Barm igkeit - Gemeindebrief - z 2 - Evangelische Kirchengemeinde Deizisau
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Liebe Leserin, lieber Leser, seit 1934 trifft sich jedes Jahr eine Gruppe von Christin- nen und Christen, um einen Bibelvers auszuwählen, der dann drei Jahre später zur Jahreslosung wird. In der Folge machen sich Künstlerinnen, Musiker und natürlich Theolo- ginnen und Theologen Gedanken, wie die gewählte Lo- sung in die gegenwärtige Gesellschafts– und Stimmungs- lage hinein spricht. „Barmherzigkeit“ lautet das Motto für dieses Jahr. Die ökumenische Jahreslosungskommission konnte 2018 nicht ahnen, in welchem Kontrast das zu der Pandemie stehen würde, die unbarmherzig jegliche Normalität um- krempelt, Menschen isoliert und überfordert. Aber es gab wohl eine Ahnung, wie dringend wir brau- chen, woran Jesus uns im Lukasevangelium erinnert: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6,36) Wir haben uns vorgenommen, Sie mit diesem Heft zu er- mutigen, das Barmherzigsein einfach mal auszuprobieren und Ihre Phantasie anzuregen, wie das gehen könnte. Einen barmherzigen Frühling wünscht Ihnen Ihr Redaktionsteam Siegfried Künstle, Jens Lampart, Kerstin Lyons, Stefanie Winges und Clemens Grauer P.S. In unserem Redaktionsteam steht ein personeller Wechsel an: Jens Lampart wird sich in Zukunft anderen Aufgaben in der Kirchengemeinde widmen. Wir danken ihm herzlich für viele gute Ideen und sein Adlerauge beim Korrekturlesen. Nun suchen wir Verstärkung für unser Team! Wenn Sie Lust haben, den Gemeindebrief in Zukunft mit- zugestalten, melden Sie sich einfach bei Clemens Grauer . (Tel. 07153/27751, clemens.grauer@elkw.de)
Angedacht: Barmherzigkeit Sprache ist manchmal verräterisch. Ein schönes Beispiel dafür ist die Endsil- be: „-keit“. Man verwendet sie gerne, wenn man über Dinge redet, von de- nen man denkt, dass sie bedeutend sind, über die man selbst aber kaum etwas weiß und manchmal auch gar nichts wissen will. Aber gleichzeitig will man das nicht so recht zugeben, schließlich handelt es sich ja um etwas Bedeutendes. Ganz gleich ob man über die „Sinnhaftigkeit“ eines Gemäldes spricht oder über die „Zuständigkeit“ für Menschenrechtsfragen: die Endsil- be „-keit“ schafft eine vornehme Distanz. Leider ist das auch der Fall bei dem Wort, das die Jahreslosung für 2021 ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt hat: „Barmherzigkeit“. „Seid barmher- zig, wie auch euer Vater barmherzig ist“, sagt Jesus im Lukasevangelium der Bibel (Lukas 6,36). Das ist bedeutend, in der Tat. Eine Welt ohne Barmher- zigkeit, wäre kein guter Ort. Da kann wohl jede und jeder zustimmen—zumal hier im sogenannten christlichen Abendland. Schließlich hat Jesus uns die Barmherzigkeit sozusagen in unsere kulturelle DNA gepflanzt. Ohne die Nächstenliebe, ohne die Zuwendung zu den Armen und Bedürftigen wäre das Christentum nicht denkbar. Barmherzigkeit Und eigentlich sollte man kein einziges Wort über die auf Distanz Barmherzigkeit verlieren müssen, weil sie eigentlich so selbstverständlich wie das Atmen sein müsste. Eigentlich. Tatsächlich ist erstaunlich wenig klar in Sachen Barmherzigkeit—vielleicht weil wir so oft um den heißen Brei herumreden. Viele Leute denken, dass es darum geht, dass man sich um andere Leute kümmern muss. Das wiederum ist in unserer globalen und vernetzten Welt schnell mit einem Gefühl von Überforderung verbunden: Wer hat es denn nun am nötigsten, dass ich mich kümmere: Die Hungernden im Jemen? Kindersoldaten in Mali? Die geflüch- tete Familie zwei Straßen weiter? Die Kinder der Nachbarin, die mit dem Homeschooling überfordert sind? Die Obdachlose in der Unterführung am Bahnhof? Kein Mensch kann das entscheiden. Kein Wunder, wenn Barmher- zigkeit zu einem unverbindlichen Hauptwort wird. Kein Wunder, wenn wir plötzlich Ausreden erfinden: Mein bisschen Barmherzigkeit ist ja doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wer weiß, ob meine Hilfe überhaupt ge- wünscht ist. Am Ende werde ich noch ausgenutzt. Kein Wunder, wenn die Zuständigkeit für die Barmherzigkeit verschämt von einem zum anderen geschoben wird. Zum Glück ist die Sache mit der Barmherzigkeit in der Bibel eine ziemlich klare Angelegenheit: Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite... 3
Barmherzigkeit kommt von Gott. Gott ist barmherzig mit den Menschen. Die Bibel erzählt an vielen Stellen davon, wie Gott den Menschen immer und immer wieder neue Lebenschancen schafft: Nach der großen Sintflut verspricht er Noah eine Zukunft, in der das Leben nicht mehr zerstört wird. Als die Menschen die 10 Gebote in den Wind geschlagen ha- ben, schenkt Gott sie ihnen einfach ein zweites Mal - als Ausgangsbasis für ein friedliches, gutes Zusammenleben. Er schickt den Menschen in der berüchtigten Stadt Ninive den Propheten Jona vorbei, der ihnen eine Katastrophe ankündigt, wenn sie sich nicht bessern. Und die Katastrophe bleibt aus, weil die Stadtbe- wohner Reue zeigen. Und der Prophet ärgert sich, weil Gott so barmherzig ist. Aber Gott ist eben so. Vielleicht kann er auch gar nicht anders. Im Buch des Pro- pheten Jesaja sagt Gott zu den Menschen: „Bringt eine Mutter es fertig, ihren Säugling zu vergessen? Hat sie nicht Mitleid mit dem Kind, das sie in ihrem Leib getragen hat? Und selbst wenn sie es vergessen könnte, ich vergesse euch nicht!“ (Jesaja 49,15) In der hebräischen Originalsprache des Alten Testaments sind die Wörter „Mutterleib“ und „Barmherzigkeit“ miteinander verwandt. Wenn Gott barmherzig ist, dann kehrt er sein Innerstes nach außen, seine unzerstör- bare, abgrundtiefe, total unvernünftige, aber wunderschöne Liebe zu uns Men- schen. Barmherzigkeit ist eine Haltung Wer Gottes Liebe kennengelernt hat—und sei es nur einen Hauch davon, der kann barmherzig sein—und zwar zuallererst mit sich selbst. Jesus hat einmal eine Geschichte von zwei Männern erzählt, die gleichzeitig zum Beten in die Syna- goge gingen. Der eine ein Zolleinnehmer, dessen Beruf ihm viele Chancen bot, Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der andere ein Pharisäer, Basilika Ottobeuren, Beichtstuhlrelief (1766): Pharisäer und Zöllner der sich von Berufs wegen gut mit den Geboten des Alten Testaments auskannte und für sich in Anspruch nahm, auch danach zu leben. Der Pharisäer zählt im Gebet seine religiösen und moralischen Leistungen auf dankt Gott, dass er nicht so ist wie all diejenigen, die das mit den Geboten nicht so genau nehmen, zum Beispiel dieser Zöllner. Der Zöllner dagegen bittet Gott, mit ihm barmherzig zu sein, weil er weiß, dass er das nötig hat. Und damit hat er dem Pharisäer etwas Entscheidendes voraus: Das Gerüst, das dem Pharisä- er Haltung gibt, besteht aus Regeln und Zwängen, aus Verdrängen von Schwä- chen und Defiziten. Ständig muss er darauf bedacht sein, dass dieses Gerüst nicht in sich zusammenfällt. 4
Manches an der Haltung des Pharisäers erkenne ich in gesellschaftlichen Phä- nomenen des 21. Jahrhunderts wieder: Gleich ob es um bewusste Ernährung, körperliche Fitness oder das persönliche Profil in Sozialen Medien geht—es ist ein dauernder, oft unbarmherziger Kampf gegen die eigene Unzulänglichkeit. Der Zöllner hat es da besser. Er weiß, dass er nicht allen Regeln der Kunst, der Gesellschaft und der Religion genügen kann. Er weiß, dass er vor Gott und vor sich selbst nur im Licht der Barmherzigkeit bestehen kann und dass er dafür Gottes inwendige Liebe braucht. Er weiß genau: was ihn von innen hält, ist Gottes Barmherzigkeit. Dafür muss er sein Herz öffnen. Er kann mit sich selbst barmherzig sein, weil er weiß: Gott sieht mich barmherzig an. ...und die Nächstenliebe? „Barmherzigkeit ist, wenn man je- Wenn Sie bis hierher gelesen haben, sind Sie jetzt mand anders in sein Herz reinlässt.“ vielleicht enttäuscht. Vielleicht haben Sie auf einen flammenden Appell zur Nächstenliebe und zur Solidarität mit den Schwächsten in unserer Welt gehofft, auf eine Kritik an den unbarmherzigen Strukturen der Weltwirtschaft und der internationalen Politik, die so viele Menschen gnaden- los unter die Räder kommen lässt. Auf leuchtende Vorbilder der Barmherzig- keit, denen wir nacheifern sollen. Aber das alles ist sinnlos, wenn wir auf unverbindlichem Sicherheitsabstand zur Barmherzigkeit bleiben. Nur wenn ich spüre, dass ich selbst aus Barmher- zigkeit gehalten bin, kann ich sie auch weitergeben. Das ist, glaube ich, die entscheidende Voraussetzung, damit... … Barmherzigkeit passiert Barmherzigkeit ist nämlich alles andere als ein religiöses Wellnessprodukt. „Barmherzigkeit“, so erklärte es die kleine Tochter eines Kollegen, „ist, wenn man jemand anders in sein Herz reinlässt.“ Und das kann weitreichen- de Folgen haben. In einer weiteren Geschichte, die Jesus erzählt hat, liegt ein Mann ausgeraubt und verletzt auf der Straße. Und es passiert, was so oft passiert, wenn Menschen in Not sind: Die Leute sehen weg. Gehen vorbei. Sind damit beschäftigt, das wacklige Gerüst ihres eigenen Lebens zusammenzuhalten. Nur einer, der berühmte Skulptur „Der Barmherzige Samariter“ vor der Erlöserkirche Stuttgart „barmherzige Samariter“, bleibt stehen, denn der Ver- letzte „jammerte ihn“. Dieser etwas ungewöhnliche Ausdruck beschreibt ziem- lich präzise, was Barmherzigkeit ist: Nämlich etwas, gegen das man sich nicht wehren kann. Barmherzigkeit ist, wenn das Herz aufgeht für einen Menschen, 5
der in Not ist, der es schwer hat—mit der Welt oder mit sich selbst. Da fällt auf einmal die Distanz und man kann gar nicht anders, als irgendwie für diesen Menschen da zu sein—so wie er oder sie es gerade braucht. Das kann die alte Dame sein, die zwei Stockwerke höher wohnt. Das können Menschen sein, von deren Schicksal ich in der Zeitung gelesen habe. Es kann sein, dass sich das Barmherzigsein ganz leicht in die Tat umsetzen lässt. Es kann aber auch schlaflose Nächte, viel Kraft und Zeit kosten, wenn ein Mensch in viele Nöte gleichzeitig verstrickt ist, wenn man machtlos zusehen und mitaushalten muss, dass eine Not sich trotz aller Bemühungen nicht zu verhindern ist. Dann kann Barmherzigkeit wehtun. Die Feststellung „es jammerte ihn“ lässt das ahnen. Wenn Barmherzigkeit passiert, wenn es mich jammert, dann schmilzt die Dis- tanz. Jeder und jedem kann das passieren, auch Leuten, die die Nächstenliebe zum Beruf haben und auf professionelle Distanz angewiesen sind. Aber das ist nicht schlimm. Im Gegenteil: Ich glaube, wir wären arm dran, wenn nichts mehr uns „jammern“ würde. Ich glaube, es gehört zu unserem Menschsein, dass wir Gottes Liebe und andere Menschen in unser Herz hineinlassen—mit allen Chan- cen und Gefahren. Barmherzigkeit konkret Barmherzigkeit ist keine Theorie. Sie ist eine Haltung, die man Menschen ab- spürt und die ganz konkrete und sichtbare Folgen hat. Wir haben deshalb im Redaktionsteam Beispiele für gelebte Barmherzigkeit gesammelt, die uns persönlich beeindrucken: Schwerkranke und Sterbende begleiten Ich habe lange überlegt, welche Person ich als Beispiel für gelebte Barmherzig- keit vorstellen möchte. Es fielen mir viele Personen ein, die alle auf die eine oder andere Art barmherzig handeln oder gehandelt haben. Stellvertretend für all diese möchte ich deshalb keine einzelne Person, sondern eine Gruppe er- wähnen, nämlich die Hospizgruppe, auch da ich auch einige der ehrenamtlich Tätigen persönlich kenne und weiß, mit wie viel Herzblut, mit wie viel Hingabe und Liebe sie Ihrem Ehrenamt nachgehen. Sie nehmen sich Zeit, begleiten schwerkranke und sterbende Menschen und deren Angehörigen, schenken Zu- wendung, Trost und Zuspruch und haben ein offenes Ohr. Sie lassen sich auf die Bedürfnisse der Schwerkranken oder Sterbenden und der Angehörigen ein und begleiten sterbenskranke Menschen bis zum Ende. Da sein, wahrnehmen, zuhö- ren, begleiten, mitfühlen, reden, trösten, Zeit und Bedeutung schenken – ich finde das ist gelebte Barmherzigkeit. Kerstin Lyons 6
Ärztin mit Erbarmen und Herz Meine Oma war Landärztin. Die Patienten standen bei ihr an erster Stelle. Ob Hausbesuche (oft kam nachts ein Anruf und sie fuhr los) oder die Sprechstun- den bis in den Abend, es war ihr wichtig, dass es ihren Patienten gut ging. Manchmal dachte ich, die Patienten sind ihr wichtiger als die Familie. Mittler- weile weiß ich, es war Barmherzigkeit. Denjenigen helfen und zur Seite stehen die in Not sind. Die Patienten kamen oft mit Sorgen zu ihr, die keinen medizini- schen Hintergrund hatten. Sie wussten nicht wen sie fragen sollten, und Frau Doktor war eine belesene und intelligente Frau. Und ich erinnere mich noch an die Geschichte, als sie einem Drogenabhängigen 1 Mark Rezeptgebühr gegeben hat, weil er überhaupt kein Geld mehr hatte um das Methadon zu bekommen, das ihn aus der Drogensucht holt. Bei ihr zählte der Mensch, egal welcher Her- kunft oder welche Umstände den Patienten getroffen hatten. Sie selbst war sehr bescheiden und selten im Urlaub. Ihr Beruf war für sie eine Berufung. Nachdem sie ihre Praxis altershalber an ihren Nachfolger übergeben musste, konnte sie doch nicht aufhören und hat in halb Deutschland Praxisvertretungen übernom- men. Auch dort waren die Patienten dankbar und wollten beim Abschied immer wissen, wann sie wieder kommt. Zwei Wochen nachdem sie sich aus gesundheit- lichen Gründen entschieden hatte, keine Vertretungen mehr zu übernehmen, ist sie gestorben. Stefanie Winges Obdachlosenfest Zur Barmherzigkeit findet sich bei Wikipedia die Beschreibung „Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an.“ Bei der Überlegung, auf wen diese Eigenschaft zutrifft, fiel uns spontan Frank Zander ein. Die meisten Leser verbinden mit Frank Zander viel- leicht noch Fernsehshows wie „Bananas“ in den 1980er Jahren, oder erinnern sich an Lieder wie „Ja wenn wir alle Englein wären“ oder „Hier kommt Kurt“. Weniger bekannt, aber umso bemerkenswerter ist sein soziales Engagement. Seit 1995 organisiert Frank Zander jährlich in einem Berliner Hotel ein Weih- nachtsessen für rund 3.000 Obdachlose und Bedürftige. Dabei wird er von Fami- lien und Freunden unterstützt. Es gelingt ihm auch immer wieder, Unterneh- men als Sponsoren zu gewinnen. Selbst 2020 musste die Weihnachtsfeier nicht ausfallen, sondern wurde ange- passt. Unter dem Motto „Weihnachten mit Frank Zander on Tour“ brachten er und sein Team warme Speisen, Geschenke und Schlafsäcke zu den Bedürftigen der Stadt. Für mich ist dies die aktuelle Version des Gleichnis vom großen Fest- mahl (Lukas 14, 15-24). Um den Rahmen des Gemeindebriefes nicht komplett zu sprengen, werden inte- ressierte Leser gebeten, weitere Informationen der Website www.obdachlosenfest.de zu entnehmen. Jens Lampart 7
Sozialraumerkundung—oder: was ein Vikar nach sechs Monaten zu berichten hat Eine der ersten Aufgaben, die ein neuer Vikar in seiner Ausbildungsgemeinde zu bewältigen hat, ist die soge- nannte Sozialraumerkundung. Ein etwas sperriges Wort für die simple Frage: „wo bin ich hier eigentlich gelan- det?“ Denn darum soll es letztlich gehen, herauszufinden, wo man die nächsten zwei Jahre leben und arbeiten wird. Nun können Sie sich sicher vorstellen, dass das in Zeiten von Corona alles andere als eine einfache Aufgabe ist. Das Deizisau wie Sie es kennen liegt seit über einem Jahr im Winterschlaf. Daher schildert der folgende Bericht ledig- lich Eindrücke, die ich in persönlichen Gesprächen über den Ort sammeln durfte. Eindrücke jedoch, die mir per- sönlich Lust darauf gemacht haben, sie einmal selbst erle- ben zu dürfen. Ein stadtnahes Dorf Ein erster Eindruck, den ich selbst bestätigen kann, ist die lukrative Lage des Ortes. Verkehrstechnisch hervorragend angebunden ermöglicht es Deizisau über unterschiedliche Fortbewegungsmittel mobil zu sein. Im Ort selbst gibt es sämtliche Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs und darüber hinaus mit Freibad, Arztpraxen, Handwerksbetrieben und Gastronomie vieles, was andere Dörfer mit vergleichbarer Größe längst einbüßen mussten. Auch die Nähe zu Esslingen und Stuttgart macht Deizisau attraktiv. Diese geografische Attraktivität äußert sich vor allem im Zuzug von Menschen, die hier ihrer Ar- beit wegen wohnen wollen. Insgesamt betrachtet hat das in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass der Wohnungsmarkt in Deizisau inzwischen ähnlich umkämpft ist, wie in der Stadt selbst. Bezahlbare Wohn- und Baufläche zu finden wird auch für Deizisauerinnen und Deizisauer immer schwieriger. Au- ßerdem führt das stetige Wachstum der Gemeinde dazu, dass das Dorfleben anonymer wird. Kennen die älteren Generationen noch Zeiten, in denen sich Deizisau in fünf bis zehn Familiennamen unterteilen ließ und jeder jeden kannte, so trifft das für die jüngeren Generationen bei weitem nicht mehr zu. Heute kennt man sich eher innerhalb der Vereine. Umgekehrt scheint die Un- terscheidung in „Ur-Deizisauer“ und Zugezogene an Bedeutung zu verlieren, wenngleich nicht bei allen. Hier scheint sich ein Generationenwechsel abzu- zeichnen. Außerdem sind die Einflüsse der Stadt in Form von Migration zu spüren und die Frage der gelungenen Integration muss immer wieder neu ge- 8
stellt und geprüft werden. Ebenfalls beachtlich ist die religiöse Pluralität, über die Deizisau mit seinen knapp 7000 Einwohnern verfügt. Ein einziger Spazier- gang durch den Ort genügt, um allein anhand der Gotteshäuser die Vielfalt der Weltanschauungen zu erkennen. Dagegen bewahrt man sich der Stadtnähe zum Trotz bewusst seine dörflichen Umgangsformen: auf der Straße wird ge- grüßt, über das Leben der Nachbarn weiß man Bescheid und wann immer es etwas zu feiern gibt, wird gefeiert. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen Deizisau als Vereins- und Festdorf, dieser Eindruck zog sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche, die ich im Rahmen meiner Sozialraumerkundung führen durfte. Sätze wie „als Deizisauerin hat man in mindestens drei Vereinen zu sein“ oder „man stelle nur zwei Bierbänke auf die Straße und die Deizisauer feiern ein Fest“ scheinen beinahe Gesetzescharakter zu haben. Dabei bestim- men die unterschiedlichen Vereins- und Festaktivitäten den Kalender der Dei- zisauerinnen und Deizisauer. Zum Hauptfest zu erscheinen ist gleichermaßen Pflicht wie Freude, auch für diejenigen, die längst nicht mehr hier wohnen. Dabei erfüllen die Vereine und Feste wichtige Sozialfunktionen. Sie bieten vor allem Zugezogenen mit Kindern die Möglichkeit sich zu beteiligen und An- schluss zu finden. Aber auch als Begegnungsort der unterschiedlichen Genera- tionen tragen sie ihren Teil zum gelungenen Gemeinschaftsgefühl im Ort bei. Denn Deizisau wird immer älter. Trotz der vielen jungen Familien, die hier le- ben liegt das Durchschnittsalter mit 44,1 Jahren leicht über dem Landesdurch- schnitt. Noch eindrücklicher ist die Zahl derjenigen, die von der Gemeindever- waltung zum Seniorenempfang eingeladen werden. Sie hat sich in den vergan- genen 45 Jahren nahezu versechsfacht. Ehemalige Neubaugebiete werden nach und nach zu Rentnervierteln. Ob es allen Deizisauer Vereinen gelingt, genügend Jugendliche zu binden, um den eigenen Fortbestand zu sichern, ist ungewiss. Erwähnenswert ist jedoch, dass der Ort, so wie es scheint, auch für Seniorinnen und Senioren zahlreiche Angebote parat hat und damit auch im Alter attraktiv bleibt. Die Stetigkeit des Wandels Ein dritter und letzter Eindruck soll an dieser Stelle festgehalten werden: Dei- zisau verändert sich stetig. Können manche noch von Zeiten berichten, als es im Ort nur drei Personen mit einem Auto gab - den Arzt, den Wirt und den Pfar- rer - so sind mit 676 Pkw je 1000 Einwohner Parkplätze in Deizisau heute ein hart umkämpftes Gut. Auch der Wandel vom Landwirtschaftsort zum Industrie- dorf ist überall sicht- und spürbar. War das Ortsbild früher geprägt von Höfen, so sind die meisten von ihnen heute verschwunden, oder an den Rand der Sied- lung verdrängt. Das Neckarufer ist mit Gewerbe jeder Art dicht bebaut und an 9
ein Baden im Sommer oder Schlittschuhlaufen im Winter, wie es die Alten noch kennen, ist nicht mehr zu denken. Doch mit der Industrie kam auch der Wohl- stand. Die Steuereinahmen der Kommune liegen deutlich über dem Schnitt von Kreis und Land. Mit etwa 3000 Arbeitsplätzen am Ort nimmt Deizisau gemessen an seiner Größe eine komfortable Position ein. Dies zeigt sich vor allem an den vielen kommunalen Investitionen in Spiel-, Sport-, und Freizeitgelände. Die Veränderung in manchen Dingen scheint zum Leben in Deizisau ebenso dazuzu- gehören wie die Stetigkeit in anderen. Die subjektive Bewertung dieses Sach- verhalts fällt je und je unterschiedlich aus. Ausblick Zusammenfassend scheint Deizisau ein interessanter Ort zu sein, in jeder Hin- sicht. Hier treffen Stadt- und Dorfmentalität ungebremst aufeinander und exis- tieren irgendwie zeitgleich nebeneinander her. Wie sich das konkret im Leben niederschlägt, kann ich noch nicht beurteilen. Ich kann es aber kaum erwarten, das herauszufinden. Philipp Häge Fotowettbewerb: Barmherzigkeit „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lk 6,36) Oft folgen Menschen diesem Aufruf Jesu im Stillen und an unerwarteten Orten—nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Wie auch so manches Herz, das die Natur hinzaubert, wie auf der Ti- telseite dieses Hefts. Wir möchten Sie ermutigen, einmal mit offenen Augen durch unseren Ort zu gehen und nach beidem zu suchen: Barmherzigkeit und Herzen, die man nicht sofort erkennt. Machen Sie ein schönes Foto und nehmen Sie damit an unserem Fotowettbewerb „Barmherzigkeit“ teil. Für die drei besten Plätze gibt es schöne Buchpreise zu gewinnen. Fotos bitte digital senden an: pfarramt.deizisau@elkw.de, Stichwort „Fotowettbewerb“. Einsendeschluss: 30. April. (Mit der Einsendung eines Fotos geben Sie Ihr Einverständnis zur Veröffentlichung durch die evang. Kirchengemeinde Deizisau.) 10
Infoteil zum Heraustrennen Wir gratulieren zum Geburtstag ab 75 Jahren Freud und Leid aus unserer Kirchengemeinde (Dezember 2020 bis März 2021) Beerdigungen Wichtiger Hinweis Taufen, Trauungen und Beer- digungen sind auch unter den derzeit geltenden Be- schränkungen der Corona- Verordnung möglich. Wenn Sie hierzu Fragen ha- ben, können Sie sich gerne jederzeit an Pfarrerin Holtz (Tel. 5592960) oder Pfarrer Grauer (Tel. 27751) wenden. Impressum: Herausgeber: Evang. Kirchengemeinde Deizisau, Kirchstr. 4, 73779 Deizisau, Tel.: 07153/27752, www.deizisau-evangelisch.de Fotos: wikimedia.org, flickr.com, pixabay.com, gemeindebrief.evangelisch.de, privat
Ausblick Konzert mit Musiker und Pfarrer Stefan Schwarzer Fr. 26.03. 19.30 Uhr Online Veranstalter: Hospizgruppe Deizisau-Altbach (Weitere Infos im Mitteilungsblatt und der Homepage) Ev. Gem.haus So. 28.03. 10.00 Uhr Gottesdienst zu Palmsonntag (Pfarrer Grauer) und online Mo. 29.03. 19.30 Uhr Ev. Gem.haus Passionsandacht (Pfarrer Grauer) Mi. 31.03. 18.00 Uhr Online Passionsandacht der Kinderkirche Unsere online-Gottesdienste finden Sie unter www.deizisau-evangelisch.de. Gottesdienst mit gemeinsamer Wohnzimmer- Do. 01.04. 19.30 Uhr Online Abendmahlsfeier (Pfarrer Grauer) Ev. Gem.haus Fr. 02.04. 10.00 Uhr Gottesdienst zu Karfreitag (Vikar Häge) und online Ab 5.30 Uhr Online Osternachtsgottesdienst (Pfarrer Grauer und Team) So. 04.04. 5.30 bis 7.30 Ev. Kirche Ostermorgen in der Kirche mit Musik, persönliche Tau- ferinnerung und Entzünden des Osterlichts 10.00 Uhr Friedhof Ostergottesdienst mit Posaunenchor (Pfarrerin Holtz) Mo. 05.04. 10.00 Uhr Ev. Gem.haus Gottesdienst zu Ostermontag (Pfarrer Weiß, Altbach) So. 11.04. 10.00 Uhr Ev. Gem.haus Gottesdienst (Pfarrerin Holtz) Ev. Gem.haus Informations– und Anmeldeabend für die Mi. 14.04. 19.00 Uhr oder online Konfimandinnen und Konfirmanden 2022 So. 18.04. 10.00 Uhr Ev. Gem.haus Gottesdienst (Pfarrer Grauer) Mi. 21.04. 19.00 Uhr Ev. Gem.haus Sitzung des Kirchengemeinderats Alle genannten Termin finden unter Vorbehalt der geltenden Coronaverordnung statt bzw. müssen eventuell verschoben oder abgesagt werden! Öffentlicher Hospiz-Informationsabend Do. 22.04. 19.30 Uhr Ev. Gem.haus Thema: „Organspende—Pro und Contra“ So. 25.04. 10.00 Uhr Ev. Gem.haus Gottesdienst (Pfarrer Grauer) Kirche und So. 02.05. 9.30 Uhr Konfirmation 1 (Pfarrer Grauer und Vikar Häge) Gemeindehaus Kirche und So. 09.05. 9.30 Uhr Konfirmation 2 (Pfarrer Grauer und Vikar Häge) Gemeindehaus Do. 13.05. 10.00 Uhr Ev. Gem.haus Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt (Pfarrer Grauer) Alle weiteren Sonntags– und Feiertagsgottesdienste finden um 9.30 Uhr oder 10 Uhr statt. Außerdem sind einige Gottesdienst im Freien geplant: 6. Juni Gottesdienst im Grünen mit anschließendem Fußball-Turnier 20. Juni Gottesdienst beim TSV Sommernachtsfest
Besuche bei Gemeindegliedern—Veränderungen Seit langem schon besuchen Pfarrerin Holtz und Pfarrer Grauer Seniorin- nen und Senioren aus unserer Kirchengemeinde zum Geburtstag. Bisher geschah dies zum ersten Mal zum 70. Geburtstag, danach alle fünf Jahre und ab dem 90. Geburtstag in jedem Jahr. Nun haben sich in den letzten Jahrzehnten die gesellschaftliche Altersstruktur sowie das Lebensgefühl der Menschen spürbar verändert. Viele sind heute mit 80 Jahren noch so aktiv und mobil wie früher mit 70. Der Kirchengemeinderat hat im zurückliegenden Jahr über diese Situation beraten und beschlossen, die Besuchspraxis in unserer Kirchengemeinde etwas zu modifizieren. In Zukunft (ab April 2021) erhalten Seniorinnen und Senioren erst ab dem 80. Lebensjahr einen persönlichen Besuch der Pfarrerin oder des Pfarrers. Unabhängig davon stehen Pfarrerin Holtz und Pfarrer Grauer auf Nachfrage jederzeit gerne für Seelsorgegespräche und für Besuche bei kranken Ge- meindegliedern zur Verfügung.
Seelsorgebezirk von Ausbildungsvikar Philipp Häge Seit Oktober ist Ausbildungsvikar Philipp Häge nun schon in unserer Gemein- de. Nun ist die erste Ausbildungsphase abgeschlossen, in der der schulische Religionsunterricht Schwerpunkt war. Naturgemäß konnte sich Herr Häge in dieser Phase neben Gottesdiensten und Konfirmandenunterricht nur begrenzt in der Kirchengemeinde einbringen. Dies wird sich nun ändern. Ab April 2021 wird Vikar Philipp Häge als Seelsorger für das Gebiet „Wert“ zuständig sein. Die seelsorgerliche Begleitung von Ge- meindegliedern ist ein fester und wichtiger Bestandteil im Ausbildungsvikari- at. Dazu gehören Besuche bei älteren und kranken Gemeindegliedern, aber auch Kasualien wie Beerdigungen und Trauungen. Für all dies wird Herr Häge nun erster Ansprechpartner für alle evangelischen Gemeindeglieder im Bezirk „Wert“ sein*. Vikar Philipp Häge ist erreichbar unter: Telefon 07153/9240142 und Email: philipp.haege@elkw.de. (In den Wochen, in denen Vikar Häge auf Kurs im Pfarrseminar in Stuttgart ist, wird Pfarrer Grauer die Vertretung übernehmen.) Clemens Grauer *Folgende Straßen gehören zum Bezirk „Wert“: Achalmstraße, Alte Bergstraße, Berghof, Breite Straße, Breitensteinweg, Dölkerweg, Friedrichstraße, Gerokweg, Hohenstaufenstraße, Im Gemäuer, Jakobstraße, Köngener Straße, Neuffenstraße, Ob der Steige, Rechbergstraße, Reußensteinweg, Schurwaldblick, Teckstraße, Wertstraße. Einladung zur Passionsandacht gestaltet von der Kinderkirche Mittwoch, 31. März 2021, 18.00 Uhr Zugang und Infos unter www.deizisau-evangelisch.de
Von der Pfarrscheuer zum Gemeindehaus Am 1. Advent 1991 wurde das neue Gemeindehaus feierlich eingeweiht. Damit fand eine 100 Jahre währende Planungszeit ihr glückliches Ende. Denn eng mit dem Bau eines Gemeindehauses verbunden war in vielen Jahr- zehnten die Frage um den Abriss oder Erweiterung der Kirche. Um sich der Ver- antwortung zu entledigen, schoben die Kirchengemeinderäte eine Entschei- dung immer wieder hinaus. Konkret entwickelte sich der Gedanke zum Bau eines Gemeindehauses im Jahr 1905, als Pfarrer Dölker nach Deizisau kam. Er war bestrebt, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts andauernde Diskussion um den Abriss und Neubau oder Erweiterung der Kirche einer Entscheidung zuzuführen. Dekan Plank kam am 12. Mai 1907 zur Kirchenvisitati- on nach Deizisau. Dabei wurde ausführlich über den Kirchenneubau und einer weiteren Nutzung der Kir- che gesprochen. Er erkannte die Schwierigkeiten mit den beschränkten Platzverhältnissen und der Proble- matik einer Erweiterung der Kirche und machte den Vorschlag, den vorhanden Kirchenbaufonds von 100 000 RM zum Bau eines Gemeindehauses zu ver- wenden, das kirchlichen Zwecke dienen könnte. Die Kirchengemeinderäte konnten sich nicht einigen. Die alte Pfarrscheuer um 1940. So verging die Zeit, in dieser außer den dringend Daraus entstand der „Luthersaal“ notwendigen Reparaturen an der Kirche nichts ge- schah. Der Gedanke, die alte Kirche abzureißen und an der gleichen Stelle eine neue zu bauen, bereitete den Mitgliedern des Kir- chengemeinderats offensichtlich immer wieder Gewissensbisse. Mit dem Jahr 1914 begann eine schreckliche Zeit. Der 1. Weltkrieg entbrannte. An einen Kirchen- oder Gemeindehausneubau war nicht zu denken. Auf eine Mahnung der Oberkirchenbehörde hin wurde beschlossen, Reichs- kriegsanleihen aus dem Kirchenbaufonds zu zeichnen. Als im Herbst 1918 der Krieg zu Ende ging und die 8. Kriegsanleihe gezeichnet wurde, ist der Kirchen- baufonds fast aufgebraucht. Im Protokoll vom 16. September 1920 liest man über die weitere Planung von Kirche und Gemeindehaus, „dass infolge der Geldentwertung der bestehende Kirchenbaufonds zu einem Neubau der Kirche oder eines Gemeinde-hauses bei weitem nicht ausreicht“. Man muss bei all den heftigen Diskussionen bedenken, dass es damals außer der Kirche keine weite- 11
ren kirchlichen Räumlichkeiten gab. In seiner Sitzung am 21. März 1924 stellte der Kirchengemeinderat fest, dass der Kirchenbaufonds durch Geldentwertung vollständig aufgebraucht sei und nicht mehr existiere. Nach einer Zeit tiefer Enttäuschung sammelten sich jedoch neue Kräfte in der Ge- meinde. Nachdem die Entscheidung zum Erhalt der Kirche gefallen und ein Neu- bau nicht zu finanzieren war, so wollte man doch den Bau eines Gemeinde-hauses verwirklichen. Da jedoch die Geldmittel nicht ausreichten und auch keine Hilfe von außen zu erwarten war, kam man auf eine besondere Idee. Die Pfarrscheuer, dort, wo Kuh und Pferd hausten, sollte zu einem Gemeindehaus umgebaut wer- den. In früherer Zeit erhielten die Pfarrer eine sogenannte Grundbesoldung. Um jedoch ihre Lebensgrundlage zu sichern, erhielten sie vom Dienstherrn landwirtschaft- liche Flächen zur Verfügung gestellt. Die Erträge dar- aus bildeten den zweiten Teil ihrer Einkünfte. Daher gehörte zu jedem Pfarrhaus auch eine Pfarrscheuer. Unsere Pfarrscheuer wurde im Jahr 1603 errichtet. Das ehemalige im Jahre 1630 gebaute und im Jahr 1969 abgerissene Pfarrhaus war also jünger als die Pfarr- scheuer. Es ist nicht belegt, aber wir müssen davon ausgehen, dass es vor dem alten Pfarrhaus einen Vor- gängerbau gegeben hat. Mit eingeschlossen in das Bauvorhaben zum Neubau des Pfarrhauses war ein Anbau an die ehemalige Pfarrscheuer. In diesem wurde eine Toilettenanlage eingebaut und eine Garage er- richtet. Dieser Anbau wurde 1990 bei der Sanierung wieder abgerissen. Durch den Einbau einer selbsttragenden Dachkon- struktion und dem Abriss der Zwischenwände entstand in den Jahren 1926-1928, wo früher Heuwägen und Rohbau des großen Gemeindesaals landwirtschaftliche Geräte standen, ein Gemeinde- raum. Zur Ehre des großen Reformators erhielt dieser den Namen „Luthersaal“. Da der Gemeinderaum nicht groß war, wurde er von den Deizisauern liebevoll auch „Säle“ genannt. Nach dem 2. Weltkrieg stieg die Zahl der Einwohner in Deizisau rapide an. Neue Baugebiete wurden erschlossen, um für eine große Zahl von Neubürgern Wohn- raum zu schaffen. Das Wachstum der Gemeinde wirkte sich naturgemäß auf die Raumplanung der Kirchengemeinde aus. Um die seelsorgerische Betreuung der größer werdenden Gemeinde sicherzustellen, wurde in der Friedrich-List-Straße ein Grundstück gekauft. Auf diesem soll zunächst ein Kindergarten und ein Ge- 12
mein-dehaus gebaut werden. Später sollte eine Kirche hinzukommen. Zur Finanzie- rung dieses Vorhabens wurden die Pfarrwiesen im Gebiet des heutigen Neckarhafens verkauft. Grundlage dieser Planungen war die Errichtung einer zweiten Pfarrei in Deizisau. Am 7. Dezember 1960 wurde das in Fertigbau- weise, für ein Provisorium von höchstens 20 Jahren gebautes Gemeindehaus eingeweiht. Es entwickelte sich schnell zu einem kulturellen Mittelpunkt im Neubaugebiet. Es bot Raum und Platz für ein vielfältiges Gemeindeleben. Doch nicht alle Planungen waren realisierbar. Durch gesetzliche Beschränkungen stagnierte die Ein- wohnerzahl. Dadurch bedingt wurde das Vorha- Der alte Luthersaal bis 1990 ben zur Bildung eines zweiten Pfarrbezirks ver- worfen. Getreu dem Sprichwort, dass jeder eine Chance bekommt, wenn er nur lange genug darauf wartet, ergab sich nach einer hun- dertjährigen Zeit des Wartens und Überle- gens für die Kirchengemeinde über Nacht eine einmalige Gelegenheit. Der in die USA ausgewanderte Adolf Schultheiß verkaufte nach dem Tod seiner Angehörigen das „Schäferhaus“. Die bürgerliche Gemeinde erwarb das denkmalgeschützte Gebäude. Schnell entschlossen, kaufte die Kirchenge- meinde den zum Anwesen gehörenden Gar- Der neue Altbau des Gemeindehauses heute ten. In räumlicher Nähe zur Kirche und zum Pfarrhaus, direkt hinter dem Luthersaal ans Pfarrwäldle angrenzend, ist das Gelände der ideale Standort für ein Gemeindehaus. Der Kaufvertrag über das Grundstück wurde am 8. August 1982 geschlossen. Die Schuldenlast durch diesen Kauf, sowie durch den Bau des Kindergartens „Guter Hirte“ und der Kirchenrenovierung war je- doch so groß, dass an eine schnelle Verwirklichung des Bauvorhabens nicht zu den- ken war. Erste Überlegungen zur Finanzierung machten deutlich, dass nur durch den Verkauf des Anwesens an der Friedrich-List-Straße eine Realisierung in absehbarer Zeit möglich ist. Im März 1985 wurden erste Gespräche über die Planung des Gemeindehauses ge- führt. Da das Baugrundstück sehr schmal war, wurden Überlegungen angestellt, den Luthersaal abzureißen. Die aus dem Jahr 1603 stammende Pfarrscheuer wurde zum Gegenstand heftiger Debatten. Dabei wurden Erinnerungen an die unglückliche Ent- scheidung wach, die zum Abriss des alten Pfarrhauses geführt hat. 13
Die Gegner und Befürworter eines Abrisses wurden jedoch durch die Entscheidung des Landesdenkmalamtes mit der Tatsache konfrontiert, dass die alte Pfarrscheu- er ein Kulturdenkmal im Sinne des § 2 des Denkmalschutzgesetzes darstelle und daher erhalten werden müsse. Am 9. August 1985 wurde der Kaufvertrag mit der bürgerlichen Gemeinde über den Verkauf des Grundstücks Friedrich-List-Straße abgeschlossen. Den Auftrag zur Erstellung eines Bebauungsentwurfs erhielt Herr Professor Stockburger aus Stuttgart. Eine erste Kostenschätzung ergab einen Betrag von 2,1 Millionen DM. Seinen ersten Entwurf stellte Professor Stockburger im März 1988 vor. Im April 1989 stimmte der Kirchengemeinderat dem geänderten Plan von Professor Stock- burger zu. Die Bausumme erhöhte sich auf 2,36 Millionen DM. Es war der 15. Au- gust 1989, als nach einer Zeit gründlicher Vorplanung dem Bürgermister das Bau- gesuch übergeben wurde. Der erste Baggerbiss am 7. Mai 1990 leitete die Verwirklichung des Bauvorhabens ein. Am 30. März wurde dann mit der ganzen Gemeinde die Fundamentlegung gefeiert. Es ist aufgerichtet! Am 3. August 1990 wurde bei herrlichem Sommer- wetter der Richtspruch vom Dach des Gemeindehauses gesprochen. Als am 1. Advent 1991 das Gemeindehaus feierlich seiner Bestimmung übergeben wurde, fand eine 100- jährige Entstehungsgeschichte ihren glücklichen Ab- schluss. Das Ziel, ein christliches Haus als Heimstatt für gläubige Menschen zu bauen, wurde erreicht. Siegfried Künstle 14
Kinder– und Jugendarbeit im Lockdown Die Corona-Pandemie trifft alle Bereiche der Gesellschaft mit voller Wucht; die sehr betagten Senioren, die Wirtschaft, das Gesundheitssystem und vor allem auch unsere Kinder und Jugendlichen. Es gibt nur wenige Konzepte, unsere kommende Generation gut durch die Pandemie zu begleiten, und auch die Arbeit der Kindergärten und Schulen variiert sehr stark in ihrer Qualität. Fast jedes dritte Kind zeigt einer Analyse zufolge ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland psychische Auffälligkeiten. Das ist das Er- gebnis der zweiten Befragung der sogenannten COPSY-Studie des Universitäts- klinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Allerdings dürfen Auffälligkeiten nicht mit psychischen Störungen oder Krankheiten verwechselt werden, betonten die For- scher. Die Lebensqualität habe sich weiter verschlechtert. In einzelnen Fällen seien psychosomatische Folgen zu beobachten, etwa Magen- oder Kopfschmer- zen. Sorgen und Ängste der Kinder hätten noch einmal zugenommen, auch de- pressive Symptome seien verstärkt zu beobachten. Besonders anfällig für Probleme sind Menschen, die aus schlechter gestellten Familien kommen. Die COPSY-Studie ist den Angaben zufolge die bundesweit erste ihrer Art. An der aktuellen Befragung von Mitte Dezember bis Mitte Januar nahmen erneut mehr als 1000 Kinder und Jugendliche und mehr als 1600 Eltern per Online-Fragebogen teil. Im Zentrum der Untersuchung standen Sieben- bis 17-Jährige. Kinderkirche ein Jahr im Lockdown Durch diese Kenntnisse und auch schon weit davor war es uns daher wichtig, die Kinderkirche nicht zu pausieren, sondern mit Corona-konformen Konzepten an den Kindern und Jugendlichen dran zu bleiben und ihnen eine Auszeit vom Corona-Alltag – et- was Normalität - zu bieten. Von der Landeskirche und dem Lan- desverband für Kindergottesdienst kam leider nicht viel Hilfestellung. Von daher machten wir uns selbst auf den Weg für die Kinder- und Jugendlichen. An jedem Kinderkirchsonntag, an dem wir uns nicht live sehen durften, haben wir im ersten Lockdown eine online Kinderkirche für zu Hause per Mail versandt. So hatte jeder die Möglichkeit, zusammen mit seiner Familie Kindergottesdienst zu feiern, eine schöne Geschichte zu hören und noch etwas Passendes zum The- ma zu basteln. Es gab aber auch Momente im vergangenen Jahr, an denen wir gemeinsam tolle Dinge erleben durften, indem wir in den Sommermonaten die Kinderkirche in Stationenläufe umwandelten und gemeinsam durch Deizisau 15
unterwegs waren. Vor der Sommerpause feierten wir ein Online-Abendmahl mit Eis für jeden zu Hause. Nach der Som- merpause haben wir unter frei- em Himmel in unserem Pfarr- wäldle mit einem tierischen Starttag zum Thema Arche Noah wieder begonnen und vor dem zweiten Lockdown noch einige Male Kinderkirche unter den geltenden Hygiene- regeln im Gemeindehaus ge- feiert. Der zweite Lockdown traf uns hart, da wir unser traditionel- les Weihnachtsspiel nicht in gewohnter Weise proben und Impressionen von der „Kirche Kunterbunt“ aufführen konnten. Doch eines online am 28. Februar 2021 stand fest: Das Weihnachtsspiel darf nicht ausfallen. Und so ent- stand unter großem Aufwand und durch Mithilfe der Eltern ein bezauberndes Hörspiel unter dem Titel „Fällt Weihnachten aus?“ An den Adventssonntagen feierten wir parallel Kinderkirch-Advente—zuerst noch im Pfarrwäldle und letzt- lich online, alle in ihren Wohnzimmern über das Internet verbunden. So begann auch unser Kinderkirchjahr 2021. Jeden Sonntag singen wir, hören Geschichten und erleben gemeinsam Gottes frohe Botschaft und unseren Kin- dergottesdienst online um 10:45 Uhr. Es ist schön zu sehen, wie die Kinder und Jugendlichen mit viel Freude dabei sind und wie ihnen diese kurze Auszeiten gut tun. Ein großer Dank geht an dieser Stelle an alle MitarbeiterInnen der Kinderkirche. Corona-konforme, regelmäßige und kreative Kinderkirche ist ein deutlicher Mehraufwand und wäre ohne so viele engagierte MitarbeiterInnen nicht zu stemmen. Wir bleiben motiviert, weiterhin für Kinder und Jugendliche Kinderkirche anzu- bieten und sind daher auch bereits an den Planungen für eine Corona-konforme Passionsandacht und freuen uns schon jetzt nach der Pandemie wieder in ge- wohnter Weise los zu legen! Volker Hagmaier für das Mitarbeiterteam der Kinderkirche 16
Dem Ehrenamt ein Gesicht geben: die neuen Vorsitzenden des Jugendkirchengemeinderats Lea und Sandra, seit Dezember seid ihr die neuen Vorsitzenden unseres Jugendkirchengemeinderats. Was reizt euch an dieser Aufgabe? Sandra: Verantwortung für die Jugendlichen in der Kirchengemeinde übernehmen, die Gemeinschaft erleben und andere motivieren dabei zu sein. Lea: Der Kontakt zu den Jugendlichen und Kindern, verschiedene Altersgruppen durch Aktionen/ Angebote ansprechen und den Glauben zusammen Lea Jaiser mit viel Spaß erleben. Sandra Mayer Wo seht ihr besondere Herausforderungen? Und gibt es etwas, das ihr in den nächsten beiden Jahren gerne erreichen würdet? Lea&Sandra: Aufgrund der aktuellen Situation ist das Kontakthalten eine Heraus- forderung, da wir die Jugendlichen und Kinder über ganz andere Kanäle wie sonst am Ball halten müssen/können/wollen (vor allem Online bzw. in Kleingruppen). Unser Ziel ist es, tolle Aktionen ins Rollen zu bringen, die Jugendlichen dazu be- wegen, sich gern zu engagieren, Spaß zu haben und den Glauben zu erleben. Gibt es eine prägende Erinnerung, die ihr mit der Jugendarbeit hier in der Kirchen- gemeinde verbindet? Sandra: Da gehören auf jeden Fall die vielen Abende am Lagerfeuer, bei denen wir gemeinsam gesungen haben, dazu – auch wenn es meist sehr schräg klingt. Lea: Die Passionsandacht der Kinderkirche vor ein paar Jahren, als wir alle zusam- men – jung und alt – Luftballons steigen lassen haben! Kirchliche Jugendarbeit hat ja neben Spaß und Action und Gemeinschaft immer auch mit dem Glauben zu tun. Könnt ihr in einem Satz sagen, was Glauben für euch persönlich bedeutet? Lea: Glaube bedeutet für mich Gemeinschaft und Vertrauen. — Da ist jemand der mich begleitet, der mich kennt so wie ich bin und mich genau so liebt. Das ist auch das was ich den Jugendlichen auf den Weg geben möchte. Sandra: Auf Gott vertrauen und zu wissen, dass immer jemand bei dir ist und auf dich aufpasst, egal welchen Weg du wählst. Drei Dinge, die jeder über euch wissen sollte... Lea: 1. Ich liebe spontane Ausflüge in die Natur oder in neue Städte! 2. Mein Lebensmotto: So viel wie möglich mitnehmen – erleben – teilen – versu- chen, denn: Man lebt nur einmal! 3. Ich bin der Meinung, dass ohne Musik die Welt nur halb so schön wäre! Sandra: 1. Ich hasse Orange (vor allem den Geruch!!) - bin aber trotzdem immer bei der Orangenaktion am Start! 2. Momentan belege ich ein Onlinelernprogramm zur Gebärdensprache. 3. Ich tanze seit 5 Jahren Standard-Latein. Die Fragen stellte Clemens Grauer. 17
Soviel du brauchst Fasten für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit Liebe Gemeindeglieder, die Corona-Krise hält uns in Atem, macht uns Angst, fordert Verzicht und bringt Menschen weltweit an den Rand ihrer physischen und finanziellen Kräfte. Und doch ist der fortschreitende Klimawandel eine der größten Herausforderun- gen unsere Zeit. Schleichend verändert sich unser Ökosystem. Der viele Schnee in diesem Jahr mag uns die vielen trockenen Sommer der letzten Jahre fast verges- sen lassen – doch die Gletscher schmelzen, die Meere erwärmen sich, das Grund- wasser sinkt. In unserer Kirche tauchen Risse auf, die vielleicht auch von der Ver- änderung im Untergrund herrühren. Wir haben den Klimawandel selbst gemacht und nicht mehr lange Zeit gegenzu- steuern. „Untergangsphantasien“, „Kopf in den Sand stecken“ oder „nach mir die Sintflut“ sind aber keine Optionen für ein verantwortliches Handeln. Finden wir den Weg zu einem „guten Leben“, ohne das Ökosystem Erde weiter zu überlasten und achten dabei auf das Wohl aller Menschen und der Schöpfung, bietet ein Wandel die Chance auf ein gutes Leben. Die Fastenzeit bis Ostern ist eine gute Gelegenheit, sich die Frage zu stellen: Wie gelingt uns ein gerechtes und ressourcenschonendes Handeln? Die Kirchen laden in der Fastenzeit ein, sich der christlichen Tradition des Ver- zichts zu besinnen – nicht mit hängenden Schultern und zusammengebissenen Zähnen – sondern nach dem biblischen Leitsatz „So viel du brauchst“ (2. Mose 16,18). Alles was du brauchst ist da, mehr braucht‘s nicht. Die Fastenzeit lädt ein, Gewohnheiten zu hinterfragen, achtsam mit uns und un- serem Umfeld umzugehen, alltägliche Dinge anders zu machen. Klimafasten heißt, mit kleinen Schritten einen Anfang für mehr Klimagerechtigkeit zu wagen – für jede und jeden ist etwas dabei! Wir laden Sie herzlich dazu ein, sich von der Aktion inspirieren zu lassen und Fas- tenideen auszuprobieren – mehr dazu auf der Homepage der Kirchengemeinde „deizisau-evanglisch.de“ und jede Woche im bürgerlichen Gemeindeblatt. Johannes Kress 18
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die Elfchen von Dörte Happ, 2021 barmherzigkeit ist der göttliche umgang mit dem universum im alltag
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