Gemeindebrief Nr. 3/2021 - Juni - August 2021 - Jerusalem-Kirche
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Inhaltsverzeichnis Editorial Seite 1 Hans-Christoph Goßmann, Predigt über Rut 1, 1-19a Seite 2 Michael Arretz, Baubeginn der Jerusalem-Kirche vor 110 Jahren Seite 6 Helga Kießling, Post aus Kibakwe Seite 7 - Padré Celestines Brief vom 22. Dezember 2020 Seite 7 - Padré Celestines Osterkarte vom 19. März 2021 Seite 9 Gedanken zu Monatssprüchen: - Oliver Haupt, Apostelgeschichte 5, 29 (Juni) Seite 10 - Hans-Christoph Goßmann, Apostelgeschichte 17, 27 (Juli) Seite 12 - Dorothea Pape, 2. Könige 19, 16 (August) Seite 14 Johannes Rehm, Streitbarkeit und Versöhnungsbereitschaft – Erinnerungen an Hans Küng Seite 17 Matthias Tolsdorf, Interreligiöse Begegnung Online – geht das überhaupt? Seite 19 Drei Statements zum interreligiösen Dialog: - Landesrabbiner Yuriy Kadnykov Seite 21 - Pastorin Nora Steen Seite 22 - Imam Dr. Ali-Özgür Özdil Seite 22 Aus dem Programm der Jerusalem-Akademie Seite 22 Veranstaltungskalender Seite 24 Spenden für die Gemeinde erbitten wir auf folgende Konten: Haspa: IBAN - DE33 2005 0550 1211 1292 16 BIC - HASPDEHHXXX Evangelische Bank eG: IBAN – DE25520604106306446019 BIC – GENO DEF1 EK1 Konto des Fördervereins Jerusalem-Kirchengemeinde Hamburg e.V.: Haspa: IBAN - DE40 2005 0550 1211 1237 55 BIC - HASPDEHHXXX Unsere Internet-Seiten finden Sie unter: Jerusalem-Kirche = www.jerusalem-kirche.de Bestellungen und andere Anfragen richten Sie bitte an die Jerusalem-Gemeinde Sekretariat: Frau Birthe Henkel, Schäferkampsallee 36, 20357 Hamburg, Öffnungszei- ten: Di. und Do. von 9.00 bis 12.00 Uhr und Mi. von 14.30 bis 17.30 Uhr, Telefon: 040/202 28 136, Fax: 040/202 28 138, E-Mail: buero@jerusalem-kirche.de Pastor: Dr. Hans-Christoph Goßmann, E-Mail: jerusalem-pastor@gmx.de Impressum: Herausgeber ist die ev.-luth. Jerusalem-Gemeinde zu Hamburg. Auflage: 600 Stück Redaktion: Dr. Hans-Christoph Goßmann, Druck: H.-D. Dietrich Druckerei, Beeksfelde 18, 25482 Appen/Pi. Für namentlich gekennzeichnete Artikel zeichnen die Autoren verantwortlich. Der Brief erscheint viermal im Jahr und wird auf Spendenbasis an Mitglieder und Freunde der Gemeinde verschickt. Redaktionsschluss für den Jerusalem-Brief 4-2021 ist der 2. August 2021.
1 Editorial Liebe Leserin, In diesem Jahr wurde die jüdisch- lieber Leser, christlich-islamische Seminarveranstaltung am Beginn die- „Zu Gast in Abrahams Zelt“ aufgrund der ser Ausgabe des Corona-bedingten Einschränkungen in Jerusalem- digitaler Form durchgeführt. Matthias Briefes steht Tolsdorf, Theologischer Referent für eine Predigt Ökumenisch-Missionarische Bildungsar- über Rut 1, 1- beit im ‚Zentrum für Mission und Ökume- 19a – ein bibli- ne‘, berichtet von diesem gelungenen Ex- scher Text, der periment, eine Online-Begegnung zwi- dazu auffordert, schen Vertreter*innen der drei abrahami- Menschen mit tischen Religionen durchzuführen. An- anderem kultu- schließend können Sie Statements zum rellen und religiösen Hintergrund mit Res- interreligiösen Dialog von drei Theo- pekt und Wertschätzung zu begegnen. log*innen lesen, die an dieser Tagung mit- gewirkt haben: Landesrabbiner Yuriy Daran schließt sich ein Beitrag an, in dem Kadnykov, Imam Dr. Ali-Özgür Özdil und Dr. Michael Arretz an den Baubeginn der Pastorin Nora Steen, der Theologischen Jerusalem-Kirche vor 110 Jahren erinnert Leiterin des Christian Jensen Kollegs. und zu der Jubiläumsfeier am 8. August 2021 einlädt. In dieser Ausgabe des Jerusalem-Briefes finden Sie auch Ankündigungen einiger Auf den darauf folgenden Seiten finden Sie Veranstaltungen der Jerusalem-Akademie: einen Brief sowie eine Osterkarte von eine Vorankündigung des Konzertes Padré Celestine, die Helga Kießling für uns ‚Haschiwenu: Bringe uns zurück. Eine übersetzt hat. Reise zu den Traditionen des Chorgesangs in den deutschen Synagogen‘ am 13. Sep- In dieser Ausgabe des Jerusalem-Briefes tember 2021 sowie Hinweise auf die je- können Sie Gedanken zu den Monatssprü- weils einmal pro Monat stattfinden Lektü- chen für die Monate Juni bis August lesen: rekreise: den Martin Buber-Lektürekreis für Juni („Man muss Gott mehr gehorchen sowie den Reinhard von Kirchbach- als den Menschen“ [Apostelgeschichte 5, Lektürekreis. 29]) von Oliver Haupt, für Juli („Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Wann die nächsten Gottesdienste und Bi- Denn in ihm leben, weben und sind wir“ belstunden stattfinden werden, können Sie [Apostelgeschichte 17, 27]) von mir und dieser Ausgabe des Jerusalem-Briefes na- für August („Neige, HERR, Dein Ohr und türlich wie gewohnt auch entnehmen. höre! Öffne, HERR, Deine Augen und sieh her!“ [2. Könige 19, 16]) von Dorothea Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Ihr Pape. Hans-Christoph Goßmann Am 6. April 2021 ist Hans Küng im Alter von 93 Jahren verstorben. Prof. Dr. Johan- nes Rehm, der Direktor des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt der Evange- * * * lisch-Lutherischen Kirche in Bayern, erin- nert an diesen bedeutenden katholischen Theologen.
2 Predigt über Rut 1, 1-19a von Pastor Dr. Hans-Christoph Goßmann Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus tät der nachexilischen Gemeinde zu be- und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft wahren. Dies ist nachvollziehbar – zumal des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. in der damaligen historischen Situation –, Amen. hat jedoch auch den Beigeschmack von Fremdenfeindlichkeit. Ist die Hebräische Liebe Jerusalem-Gemeinde, Bibel somit ein fremdenfeindliches Buch – heute möchte ich gemeinsam mit Ihnen zumindest in diesen Teilen aus und Euch einen Blick in die Geschichte des nachexilischer Zeit? Diese bedrückende Volkes Israel werfen und beginne mit der Frage werden wir mit einem klaren „Nein“ Zeit des Babylonischen Exils. Das Ende beantworten können, denn es gibt aus die- dieser Zeit wurde sehnlich herbeige- ser Zeit eine biblische Schrift, in der völlig wünscht. Ich lese den berühmten ersten andere Akzente gesetzt werden: das Buch Vers des 137. Psalms: „An den Strömen Rut. Der erste Teil dieses Buches ist der Babels – dort saßen wir und weinten, wenn Predigttext für den heutigen Sonntag. Ich wir uns an Zion erinnerten.“ Die Exilszeit lese ihn in der Übersetzung der ‚Bibel in dauerte länger, als die Exilierten erwartet gerechter Sprache‘ vor: hatten, viel länger. Aber sie kam zu ihrem Ende und eines Tages war die so lang er- Und es geschah: in den Tagen, als die sehnte Rückkehr in das verheißene Land Richterinnen und die Richter für Recht wieder möglich. Das Exil war zu Ende. sorgten, da war eine Hungersnot im Land. Ende gut – alles gut? Nein, keineswegs. Deshalb brach ein Mann aus Betlehem, das Auf die Rückkehrer*innen warteten viele heißt ›Haus des Brotes‹, in Juda auf, um Probleme. In dieser schwierigen Zeit wirk- als Fremder in den Feldern Moabs, das te Nehemia, der im Jahr 444 v. Chr. zum heißt ›vom Vater‹, zu wohnen, er, seine Statthalter der persischen Provinz Jehud Frau und seine beiden Söhne. Der Name ernannt worden war. Es war sein Ver- des Mannes war Elimelech, das heißt dienst, dass die Jerusalemer Stadtmauern ›Mein Gott ist König‹, der Name seiner wieder aufgebaut wurden, und er entwarf Frau Noomi, das heißt die ›Liebliche‹, und eine Reform religiöser Vorschriften, für die Namen seiner beiden Söhne waren deren Durchsetzung der Priester Esra sorg- Machlon, das heißt ›der Schwächliche‹, te. Zu diesen Reformen gehörte neben der und Kiljon, das heißt ›der Gebrechliche‹. Einhaltung des Schabbats auch das Verbot, Sie waren efratitische Leute aus Betlehem so genannte „fremde“ Frauen zu heiraten, in Juda. Und sie kamen in die Felder ja mehr noch: das Gebot, sich von ihnen zu Moabs und sie lebten dort. Da starb trennen. Diese Maßnahmen hatten ihren Noomis Mann Elimelech, so dass sie zu- Grund darin, dass die Ehen mit Frauen aus rückblieb, sie und ihre beiden Söhne. Diese anderen Völkern zur Folge hatten, dass nahmen sich moabitische Frauen. Der Na- Götzendienst praktiziert wurde – eben jene me der einen war Orpa, das heißt ›die den Sünde, die zum Untergang Israels geführt Rücken Kehrende‹, der Name der anderen hatte. Das hat seinen Niederschlag in der Rut, das heißt ›die Freundin‹. Und sie Hebräischen Bibel gefunden: In den Kapi- wohnten dort etwa zehn Jahre. Da starben teln neun und zehn des Esra-Buches wird auch die beiden, Machlon und Kiljon. Die geschildert, dass Esra sich im Gebet an Frau blieb zurück, ohne ihre beiden Söhne Gott wendet und durch sein Gebet die ge- und ohne ihren Mann. Da machte sie sich samte Gemeinde dazu bringt, zu trauern mit ihren Schwiegertöchtern auf, um aus und zu schwören, sämtliche Mischehen den Feldern Moabs zurückzukehren, denn aufzulösen, um auf diese Weise die Identi- sie hatte in den Feldern Moabs gehört, dass
3 sich Gott des Gottesvolkes angenommen Hier begegnet ein anderer Umgang mit habe und ihm Brot gebe. Gemeinsam mit dem Fremden und dementsprechend auch ihren beiden Schwiegertöchtern zog sie mit den Fremden – ein völlig anderer. Der weg von dem Ort, an dem sie gelebt hatte. Inhalt dieser Geschichte ist in vielerlei Als sie sich auf den Weg machten, um in Hinsicht paradox, und das im ursprüngli- das Land Juda zurückzukehren, sagte chen Sinne des Wortes: Er entspricht nicht Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: den Erwartungen der Leserinnen und Le- »Geht! Kehrt zurück, eine jede in das Haus ser. Bereits im ersten Vers unseres nicht so ihrer Mutter. Möge Gott euch Wohltaten ganz kurzen Predigttextes, der ja zugleich erweisen, wie ihr sie den Toten und mir der erste Vers des Buches Rut ist, begeg- erwiesen habt. Gott möge euch geben, dass nen zwei Paradoxien. Die erste: Es gab ihr Ruhe findet, eine jede im Haus ihres eine Hungernot, mit anderen Worten: Es Mannes.« Und sie küsste sie. Da erhoben gab nicht genug Brot. Und das ausgerech- sie ihre Stimmen einstimmig und weinten. net im ‚Haus des Brotes‘! Das ist nämlich Sie sprachen zu ihr: »Nein, mit dir wollen die Bedeutung des Ortsnamens Betlehem, wir zu deinem Volk zurückkehren.« Und wie in diesem Vers gesagt wird. Das ist in Noomi entgegnete: »Kehrt doch zurück, der Tat paradox. Und die zweite Paradoxie meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir folgt unmittelbar: Elimelech, der daraufhin gehen? Habe ich etwa noch Söhne in mei- Betlehem verlässt, geht mit seiner Familie nem Mutterleib, die eure Männer werden nicht etwa nach Ägypten, das für seine könnten? Kehrt zurück, meine Töchter! reichen Ernten bekannt ist, sondern nach Geht, denn ich bin zu alt für einen Mann. Moab, das nicht gerade ein ideales Ziel für Selbst wenn ich dächte, ich hätte Hoff- efratitische Wirtschaftsflüchtlinge zu sein nung, gar in dieser Nacht mit einem Mann scheint. Denn die Moabiter gehen gemäß zusammen zu sein und Söhne zu gebären, biblischer Darstellung auf Moab zurück, wollt ihr deshalb warten, bis sie groß sind? den Lot mit einer seiner beiden Töchter Wollt ihr deshalb euren Schoß verschlie- gezeugt hatte, nachdem diese ihm so viel ßen und mit keinem Mann zusammen sein? Wein zu trinken gegeben hatte, dass er Nicht doch, meine Töchter. Es ist mir bitter nicht mehr wahrnahm, dass die Frau, die Leid um euch, da die Hand Gottes sich ihn verführte, seine eigene Tochter war gegen mich gerichtet hat.« Da erhoben sie (vgl. Genesis 19, 30-38). Das ist mit dem ihre Stimmen einstimmig und weinten er- kurzen Hinweis zu dem Namen Moab „das neut, dann küsste Orpa ihre Schwiegermut- heißt ›vom Vater‹“ im ersten Vers unseres ter zum letzten Mal, Rut jedoch hängte Predigttextes gemeint. Die Abstammung sich an sie. Noomi entgegnete: »Sieh doch, Moabs galt als unehrenhaft; die Moabiter deine Schwägerin kehrt zu ihrem Volk und hatten dementsprechend keinen allzu guten zu ihrem Gott zurück. Folge deiner Ruf im jüdischen Volk. In den eingangs Schwägerin.« Darauf sagte Rut: »Bedränge genannten Kapiteln neun und zehn des mich doch nicht, dich zu verlassen, mich Esra-Buches werden auch die Moabiter von dir abzuwenden. Denn wo auch immer namentlich unter den Fremdvölkern ge- du hingehst, da gehe ich hin, und wo auch nannt, von denen sich das Volk Israel fern- immer du übernachtest, da übernachte auch halten soll (vgl. Esra 9, 1) und mit deren ich. Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist Angehörigen keine Ehen geschlossen wer- mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich, den sollen (vgl. Esra 9, 12 und 14). Aber dort will ich begraben werden. Gott tue mir zu eben diesen Moabitern zog Elimelech alles Mögliche an, denn nur der Tod wird angesichts der Hungersnot, um dort sich dich und mich trennen!« Als Noomi sah, und seine Familie zu ernähren. Ist es ein dass sie darauf beharrte, mit ihr zu gehen, Zufall, dass die biblische Rut-Geschichte hörte sie auf, ihr zuzureden. So gingen die zu den Aussagen des ebenfalls biblischen beiden, bis sie nach Betlehem kamen. Ersa-Buches in solch einem Widerspruch Rut 1, 1-19a steht oder ist dies womöglich bewusst in-
4 tendiert? Ich halte es für nicht unwahr- Heimat zu machen. Das ist nicht verwun- scheinlich, dass letzteres der Fall ist. Denn derlich, hat sie doch dort noch ein Stück die Geschichte spielt zwar zur Zeit der Land ihres verstorbenen Ehemannes (vgl. Richterinnen und Richter, wie dem ersten Rut 4, 3). Das kann ihr den Lebensunter- Vers zu entnehmen ist, ist jedoch in halt sichern, wenn einer ihrer Verwandten nachexilischer Zeit verfasst worden – also dies kauft, wozu er gemäß der Tora ver- in der Zeit, als Nehemia und Esra wirkten. pflichtet ist. Dass Noomi Moab verlässt, ist Ist die Rut-Geschichte ein Gegenentwurf somit naheliegend und keineswegs para- zu deren Reformen, insbesondere deren dox. Paradox ist hingegen, dass ihre beiden Ablehnung und Ausgrenzung von Angehö- Schwiegertöchter mitkommen möchten. rigen anderer Völker? Noomi versucht, die beiden davon abzu- Die beiden Söhne haben erst dann bringen. Bei Orpa hat sie schließlich Er- moabitische Frauen geheiratet, als ihr Va- folg; die macht ihrem Namen alle Ehre, ter, dessen Name Elimelech die Bedeutung kehrt Noomi den Rücken und macht sich ‚Mein Gott ist König‘ hat und somit als auf den Rückweg in ihre Heimat Moab. Bekenntnis zum Gott Israels verstanden Allerdings fällt ihr diese Entscheidung werden kann, gestorben ist. Erst dann über- schwer und Noomi muss viele Argumente traten sie das Verbot der Mischehe, wie es ins Feld führen, bis Orpa sich entschließt, im Esra-Buch überliefert ist. Dass es kei- tränenreich von ihrer Schwiegermutter neswegs selbstverständlich und unumstrit- Abschied zu nehmen und zurückzukehren. ten war, als efratitischer Mann eine Dies ist nicht nur ein Abschied von ihrer moabitische Frau zu heiraten, war den bei- Schwiegermutter, sondern auch von ihrer den Söhnen offenbar bewusst. Im weiteren Schwägerin, denn Rut lässt sich trotz aller Verlauf der Geschichte starben die beiden gewichtigen Einwände Noomis nicht da- Söhne. Es ist keineswegs zwingend, ihren von abhalten, bei ihrer Schwiegermutter zu Tod als Strafe für die Übertretung des Ver- bleiben, und bringt dies in aller Deutlich- botes der Mischehe zu verstehen, denn ihre keit zum Ausdruck. Ich lese ihre – wie ich beiden Namen Machlon, zu Deutsch: der persönlich finde – bewegenden Worte noch Schwächliche, und Kiljon, zu Deutsch: der einmal: »Bedränge mich doch nicht, dich Gebrechliche, können durchaus als Hin- zu verlassen, mich von dir abzuwenden. weise darauf verstanden werden, dass sie Denn wo auch immer du hingehst, da gehe nicht das sprichwörtliche biblische Alter ich hin, und wo auch immer du übernach- erreichen werden. Und diese Namen trugen test, da übernachte auch ich. Dein Volk ist sie ja bereits von Geburt an, also lange vor mein Volk, dein Gott ist mein Gott. Wo du ihren jeweiligen Eheschließungen. Die stirbst, da sterbe ich, dort will ich begraben anderen Namen, die in der Rut-Geschichte werden. Gott tue mir alles Mögliche an, begegnen, sind nicht weniger bedeutungs- denn nur der Tod wird dich und mich tren- voll. So hat der Name Noomi die Bedeu- nen!« Diese Worte werden als Konversion tung die ‚Liebliche‘, der Name Rut die zum Judentum gedeutet. Somit verstößt Bedeutung ‚die Freundin‘ und der Name Boas nicht gegen das eingangs genannte Orpa die Bedeutung ‚die den Rücken Keh- Verbot der Mischehe aus dem Esra-Buch, rende‘. Jeder dieser Namen ist somit ein als er später Rut heiratet. Aber jetzt greife deutlicher Hinweis auf die Rolle der jewei- ich der Geschichte vor. Soweit sind wir ligen Figur in dieser Geschichte. noch nicht. Genauer gesagt: Soweit sind Die Geschichte der drei Witwen ist noch Noomi und Rut noch nicht. Erst mussten lange nicht an ihrem Ende angekommen. sie den Weg nach Bethlehem zurücklegen. Denn jetzt gibt es eine Wendung: In Betle- Im letzten Vers unseres heutigen Predigt- hem, dem Haus des Brotes, gibt es wieder textes wird dies mit den wenigen Worten Brot. Noomi, deren Mann und deren beide beschrieben: „So gingen die beiden, bis sie Söhne in Moab gestorben sind, nimmt dies nach Betlehem kamen“ – ein Satz, der zum Anlass, sich auf den Rückweg in ihre dem, was die beiden Frauen geleistet ha-
5 ben, nicht so ganz gerecht wird. Denn es Schwägerin, die diese Konversion nicht erforderte von den beiden Frauen viel Mut, vollzog, sondern nach Moab zurückkehrte, diesen Weg ohne weitere Begleitung zu- nicht negativ gesehen. Ihre Entscheidung, rückzulegen. Insbesondere Rut zeigt sich der Aufforderung Noomis zur Rückkehr zu hier als überaus mutig, verzichtet sie doch folgen, wird im biblischen Text nicht kriti- auf die familiäre Absicherung in ihrer siert. Und als Noomi ihren beiden Schwie- Heimat, gibt ihre Religion auf und schließt gertöchtern sagte: »Möge Gott euch Wohl- sich ohne eine wie auch immer gegebene taten erweisen, wie ihr sie den Toten und Absicherung Noomi an. Ein spannender mir erwiesen habt«, da sagte sie es beiden Predigttext, der Lust macht, die Geschichte – nicht nur Rut, sondern auch Orpa. Auch von Rut und Noomi weiterzulesen – auch ihr, die nicht zum Judentum konvertiert, dann, wenn man sie bereits kennt. Wirklich wird attestiert, dass sie ihrem verstorbenen gute Geschichten kann man gerne mehr- Ehemann und ihrer Schwiegermutter mals lesen. Die Rut-Geschichte ist eine „Wohltaten erwiesen“ und sich somit vor- von ihnen. bildlich verhalten hat. Im hebräischen Text Was sagt sie uns, diese Geschichte, die wir steht an dieser Stelle das Nomen חסד, das in einer ganz anderen Zeit leben, in einer die Bedeutungen „Barmherzigkeit“, „Lie- ganz anderen Kultur unter ganz anderen be“, „Gunst“, „Güte“ und „Huld“ hat. Die- gesellschaftlichen Rahmenbedingungen? ses Nomen wird hier verwendet, um das Ich komme auf die Frage zurück, ob die Verhalten einer Nichtjüdin, ja mehr noch: Hebräische Bibel ein fremdenfeindliches einer moabitischen Frau, zu charakterisie- Buch ist – zumindest in den eingangs ge- ren. Eine solche Darstellung ist das Gegen- nannten Teilen aus nachexilischer Zeit. teil von fremdenfeindlich. Dass Orpa eine Und mit Blick auf unseren heutigen Pre- Fremde ist, eine Frau aus einem fremden digttext aus dem Buch Rut bleibe ich bei Volk, das keinen guten Ruf hat, ist kein meinem klaren „Nein“ als Antwort. Denn Grund, sie abzuqualifizieren. Es wird deut- in diesem biblischen Text wird gezeigt, lich zur Sprache gebracht, dass sie keine dass es möglich ist, die Identität der nach- Jüdin ist und auch keine werden wird, und exilischen Gemeinde zu bewahren, ohne dass sie als eine solche Frau Respekt und Menschen, die nicht zum jüdischen Volk Wertschätzung erfährt. gehören, dabei abzuqualifizieren. Wenn Diese Botschaft der Rut-Geschichte ist wir der Deutung folgen, dass Rut eine eine implizite Aufforderung, Fremden, Konversion vollzogen hatte, dann steht Menschen mit anderem kulturellen und außer Frage, dass sie – die künftige Ur- religiösen Hintergrund, mit Respekt und großmutter von König David – damit eine Wertschätzung zu begegnen. Diese Auf- Jüdin geworden war. Sie hatte aus freien forderung ist in unserer gegenwärtigen Stücken die Tora angenommen. Dem ent- Gesellschaft nicht weniger aktuell als in spricht, dass das Buch Rut im synagogalen der nachexilischen Zeit, in der das Buch Gottesdienst zu Schawuot gelesen wird, im Rut verfasst wurde. Nehmen wir sie uns zu Rahmen des jüdischen Festes, über das der Herzen und tragen wir auf diese Weise liberale Rabbiner Max Dienemann schrieb, unseren Teil dazu bei, das Miteinander in es sei „der Festtag der Tora schlechthin“ unserer Gesellschaft so zu gestalten, wie es (Max Dienemann, Schawuot, in: Friedrich der Tora entspricht! Thieberger [Hg.], Jüdisches Fest – Jüdischer Amen. Brauch. Nachdruck der im Jahre 1937 von den nationalsozialistischen Behörden beschlagnahmten und vernichteten Erstauflage, Königstein/Ts. 31985, S. 280-287, hier S. 283). Zugleich wird ihre * * *
6 Baubeginn der Jerusalem-Kirche vor 110 Jahren von Dr. Michael Arretz In der letzten Ausgabe des Jerusalem- sen, was wir tun werden und mit welchen Briefes hatten wir beschrieben, wie auf Partnern wir was unternehmen werden. Initiative von Pastor Arnold Frank in Angesichts der Haushaltslage und der an- Hamburg Eimsbüttel das Jerusalem- stehenden Sanierungsmaßnahmen werden Ensemble aus Kirche, Krankenhaus und die uns bislang angebotenen Pachterträge Diakonissenhaus entstanden ist. Hierbei bei weitem nicht ausreichend sein. So müs- kam es nicht nur auf den großen Traum sen wir weiter an Ideen und Konzepten von Arnold Frank an, sondern auch auf arbeiten und das tun wir in einer Arbeits- einen genialen Architekten wie Johannes gruppe aus Mitgliedern des Kirchenge- Grotjan und Gönner wie Hermann Fölsch. meinderates. Denn es gilt zu bedenken und Nunmehr jährt sich zum 110. Male der abzuwägen, wie sich die Vielzahl der Ideen Spatenstich mit Grundsteinlegung für un- in einem architektonischen Konzept um- sere Kirche. Am 8. August 1911 war der setzen lässt und wie sich dann möglicher- feierliche Akt und dies ist Grund genug für weise ein Betrieb realisieren lassen würde. uns, dies zu fei- Aktuell machen ern. Zumal der 8. wir das mit der August 2021 ein Verpachtung der Sonntag ist und Parkplätze und dazu noch der der Vermietung Israel-Sonn-tag. der Wohnungen Mehr geht nicht in dem ehemali- und wir werden gen Schwestern- alles für eine wohnheim. Und schöne feierliche wie schon unsere Stunde vorberei- Altvorderen das ten. Wie sich das Diakoniewerk dann realisieren gegründet haben, lässt, wird sich um den Betrieb zeigen. Wir sind im Krankenhaus auf jeden Fall jetzt schon frohen Mutes und sicherzustellen, so wäre die Gründung ei- freuen uns, alle Glieder und Freunde der ner Stiftung auch eine Möglichkeit, um den Gemeinde hiermit einzuladen. Dann kön- Betrieb von verschiedenen Konzepten zu nen wir sicher auch mehr über den Fort- gewährleisten. Natürlich werden wir nach gang der Planungen für die Nutzung des den weiteren Gesprächen Sie als Gemein- Grundstücks berichten. Seit Herbst letzten deglieder einbeziehen und später Nachbarn Jahres haben wir viele Gespräche geführt und eben die Interessenten für die Nutzung mit Architekten und Investoren, mit Inte- von Flächen. Wir gehen heute im Mai ressenten, Nachbarn, Behörden und der 2021 davon aus, dass wir bei der Feier zum Vertreter*innen der Politik. Fazit ist, dass 110. Jahrestag der Grundsteinlegung unse- unser Grundstück in dieser Lage für alle rer Jerusalem Kirche mehr wissen und Gesprächspartner sehr interessant ist und schon was planen können. wir uns als Gemeinde nun überlegen müs- * * *
7 Post aus Kibakwe von Helga Kießling Zweimal Post aus Kibakwe: ein Neujahrs- ist, in wenigen Wochen einmal wieder brief und eine Osterkarte, dazwischen viele nach Dodoma reisen zu können. Aber diese Telefongespräche. Worüber haben wir ge- sich abschwächende zweite Coronawelle sprochen? Über Coro- hat Trauer über Tan- na natürlich. Wir sind sania gebracht, denn am Telefon gemein- am 17. März ist Präsi- sam den Weg durch dent Magufuli gestor- diese, wie Padré Ce- ben. Die Men-schen lestine sie in seinem weinten um ihn und Brief nennt, „wirre“ beteten, dass sein Weg Zeit gegangen. Wir fortgesetzt wer-den teilten diese eine Sor- möge, sagte mir Padré ge und erlebten ge- Celestine am Telefon. meinsam die Freude, Und das hat die Nach- auf die Frage: „Wie folgerin im Amt, Sa- geht es euch?“ „Uns geht es gut.“ zu hören mia Suluhu Hassan, versprochen. und das gleiche auch sagen zu können. Die Infektionen nehmen in Tansania weiter Von hier an soll nur noch Padré Celestine ab, sodass Padré Celestine zuversichtlich sprechen: Padr Celestines Brief vom 22. Dezember 2020 In Dodoma gestempelt am 21. Januar 2021, erhalten am 2. Februar 2021 Wir alle zusammen, die Familie, die kann nicht über das Jahr 2020 sprechen, Freunde in Hamburg, die in Kurio und ohne Corona zu erwähnen. Es fing vor Kibakwe, wir alle danken Gott dafür, dass 2020 an und erfasste Schritt für Schritt fast wir bald das neue Jahr 2021 erblicken wer- die ganze Welt und ist bis heute ihre Be- den. Viele hätten es auch gern erblickt, drohung. Bei vielen Menschen führte die können es aber wegen der vielen Heraus- Ansteckung zum Tode, manche erkrank- forderungen nicht. ten, starben aber nicht. Tansania war, wie Vor ein paar Tagen erhielt ich Eure Päck- andere Länder auch, davon nicht ausge- chen und auch das Geld, das Ihr geschickt schlossen. Allerdings starben nicht viele habt. Es ist eine große Hilfe für viele Men- Menschen, aber sie machten eine furchtba- schen hier in Kibakwe und auch in Kurio, re Erfahrung. ganz besonders in dieser wirren Zeit. Am Corona-Überblick: Corona fing in China meisten freut es mich, dass die ganze Fa- an und breitete sich von dort sehr schnell milie und alle Freunde gesund sind. von Land zu Land aus, von einem Konti- Das Jahr 2020 war auf seine ganz eigene nent zum anderen. Diese Schnelligkeit Weise ein unvergessliches, von seinem verunsicherte viele Menschen und sogar Anfang bis zu seinem Ende. Corona ist es, die WHO. Verunsicherung also, wie ich und es hat die ganze Welt erfasst. Obwohl schon sagte, nicht nur bei den großen Or- wir in verschiedenen Kontinenten leben, ganisationen, sondern auch bei einzelnen weit entfernt voneinander, so fühlen wir Menschen. Im April gab die WHO be- uns trotz der geographischen Ferne einan- kannt, dass es in kurzer Zeit in den Län- der ganz nah. Aber Corona hat auf seine dern der Dritten Welt zu einem Massen- ganz eigene Art Grenzen gezogen. Man sterben kommen werde. Diese Bekanntma-
8 chung verstärkte die Spannungen zwischen Stadtratswahl. Alles verlief gut. Dr. John den Ländern und sogar zwischen den Men- Magufuli wurde für weitere fünf Jahre schen in den Ländern der Dritten Welt. wieder gewählt. Die CCM wird gegenüber Tansania, als eines dieser Länder, hörte den Oppositionsparteien immer stärker. nicht darauf, ging seinen eigenen Weg und Magufuli hat in den fünf Jahren seiner Prä- unterschied sich somit von den anderen. sidentschaft Tansania von der Armutsstufe Aber dabei erlebten wir so Schreckliches, auf die mittlerer wirtschaftlicher Entwick- wie es das im ganzen Leben noch nicht lung angehoben. Das wurde in der ganzen gegeben hatte. Nachdem weltweit der Welt wahrgenommen. Allerdings leben die Lockdown bekannt gegeben worden war, Menschen immer noch in Armut. Er hat traute keiner mehr dem anderen, ob Mann noch vieles andere Gutes getan, das wir oder Frau, und keiner ging aus, um das Tansanier als ein Zeichen der Hoffnung Lebensnotwendige zu besorgen. Corona und Ermutigung für die Zukunft nicht ver- befiel besonders die Städte, die von Men- gessen sollten. Wir haben einen sehr star- schen aus aller Welt aus verschiedenen ken Präsidenten, einen mutigen, nie verza- Gründen besucht werden, z.B. Dar es genden Mann. Tansania bzw. der gesamte Salaam, Arusha, Tanga und andere große afrikanische Kontinent braucht starke Städte. In Dodoma erkrankten wenige Männer wie Magufuli, um die Menschen Menschen, einige starben, unter ihnen auch erkennen zu lassen, dass wir mutig sein einer unserer Priester. Obwohl es nur in können, dass wir überhaupt etwas können. wenigen Städten Corona gab, stand das Die negative Seite: Sie bewegt mich zu- ganze Land in großer Unruhe. Viele Men- tiefst, denn etwas hat die ganze Welt ge- schen flohen aus den Städten in ihre Dör- troffen und führte zu einer großen Verän- fer. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, waren derung im Leben der Menschen und ihrem in allen Dörfern Menschen aus den Städ- Verhalten. Es war, und es ist, ist immer ten. Es waren viele Jugendliche, die, um noch schwer, etwas darüber zu sagen. Was besser leben zu können, ihr Heimatdorf darüber denken! Was dazu sagen! Was verlassen hatten, um in der Stadt Arbeit zu sich vorstellen! Aber es hat unvergessliche suchen. 2020 kehrte sich alles um, von der Geschichte geschrieben. – COVID 19 – Stadt ins Dorf. Stellt Euch nun die Situati- Die ganze Welt ist in Sorge. Ich möchte on in den Dörfern vor. Dort wussten die etwas darüber sagen, wie Covid 19 die Menschen von dem tödlichen Coronavirus Lebensweise der Tansanier beeinflusst. in den Städten und dass von dort die Men- schen in die Dörfer flüchteten. 9.1.2021 In ganz Afrika gibt es viele Krankheiten, 6.1.2021 die die Menschen hier durchmachen. Das Jahr 2020 kann wegen der vielen Er- Durchfall zum Beispiel und andere Krank- eignisse nicht vergessen werden. Manche heiten, die sie befallen. Für gewöhnlich waren schlecht und manche gut. Ich begin- treten sie in kleinen Bereichen auf, und die ne mit den guten. 2020 war ein Jahr, das Menschen sind nicht sehr besorgt, weil es vielversprechend anfing, das heißt, es reg- ihnen nicht schwer fällt, sie wieder loszu- nete im ganzen Land. Und das ist wichtig werden. Corona ist eine neue Erfahrung für für die Tansanier, weil die meisten von die gesamte Welt, für alle Kontinente, für ihnen von der Landwirtschaft abhängen: alle Menschen, arme und reiche, hoch ge- kein Regen, keine Landwirtschaft. Zum lehrte und weniger gelehrte, gebildete und Teil hat es zu viel geregnet. Das hat viele ungebildete. Alle sitzen im selben Boot. Felder zerstört. Als das Virus noch auf China begrenzt war, gab es besonders in den technologisch Seite 2 entwickelten Ländern Überlegungen, wie Das Jahr 2020 war auch ein Wahljahr: Par- seine Ausbreitung verhindert werden kön- lamentswahl, Präsidentschaftswahl und ne. Es wurde angenommen, dass Covid 19
9 besonders in den Ländern der Dritten Welt Andererseits hat Corona, trotz seiner Be- die meisten Opfer fordern werde. Das Vi- drohung für alle Kontinente, einen positi- rus verbreitete sich im Nu. Es erfasste jede ven Effekt. Es hat die ganze Welt dazu Nation, brachte die Welt zu einem gemein- gebracht, eins zu werden. Alle Menschen samen Schrei, stellte alle auf dieselbe Ebe- haben einen gemeinsamen Feind und ver- ne, egal ob reich oder arm. Jeder bemühte suchen einen Weg zu finden, um ihn los- sich ums Überleben, wo und wie er sein zuwerden. – Dann haben Leben retten konnte. WHO sagte im letzten Jahr voraus, dass in Afrika viele Menschen Seite 3 an Covid 19 sterben würden, und die Afri- sich viele Menschen Gott zugewandt. So- kaner hätten keine Möglichkeit, die Toten gar diejenigen, die nicht an Gott gedacht zu begraben, weil es überall zu viele wä- haben, fingen an, zu ihm zu beten. – Auch ren. Das brachte Afrika in große Sorge, haben Menschen durch diesen Feind ange- auch Tansania als einen Teil davon. Aber fangen, darüber nachzudenken, dass nur unser Präsident dachte anders darüber. Er Einer, und das ist Gott, die Antwort auf sagte erstens: „Niemand wird ewig leben. dieses Problem sein könne, denn alle Men- Wird einer geboren, muss er auch sterben, schen sitzen in einem Boot. Keiner steht auf welche Weise, das ist gleich. Darum über Gott. hört auf, euch zu fürchten.“ Zweitens: „Al- Die negative Seite: Corona hat die mensch- le müssen den Anweisungen der liche Entwicklung zerstört: Wirtschaft, Gesundheitsorganisa-tionen Folge leisten.“ Bildung, Gesellschaft, Zukunftspläne, Drittens: „Jeder muss hart arbeiten, denn Hoffnung etc. – Die FAO hat einen Nah- wenn wir nicht arbeiten, könnte das zu rungsmangel vorausgesagt, der in der gan- mehr Toten führen, als vorausgesagt wor- zen Welt zu weiteren Toten führen werde. den sind.“ Viertens: „Die ganze Nation Lasst uns alle zu Gott beten, damit die muss sich Gott zuwenden, denn nur Gott Hoffnung besteht, eine Lösung für dieses kann seine Menschen retten oder ihnen den Problem zu finden. Himmel verschließen. Darum überlasst Ich wünsche Euch allen das Beste, und alles dem allmächtigen Gott und lasst uns viele Grüße an die ganze Familie, an alle weiterma-chen in unserem täglichen Tun.“ Freunde und alle Menschen, die mich ken- Man kann es nicht glauben, aber die Ge- nen, in Hamburg, Kiel und anderen Orten danken unseres Präsidenten Dr. John in Deutschland. Lasst uns nicht aufhören, Pombe Magufuli berührten jeden. Jeder füreinander zu beten. beruhigte sich, setzte seine Hoffnung auf Gott und lebte wie zuvor. – Bis jetzt gab es gez. Celestine Lipambile in den Städten Tansanias sehr wenige Tote, Übersetzt von Helga Kießling und die Menschen leben ihr Leben wie gewohnt. Das ist Tansania. Padré Celestines Osterkarte vom 19. März 2021 Poststempel: Dodoma 29. März 2021 Zustellung: 13. April 2021
10 Es ist eine schwere Zeit wegen Coro- na. Corona fordert Menschenleben in der ganzen Welt. Jeder ist voller Zweifel, jeder fürchtet sich und, schlimmer noch, jeder fürchtet sich vor jedem. Keiner kann vertrauensvoll neben einem anderen stehen, sitzen oder ihm die Hand geben. Corona hat Familien getrennt, Freunde, Nachbarn und andere. Corona hat alles schwer gemacht. Wir können nirgendwohin fahren, um das täglich Notwendige zu besorgen. Wir hier in Kibakwe, wie in anderen Dörfern, Kurio z.B., müssen für unsere Bedürfnisse in die Stadt fahren. Für uns ist es schwer gewor- den, auch nur Salz und dergleichen zu bekommen. dieser Osterzeit für Euch und für die ganze Corona ist für jeden eine Bedrohung ge- Welt. worden, aber glücklicherweise nehmen in Ich wünsche Euch frohe Ostern. diesem Monat März, im Vergleich zu Ja- (Die Unterschrift fehlt. Es war für sie kein nuar und Februar, die Infektionen immer Platz mehr auf der Karte.) weiter ab. Wir beten darum, dass es weiter besser werden möge. Auch beten wir in Übersetzt von Helga Kießling. * * * Gedanken zum Monatsspruch im Juni 2021 „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apostelgeschichte 5, 29) von Oliver Haupt Vor rund 2000 Jahren in Jerusalem, in der Aber die Apostel haben weiterhin offen ersten Phase der noch jungen christlichen und mit ungebrochenem Sendungsbe- Glaubensgemeinschaft, werden die Apos- wusstsein auf den Plätzen und in den Säu- tel zu einer behördlichen Befragung vorge- lenhallen des Tempels ihren Glauben in laden. Sie hatten gegen staatliche Auflagen Rede und Gespräch vertreten und damit verstoßen. Zum Schutz der öffentlichen für Menschenansammlungen und geistige Ordnung und im allgemeinen Interesse Unruhe gesorgt. Doch jetzt wollen die hatten die staatlichen Institutionen der Behörden das nicht weiter durchgehen neuen Glaubensgemeinschaft die freie lassen und sie laden die Apostel polizeilich Entfaltung verweigert. Das Team Vorsicht vor. „Wie kommt ihr dazu, gegen die Auf- hatte sich durchgesetzt. Die Regierung lagen zu verstoßen? Die verhängten Maß- erließ gegenüber den Aposteln eine Ver- nahmen waren unmissverständlich, mit ordnung: Ihr unterlasst das öffentliche besten Gründen und im allgemeinen Inte- Predigen im Namen Jesu von Nazareth, resse, außerdem absolut notwendig und ansonsten drohen euch Konsequenzen. verhältnismäßig!“, entrüsten sich die Ver-
11 antwortlichen angesichts des zivilen Un- Tatkraft und ihres Lebensmutes. Und so gehorsams der Überzeugungstäter. Die mussten sie nicht lange abwägen und grü- Antwort, die von Petrus und den anderen beln, um sich klar zu sein: Nein, wir sind Aposteln überliefert ist, hat es in sich: eben nicht die Gefährder, die man auf Ab- „Man muss Gott mehr gehorchen als den stand halten und einsperren muss, so wie Menschen“. Und das ist nun auch noch es die Verantwortlichen gerne darstellen unser biblischer Leitspruch für den Monat würden. Nein, wir bringen im Gegenteil Juni. Ach du meine Güte! Wo kämen wir mit unserer Verkündigung ein Stück Hei- denn da hin, wenn somit jeder Sektenfüh- lung in eine gespaltene, ängstliche, aggres- rer mit dem schlichten Verweis auf Gott sive Welt, in eine Gesellschaft, in der der nach Gutdünken staatliche Anordnungen Zündstoff immer mehr wird und in der ignorieren dürfte? In der Tat: Den Willen dringend neue Hoffnung gebraucht wird. Gottes gegen den Willen des Staates aus- In einer gefährlichen Welt finden sich im- spielen, das wirft weitreichende Fragen mer Gründe, um das Leben einzuschrän- auf: Wer stellt den Willen Gottes fest? ken. Das Evangelium aber dient der Be- Und was ist, wenn dieje- freiung des Einzelnen nigen sich gar nicht einig von der Lebens-Angst. werden, weil sie unter- Die Welt mag gefährlich schiedlichen Glaubens- sein; das war sie immer gemeinschaften angehö- und wird sie immer blei- ren? Und wie ernst dürfte ben. Doch als Christ be- eine staatliche Ord- kommst du den Geist, nungsmacht solch einen der dir Freimut gibt. vermeintlichen göttlichen Menschen mit dem Geist Willen nehmen, ohne Gottes ziehen sich nicht sich selbst auszuhöhlen? aus Angst und Unsicher- Welche Einschränkungen heit zurück, und sie las- aber wären andererseits sen sich auch nicht durch eine ungerechte Schika- Angst und Unsicherheit ne? All das wird dann zur einsperren. Das christli- Frage. Für Juristen. Für che Zeugnis stellt eine Kirchliche Räte. Für lei- letztgültige Zuversicht in tende Beamte der Exeku- den Raum, es atmet eine tive. Aber nicht für die Apostel damals. ultimative Hoffnung, aus der eine heilende Ihnen stellen sich all diese Fragen nach Kraft freigesetzt wird. Diese Heilkraft Prinzipien und Präzedenzfällen nicht. Sie schafft Distanz zu Angst und Lähmung. stehen als kleine Gruppe, sogar nur als Die Freiheit des Heiligen Geistes immuni- einige wenige Einzelpersonen, in einer siert gegen die Enge falscher Sicherheiten, sehr persönlichen, sehr individuellen Ge- die zu Gefängnissen werden. Nein, ein wissensentscheidung. Sie hatten keine Mensch, der den lebendigen Geist Jesu am allgemeine, politisch, juristisch und theo- eigenen Leibe und in der eigenen Seele logisch abgesicherte Position, auch keine erlebt, darf sich nicht bereitwillig unter- rhetorisch und diplomatisch ausgefeilte ordnen unter verordnete Angst und Enge. Handreichung zum Nachschlagen. Was sie Er ist der Hoffnung verpflichtet, und der hatten, das war so schlicht wie faszinie- heilenden Botschaft von Jesus, dem Hei- rend: Sie hatten den Freimut des Heiligen land, die von Mensch zu Mensch muss und Geistes (vgl. Apg. 4,29.31); und diesen nicht still zurückbehalten werden darf. Sie Geist, den Geist Gottes, den kannten sie muss geteilt werden, immer weiter geteilt persönlich und sehr gut aus ihrem Leben und mitgeteilt, im Wort, im Brot, im Lä- und ihren Erfahrungen mit Gott. Er war ihr cheln, im Segen, in der Begegnung, von täglicher Begleiter, er war die Quelle ihrer Angesicht zu Angesicht, von Hand zu
12 Hand. Ja, wir müssen Gott mehr gehor- Apostel haben es schon damals richtig chen als den Menschen. Petrus und die erkannt. * * * Gedanken zum Monatsspruch im Juli 2021 „Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ (Apostelgeschichte 17, 27) von Dr. Hans-Christoph Goßmann „… in ihm leben, weben und sind wir“ – Bedeutung dieser Stadt zur Zeit des Apos- eine solche Aussage über Gott aus dem tels Paulus keineswegs mehr so groß wie in Mund des Paulus? Dies ist eine bemer- der Antike. Diese Stadt war zu seiner Zeit kenswerte Formulierung, die die Frage weder Metropole noch philosophisches aufwirft: Wo hat sich der Apostel so geäu- Zentrum, sondern eher Provinzstadt. In ßert? Die Antwort auf diese Frage: in diesem Abschnitt aus der Apostelgeschich- Athen. Dort wartete er auf Silas und Timo- te wird jedoch auf die frühere Bedeutung theus. Während er dies tat, lernte er die Athens zurückgegriffen und somit eine Stadt näher kennen und vor allem deren Kulisse für eine idealtypische Auseinan- Religiosität. Was er dabei sah, entsetzte dersetzung zwischen Philosophie und ihn. Es „ergrimmte sein Geist in ihm, als er Christentum geschaffen. die Stadt voller Götzenbilder sah“ (Apos- Diese Auseinandersetzung findet auf dem telgeschichte 17, Vers 16b). Da konnte er Areopag statt. Dort hält Paulus die Rede, nicht schweigen. Und das tat er auch nicht; der der Monatsspruch für den Monat Juli „er redete zu den Juden und den Gottes- entnommen ist. In ihr verkündigt er den fürchtigen in der Synagoge und täglich auf Athenern seinen christlichen Glauben. Dies dem Markt zu denen, die sich einfanden“ tut er, indem er versucht, Brücken zwi- (Vers 17). Das wurde zwar gehört, löste schen christlichem Glauben und griechi- aber keineswegs Begeisterung aus, sondern scher Philosophie zu bauen: „Ich bin um- vielmehr Streit: „Einige Philosophen aber, hergegangen und habe eure Heiligtümer Epikureer und Stoiker, stritten mit ihm. angesehen und fand einen Altar, auf dem Und einige von ihnen sprachen: Was will stand geschrieben: Dem unbekannten dieser Schwätzer sagen?“ (Vers 18a). Das Gott“ (Vers 23a). Ob es einen Altar mit der griechische Substantiv σπερμολόγος, das Aufschrift „Dem unbekannten Gott“ gege- Luther an dieser Stelle als „Schwätzer“ ben hat, ist unklar. Epigraphisch und litera- übersetzt, heißt wörtlich: „Körnerpicker“. risch belegt sind derartige Aufschriften Hinter dieser Bezeichnung steht der durch- lediglich im Plural: den unbekannten Göt- aus berechtigte Vorwurf, dass Paulus mit tern. In jedem Fall ist die Lutherüberset- der griechischen Philosophie sehr eklek- zung an dieser Stelle nicht ganz korrekt, da tisch umgeht; er pickt sich einzelne philo- es an dieser Stelle wörtlich heißt: „einem sophische Aussagen wie Körner heraus. unbekannten Gott“ und nicht: „dem unbe- Es drängt sich die Frage auf: Paulus und kannten Gott“. Athen – passt das zusammen? Denn hier Paulus fährt fort, indem er Gott als den treffen gleichsam zwei Welten aufeinander Schöpfer der Welt bezeichnet: „Gott, der – die philosophische Tradition der Grie- die Welt gemacht hat und alles, was darin chen und das noch junge Christentum. ist“ (Vers 24a). Das ist ein Anknüpfungs- Athen repräsentiert hier gleichsam die punkt an die griechische Philosophie, denn griechische Philosophie. Dabei war die in ihr wird durchaus auch vom „Schöpfer
13 des Kosmos“ gesprochen. Auch seine Aus- Interpretationsmöglichkeiten vor Augen sage, dass Gott nicht darauf angewiesen hatten, als sie das Zitat aus dem Munde des ist, von Menschen bedient zu werden (Vers Paulus hörten. Diese kritische Anfrage gilt 25: „Auch lässt er sich nicht von Men- auch für das weitere Zitat in diesem Vers: schenhänden dienen wie einer, der etwas „Wir sind seines Geschlechts“. Dies ist das nötig hätte, da er doch selber jedermann einzige explizite Klassikerzitat im gesam- Leben und Odem und alles gibt.“), hat ihre ten Neuen Testament. Hier zitiert der luka- Entsprechung im aufgeklärten griechischen nische Paulus den fünften Vers aus dem Denken. Paulus verknüpft hier biblische Lehrgedicht ‚Phainomena‘ des Stoikers Sprache mit der Begrifflichkeit dieses Aratus von Soloi (3. Jahrhundert v.Chr.), Denkens. der aus der kilikischen Heimat des Paulus Im zweiten Teil seiner Rede thematisiert er stammte und am Hof der Ptolemäer in die Beziehung von Gott und Mensch. In Ägypten lebte. In diesem Lehrgedicht wird diesem Zusammenhang steht der Monats- Zeus für seine Fürsorge für den Menschen spruch für den Monat Juli: „Gott ist nicht gelobt, die darin ihren Ausdruck findet, ferne von einem jeden unter uns. Denn in dass er den Menschen die Kenntnis der ihm leben, weben und sind wir.“ Die Aus- richtigen Zeiten für Aussaat und Ernte gibt. sage in dessen erstem Satz, dass Gott Diese Worte, bei denen es sich um die „nicht ferne von einem jeden unter uns“ zweite Hälfte eines Hexameters handelt, ist, ist wieder ein Brückenschlag zwischen standen in ähnlicher Form auch in einem biblischen Aussagen, die die Nähe Gottes Zeus-Hymnus des Stoikers Kleanthes. Mit betonen, und entsprechenden philosophi- der Aussage, dass die Menschen vom Ge- schen Aussagen. So lesen wir etwa bei schlecht des Zeus und somit göttlichen Seneca: „Gott ist dir nahe, ist mit dir, ist in Geschlechts sind, wird die Vorstellung von dir“ (Epistolae 41, 1). Und dann geht Pau- Zeus als „Vater der Götter und Menschen“ lus noch einen Schritt weiter, indem er aufgenommen. Auch hier versucht Paulus, nicht lediglich indirekt Bezüge zwischen eine Brücke zwischen griechischer Religi- biblischem Glauben und Philosophie zur osität und biblischem Glauben zu bauen, Sprache bringt, sondern griechische Tradi- aber auch hier ist zu fragen, ob dadurch tion direkt zitiert, wenn er sagt: „Denn in nicht eine grundlegende Differenz zwi- ihm leben, weben und sind wir; wie auch schen ihnen überspielt wird. Denn der bib- einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir lische Monotheismus und die griechische sind seines Geschlechts“ (Vers 28). Die polytheistische Götterwelt sind nicht kom- eingangs begegnende stoische Dreierfor- patibel. mel „in ihm – griechisch: ἐν αὐτῷ – leben, Das wird spätestens am Ende der Areo- weben und sind wir“ ist pantheistisch ge- pagrede deutlich, in dem Paulus seine Zu- dacht; Gott wird als immanent im Men- hörer zur Buße, zur Umkehr aufruft und schen verstanden. Das ist eindeutig kein das bevorstehende Gericht Gottes ankün- biblisch-theologisches Denken. Wenn aber digt. Paulus begründet diesen Bußruf chris- die Präposition ἐν nicht lokal, sondern in- tologisch: „Denn er hat einen Tag festge- strumental verstanden wird, sodass ἐν setzt, an dem er den Erdkreis richten will αὐτῷ dann nicht bedeutet „in ihm“, son- mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den dern „durch ihn“, dann entspricht dies er dazu bestimmt hat, und hat jedermann durchaus biblischer Theologie. Und die den Glauben angeboten, indem er ihn von Präposition ἐν kann – wie ihr hebräisches den Toten auferweckt hat“ (Vers 31). Die- se christologische Begründung des Buß- Pendent – בbeide Bedeutungen haben. Die rufes werden die Zuhörer des Apostels als Art und Weise, in der Paulus hier griechi- befremdlich empfunden haben, denn die sche Tradition zitiert, ist jedoch mit einem Vorstellung einer Auferstehung dessen, der Fragezeichen zu versehen. Denn es darf als Richter aller Menschen fungieren wird, bezweifelt werden, dass seine griechisch steht quer zu ihren Vorstellungen. Hier gibt denkenden Zuhörer diese unterschiedlichen
14 es keine Anknüpfungspunkte, die zur grie- telgeschichte zu entnehmen ist: „Einige chischen polytheistischen Religion Brü- Männer schlossen sich ihm an und wurden cken bauen. Die überwiegende Reaktion gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, auf die Areopagrede des Paulus bestand einer aus dem Rat, und eine Frau mit Na- dementsprechend aus Spott oder Desinte- men Damaris und andere mit ihnen“ (Vers resse: „Als sie von der Auferstehung der 34). Verglichen mit anderen Missionser- Toten hörten, begannen die einen zu spot- folgen ist dieses Resultat sicher als ziem- ten; die andern aber sprachen: Wir wollen lich bescheiden zu bezeichnen. Als Paulus dich darüber ein andermal weiterhören“ und Barnabas zum zweiten Mal in der Sy- (Vers 32), sodass Paulus von dannen zog: nagoge in Antiochia in Pisidien sprachen, „So ging Paulus von ihnen“ (Vers 33). Das hatte dies einen ungleich größeren Erfolg, Gespräch war beendet. Es war – um es mit wie im dreizehnten Kapitel der Apostelge- den Worten von Martin Buber zu sagen – schichte zu lesen ist. Dort heißt es: „Als eher eine Vergegnung denn eine Begeg- das die Heiden hörten, wurden sie froh und nung. Die an diesem Treffen Beteiligten priesen das Wort des Herrn, und alle wur- haben aneinander vorbeigeredet und dazu den gläubig, die zum ewigen Leben be- hat Paulus durch seine Art der Gesprächs- stimmt waren. Und das Wort des Herrn führung beigetragen – und zwar nicht zu breitete sich aus in der ganzen Gegend“ knapp. (Verse 48f.). Den Gesprächsbemühungen Dennoch war das Gespräch, das Paulus auf des Apostels Paulus auf dem Areopag war dem Areopag geführt hat, nicht sinnlos; es dagegen kein dem entsprechender Erfolg war nicht erfolglos geblieben, wie dem beschieden. Aber er hat mit seinen Worten letzten Vers der Darstellung der Areo- dennoch einige seiner Gesprächspartner pagrede im siebzehnten Kapitel der Apos- erreichen und berühren können. * * * Gedanken zum Monatsspruch im August 2021 „Neige, HERR, Dein Ohr und höre! Öffne, HERR, Deine Augen und sieh her!“ (2. Könige 19, 16) von Dorothea Pape uns über die Geographie: Assur wollte „Gott schuf den Krieg, damit die Amerika- Jerusalem einnehmen und belagerte es, ner Geographie lernen.“ Mark Twain, US- absolut siegessicher. Man wollte seine amerikanischer Schriftsteller, 1835-1910 Landkarten erweitern und neu schreiben. (Quelle: https://beruhmte- Der Spruch steht im 2. Buch der Könige. zitate.de/themen/lernen) Ob man überhaupt Was wissen wir? „Die Bücher über die Zeit über Kriege in dieser Art Witze machen der Königinnen und Könige schildern die kann, ist mir fraglich. Bei Mark Twain ist Geschichte der monarchischen Herrschaft es aber irgendwie erträglich. Immerhin in Israel und Juda: sie setzen in den letzten lebte er zur Zeit der Befreiungskriege für Tagen Davids ein, erzählen von der Thron- die Sklaven in Amerika und beim ersten nachfolge durch Salomo sowie der Reichs- Lesen habe ich gelacht. Man sollte die Orte teilung nach seinem Tod und verfolgen die kennen… Im Altertum sagte man sogar: Entwicklung der beiden getrennten Reiche der Krieg ist der Vater aller Dinge (Herak- Israel und Juda bis zu ihrem jeweiligen lit). Nun ja! Der Monatsspruch für den Untergang.“ (Bibel in gerechter Sprache S. August wird mitten im Krieg, angesichts 555f.) Sie erzählen, wenn man so will, den einer großen Bedrohung zum ersten Mal Zeitraum nach der Errichtung des Großrei- ausgesprochen, gebetet! Und so nähern wir ches durch David bis zur Zerstörung des
15 Ersten Tempels, bis zur Wegführung der tern kann? Oder ist es so, als wenn eine Oberschicht Israels nach Babylonien. Mutter oder ein Vater in die Hocke gehen Das Anliegen der Königsbücher ist nicht und einem Kind auf Augenhöhe zuhören? so sehr, die Geschichtsschreibung zu do- Es geht auf jeden Fall nach unten oder in kumentieren, als vielmehr die Einstellung die Schräge. Wer das Ohr neigt, wendet der Herrschenden und des Volkes zum sich sehr deutlich einem anderen zu… Der Gott Israels zu „beleuchten“ und die gro- Befund der Konkordanz (eine Art Wortfin- ßen, vernichtenden Katastrophen, denen dungsbuch für die Bibel) für „neigen“ ist die Menschen in Israel ausgesetzt waren, interessant. Ich lese u.a.: Der Herr neige „zu verstehen“. Vielleicht – aber das führt die Ohren in Ps 17,6; 31,3; 71,2; 86,1. Ps wohl hier zu weit – wäre so eine Analyse 18,10: er neigte den Himmel und fuhr her- im Blick auf das Verhältnis zu Gott auch ab. Ps 40,2 Ich harrte des Herrn, und er hinsichtlich unserer jüngsten Vergangen- neigte sich zu mir. … Bis hin dann zu Joh heit aus heutiger Distanz notwendig, um 19,30: Jesus neigte das Haupt und ver- die Katastrophen der Weltkriege und die schied. millionenfache Ermordung von jüdischen Dieser kurze Satz aus 2. Könige 19 ist ähn- Männern, Frauen und lich wie die Psalmen Kindern, die Ermordung ein hymnisches Gebet – von Sinti und Roma und das in Form gebrachte anderer verfolgter Men- Flehen eines denkenden schen in der heutigen und redenden Men- Geschichte zu „beleuch- schen, der in großer Not ten“. Aber das Ausmaß ist. Wie auch in den ist so grauenvoll und (anderen) Psalmen ha- riesig, dass man dem ben diese Worte eine wohl gar nicht („ein- existentielle Dimension. zeln“) begegnen kann. Der Satz spricht deren Man beließ es in unserer Sprache. Wer betete? Kirche nach dem Krieg Es ist König Hiskija beim Stuttgarter Schuld- (719-691 v.Chr.), der bekenntnis. Das hat nicht im Tempel mit Gott gereicht. Diese Frage ist sprach. Das geschah aber wichtig und ich spreche darüber mit gegen Ende seines Lebens, nachdem er fast meinen Freunden, warum Gott in der 30 Jahre regiert hatte. Wir lesen in der Bi- „Christenheit“ damals so „verloren ging“. bel: Hiskija nahm den Brief aus der Hand Einer meiner jüdischen Freude, W.G., ant- der Boten und las ihn. Dann stieg er hinauf wortete: Das Nazi-Regime erhob ein gan- zum Haus des Ewigen. Dort breitete zes System von Unmenschlichkeit und Hiskija ihn vor dem Ewigen aus. Hiskija Lüge zur Norm und ließ niemandem eine betete zum Ewigen und sagte: „Adonai, Chance, nicht mitzumachen. Die meisten Gottheit Israels, der du auf den Kerubim Menschen haben aus Bequemlichkeit und thronst, du allein bist HErr über alle Kö- Angst mitgemacht… In der Zeit der Köni- nigreiche der Erde, du hast Himmel und ge war das anders… sie konnten schon oft Erde erschaffen! Neige, Ewiger, dein Ohr freier entscheiden, ob sie Gott hören woll- und höre! Öffne, Ewiger, deine Augen und ten oder nicht. sieh! Höre die Worte Sanheribs, die er mir Wie werden Ohren geneigt? Geneigte Zu- gesandt hat, um den lebendigen Gott zu hörerinnen und Zuhörer tun das mit den beleidigen. Es ist ja wahr, Ewiger, mit dem Ohren? Oder gibt es eine direkte Verbin- Schwert haben die Könige von Assur die dung von den Ohren bis in die Herzen? Ist Völker umgebracht und ihre Länder. Ins damit dieses Neigen des Kopfes zur Seite Feuer haben sie deren Gottheiten gewor- gemeint, damit einem jemand ins Ohr flüs- fen. Ja, aber dies sind ja keine Gottheiten,
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