Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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April 2021 Warten auf Wunder Foto: Adobe Stock OSTERN Das Wunder der Auferstehung erleben ANSELM GRÜN Vertrauen, dass alles in guten Händen ist
INHALT | UMFRAGE | IMPRESSUM THEMA Mein persönliches 4 Wunder gibt es immer wieder Wunder ... Warten auf Wunder 6 Wunderbare Hoffnungsbilder zu Ostern 8 Foto: privat Ich empfinde es als Im Krankenhaus gibt es viele Wunder Wunder, wenn es einem 10 Türen auf – und einfach hineingehen dürfen Komponisten gelingt, mit scheinbar minima- Interview mit Petra Bahr: len Mitteln einem Stück 11 Und wenn alle geimpft sind? emotionale Wucht zu verleihen. Oft ist es gar Interview mit Cornelia Füllkrug-Weitzel: 12 „Ohne Teilen funktioniert es nicht” nicht klar, woran es ge- nau liegt. Aber es stellt Interview mit Anselm Grün: sich der Gänsehaut-Effekt ein. Auch bei Auf- 13 Vertrauen, dass alles in guten Händen ist führungen empfinde ich es als Wunder, wenn ein Chor im Moment des Konzerts den „Draht“ Bittere Corona-Erfahrungen: 14 helfen, leiden, sterben, gesund werden zum Publikum findet und eine magische Span- nung zwischen Hörern und Musikern über das Stück entsteht. Taufe bei Familie Schmidt: 15 Vom Wunder neuen Lebens Martin Baumann (49), Bezirkskantor des Kirchen- kreises Kaufungen Wunder zum Lesen und Anschauen 16 Wunderbare, wanderbare Kirchen 17 Ostern zu Hause feiern 24 Foto: privat Dass ausgerechnet wir Menschen auf der Erde leben, ist für mich ein Wun- GLOSSE der. Gott hätte ja stattdes- sen auch andere Wesen Ein paar Schlenker über das Wundern 18 sowie über Schnee, Hunde und MINT – zum Beispiel Einhörner – schaffen können. Ich denke, er hatte großes Vertrauen in RATGEBER uns und dachte: Die bekom- men das schon hin. Wie der Kirchentag ins Internet umzieht 20 Mira (7), Schülerin aus Kassel Wo bleibt das Wunder? 21 IMPRESSUM RÄTSEL Herausgeber: Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Wilhelmshöher Allee 330, 34131 Kassel Grund zur Hoffnung 22 Redaktion: Lothar Simmank (Ltg.), Olaf Dellit Heinrich-Wimmer-Straße 4, 34131 Kassel Beirat: Dr. Anja Berens, Christian Fischer, Telefon 0561 9307–152, Fax –155 Carmen Jelinek, Eckhard Lieberknecht, Buon Appetito aus der Alten Wache 23 redaktion@blickindiekirche.de Detlev Wolf www.blickindiekirche.de Gestaltung: Lothar Simmank 2 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
EDITORIAL Liebe Leserin, Foto: privat Im März 2019 haben wir mit verschiedenen lieber Leser, Akteuren der Jugendar- beit einen Sinnenpark in einer extra dafür leer mit Wundern tun wir Menschen geräumten Kirche in des 21. Jahrhunderts uns schwer. Eschwege veranstaltet. Unser Verstand sucht andere Er- Foto: medio.tv/Schauderna Hier konnten die Be- klärungen für Erfahrungen, die sucher zusammen mit wir nicht verstehen können, die einem Reiseführer die verschiedenen Stationen uns zum Staunen bringen oder in Jesu Leben mit allen Sinnen wahrnehmen. ver„wundern”. Und so bekämpfen Nie hätten wir gedacht, dass wir mit dieser wir die Pandemie nicht, indem wir Aktion fast 2.000 Menschen in zwei Wochen kollektiv um Wunder beten, wie das begeistern und berühren können. Hier sind in früheren Zeiten und an anderen für mich persönlich wunderbare Erinnerungen Orten getan wurde und wird. Wir krempeln selbst die Är- und Freundschaften entstanden. Ein kleines mel hoch: Wir forschen intensiv nach einem Impfstoff und Wunder. versuchen jetzt, ihn möglichst schnell und gerecht zu ver- teilen, wir schützen uns durch AHA-Regeln vor dem Virus Elisabeth Sawosch (29), Jugenddiakonin der Region und tun medizinisch und pflegerisch so viel wie möglich, Waldkappel, wohnt in Sontra wenn jemand an Covid19 erkrankt. Und das ist gut so, denn Gott will, dass wir nicht die Hände in den Schoß le- gen und die Gaben und Talente, die er uns gegeben hat, nutzen zum Wohl der Menschen. Foto: De Filippo Und doch gibt es inmitten dieser medizinisch-techni- Wollen wir gemeinsam schen Welt Erfahrungen, die unseren Vernunfthorizont das Vaterunser beten? übersteigen und uns „wie ein Wunder“ erscheinen: Da Diese Frage stellte mir wird jemand wieder gesund, den die Ärzte schon aufgege- vor einiger Zeit der Kul- ben hatten. Da finden sich Menschen, die die harte, ab- turreferent der Senioren- solut fordernde Arbeit auf den Intensivstationen oder in einrichtung, in der ich den Pflegeheimen über Monate aushalten und durchhal- wohne. Vielleicht war es ten. Da wird es allem Tod und Sterben zum Trotz Frühling ihm in diesem Moment und wir feiern Auferstehung, den Sieg des Lebens über nicht bewusst, aber mit den Tod. diesem Gebet habe ich nach vielen Jahren wie- der zu meinem Glauben gefunden. Ich habe Vielleicht denken Sie jetzt: „Nichts für mich, ich glaub Umfrage: Pamela De Filippo endlich wieder eine Verbindung zu Gott und nicht an Wunder!“ Oder: „Ich weiß nicht so recht, was ich diese Gewissheit gibt mir Kraft. Für mich er- davon halten soll …“ Lesen Sie trotzdem weiter. Dieses scheint das wie ein Wunder. Heft nimmt Sie mit in die Begegnung mit den kleinen und großen Wundern in unserer Welt. Dafür müssen Sie Gisela Jung (83), Rentnerin aus Kassel Ihren Verstand nicht an der Tür abgeben. Sie müssen nur bereit sein, zu staunen und sich überraschen zu lassen. Und manchmal ist das der Beginn wundersamer Ver- wandlungen … In diesem Sinn: Frohe Ostern! Herstellung: Ihre Dierichs Druck + Media GmbH & Co KG, Kassel Vertrieb: HNA, Kassel, u. a. Beate Hofmann Mehr Informationen über die vielfältigen Angebote der Evangelischen Kirche von Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Kurhessen-Waldeck finden Sie im Internet: www.ekkw.de blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 3
THEMA Wunder gibt es immer wieder Wunder: Heutzutage sind damit Ereig- Wir nennen Wunder, was uns verwun- Muss man an Wunder nisse gemeint, die den Naturgesetzen zu dert oder wunderbar erscheint und würden glauben? Kann man sie widersprechen scheinen. Was sich begrün- gelegentlich sogar gerne glauben, dass es den oder herleiten lässt, kann demnach Wunder gibt. Doch meist ist der Zweifel beweisen? Oder sind sie kein Wunder sein. Da es inzwischen für nicht weit. Also müssen Beweise her nach schlicht unmöglich, weil so gut wie alles eine natürliche Erklärung dem Motto: „Erst wenn du mir das Wunder es sie nicht geben kann? gibt, scheint es eigentlich keine Wunder beweist, kann ich es anerkennen!“ Dabei Der Theologe und Autor mehr zu geben. wird übersehen, dass die Unbeweisbarkeit Uwe Birnstein hat seine zum Wesen der Wunder gehört. Wunder Die menschliche Sehnsucht nach dem lassen sich eben nur erfahren. Da sind sie eigene Sicht auf Wunder. Wunderbaren allerdings kann auch das dem Glauben sehr ähnlich und eng mit rationale Denken nicht völlig unterdrü- ihm verwoben. cken. Das zeigt sich unter anderem im inflationären Gebrauch des Ausdrucks Schon zur Zeit Jesu gab es immer wie- H err, lass ein Wunder geschehen – „Wunder“ auch für wissenschaftliche Phä- der Menschen, die Wundertaten von ihm und beende endlich die Corona- nomene und Entdeckungen. Von Wundern verlangten, in der Erwartung, anschließend Plage!“ Wer Stoßgebete gen Him- der Technik, der Medizin oder der Genfor- glauben zu können. Jesus jedoch wusste, mel schickt, spricht aus dem Herzen. Aber, schung ist dann die Rede. Auch die Schön- dass Wunder keineswegs zum Glauben ach: Wäre es doch so einfach! Zwar heißt heit der Natur oder große Errungenschaf- führen – jedenfalls, wenn man unter Glau- es in dem bekannten Schlager-Evergreen: ten der Menschheit werden oft als Wunder „Wunder gibt es immer wieder …“ Wirklich bezeichnet. Aber sogar die Art von Wun- daran glauben mag heutzutage kaum dern, die im Glauben schon immer eine noch jemand. große Rolle spielten, üben auch auf die rationalsten Menschen häufig noch eine „Wunder“? – „Gibt’s nicht, unmöglich!“ besondere Faszination aus. Unerwartete Lieber vertrauen die meisten Menschen Heilungen, dramatische Rettungen, Visio- auf Naturwissenschaft und Rationalität. nen oder blutende Heiligenstatuen – ist Wundergläubigkeit gilt als esoterische das alles Humbug oder könnte nicht doch Spinnerei oder naive Form des Glaubens. etwas dran sein? Die Geschichte vom an Wer so redet, macht es sich leicht – zu Covid 19 erkrankten Mann, den alle Ärzte leicht. Denn Wunder sind ein Phänomen, schon aufgegeben hatten, der dann aber das sich nicht so einfach wegdiskutieren doch überlebte: Erklären lässt sich das lässt. nicht. 4 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA ben mehr versteht als naives Für-wahr- Dass Einstellung und Glaube eines Die Wundergeschichten der Bibel sind Halten. Tatsächlich verhält es sich nämlich Menschen seine körperliche Verfassung keine historischen Tatsachenberichte. Die umgekehrt. Das betonte er oft und lehnte maßgeblich beeinflussen können, ist in- Evangelisten, die sie aufschrieben, wollten Wundertaten als Beweise grundsätzlich ab: zwischen auch ein Thema der naturwis- vom Glauben erzählen, kein Geschichts- „Was fordert doch dieses Geschlecht ein senschaftlichen Forschung. Placeboeffekte buch verfassen. Zudem wurden die Erzäh- Zeichen? Wahrlich, ich sage euch: Es wird und Spontanheilungen lassen sich immer lungen im Verlauf der Überlieferung im- diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben wieder beobachten, obwohl sich der ei- mer wieder verändert. Trotzdem geht der werden!“ (Markus 8,11). Wunder setzen gentliche Mechanismus dahinter noch Versuch, diese Wunder rational wegzuer- den Glauben schon voraus – wer nicht nicht genau erklären lässt. Aber wäre das klären, am wahren Gehalt der Erzählungen glaubt, der erlebt auch jeden Beweisver- für diejenigen, die wundersame Heilung vorbei – und treibt gelegentlich Blüten, die such nur als Scharlatanerie. erfahren, überhaupt relevant – oder erle- noch absurder scheinen als die Wunder- ben sie nicht so oder so ein Wunder? geschichten selbst. Jesus konnte auf dem Wurde Jesus allerdings von Menschen Wasser gehen? „Haha: er lief doch nur angesprochen, die Hoffnung hatten und Zur Zeit Jesu wussten die Menschen über im Wasser schwimmende Baumstäm- glaubten, verwehrte er ihnen seine Hilfe kaum etwas von Naturgesetzen. Vieles ließ me!“ Jesus konnte den Sturm stillen? „Nö, nicht. Wenn er dem Blinden, der wieder se- sich nicht erklären und wurde als Wunder das Boot bog gerade in den Windschat- hend wurde, nach der Heilung sagt: „Dein und als Zeichen göttlichen Wirkens ver- ten einer Landzunge ein.“ Jesus erweckte Glaube hat dir geholfen“ (Lukas 18,42), standen. Es gab zahlreiche Wundertäter einen Mann vom Tod? „Ach, der war doch wird deutlich: Er versucht, sich mit seinen – die jedoch schon damals auch kritisch nur scheintot!“ Taten – die im Neuen Testament übrigens betrachtet wurden. Ein Grund mehr für Je- meist „Zeichen“ oder „Machttaten“ und sus, sich nicht durch Wundertaten bewei- Ja, wer an Wunder glaubt, muss mit- nicht Wunder genannt werden – nicht sen zu wollen. Stattdessen konzentrierte er unter Häme und billige Schenkelklopfer- selbst darzustellen oder zu beweisen. Die sich darauf, von Gottes Nähe zu erzählen. Witze ertragen. Doch auch hier gilt die Grundlage dafür, dass das Wunder ge- Die Wunder, die die Menschen erlebten, Volksweisheit: Wer zuletzt lacht, lacht am schieht, ist der Glaube des Geheilten. die sich voller Glauben an ihn wandten, besten. Denn die innigsten Stoßgebete lassen diese Nähe Gottes erfahrbar wer- schicken in Notlagen mitunter diejenigen den. Wo zunächst alles aussichtslos schien, gen Himmel, die sonst stets bekunden, sie wird plötzlich Hoffnung möglich. Da wer- würden gar nicht glauben. Wunder gibt es den Menschen satt und heil – körperlich immer wieder. Deshalb darf man um sie wie geistig. bitten. Auch in Corona-Zeiten. ● Uwe Birnstein »Wunder lassen sich nur erfahren. Sie sind dem Glauben sehr ähnlich und eng mit ihm verwoben.« Foto: Adobe Stock blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 5
THEMA Warten auf Wunder Manchmal sind sie schon längst da – die Wunder, die wir herbeisehnen und die unseren Alltag retten sollen. Vielleicht muss man nur genauer hinschauen. Text: Anne-Kathrin Stöber, Fotos: Adobe Stock Meint sie etwa genau mich? Wieso kennt sie mich so gut, bis in die Winkel, die ich gern verborgen halte? Meine Launen und Zweifel, meine Sehnsüchte und Düsternis? Was für ein Wunder, wenn ich Dank Lockdown-Hobby „Ausmisten“ lesend – in ein Buch vertieft, dessen alte Briefe gefunden. Eine liebe Verfasserin schon lange gestorben Schrift wiedererkannt. Und ganz ist – bis ins Herz getroffen werde. spontan zu Stift und Papier gegrif- Eine Schwester, eine Vertraute stellt fen. Die Handschrift funktioniert sich neben mich. Wärme. noch einigermaßen. Ein paar Zeilen, Wir sind nicht allein. Ja, da sind sie wieder, diese schwar- quasi ins Blaue. Die begeisterte zen Vögel, sorgen für akustischen Antwort nach nur drei Tagen: Alles Frühling, echt schön, irgendwie ... noch da, Freundschaft, Erinnerung, – Bitte etwas aufmerksamer! Amsel Nähe. Eine wunderbare Zeit- heißt das Tier, ein wunderbar viel- kapsel geöffnet! fältiger Sänger, dessen Jubilieren in der Morgendämmerung wir von Kindheit an zu hören gewohnt sind. Durch Insektensterben bedroht, ge- hört die Amsel geschützt, geschätzt, bewundert. Wer helfen will, sollte Beerensträucher pflanzen. Nicht müde werden, Und immer: Ohren auf! sondern dem Wunder leise Homeoffice, Maske tragen, Abstand Ein bekanntes Gedicht von Hilde wie einem Vogel wahren. Warten, fürchten, schimpfen: Domin. Kurz genug, um es im Kopf die Hand hinhalten. eine durchschnittliche Corona-Jahr- zu behalten. Kleines Mantra in Hilde Domin Leistung. Wissenschaftler? Tüfteln aufgeregten Zeiten, geeignet, zwi- in wenigen Monaten Vakzine gegen schen erhitzten Meinungen zu sich weltweite Seuche aus. zu kommen und offen zu bleiben. Impfwunder!, denke ich. Wann, wenn nicht jetzt? 6 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA Sie müssten, sagt eine Kollegin, nun wohl einen Hospizplatz für die sehr alte Mutter suchen; die Geschwister sind erschöpft von der Pflege, die Leidensgeschichte der Mutter ist lang. Schwer erkrankt, Tumor ope- riert, nun austherapiert. Die letzte Die Mädchen tragen von heut‘ auf Bestrahlung absolviert. Fehlt noch morgen bauchfrei, die Jungen hal- Was waren das anfangs für Wider- eine Aufnahme – ein MRT – zum ten lässig Bierdosen in der Hand, stände! Waaaas? Online treffen? Abschluss. „Und was soll ich euch und in den Gärten sprießen Winter- Wie unbequem. Klappt nicht, Ton sagen?“, strahlt die Kollegin beim linge, Schneeglöckchen, Krokusse, fehlt, sehe nix, einer kapiert den nächsten Wiedersehen. „Nichts. dann Tulpen, Buschwindröschen, Link nicht, eine hat die Kamera Keine Metastasen mehr. Alles weg.“ Märzenbecher, Leberblümchen, vergessen, die falsche Software. Ungläubiges Staunen. Gibt es das Anemonen – und schließlich Oster- Aber dann – flutscht es, jeden Tag wirklich? Anscheinend, lacht die glocken. Was die Sonnenstrahlen bessere Verbindung, sich immer Kollegin. Und noch dies: Als erstes ausmachen! Wie beruhigend, dass hübscher ins Bild gesetzt, manno- habe sich die Mutter nun in aller alles immer wiederkommt. Aber mann, mal ehrlich, das ist schon Ruhe die Nägel lackiert ... Wenn wie aufregend zugleich, dass jedes eine feine Sache, dass das alles das kein Lebenszeichen ist! Jahr ein neuer Frühling beginnt, funktioniert. Sich sehen, hören, frisch und offen – voller Hoffen. gemeinsam lachen und nachden- ken. Wann immer man will, wo immer man ist. Ich bewundere das. Solidarität, tja. Das mit dem Singen für Zu naiv? Vermutlich. Staune auch Pflegende und den Kerzen für Corona- zweihundert Jahre nach seiner Opfer waren Gesten, zwischen lieb und Erfindung noch jedesmal erfreut hilflos. Manche meinten auch: billig. über mein Zweirad! Und Gemeinschaft? Nach einem Jahr der Vereinzelung meidet man reflexhaft Menschenansammlungen, große Plätze bleiben leer. Wo finden wir noch das „Wir“, in dem wir uns untergebracht wissen? Es scheint anonym geworden. Darum, und weil es sonst gerade keiner macht: ein Schulterklopfen in die große Runde! Jeder und jede hat durchge- halten, so gut es eben ging. Geholfen, ertragen, gemeistert, irgendwie hinge- kriegt, oft mit einem „Muss ja“ auf den zusammengepressten Lippen. Tatsächlich bewundernswert, alle. Da ist dieser kleine Nachbarsjunge, Weihnachten vor vier Jahren geboren. Seine Eltern kommen von weit her. Man sieht sich öfter auf der Straße, der Junge lernt laufen, kickt wackelnd den Fußball, spricht wenig und ist jetzt ein flinker Bursche. Dann, eines Tages nach dunkler Winterzeit, spielt er versunken mit Plastiktieren vor dem Haus. Alte-Tanten-mäßig beuge ich mich zu ihm. „Naaa?“ „Das ist Brachiosaurus, das ist Triceratops und das da Stegosau- rus“, beginnt er mit hoher Stimme einen Vortrag. Er weiß hundert- mal mehr über diese Riesenechsen als ich! Dreikäsehoch – aber im Kopf ist alles komplett. Immer wieder wunderbar. blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 7
THEMA Wunderbare Hoffungsbilder zu Ostern Bischöfin Dr. Beate Hofmann über das Wunder der Auferstehung I n den letzten zwölf Monaten sind uns Sterben und Das andere Bild für Auferstehung erzählt von der die Sehnsucht nach Leben auf neue Weise nahege- Raupe, die sich verpuppt und zum Schmetterling wird. kommen. War vor einem Jahr die Bedrohung durch Wer erkennt schon im Schmetterling noch die Raupe? das Corona-Virus noch eher abstrakt, so kennt inzwi- Oder im Frosch die Kaulquappe? Solche Bilder nutzt schen jede und jeder von uns jemanden, der Corona auch Paulus im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth, um hatte oder sogar daran gestorben ist. Auferstehung und Verwandlung greifbar zu machen. Hier der Bibeltext aus 1. Korinther 15,35-44: Und auch die Sehnsucht nach Leben hat jetzt konkrete Bilder: Mal wieder unbeschwert mit Freunden oder der erweiterten Fami- „Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten lie feiern können, mal wieder ans Meer oder in die Berge fahren auferstehen und mit was für einem Leib werden sie können, mal wieder ohne Sorgen den Tag beginnen und konkrete kommen? Perspektiven haben, wie das Leben weitergeht, auch wirtschaft- Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es lich. Manche unter uns bangen um ihre wirtschaftliche Existenz, nicht stirbt. Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der haben mühsam Aufgebautes in den letzten Monaten zusammen- werden soll, sondern ein bloßes Korn, sei es von Weizen stürzen sehen und sich von Lebensträumen verabschieden müs- oder etwas anderem. Gott aber gibt ihm einen Leib, sen. Andere kämpfen mit den Folgen der Erkrankung, sind immer wie er will, einem jeden Samen seinen eigenen Leib. noch müde, erschöpft, atemlos. Vieles ist gestorben in diesem So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät Corona-Jahr: Menschen, Lebensmut, Hoffnungen, Pläne, Träume. verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Und jetzt feiern wir Ostern, mitten in diesem Scherbenhaufen, Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird immerhin mit der Hoffnung auf Besserung durch den Impfstoff. auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib Aber wir mussten auch in den letzten Monaten lernen: Das geht und wird auferstehen ein geistlicher Leib." nicht von heute auf morgen, das dauert; das fordert von uns immer noch monatelanges Verzichten, Warten, Leben aus der Mit und aus diesen Hoffnungsbildern leben Christinnen und Hoffnung, dass bald wieder eine Zeit kommt, in der wir uns un- Christen seit Jahrhunderten. Jedes Jahr Ostern schauen wir neu besorgt begegnen und umarmen, miteinander singen und feiern, auf dieses Wunder von Verwandlung und Neuwerdung. Das arbeiten, reisen oder einkaufen können. stärkt unsere Kraft, schwierige Zeiten auszuhalten. Es hilft uns, den Tod eines lieben Menschen zu verarbeiten, weil wir wissen: Wenn wir in diesen Tagen die Ostergeschichte lesen oder sie Das irdische Leben dieses Menschen ist zu Ende, aber er oder sie hören, dann wird deutlich: Der Tod und die Auferstehung von wird verwandelt werden und bei Gott sein – anders, als wir uns Jesus Christus waren zwar einmalige, umwälzende Erfahrungen, das vorstellen können, aber lebendig, kraftvoll und herrlich, wie aber bis die Menschen um Jesus herum begriffen haben, was da Paulus sagt. geschehen ist, hat es auch gedauert. Zuerst sind die Menschen, die das leere Grab entdeckt haben, sogar weggelaufen. Sie ver- Diese Hoffnung auf Auferstehung hat nicht nur Wirkung im stehen nicht, was sie da sehen und es macht ihnen Angst. Und Angesicht des Todes, sie verändert auch das Leben jetzt. Ostern auch als Jesus zu ihnen kommt und mit ihnen spricht, erkennen lädt uns ein, uns auf solche Verwandlungserfahrungen einzulas- sie ihn nicht. Sie können das Neue, Verwandelte noch nicht er- sen. Das Leben nach Corona wird nicht sein wie das Leben vor fassen, weil sie das Alte, Vertraute suchen. Corona. Es wird anders sein. Viele von uns werden Spuren des Er- lebten an sich tragen, gesundheitlich, seelisch, ökonomisch. Man- Und so ahnen wir: Auferstehung ist nicht die Fortsetzung des ches, was vorher wichtig und unerlässlich schien, wird zweitran- Bisherigen, sondern Verwandlung und radikale Veränderung. Die gig oder verzichtbar. Und manches, was vorher selbstverständlich Bibel fasst diese Erfahrung in Bilder: Da ist das Bild vom Weizen- war, wird zur Feier einer „kleinen Auferstehung“: eine Einladung korn, das in die Erde fällt und stirbt und dadurch einen neuen zu einem Fest, die Chorprobe, der Museumsbesuch, das offene Halm hervorbringt, der Körner trägt. Jedes Jahr wieder im Früh- Schwimmbad. Foto: medio.tv/Schauderna ling werden wir Zeugen dieser wunderbaren Verwandlung. Was braun und erstorben wirkt, treibt neue Blätter und Blüten, und Und so wünsche ich Ihnen viel Hoffnungskraft in dieser müh- die Wiesen und Felder werden grün. Was wie tot war, erwacht zu seligen Zeit und viele kleine Auferstehungserfahrungen als Vor- neuem Leben und zu neuer Lebendigkeit – und sieht doch jedes geschmack auf das, worauf wir hoffen und vertrauen: „Nun aber Jahr etwas anders aus und erzählt uns von Neuem vom Wunder ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, der Auferstehung. die entschlafen sind“ (1. Kor 15,20). ● Dr. Beate Hofmann 8 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA Im Krankenhaus gibt es viele Wunder W enn Pfarrer Hans- Mann von selbst Luft geholt und wieder eigenständig zu atmen Foto: Klinikum Hanau Joachim Roth nach begonnen, einen Tag später sei er auf die Normalstation verlegt Wundern gefragt worden. Klinikpfarrer Roth warnt jedoch davor, diese Ausnahme wird, fällt ihm der Schlager zur Regel zu machen. Er sieht immer wieder Wunder ganz ande- Pfr. Hans-Joachim von Katja Ebstein ein: „Wun- rer Art. Dazu zählt er auch, wenn es Sterbenskranken gelingt zu Roth der gibt es immer wieder“. Ent- akzeptieren, dass der letzte Lebensabschnitt begonnen hat. Oder scheidend sei, wie der Text weiter- wenn Angehörige es schaffen, einen geliebten Menschen gehen geht: „Wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehen.“ zu lassen, weil sie erkennen, dass dieser Weg für den Betroffenen Roth ist seit Jahren Seelsorger am Klinikum in Hanau, einem der richtige ist und sein Leiden beenden kann. So überwinden sie Haus mit 800 Betten und an die 2.000 Mitarbeitenden. Es gibt das Dilemma, den geliebten Menschen nicht verlieren, ihm aber dort nicht eine, sondern mehrere Intensivstationen – unter ande- auch kein weiteres Leid zumuten zu wollen. rem spezialisiert auf Chirurgie, Kardiologie und Neurologie. So Roth erinnert sich an den Anruf einer Frau, deren Vater eine hat das Klinikum natürlich auch viel mit Corona-Kranken zu tun. Krankheit mit großen Beeinträchtigungen überlebt hatte. Früher Ein Sterbenskranker, bei dem alle medizinischen Daten zei- hatte er in seiner Werkstatt Autoreifen geschleppt, das ging nicht gen, dass er auf seinen Tod zugeht, springt plötzlich aus dem mehr. Anfangs fühlte sich der Mann nutzlos – zu nichts zu gebrau- Bett und ist wieder geheilt? Wer auf solch ein Wunder warte, sagt chen. Doch dann gelang ihm der Perspektivwechsel: Er konnte in Roth, könne nur enttäuscht werden. Gott habe selbst die Naturge- seine Werkstatt gehen, obwohl er diese Arbeit nicht mehr leisten setze geschaffen, die den Rahmen für unser Leben bildeten und konnte, und sich mit der neuen Situation anfreunden. Wenn es die Gott auch nicht aufhebe. Aber innerhalb der Rahmenbedin- Menschen gelinge, in schwierigen Lagen neue Lebenslust und gungen gebe es Spielräume, Gott habe Möglichkeiten, an die der Lebensfreude zu finden, dann sei auch das ein Wunder. Mensch oft nicht denke und die er nicht erwarte. Auf „das Wunder schlechthin“ zu warten, etwa eine Spontan- Roth erzählt von einem schwer kranken Patienten, der auf heilung, davon rät Pfarrer Roth ab, es führe zu Enttäuschungen. eine palliative Versorgung umgestellt wurde, bei der es nicht Man könne aber auf eine Wendung warten, mit der man nicht um Heilung, sondern um die Linderung von Beschwerden geht. rechne. „Wunder geschehen immer wieder“ – mit dem Ebstein- Angehörige kamen, um Abschied zu nehmen. Die künstliche Beat- Lied im Ohr wünsche er Kranken und Angehörigen „die Offenheit, mung wurde eingestellt. Doch genau in diesem Moment habe der sich wundersam überraschen zu lassen“. ● Olaf Dellit Türen auf – und einfach hineingehen dürfen! W ie haben Altenheime spiel, wenn es um die Kommu- sie haben sich als nützliche Instrumente Foto: medio.tv/Schauderna das Corona-Jahr nikation zwischen Bewoh- erwiesen. Ebenfalls können die Angehöri- mit den vielen nern, Mitarbeitern und gen digital in Kontakt mit den Seelsorgern Kontakteinschränkungen Angehörigen gehe. Aus kommen und sich nach ihren Verwandten überstanden, wie geht Sorge um die Senioren erkundigen, auch eine Angehörigengrup- es den Bewohnern und sei im ersten Lockdown pe hat sich gebildet und ist im Austausch. Mitarbeitern? Eine Frage kein Besuch möglich ge- Erleichternd: Wenn zeitweilig kein brennt allen auf der See- wesen, das aber sei „ent- direkter Kontakt zu dementen Personen le: „Wann geht das zu En- Pfrin. Birgit Inerle setzlich“ für alle Beteiligten. möglich ist, können die Seelsorger immer- de?“ Pfarrerin Birgit Inerle sagt: Besonders dramatisch gestalte hin Infos an beunruhigte Angehörige über- „Ein Wunder wäre es, wenn sich jetzt sich die Corona-Lage für Demenz- mitteln: „Ich habe ihre Mutter gesehen, es für alle Besucherinnen und Besucher die kranke – bei ihnen löse sie große Angst geht ihr gut.“ Insgesamt sei die Corona- Türen wieder zwanglos öffnen würden!“ aus. Situation für die Mitarbeiter am anstren- Einfach wieder hineingehen, spazieren, In der Seniorenwohnanlage am Lin- gendsten. Nicht nur ist die Pflege und zusammen sein. denberg – hier leben 110 Bewohner, ar- Versorgung in Schutzkleidung physisch Inerle ist Sprecherin der Konferenz für beiten 100 Mitarbeitende – wurde nun erschöpfend, auch leiden die Mitarbeiten- Klinik und Altenheimseelsorge der EKKW, auch ein „Ethik-Café“ installiert, in dem den mit den Bewohnern mit, die ihnen ans Pfarrerin in der Seniorenwohnanlage Am sich Vertreter aller Gruppen (Bewohne- Herz gewachsen sind. Andererseits stellt Lindenberg in Kassel und eine aus dem rinnen des Pflegeheims, des betreuten Birgit Inerle immer wieder fest, dass die Kreis der „Ethik-Lotsen“, der im Herbst Wohnens, dem Sozialdienst, Pflegekräfte Bewohner selbst unaufgeregt und seelisch 2020 zusammengestellt wurde. Die Seel- und die Pfarrerin) austauschen und Kon- erstaunlich stark seien nach dem Motto: sorgerinnen und Seelsorger sollen auslo- zepte gegen die „Einsamkeit in Zeiten von „Ich hab schon Schlimmeres erlebt, – das ten, wie „so viel Normalität wie möglich“ Corona“ entwickeln. Diese Treffen sollen, überlebe ich auch noch.“ ● in den Heimen herstellbar ist. Zum Bei- so Inerle, auch später bestehen bleiben; Anne-Kathrin Stöber 10 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA Foto: privat Und wenn alle geimpft sind? ? Sie haben – unter bestimmten Vor- aussetzungen – mehr Freiräume für Die evangelische Theologin Dr. Petra Bahr (Foto) denkt Geimpfte gefordert. Was ist hier für Sie wichtiger: die Freiheit des Einzelnen als Mitglied des Deutschen Ethikrats im blick-Interview oder die gesellschaftliche Solidarität? über mögliche Freiräume für Geimpfte nach Barth: Freiheit und Solidarität darf man nicht gegeneinander ausspielen, ? Fühlt man sich als Theologin im Ethikrat ernstgenommen? Wie fin- den Naturwissenschaftler, Mediziner ? Seit Sie im Ethikrat mitarbeiten, ist Corona das alles beherrschende Thema. Wann, denken Sie, werden schon deswegen nicht, weil meine Frei- heit und die der anderen sich berühren oder sogar kollidieren. Individuelle Frei- und andere Mitglieder einen gemeinsa- andere Themen wieder in den Vorder- heit ist aber ein hohes Gut. Tiefgreifende men Nenner? grund rücken? Einschränkungen der Grundrechte bedür- Petra Barth: Der Ethikrat vereint un- Barth: Im Ethikrat selbst ist die Pande- fen einer schwerwiegenden Begründung. terschiedliche Disziplinen. Das gehört zu mie nicht das alles bestimmende Thema. Ich kann nicht sehen, dass es ein Zeichen seiner DNA. Deshalb ist der Gedanke, sich Wir erarbeiten auch ethische Leitlinien von Solidarität ist, Hochbetagten oder in die Schuhe der anderen zu stellen, ei- zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz Menschen aus Pflege- und Sozialberufen, ne Grundlage für gemeinsames Arbeiten. und haben einige sehr spannende Anhö- die wegen ihres sehr hohen Risikos der Das bedeutet auch: genau zuhören. Die rungen zum assistierten Suizid gemacht, Ansteckung nun geimpft sind, zu sagen: meisten Mitglieder sind allerdings Hoch- etwa zur Sterbewunsch-Forschung. Aller- „Bei allem, was ihr tut, müsst ihr warten, schullehrer und hauptberufliche Wissen- dings bleibt die Begleitung der Pandemie bis alle geimpft sind.“ Natürlich gibt es Re- schaftlerinnen. Deshalb war die Hürde, in- ein wichtiges Thema, besonders in den geln, die alle beherzigen müssen. Masken tellektuell vertrauenswürdig zu sein, höher kommenden Monaten, denn die gesell- in der U-Bahn bleiben. Aber warum soll als die des Faches, das auch von anderen schaftlichen Brüche und die tiefe Vertrau- die Seniorenkantorei nicht wieder proben, im Gremium vertreten wird. Allerdings ist enskrise, auch in politische Institutionen, wenn alle geimpft sind? Warum sollen sich es nicht so, dass immer ein gemeinsamer werden erst langsam sichtbar. Pflegekräfte in einer Einrichtung nicht mal Nenner gefunden wird. Oft gibt es Gabel- zu einer Geburtstagsparty treffen dürfen? voten, in denen unterschiedliche Perspek- ZUR PERSON In Kombination mit einer Teststrategie, die tiven mit den jeweiligen Argumenten ent- Dr. Petra Bahr (Jahrgang 1966) war von ihren Namen verdient, könnten auch Kul- faltet werden. Die Trennung erfolgt aber 2006 bis 2014 Kulturbeauftragte der EKD tureinrichtungen so überleben – aus der quer durch die Disziplinen. Ich finde aber, und ist heute Regionalbischöfin im Spren- geistigen Leere führen, die als Begleiter- dass auch solche bleibenden Differenzen gel Hannover. Seit 2020 ist sie Mitglied scheinung dieser Kastastrophe in Zeitlupe zur öffentlichen Urteilsbildung beitragen im Deutschen Ethikrat. viel zu selten wahrgenommen wird. ● können. Fragen: Lothar Simmank blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 11
THEMA „Ohne Teilen funktioniert es nicht“ Cornelia Füllkrug-Weitzel über ihre Bilanz als Präsidentin von „Brot für die Welt” nennen und zu bekämpfen – etwa den Klimawandel. Aber auch wir haben kein Patentrezept dafür, ein für allemal gerech- te Verhältnisse zu schaffen. Das relativiert den Sinn der Hilfe je- doch nicht: Millionen Menschen konnten mit unserer Unterstützung aus eigener Foto: Christoph Püschner/Brot für die Welt Kraft auf die Beine kommen und ein Leben in Würde führen. So ist es gerade nicht ver- dampft auf heißen Steinen … ? Gerade in der Pandemie hängen vie- le Menschen an der Hoffnung, dass es wieder besser wird. Welche Hoff- nung haben Sie und wie stärken Sie diese, statt zu verzweifeln? Füllkrug-Weitzel: Eine verständliche Im Flüchtlingslager: Cornelia Füllkrug-Weitzel informierte sich gemeinsam mit John Nduna Hoffnung. Aber die Pandemie wird nur er- (ACT Alliance) über die Situation syrischer Flüchtlinge in Jordanien folgreich bekämpft, wenn alle Länder ge- nug Impfstoffe haben. In vielen der ärms- C ornelia Füllkrug-Weitzel war bis En- Welt Armut, Naturkatastrophen und ten Länder, vor allem Afrikas, gibt es gar de Februar Präsidentin des evan- jetzt auch noch die furchtbare Pande- keinen. Je mehr wir nur unsere Haut retten gelischen Hilfswerks „Brot für die mie sehen, denken Sie manchmal: Es wollen, desto weniger werden wir dem Ziel Welt". Wie sie jüngst in einem Interview waren alles nur kleine Tropfen auf viele unserer Hoffnung nahekommen. Ohne Ge- erzählte, wurde ihr soziales Interesse ge- heiße Steine? rechtigkeit, ohne Orientierung am Gemein- weckt, als sie sich als 15-Jährige in Kassel Füllkrug-Weitzel: Ich habe nie ge- wohl, ohne Teilen, ohne Rechte und Würde mit der Evangelischen Jugend für Obdach- glaubt, dass unsere Arbeit Naturkatas- für alle funktioniert das Leben nicht. Das lose engagierte. Ihr Vater war seinerzeit Vi- trophen, Pandemien etc. aus der Welt sagen uns Mose und die Propheten, das zepräsident der Landeskirche. schaffen kann. Spätestens seit Corona sagt uns Jesus. sollte klar sein, dass wir eben doch nur Meine Hoffnung richtet sich darauf, ? Brot für die Welt hat in über 60 Jah- ren 2,5 Milliarden Euro an Spenden und Kollekten gesammelt. Ist das für Menschen und deshalb nicht Herren des Lebens sind. Wir können mit guten sozialen Grund- dass Gott nicht nur will, sondern uns auch dazu befähigt, ein solches Leben zu su- chen und zu führen. Und dass er uns stets Sie ein Wunder? diensten dafür sorgen, dass weniger Men- die Chance auf einen Neuanfang schenkt, Cornelia Füllkrug-Weitzel: Das Wun- schen Opfer von Naturkatastrophen und wenn wir es (wieder) einmal nicht schaf- der des Teilens, das noch viel mehr Milliar- schweren Krankheiten werden. Wir kön- fen. Er will das Leben, er schafft immer den Menschen zum Überleben, zum Leben nen Armen helfen, wieder auf die eigenen neu Leben, er bewahrt unser Leben – auch in Würde geholfen hat! Beine zu kommen und Staaten an ihren durch den Tod hindurch. Wir wissen Gott Job erinnern, für das Gemeinwohl und die solidarisch an unserer Seite – was immer ? Wenn Sie nach 21 Jahren an der Spitze von „Brot für die Welt“ und der „Diakonie Katastrophenhilfe“ in der Wohlfahrt aller Menschen zu arbeiten. Wir können helfen, die strukturellen Ursachen von Hunger und Armut zu be- wir erleiden müssen. Und wir gehen auf Ostern zu, wie sehr die Pandemie auch wü- ten mag. ● Fragen: Olaf Dellit Foto: H. Bredehorst/Brot für die Welt Brot für die Welt – das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt” ist als Entwicklungswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland in mehr als 90 Ländern aktiv. Schwerpunkt ist die Ernährungssicherung, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. Finanziert wird die Aktion aus Geld des Bundes, Spenden und Kollekten sowie vom kirchlichen Entwick- lungsdienst. Knapp 92 Prozent des Geldes gehen direkt in die Projektarbeit, der Rest in Werbung, Öffent- lichkeitsarbeit und Verwaltung. Die Organisation wird jährlich vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen mit dem Spendensiegel ausgezeichnet. Am 1. März wurde Dr. Dagmar Pruin Nachfolgerin von Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel (Foto rechts) als Präsidentin. www.brot-fuer-die-welt.de 12 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA Foto: Daniel Biskup Vertrauen, dass alles in guten Händen ist Pater Anselm Grün über das Hoffen auf Wunder und die Spaltung der Gesellschaft A nselm Grün ist der vielleicht be- fen. Wie schafft man das: hoffen, aber DAS BUCH kannteste Mönch Deutschlands. nicht enttäuscht sein? „Was gutes Leben ist", Nach dem Abitur 1964 trat er Grün: Wenn ich schwer krank bin, hof- heißt Anselm Grüns Buch dem Benediktinerorden bei und lebt seit- fe ich auf das Wunder der Heilung. Aber mit Reflexionen zur dem in der Abtei Münsterschwarzach. Ne- zugleich bete ich im Vaterunser: „Dein Wil- Pandemie-Zeit. Erschienen ben Philosophie und katholischer Theolo- le geschehe!“ Das Gebet hilft mir, zu ver- ist es bereits im vergange- gie hat er Betriebswirtschaftslehre studiert. trauen, dass – ganz gleich, was geschieht nen Jahr, an Aktualität Grün ist ein Vielschreiber, laut Wikipedia – es gut sein wird für mich, selbst wenn ich hat es aber nicht sind mehr als 300 Titel von ihm lieferbar, an der Krankheit sterbe oder länger von eingebüßt. Grün schlägt darin einen Gesamtauflage ca. 20 Millionen. Die Ein- ihr behindert werde. weiten Bogen, ausgehend von der Klausur der Mönche – dem Rückzugsort. Dieser sei nahmen daraus fließen dem Kloster zu. Natürlich bin ich zunächst enttäuscht, gut und wichtig, um zu erkennen, was die wenn das Wunder nicht geschieht. Aber Welt brauche und dass wir nicht die ? Pater Anselm, Corona beschäftigt uns jetzt schon länger als ein Jahr. Haben Sie in dieser Zeit Wunder erlebt? ich bleibe nicht in der Enttäuschung ste- cken, sondern versuche, mich dem Willen Gottes zu ergeben und zu vertrauen, dass „Herren des Lebens” sind. Begriffe wie Angst, Glück, Einsamkeit, Vertrauen, Dankbarkeit und Versöhnung werden vor Pater Anselm Grün: Für mich war es ich mit allem, was geschieht, in Gottes gu- dem Hintergrund der Pandemie beleuch- ein Wunder, wie viele Menschen auf ein- ten Händen bin. tet. Würde man Sätze wie „Freundlichkeit mal Solidarität füreinander bewiesen ha- strahlt aus” aus dem Buch-Zusammenhang ben. Und ich erlebe es als Wunder, dass unser Konvent bisher von Corona ver- schont wurde. ? Auf welches Wunder hoffen Sie ganz persönlich? Grün: Ich hoffe auf das Wunder, dass ziehen, könnten sie wie etwas schlichte Kalendersprüche daherkommen. Doch im Kontext wird ihre tiefere Bedeutung sichtbar, zumal der Theologe nicht an der fanatisierte Menschen, von denen viel Ge- Oberfläche bleibt und Fragen wie Tod und ? Sie schreiben in Ihrem Buch „Was gutes Leben ist“, wir sollten immer auf Wunder hoffen, aber auch nicht walt ausgeht, mit ihrem Herzen in Berüh- rung kommen und dass so die Spaltung in der Gesellschaft geheilt wird. ● Sterben und jene, was Gott uns mit der Krise sagen könnte, nicht ausspart. Anselm Grün: Was gutes Leben ist, enttäuscht sein, wenn sie nicht eintref- Fragen: Olaf Dellit Herder, Freiburg/Br. 2020, 22 Euro blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 13
THEMA Bittere Corona-Erfahrungen: helfen, leiden, sterben, gesund werden Der Palliativmediziner Dr. Thomas Sitte über seine Covid-Erkrankung und die Folgen A uf ein Wunder habe ich im Januar mir weitergeht, so erschlagen war ich. Und Hilfe angeboten haben. In der Not auch selber gewartet. immer die Angst im Nacken, ich gehöre bin ich nicht alleine. Das ist unge- definitiv zur Risikogruppe, meine Lunge ist mein tröstlich zu wissen! Nach drei Rund 50 Menschen habe ich beglei- vorgeschädigt. Eine satte Lungenentzün- Wochen war meine akute Phase vorbei, tet, die durch Corona gestorben sind – ja dung kam dazu. Was ist, wenn die Lunge der Abstrich negativ. Und jetzt? Weiter nicht mit, schlicht durch Corona – dann schlapp macht und ich in die Klinik muss? wie vorher? Vor drei Monaten bin ich hat es mich erwischt. Ich war stets vorsich- Und schlapp bin ich selber schon, nur Ru- für mich einen Marathon gelaufen. Und tig, geschützt, auf Distanz. Irgendwann he haben und schlafen will ich tagelang. jetzt? Eine Treppe führt zu Atemnot. Ich passiert es doch, wenn man zuhauf Viren Mehrmals täglich Fieber messen, Puls, habe mich, so gut es ging, in der Krank- ausgesetzt ist. Abends ein ungewohnter, Sauerstoffsättigung. Mal wird es etwas heit bewegt, minimal trainiert. Das war trockener Husten. Gleich schießen Gedan- besser, dann kommt ein heftiger Rückfall. eminent wichtig für mich und für wirk- ken durch den Kopf: „Das wird doch nicht Solches Auf und Ab ist viel belastender als lich alte Menschen noch viel mehr. … Nein, das kann nicht sein … es ist nun ich es gedacht hätte. Bei jedem Rückfall Ich muss noch sehr viel üben, brauche schon bald zehn Monate gutgegangen. kommen mehr Ängste. Ich bin Arzt. Ich noch Geduld mit meinem Körper. Übermorgen werde ich doch geimpft!“ weiß zu viel. Immer wieder hoffe ich. Und Eine ganz andere Erfahrung war es, Am nächsten Morgen Fieber, Glieder- bete. sich als Aussätziger zu fühlen. Nach der schmerzen, einfach fertig. Krank. Schnell Infektion wechselten Bekannte plötz- ein Abstrich: Positiv. Der PCR-Test bestä- »Die Quarantäne war erfüllt lich die Straßenseite, wenn ich kam. tigt es. Gott sei Dank habe ich seit Mona- Das war wohl schon immer so und wird von Einsamkeit und Angst.« ten immer wirklich aufgepasst. Abstand, es wohl auch bleiben. Hygiene, Mundschutz, Lüften, Kontaktzei- Vielleicht werde ich mit viel Übung ten kurzhalten. Keine Umarmungen, keine Wie ist es erst für die Menschen, die wieder ganz gesund. Spannend ist, was Nähe. Gott sei Dank habe ich auch nie- ich in den verschiedensten Einrichtungen mich die glücklich überstandene Infek- manden angesteckt. Das war sofort meine begleitet habe? Die Quarantäne war oft tion gelehrt hat: Mehr Gelassenheit Angst, weil die Enkelkinder einfach gerne gespenstisch, erfüllt von Einsamkeit und und mehr Demut. Dazu sehr viel Dank- immer wieder zu Oma und Opa kommen. Angst. Nicht nur bei den Patienten, genau- barkeit, es gut überlebt zu haben. ● Wer kann da schon immer Nein sagen. so auch bei Angehörigen und Pflegenden. Einen Tag vor Krankheitsausbruch waren Und natürlich haben sich viele Pflegende Dr. Thomas Sitte, 62, ist ein renommier- sie noch bei mir. Zum Glück habe ich auf angesteckt. Auch Ärzte. Natürlich setzen ter Palliativmediziner aus Fulda. Unter die Regeln geachtet. Wir waren fast aus- sich Helfer Risiken aus. Wir versuchen, sie anderem ist er Gründungsmitglied und schließlich draußen unterwegs. Die Kinder zu minimieren. Aber Risiken bleiben. Egal, Vorsitzender der Deutschen Palliativ- oder gar die Enkel angesteckt zu haben, ob im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr, Stiftung DPS. www.doc-sitte.de das war schon ein belastender Gedanke. der Polizei oder eben in der Versorgung Ach ja, meine Frau ist dann doch auch schwerstkranker Menschen, die vielleicht Foto: medio.tv/Dellit krank geworden, zu ihr hatte ich den Ab- hochgradig ansteckend sind. stand nicht konsequent genug eingehal- Man redet nicht viel darüber. Warum ten. nicht? Es macht mich fassungslos und wü- Ich hatte schon einige sehr schwere In- tend zugleich, wenn ich diese verharmlo- fektionen, aber Corona war wirklich hart. senden Sprüche höre. Nur eine Grippe? Vor Zeitweise war es mir völlig egal, wie es mit dreißig Jahren hatte ich eine Influenza mit über 40° C Fieber. Da ging es mir blen- dend gegen die Situation jetzt. Fotos: privat Eine wunderbare Erfahrung war es, wie viele Nachbarn, Freunde, Bekannte uns Zweimal Dr. Sitte: rechts vor der Erkrankung im Büro der Palliativstiftung in Fulda, links während der Krankheit im Bett. Oben ein Bild vom positiven Corona-Test. 14 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA Vom Wunder neuen Lebens Wie Familie Schmidt eine Taufe in der Pandemie erlebte Fotos: privat Familie Manuel und Julia Schmidt aus Bad Hersfeld mit dem Täufling Leonas und seinem großen Bruder Milan M anchmal, wenn Manuel Schmidt Wesen, das uns braucht“, in die Familie. Wasser übernahm aber die Patin. Auch seine beiden Jungs bei einem Kinder bedeuten neben viel Freude und beim Segen berührte Jaeger den Kleinen Spaziergang im Wald herumtol- Liebe auch eine große Verantwortung. nicht. Die Taufe durch die Patin; das ist len, spielen und klettern sieht, spürt er gro- Viele Menschen sind froh, wenn sie diese etwas, das der Pfarrer gerne auch nach Co- ße Dankbarkeit, dass es den beiden, ihm nicht alleine tragen müssen – so ging es rona beibehalten würde. Der Zwang, vieles selbst und seiner Frau Julia gut geht. auch Manuel und Julia Schmidt. neu denken zu müssen, habe hier etwas Ihre beiden Söhne nehmen die Eltern „Wir hoffen, dass wir ihn begleiten, Gutes hervorgebracht. als Wunder wahr. „Es ist einfach unvorstell- aber etwas Höheres – Gott – auch“, sagt Auch Familie Schmidt hat die Taufe bar, wie so ein Leben entsteht“, sagt Julia die 32-Jährige. Und ihr Mann pflichtet positiv in Erinnerung, es sei sehr persön- Schmidt. Es erstaune sie immer wieder, bei: „Man hat das Gefühl, dass man nicht lich und tiefgründig gewesen. Nicht zuletzt was Kinder alles lernten und wie sie nach alleine ist.“ Mit der Taufe wollten sie ih- liege das daran, dass nicht mehrere Tau- und nach größer würden. Der erste Sohn ren Söhnen den Weg in die Gemeinschaft fen in einem Gottesdienst gefeiert wurden: Milan ist fünf Jahre alt, Leonas kam Ende der Kirche ebnen. Sollten sie später ent- „Der Tag gehörte Leonas.” Die Situation November 2019 zur Welt. scheiden, dass sie nicht mehr dazugehö- im Juli 2020 erlaubte auch eine Feier im Manuel Schmidt arbeitet als Projekt- ren wollten, sei das in Ordnung. Aber sie Restaurant, sodass der festliche Tag einen leiter bei einer großen Baufirma, Julia wüssten dann, wie es in der Kirche ist und guten Abschluss fand – allerdings waren Schmidt ist Grundschullehrerin in Bad wofür oder wogegen sie sich entscheiden. dann wegen Corona doch nicht alle Ver- Hersfeld. Beide erzählen, dass sie eine wandten mit dabei. mentale Bindung zur Kirche haben, sich Dann kam das Virus ... Beim Tauffest in der Hersfelder Stadt- dort immer wohlgefühlt hätten. So ließen kirche stand Leonas im Mittelpunkt, aber sie sich auch Wenige Monate nach Leonas' Geburt auch für seinen kirchlich trau- hatte das Corona-Virus die ganze Welt großen Bruder en, vor vier im Griff. Schmidts ahnten, dass das län- gab es eine wich- Jahren war ger dauern würde, wollten aber die Taufe tige Aufgabe. Der das. Das fand auch nicht um ein Jahr oder länger ver- Fünfjährige durfte Milan damals schieben. Also: Taufe im Juli in der Bad das Wasser in das so schön, Hersfelder Stadtkirche – unter Pandemie- Becken gießen, dass er Pfar- Bedingungen. Nur die Kernfamilie und 16 mit dem sein Bru- rer werden Gäste durften dabei sein, die Taufe wurde der dann getauft wollte. Er ist im Chorraum gefeiert, an den Mundschutz wurde. Wer weiß, getauft und waren längst alle gewöhnt. vielleicht wird Mi- nun kam mit Auch für Pfarrer Frank-Nico Jaeger war lan später wirklich Leonas noch einiges anders als sonst. Er sprach zwar Pfarrer. ● ein „zweites die Taufformel, die eigentliche Taufe mit Olaf Dellit blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 15
THEMA Wunder zum Lesen und Anschauen Bewundernswerter Außenseiter Der kleine August wird von allen nur Auggie genannt. Seit er ein Baby ist, hat er sich zahlreichen Operationen unterziehen müssen, um richtig atmen und sehen zu können. Sein deformier- tes Gesicht macht ihn zum Außenseiter, als er endlich an eine öffentliche Schule geht. Die Meinung seiner neuen Klassenka- meraden wiegt natürlich viel schwerer als die seiner liebevollen Eltern. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten findet Auggie auch an der Schule Menschen, die ihn akzeptieren und bewun- dern. Der Bestseller „Wunder” von Raquel J. Palacio wurde 2017 mit Julia Roberts und Owen Wilson fürs Kino verfilmt. Raquel J. Palacio: Wunder. Hanser Verlag 2013, 16,90 Euro Für Himmelssucher und Lebenspilger Es gibt Tage, da fühlt sich das schichten, Gedanken und Gebete für Leben leicht an. Wie Fahrradfah- Alltagslichtblicke: Vielleicht lässt ja ren durch sonnengelbe Felder, wie doch jemand Wunder regnen, wer Schaukeln im Wind, wie der Tanz der weiß? Mit Versen aus Bibel und Ge- Wolken am blauen Sommerhimmel. sangbuch und Texten von Roger Wil- Und es gibt Tage, da ist nicht alles lemsen, Susanne Niemeyer, Matthias gut. Da will man nicht so tun, als ob. Lemme, Andreas Malessa, Siegfried Genau an solchen Tagen ist es gut, Eckert, Susanne Breit-Keßler, Frank sich zu erinnern an Fahrrad und bun- Muchlinsky, Martin Vorländer und ten Sommertag, an Schaukel und anderen mehr. Wind und daran, dass es jemanden Sechs herausnehmbare Postkar- gibt, der uns hält. Die federleichten S. Breit-Keßler, F. Muchlinsky (Hrsg.): ten laden mit freundlichen Motiven und poetischen Texte dieses Buches Vielleicht lässt jemand Wunder regnen. edition dazu ein, die hoffnungsfrohen Bot- erzählen von dieser Hoffnung. Ge- chrismon/EVA, 2020. 12 Euro schaften mit anderen zu teilen. Es geschehen noch Zeichen und Wunder geben wird die Spruch- sammlung von dem Wir „tragen jemanden auf Händen”, in Mainz lebenden hüten etwas „wie unseren Augapfel”, ar- Ehepaar Petra Gerster beiten „im Schweiße unseres Angesichts” und Christian Nürn- oder rennen von „Pontius zu Pilatus”. Zahl- berger – sie ist pro- reiche Redewendungen, die uns tagtäglich minente Moderatorin über die Lippen gehen, stammen aus der der ZDF-heute-Nachrichten, er ist Lutherbibel. Theologe, Journalist und Bestsellerautor. Das Buch stellt die 50 schönsten Aus- Ergänzt werden die Texte durch stil- sprüche vor und erläutert informativ und volle Fotos und Grafiken, die das Buch zu kurzweilig deren Herkunft im biblischen einem echten Hingucker machen. Passend Zusammenhang. So öffnet sich ein fri- Petra Gerster | Christian Nürnberger (Hrsg.): dazu erhalten Sie ein Postkartenbuch mit scher Blick auf eindrückliche Sprachbilder Es geschehen noch Zeichen und Wunder. 15 Postkarten mit den schönsten bibli- Luthers, die nicht mehr wegzudenken sind edition chrismon/EVA/Deutsche Bibel- schen Redewendungen zum Verschicken. aus unserem Alltagswortschatz. Herausge- gesellschaft, 2019, 14,90 Euro Postkartenbuch mit 15 Motiven: 8,90 Euro 16 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA Wunderbare, wanderbare Kirchen Auf einer kostenlosen Wanderkarte sind 48 Kirchen rechts und links der Eder verzeichnet D en Trubel des Alltags, den Lärm Foto: medio.tv/Dellit der Straße und die Hektik der sich überschlagenden Nachrichten ein- mal hinter sich lassen, eine alte Kirche betreten und sich dort einen Platz in der Stille suchen. Es kann ein kleines Wunder sein, wenn man es schafft, sich auf die At- mosphäre der alten Mauern einzulassen, in denen schon Jahrzehnte und Jahrhun- derte zuvor Menschen einen Platz für Spi- ritualität und Zuflucht fanden. Zeiten, in denen es schwierig bis un- möglich ist, größere Reisen zu planen, bieten sich an, die Schätze zu entdecken, die die nähere Umgebung zu bieten hat. 48 besondere Kirchen rechts und links der Eder sind in einer Wanderkarte unter dem Titel „Himmlische Ansichten”, die kosten- los erhältlich ist. Alle dort aufgeführten Kirchen liegen an Wanderwegen oder in unmittelbarer Nähe solcher Wege. In der Karte stehen knappe Informa- tionen zu jeder Kirche, dazu auch die Öff- nungszeiten oder Informationen, wo der Schlüssel ausgeliehen werden kann. Das Spektrum reicht von kleinen und schlich- ten Kirchen bis hin zu solchen, die durch leuchtende Glasfenster oder einen gold- schimmernden Flügelaltar herausstechen, darunter die Klosterkirche Haina, die Stadtkirche Bad Wildungen mit dem be- rühmten Altarbild des Conrad von Soest und die Liebfrauenkirche in Frankenberg. Für besonders fleißige und ausdau- ernde Wanderer gibt es auch noch den Kirchenentdecker-Pass. Wer darin aus mindestens 24 der abgebildeten Kirchen einen Aufkleber sammelt, bekommt dafür im evangelischen Dekanat in Frankenberg Ein Schmuckstück: Die Martinskirche in Edertal-Bergheim ist ein spätromanisch-frühgotischer eine Überraschung. Ende Mai wird eine Bau (15. Jahrhundert) mit Deckengemälden und einem sehenswerten Altar. Unten Impressi- zweite Karte erscheinen, mit Schwerpunkt onen der kostenlosen Wanderkarte „Himmlische Ansichten” auf Radtouren. ● Olaf Dellit Die Karte ist kostenlos erhältlich in Tourismus- Büros rund um den Eder- see, in den Kirchen sowie als Download unter www.ekkw.de/service/ offenekirchen Dekanat Frankenberg: Tel. 06451 8779 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021 17
GLOSSE Ein paar Schlenker sowie über Schnee, E s gab so einen mütterlichen Unterton. Der trat etwa zutage, wenn die Kinder beim heimlichen Fernsehen ertappt worden waren. Kopf- schütteln, viel angestrengter Ernst in der Stimme. „Ich muss mich doch sehr wundern ...“, schalt die Mutter. Verflixt doppelbödig war das. Denn un- ter diesem klang ein anderer Satz mit, und der lautete: Ihr berechenbaren Bildsüchtigen, absolut kein Wunder ist es, dass ihr meine Abwesenheit für Kleinkriminelles nutzt! Waren wir nun ein Wunder oder doch keins? Unklar. Wir mussten je- denfalls spitzfindiger werden! Elterliches und kindliches Wundern sind eh oft zweierlei. Das knapp einjährige Töchterchen steht im Januar im Schlaf- anzug am Fenster, die Familie schaut vorm Zubettbringen gemeinsam in den Abendhimmel. Grund zu wundern haben plötzlich alle drei; Vater und Mutter, dass just in dem Moment der erste Schnee des Jahres fällt, sie ju- beln und zeigen und heben das Kind höher, damit es recht staunen möge über seine ersten Schneeflocken. Das Kind nimmt das Rieseln nebenbei zur Kenntnis und ist nur verblüfft über seine ausgerasteten Alten. All das wiederum: kein Wunder! Im ersten Lebensjahr ist die Welt ein einziger Neuerfahrungstopf, in den das kleine Wesen hineinpurzelt. Warum sollte es da wegen winziger weißer Pünktchen ausflippen? Schließlich hat es schon gleichmütig Katzen, Autos, Lieder, Schokolade, Regenwürmer und Pfützen zur Kenntnis genommen, unbekannte Erfahrungen waren ja das tägliche Brot fürs Hirn. Es staunen die Eltern über das nicht-staunende Kind. So rauschen die Jahre zwischen Nicht-Staunen und Auf-die-große-Liebe- Warten dahin, gleiten durch Coolness resp. Abgebrühtheit der späteren 18 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
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