Ausgleich in der Ägäis? Die griechisch-türkischen Gespräche
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Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte 151 Online-Diskussion Ausgleich in der Ägäis? Die griechisch-türkischen Gespräche Kooperationsveranstaltung der Südosteuropa-Gesellschaft mit dem Länderbüro Hessen/ Rheinland-Pfalz der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, 15. April 2021 Bericht von Wladimir Dirksen, München Einleitung de, erste Treffen der Außenminister Griechen- Vor 200 Jahren begann der Kampf der Griechen lands und der Türkei seit Jahren. Die erste Frage um die Unabhängigkeit vom Osmanischen von Frau Nurtsch richtete sich an Michael Thu- Reich. Die Beziehungen zwischen den beiden mann, mit der Bitte um eine Skizzierung des Staaten sind seitdem regelmäßig Belastungs- Erdgaskonfliktes zwischen beiden Ländern. proben und Säbelrasseln ausgesetzt. Thumann wies darauf hin, dass der Konflikt zwi- Im Jahr 2020 standen Griechenland und die schen Griechenland und der Türkei nicht auf Türkei im Streit über maritime Hoheitsrechte Ressourcen und Bodenschätze reduziert werden am Rande einer kriegerischen Auseinanderset- kann, sondern dass es sich bei dem Konflikt der zung. Inzwischen hat sich die Lage an der Süd- beiden Länder um einen klassischen Territorial- ostflanke der NATO nicht zuletzt in Folge poli- konflikt handelt, der sich um Meeresgrenzen, tisch-diplomatischer Bemühungen Deutsch- Hoheitsgewässer und ausschließliche Wirt- lands beruhigt. Das am 15. April 2021 stattgefun- schaftszonen dreht. Hierbei ginge es nicht nur dene Treffen der Außenminister Athens und um Bodenschätze, sondern um ein grundsätz Ankaras war ein weiterer Schritt in Richtung liches Infragestellen der von der Wiener See- Entspannung. Von einem dauerhaften Ausgleich rechtskonvention von 1982 festgesetzten Grenz- sind die zerstrittenen Nachbarn aber weit ent- ziehung. Der 1982 verabschiedeten und 1994 in fernt. Kraft getretenen UN-Seerechtskonvention sei Griechenland damals – im Gegensatz zur Türkei Auf der Online-Veranstaltung diskutierten – beigetreten. Neben Griechenland seien die al- Michael Thumann, außenpolitischer Korrespon- lermeisten UN-Mitglieder der Seerechtskonven- dent der ZEIT, und Dr. Ronald Meinardus, Leiter tion beigetreten. Laut Thumann würde Grie- des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für chenland sich daher im aktuellen Grenzstreit die Freiheit in Istanbul unter Moderation von auf eben jene Konvention berufen, während die Dr. Ceyda Nurtsch von der Deutschen Welle dar- Türkei die Konvention im Gegensatz dazu nicht über, wie trotz der alten historischen Wunden gelten lassen wolle. Die Nichtanerkennung der und der neuentdeckten Erdgasfelder die Wogen Konvention sei in der Region des östlichen Mit- zwischen den beiden Mittelmeerstaaten geglät- telmeers eine Ausnahme und würde angesichts tet werden können. der Tatsache, dass die meisten UN-Mitglied- staaten die Konvention ratifiziert hätten, die Nach einigen kurzen Grußworten seitens der Türkei zu einem Sonderfall in dieser Frage ma- Friedrich-Naumann-Stiftung durch Patrick Walz chen. und seitens der Südosteuropa-Gesellschaft durch Geschäftsführer Dr. Hansjörg Brey starte- Ziel der Wiener Seerechtskonvention sei ge te die Diskussion mit einer Anmoderation von wesen, die Frage darüber, ob Inseln einen An- Frau Dr. Ceyda Nurtsch. Sie gab zu Beginn einen spruch auf einen Festlandsockel und der damit Überblick der neuesten Ereignisse in den Bezie- verbundenen ausschließlichen Wirtschaftszone hungen zwischen Griechenland und der Türkei haben, zu klären. Wie die Konvention damals und unterstrich die Aktualität und Brisanz des befunden habe, hätten auch Inseln ein Anrecht Themas durch das am gleichen Tag stattfinden- auf eine ausschließliche Wirtschaftszone und
152 Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte damit das Recht auf Ausbeutung der Boden- L inie“ für Griechenland. Meinardus erinnerte schätze in diesen Gebieten. Hierin liegt laut daran, dass der Konflikt sich daher nicht nur Thumann auch der argumentative Widerspruch wie ursprünglich auf die Ägäis beschränkt, son- zwischen Griechenland und der Türkei – näm- dern auch das östliche Mittelmeer und die lich die Frage, ob die strittige Seegrenze beider Zypern-Frage miteinschließt. Länder sich nach dem Festlandsockel der grie- chischen Inseln oder aber dem der türkischen Mögliche Lösungen des Konflikts Küste richten soll. Angesichts der territorialen Tragweite und der hohen Einsätze beider Länder fragte Nurtsch Im Hinblick auf diese Fragestellung wies Thu- nach möglichen Wegen zu einer Lösung des mann auf die sich nur wenige Kilometer vor der Konflikts, die über bloße Gespräche hinausgin- türkischen Küste befindende, kleine griechische ge. Durch die bereits im Vorfeld diametral ent- Insel Kastelorizo hin. Kastelorizo sei ein extre- gegengesetzten Auffassungen beider Länder da- mes Beispiel für die Gebietsansprüche, die rüber, was genau verhandelt werden solle oder nach der Seerechtskonvention Griechenland überhaupt verhandelbar sei, wäre es laut Thu- zufallen würden. Anhand dieses Beispiels ver- mann schwierig, mögliche Lösungswege für den deutlichte Thumann, dass es durchaus Unzu- Streit aufzuzeigen. Griechenland würde bei- länglichkeiten gäbe, die in einigen Fällen hin- spielsweise die Themen der Verhandlungen sichtlich der Anwendbarkeit der Seerechtskon- möglichst eng fassen wollen und sich vorzugs- vention bestünden. Die sich gegenseitig über- weise auf Verhandlungen über ausschließliche lappenden Ansprüche beider Länder hätten Wirtschaftszonen und den Status Zyperns be- durch die Positionierung von Bohr- und Kriegs- schränken wollen. schiffen in letzter Zeit zu einer Zuspitzung des Disputs geführt. Griechenland befände sich in Die Türkei würde im Gegensatz dazu die Ver- dieser Situation in weitgehender Übereinstim- handlungen an andere Fragestellungen koppeln mung mit anderen Anrainerstaaten des öst wollen. So bestünde Ankara beispielsweise dar- lichen Mittelmeers wie Ägypten, Israel und Zy- auf, dass die Verhandlungen auch auf einen pern, während die Türkei ihren einzigen Partner, möglichen Verzicht der Stationierung griechi- nämlich Libyen, nur durch ihre Intervention im schen Militärs auf den Inseln vor der türkischen libyschen Bürgerkrieg gefunden hätte. Küste ausgeweitet werden oder dass Nord-Zy- pern von Griechenland anerkannt werden soll. Meinardus pflichtete den Ausführungen Thu- Die Gespräche würden sich daher auch nach manns bei und wies darauf hin, dass zwar der Aussetzung der Verhandlungen von 2016 bis 15. April ganz im Zeichen der griechisch-türki- 2020 hauptsächlich darum drehen, worüber schen Beziehungen stünde, in den Tagen zuvor man eigentlich verhandeln will. Dazu gehöre hingegen sowohl in Griechenland als auch in auch die Frage, ob man den Internationalen Ge- der Türkei der außenpolitische Fokus auf Libyen richtshof zur Entscheidungsfindung anrufen gelegt worden sei. Die gesamte libysche Regie- solle. Hier zeige sich die Türkei aus Sorge darü- rung sei laut Meinardus erst vor wenigen Tagen ber, dass das internationale Seerecht als auf Staatsbesuch in Ankara gewesen. Der grie- Grundlage einer Entscheidung des Gerichts her- chische Ministerpräsident wiederum sei samt angezogen werden würde, äußerst widerwillig. Außenminister kurz vorher erstmalig seit Aus- bruch des Bürgerkriegs in Libyen zu Besuch Ceyda Nurtsch fragte Roland Meinardus danach, gewesen. Die Konzentration beider Länder auf was man über den Zypern-Konflikt wissen müs- Libyen würde daher rühren, dass die Türkei mit se, um mehr über den Seegrenzen-Konflikt in Libyen ein Memorandum of Understanding über der Ägäis zu verstehen. Der griechisch-türkische ihre gegenseitigen Territorialansprüche im öst- Konflikt umfasse drei klar differenzierbare Teil- lichen Mittelmeer abgeschlossen hat. Dieses bereiche, fasste Meinardus zusammen, nämlich Memorandum spreche laut Meinardus den bei- den Konflikt um Zypern, den um die Ägäis und den großen griechischen Inseln Kreta und Rho- einen Konflikt um Minderheitenfragen. Bei der dos jegliche Ansprüche auf einen Festland Minderheitenfrage gehe es um eine zahlenmä- sockel ab und überschreite damit eine „Rote ßig starke türkisch-muslimische Minderheit in
Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte 153 Nord-Griechenland einerseits und andererseits und autokratischen Tendenzen Erdoğans aus- um eine schwindende griechisch-orthodoxe drücke. Minderheit in Istanbul. Zypern sei laut Meinar- dus der eigentliche Kern des griechisch-türki- Die wechselnden Koalitionspartner des laut schen Konflikts. Deshalb könne es ohne eine Thumann politisch sehr opportunistischen tür- Klärung der Zypern-Frage keine dauerhafte Aus- kischen Präsidenten hätten sich insbesondere söhnung der beiden Länder geben. An der in- nach dem versuchten Militärputsch von 2016 ner-zyprischen Grenze stünden sich seit den von pro-europäischen und liberalen zu immer 1960er Jahren bewaffnete Truppen beider Län- nationalistischeren Koalitionspartnern entwi- der gegenüber. ckelt. Diese teilweise ethno-nationalistischen und pantürkistischen Parteien würden eine Lö- Probleme, die es auf Zypern gebe, würden ins- sung des Konflikts stark behindern, wenn nicht besondere von der Türkei als Hebel benutzt, um gar unmöglich machen. Zur Koalition Erdogans in anderen Bereichen Druck aufzubauen. So gibt gehöre die MHP, eine ethno-nationalistische es laut Meinardus jeweils Zusammenhänge zwi- und pantürkistische Partei, die Partei der soge- schen der Eskalation der Unterdrückung der nannten „Grauen Wölfe“. Gleichzeitig sei die AKP griechischen Minderheit in der Türkei oder dem mit linksnationalistischen und kemalistischen Konflikt in der Ägäis mit dem Zypern-Konflikt. Kräften im „Establishment“ und der Armee ver- Dies bedeute, dass die beiden Teilbereiche des bündet. Dieser nach innen gerichtete Nationa- Konflikts, welche die Ägäis oder die Minderhei- lismus würde von Erdogan auch nach außen ge- tenfrage betreffen, von der Türkei dafür benutzt tragen und sich gegen die Nachbarstaaten der würden, um in der Zypern-Frage Druck auszu- Türkei, insbesondere Griechenland, richten. üben. Aber auch in Griechenland seien es nationalis- tische Maximalpositionen, die es den Griechen In der Zypern-Frage dränge die griechisch-zypri- erschwerten, ihren europäischen Partnern die otische Seite auf eine Wiedervereinigung unter griechische Position verständlich zu machen. einem kommunalen Dach in Form einer Födera- tion, wohingegen die türkisch-zypriotische Seite Dies alles seien Gruppen, die dem über 15 Jahre eine Zwei-Staaten-Lösung fordere. Meinardus währenden diplomatischen Ausgleich zwischen argumentierte, dass, solange es keine Lösung beiden Ländern nach der sogenannten „Erd der Zypern-Frage gebe, auch keine Einigung bebendiplomatie“ sehr kritisch gegenüberstün- zwischen Griechenland und der Türkei gefunden den. Nach verheerenden Erdbeben in der Türkei werden könne. im August 1999 und danach in Athen im Sep- tember 1999 ließen sich beide Länder gegensei- Auswirkung der türkischen Innenpolitik tig großzügige Hilfen zukommen, woraufhin sich Nurtsch fragte daraufhin nach den innenpoliti- die diplomatischen Beziehungen für längere schen Entwicklungen in der Türkei, die zu der in Zeit deutlich verbesserten. Diese 15 Jahre diplo- den letzten Jahren immer aggressiveren türki- matischer Entspannung hätten gezeigt, dass es schen Außenpolitik geführt hätten. Thumann durchaus einen Lösungsweg für den Konflikt erklärte, dass auf beiden Seiten ein wachsender gebe, und daher würde Thumann den Begriff Nationalismus die Außenpolitik bestimmt. Je- der „Erbfeindschaft“ beider Länder klar ableh- doch sei es insbesondere die Türkei, deren na- nen. tionalistische Rhetorik sich zunehmend auf den Konflikt und somit gegen Griechenland richte. Moderatorin Nurtsch fragte angesichts der nati- Seit dem Wahljahr 2015, in dem die türkische onalistischen Tendenzen des Konflikts nach der Regierungspartei AKP die erste von zwei Wahlen Erinnerungsgeschichte beider Länder. Welche deutlich verlor, und dem darauffolgenden Jahr Auswirkungen haben die Erinnerung an die 2016, in dem es durch den gescheiterten griechische Unabhängigkeit vom Osmanischen Putschversuch gegen die Regierung Recep Reich im Jahr 1821 und an die Gründung der tür- Tayyip Erdoğans einen Schock in der Türkei kischen Republik im Jahr 1923 auf den Konflikt? gegeben habe, hätte Erdoğan eine Kehrtwende Sowohl Griechenland als auch die Türkei hätten hingelegt, die sich zunehmend in Nationalismus sich vor allem durch Kriege gegeneinander als
154 Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte Staaten konstituiert, resümierte Meinardus. tärs gewarnt und betont, dass die türkischen Dementsprechend seien griechische nationale Streitkräfte die Grundsätze der Verfassung, in Erfolge immer auch türkische nationale Nieder- der etwa die strenge Trennung von Kirche und lagen – und umgekehrt. Bezogen auf die Unab- Staat festgeschrieben ist, wahren müssen. Diese hängigkeit Griechenlands von den Osmanen im Entwicklung führe vor Augen, dass es auch in- Jahr 1821, deren 200. Jahrestag Anfang 2021 nerhalb der nationalistischen Bewegung in der noch groß in Griechenland gefeiert worden sei, Türkei Verwerfungen gebe. hätte man von der Türkei wenig Reaktionen da- rauf vernehmen können. Was wiederum die Hinsichtlich des griechisch-türkischen Konflikts Türken als ihren Sieg gegen griechische Invaso- wies Meinardus außerdem darauf hin, dass es in ren und das Erlangen ihrer Unabhängigkeit im der maritimen Aufrüstung der Türkei und Grie- Jahr 1923 feiern, gelte in Griechenland als „Ka- chenlands durchaus auch eine deutsche Dimen- tastrophe von Kleinasien“ und stelle ein natio- sion gebe. Demnach würde die deutsche Rüs- nales Trauma dar, da der griechische Traum ei- tungsindustrie sowohl die Türkei als auch Grie- nes trans-ägäischen Griechenlands damit für chenland zunehmend mit Militärschiffen ausstat- alle Zeiten gestorben sei. Diese Feindbilder sei- ten. Hierbei gebe es auch innerhalb Deutsch- en laut Meinardus eine Konstante und würden lands eine größer werdende Debatte darüber, von den Nationalisten beider Seiten bedient, wie man mit diesen Rüstungsexporten, insbe- wobei die Medien eine sehr gewichtige Rolle sondere mit den U-Boot-Exporten, umgehen sol- spielen würden. le. Die deutsche Rüstungsindustrie habe sich in der Vergangenheit darum bemüht, das militäri- Meinardus zeigte hiernach eine Karte der offizi- sche Gleichgewicht zwischen beiden Ländern ellen maritimen Militärdoktrin der Türkei, die aufrecht zu erhalten und an beide Länder zu ex- „Mavi Vatan“, also „blaues Vaterland“, heißt. Die portieren. Meinardus erklärte, dass es bisher den in der Doktrin beinhalteten Territorialansprüche Griechen gelungen sei, mithilfe ihrer auch aus schließen einen Großteil der griechischen In- deutscher Produktion stammenden U-Boot-Flot- seln an der türkischen Küste mit ein und seien te eine gewisse militärische Überlegenheit ihrer deshalb insbesondere für Athen völlig inakzep- Marine aufrecht zu erhalten. Dies sei der Grund tabel. Für die Griechen sei nämlich eine „geo- gewesen, warum nun die Debatte über geplante graphische Kontinuität zwischen dem kontinen- U-Boot-Lieferungen an die Türkei im deutschen talen und dem insularen Griechenland eine Fra- Bundestag wieder aufgeflammt sei. ge der Staatsräson“, erklärte Meinardus. Für die Griechen seien die Inseln keine bloßen Anhäng- Die Rolle der EU sel, sondern ganz elementare Bestandteile und Moderatorin Nurtsch fragte daraufhin ange- gewissermaßen das Zentrum des Landes. Daher sichts militärischer Abwägungen auch nach den kämen sie in Bezug auf die Frage nach einem diplomatischen Beziehungen zwischen den Eu- Festlandsockel der Inseln von ihren Maximal- ropäischen Staaten und der Türkei in diesem forderungen nicht ab. Konflikt. Deutschland sei in einer Vermittlerrolle tätig gewesen, wohingegen Frankreich die Posi- Thumann wies auf eine aktuelle Entwicklung tion Griechenlands eingenommen hätte. Die bezüglich der türkischen Militärdoktrin „blaues Frage, die sich nun stelle, sei, ob es eine kohä- Vaterland“ hin. Demnach habe man den natio- rente europäische Position zum Konflikt gebe nalistisch-kemalistischen Admiral namens Cem und was passieren müsste, damit es eine mög- Gürdeniz, welcher die Ideologie des „Mavi Va- lichst einstimmige und nachhaltige europäische tan“ vor etwa zehn Jahren erdacht habe, mitt- Außenpolitik in dieser Frage gibt. lerweile in der Türkei verhaftet. Gürdeniz gehör- te zu einer Gruppe von 103 Generälen, die ein- Die unterschiedlichen Haltungen Deutschlands dringlich vor einem Bruch der Konvention von und Frankreichs beschrieb Thumann als eine Montreux, welche die Durchfahrtsrechte durch „Good cop, bad cop“-Strategie gegenüber der die Dardanellen und den Bosporus regelt, ge- Türkei. Allerdings würden die Ansätze beider warnt haben. Außerdem hätten die Generäle in Länder zunehmend auseinanderklaffen, da ihrem Aufruf vor einer Islamisierung des Mili- Frankreich ganz klar auf eine Eindämmungsstra-
Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte 155 tegie setze, wohingegen Deutschland einen Dia- erhöhen könnten, um eine Lösung des Konflikts log bevorzuge. Das Festhalten Deutschlands an vor einem internationalen Gericht zu finden. seiner Vermittlerrolle und die damit verbundene Thumann stellte hierzu klar, dass beide Seiten Dialogbereitschaft gegenüber einer immer eska- einem solchen Schlichtungsversuch durch eine lationsfreudigeren Türkei stießen demnach in dritte Partei erst zustimmen müssten. Dies Griechenland auf großen Unmut. Insbesondere könnte unter großem Druck zwar passieren, wä- wegen der Identifikation als Vermittler einerseits re besonders im Hinblick auf die Türkei aber und der zeitgleichen deutschen U-Boot-Lieferun- unwahrscheinlich. Meinardus stimmte zu und gen an die Türkei andererseits würde die deut- unterstrich, dass die Bundesregierung in hohem sche Position derzeit in Griechenland auf große Maße zur momentanen Entspannung beigetra- Kritik stoßen. In Berlin würde jedoch, so Thu- gen hat. Die moderierende und konfliktvermei- mann, nicht nur die Rolle der Türkei gegenüber dende Rolle Deutschlands habe in diesem Kon- Griechenland, sondern auch ihre Rolle im Syrien- flikt großen Erfolg gehabt. konflikt, im Konflikt mit Russland oder auch im Hinblick auf den Flüchtlingspakt in die Strategie- Nurtsch griff an dieser Stelle die Frage aus dem findung miteingeschlossen. Es sei Berlin wichtig Publikum auf, welche Rolle Israel in diesem Kon- zu verhindern, dass durch eine Positionierung flikt spielen würde. Der griechische Außenminis- Deutschlands aufseiten Griechenlands und ter Dendias würde nach seinem Treffen mit tür- Frankreichs die Türkei gewillt sein könnte, eine kischen Vertretern in Ankara weiter nach Zypern Koalition mit Russland einzugehen. Diese Sorge fliegen, um sich dort mit Vertretern Zyperns, der hinge mit dem Konflikt im Donbass, im Osten der Vereinigten Arabischen Emirate und Israels zu Ukraine, zusammen. Dort habe die Ukraine gera- treffen und über die Lage im östlichen Mittel- de in der Türkei einen Rüstungslieferanten und meer zu sprechen. Laut Meinardus gibt es eine strategischen Partner als Anrainerstaat des sehr intensive Zusammenarbeit Israels mit Grie- Schwarzen Meeres, der sich hemmend auf die chenland und Zypern. Israel habe zwar ebenso russischen Einkreisungsversuche der Ukraine wie die Türkei das Seerechtsabkommen nicht ra- auswirken könne. tifiziert, jedoch habe das Land auf Basis des in- ternationalen Seerechts eine Abgrenzung der Fragen aus dem Publikum gegenseitigen ausschließlichen Wirtschaftszo- Zum Ende der Diskussion brachte Moderatorin nen mit der Republik Zypern erreicht. Israel sei Nurtsch auch Publikumsfragen mit ein. Aus dem nach dem Fund riesiger Erdgasvorkommen in Publikum wurde die Frage aufgeworfen, ob seinen Gewässern zu einem wichtigen Spieler im Griechenland und die Türkei sich nicht auf eine östlichen Mittelmeer aufgestiegen und sehr an gemeinsame Ausbeutung von Erdgasvorkom- einem geregelten Abtransport seines Erdgases men im Mittelmeer einigen könnten – gerade über zyprisches Hoheitsgebiet auf den europäi- im Hinblick darauf, dass Erdgas in Zukunft oh- schen Markt interessiert. nehin weniger Nachfrage finden würde. Die ver- nünftige Lösung des Konflikts wäre laut Meinar- Thumann ergänzte die Ausführungen mit dem dus eindeutig ein Übereinkommen beider Län- Hinweis, dass Israel sich erst im März 2021 mit der sowohl in der Ausbeutung fossiler Brenn- Griechenland und Zypern darauf geeinigt habe, stoffe als auch im Hinblick auf eine politische eine Stromtrasse von Israel über Zypern und Kooperation in Zypern und der Ägäis. Es habe in Griechenland nach Europa zu verlegen. Ein tie- der Vergangenheit schon mehrere Eskalationen fer Eingriff in die Statusfragen zwischen Grie- in den Beziehungen der beiden Staaten gege- chenland und der Türkei sei auch der von der ben, auf welche immer eine Phase der Entspan- Türkei geplante Bau eines zweiten Bosporuska- nung und Verständigung gefolgt wäre. Jedoch nals. Insbesondere auch deswegen, weil die sei die Lage im Augenblick aufgrund der immer Konvention von Montreux, welche die Passage nationalistischeren Rhetorik in beiden Ländern durch Meerengen regelt, nur für den bestehen- dermaßen festgefahren, dass eine Konsensfin- den Bosporuskanal gelte. Diese Konvention en- dung in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. ge die Türkei laut Thumann in gewisser Weise Eine weitere Stimme aus dem Publikum schlug ein, weil ihr nicht das Recht zustehe, beispiels- vor, dass die EU und auch die NATO den Druck weise russische Kriegsschiffe daran zu hindern,
156 Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte den Bosporuskanal dafür zu nutzen, um in den tik als nicht prinzipientreu und kritisierte, dass syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Deutschland sich leider nicht immer an das, was es predige, auch halten würde. In dieser Hinsicht würde die Vollendung eines zweiten Bosporuskanals nicht nur die patrona- Nurtsch bat Thumann zum Ende der Diskussion len Netzwerke Erdoğans bereichern und seine um seine Vorstellung darüber, wie man eine ge- Macht ausbauen, sondern der Türkei auch das meinsame europäische Außenpolitik gestalten Recht geben, frei zu entscheiden, wer diesen könnte. Hierauf antwortete Thumann, dass es zweiten Kanal passieren darf oder auch nicht. nötig wäre, die divergenten Positionen Berlins Diese Machtstellung könnte die Türkei, so ein und Paris‘ zusammenzubringen. Eine gemeinsa- Gedankenexperiment Thumanns, dann dazu me europäische Außenpolitik müsse auch Grie- nutzen, um ausgewählten Schiffen die Passage chenland klarmachen, dass die EU einerseits durch den bestehenden Bosporuskanal aus bei- absolut solidarisch mit ihrer Position sei. Dass spielsweise ökologischen Gründen zu verweh- aber andererseits, gerade im Hinblick auf Bei- ren. Die Schiffe wären dann gezwungen, sich um spiele wie die kleine Insel Kastelorizo, diese So- eine Passage durch den zweiten Kanal zu be- lidarität durch das griechische Festhalten an mühen und wären damit einer von den Be- unrealistischen Maximalforderungen nicht schränkungen der Konvention von Montreux überstrapaziert werden dürfe. befreiten Willkür Ankaras ausgesetzt. Die letzte Frage richtete Nurtsch an Meinardus, Dieses türkische Bemühen um den zweiten Ka- der bereits sowohl in Griechenland als auch in nal bezeichnete Meinardus als eine zutiefst re- der Türkei wohnhaft gewesen ist. Angesichts visionistische Logik, die das geltende Seerecht der Tatsache, dass Griechenland immer noch infrage stelle. Nach der Logik nicht weniger das beliebteste Urlaubsland der Türken sei, Amtsträger innerhalb der Türkei werde gelten- wollte Nurtsch wissen, ob die Antipathie zwi- des Recht, das unvorteilhaft erscheint, einfach schen Türken und Griechen auch in der Gesell- nicht befolgt. Dies zeige sich beispielsweise in schaft bestünde oder vielmehr ein medial auf- der Verweigerung zum Beitritt zur Seerechts- geblasenes, politisch motiviertes Phänomen konvention, dem öffentlichen Infragestellen des wäre. Lausanner Vertrags, dem Austritt aus der Istan- bul-Konvention über Frauenrechte oder auch in Letzteres bejahte Meinardus entschieden und der Weigerung, das Pariser Klimaabkommen zu ging sogar noch weiter, indem er erklärte, dass ratifizieren. Dahingehend sei es ein großer Er- die Nachrichten aus den Zeitungen die Realität folg Griechenlands, seine bilateralen Streitig- nicht getreu widerspiegeln würden. Beide Sei- keiten mit der Türkei zu europäisieren und zu ten, die bereits seit vielen Jahren verhandeln, internationalisieren. So habe auf dem letzten hätten sich laut Meinardus in Detailfragen EU-Gipfel der Streit im östlichen Mittelmeer schon längst auf einen Großteil der infrage ste- ganz oben auf der Agenda gestanden. Die Au- henden Kompromisse geeinigt. Daher würden ßenpolitik der EU gegenüber der Türkei wird es nur noch wenige offene Fragen sein, die ei- laut Meinardus heute wesentlich von dem Ver- ner Gesamtlösung des Konflikts im Wege stün- halten der Türkei im östlichen Mittelmeer be- den. Eine Einigung beider Länder scheitere nur stimmt. Drohgebärden oder Rechtsbrüche An- noch am politischen Willen der Regierungen, karas im östlichen Mittelmeer würden heute di- die ihrer Wählerschaft noch nicht beibringen rekte Auswirkungen auf die europäische Außen- könnten oder wollten, dass sie einen Kompro- politik haben. miss gefunden haben. Dies gelte genauso für Zypern – die zyprischen Unterhändler hätten Die Frage aus dem Publikum, ob es denn nicht 2017 in Genf zum Zeitpunkt des Abbruchs der ein Widerspruch sei, dass Deutschland einer- Verhandlungen nur noch rund ein Prozent der seits die Vermittlerrolle in dem Konflikt einge- Territorialfragen nicht geklärt gehabt. Insgesamt nommen habe, aber andererseits gleichzeitig sei man also in den Verhandlungen mittlerweile Rüstungsgüter in die Türkei liefere, bejahte Mei- sehr weit gekommen, jedoch sei das Klima der- nardus entschieden. Er bezeichnete diese Poli- zeit von der nationalistischen Rhetorik beider
Südosteuropa Mitteilungen | 02 – 03 | 2021 Berichte 157 Seiten überschattet, sodass es momentan zu Vision zu schaffen. Die Erfahrung habe gezeigt, keiner Lösung kommen könne. dass die Beziehungen beider Länder am besten gewesen seien, als es noch eine realistische Als möglichen Lösungsweg zeigte Meinardus Perspektive für eine Aufnahme der Türkei in die auf, dass es bereits Erfahrungswerte in der Lö- Europäische Union gegeben habe. In dieser Zeit sung des Konflikts gibt, an die man sich halten sei Ankara zu weitreichenden Konzessionen be- solle. Diese beinhalteten vor allem Fortschritte reit gewesen und auch Griechenland sei gewillt in der Kommunikation beider Länder sowohl gewesen, die Beziehungen zu seinem Nachbarn miteinander als auch mit ihrer jeweiligen Be- zu intensivieren. Daher sollte eine gemeinsame völkerung. Es gelte, Kontakte zu intensivieren, Vision eine europäische Vision sein. Derzeit sei die Kommunikation zu erleichtern und den Aus- die Vision einer türkischen EU-Mitgliedschaft tausch zu fördern. Die öffentliche Meinung in jedoch mittelfristig höchst unrealistisch. Viele den Ländern müsse durch gezielte Kommunika- EU-Staaten seien der Meinung, dass die Türkei tion positiv beeinflusst werden, um Feindbilder nicht „Europa-fähig“ sei. Diese Einschätzung kri- abzuschaffen und vertrauensbildende Maßnah- tisierte Meinardus als inakzeptabel und illiberal. men einzuleiten. Insofern sei das derzeit statt- Wenn sich also langfristig die Beziehungen zwi- findende Treffen zwischen den beiden Außen- schen den Ländern verbessern sollten und eine ministern ein gutes Signal. Meinardus sprach gemeinsame europäische Vision beider Länder sich außerdem für ein Moratorium sowohl für wieder auf dem Tisch ist, sieht Meinardus ganz das östliche Mittelmeer als auch für die Ägäis klar die Chance auf eine spannungsfreie und aus, bis eine Lösung gefunden sei. nachhaltig friedliche Einigung im östlichen Mit- telmeer. Als entscheidenden Punkt äußerte Meinardus zum Schluss den Vorschlag, eine gemeinsame
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