Insti- tut für empirische Integrations- und Migrati- onsforschung (BIM) (2017): Die Beschulung neu zugewanderter und geflüchteter Kinder in Berlin. Praxis und Herausforderungen. 10
Jibran Khalil, Mentor des Projektes TASK, Mohamed, Hafizulah, Arif und Saad Als Gruppe finden wir gemeinsam unseren Weg Ein Gespräch mit Jibran Khalil, Mentor des Projektes TASK, Mohamed, Hafizulah, Arif und Saad Die vier Jugendlichen, mit denen wir gemeinsam mit Jibran Khalil gespro- chen haben, leben seit zwei bis drei Jahren in Brandenburg. Sie engagie- ren sich bei der Organisation Jugend- chen Weg man gehen muss. Als Grup- Brandenburg gefunden, das hat mich liche ohne Grenzen, einige von ihnen pe finden wir gemeinsam unseren gefreut. Erst haben wir in Neuruppin sind im bundesweiten Netzwerk Wel- Weg. gewohnt und dann haben sie ein Haus come United aktiv. am Schwielowsee gekauft. Ich bin da Was hast du für Erfahrungen in auch angemeldet. Aber die Auslän- Mohamed kommt aus Somalia und Deutschland gemacht? derbehörde hat gesagt, dass ich nur lebt in Cottbus. Er geht zur Schule und bis zum Ende des Schuljahres bleiben hofft auf einen Ausbildungsplatz. Ha- H: Es war alles schwierig: Mit der Kul- darf. Wenn ich einen Ausbildungsplatz fizulah und Arif kommen aus Afgha- tur klarkommen, mit der Sprache. habe, kann ich auch länger bleiben. nistan. Hafizulah geht zur Schule, Arif Seitdem ich Deutsch spreche, verste- Aber wenn ich keine Ausbildung finde, macht eine Ausbildung zum Koch in he ich auch die Kultur besser. Seitdem muss ich zurück nach Niedersachsen. Caputh. Saad und kommt aus Guinea. fühle ich mich ganz verändert. Ich gehe gerade in eine BFSG-Plus- Während die anderen in Einrichtun- Klasse am Oberstufenzentrum. gen der Kinder- und Jugendhilfe leben, wohnt er in einer Gemeinschaftsun- Was bedeutet das konkret? M: Ich bin vor zwei Jahren nach Pots- terkunft für geflüchtete Erwachsene H: Als ich in Afghanistan war, hatte dam-Mittelmark gekommen. Ich in Seddin. ich keine Perspektiven, in welchem war erst in Bremen. Dann haben sie Bereich ich arbeiten will zum Beispiel. mich nach Brandenburg verteilt. Ich Ihr seid alle bei Jugendliche ohne Hier in Deutschland habe ich ganz konnte kein Wort Deutsch. Jetzt habe Grenzen oder Welcome United aktiv. neue Ideen und Ziele und die will ich ich Deutsch gelernt und habe auch Warum ist euch das wichtig? erreichen. Ich will eine Ausbildung deutsche Freunde. Am Anfang habe zum Altenpfleger machen. Morgen ich aber nur mit somalischen Leuten habe ich ein Vorstellungsgespräch. meine Zeit verbracht, heute kommen H: Als Jugendliche ohne Grenzen tref- Als ich nach Deutschland gekommen meine Freunde aus vielen Ländern. Es fen wir uns einmal im Monat. Wir bin, war ich zuerst in Hamburg. Dann war gut, bei Jugendliche ohne Grenzen reden über unsere Probleme – Woh- bin ich nach Diepholz in Niedersach- aktiv zu sein und auf diese Weise viele nungsprobleme, Probleme mit dem sen verteilt worden. Da bin ich noch Menschen kennenzulernen. BAMF-Interview und so weiter – und immer angemeldet und war einen Ich habe hier viele gute und schlechte finden gemeinsam Lösungen. Wenn Monat lang im Heim. Danach haben Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel man allein ist, weiß man nicht, wel- sie eine Pflegefamilie für mich in habe ich viel Rassismus erlebt. Viele 11
Menschen denken, dass wir nur schlechte Dinge machen, die gern einen Workshop zu Bleiberecht und Schulzugang dass wir nur hier sind wegen des Geldes. Aber sie verste- machen wollten. In Cottbus gibt es eine starke Anti-Flücht- hen das falsch. Wir sind hierher geflüchtet, weil in unseren lingsbewegung. Hier wollen wir aktiv werden. Wir versu- Ländern Krieg herrscht. Wir wollen unser Leben weiter- chen, nachhaltige Strukturen in Brandenburg zu schaffen. führen, wir wollen Leuten Gutes tun. Ich bin zum Beispiel Ich bin ja schon sehr lange in Brandenburg als Aktivist un- im Pflegebereich tätig und möchte mit Menschen arbeiten. terwegs. Ich sehe gerade die größten Probleme darin, dass Wenn Menschen mich beleidigen, verletzt mich das. Ich er- die Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen nicht befrie- lebe Rassismus auf der Straße und in der Schule. Aber in der digt werden können. Wenn sie zum Beispiel von Abschie- Schule ignoriere ich das. bung bedroht sind, müssen sie eine Ausbildung machen in einem Beruf, den sie nicht selbst gewählt haben. Ihr wart ja auch mal unbegleitete Minderjährige. Welche A: Ja, genau. Wir können nicht immer selbst entscheiden. Erfahrungen habt ihr mit der Jugendhilfe gemacht? Andere entscheiden für uns. M: Am Anfang habe ich mich wie ein kleines Baby gefühlt. Ich habe meinem Bezugsbetreuer gesagt: „Ich brauche deine J: Sie entscheiden über unsere Leben. Was sollen wir ma- Hilfe.“ Aber heute glaube ich, dass ich alles allein schaffen chen? In Deutschland fehlen 35.000 Menschen in der Alten- kann. pflege, deshalb müssen wir jetzt alle in die Altenpflege. A: Ich wollte gern zur Schule gehen, bis ich meinen Schul- J: Habt ihr Freunde, die in eine reguläre Schule gehen? abschluss gemacht habe. Das hätte noch zwei Jahre gedau- ert. Mein Asylantrag ist nach zwei Monaten direkt abgelehnt H: Ja, aber diese Möglichkeit gibt es nicht für alle. In der re- worden – ich komme aus Afghanistan. Dann konnte ich gulären Schule kann man sein Deutsch um 100% verbessern. nicht weiter zu Schule gehen und musste unbedingt einen Man hat bessere Chancen und eine bessere Zukunft. Wenn Ausbildungsplatz suchen. Wenn ich keine Ausbildung fin- man in eine Willkommensklasse oder BFSG-Plus-Klasse de, schieben sie mich nach Afghanistan ab. Die Ausbildung geht, hat man kaum Möglichkeiten, einen Job zu finden. Man zu finden, war schwer. Ich wollte gern eine Ausbildung zum kann den Schulabschluss nicht vergleichen mit dem norma- Verkäufer machen, aber dafür hätte ich einen Schulab- len 10.-Klasse-Schulabschluss. Ich wollte mich als Altenpfle- schluss gebraucht. Ich habe in einem Hotel ein Praktikum ger bewerben, aber sie haben mir gesagt, dass der Schul- gemacht und konnte da ohne Abschluss meine Ausbildung abschluss nicht reicht. Ich brauche das B1-Sprachniveau. als Koch beginnen. Ich habe viele Probleme mit den Fächern Deshalb nehme ich neben der BFSG-Plus-Klasse an einem in der Berufsschule. Ich war nicht lang genug in der Schu- zusätzlichen Deutschkurs teil. Der Sprachkurs wird von der le und habe jetzt Schwierigkeiten in Deutsch, Englisch und Volkshochschule angeboten, das bezahlt das Jugendamt. Ich Mathe. Ich hätte gerne einen 10.-Klasse-Abschluss gemacht. bin 19 Jahre alt, aber ich bin noch in der Jugendhilfe. Hilfen Im Moment habe ich aber noch keine Ausbildungsduldung, für junge Volljährige. weil ich gegen meinen Asylbescheid geklagt habe. Ich bin bei Jugendliche ohne Grenzen aktiv. Aber ich habe nicht mehr S: Ich bin nicht mehr in der Jugendhilfe. Ich bin jetzt beim viel Zeit. Ich arbeite häufig auch an den Wochenenden und Sozialamt und wohne in einer Gemeinschaftsunterkunft mit an den Feiertagen. anderen erwachsenen Menschen. Im Jugendwohnen war es besser. Jetzt wohne ich mit Menschen zusammen, die sind S: Am Anfang kannte ich niemanden in Deutschland. An- viel älter als ich. Die gehen nicht zur Schule. Manchmal habe fangs war ich in Bremen. Bei Welcome United habe ich nette ich Stress mit den Leuten in der Unterkunft. Wenn sie den Menschen getroffen, die mir gezeigt haben, wie das Leben in ganzen Tag schlafen, machen sie nachts Musik in der Un- Deutschland funktioniert. Dort gibt es so viele unterschied- terkunft. Das ist ein Problem, ich muss morgens früh auf- liche Menschen – aus Syrien, Afghanistan, Deutschland, stehen, aber die Sozialarbeiter sagen, dass sie da leider gar Pakistan… Ich bin immer glücklich, wenn ich mit ihnen zu- nichts machen können für mich. sammen bin. Ich habe mit Jibran und Welcome United auch Workshops angeboten. Warum musstest du aus dem Jugendwohnen raus? J: Genau. In Teltow, Potsdam und Bernau. Wir sind das Swar- S: Das habe ich nicht selbst entschieden. Das hat das Ju- ming-Team Berlin-Brandenburg von Welcome United. Wir gendamt entschieden. haben Menschen aus Osnabrück eingeladen, die erzählt ha- ben, was man gegen Abschiebungen unternehmen kann. Wir Du kannst einen Antrag auf Hilfen für junge Volljährige haben tschetschenische Jugendliche in Cottbus getroffen, stellen. 12
S: Das hat mir niemand gesagt. Das Jugendamt hat nur ge- Für uns ist es auch sehr schwierig als Flüchtling eine Woh- sagt: Deine Hilfe endet hier. Ich habe gefragt, was ich ma- nung zu finden. Die Vermieter fragen immer, wer ihnen die chen kann. Kämpfen, oder was? Aber dann habe ich gesagt: Miete bezahlt, wenn wir keinen Ausbildungsplatz oder keine Gut, ich ziehe um. Arbeit haben. Wenn du dann sagst, dass das Jobcenter oder das Sozialamt die Miete zahlt, dann kriegst du keine Woh- H: Zu mir haben sie gesagt, dass ich die Hilfen nach meinem nung. 18. Geburtstag beantragen kann. Alle sechs Monate. M: Letztes Jahr hatte ich meine Anhörung und habe einen J: Habt ihr schon versucht, eine Wohnung zu finden? Negativbescheid bekommen. Dann habe ich versucht – ge- M: Klar, ich versuche das jeden Tag. Jeden Tag schreibe ich nau wie Hafizulah und Arif – eine Ausbildung zu finden. Ich E-Mails an Vermieter, aber ich bekommen keine Antwort. habe einen Ausbildungsplatz als Altenpfleger gefunden. Und wie bei Hafizulah hat die Schule gesagt, dass mein Abschluss dafür nicht ausreicht. Dann musste ich nochmal in die Wenn ihr Forderungen stellen könntet – an das Land, an die Schule gehen. Jugendhilfe, an die Menschen, die in Brandenburg leben – was würdet ihr euch wünschen? J: Das heißt also, dass die BFSG-Plus-Abschlüsse euch gar S: Das Geld, dass das Land für die BFSG-Plus-Klassen ausgibt, nicht für eine Ausbildung qualifizieren? ist aus dem Fenster geschmissen. Wir vergeuden dort unsere M: Ich habe versucht, mit meinen Bezugsbetreuer herauszu- Zeit. Die Lehrer sind nett, sie machen richtigen Unterricht. finden, welchen Abschluss ich eigentlich in der BFSG-Plus- Aber sie haben keinen richtigen Plan für uns. Das ist schade. Klasse erzielen kann. Mir wurde dann gesagt, dass der Ab- Die Jugendlichen, die wirklich was lernen wollen, die haben schluss genau wie ein Abschluss der Mittleren Reife ist, mit keine Chance. Das ist meine Sorge. Dafür muss eine Lösung dem ich dann eine Ausbildung anfangen kann. gefunden werden. 13
H: Um Deutsch zu lernen, müssen wir mit den deutschen Aktionen oder Veranstaltungen – gemeinsam Kochen oder Schülern zusammen unterrichtet werden. Bei uns gibt es Fußballturniere. Aber wenn wir uns danach auf der Straße Schüler, die sind ganz intelligent – in Mathe, Naturwissen- treffen, sagen sie nicht einmal Hallo. schaften und so weiter – aber die haben nicht die Möglich- keit, in einer richtigen Klasse zu sitzen und richtig zu lernen. H: Weißt du, wir hatten bei uns im OSZ Werder einige ge- meinsame Parties. Wenn ich dann nach einem oder zwei Mo- A: Wir wollen auch auf eine normale Schule gehen, damit wir naten auf die Leute zugehe und sage: „Na, kennst du mich andere deutsche Jugendliche kennen lernen und sie uns ken- noch?“, dann kommt keine Reaktion. Das Problem ist, dass nen lernen. Ich war in Werder auf der Schule, da waren wir wir keinen gemeinsamen Unterricht haben. immer getrennt. Die Deutschen auf der einen Seite und die Ausländer auf der anderen. Wir hatten gar keinen Kontakt M: Und wir brauchen Unterstützung bei der Wohnungssu- miteinander. che. Wir sind erwachsen. Wir wollen nicht mehr in den Un- terkünften der Jugendhilfe wohnen. Eine eigene Wohnung S: Viele sagen, die Deutschen seien Rassisten. Das finde ich ist wichtig, man lernt jeden Tag etwas Neues. Aber wenn du nicht unbedingt. Wenn man jemanden nicht kennt, dann ist in der Jugendhilfe bleibst, dann lernst du nichts mehr. Dein es schwer, Kontakt aufzunehmen. An meiner Schule gibt es Kopf bleibt aus. Die regeln alles für dich. viele deutsche Jugendliche, die sind wirklich nett. Aber sie haben Angst. Ich habe keine Angst vor den Deutschen, ich S: Wir wollen wie die Deutschen leben. Wir wollen in eine rede mit allen. Ich habe mit Mädchen aus meiner Schule richtige Schule gehen, einen richtigen Abschluss haben geredet. Sie haben über Ausländer gehört, dass sie immer und eine richtige Arbeit finden. Ich mag es nicht, dass die Scheiße bauen, dass sie alle krank sind. Deswegen missach- Leute uns Geld geben, Essen geben, alles was wir brauchen. ten sie uns. Es gibt so viele nette Jungs und Mädchen. Aber Du musst immer fragen: „Kann ich eine Unterhose haben?“ wir werden in der Schule getrennt. In verschiedenen Klassen. Dann kriegst du eine Unterhose. Ich will Schuhe haben, dann Seit zwei Jahren gehen wir auf die selbe Schule, wir lernen gibt dir das Jugendamt oder das Sozialamt Schuhe. Wir wol- uns aber nicht kennen. Es gibt immer wieder gemeinsame len leben wie normale Menschen. Das wäre ein gute Zukunft. 14
Außerdem dürfen zum Beispiel die Menschen, die in Pots- Was wünscht ihr euch noch? dam-Mittelmark wohnen, nicht nach Potsdam ziehen. Und H: Wir wollen mit unseren Familien zusammenleben. Aber die Mitarbeiter der Ausländerbehörde drohen den Leuten. das Problem ist das Geld für den Weg nach Deutschland. „Du musst jetzt das machen und jetzt das machen, sonst kriegst du das oder das nicht.“ J: Früher durften unbegleitet Minderjährige ihre Familien Mir ist aufgefallen, dass die Menschen hier in Potsdam sehr bis zu ihrem 18. Lebensjahr nach Deutschland bringen. Jetzt stark an ihrer Kultur festhalten. In der Vergangenheit hat- ist es aber viel schwieriger geworden. ten sie wenig Kontakt mit Ausländern. Jetzt sind wir hier. Aber die Einstellung der Menschen in Potsdam hat sich nicht M: Als ich nach Deutschland gekommen bin, war ich 16 Jahre geändert: Ich kenne dich nicht, dann kann ich auch nichts alt. Ich habe mich von meiner Mutter nicht verabschieden mit dir anfangen. Wenn du ein guter Mensch bist und helfen können. Sechs Monate lang konnte ich mit keinem meiner willst, dann sagen sie: „Nein, danke. Geh weg.“ Wenn du sie Familienmitglieder sprechen. Ich hatte eine schwere De- begrüßt, antworten sie dir nicht. Bei uns ist es so, wenn du pression deswegen. Ich habe ein paar Mal versucht, meine jemanden triffst, sagst du Hallo und fragst, wie es ihm geht. Familie nach Deutschland zu holen, aber ich habe es nicht Das ist unsere Kultur. Hier ist es anders. Die Leute schweigen geschafft. dich an. H: Jedes Land hat seine positiven und negativen Seiten, J: Wie sieht es mit Therapien aus? Habt ihr eine Therapie positive und negative Menschen. Bei uns Afghanen ist das machen können? auch so. Ich habe zum Beispiel Nazis in Werder getroffen. Sie haben mich richtig beleidigt. Ich bin weggegangen. Sie sind M: Ich hab eine Therapie ausprobiert, aber sie hat nicht hinter mir hergelaufen und haben mich wieder beleidigt. funktioniert. Ich habe Tabletten genommen, um schlafen zu Ich habe sie begrüßt und ihnen erklärt: „In meinem Land ist können, aber das hat auch nicht funktioniert. Ich habe mei- Krieg, deshalb kann ich da nicht bleiben. Ich bin nicht nach ne Familie vermisst und war hier in Deutschland allein. Ich Deutschland gekommen, um hier beschimpft zu werden.“ habe versucht, mit dem Psychologen zu reden. Aber es hat Am nächsten Tag habe ich den Menschen wieder gesehen nichts geholfen. Ich hatte nur noch mehr schlimme Gedan- und ihn begrüßt. Und er hat mich begrüßt. Das ist ziemlich ken in meinem Kopf, wenn ich zu ihm gegangen bin. In der gut gelaufen. Nacht nach der Therapiesitzung konnte ich nie schlafen. Wenn ein Ausländer eine Straftat begeht, dann sagen sie in den Medien nicht, dass er krank ist, oder dass er psychische J: Viele Jugendliche kriegen aber auch keine Therapie, die Probleme hat. Sie sagen einfach: Ausländer! Dann denken Angebote fehlen in vielen Landkreisen. die Menschen, wenn die Nachrichten das sagen, dann muss das stimmen: Ausländer sind gefährlich; du musst vorsichtig Was sind eure Träume für die Zukunft. Wo seht ihr euch in sein. Das ist das Problem. drei Jahren? M: Medien sind ein großes Problem. Die Medien sagen M: In drei Jahren möchte ich meine Ausbildung abgeschlos- schlechte Sachen über uns, sie nennen uns Terroristen. Ich sen haben, ein Bleiberecht haben und eine Arbeit. bin Moslem. Wenn ich ein Terrorist wäre, warum habe ich nicht in der ganzen Stadt schon Bomben gelegt? Ich bin H: Ich will meine Ausbildung fertig machen und danach Moslem und ich lebe, wie ich will. Als Mensch. Ich mache mein Abitur. keine Probleme. J: Arif, wo kann ich dich in drei Jahren finden? J: Die Medien pauschalisieren, die Menschen pauschalisie- ren. A: In Deutschland. Und ich möchte meinen Ausweis haben. Einen Aufenthaltstitel. M: Die Medien übertreiben. Religionsfreiheit ist ein Prob- lem in Deutschland. Gesetzlich kannst du deine Religion frei S: Ich will auch in Deutschland bleiben. Ich hab hier keine ausüben. Aber manche Menschen schrecken schon zurück, großen Probleme. Ich will in eine normale Schule gehen und wenn ich sage, dass ich Mohammed heiße. Erst wenn ich eine normale Arbeit finden wie ein normaler Menschen. dann sehr freundlich lächle, gehen sie auf mich zu. H: Und ich hoffe natürlich immer, dass meine Familie hier- her kommen kann. 15
Leben im Lager 16
Ein Gespräch mit Elisabeth Helm, Mentorin des Projektes TASK, und der zwölfjährigen Khava Im Heim habe ich viele In meiner Schule haben die Kinder mal ein Abschiebungen gesehen Spiel gespielt und ich habe gefragt, ob ich mit- spielen kann. Da haben sie gesagt: „Ausländer Ein Gespräch mit Elisabeth dürfen nicht mitspielen.“ Ich bin zu der Lehrerin Helm, Mentorin des Projektes gegangen und habe ihr das erzählt. Sie hat mit TASK, und der zwölfjährigen demjenigen, der das gesagt hat, gesprochen. Es Khava ist dann ein bisschen besser geworden. Stellt euch doch mal kurz vor... K: In der Schule war es schwer. Ich hatte gar keine Freunde. Da war so ein E: Vor drei Jahren habe ich angefan- Mädchen, die für mich übersetzt hat, gen, mich in der Initiative Flucht und was die Lehrerin gesagt hat. Ansonsten Migration Cottbus, kurz Flumico, zu mochten die Kinder mich eigentlich engagieren. Die letzten Jahre habe ich nicht. Die haben mich beleidigt und außerdem den Flüchtlingsrat als Men- Ausländer genannt. Ich konnte nichts torin von geflüchteten Kindern und tun. Manchmal habe ich es Elli erzählt. Jugendlichen unterstützt. Wenn man Familien zu ihrer Bleiberechtsperspek- E: Es fiel dir schwer, die Ausgrenzung tive berät, dann passiert hier viel über konkret zu benennen. Ich weiß nicht ihre Kinder, weil an diese häufig we- genau, ob es an der Sprache lag. Es war sentliche Bleiberechte geknüpft sind. einfach damals sehr, sehr viel für dich. K: Ich heiße Khava und gehe in die K: Heute habe ich aber ein paar Freun- sechste Klasse. Meine Familie kommt dinnen. Aber es gibt eine... Wenn die aus Tschetschenien. Ich bin jetzt drei anderen gegen mich sind – und das Jahre in der Schule. Elli habe ich damals sind sie eigentlich fast immer –, dann im Heim kennengelernt. hält die Freundin von mir zu ihnen. Wenn die anderen nicht in der Nähe E: Wir sind mit den Kindern aus dem sind, dann hält sie zu mir. Heim ins Theater gegangen und haben so auch ihre Familien kennengelernt und zu ihnen Vertrauen aufgebaut. Das Elli hat also deine Mutter unterstützt. war wichtig für die spätere Begleitung. Und ihr beiden? Habt euch einfach Ich kann mich noch daran erinnern, angefreundet? wie ich deine Mutter getroffen habe und ihr den Beratungszettel auf Rus- E: Als wir uns kennengelernt haben, sisch gegeben habe. Sie ist in Tränen habt ihr im Dublin-Verfahren ge- ausgebrochen. Sie sagte, dass ihr das in steckt. In der Beratung ging es darum, Deutschland noch nie passiert sei, dass wie ihr in Deutschland bleiben könnt. jemand sie auf Russisch anspricht. Dein Bruder Khussein hat sehr stark gestottert wegen der schlimmen Er- fahrungen, die ihr alle gemacht habt. Khava, wie war es hier am Anfang für Wir haben es geschafft, ihn beim Sozi- dich? alpsychiatrischen Dienst anzudocken. 17
Das war wichtig für sein Aufenthaltsverfahren, wir mussten K: Ich bekomme jetzt privat Nachhilfe in Mathe. Ich mag ja seine Krankheit beweisen. Aber die Behandlung war eben- Deutsch und Englisch viel lieber. so wichtig, damit es ihm endlich besser geht. Jetzt geht es ihm eigentlich ganz gut, oder? Damals seid ihr ins Kirchen- E: Früher hattest du noch eine drei in Mathe. Aber du woll- asyl gekommen. Im Kirchenasyl hat Khussein fast gar nicht test aufs Gymnasium. Trotzdem wurde der Nachhilfeunter- mehr gestottert. Man hat gemerkt, wie die Angst vor der Ab- richt über das Bildungs- und Teilhabepaket abgelehnt. Sie schiebung nach Polen sein Stottern verschlimmert hatte. haben gesagt, dass eine drei nicht schlecht genug sei. Im Endeffekt hat es dann ja auch leider nicht geklappt mit dem K: Ja, vor dem Kirchenasyl hat er fast gar nicht sprechen Gymnasium. können. K: Ja, wegen Mathe. Aber ich kann von der Gesamtschule E: Das war im Grunde bei Lors, Khavas jüngerem Bruder, aus nach der siebten Klasse aufs Gymnasium gehen. Das auch so. Erst als er die Sicherheit im Kirchenasyl hatte, hat er will ich immer noch. angefangen zu reden. Du hast vorhin erzählt, dass deine Mama noch nicht so gut K: Nicht nur das. Vor dem Kirchenasyl hat Lors fast gar nicht Deutsch spricht... gegessen. Wir waren einen Monat lang im Kirchenasyl. K: Sie spricht eigentlich überhaupt kein Deutsch. Ich muss Khava, wie ging es dir in der Zeit? jeden Tag für sie dolmetschen. Zum Beispiel, wenn wir Kla- motten umtauschen müssen, die uns nicht passen, oder bei K: Im Kirchenasyl ging es mir eigentlich ganz gut. Wir hatten ihren Terminen. Ich bin auch bei Schulterminen von Lors hinten im Garten einen Spielplatz. Und ich hatte eine Freun- dabei und wenn Khussein, mein ältester Bruder, eine Ver- din in der Theatergruppe. Ich spiele jetzt schon seit fast zwei sammlung hat, dann muss ich da auch mit. Ich finde das Jahren Theater. Im letzten Stück habe ich die Maria gespielt. nervig. Ich finde es unfair, dass ich zu den Versammlungen Ziemlich christlich… meines Bruders gehen muss, obwohl er auch Deutsch kann. Meine Mama hat schon drei Deutschkurse gemacht, aber sie spricht immer noch kein Deutsch. Wie lange wart ihr dann in der Gemeinschaftsunterkunft? K: Zwei Jahre. Da hatte ich auch Freunde. Aus Tschetscheni- E: Das Problem, das muss man dazu sagen, ist bei deiner en, so wie ich. Da gab es aber nicht so viele Mädchen in mei- Mama, dass sie sich einfach nicht konzentrieren kann. Die nem Alter. Ich habe mich manchmal ganz schön gelangweilt. ganze Situation in Deutschland setzt ihr immer noch ganz schön zu. Sie ist auch schon 47. Im Alter nochmal eine neue E: Wir haben es dann ja zum Glück geschafft, dass ihr aus der Sprache lernen mit dem ganzen psychischen Ballast – das Unterkunft ausziehen konntet. Wir mussten mehrmals den ist nicht einfach. Obwohl sie wirklich eine gebildete Frau ist Antrag stellen und haben ihn mit den Krankheiten deiner und nicht ganz von vorne anfängt. Geschwister begründet und damit, dass eure Mama alleiner- ziehend ist. Ich habe im Antrag auch argumentiert, dass du Und wobei hat Elli dich noch so unterstützt? Und konntest als Mädchen deinen eigenen Raum brauchst. Ihr hattet im Heim viel zu wenig Platz. Es gab andere Fälle von alleinerzie- du Elli auch mal helfen? henden Frauen, die aus ihren Wohnungen wieder zurück ins K: Naja, heute brauchte sie ja jemanden, der sie diese gan- Heim ziehen mussten, weil die Stadt die Wohnungen gekürzt zen Fragen stellen kann. Und sie braucht manchmal jeman- hat. Bei den Einzelfällen fällt auf, ob jemand von außen un- den zum Quatschen. Ich kann ihr auch bei Tschetschenisch terstützt und die Behörden entsprechend mehr Druck haben. helfen. Elli erklärt mir immer alles, wenn ich ein bisschen Ohne Unterstützung durch Ehrenamtliche geht es kaum. verwirrt bin. Und wie läuft es gerade mit eurem Asylverfahren? Worin seht ihr gerade die größten Schwierigkeiten für ge- K: Wir hatten das Interview und haben eine Ablehnung be- flüchtete Kinder und Jugendliche in Brandenburg? kommen. Dagegen haben wir geklagt. E: Ein großes Problem ist der Rassismus in der Schule ge- genüber geflüchteten Schüler*innen. Und wie läuft es jetzt in der Schule? 18
K: In der fünften Klasse ist ein deutsches Mädchen bei uns getraut, dass sie eigentlich auch was ganz anderes machen in die Klasse gekommen, die haben die anderen Kinder sehr könnten, das Gymnasium wird ihnen als Option gar nicht gut aufgenommen. erst aufgezeigt. Die Gymnasien öffnen sich ganz, ganz sel- ten für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Bei meinem E: Das meine ich ja. Im Bildungsbereich gibt es verschie- Mündel hatten wir damals das Problem. Da wurde pauschal dene Ebenen der Diskriminierung. Für dich ist es zum Bei- unterstellt, dass das Bildungssystem in Syrien wesentlich spiel wesentlich schwieriger, aufs Gymnasium zu kommen. schlechter sei als das deutsche. Seine guten Noten aus Syri- Du hast keinen Zugang zu Nachhilfe, wodurch dir das Gym- en wurden nicht angerechnet. Trotz hervorragender Noten nasium verwehrt bleibt. Bei anderen geflüchteten Kindern wollte ihn das Gymnasium nicht aufnehmen. Auch die an- sehe ich, dass sie, auch wenn sie die Noten dafür hätten, deren Leistungen der Kinder, die sie tagtäglich erbringen, trotzdem nicht aufs Gymnasium kommen. Das ist in Studi- werden hier nicht anerkannt. Khava spricht vier Sprachen, en schon belegt und wir erfahren es in Cottbus tagtäglich. aber das wird im deutschen Schulsystem in die Überlegun- Die rassistischen Alltagseinstellungen der Lehrkräfte neh- gen, welche Bildungsperspektiven ein Kind hat, nicht ein- men die Kinder auch mehr mit, als die Lehrer*innen das bezogen. vielleicht wahrnehmen können oder wollen. Mein Mündel In Cottbus ist auch der Rassismus auf der Straße ein riesi- – ich war lange Vormund – hatte irgendwann einfach keine ges Problem. Für Mädchen, die ein Kopftuch tragen, sind Lust mehr, in die Schule zu gehen. Er war immer an allem Anfeindungen Alltag. Die Jungs sind ständig mit Racial Schuld, von ihm wurde unglaublich viel erwartet. Wenn er Profiling konfrontiert: Sie werden dauernd von der Poli- die Erwartungen nicht erfüllt hat, dann wurde das auf sei- zei aufgegriffen, die sie kontrolliert. In Cottbus gibt es ein ne Kultur geschoben – oder auf sein Ausländisch-Sein. absolut eindimensionales Bild davon, dass Auseinander- Schule ist also eine große Baustelle. Das überlappt sich setzungen auf der Straße immer von jungen Geflüchteten dann wieder mit dem Aufenthaltsrecht. Bei afghanischen ausgehen würden. Die Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen sieht man das ganz deutlich: Die werden in Jugendlichen und den psychologischen Effekt, wenn sie die Ausbildungen regelrecht reingepresst. Vielen Jugend- immer und immer wieder grundlos von der Polizei aufge- lichen wird gar nicht mehr die Chance gegeben, sich zu griffen werden, sollte man nicht unterschätzen. entscheiden. Es geht nur noch darum: Du willst einen Auf- Es fehlt auch psychologische Unterstützung. Ich habe das enthalt? Dann musst du eine Ausbildung machen. Bei syri- bei einem Jugendlichen gesehen, der in Cottbus in eine der schen Jugendlichen ist es ähnlich. Ihnen wird gar nicht zu- Auseinandersetzungen der letzten Monate involviert war. 19
Die Mutter hat schon vor einem Jahr gesagt, dass ihr Sohn K: In meiner Schule haben die Kinder mal ein Spiel gespielt Unterstützung braucht. Er hat Schlimmes erlebt. Auch hier in und ich habe gefragt, ob ich mitspielen kann. Da haben sie Deutschland. Im Endeffekt ist er hier nochmal traumatisiert gesagt: „Ausländer dürfen nicht mitspielen.“ Ich bin zu der worden. Es gibt einfach keine passenden psychotherapeuti- Lehrerin gegangen und habe ihr das erzählt. Sie hat mit schen Angebote für geflüchtete Kinder und Jugendliche. demjenigen, der das gesagt hat, gesprochen. Es ist dann ein bisschen besser geworden. Der Junge hat mich nicht Hast du das Gefühl, dass im Zuge der vielen Auseinander- mehr so häufig Ausländerin genannt. Aber manchmal eben schon. setzungen in Cottbus deine Rolle als Mentorin nochmal wichtiger geworden ist? E: Ich merke auch immer wieder, wie rassistische und klas- E: Ich würde sagen, dass man als Ehrenamtliche wenig sistische Strukturen miteinander verbunden sind. Es gibt ernst genommen wird. Bei den Auseinandersetzungen in zum Beispiel syrischen Familien, die haben viel Geld, die Cottbus wurden wir als Ehrenamtler*innen nicht nach un- können sich dann Nachhilfe leisten. Sie haben häufig weni- seren Erfahrungen oder unserer Problemanalyse gefragt. ger Probleme. Sie können ihren Kindern in der Schule hel- Wir haben zum Teil auf Themen eine ganz andere Perspek- fen, was die Kinder dann ein bisschen aus der Schussbahn tive als Hauptamtliche, weil das Vertrauen zwischen uns nimmt, weniger Angriffsfläche bietet. Aber was ist mit Kin- und den Geflüchteten häufig viel größer ist. dern, die diese finanziellen Mittel nicht haben und denen dann das Bildungs- und Teilhabepaket verwehrt wird, weil zum Beispiel die Sozialarbeit nicht hinterher ist? Da könn- Hattest du das Gefühl, dass bei den Vorfällen die geflüchteten te auch ein bisschen mehr Initiative von den Lehrkräften Kinder und Jugendlichen nach ihrer Perspektive gefragt wor- kommen. Ihnen fehlt ganz viel Wissen, um die komplexen, den sind? Du hast dich ja in der Zeit an uns als Flüchtlings- sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten der Kinder zu ver- rat gewandt und gesagt, dass es wichtig sei zu schauen, wie stehen. Mein syrisches Nachhilfekind zum Beispiel ist mit es den Jugendlichen in der Schule geht, was sie dort erleben. einem Visum in Deutschland. Das Kind sagte mir: „Meine Auch um ein ganzheitlicheres Bild zu bekommen. Lehrerin glaubt, dass wir Asyl sind.“ Die Lehrkräfte packen das alles in einen Topf, für sie sind die geflüchteten Kinder, E: Nein, mit den Kindern und Jugendlichen spricht im Grun- die sie unterrichten, eine Masse. de niemand. In dieser Zeit wurde in den Schulen ein ganz Ich habe auch gelernt, dass viele geflüchtete Kinder sehr perfider Sicherheitsdiskurs eingeführt. Migration wurde in viel weiter im Kopf sind als ihre weißen deutschen Klas- der Diskussion mit der Vorstellung eines Sicherheitsrisikos senkamerad*innen. Einfach aufgrund ihrer Erfahrungen, verknüpft. Bestimmte Aussagen von Schulleitungen und die sie machen mussten. Das wird nur selten berücksich- Lehrkräften wurden überhaupt nicht hinterfragt. Es wurden tigt. Sie werden eher noch eine Klassenstufe tiefer einge- keine Statistiken oder Zahlen herangezogen. Es ging immer schult, dabei finden sie sich mit ihren Erfahrungen dort nur um ein vages Gefühl der Unsicherheit, dass in direkten noch weniger aufgehoben. Zusammenhang mit Migration und dem Zuzug nach Cottbus Oft wissen die Eltern nicht genau, was mit ihren Kindern gestellt wurde. Orientalistische Bilder, wie die Aussagen von passiert und wie das Bildungssystem aussieht. Einerseits Lehrer*innen, dass alle arabischen Kinder aggressiv seinen, werden die Eltern nicht einbezogen und schlecht infor- haben Hochkonjunktur. Der böse Araber, frauenfeindlich miert, andererseits ist der Umgang mit ihnen sehr pa- und beschränkt. Selbst die Jugendlichen, die in die Vorfäl- ternalistisch. Die Lehrkräfte haben immer das Gefühl, sie le involviert waren, wurden nie gefragt. Sie wurden vorge- müssten die Eltern belehren. Hier findet kein Gespräch auf führt. Gefragt wurden immer alle anderen. Lehrkräfte, die Augenhöhe statt. Sozialarbeit und so weiter. Es gab zu den Vorfällen einfach schon feste Geschichten, die bestätigt werden sollten. Alle Seht ihr aktuell weitere Herausforderungen? Angriffe auf Geflüchtete und rassistische Beleidigungen werden immer als Einzelfälle betrachtet. Der Alltag von Ge- E: Aufenthaltsrechtlich wäre es wichtig, wenn Kindern, flüchteten ist durchzogen von rassistischen Bemerkungen, die hier zur Schule gehen, eine Bleibeperspektive gegeben die nicht immer als solche gemeint sind, die aber trotzdem wird. Wir haben zwar die § 25a-Regelung im Aufenthalts- innerhalb eines rassistischen Systems oder rassistischer gesetz, dass Kinder ab dem 14. Lebensjahr einen Antrag auf Denkmuster funktionieren – und Auswirkungen auf die Ge- eine Aufenthaltserlaubnis stellen können, wenn sie hier flüchteten haben. vier Jahre zur Schule gegangen sind. Aber das schließt ein- fach sehr viele Kinder aus. Khava, wie war das mit dir? Haben Lehrer*innen versucht, dir zu helfen oder mit dir über deine Erfahrungen gesprochen? K: Ich bin doch schon drei Jahre in der Schule. 20
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