Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW

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Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
April 2021

                    Warten auf Wunder
Foto: Adobe Stock

                    OSTERN
                    Das Wunder der
                    Auferstehung erleben

                    ANSELM GRÜN
                    Vertrauen, dass alles in
                    guten Händen ist
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
INHALT | UMFRAGE | IMPRESSUM

THEMA
                                                       Mein persönliches
4
         Wunder gibt es immer wieder                   				Wunder ...
         Warten auf Wunder
6
         Wunderbare Hoffnungsbilder zu Ostern
8

                                                                                                                             Foto: privat
                                                               Ich empfinde es als
         Im Krankenhaus gibt es viele Wunder                   Wunder, wenn es einem
10       Türen auf – und einfach hineingehen dürfen            Komponisten gelingt,
                                                               mit scheinbar minima-
         Interview mit Petra Bahr:                             len Mitteln einem Stück
11       Und wenn alle geimpft sind?                           emotionale Wucht zu
                                                               verleihen. Oft ist es gar
         Interview mit Cornelia Füllkrug-Weitzel:
12       „Ohne Teilen funktioniert es nicht”
                                                               nicht klar, woran es ge-
                                                               nau liegt. Aber es stellt
         Interview mit Anselm Grün:                            sich der Gänsehaut-Effekt ein. Auch bei Auf-
13       Vertrauen, dass alles in guten Händen ist             führungen empfinde ich es als Wunder, wenn
                                                               ein Chor im Moment des Konzerts den „Draht“
         Bittere Corona-Erfahrungen:
14       helfen, leiden, sterben, gesund werden
                                                               zum Publikum findet und eine magische Span-
                                                               nung zwischen Hörern und Musikern über das
                                                               Stück entsteht.
         Taufe bei Familie Schmidt:
15       Vom Wunder neuen Lebens                           Martin Baumann (49), Bezirkskantor des Kirchen-
                                                           kreises Kaufungen
         Wunder zum Lesen und Anschauen
16
         Wunderbare, wanderbare Kirchen
17
         Ostern zu Hause feiern
24

                                                                                                                                            Foto: privat
                                                                      Dass ausgerechnet wir
                                                                      Menschen auf der Erde
                                                                      leben, ist für mich ein Wun-
GLOSSE                                                                der. Gott hätte ja stattdes-
                                                                      sen auch andere Wesen
         Ein paar Schlenker über das Wundern
18       sowie über Schnee, Hunde und MINT
                                                                      – zum Beispiel Einhörner –
                                                                      schaffen können. Ich denke,
                                                                      er hatte großes Vertrauen in
RATGEBER                                                              uns und dachte: Die bekom-
                                                                      men das schon hin.
         Wie der Kirchentag ins Internet umzieht
20                                                                Mira (7), Schülerin aus Kassel

         Wo bleibt das Wunder?
21
                                                      IMPRESSUM
RÄTSEL                                                Herausgeber: Landeskirchenamt der
                                                      Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
                                                      Wilhelmshöher Allee 330, 34131 Kassel
         Grund zur Hoffnung
22                                                    Redaktion: Lothar Simmank (Ltg.), Olaf Dellit
                                                      Heinrich-Wimmer-Straße 4, 34131 Kassel          Beirat: Dr. Anja Berens, Christian Fischer,
                                                      Telefon 0561 9307–152, Fax –155                 Carmen Jelinek, Eckhard Lieberknecht,
         Buon Appetito aus der Alten Wache
23                                                    redaktion@blickindiekirche.de                   Detlev Wolf
                                                           www.blickindiekirche.de                    Gestaltung: Lothar Simmank

2    blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
EDITORIAL

                                                                                                                                                Liebe Leserin,

                                                                                                              Foto: privat
                                      Im März 2019 haben
                                      wir mit verschiedenen                                                                                     lieber Leser,
                                      Akteuren der Jugendar-
                                      beit einen Sinnenpark
                                      in einer extra dafür leer                                                                                      mit Wundern tun wir Menschen
                                      geräumten Kirche in                                                                                       des 21. Jahrhunderts uns schwer.
                                      Eschwege veranstaltet.                                                                                    Unser Verstand sucht andere Er-

                                                                                                                                                                                                                   Foto: medio.tv/Schauderna
                                      Hier konnten die Be-                                                                                      klärungen für Erfahrungen, die
                                      sucher zusammen mit                                                                                       wir nicht verstehen können, die
                                      einem Reiseführer die verschiedenen Stationen                                                             uns zum Staunen bringen oder
                                      in Jesu Leben mit allen Sinnen wahrnehmen.                                                                ver„wundern”. Und so bekämpfen
                                      Nie hätten wir gedacht, dass wir mit dieser                                                               wir die Pandemie nicht, indem wir
                                      Aktion fast 2.000 Menschen in zwei Wochen                                                                 kollektiv um Wunder beten, wie das
                                      begeistern und berühren können. Hier sind                                                                 in früheren Zeiten und an anderen
                                      für mich persönlich wunderbare Erinnerungen                                                               Orten getan wurde und wird. Wir krempeln selbst die Är-
                                      und Freundschaften entstanden. Ein kleines                                                                mel hoch: Wir forschen intensiv nach einem Impfstoff und
                                      Wunder.                                                                                                   versuchen jetzt, ihn möglichst schnell und gerecht zu ver-
                                                                                                                                                teilen, wir schützen uns durch AHA-Regeln vor dem Virus
                                  Elisabeth Sawosch (29), Jugenddiakonin der Region                                                             und tun medizinisch und pflegerisch so viel wie möglich,
                                  Waldkappel, wohnt in Sontra                                                                                   wenn jemand an Covid19 erkrankt. Und das ist gut so,
                                                                                                                                                denn Gott will, dass wir nicht die Hände in den Schoß le-
                                                                                                                                                gen und die Gaben und Talente, die er uns gegeben hat,
                                                                                                                                                nutzen zum Wohl der Menschen.
                                                                                                                             Foto: De Filippo

                                                                                                                                                    Und doch gibt es inmitten dieser medizinisch-techni-
                                              Wollen wir gemeinsam                                                                              schen Welt Erfahrungen, die unseren Vernunfthorizont
                                              das Vaterunser beten?                                                                             übersteigen und uns „wie ein Wunder“ erscheinen: Da
                                              Diese Frage stellte mir                                                                           wird jemand wieder gesund, den die Ärzte schon aufgege-
                                              vor einiger Zeit der Kul-                                                                         ben hatten. Da finden sich Menschen, die die harte, ab-
                                              turreferent der Senioren-                                                                         solut fordernde Arbeit auf den Intensivstationen oder in
                                              einrichtung, in der ich                                                                           den Pflegeheimen über Monate aushalten und durchhal-
                                              wohne. Vielleicht war es                                                                          ten. Da wird es allem Tod und Sterben zum Trotz Frühling
                                              ihm in diesem Moment                                                                              und wir feiern Auferstehung, den Sieg des Lebens über
                                              nicht bewusst, aber mit                                                                           den Tod.
                                              diesem Gebet habe ich nach vielen Jahren wie-
                                              der zu meinem Glauben gefunden. Ich habe                                                              Vielleicht denken Sie jetzt: „Nichts für mich, ich glaub
Umfrage: Pamela De Filippo

                                              endlich wieder eine Verbindung zu Gott und                                                        nicht an Wunder!“ Oder: „Ich weiß nicht so recht, was ich
                                              diese Gewissheit gibt mir Kraft. Für mich er-                                                     davon halten soll …“ Lesen Sie trotzdem weiter. Dieses
                                              scheint das wie ein Wunder.                                                                       Heft nimmt Sie mit in die Begegnung mit den kleinen
                                                                                                                                                und großen Wundern in unserer Welt. Dafür müssen Sie
                                         Gisela Jung (83), Rentnerin aus Kassel                                                                 Ihren Verstand nicht an der Tür abgeben. Sie müssen nur
                                                                                                                                                bereit sein, zu staunen und sich überraschen zu lassen.
                                                                                                                                                Und manchmal ist das der Beginn wundersamer Ver-
                                                                                                                                                wandlungen …

                                                                                                                                                   In diesem Sinn: Frohe Ostern!
                             Herstellung:                                                                                                          Ihre
                             Dierichs Druck + Media GmbH & Co KG, Kassel
                             Vertrieb: HNA, Kassel, u. a.

                                                                                                                                                Beate Hofmann
                             Mehr Informationen über die vielfältigen Angebote der Evangelischen Kirche von
                                                                                                                                                Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
                             Kurhessen-Waldeck finden Sie im Internet:     www.ekkw.de

                                                                                                                                                             blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021        3
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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Wunder gibt es immer wieder
                                                 Wunder: Heutzutage sind damit Ereig-         Wir nennen Wunder, was uns verwun-
Muss man an Wunder                           nisse gemeint, die den Naturgesetzen zu      dert oder wunderbar erscheint und würden
glauben? Kann man sie                        widersprechen scheinen. Was sich begrün-     gelegentlich sogar gerne glauben, dass es
                                             den oder herleiten lässt, kann demnach       Wunder gibt. Doch meist ist der Zweifel
beweisen? Oder sind sie
                                             kein Wunder sein. Da es inzwischen für       nicht weit. Also müssen Beweise her nach
schlicht unmöglich, weil                     so gut wie alles eine natürliche Erklärung   dem Motto: „Erst wenn du mir das Wunder
es sie nicht geben kann?                     gibt, scheint es eigentlich keine Wunder     beweist, kann ich es anerkennen!“ Dabei
Der Theologe und Autor                       mehr zu geben.                               wird übersehen, dass die Unbeweisbarkeit
Uwe Birnstein hat seine                                                                   zum Wesen der Wunder gehört. Wunder
                                                 Die menschliche Sehnsucht nach dem       lassen sich eben nur erfahren. Da sind sie
eigene Sicht auf Wunder.                     Wunderbaren allerdings kann auch das         dem Glauben sehr ähnlich und eng mit
                                             rationale Denken nicht völlig unterdrü-      ihm verwoben.
                                             cken. Das zeigt sich unter anderem im
                                             inflationären Gebrauch des Ausdrucks             Schon zur Zeit Jesu gab es immer wie-

H
       err, lass ein Wunder geschehen –      „Wunder“ auch für wissenschaftliche Phä-     der Menschen, die Wundertaten von ihm
       und beende endlich die Corona-        nomene und Entdeckungen. Von Wundern         verlangten, in der Erwartung, anschließend
       Plage!“ Wer Stoßgebete gen Him-       der Technik, der Medizin oder der Genfor-    glauben zu können. Jesus jedoch wusste,
mel schickt, spricht aus dem Herzen. Aber,   schung ist dann die Rede. Auch die Schön-    dass Wunder keineswegs zum Glauben
ach: Wäre es doch so einfach! Zwar heißt     heit der Natur oder große Errungenschaf-     führen – jedenfalls, wenn man unter Glau-
es in dem bekannten Schlager-Evergreen:      ten der Menschheit werden oft als Wunder
„Wunder gibt es immer wieder …“ Wirklich     bezeichnet. Aber sogar die Art von Wun-
daran glauben mag heutzutage kaum            dern, die im Glauben schon immer eine
noch jemand.                                 große Rolle spielten, üben auch auf die
                                             rationalsten Menschen häufig noch eine
    „Wunder“? – „Gibt’s nicht, unmöglich!“   besondere Faszination aus. Unerwartete
Lieber vertrauen die meisten Menschen        Heilungen, dramatische Rettungen, Visio-
auf Naturwissenschaft und Rationalität.      nen oder blutende Heiligenstatuen – ist
Wundergläubigkeit gilt als esoterische       das alles Humbug oder könnte nicht doch
Spinnerei oder naive Form des Glaubens.      etwas dran sein? Die Geschichte vom an
Wer so redet, macht es sich leicht – zu      Covid 19 erkrankten Mann, den alle Ärzte
leicht. Denn Wunder sind ein Phänomen,       schon aufgegeben hatten, der dann aber
das sich nicht so einfach wegdiskutieren     doch überlebte: Erklären lässt sich das
lässt.                                       nicht.

4     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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ben mehr versteht als naives Für-wahr-            Dass Einstellung und Glaube eines             Die Wundergeschichten der Bibel sind
Halten. Tatsächlich verhält es sich nämlich   Menschen seine körperliche Verfassung         keine historischen Tatsachenberichte. Die
umgekehrt. Das betonte er oft und lehnte      maßgeblich beeinflussen können, ist in-       Evangelisten, die sie aufschrieben, wollten
Wundertaten als Beweise grundsätzlich ab:     zwischen auch ein Thema der naturwis-         vom Glauben erzählen, kein Geschichts-
„Was fordert doch dieses Geschlecht ein       senschaftlichen Forschung. Placeboeffekte     buch verfassen. Zudem wurden die Erzäh-
Zeichen? Wahrlich, ich sage euch: Es wird     und Spontanheilungen lassen sich immer        lungen im Verlauf der Überlieferung im-
diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben        wieder beobachten, obwohl sich der ei-        mer wieder verändert. Trotzdem geht der
werden!“ (Markus 8,11). Wunder setzen         gentliche Mechanismus dahinter noch           Versuch, diese Wunder rational wegzuer-
den Glauben schon voraus – wer nicht          nicht genau erklären lässt. Aber wäre das     klären, am wahren Gehalt der Erzählungen
glaubt, der erlebt auch jeden Beweisver-      für diejenigen, die wundersame Heilung        vorbei – und treibt gelegentlich Blüten, die
such nur als Scharlatanerie.                  erfahren, überhaupt relevant – oder erle-     noch absurder scheinen als die Wunder-
                                              ben sie nicht so oder so ein Wunder?          geschichten selbst. Jesus konnte auf dem
    Wurde Jesus allerdings von Menschen                                                     Wasser gehen? „Haha: er lief doch nur
angesprochen, die Hoffnung hatten und             Zur Zeit Jesu wussten die Menschen        über im Wasser schwimmende Baumstäm-
glaubten, verwehrte er ihnen seine Hilfe      kaum etwas von Naturgesetzen. Vieles ließ     me!“ Jesus konnte den Sturm stillen? „Nö,
nicht. Wenn er dem Blinden, der wieder se-    sich nicht erklären und wurde als Wunder      das Boot bog gerade in den Windschat-
hend wurde, nach der Heilung sagt: „Dein      und als Zeichen göttlichen Wirkens ver-       ten einer Landzunge ein.“ Jesus erweckte
Glaube hat dir geholfen“ (Lukas 18,42),       standen. Es gab zahlreiche Wundertäter        einen Mann vom Tod? „Ach, der war doch
wird deutlich: Er versucht, sich mit seinen   – die jedoch schon damals auch kritisch       nur scheintot!“
Taten – die im Neuen Testament übrigens       betrachtet wurden. Ein Grund mehr für Je-
meist „Zeichen“ oder „Machttaten“ und         sus, sich nicht durch Wundertaten bewei-          Ja, wer an Wunder glaubt, muss mit-
nicht Wunder genannt werden – nicht           sen zu wollen. Stattdessen konzentrierte er   unter Häme und billige Schenkelklopfer-
selbst darzustellen oder zu beweisen. Die     sich darauf, von Gottes Nähe zu erzählen.     Witze ertragen. Doch auch hier gilt die
Grundlage dafür, dass das Wunder ge-          Die Wunder, die die Menschen erlebten,        Volksweisheit: Wer zuletzt lacht, lacht am
schieht, ist der Glaube des Geheilten.        die sich voller Glauben an ihn wandten,       besten. Denn die innigsten Stoßgebete
                                              lassen diese Nähe Gottes erfahrbar wer-       schicken in Notlagen mitunter diejenigen
                                              den. Wo zunächst alles aussichtslos schien,   gen Himmel, die sonst stets bekunden, sie
                                              wird plötzlich Hoffnung möglich. Da wer-      würden gar nicht glauben. Wunder gibt es
                                              den Menschen satt und heil – körperlich       immer wieder. Deshalb darf man um sie
                                              wie geistig.                                  bitten. Auch in Corona-Zeiten. ●
                                                                                                                        Uwe Birnstein

                                     »Wunder
                             lassen sich nur erfahren.
                            Sie sind dem Glauben sehr
                             ähnlich und eng mit ihm
                                    verwoben.«                                                                                             Foto: Adobe Stock

                                                                                     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021       5
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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        Warten auf Wunder
                                              Manchmal sind sie schon längst da –
                                             die Wunder, die wir herbeisehnen und
                                         die unseren Alltag retten sollen. Vielleicht
                                                muss man nur genauer hinschauen.
                                                                                      Text: Anne-Kathrin Stöber, Fotos: Adobe Stock

Meint sie etwa genau mich?
Wieso kennt sie mich so gut, bis in
die Winkel, die ich gern verborgen
halte? Meine Launen und Zweifel,
meine Sehnsüchte und Düsternis?
Was für ein Wunder, wenn ich                                                                   Dank Lockdown-Hobby „Ausmisten“
lesend – in ein Buch vertieft, dessen                                                          alte Briefe gefunden. Eine liebe
Verfasserin schon lange gestorben                                                              Schrift wiedererkannt. Und ganz
ist – bis ins Herz getroffen werde.                                                            spontan zu Stift und Papier gegrif-
Eine Schwester, eine Vertraute stellt                                                          fen. Die Handschrift funktioniert
sich neben mich. Wärme.                                                                        noch einigermaßen. Ein paar Zeilen,
Wir sind nicht allein.                           Ja, da sind sie wieder, diese schwar-         quasi ins Blaue. Die begeisterte
                                                 zen Vögel, sorgen für akustischen             Antwort nach nur drei Tagen: Alles
                                                 Frühling, echt schön, irgendwie ...           noch da, Freundschaft, Erinnerung,
                                                 – Bitte etwas aufmerksamer! Amsel             Nähe. Eine wunderbare Zeit-
                                                 heißt das Tier, ein wunderbar viel-           kapsel geöffnet!
                                                 fältiger Sänger, dessen Jubilieren
                                                 in der Morgendämmerung wir von
                                                 Kindheit an zu hören gewohnt sind.
                                                 Durch Insektensterben bedroht, ge-
                                                 hört die Amsel geschützt, geschätzt,
                                                 bewundert. Wer helfen will, sollte
                                                 Beerensträucher pflanzen.                           Nicht müde werden,
                                                 Und immer: Ohren auf!
                                                                                                    sondern dem Wunder
                                                                                                            leise
    Homeoffice, Maske tragen, Abstand                    Ein bekanntes Gedicht von Hilde              wie einem Vogel
    wahren. Warten, fürchten, schimpfen:               Domin. Kurz genug, um es im Kopf             die Hand hinhalten.
    eine durchschnittliche Corona-Jahr-                    zu behalten. Kleines Mantra in
                                                                                                           Hilde Domin
    Leistung. Wissenschaftler? Tüfteln                  aufgeregten Zeiten, geeignet, zwi-
    in wenigen Monaten Vakzine gegen                   schen erhitzten Meinungen zu sich
    weltweite Seuche aus.                                zu kommen und offen zu bleiben.
    Impfwunder!, denke ich.                                    Wann, wenn nicht jetzt?

    6     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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                                        Sie müssten, sagt eine Kollegin, nun
                                        wohl einen Hospizplatz für die sehr
                                        alte Mutter suchen; die Geschwister
                                        sind erschöpft von der Pflege, die
                                        Leidensgeschichte der Mutter ist
                                        lang. Schwer erkrankt, Tumor ope-
                                        riert, nun austherapiert. Die letzte          Die Mädchen tragen von heut‘ auf
                                        Bestrahlung absolviert. Fehlt noch            morgen bauchfrei, die Jungen hal-
Was waren das anfangs für Wider-        eine Aufnahme – ein MRT – zum                 ten lässig Bierdosen in der Hand,
stände! Waaaas? Online treffen?         Abschluss. „Und was soll ich euch             und in den Gärten sprießen Winter-
Wie unbequem. Klappt nicht, Ton         sagen?“, strahlt die Kollegin beim            linge, Schneeglöckchen, Krokusse,
fehlt, sehe nix, einer kapiert den      nächsten Wiedersehen. „Nichts.                dann Tulpen, Buschwindröschen,
Link nicht, eine hat die Kamera         Keine Metastasen mehr. Alles weg.“            Märzenbecher, Leberblümchen,
vergessen, die falsche Software.        Ungläubiges Staunen. Gibt es das              Anemonen – und schließlich Oster-
Aber dann – flutscht es, jeden Tag      wirklich? Anscheinend, lacht die              glocken. Was die Sonnenstrahlen
bessere Verbindung, sich immer          Kollegin. Und noch dies: Als erstes           ausmachen! Wie beruhigend, dass
hübscher ins Bild gesetzt, manno-       habe sich die Mutter nun in aller             alles immer wiederkommt. Aber
mann, mal ehrlich, das ist schon        Ruhe die Nägel lackiert ... Wenn              wie aufregend zugleich, dass jedes
eine feine Sache, dass das alles        das kein Lebenszeichen ist!                   Jahr ein neuer Frühling beginnt,
funktioniert. Sich sehen, hören,                                                      frisch und offen – voller Hoffen.
gemeinsam lachen und nachden-
ken. Wann immer man will, wo
immer man ist. Ich bewundere das.                                                Solidarität, tja. Das mit dem Singen für
Zu naiv? Vermutlich. Staune auch                                                 Pflegende und den Kerzen für Corona-
zweihundert Jahre nach seiner                                                    Opfer waren Gesten, zwischen lieb und
Erfindung noch jedesmal erfreut                                                  hilflos. Manche meinten auch: billig.
über mein Zweirad!                                                               Und Gemeinschaft? Nach einem Jahr
                                                                                 der Vereinzelung meidet man reflexhaft
                                                                                 Menschenansammlungen, große Plätze
                                                                                 bleiben leer. Wo finden wir noch das
                                                                                 „Wir“, in dem wir uns untergebracht
                                                                                 wissen? Es scheint anonym geworden.
                                                                                 Darum, und weil es sonst gerade keiner
                                                                                 macht: ein Schulterklopfen in die große
                                                                                 Runde! Jeder und jede hat durchge-
                                                                                 halten, so gut es eben ging. Geholfen,
                                                                                 ertragen, gemeistert, irgendwie hinge-
                                                                                 kriegt, oft mit einem „Muss ja“ auf
                                                                                 den zusammengepressten Lippen.
                                                                                 Tatsächlich bewundernswert, alle.

    Da ist dieser kleine Nachbarsjunge, Weihnachten vor vier Jahren
    geboren. Seine Eltern kommen von weit her. Man sieht sich öfter
    auf der Straße, der Junge lernt laufen, kickt wackelnd den Fußball,
    spricht wenig und ist jetzt ein flinker Bursche. Dann, eines Tages
    nach dunkler Winterzeit, spielt er versunken mit Plastiktieren vor
    dem Haus. Alte-Tanten-mäßig beuge ich mich zu ihm. „Naaa?“
    „Das ist Brachiosaurus, das ist Triceratops und das da Stegosau-
    rus“, beginnt er mit hoher Stimme einen Vortrag. Er weiß hundert-
    mal mehr über diese Riesenechsen als ich! Dreikäsehoch – aber im
    Kopf ist alles komplett. Immer wieder wunderbar.

                                                                           blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021   7
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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                                   Wunderbare Hoffungsbilder zu Ostern
                                              Bischöfin Dr. Beate Hofmann über das Wunder der Auferstehung

                            I
                              n den letzten zwölf Monaten sind uns Sterben und                                 Das andere Bild für Auferstehung erzählt von der
                              die Sehnsucht nach Leben auf neue Weise nahege-                               Raupe, die sich verpuppt und zum Schmetterling wird.
                              kommen. War vor einem Jahr die Bedrohung durch                                Wer erkennt schon im Schmetterling noch die Raupe?
                            das Corona-Virus noch eher abstrakt, so kennt inzwi-                          Oder im Frosch die Kaulquappe? Solche Bilder nutzt
                            schen jede und jeder von uns jemanden, der Corona                             auch Paulus im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth, um
                            hatte oder sogar daran gestorben ist.                                        Auferstehung und Verwandlung greifbar zu machen.
                                                                                                       Hier der Bibeltext aus 1. Korinther 15,35-44:
                                 Und auch die Sehnsucht nach Leben hat jetzt konkrete Bilder:
                            Mal wieder unbeschwert mit Freunden oder der erweiterten Fami-       „Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten
                            lie feiern können, mal wieder ans Meer oder in die Berge fahren      auferstehen und mit was für einem Leib werden sie
                            können, mal wieder ohne Sorgen den Tag beginnen und konkrete         kommen?
                            Perspektiven haben, wie das Leben weitergeht, auch wirtschaft-       Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es
                            lich. Manche unter uns bangen um ihre wirtschaftliche Existenz,      nicht stirbt. Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der
                            haben mühsam Aufgebautes in den letzten Monaten zusammen-            werden soll, sondern ein bloßes Korn, sei es von Weizen
                            stürzen sehen und sich von Lebensträumen verabschieden müs-          oder etwas anderem. Gott aber gibt ihm einen Leib,
                            sen. Andere kämpfen mit den Folgen der Erkrankung, sind immer        wie er will, einem jeden Samen seinen eigenen Leib.
                            noch müde, erschöpft, atemlos. Vieles ist gestorben in diesem        So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät
                            Corona-Jahr: Menschen, Lebensmut, Hoffnungen, Pläne, Träume.         verweslich und wird auferstehen unverweslich.
                                                                                                 Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in
                               Und jetzt feiern wir Ostern, mitten in diesem Scherbenhaufen,     Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird
                            immerhin mit der Hoffnung auf Besserung durch den Impfstoff.         auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib
                            Aber wir mussten auch in den letzten Monaten lernen: Das geht        und wird auferstehen ein geistlicher Leib."
                            nicht von heute auf morgen, das dauert; das fordert von uns
                            immer noch monatelanges Verzichten, Warten, Leben aus der                Mit und aus diesen Hoffnungsbildern leben Christinnen und
                            Hoffnung, dass bald wieder eine Zeit kommt, in der wir uns un-       Christen seit Jahrhunderten. Jedes Jahr Ostern schauen wir neu
                            besorgt begegnen und umarmen, miteinander singen und feiern,         auf dieses Wunder von Verwandlung und Neuwerdung. Das
                            arbeiten, reisen oder einkaufen können.                              stärkt unsere Kraft, schwierige Zeiten auszuhalten. Es hilft uns,
                                                                                                 den Tod eines lieben Menschen zu verarbeiten, weil wir wissen:
                                Wenn wir in diesen Tagen die Ostergeschichte lesen oder sie      Das irdische Leben dieses Menschen ist zu Ende, aber er oder sie
                            hören, dann wird deutlich: Der Tod und die Auferstehung von          wird verwandelt werden und bei Gott sein – anders, als wir uns
                            Jesus Christus waren zwar einmalige, umwälzende Erfahrungen,         das vorstellen können, aber lebendig, kraftvoll und herrlich, wie
                            aber bis die Menschen um Jesus herum begriffen haben, was da         Paulus sagt.
                            geschehen ist, hat es auch gedauert. Zuerst sind die Menschen,
                            die das leere Grab entdeckt haben, sogar weggelaufen. Sie ver-           Diese Hoffnung auf Auferstehung hat nicht nur Wirkung im
                            stehen nicht, was sie da sehen und es macht ihnen Angst. Und         Angesicht des Todes, sie verändert auch das Leben jetzt. Ostern
                            auch als Jesus zu ihnen kommt und mit ihnen spricht, erkennen        lädt uns ein, uns auf solche Verwandlungserfahrungen einzulas-
                            sie ihn nicht. Sie können das Neue, Verwandelte noch nicht er-       sen. Das Leben nach Corona wird nicht sein wie das Leben vor
                            fassen, weil sie das Alte, Vertraute suchen.                         Corona. Es wird anders sein. Viele von uns werden Spuren des Er-
                                                                                                 lebten an sich tragen, gesundheitlich, seelisch, ökonomisch. Man-
                                Und so ahnen wir: Auferstehung ist nicht die Fortsetzung des     ches, was vorher wichtig und unerlässlich schien, wird zweitran-
                            Bisherigen, sondern Verwandlung und radikale Veränderung. Die        gig oder verzichtbar. Und manches, was vorher selbstverständlich
                            Bibel fasst diese Erfahrung in Bilder: Da ist das Bild vom Weizen-   war, wird zur Feier einer „kleinen Auferstehung“: eine Einladung
                            korn, das in die Erde fällt und stirbt und dadurch einen neuen       zu einem Fest, die Chorprobe, der Museumsbesuch, das offene
                            Halm hervorbringt, der Körner trägt. Jedes Jahr wieder im Früh-      Schwimmbad.
Foto: medio.tv/Schauderna

                            ling werden wir Zeugen dieser wunderbaren Verwandlung. Was
                            braun und erstorben wirkt, treibt neue Blätter und Blüten, und            Und so wünsche ich Ihnen viel Hoffnungskraft in dieser müh-
                            die Wiesen und Felder werden grün. Was wie tot war, erwacht zu       seligen Zeit und viele kleine Auferstehungserfahrungen als Vor-
                            neuem Leben und zu neuer Lebendigkeit – und sieht doch jedes         geschmack auf das, worauf wir hoffen und vertrauen: „Nun aber
                            Jahr etwas anders aus und erzählt uns von Neuem vom Wunder           ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen,
                            der Auferstehung.                                                    die entschlafen sind“ (1. Kor 15,20). ●      Dr. Beate Hofmann

                            8      blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
Foto: AKG Images. „Christus als Sieger über Tod und Teufel”, 1561. Lucas Cranach d. J. (1515–1586)
Warten auf Wunder - Das Wunder der Auferstehung erleben - EKKW
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                                 Im Krankenhaus gibt es viele Wunder

                                 W
                                           enn Pfarrer Hans-             Mann von selbst Luft geholt und wieder eigenständig zu atmen

                                                                                                                                               Foto: Klinikum Hanau
                                           Joachim Roth nach             begonnen, einen Tag später sei er auf die Normalstation verlegt
                                           Wundern gefragt               worden. Klinikpfarrer Roth warnt jedoch davor, diese Ausnahme
                               wird, fällt ihm der Schlager              zur Regel zu machen. Er sieht immer wieder Wunder ganz ande-
     Pfr. Hans-Joachim        von Katja Ebstein ein: „Wun-               rer Art. Dazu zählt er auch, wenn es Sterbenskranken gelingt zu
            Roth            der gibt es immer wieder“. Ent-              akzeptieren, dass der letzte Lebensabschnitt begonnen hat. Oder
                        scheidend sei, wie der Text weiter-              wenn Angehörige es schaffen, einen geliebten Menschen gehen
geht: „Wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehen.“                  zu lassen, weil sie erkennen, dass dieser Weg für den Betroffenen
Roth ist seit Jahren Seelsorger am Klinikum in Hanau, einem              der richtige ist und sein Leiden beenden kann. So überwinden sie
Haus mit 800 Betten und an die 2.000 Mitarbeitenden. Es gibt             das Dilemma, den geliebten Menschen nicht verlieren, ihm aber
dort nicht eine, sondern mehrere Intensivstationen – unter ande-         auch kein weiteres Leid zumuten zu wollen.
rem spezialisiert auf Chirurgie, Kardiologie und Neurologie. So              Roth erinnert sich an den Anruf einer Frau, deren Vater eine
hat das Klinikum natürlich auch viel mit Corona-Kranken zu tun.          Krankheit mit großen Beeinträchtigungen überlebt hatte. Früher
    Ein Sterbenskranker, bei dem alle medizinischen Daten zei-           hatte er in seiner Werkstatt Autoreifen geschleppt, das ging nicht
gen, dass er auf seinen Tod zugeht, springt plötzlich aus dem            mehr. Anfangs fühlte sich der Mann nutzlos – zu nichts zu gebrau-
Bett und ist wieder geheilt? Wer auf solch ein Wunder warte, sagt        chen. Doch dann gelang ihm der Perspektivwechsel: Er konnte in
Roth, könne nur enttäuscht werden. Gott habe selbst die Naturge-         seine Werkstatt gehen, obwohl er diese Arbeit nicht mehr leisten
setze geschaffen, die den Rahmen für unser Leben bildeten und            konnte, und sich mit der neuen Situation anfreunden. Wenn es
die Gott auch nicht aufhebe. Aber innerhalb der Rahmenbedin-             Menschen gelinge, in schwierigen Lagen neue Lebenslust und
gungen gebe es Spielräume, Gott habe Möglichkeiten, an die der           Lebensfreude zu finden, dann sei auch das ein Wunder.
Mensch oft nicht denke und die er nicht erwarte.                             Auf „das Wunder schlechthin“ zu warten, etwa eine Spontan-
    Roth erzählt von einem schwer kranken Patienten, der auf             heilung, davon rät Pfarrer Roth ab, es führe zu Enttäuschungen.
eine palliative Versorgung umgestellt wurde, bei der es nicht            Man könne aber auf eine Wendung warten, mit der man nicht
um Heilung, sondern um die Linderung von Beschwerden geht.               rechne. „Wunder geschehen immer wieder“ – mit dem Ebstein-
Angehörige kamen, um Abschied zu nehmen. Die künstliche Beat-            Lied im Ohr wünsche er Kranken und Angehörigen „die Offenheit,
mung wurde eingestellt. Doch genau in diesem Moment habe der             sich wundersam überraschen zu lassen“. ●               Olaf Dellit

Türen auf – und einfach hineingehen dürfen!

W
           ie haben Altenheime                              spiel, wenn es um die Kommu-         sie haben sich als nützliche Instrumente

                                                                                                                                                   Foto: medio.tv/Schauderna
           das Corona-Jahr                                     nikation zwischen Bewoh-          erwiesen. Ebenfalls können die Angehöri-
           mit den vielen                                         nern, Mitarbeitern und         gen digital in Kontakt mit den Seelsorgern
Kontakteinschränkungen                                             Angehörigen gehe. Aus         kommen und sich nach ihren Verwandten
überstanden, wie geht                                              Sorge um die Senioren         erkundigen, auch eine Angehörigengrup-
es den Bewohnern und                                               sei im ersten Lockdown        pe hat sich gebildet und ist im Austausch.
Mitarbeitern? Eine Frage                                           kein Besuch möglich ge-           Erleichternd: Wenn zeitweilig kein
brennt allen auf der See-                                         wesen, das aber sei „ent-      direkter Kontakt zu dementen Personen
le: „Wann geht das zu En-           Pfrin. Birgit Inerle       setzlich“ für alle Beteiligten.   möglich ist, können die Seelsorger immer-
de?“ Pfarrerin Birgit Inerle sagt:                          Besonders dramatisch gestalte        hin Infos an beunruhigte Angehörige über-
„Ein Wunder wäre es, wenn sich jetzt                  sich die Corona-Lage für Demenz-           mitteln: „Ich habe ihre Mutter gesehen, es
für alle Besucherinnen und Besucher die kranke – bei ihnen löse sie große Angst                  geht ihr gut.“ Insgesamt sei die Corona-
Türen wieder zwanglos öffnen würden!“ aus.                                                       Situation für die Mitarbeiter am anstren-
Einfach wieder hineingehen, spazieren,              In der Seniorenwohnanlage am Lin-            gendsten. Nicht nur ist die Pflege und
zusammen sein.                                  denberg – hier leben 110 Bewohner, ar-           Versorgung in Schutzkleidung physisch
    Inerle ist Sprecherin der Konferenz für beiten 100 Mitarbeitende – wurde nun                 erschöpfend, auch leiden die Mitarbeiten-
Klinik und Altenheimseelsorge der EKKW, auch ein „Ethik-Café“ installiert, in dem                den mit den Bewohnern mit, die ihnen ans
Pfarrerin in der Seniorenwohnanlage Am sich Vertreter aller Gruppen (Bewohne-                    Herz gewachsen sind. Andererseits stellt
Lindenberg in Kassel und eine aus dem rinnen des Pflegeheims, des betreuten                      Birgit Inerle immer wieder fest, dass die
Kreis der „Ethik-Lotsen“, der im Herbst Wohnens, dem Sozialdienst, Pflegekräfte                  Bewohner selbst unaufgeregt und seelisch
2020 zusammengestellt wurde. Die Seel- und die Pfarrerin) austauschen und Kon-                   erstaunlich stark seien nach dem Motto:
sorgerinnen und Seelsorger sollen auslo- zepte gegen die „Einsamkeit in Zeiten von               „Ich hab schon Schlimmeres erlebt, – das
ten, wie „so viel Normalität wie möglich“ Corona“ entwickeln. Diese Treffen sollen,              überlebe ich auch noch.“ ●
in den Heimen herstellbar ist. Zum Bei- so Inerle, auch später bestehen bleiben;                                       Anne-Kathrin Stöber

10     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA
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               Und wenn alle geimpft sind? ?                                                                    Sie haben – unter bestimmten Vor-
                                                                                                                aussetzungen – mehr Freiräume für
               Die evangelische Theologin Dr. Petra Bahr (Foto) denkt                                       Geimpfte gefordert. Was ist hier für Sie
                                                                                                            wichtiger: die Freiheit des Einzelnen
               als Mitglied des Deutschen Ethikrats im blick-Interview                                      oder die gesellschaftliche Solidarität?
               über mögliche Freiräume für Geimpfte nach                                                        Barth: Freiheit und Solidarität darf
                                                                                                            man nicht gegeneinander ausspielen,

               ?   Fühlt man sich als Theologin im
                   Ethikrat ernstgenommen? Wie fin-
               den Naturwissenschaftler, Mediziner
                                                             ?  Seit Sie im Ethikrat mitarbeiten,
                                                                ist Corona das alles beherrschende
                                                             Thema. Wann, denken Sie, werden
                                                                                                            schon deswegen nicht, weil meine Frei-
                                                                                                            heit und die der anderen sich berühren
                                                                                                            oder sogar kollidieren. Individuelle Frei-
               und andere Mitglieder einen gemeinsa-         andere Themen wieder in den Vorder-            heit ist aber ein hohes Gut. Tiefgreifende
               men Nenner?                                   grund rücken?                                  Einschränkungen der Grundrechte bedür-
                    Petra Barth: Der Ethikrat vereint un-        Barth: Im Ethikrat selbst ist die Pande-   fen einer schwerwiegenden Begründung.
               terschiedliche Disziplinen. Das gehört zu     mie nicht das alles bestimmende Thema.         Ich kann nicht sehen, dass es ein Zeichen
               seiner DNA. Deshalb ist der Gedanke, sich     Wir erarbeiten auch ethische Leitlinien        von Solidarität ist, Hochbetagten oder
               in die Schuhe der anderen zu stellen, ei-     zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz         Menschen aus Pflege- und Sozialberufen,
               ne Grundlage für gemeinsames Arbeiten.        und haben einige sehr spannende Anhö-          die wegen ihres sehr hohen Risikos der
               Das bedeutet auch: genau zuhören. Die         rungen zum assistierten Suizid gemacht,        Ansteckung nun geimpft sind, zu sagen:
               meisten Mitglieder sind allerdings Hoch-      etwa zur Sterbewunsch-Forschung. Aller-        „Bei allem, was ihr tut, müsst ihr warten,
               schullehrer und hauptberufliche Wissen-       dings bleibt die Begleitung der Pandemie       bis alle geimpft sind.“ Natürlich gibt es Re-
               schaftlerinnen. Deshalb war die Hürde, in-    ein wichtiges Thema, besonders in den          geln, die alle beherzigen müssen. Masken
               tellektuell vertrauenswürdig zu sein, höher   kommenden Monaten, denn die gesell-            in der U-Bahn bleiben. Aber warum soll
               als die des Faches, das auch von anderen      schaftlichen Brüche und die tiefe Vertrau-     die Seniorenkantorei nicht wieder proben,
               im Gremium vertreten wird. Allerdings ist     enskrise, auch in politische Institutionen,    wenn alle geimpft sind? Warum sollen sich
               es nicht so, dass immer ein gemeinsamer       werden erst langsam sichtbar.                  Pflegekräfte in einer Einrichtung nicht mal
               Nenner gefunden wird. Oft gibt es Gabel-                                                     zu einer Geburtstagsparty treffen dürfen?
               voten, in denen unterschiedliche Perspek-     ZUR PERSON                                     In Kombination mit einer Teststrategie, die
               tiven mit den jeweiligen Argumenten ent-       Dr. Petra Bahr (Jahrgang 1966) war von        ihren Namen verdient, könnten auch Kul-
               faltet werden. Die Trennung erfolgt aber       2006 bis 2014 Kulturbeauftragte der EKD       tureinrichtungen so überleben – aus der
               quer durch die Disziplinen. Ich finde aber,    und ist heute Regionalbischöfin im Spren-     geistigen Leere führen, die als Begleiter-
               dass auch solche bleibenden Differenzen        gel Hannover. Seit 2020 ist sie Mitglied      scheinung dieser Kastastrophe in Zeitlupe
               zur öffentlichen Urteilsbildung beitragen      im Deutschen Ethikrat.                        viel zu selten wahrgenommen wird. ●
               können.                                                                                                         Fragen: Lothar Simmank

                                                                                                     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021       11
THEMA

                                             „Ohne Teilen funktioniert es nicht“
                                             Cornelia Füllkrug-Weitzel über ihre Bilanz als Präsidentin von „Brot für die Welt”

                                                                                                                                             nennen und zu bekämpfen – etwa den
                                                                                                                                             Klimawandel. Aber auch wir haben kein
                                                                                                                                             Patentrezept dafür, ein für allemal gerech-
                                                                                                                                             te Verhältnisse zu schaffen.
                                                                                                                                                 Das relativiert den Sinn der Hilfe je-
                                                                                                                                             doch nicht: Millionen Menschen konnten
                                                                                                                                             mit unserer Unterstützung aus eigener
Foto: Christoph Püschner/Brot für die Welt

                                                                                                                                             Kraft auf die Beine kommen und ein Leben
                                                                                                                                             in Würde führen. So ist es gerade nicht ver-
                                                                                                                                             dampft auf heißen Steinen …

                                                                                                                                             ?   Gerade in der Pandemie hängen vie-
                                                                                                                                                 le Menschen an der Hoffnung, dass
                                                                                                                                             es wieder besser wird. Welche Hoff-
                                                                                                                                             nung haben Sie und wie stärken Sie
                                                                                                                                             diese, statt zu verzweifeln?
                                                                                                                                                  Füllkrug-Weitzel: Eine verständliche
                                             Im Flüchtlingslager: Cornelia Füllkrug-Weitzel informierte sich gemeinsam mit John Nduna        Hoffnung. Aber die Pandemie wird nur er-
                                             (ACT Alliance) über die Situation syrischer Flüchtlinge in Jordanien                            folgreich bekämpft, wenn alle Länder ge-
                                                                                                                                             nug Impfstoffe haben. In vielen der ärms-

                                             C
                                                    ornelia Füllkrug-Weitzel war bis En-     Welt Armut, Naturkatastrophen und               ten Länder, vor allem Afrikas, gibt es gar
                                                    de Februar Präsidentin des evan-         jetzt auch noch die furchtbare Pande-           keinen. Je mehr wir nur unsere Haut retten
                                                    gelischen Hilfswerks „Brot für die       mie sehen, denken Sie manchmal: Es              wollen, desto weniger werden wir dem Ziel
                                             Welt". Wie sie jüngst in einem Interview        waren alles nur kleine Tropfen auf viele        unserer Hoffnung nahekommen. Ohne Ge-
                                             erzählte, wurde ihr soziales Interesse ge-      heiße Steine?                                   rechtigkeit, ohne Orientierung am Gemein-
                                             weckt, als sie sich als 15-Jährige in Kassel        Füllkrug-Weitzel: Ich habe nie ge-          wohl, ohne Teilen, ohne Rechte und Würde
                                             mit der Evangelischen Jugend für Obdach-        glaubt, dass unsere Arbeit Naturkatas-          für alle funktioniert das Leben nicht. Das
                                             lose engagierte. Ihr Vater war seinerzeit Vi-   trophen, Pandemien etc. aus der Welt            sagen uns Mose und die Propheten, das
                                             zepräsident der Landeskirche.                   schaffen kann. Spätestens seit Corona           sagt uns Jesus.
                                                                                             sollte klar sein, dass wir eben doch nur             Meine Hoffnung richtet sich darauf,

                                             ?  Brot für die Welt hat in über 60 Jah-
                                                ren 2,5 Milliarden Euro an Spenden
                                             und Kollekten gesammelt. Ist das für
                                                                                             Menschen und deshalb nicht Herren des
                                                                                             Lebens sind.
                                                                                                 Wir können mit guten sozialen Grund-
                                                                                                                                             dass Gott nicht nur will, sondern uns auch
                                                                                                                                             dazu befähigt, ein solches Leben zu su-
                                                                                                                                             chen und zu führen. Und dass er uns stets
                                             Sie ein Wunder?                                 diensten dafür sorgen, dass weniger Men-        die Chance auf einen Neuanfang schenkt,
                                                 Cornelia Füllkrug-Weitzel: Das Wun-         schen Opfer von Naturkatastrophen und           wenn wir es (wieder) einmal nicht schaf-
                                             der des Teilens, das noch viel mehr Milliar-    schweren Krankheiten werden. Wir kön-           fen. Er will das Leben, er schafft immer
                                             den Menschen zum Überleben, zum Leben           nen Armen helfen, wieder auf die eigenen        neu Leben, er bewahrt unser Leben – auch
                                             in Würde geholfen hat!                          Beine zu kommen und Staaten an ihren            durch den Tod hindurch. Wir wissen Gott
                                                                                             Job erinnern, für das Gemeinwohl und die        solidarisch an unserer Seite – was immer

                                             ?  Wenn Sie nach 21 Jahren an der
                                                Spitze von „Brot für die Welt“ und
                                             der „Diakonie Katastrophenhilfe“ in der
                                                                                             Wohlfahrt aller Menschen zu arbeiten.
                                                                                                 Wir können helfen, die strukturellen
                                                                                             Ursachen von Hunger und Armut zu be-
                                                                                                                                             wir erleiden müssen. Und wir gehen auf
                                                                                                                                             Ostern zu, wie sehr die Pandemie auch wü-
                                                                                                                                             ten mag. ●              Fragen: Olaf Dellit
                                                                                                                                                                                            Foto: H. Bredehorst/Brot für die Welt

                                             Brot für die Welt – das evangelische Hilfswerk
                                                          „Brot für die Welt” ist als Entwicklungswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland in mehr als 90
                                                          Ländern aktiv. Schwerpunkt ist die Ernährungssicherung, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels.
                                                          Finanziert wird die Aktion aus Geld des Bundes, Spenden und Kollekten sowie vom kirchlichen Entwick-
                                                          lungsdienst. Knapp 92 Prozent des Geldes gehen direkt in die Projektarbeit, der Rest in Werbung, Öffent-
                                                          lichkeitsarbeit und Verwaltung. Die Organisation wird jährlich vom Deutschen Zentralinstitut für soziale
                                                          Fragen mit dem Spendensiegel ausgezeichnet. Am 1. März wurde Dr. Dagmar Pruin Nachfolgerin von Prof.
                                                          Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel (Foto rechts) als Präsidentin.             www.brot-fuer-die-welt.de

                                             12     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA

                                                                                                                                                Foto: Daniel Biskup
Vertrauen, dass alles in guten Händen ist
Pater Anselm Grün über das Hoffen auf Wunder und die Spaltung der Gesellschaft

A
        nselm Grün ist der vielleicht be-       fen. Wie schafft man das: hoffen, aber         DAS BUCH
        kannteste Mönch Deutschlands.           nicht enttäuscht sein?                                            „Was gutes Leben ist",
        Nach dem Abitur 1964 trat er                Grün: Wenn ich schwer krank bin, hof-                         heißt Anselm Grüns Buch
dem Benediktinerorden bei und lebt seit-        fe ich auf das Wunder der Heilung. Aber                           mit Reflexionen zur
dem in der Abtei Münsterschwarzach. Ne-         zugleich bete ich im Vaterunser: „Dein Wil-                       Pandemie-Zeit. Erschienen
ben Philosophie und katholischer Theolo-        le geschehe!“ Das Gebet hilft mir, zu ver-                        ist es bereits im vergange-
gie hat er Betriebswirtschaftslehre studiert.   trauen, dass – ganz gleich, was geschieht                         nen Jahr, an Aktualität
Grün ist ein Vielschreiber, laut Wikipedia      – es gut sein wird für mich, selbst wenn ich                      hat es aber nicht
sind mehr als 300 Titel von ihm lieferbar,      an der Krankheit sterbe oder länger von         eingebüßt. Grün schlägt darin einen
Gesamtauflage ca. 20 Millionen. Die Ein-        ihr behindert werde.                            weiten Bogen, ausgehend von der Klausur
                                                                                                der Mönche – dem Rückzugsort. Dieser sei
nahmen daraus fließen dem Kloster zu.               Natürlich bin ich zunächst enttäuscht,
                                                                                                gut und wichtig, um zu erkennen, was die
                                                wenn das Wunder nicht geschieht. Aber
                                                                                                Welt brauche und dass wir nicht die

?  Pater Anselm, Corona beschäftigt
   uns jetzt schon länger als ein Jahr.
Haben Sie in dieser Zeit Wunder erlebt?
                                                ich bleibe nicht in der Enttäuschung ste-
                                                cken, sondern versuche, mich dem Willen
                                                Gottes zu ergeben und zu vertrauen, dass
                                                                                                „Herren des Lebens” sind. Begriffe wie
                                                                                                Angst, Glück, Einsamkeit, Vertrauen,
                                                                                                Dankbarkeit und Versöhnung werden vor
    Pater Anselm Grün: Für mich war es          ich mit allem, was geschieht, in Gottes gu-     dem Hintergrund der Pandemie beleuch-
ein Wunder, wie viele Menschen auf ein-         ten Händen bin.                                 tet. Würde man Sätze wie „Freundlichkeit
mal Solidarität füreinander bewiesen ha-                                                        strahlt aus” aus dem Buch-Zusammenhang
ben. Und ich erlebe es als Wunder, dass
unser Konvent bisher von Corona ver-
schont wurde.
                                                ?  Auf welches Wunder hoffen Sie ganz
                                                   persönlich?
                                                    Grün: Ich hoffe auf das Wunder, dass
                                                                                                ziehen, könnten sie wie etwas schlichte
                                                                                                Kalendersprüche daherkommen. Doch im
                                                                                                Kontext wird ihre tiefere Bedeutung
                                                                                                sichtbar, zumal der Theologe nicht an der
                                                fanatisierte Menschen, von denen viel Ge-
                                                                                                Oberfläche bleibt und Fragen wie Tod und

?  Sie schreiben in Ihrem Buch „Was
   gutes Leben ist“, wir sollten immer
auf Wunder hoffen, aber auch nicht
                                                walt ausgeht, mit ihrem Herzen in Berüh-
                                                rung kommen und dass so die Spaltung in
                                                der Gesellschaft geheilt wird. ●
                                                                                                Sterben und jene, was Gott uns mit der
                                                                                                Krise sagen könnte, nicht ausspart.
                                                                                                Anselm Grün: Was gutes Leben ist,
enttäuscht sein, wenn sie nicht eintref-                                Fragen: Olaf Dellit     Herder, Freiburg/Br. 2020, 22 Euro

                                                                                        blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021         13
THEMA

Bittere Corona-Erfahrungen:
helfen, leiden, sterben, gesund werden
Der Palliativmediziner Dr. Thomas Sitte über seine Covid-Erkrankung und die Folgen

A
        uf ein Wunder habe ich im Januar                mir weitergeht, so erschlagen war ich. Und      Hilfe angeboten haben. In der Not
        auch selber gewartet.                           immer die Angst im Nacken, ich gehöre           bin ich nicht alleine. Das ist unge-
                                                        definitiv zur Risikogruppe, meine Lunge ist     mein tröstlich zu wissen! Nach drei
     Rund 50 Menschen habe ich beglei-                  vorgeschädigt. Eine satte Lungenentzün-         Wochen war meine akute Phase vorbei,
tet, die durch Corona gestorben sind – ja               dung kam dazu. Was ist, wenn die Lunge          der Abstrich negativ. Und jetzt? Weiter
nicht mit, schlicht durch Corona – dann                 schlapp macht und ich in die Klinik muss?       wie vorher? Vor drei Monaten bin ich
hat es mich erwischt. Ich war stets vorsich-            Und schlapp bin ich selber schon, nur Ru-       für mich einen Marathon gelaufen. Und
tig, geschützt, auf Distanz. Irgendwann                 he haben und schlafen will ich tagelang.        jetzt? Eine Treppe führt zu Atemnot. Ich
passiert es doch, wenn man zuhauf Viren                     Mehrmals täglich Fieber messen, Puls,       habe mich, so gut es ging, in der Krank-
ausgesetzt ist. Abends ein ungewohnter,                 Sauerstoffsättigung. Mal wird es etwas          heit bewegt, minimal trainiert. Das war
trockener Husten. Gleich schießen Gedan-                besser, dann kommt ein heftiger Rückfall.       eminent wichtig für mich und für wirk-
ken durch den Kopf: „Das wird doch nicht                Solches Auf und Ab ist viel belastender als     lich alte Menschen noch viel mehr.
… Nein, das kann nicht sein … es ist nun                ich es gedacht hätte. Bei jedem Rückfall        Ich muss noch sehr viel üben, brauche
schon bald zehn Monate gutgegangen.                     kommen mehr Ängste. Ich bin Arzt. Ich           noch Geduld mit meinem Körper.
Übermorgen werde ich doch geimpft!“                     weiß zu viel. Immer wieder hoffe ich. Und           Eine ganz andere Erfahrung war es,
     Am nächsten Morgen Fieber, Glieder-                bete.                                           sich als Aussätziger zu fühlen. Nach der
schmerzen, einfach fertig. Krank. Schnell                                                               Infektion wechselten Bekannte plötz-
ein Abstrich: Positiv. Der PCR-Test bestä-               »Die Quarantäne war erfüllt                    lich die Straßenseite, wenn ich kam.
tigt es. Gott sei Dank habe ich seit Mona-                                                              Das war wohl schon immer so und wird
                                                         von Einsamkeit und Angst.«
ten immer wirklich aufgepasst. Abstand,                                                                 es wohl auch bleiben.
Hygiene, Mundschutz, Lüften, Kontaktzei-                                                                    Vielleicht werde ich mit viel Übung
ten kurzhalten. Keine Umarmungen, keine                     Wie ist es erst für die Menschen, die       wieder ganz gesund. Spannend ist, was
Nähe. Gott sei Dank habe ich auch nie-                  ich in den verschiedensten Einrichtungen        mich die glücklich überstandene Infek-
manden angesteckt. Das war sofort meine                 begleitet habe? Die Quarantäne war oft          tion gelehrt hat: Mehr Gelassenheit
Angst, weil die Enkelkinder einfach gerne               gespenstisch, erfüllt von Einsamkeit und        und mehr Demut. Dazu sehr viel Dank-
immer wieder zu Oma und Opa kommen.                     Angst. Nicht nur bei den Patienten, genau-      barkeit, es gut überlebt zu haben. ●
Wer kann da schon immer Nein sagen.                     so auch bei Angehörigen und Pflegenden.
Einen Tag vor Krankheitsausbruch waren                  Und natürlich haben sich viele Pflegende        Dr. Thomas Sitte, 62, ist ein renommier-
sie noch bei mir. Zum Glück habe ich auf                angesteckt. Auch Ärzte. Natürlich setzen        ter Palliativmediziner aus Fulda. Unter
die Regeln geachtet. Wir waren fast aus-                sich Helfer Risiken aus. Wir versuchen, sie     anderem ist er Gründungsmitglied und
schließlich draußen unterwegs. Die Kinder               zu minimieren. Aber Risiken bleiben. Egal,      Vorsitzender der Deutschen Palliativ-
oder gar die Enkel angesteckt zu haben,                 ob im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr,        Stiftung DPS.         www.doc-sitte.de
das war schon ein belastender Gedanke.                  der Polizei oder eben in der Versorgung
Ach ja, meine Frau ist dann doch auch                   schwerstkranker Menschen, die vielleicht
                                                                                                                                                   Foto: medio.tv/Dellit

krank geworden, zu ihr hatte ich den Ab-                hochgradig ansteckend sind.
stand nicht konsequent genug eingehal-                      Man redet nicht viel darüber. Warum
ten.                                                    nicht? Es macht mich fassungslos und wü-
     Ich hatte schon einige sehr schwere In-            tend zugleich, wenn ich diese verharmlo-
fektionen, aber Corona war wirklich hart.               senden Sprüche höre. Nur eine Grippe? Vor
Zeitweise war es mir völlig egal, wie es mit            dreißig Jahren hatte ich eine Influenza mit
                                                        über 40° C Fieber. Da ging es mir blen-
                                                        dend gegen die Situation jetzt.
                                        Fotos: privat

                                                            Eine wunderbare Erfahrung war es, wie
                                                        viele Nachbarn, Freunde, Bekannte uns

                                                        Zweimal Dr. Sitte: rechts vor der Erkrankung
                                                        im Büro der Palliativstiftung in Fulda, links
                                                        während der Krankheit im Bett. Oben ein
                                                        Bild vom positiven Corona-Test.

14     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA

                                                                                         Vom Wunder
                                                                                         neuen Lebens
                                                                                                    Wie Familie Schmidt
                                                                                                     eine Taufe in der
                                                                                                     Pandemie erlebte

                                                                                                                                             Fotos: privat
Familie Manuel und Julia Schmidt aus Bad Hersfeld mit dem Täufling Leonas und seinem großen Bruder Milan

M
          anchmal, wenn Manuel Schmidt           Wesen, das uns braucht“, in die Familie.      Wasser übernahm aber die Patin. Auch
          seine beiden Jungs bei einem           Kinder bedeuten neben viel Freude und         beim Segen berührte Jaeger den Kleinen
          Spaziergang im Wald herumtol-          Liebe auch eine große Verantwortung.          nicht. Die Taufe durch die Patin; das ist
len, spielen und klettern sieht, spürt er gro-   Viele Menschen sind froh, wenn sie diese      etwas, das der Pfarrer gerne auch nach Co-
ße Dankbarkeit, dass es den beiden, ihm          nicht alleine tragen müssen – so ging es      rona beibehalten würde. Der Zwang, vieles
selbst und seiner Frau Julia gut geht.           auch Manuel und Julia Schmidt.                neu denken zu müssen, habe hier etwas
    Ihre beiden Söhne nehmen die Eltern              „Wir hoffen, dass wir ihn begleiten,      Gutes hervorgebracht.
als Wunder wahr. „Es ist einfach unvorstell-     aber etwas Höheres – Gott – auch“, sagt           Auch Familie Schmidt hat die Taufe
bar, wie so ein Leben entsteht“, sagt Julia      die 32-Jährige. Und ihr Mann pflichtet        positiv in Erinnerung, es sei sehr persön-
Schmidt. Es erstaune sie immer wieder,           bei: „Man hat das Gefühl, dass man nicht      lich und tiefgründig gewesen. Nicht zuletzt
was Kinder alles lernten und wie sie nach        alleine ist.“ Mit der Taufe wollten sie ih-   liege das daran, dass nicht mehrere Tau-
und nach größer würden. Der erste Sohn           ren Söhnen den Weg in die Gemeinschaft        fen in einem Gottesdienst gefeiert wurden:
Milan ist fünf Jahre alt, Leonas kam Ende        der Kirche ebnen. Sollten sie später ent-     „Der Tag gehörte Leonas.” Die Situation
November 2019 zur Welt.                          scheiden, dass sie nicht mehr dazugehö-       im Juli 2020 erlaubte auch eine Feier im
    Manuel Schmidt arbeitet als Projekt-         ren wollten, sei das in Ordnung. Aber sie     Restaurant, sodass der festliche Tag einen
leiter bei einer großen Baufirma, Julia          wüssten dann, wie es in der Kirche ist und    guten Abschluss fand – allerdings waren
Schmidt ist Grundschullehrerin in Bad            wofür oder wogegen sie sich entscheiden.      dann wegen Corona doch nicht alle Ver-
Hersfeld. Beide erzählen, dass sie eine                                                        wandten mit dabei.
mentale Bindung zur Kirche haben, sich           Dann kam das Virus ...                            Beim Tauffest in der Hersfelder Stadt-
dort immer wohlgefühlt hätten. So ließen                                                       kirche stand Leonas im Mittelpunkt, aber
                              sie sich auch          Wenige Monate nach Leonas' Geburt         auch für seinen
                              kirchlich trau-    hatte das Corona-Virus die ganze Welt         großen Bruder
                              en, vor vier       im Griff. Schmidts ahnten, dass das län-      gab es eine wich-
                              Jahren war         ger dauern würde, wollten aber die Taufe      tige Aufgabe. Der
                              das. Das fand      auch nicht um ein Jahr oder länger ver-       Fünfjährige durfte
                              Milan damals       schieben. Also: Taufe im Juli in der Bad      das Wasser in das
                              so schön,          Hersfelder Stadtkirche – unter Pandemie-      Becken gießen,
                              dass er Pfar-      Bedingungen. Nur die Kernfamilie und 16       mit dem sein Bru-
                              rer werden         Gäste durften dabei sein, die Taufe wurde     der dann getauft
                              wollte. Er ist     im Chorraum gefeiert, an den Mundschutz       wurde. Wer weiß,
                              getauft und        waren längst alle gewöhnt.                    vielleicht wird Mi-
                              nun kam mit            Auch für Pfarrer Frank-Nico Jaeger war    lan später wirklich
                              Leonas noch        einiges anders als sonst. Er sprach zwar      Pfarrer. ●
                              ein „zweites       die Taufformel, die eigentliche Taufe mit              Olaf Dellit

                                                                                        blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021     15
THEMA

Wunder zum Lesen und Anschauen
                                              Bewundernswerter Außenseiter
                                   Der kleine August wird von allen nur Auggie genannt. Seit
                                   er ein Baby ist, hat er sich zahlreichen Operationen unterziehen
                                   müssen, um richtig atmen und sehen zu können. Sein deformier-
                                   tes Gesicht macht ihn zum Außenseiter, als er endlich an eine
                                   öffentliche Schule geht. Die Meinung seiner neuen Klassenka-
                                   meraden wiegt natürlich viel schwerer als die seiner liebevollen
                                   Eltern. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten findet Auggie
                                   auch an der Schule Menschen, die ihn akzeptieren und bewun-
                                   dern. Der Bestseller „Wunder” von Raquel J. Palacio wurde 2017
                                   mit Julia Roberts und Owen Wilson fürs Kino verfilmt.
                                   Raquel J. Palacio: Wunder. Hanser Verlag 2013, 16,90 Euro

Für Himmelssucher
und Lebenspilger
Es gibt Tage, da fühlt sich das                                                                     schichten, Gedanken und Gebete für
Leben leicht an. Wie Fahrradfah-                                                                    Alltagslichtblicke: Vielleicht lässt ja
ren durch sonnengelbe Felder, wie                                                                   doch jemand Wunder regnen, wer
Schaukeln im Wind, wie der Tanz der                                                                 weiß? Mit Versen aus Bibel und Ge-
Wolken am blauen Sommerhimmel.                                                                      sangbuch und Texten von Roger Wil-
Und es gibt Tage, da ist nicht alles                                                                lemsen, Susanne Niemeyer, Matthias
gut. Da will man nicht so tun, als ob.                                                              Lemme, Andreas Malessa, Siegfried
Genau an solchen Tagen ist es gut,                                                                  Eckert, Susanne Breit-Keßler, Frank
sich zu erinnern an Fahrrad und bun-                                                                Muchlinsky, Martin Vorländer und
ten Sommertag, an Schaukel und                                                                      anderen mehr.
Wind und daran, dass es jemanden                                                                        Sechs herausnehmbare Postkar-
gibt, der uns hält. Die federleichten               S. Breit-Keßler, F. Muchlinsky (Hrsg.):         ten laden mit freundlichen Motiven
und poetischen Texte dieses Buches            Vielleicht lässt jemand Wunder regnen. edition        dazu ein, die hoffnungsfrohen Bot-
erzählen von dieser Hoffnung. Ge-                      chrismon/EVA, 2020. 12 Euro                  schaften mit anderen zu teilen.

Es geschehen noch
Zeichen und Wunder                                                                                                geben wird die Spruch-
                                                                                                                  sammlung von dem
Wir „tragen jemanden auf Händen”,                                                                                 in Mainz lebenden
hüten etwas „wie unseren Augapfel”, ar-                                                                            Ehepaar Petra Gerster
beiten „im Schweiße unseres Angesichts”                                                                            und Christian Nürn-
oder rennen von „Pontius zu Pilatus”. Zahl-                                                                        berger – sie ist pro-
reiche Redewendungen, die uns tagtäglich                                                                           minente Moderatorin
über die Lippen gehen, stammen aus der                                                                der ZDF-heute-Nachrichten, er ist
Lutherbibel.                                                                                   Theologe, Journalist und Bestsellerautor.
    Das Buch stellt die 50 schönsten Aus-                                                          Ergänzt werden die Texte durch stil-
sprüche vor und erläutert informativ und                                                       volle Fotos und Grafiken, die das Buch zu
kurzweilig deren Herkunft im biblischen                                                        einem echten Hingucker machen. Passend
Zusammenhang. So öffnet sich ein fri-          Petra Gerster | Christian Nürnberger (Hrsg.):   dazu erhalten Sie ein Postkartenbuch mit
scher Blick auf eindrückliche Sprachbilder       Es geschehen noch Zeichen und Wunder.         15 Postkarten mit den schönsten bibli-
Luthers, die nicht mehr wegzudenken sind          edition chrismon/EVA/Deutsche Bibel-         schen Redewendungen zum Verschicken.
aus unserem Alltagswortschatz. Herausge-               gesellschaft, 2019, 14,90 Euro          Postkartenbuch mit 15 Motiven: 8,90 Euro

16     blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
THEMA

Wunderbare, wanderbare Kirchen
Auf einer kostenlosen Wanderkarte sind 48 Kirchen rechts und links der Eder verzeichnet

D
        en Trubel des Alltags, den Lärm

                                                                                                                                      Foto: medio.tv/Dellit
        der Straße und die Hektik der sich
        überschlagenden Nachrichten ein-
mal hinter sich lassen, eine alte Kirche
betreten und sich dort einen Platz in der
Stille suchen. Es kann ein kleines Wunder
sein, wenn man es schafft, sich auf die At-
mosphäre der alten Mauern einzulassen,
in denen schon Jahrzehnte und Jahrhun-
derte zuvor Menschen einen Platz für Spi-
ritualität und Zuflucht fanden.
     Zeiten, in denen es schwierig bis un-
möglich ist, größere Reisen zu planen,
bieten sich an, die Schätze zu entdecken,
die die nähere Umgebung zu bieten hat.
48 besondere Kirchen rechts und links der
Eder sind in einer Wanderkarte unter dem
Titel „Himmlische Ansichten”, die kosten-
los erhältlich ist. Alle dort aufgeführten
Kirchen liegen an Wanderwegen oder in
unmittelbarer Nähe solcher Wege.
     In der Karte stehen knappe Informa-
tionen zu jeder Kirche, dazu auch die Öff-
nungszeiten oder Informationen, wo der
Schlüssel ausgeliehen werden kann. Das
Spektrum reicht von kleinen und schlich-
ten Kirchen bis hin zu solchen, die durch
leuchtende Glasfenster oder einen gold-
schimmernden Flügelaltar herausstechen,
darunter die Klosterkirche Haina, die
Stadtkirche Bad Wildungen mit dem be-
rühmten Altarbild des Conrad von Soest
und die Liebfrauenkirche in Frankenberg.
     Für besonders fleißige und ausdau-
ernde Wanderer gibt es auch noch den
Kirchenentdecker-Pass. Wer darin aus
mindestens 24 der abgebildeten Kirchen
einen Aufkleber sammelt, bekommt dafür
im evangelischen Dekanat in Frankenberg Ein Schmuckstück: Die Martinskirche in Edertal-Bergheim ist ein spätromanisch-frühgotischer
eine Überraschung. Ende Mai wird eine Bau (15. Jahrhundert) mit Deckengemälden und einem sehenswerten Altar. Unten Impressi-
zweite Karte erscheinen, mit Schwerpunkt onen der kostenlosen Wanderkarte „Himmlische Ansichten”
                auf Radtouren. ● 
                		            Olaf Dellit

               Die Karte ist kostenlos
               erhältlich in Tourismus-
                Büros rund um den Eder-
                see, in den Kirchen sowie
                 als Download unter
                 www.ekkw.de/service/
                  offenekirchen
                  Dekanat Frankenberg:
                   Tel. 06451 8779
                                                                                  blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021    17
GLOSSE

                                                                        Ein paar Schlenker
                                                                        sowie über Schnee,

                                                  E
                                                       s gab so einen mütterlichen Unterton. Der trat etwa zutage, wenn
                                                       die Kinder beim heimlichen Fernsehen ertappt worden waren. Kopf-
                                                       schütteln, viel angestrengter Ernst in der Stimme. „Ich muss mich doch
                                                  sehr wundern ...“, schalt die Mutter. Verflixt doppelbödig war das. Denn un-
                                                  ter diesem klang ein anderer Satz mit, und der lautete: Ihr berechenbaren
                                                  Bildsüchtigen, absolut kein Wunder ist es, dass ihr meine Abwesenheit für
                                                  Kleinkriminelles nutzt!

                                                      Waren wir nun ein Wunder oder doch keins? Unklar. Wir mussten je-
                                                  denfalls spitzfindiger werden! Elterliches und kindliches Wundern sind eh
                                                  oft zweierlei. Das knapp einjährige Töchterchen steht im Januar im Schlaf-
                                                  anzug am Fenster, die Familie schaut vorm Zubettbringen gemeinsam in
                                                  den Abendhimmel. Grund zu wundern haben plötzlich alle drei; Vater und
                                                  Mutter, dass just in dem Moment der erste Schnee des Jahres fällt, sie ju-
                                                  beln und zeigen und heben das Kind höher, damit es recht staunen möge
                                                  über seine ersten Schneeflocken. Das Kind nimmt das Rieseln nebenbei zur
                                                  Kenntnis und ist nur verblüfft über seine ausgerasteten Alten.

                                                      All das wiederum: kein Wunder! Im ersten Lebensjahr ist die Welt ein
                                                  einziger Neuerfahrungstopf, in den das kleine Wesen hineinpurzelt. Warum
                                                  sollte es da wegen winziger weißer Pünktchen ausflippen? Schließlich hat
                                                  es schon gleichmütig Katzen, Autos, Lieder, Schokolade, Regenwürmer und
                                                  Pfützen zur Kenntnis genommen, unbekannte Erfahrungen waren ja das
                                                  tägliche Brot fürs Hirn. Es staunen die Eltern über das nicht-staunende Kind.

                                                    So rauschen die Jahre zwischen Nicht-Staunen und Auf-die-große-Liebe-
                                                  Warten dahin, gleiten durch Coolness resp. Abgebrühtheit der späteren

18   blick in die kirche | MAGAZIN | April 2021
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