Die Alp und das Gift - Der Malser Weg

Die Seite wird erstellt Max Büttner
 
WEITER LESEN
Die Alp und das Gift - Der Malser Weg
Die Alp
                        und das Gift
                         PESTIZIDE. Saubere Luft, heile Bergwelt – das war einmal.
                       Rund 30 verschiedene Unkrautvertilger vergiften die Alpweiden.

                                             TEXT UND FOTOS: PETER JAEGGI

                                                                                            Auf der Suche nach
                                                                                          «Problempflanzen»:
                                                                                                Agrartechniker
                                                                                            Franz Josef Steiner
                                                                                        auf der Alp Hummel SZ

26 Beobachter 2/2021                                                                      Beobachter 2/2021   27
Die Alp und das Gift - Der Malser Weg
A
              lles ist ruhig hier oben in der
              Schwyzer Alpenwelt. Viele
              Tiere halten ihren Winter-
              schlaf. Roger Bisig kniet
              neben dem Wanderweg auf
der Alp Tries im Grossen Runs und zeigt
auf geknickten bräunlichen Farn. «Wie
kann man nur?», fragt der Bio-Landwirt
und Präsident von Pro Natura Schwyz.
Totgespritzt, vermutlich mit dem in
der EU verbotenen Herbizid Asulam.
«Halme von Farnen sind Futterquellen
und Überwinterungsquartiere für Wild-
bienen und andere Insekten», sagt Bisig.
Sofern sie nicht vergiftet sind.
   Der andere Begleiter auf dieser
Schwyzer Alpwanderung Ende Novem-
ber ist der Agrartechniker Franz Josef
Steiner. Am Forschungsinstitut für bio-
logischen Landbau (Fibl) lehrt er, wie
man Alpen auch ohne Herbizide bewirt-
schaften kann. Er zeigt auf die Stein-
haufen. «Gipfel der Absurdität» seien
sie. Fast alles Lebendige auf ihnen wur-
de mit dem Gift weggespritzt. Dabei
seien Steinhaufen wichtige Lebens-                                                                                                                                         Totgespritzter Farn:        Gleich neben den Kühen:
und Nahrungsräume für Kleinsäuger,                                                                                                                                Pro-Natura-Präsident Roger           Herbizidbesprühte
Amphibien, Insekten und Vögel.                                                                                                                                   Bisig zeigt Herbizidfolgen auf        Blacken auf Unterstafel
                                                                                                                                                                               der Alp Tries SZ.       Glattalp GL
Bund löst Boom aus. Die wirtschaftliche
Lage vieler Älplerinnen und Älpler ist
prekär. Es sei für sie unmöglich, uner-         St. Gallen, Uri und Wallis heisst es uni-      droht eine Kürzung der Direktzahlun-                        Verunkrautung Einhalt geboten wird.        der Herbizidalp widerspiegeln sich die      die für Tiere giftigen Pflanzen mit sol-
wünschte Flora von Hand zu bekämp-              sono: «Wir wissen es nicht.» Kein Gesetz       gen. Ein Fehler, sagt die Ingenieur-­                       Dabei werden wir auf den neuesten          typischen Krankheiten der Zeit.» Allen      chen Herbiziden behandelt und sie
fen, argumentieren viele, ohne Herbi­           verlange dies. Es werde aber nur «we-          Agronomin Marianne Bodenmann: «Die                          Stand der Technik und den korrekten        voran eine überhitzte Ökonomie. Alles       nachher aus Unkenntnis oft liegen lässt,
zide gehe es nicht. 2014 griff der Bund         nig» gespritzt. Nur, warum sind sich die       Alpkontrollen sind einseitig auf Prob-                      Einsatz von bewilligten Mitteln setzen,    werde immer noch grösser, aufgeblase-       ist verantwortungslos», sagt Boden-
ein und bezahlt seither deutlich höhere         kantonalen Landwirtschaftsämter da             lemunkräuter fixiert und die damit                          dies ist für uns selbstverständlich.» Die  ner, damit es überhaupt noch rentiere.      mann. «Denn Vieh und Wildtiere erken-
Sömmerungsbeiträge. «Man war sich               so sicher, wo es doch weder Aufzeich-          ­verbundenen Direktzahlungen.»                              OAK werde neu aber kein Glyphosat                                                      nen sie nicht mehr als Giftpflanzen –
einig, dass die Sömmerung ohne grös-            nungen noch Kontrollen gibt?                       Und das, obwohl Herbizide «ohne                         mehr einsetzen, das im Verdacht steht,     Kraftfutter für Kühe. Ein Problem sind      und fressen sie.»
sere Direktzahlungen nicht mehr ren-                                                            Änderung der Bewirtschaftung kaum                          Krebs zu erregen.                          die Hochleistungskühe. Auf den Alp-            Laut dem Schwyzer Pro-Natura-­
tiert», sagt Fibl-Experte Franz Josef           Die Problempflanzen. Kantonale Kont-            etwas bringen». Wenn man auf der Alp                           Und die Genossame Gross? Fragen        weiden bekommen sie zu wenig Nähr-          Präsidenten Roger Bisig ein unter-
Steiner. «Viele Alpen würden ohne Bei-          rolleure müssen auf den Alpen «Prob-            Kraftfutter und Dünger erlaube, fördere                    an deren Präsident Markus Kälin:           stoffe. Die verlangte Milchleistung         schätztes Problem: «Pflanzen mit Her-
träge gar nicht mehr genutzt.»                  lempflanzen» aufspüren. Neun Pflan-             man den Einsatz von Herbiziden. So                         ­Welche Herbizide setzt sie ein? Wann      ­erreichen sie nur mit raufgekarrtem        bizid schmecken salzig, darum sind
     Die höheren Direktzahlungen lösten         zenfamilien stehen auf ihrer Liste.             werde überdüngt, und die ursprüngli-                        gibt es einen Herbizidverzicht? Wie viel   Kraftfutter und stark gedüngten Alp­       sie für Wildtiere verlockend.» Als Wild-
auf den Alpen einen regelrechten                ­Darunter Giftiges wie das Alpenkreuz-          che Flora gehe verloren. «Die ganzheit-                     Kunstdünger verwendet sie auf der Alp?     weiden, damit mehr Futter wächst.          hüter habe er manchmal totes Rehwild
­Herbizidboom aus. In der Verordnung             kraut oder der Weisse Germer, aber             liche Sicht fehlt», kritisiert Bodenmann.                   Antworten: keine. Kälin schreibt nur,      Mehr Milchvieh auf der Alp bedeutet        gefunden, das vermutlich an Herbi­
 heisst es zwar, die Alpen müssten               auch die Brennnessel. Warum das? Zu               Roger Bisig sagt: «Zentral ist die Viel-                 dass alle vom Bund bewilligten Herbi-      auch mehr Mist und mehr Nährstoffe,        ziden gestorben sei. «Aufklären konnte
 «sachgerecht und umweltschonend                 viele Brennnessel-Nester können den            falt. Wir müssen die Biodiversität im                       zide «fachmännisch angewandt wer-          die wiederum mehr unerwünschte             man die Todesursache nie. Solche
 ­bewirtschaftet» und «mit geeigneten            landwirtschaftlichen Wert einer Alp            Auge behalten, nicht allein das Vieh.»                      den; vor allem gegen Farn, Blacken,        Pflanzen spriessen lassen.                 Untersuchungen sind teuer, darum
                                                                                                                                                                                                                                                  ­
  Massnahmen vor Verbuschung oder                einschränken, antwortet das Bundes-                                                                        Disteln und Brennnesseln».                    Die Ingenieur-Agronomin Marianne        liess man sie bleiben.»
  Vergandung geschützt werden».                  amt für Landwirtschaft (BLW).                 Die Sicht der Älpler. Das zackige Mythen­                       Als die Genossame Gross auf ihrer       Bodenmann sagt: «Die neuen Sömme-
     Doch der Einsatz von über 30 Herbi-              Im Leitfaden für Alpkontrolleure steht   panorama vor sich und ein Stück Brot                         Alp Tries Herbizid mit einer Drohne ver-   rungsbeiträge und das Ausser-Acht-­        Bio-Kühe auf «Herbizidalp». Land­wirte,
  ziden ist ausdrücklich erlaubt. Für die        aber auch, dass weitere Arten, die lokal      mit lokalem Bergkäse in der Hand, fragt                      sprühte, gab es zwar ein Donnerwetter.     Lassen einer Gesamtsicht haben das         die dem Gift aus dem Weg gehen wollen,
  «Einzelstockbehandlung» mit Kanister           Probleme machen, bekämpft werden              sich der Wanderer: Warum eigentlich                          Die Verantwortlichen seien                             Problem nicht gelöst. Im       haben es schwer. Denn es gebe viel

                                                                                                                                                                                              30
  und Spritze braucht es nicht einmal eine       können. Alpbewirtschaftende können            tun Älpler nicht alles, um ihren Boden                       wegen dieser illegalen Ak-                             Gegenteil, sie haben ein       zu wenige biologisch bewirtschaftete
  Erlaubnis. Nur flächendeckende «Be-            dank dieser Regelung eigentlich alles         giftfrei zu halten? Das wird er später                       tion «sanktioniert» worden,                            neues geschaffen – den         Alpbetriebe, so Franz Josef Steiner. Bio-
  handlungen» benötigen das kantonale            vergiften, was ihnen nicht passt. Der         zwei Schwyzer Alpgenossenschaften                            heisst es beim Schwyzer                                stark vermehrten Herbizid-     Bauern bleibe deshalb nichts anderes
  Okay. Das bekommt, wer aufzeigt, wie           ­Umweltfachmann Roger Bisig schüttelt         per Mail fragen.                                             Landwirtschaftsamt. Mehr                               einsatz, der zudem oft nicht   übrig, als ihre Tiere auf einer konven-
  man die Alp bewirtschaftet, ohne dass           nur den Kopf und bleibt auf der Alp             Die eine ist die Oberallmeind­                            dürfe man aus Daten-                                   fachgerecht erfolgt.» Sogar    tionell betriebenen Alp zu sömmern.
  zu viele «Problempflanzen» wachsen.             ­Buchen neben einem niedergespritzten        korporation (OAK). Ihr gehören 155 Alp-                      schutzgründen nicht sagen.        Herbizide            geschützte Pflanzen wer-          Bio Suisse, der Dachverband der
     Wie viel Herbizide auf Schweizer              Nesselfeld stehen. «Es gibt mindestens      betriebe. Weshalb kein Verzicht auf                             Herbizide auf der Alp        sind auf den den gespritzt.                           Bio-Produzenten, hat das Problem für
  Alpen ausgebracht werden, weiss nie-             dreissig Schmetterlingsarten, die bei uns   Herbizid? Geschäftsführer Daniel von                         seien die logische Folge
                                                                                                                                                            ­                                Schweizer                Unter den vom Bund          sich mit einem Trick gelöst. Sobald Bio-­
  mand. Es gibt weder Kontrollen noch              auf Brennnesseln angewiesen sind.»          Euw winkt ab: «Die Korporation wird                        ­einer jahrzehntelangen                 Alpen            empfohlenen Herbiziden ist     Tiere auf einer konventionellen Alp sind,
                                                                                                                                              FOTO: ZVG

  Zahlen. Auf Anfragen in den Kantonen                Entdecken kantonale Kontrolleure         sich auch in Zukunft dafür einsetzen,                        Misswirtschaft, sagt Fibl-          erlaubt.           auch das in der EU ver­        verlieren sie ihren Bio-Status. Ab dem
  Bern, Glarus, Graubünden, Schwyz,                wiederholt zu viele «Problempflanzen»,      dass der drohenden Verbuschung und                           Präsident Martin Ott. «Auf                             botene Asulam. «Dass man       ersten Tag, an dem sie wieder im Tal sind,

28 Beobachter 2/2021                                                                                                                                                                                                                                                   Beobachter 2/2021   29
Die Alp und das Gift - Der Malser Weg
wird alles, was sie hergeben, wieder mit
der Bio-Knospe geadelt. Da fragt man
sich: Wie steht es um die Rückstände
im Alpkäse, in der Alpbutter, im Fleisch?

Im Labor. Die Frage geht an das Labora-
torium der Urkantone in Brunnen,
­zuständig für die Lebensmittelsicher-
 heit in den Kantonen Uri, Schwyz, Ob-
 und Nidwalden. Man untersuche gezielt
 Trinkwasser auf Pflanzenschutzmittel,
 auch in alpinen Gebieten, antwortet
 Kantonschemiker Daniel Imhof. «Die
 Resultate aus dem Grundwasser­
 monitoring und der Trinkwasserunter-
 suchungen haben bisher keinen Anlass
 ergeben, gezielt auch Alpprodukte auf
 Herbizide zu untersuchen.» Aber: Die
 Anfrage sei «berechtigt, und wir werden
 eine solche Kampagne durchführen».
      Weit über einen Bergrücken zieht
 sich die Bio-Alp Hummel, von der aus
 man auf den Sihlsee und die Glärnisch-
 kette sieht. Bewaffnet mit einer Geiss-
 fusshacke und begleitet von seinem
 Hund Bobi, sucht hier Franz Josef Stei-         «Ruckzuck und
 ner nach unerwünschten Pflanzen. Ein            effizienter als mit Gift»:
 gezielter Hackenschlag, und schwupps!,          Franz Josef Steiner sticht
 liegt eine Alpenkratzdistel auf dem Rü-         Disteln von Hand aus.
 cken. Man könne sie ruhig liegen lassen,
 sie verrotte – ohne sich zu vermehren.
      Steiner ist überzeugt: «Es geht ohne    Herbizide zu verzichten, […] weiterver-
 Gift.» Nötig sei nur ein besseres Timing
 und etwas botanisches Wissen. «Zum
                                              folgen.» Ende 2020 schreibt das BLW
                                              auf Anfrage nur: «Die Bio-Verordnung         Die Rolle der
 Beispiel kann man mit den Tieren frü-
 her als üblich zum Sömmern auf die
                                              regelt heute, dass die Sömmerung
                                              von Bio-Tieren grundsätzlich auf Bio-­
                                                                                           Grossverteiler
 Alp. Sie fressen und zertrampeln einen       Betrieben zu erfolgen hat.»                  Die Grossverteiler kennen laut Insi­
 Teil der Problempflanzen, wenn sie               Der vorläufig letzte Versuch scheiter-   dern das Problem der «Herbizid­
 noch ganz jung sind.» Grosse Flächen         te 2017. Die grüne Ständerätin Maya Graf     alpen» nicht. Coop antwortet auf die
 könne man mit dem Motormäher                 forderte damals als Nationalrätin den        Frage, ob man sich ein Herbizid­
 ­kontrollieren. «Heute gibt es Raupen-       Bundesrat auf, ein Pestizidverbot im         verbot auf der Alp vorstellen könne:
  traktoren, mit denen man auch an Steil-     Sömmerungsgebiet zu prüfen. Der Bun-         «Coop äussert sich grundsätzlich
  hängen mähen sowie Büsche und               desrat lehnte ab. Handarbeit gebe zu         nicht zu politischen Vorstössen.» Und:
  Sträucher entfernen kann.» Um Kosten        viel zu tun. Jetzt liegt die Hoffnung auf    «Schweizer Bioprodukte werden nach
  zu sparen, könne man solche Maschi-         der Volksinitiative «Für eine Schweiz        den Richtlinien der Bio-Suisse-Knos­
  nen samt Fahrer mieten.                     ohne synthetische Pestizide», die wohl       pe produziert. Für Informationen bit­
      Frage an das Bundesamt für Land-        Mitte Jahr an die Urne kommt.                ten wir Sie, sich direkt an Bio Suisse
  wirtschaft: Weshalb rät der Bund nicht                                                   zu wenden.» Auch Migros, Aldi Suisse
  vermehrt zu alternativen Methoden?          Das Universum Boden. Kurz nach der           und Lidl Schweiz verweisen an Bio
  Antwort: «Mechanische Bekämpfung            Wanderung zeigt Andreas Moser in             Suisse. Deren Sprecher David Herr­
  wird empfohlen in Zonen, wo dies            ­seiner TV-Sendung «Netz Natur», wel-        mann: «Viele Alpen gehören seit
  machbar ist. Im steilen Gelände ist die-     ches Universum sich im Boden verbirgt.      Jahrhunderten gemeinsam mehreren
  se Methode nicht möglich. In dem Fall        «Wenn der Boden mit seinen Lebe­            Bauernfamilien. Weil diese Verhältnis­
  ist der Einsatz von Herbiziden erlaubt.»     wesen fruchtbar sein und er gesunde         se eine rein biologische Bewirtschaf­
      Alle Versuche, auf Alpen das Ver-        Pflanzen hervorbringen soll, kann er        tung verunmöglichen, müssen viele
  sprühen von Pestiziden zu verbieten,         dies nur, wenn er dabei nicht durch Che-    Bio-Kühe auf konventionellen Alpen
  sind bisher gescheitert. 2001 hatten sich    mie gestört, gedüngt oder vergiftet wird    gesömmert werden. Angesichts
  Bio Suisse und der Schweizerische Alp-       und wenn ihm keine schweren Maschi-         ­dieser historisch gewachsenen Struk­
  wirtschaftliche Verband (SAV) erstmals       nen durch Bodenverdichtung die Luft          turen und im aktuellen gesetzlichen
  für ein Herbizidverbot auf der Alp stark-    rauben», sagt der Biologe Moser.             Rahmen ist diese Praxis für Bio-­
  gemacht. Das Magazin «Z’Alp» schrieb            Franz Josef Steiner ist einverstan-       Bauern ein schmerzhafter Kompro­
  damals: «Längerfristig will das BLW […]      den damit: «Wir brauchen auf den Alpen       miss, den sie im Interesse der
  den Gedanken, Alpen ganz biologisch          kein Herbizid. Man darf nicht auf Teufel     Existenzsicherung eingehen müssen.»
  zu bewirtschaften, das heisst, auch auf      komm raus produzieren.»

30 Beobachter 2/2021
Die Alp und das Gift - Der Malser Weg
Sie können auch lesen