Bakterien sind Charaktersache - Agroscope

 
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Bakterien sind Charaktersache - Agroscope
PRODUKTION & QUALITÄT • PRODUCTION & QUALITÉ

Bakterien sind Charaktersache
                                                     Die Bakterienkulturen aus Liebefeld sind die DNA des Schweizer Käses.
                                                     Agroscope hütet den Schatz und entwickelt neue Kulturen. Manchmal
                                                     schieben die Experten sogar einen Käselaib in den Computertomografen.

STEPHAN MOSER. Damit aus Milch Käse wird,
braucht es Bakterien. Und die kommen für den
Schweizer Käse heute zu einem grossen Teil aus
Liebefeld bei Bern. Seit über 100 Jahren produ-
ziert dort die bundeseigene Forschungsanstalt
Agroscope Starterkulturen für Käse, Joghurt
oder Butter und tüftelt an neuen Kulturen. Die
Bakterienexperten hüten dabei einen einzigarti-
gen Schatz, um den das Ausland die Schweizer
Käser beneidet: Eine Sammlung von über 12 000
isolierten Bakterienstämmen aus Schweizer
Käsereien, deren genetische Vielfalt äusserst
wertvoll ist (siehe Kasten). Im Rahmen des Neu-
jahrsanlasses der Schweizer Agrar-Journalisten
liess Agroscope am 23. Januar rund 30 Journalis-
tinnen und Journalisten hinter die sonst ver-
schlossenen Labortüren blicken.

Gewerbliche Käsereien als Kunden

                                                                                                                                                             Stephan Moser
«Die Bakterien prägen den Charakter eines
Käses», erklärt Christoph Kohn. Er leitet die Kul-
turenproduktion in Liebefeld. «Der Hauptjob          Helena Stoffers zeigt den Reifekeller der Liebefelder Versuchskäserei.
der Bakterien ist es, Laktose in Milchsäure zu
verwandeln.» Das macht den Käse haltbar.
Zudem bauen die Bakterien Eiweisse ab, dabei         entstehen im Käse die Aromen. Die Bakterien              drei grossen Konzernen dominiert, die nur eine
                                                     beeinflussen aber auch die Textur und die                Handvoll Kulturen verkauften – weltweit die
                                                     Lochung eines Käses. Rund 600 gewerbliche                gleichen. Bei Liebefeld hingegen können die
 Bakterien im Dornröschenschlaf                      Käsereien beliefert Agroscope mit Starterkultu-          Käsereien aus 40 Starterkulturen auswählen. Die
 Die Stammsammlung von Liebefeld umfasst             ren. «Im Sommer kommen noch die Alpkäse-                 meisten davon sind Rohmischkulturen, die aus
 über 12000 isolierte Bakterienstämme. Einige        reien hinzu.» In 90 Prozent der handwerklich             mehreren Dutzend historischen Bakterienstäm-
 Stämme sind gegen 100 Jahre alt. Der grösste
                                                     hergestellten Schweizer Käse steckten Kulturen           men bestehen können. Diese Biodiversität sei
 Teil wurde in den 1970er- und 80er-Jahren in
                                                     von Liebefeld drin und in 90 Prozent der expor-          weltweit einzigartig, betont Kohn.
 Schweizer Käsereien gesammelt, getestet und
 konserviert. Früher arbeiteten die Käser mit        tierten Käse, sagt Kohn stolz. Verwendet werden               Sein zehnköpfiges Team produziert jede
 Molkekulturen, jeder Betrieb hatte seine            die Kulturen hauptsächlich für Hart- und Halb-           Woche auf Bestellung frische Starterkulturen.
 eigene Flora. Die Sammlung bildet diese breite      hartkäse, darunter auch sämtliche AOP-Käse.              In kleinen Bioreaktoren sterilisieren die Mitar-
 geneische Vielfalt der Molkekulturen (Fettsir-           Agroscope verkauft nur an Schweizer Käse-           beiter zuerst die Nährlösung, eine Mischung
 ten) ab. Das macht ihren Wert aus. Die Bakteri-     reien. Und die Käufer dürfen die Kulturen nicht          aus Magermilch und Wasser. Dann impfen sie
 enstämme werden als gefriergetrocknetes             weitergeben, andernfalls drohen ihnen empfind-           die Lösung mit der gewünschten Kultur und
 Pulver in kleinen Glasampullen aufbewahrt.          liche Strafen. Diese Vorsichtsmassnahme hat              bebrüten sie im Reaktor. Die fertige Kultur wird
 Damit die Kulturen nicht absterben, werden sie      einen guten Grund. «Neben der guten Rohmilch             in kleine Glasfläschchen abgefüllt und so ver-
 im Schnitt alle zehn Jahre aktiviert und eine       und dem Know-how der Käser sind unsere Kul-              schickt. 20 Franken kostet das 80-Milliliter-
 neue Probe konserviert. Sie hätten aber auch
                                                     turen ein wichtiges Differenzierungsmerkmal              Fläschchen. Jeder Käser stellt daraus seine
 schon bis 40-jährige Kulturen wieder aktivie-
                                                     für den Schweizer Käse», erläutert Kohn. Der             eigene Betriebskultur her. «Mit einem Fläsch-
 ren können, sagt Christoph Kohn. mos
                                                     Weltmarkt für Käsekulturen werde von zwei,               chen lassen sich bis zu zwei Tonnen Käse pro-

                                                                                                              alimenta 03 | 2019                          21
Bakterien sind Charaktersache - Agroscope
PRODUKTION & QUALITÄT • PRODUCTION & QUALITÉ

duzieren», sagt Kohn. 90 000 Fläschen mit                                                                          Eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozess
Flüssigkulturen verkauft Agroscope jährlich,                                                                       spielt die institutseigene Versuchskäserei, für
hinzu kommen 115 000 gefriergetrocknete Kul-                                                                       die Helena Stoffers zuständig ist. Was im Labor
turen in Sachets, die bis zu zwei Jahre haltbar                                                                    entwickelt wurde, wird hier einem Praxistest
sind. Frischkulturen müssen innerhalb von                                                                          unterzogen. «Letztes Jahr haben wir 35 Versu-
zwei Wochen verbraucht werden.                                                                                     che mit Käse gemacht», sagt Stoffers. Jeweils am
                                                                                                                   Dienstag wird gekäst, am Donnerstag wird der
Bakterien gegen Fälschungen                                                                                        Versuch wiederholt. Die acht 120-Liter-
Grundlage für die Kulturenproduktion ist die                                                                       Käsekessel erlauben es, parallel verschiedene
Liebefelder Stammsammlung. «Eine Schatz-                                                                           Varianten zu produzieren. Da die Versuchs-
kammer», schwärmt Ueli von Ah, Leiter des For-                                                                     laibe kleiner und leichter sind als die Originale,
schungsprogramms Biotechnologie bei Agro-                                                                          pressen die Käser die Laibe in beheizbaren
scope in Liebefeld. Sein Team entwickelt aus den                                                                   Pressschränken. So könnten ähnliche Bedin-
über 12 000 Stämmen neue Kulturen. Eine                                                                            gungen erreicht werden wie bei den grossen
«echte Challenge» sei das, unter so vielen Bakte-                                                                  Laiben, erklärt Stoffers.
rien jene zu finden, die die gewünschten Eigen-

                                                                                                   Stephan Moser
schaften hätten, erklärt von Ah. Agroscope hat                                                                     Ab in die Röhre
etwa im Auftrag der Sortenorganisationen spe-                                                                      Danach wandern die Käse in den eigenen Rei-
zielle Säuerungskulturen für verschiedene AOP-      Forscht an neuen Kulturen: Ueli von Ah.                        fekeller mit verschiedenen Kühlzellen. Leichter
Käse wie Gruyère, Walliser Raclette oder Vache-                                                                    Ammoniakgeruch liegt in der Luft, als Stoffers
rin Fribourgeois entwickelt. Diese sollen die                                                                      die Journalistinnen und Journalisten durch den
Käse unverwechselbar machen, damit sie sich         sogenannten Markerbakterien haben keinen                       Keller führt. Auf den Regalen liegen unter
von anderen Produkten abheben können.               Einfluss auf die Eigenschaften des Käses, sie                  anderem Tête de Moine, Gruyère oder Sbrinz.
      Auch beim Kampf gegen Fälschungen             erlauben es aber, die Echtheit des Käses zu prü-               Die Mitarbeiter kontrollieren die Käse regel-
kommen Milchsäurebakterien aus Liebefeld            fen, auch bei Reibkäse oder Scheibletten. Seit                 mässig – und greifen dabei auch zu überra-
zum Einsatz. Agroscope hat Herkunftsnach-           2011 werden diese Herkunftsnachweiskulturen                    schenden Methoden. «Das hier ist unser Rönt-
weiskulturen entwickelt, die bei der Produktion     für Emmentaler AOP verwendet, 2013 folgte                      gengerät», sagt Helena Stoffers und öffnet eine
von AOP-Käsen hinzugefügt werden. Diese             der Tête de Moine und der Appenzeller 2015.                    Tür zu einem Nebenraum. Geröntgt werden die
                                                    Andere Sortenorganisationen haben nachgezo-                    Laibe, um Aufschluss über die Lochung zu
                                                    gen. «Die Methode garantiert eine Rückver-                     erhalten. Noch präziser geht das freilich im
 Neue Besitzerin, neuer Standort                    folgbarkeit bis in die Käserei», erklärt von Ah.               Computertomograf. «Dort sieht man die
 Seit dem 1. Januar 2019 ist die Schweizer Milch-   «Die Sortenorganisation muss aber auch dahin-                  genaue Lochverteilung und kann die Loch­
 und Käsebranche offiziell Mitbesitzerin der        terstehen und Kontrollen machen.» Die Nach-                    volumen berechnen», sagt Stoffers. Agroscope
 Käsekulturen von Liebefeld. Zudem sind Bund        weiskulturen hätten auch eine abschreckende                    verfügt selbst über kein solch teures Hightech-
 und Branche eine Public-Private-Partnership        Wirkung.                                                       Gerät. Die Forscher dürfen aber den Tomo­
 eingegangen, um die Produktion der Kulturen zu          Die Starterkulturen aus Liebefeld kommen                  grafen des Bundesamtes für Gesundheit benut-
 sichern (siehe alimenta 23/2018). Konkret heisst   übrigens auch bei der Fleischproduktion zum                    zen, der gleich nebenan auf dem selben Campus
 das: Wie bisher pflegt Agroscope die Stamm-        Einsatz, etwa beim Salami, verrät von Ah. Dort                 in Liebefeld steht.
 sammlung und reproduziert die Kulturen, neu        helfen die Bakterien bei der Umrötung, sie                          Die Computertomografie half den Agro-
 aber im Auftrag der Milchbranche, die dafür die
                                                    machen also «schönes rotes Fleisch».                           scope-Forschern auch, dem Rätsel des Loch-
 Liebefeld Kulturen AG gegründet hat. Das
                                                                                                                   schwunds auf die Spur zu kommen, mit dem
 Kooperationsmodell von Bund und Branche
                                                    Fast jede Woche wird gekäst                                    einige Käser zu kämpfen hatten. Der Grund
 sehen Christoph Kohn und Ueli von Ah positiv,
 wie sie auf dem Rundgang durch Agroscope           Das Know-how der Agroscope-Experten ist                        für die fehlenden Löcher: Die Milch war zu
 erklärten. So könne das Know-how gesichert         nicht nur bei den Sortenorganisationen gefragt.                sauber, es fehlten die mikroskopisch kleinen
 und die Kulturen vor dem «Ausverkauf» bewahrt      Über die Käsereiberater des Instituts fliessen                 Heupartikel, die für die Lochbildung nötig
 werden. Die AG werde wohl Mitte Jahr operativ      viele Probleme und Fragen aus der Praxis der                   sind. «Zehn Jahre Forschung steckten in der
 sein, sagte Kohn. Seine Arbeit werde sich          gewerblichen Käsereien nach Liebefeld. Und                     Suche nach der Ursache der fehlenden
 dadurch nicht ändern. Eine Herausforderung         Agroscope forscht auch im Auftrag des Bundes.                  Löcher», sagt Stoffers. «Die Lochbildung ver-
 sei jedoch die Zentralisierung von Agroscope.      Aktuell wird etwa untersucht, wie weit sich der                steht man aber immer noch nicht zu 100 Pro-
 Der Standort Liebefeld wird aufgegeben, vor-       Zuckergehalt in Joghurts verringern lässt, ohne                zent.» Die Forschung führte zu diversen wis-
 aussichtlich 2023 wird die Kulturenproduktion      dass der Konsument es merkt. Das Projekt soll                  senschaftlichen Publikationen – und zu einer
 ins freiburgische Posieux gezügelt. «Eine Rie-
                                                    die Industrie bei der Umsetzung der Zuckerre-                  konkreten Lösung für die Käser: Geben sie der
 senübung», so Kohn, schliesslich müsse man ja
                                                    duktionsziele unterstützen. Bis eine Lösung                    Milch Heublumenpulver bei, klappts auch
 trotz des Umzuges laufend neue Kulturen für die
 Käsereien produzieren. mos                         gefunden oder eine neue Kultur entwickelt ist,                 wieder mit den Löchern.
                                                    vergehen oft Jahre.                                                              stephan.moser@rubmedia.ch

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Bakterien sind Charaktersache - Agroscope
PRODUKTION & QUALITÄT • PRODUCTION & QUALITÉ

Les bactéries? Une question de caractère!                                                                                  directeur du programme de recherche Biotech-
                                                                                                                           nologie chez Agroscope. Le défi consiste à trou-
                                                                                                                           ver parmi une myriade de bactéries celles à
Les cultures de bactéries de Liebefeld sont l’ADN du fromage suisse.                                                       même de démarquer un fromage des autres.
                                                                                                                           Ainsi, le centre a développé des cultures d’aci-
Agroscope garde ce trésor et développe de nouvelles cultures. Parfois,
                                                                                                                           dification exclusives pour des AOP comme le
les experts poussent même une meule dans un tomographe.                                                                    Gruyère ou le Vacherin Fribourgeois.
                                                                                                                                 Les bactéries lactiques servent aussi à lut-
                                                                                                                           ter contre la contrefaçon. Agroscope a mis au
STEPHAN MOSER. Pour que le lait se trans-                                                                                  point des cultures traceuses permettant de cer-
forme en fromage, il faut des bactéries. Celles                                                                            tifier l’authenticité d’un fromage sans en
du fromage suisse proviennent en majorité de                                                                               influencer les caractéristiques. Elles sont utili-
Liebefeld. Depuis plus d’un siècle, Agroscope,                                                                             sées pour l’Emmental, la Tête de Moine et l’Ap-
le centre de compétences de la Confédération                                                                               penzell, d’autres interprofessions leur ayant
pour la recherche agricole, y produit des fer-                                                                             emboîté le pas.
ments lactiques, développe de nouvelles                                                                                          Sous la houlette d’Helena Stoffers, la fro-
cultures et veille sur plus de 12 000 souches bac-                                                                         magerie expérimentale d’Agroscope produit du
tériennes de fromageries suisses, véritable tré-                                                                           fromage pour tester tout ce qui a été développé
sor de diversité génétique. Le 23 janvier, le labo-                                                                        en laboratoire, et ce, chaque semaine.

                                                                                                           Stephan Moser
ratoire a ouvert ses portes à une trentaine de                                                                                   Les meules sont ensuite acheminées dans
journalistes agricoles.                                                                                                    la cave du centre où les collaborateurs les
      «Les bactéries déterminent le caractère         Les ferments lactiques sont envoyés dans de petits                   contrôlent régulièrement et les radiographient
d’un fromage», explique Christoph Kohn, chef          flacons.                                                             pour obtenir des indications sur les trous. Le
de production des cultures à Liebefeld. Elles ont                                                                          recours au tomographe de l’Office fédéral de la
une influence sur ses arômes, sa texture et ses                                                                            santé publique permet d’en visualiser la répar-
trous et assurent sa conservation. Agroscope          issus pour la plupart de souches historiques»,                       tition exacte et d’en calculer le volume, pour des
vend ses ferments lactiques à des fromageries         souligne Kohn. Chaque semaine, Agroscope                             résultats plus précis.
artisanales et uniquement suisses, qui n’ont pas      élabore sur commande des cultures fraîches                                 Grâce à la tomographie, Agroscope a pu
le droit de les transmettre sous peine de lourdes     vendues dans des flacons, chacun permettant                          résoudre l’énigme de la disparition des trous à
sanctions, de quoi préserver une biodiversité         de produire jusqu’à deux tonnes de fromage. La                       laquelle certains fromagers étaient confrontés:
unique au monde et contribuer à différencier          banque de souches bactériennes de Liebefeld                          leur lait était trop propre, sans microparticules de
les fromages helvètes. «Liebefeld permet à nos        est la base de la production des cultures. «C’est                    foin nécessaires à la formation des petits orifices.
fromagers de puiser dans 40 ferments lactiques,       une chambre forte», s’extasie Ueli von Ah,                                              stephan.moser@rubmedia.ch

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Bakterien sind Charaktersache - Agroscope
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