Über den Tellerrand - Die Berliner Symphoniker eröffnen ihre Saison 2018/2019 mit neuem musikalischem Profil - Kulturexpresso
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Über den Tellerrand – Die Berliner Symphoniker eröffnen ihre Saison 2018/2019 mit neuem musikalischem Profil Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Seit der Berliner Senat unter Federführung von Thomas Flierl (PDS) 2004 den Berliner Symphonikern die Zuschüsse gestrichen hat, haben viele sie totgesagt oder totgeglaubt. Doch der Regierende Bürgermeister Michael Müller zählt sie noch immer zu den acht subventionierten Berliner Orchestern, faktisch durch einen Erinnerungsposten im Haushalt. Unbestreitbar hatten und haben die Berliner Symphoniker einen unentbehrlichen Platz unter den Berliner Orchestern. Von Anfang an zielten sie darauf ab, durch populäre Programme und günstige Eintrittspreise einkommensschwachen Bevölkerungsschichten einen Konzertbesuch zu ermöglichen. Mit ihren Nachmittagskonzerten bieten sie Berlin-Besuchern ein Konzerterlebnis an, doch auch Kindern und Jugendlichen sowie Rentnern und Bewohnern des Umlands von Berlin. Für die neue Saison 2018/2019 entwickelte der Chefdirigent Lior Shambadal ein neues musikalisches Profil. »Bei uns soll man etwas hören, was man nur bei uns zu hören bekommt», sagt Shambadal. Zum Beispiel können das unvollendete Werke Wolfgang Amadeus Mozarts sein wie »Die Gans von Kairo», die Shambadal und das Orchester jüngst auf bezaubernde Weise mit Studenten
der Universität der Künste aufführten. Oder unbekannte Werke von jüdischen Komponisten, oder Musik von Komponisten aus der DDR und der Sowjetunion, deren Werke nach dem Untergang beider Staaten nicht weiter gepflegt wurden und im Westen weitgehend unbekannt sind. Mehr noch, das Schaffen der DDR-Komponisten wird von den renommierten Orchestern fast völlig ausgeblendet, sowohl im Konzertsaal als auch auf der Opernbühne. Lior Shambadal und sein Orchester blicken mit ihrem Programm weit über den Tellerrand hinaus, der im »vereinten» Deutschland keiner mehr sein dürfte, aber Realität ist. Sein Konzept hat Shambadal dem Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) vorgelegt, der dem Plan Geschmack abgewinnen konnte, wenn auch noch ohne die Konsequenz, das Orchester erneut institutionell im Landeshaushalt zu fördern. Eine Projektförderung dürfen sie beantragen, bei Bedürftigen bekannt als Sisyphusarbeit ohne Garantie auf Erfolg. Am kommenden Sonntag beginnen die Musiker in der Philharmonie ihre Abonnementskonzerte mit Werken von Meistern, die von den Nazis verfemt worden waren. Die Märchenouvertüre »Peter Pan» entreißt ein Werk Ernst Tochs der Vergessenheit. Ein Kleinod ist das Violinkonzert Erich Jacques Wolffs, ein Klangerlebnis die Reformationssymphonie Felix Mendelssohns-Bartholdys. Am 28. Oktober folgt im Konzerthaus ein Sonderkonzert mit Werken von Komponisten aus Ost und West. Besonders spannend zu hören wird die Vertonung des Kommunistischen Manifests durch den deutschböhmischen jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff sein, der als Sowjetbürger 1942 in einem deutschen Internierungslager starb. Die Paganini-Variationen von Boris Blacher sind ein Kleinod ebenso wie »Sakuntala, eine indische Legende für Violine und Orchester» von Wolfgang-Andreas Schultz. Beide Werke werden von Maximilian Simon gespielt. Von Kurt Schwaen, einem Meister des Neoklassizismus aus der DDR, erklingen Variationen über ein niederländisches Volkslied. »Ohrwürmer» bringt die Suite »Die Legende von Paul und Paula» des DDR-Filmkomponisten Peter Gotthardt.
Im April 2019 steht auf dem Plan ein Konzert unter Lior Shambadal mit einer »Studie für Streichorchester» von Pavel Haas, der 1944 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde. Von Gottfried von Einem stammt der »Bruckner-Dialog». Zwei Schöpfungen von DDR-Komponisten folgen: Günter Kochan verknüpft in »Variationen für Klavier und Orchester» Elemente des musikalischen sozialistischen Realismus mit jenen der Avantgarde. Ein »Paukenschlag» wird die Uraufführung des Schlagzeugkonzerts von Ruth Zechlin werden. Konzerte: Sonntag, 21. Oktober 2018, 16 Uhr, Philharmonie, und Sonntag, 28. Oktober 2018, 11 Uhr, Konzerthaus Berlin Weltnetz: www.berliner-symphoniker.de Eine Biographie über Vicco von Bülow oder Lobenbrett über Loriot Berlin, Deutschland (Kulturepxresso). Das etwas über 200 Seiten dicke und ungefähr im A5-Format gehaltene Buch trägt als Biographie zwar den Titel Loriot, doch gemeint ist Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von Bülow, den viele unter diesem, seinem Künstlernamen kennen. Dass wir dem „Meiste des feinsinnigen Humors“ Cartoons, Fernsehsketche, Bücher und Filme verdanken, das ist wohl war,
aber auch Kritik. In jedem Werk von Loriot steckte immer auch Analyse und Kritik, die allerdings feinfühlig und durchdacht vorgetragen und immer auch unter dem Mantel des Humors versteckt wurde, der sich einerseits hinter Höflichkeit verbarg und andererseits mit ihr drehte. Mit Scherzkeksen wie Otto Waalkes und Komikern wie Harald Schmidt und Witzbolden wie Mario Barth hat das nichts zu tun. Von Bülow wusste mit Worten, die sein Handwerkszeug waren, umzugehen und situationsgerecht einzusetzen. Ein „Ach“ oder „Aha!“ an der richtigen Stelle reichte. Als Parodist entlarvte er die einen und als Ratgeber half er den anderen und nebenbei hob er die Komik auf die Höhe großer Schriftsteller. Vicco von Bülow, der 1923 in Brandenburg an der Havel geboren wurde und 2011 in Ammerland am Starnberger See in Oberbayern starb, spielte Musik und Theater, drehte fürs Fernsehen und Kino, war vor und hinter der Kamera, schrieb Drehbuch und führte Regie, er war zudem Bühnen- und Kostümbildner, zum Schluss sogar Honorarprofessor für Theaterkunst in Berlin. Er war künstlerisch vielseitig und sein Repertoire war reichhaltig. Darüber berichtet Dieter Lobenbrett, aber vor allem auch über seine Kindheit und frühe Jugend, seine Familie. Nachdem die Herkunft geklärt ist, wird sein Werdegang im Adenauer- Deutschland der Nachkriegszeit skizziert und seine Karriere zum erfolgreichsten Humoristen unserer Zeit. Unerbittlich beobachtete er jedes Detail unserer Marotten und hielt uns wie kein anderer den Spiegel vor – worüber wir uns köstlich amüsiert haben. Trotz seines Erfolgs ist er immer bescheiden geblieben, verpflichtet nur der Kunst und dem, was er sich selbst als Maßstab vorgegeben hat. Das Buch geht dem Phänomen Loriot auf den Grund und ist ein unverzichtbares Werk für alle Fans und Anhänger des intelligenten Humors. Die im Münchner Riva-Verlag kurz nach von Bülows Tod erschienene Biografie musste Mitte Januar 2013 aufgrund von
Urheberrechtsverstößen vom Markt genommen werden, weil seine Tochter Susanne von Bülow vor dem Landgericht Braunschweig dagegen geklagt hatte und Recht bekam, dass das Buch zu viele Zitate ihres Vaters enthalte. Die Klägerin erzielte einen Teilerfolg. Das Recht zum Zitieren hat ein Autor nur dann, wenn er sich mit dem Zitat auseinandersetzt, nicht aber um sein eigenes Buch mit den Gedanken eines anderen, „weil es so schön geschrieben ist“, wie der Vorsitzende Richter Jochen Meyer meinte, zu schmücken. Der Verlag erklärte, das Buch in veränderter Form auflegen zu wollen. Im Verlag wurde schon an einer geänderten Ausgabe gearbeitet, die noch 2013 kam. Biliographische Angaben Dieter Lobenbrett, Loriot-Biographie, 208 Seiten, Softcover, Gewicht: 282 g. Verlag: Riva, 1. Auflage, München, Oktober 2018, ISBN: 978-3-7423-0733-0, Preis: 7,99 EUR (D) Carmen auf kubanisch. Erst Bizet, dann Hammerstein, jetzt Carmen La Cubana:
Premiere in Berlin Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Carmen kennt jeder, Carmen La Cubana ist neu. 1875 bezog Bizet Stellung und schuf die meistgespielte Oper der Welt. Möglich wurde das, weil Prosper Merimée 1845 die Figur „Carmen“ erschuf. Das Buch ist ein Bestseller; die Oper noch erfolgreicher als das Buch. Jeder kennt die Melodien wahrscheinlich bereits aus der Kindheit, und sei es mit verballhorntem Text. Carmen La Cubana – das erste Musical aus Kuba „Mit Carmen la Cubana kommt 2018 das erste Musical aus Kuba nach Deutschland, England, in die Schweiz und nach Asien“, besagt die Pressemitteilung vom 25. September diesen Jahres. Veranstalter BB-Promotion kann Kuba, das wissen wir spätestens seit der begeisternden Tanzveranstaltung „Ballet revolucion“ zur Jahreswende. Sowohl unter den Events im Admiralspalast als auch unter den Ballett- und Tanzaufführungen ein herausragendes Ereignis, das lange in Erinnerung bleibt. Zu bereuen bleibt nur, dass man nicht zweimal die Gelegenheit ergriff, das farbenfrohe, bewegte Feuerwerk zu genießen. Eine sensationelle Augenweide! Das kubanische ,Ballet Revolución‘ macht aus modernem Tanz, Ballett und Street Dance einen bildschönen, bewegten Mehrwert Diesmal sind Tänzer und Sänger vom Golf von Mexiko zu uns gekommen, wo Sonne, Klima und Völkermischmasch den einzigartigen Zauber Kubas begünstigte. Die Rhythmen, die nicht zuletzt 1999 durch den Dokumentar-Film „Buenavista Social Club“ von Wim Wenders auch wieder ins europäische Bewusstsein gekommen sind, ließen die Kubaner den Sozialismus und den damit verbundenen jahrzehntelangen Mangel überleben
und aushalten. Im Fokus war der Kulturverein „Club Social“ des Stadtviertels Buena Vista der Hauptstadt Havanna. Einst von der Sowjetunion unterstützt und im Auge des Sturms, als die Welt unter Kennedy und Chrustschow so nah am atomaren Abgrund stand wie noch nie, blieb die Zuckerrohrinsel jahrzehntelang isoliert und vom Welthandel weitestgehend ausgeschlossen. Bescheidenen Tourismus gab es auf der karibischen Großinsel, die anderes bietet als das benachbarte Jamaica. Doch Cuba, wie sich Land und Insel auf spanisch und englisch schreiben, ist mehr als ein Riesenfreilichtmuseum US- amerikanischer Autos aus den 50er Jahren, die immer wieder repariert werden mussten. Kuba bietet mehr und kann noch überraschen. Irgendwo zwischen den Lähmungen lauerte die Ewigkeitskraft der Musik. Einer wiedererkennbaren Musik. Diese mit „Westlichem“ zu kombinieren (tatsächlich liegen Frankreich und Europa östlich von hier über den Atlantik), hat seinen ganz eigenen Reiz. Der Pressetext weiß über das neue Musical: „Es ist die atemberaubende Neuinterpretation des legendären Carmen-Stoffs und der vertrauten Melodien Georges Bizets.“ Die Macher von Carmen La Cubana „Der international anerkannte Opern- und Musical-Regisseur Christopher Renshaw (u.a. The King and I, AIDA am Sydney Opera House) sowie der Grammy- und Tony-Award ausgezeichnete Arrangeur Alex Lacamoire (u.a. Hamilton, The Greatest Showman) verlegen die Handlung nach Kuba am Vorabend der Revolution.“ „Opulente, farbenprächtige Tableaus und dichte Szenen führen von einer Zigarrenfabrik im ländlichen Südosten der Insel in das lebendige Treiben der Bars und Clubs Havannas.“ Ausgerechnet die Schicksalszeit Kubas wird ausgewählt. Sowohl Stadt und Land bieten den Hintergrund des von Carmen La
Cubana. Das Bühnenbild spiegelt die Karibikinsel mit seinem Flair wunderbar wider. Dass Kuba nicht nur aus der Hauptstadt besteht, nach der die Havanna-Zigarre benannt ist, sondern auch aus dem großen Land, deren Landwirtschaft den Tabak dazu, Zuckerrohr und vieles mehr hervorbringt, wird dadurch nebenbei ins Gedächtnis gerufen, was sehr angenehm ist. Santiago de Cuba, nicht zu verwechseln mit Santiago de Chile, und Santa Clara, in der die Waffen sprachen und in der Revolution alles klar machten, gibt es eben auch in diesem riesigen Land. Die Insel erstreckt sich vom Atlantik im Osten bis zum Golf von Mexiko im Westen. Die DDR war kleiner als es Kuba ist. Weiter zum Musical Carmen la Cubana: „Eine 14-köpfige Latin- Big-Band gibt dieser ‚Carmen‘ musikalisch ihre einzigartige kubanische Note. In drei Jahren Entwicklungszeit entstand ein Stück Musiktheater, das mit karibischen Rhythmen, leidenschaftlichem Gesang und temperamentvollem Tanz auf künstlerisch höchstem Niveau überzeugt.“ Das können wir bestätigen. Besonders die Szenen mit viel Volk, die lebendiger noch sind als bei Anatevka mit großem Ensemble, würde man gern mehr sehen. Aus heutiger Sicht ein Anachronismus die Liebesschwüre der sitzengelassenen Verlobten, die erst einen Brief der Mutter bringt und später mit dem Hinweis auf ihre Krankheit José überredet, mitzukommen. Dabei ist die hübsche, jedoch nicht aufgedonnerte Marilú mit einer weißen Bluse gekleidet. Noch mehr Unschuld geht nicht. Carmen und Romeos Julia
Alle applaudieren Carmen (Luna Manzanares). Im Berliner Admiralspalast. © Foto/BU : Andreas Hagemoser, 2018 Doch wir wissen, wie es mit der „rassigen“, wunderschönen Carmen ausgeht. Sie überlebt nicht. Auch kann José sie nicht vergessen, kehrt zu ihr zurück und wird von Eifersucht zerfressen und überwältigt. Er tötet er sie, dann sich selbst. Carmen hatte sich einem berühmten Boxer zugewendet.Die Figur des El Nino, der am Ende gegen seinen sportlichen Konkurrenten Kid Cowboy in den Ring steigt, ist ein schöner Seitenverweis des Musicals. Gerade Ringer und Boxer konnten sich auf den Weltsportbühnen wie WM und Olympischen Spielen immer wieder beweisen und Bronze, Silber und Gold holen. Unangenehm die Einsprengsel englischer Wörter und Ausdrücke, die die Atmosphäre von 1958/59 kaputtmachen. Bei „Asta-la-vista, Baby“ denkt jeder an Arnold Schwarzenegger in „Terminator“ – und nicht an Kuba. Insgesamt tut das dem Ganzen jedoch keinen Abbruch und man kann sich an den wirbelnden Großszenen nicht sattsehen und - hören. Carmen La Cubana ist nicht die erste
Weiterentwicklung von Bizet 1943 eroberte Oscar Hammersteins Carmen Jones als Afroamerikanerin den Broadway. Wer weiß, ob die Figur noch bis Tahiti vordringt. Die Weltmusicalgeschichte ist nicht zu Ende. Premiere von Carmen La Cubana Der Tag der deutschen Einheit hinterließ Spuren. Nicht nur durch den teils böigen Wind und örtlichem Sturm. Der Feiertag hat vieles durcheinandergebracht. So findet die Premiere am Tag nach dem Feiertag der Wiedervereinigung statt, einen Steinwurf vom Tränenpalast am S- und Fernbahnhof Friedrichstraße entfernt. Am 2. Oktober gab es bereits eine Preview, sozusagen eine zweite Generalprobe. Im Vorpremierenpublikum viele Damen spanisch chic in schwarz und dunkelrot gekleidet – das Publikum geht mit, der Saal ist schon vor der Premiere voll. Nach der Weltpremiere und einer erfolgreichen Saison 2016 am Pariser Théâtre du Châtelet ist Carmen la Cubana erstmals vom 2.10. (Previews; Premiere am 4.10.) bis 14.10.2018 im Admiralspalast in Berlin zu erleben. Premiere von Carmen La Cubana am Donnerstag, den 4. Oktober 2018 um 19.30 Uhr im Admiralspalast, Friedrichstraße 101, 10117 Berlin. Eintrittspreis ab 26,- 50% Ermäßigung für Jugendliche bis einschließlich 14 Jahre Carmen La Cubana – bis Sonntag 14.10.2018 im Berliner Admiralspalast Hauptdarstellerinnen: Luna Manzanares (Carmen) und Albita Rodríguez (La Señora) Co-Arrangeur: Edgar Vero Musical-Director: Hector Martignon
Die Gastronomie des Admiralspalasts bietet während der Pausen und vor den Aufführungen von Carmen La Cubana für 7,50 Euro einen alkoholischen Cocktail an: Cuba Libre. www.carmen-la-cubana.de Charles Aznavour mit dem Klassiker „Hier encore“ Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der armenisch- französischer Chansonnier, Liedtexter, Komponist und Filmschauspieler, der auf den Namen Charles Aznavour hörte, sang auch „Hier encore“. Dieser Klassiker stammt aus dem Jahr 1964 nach unserer Zeitrechnung und der ständige Vertreter Armeniens bei den Vereinten Nationen in Genf blickt darin aufs Leben zurück. Gerade noch sei der 1924 in Paris geborene Zwanzig gewesen, habe die Zeit mit lauter selbstsüchtigen Dingen verplempert, nun seien die Jahre dahin. Die Aznavoursche Ballade wurde oft kopiert, selten erreichte einer annähernd das Original. Roy Clark hatte mit der englischsprachigen Version „Yesterday When I Was Young“ jedoch riesigen Erfolg, zumindest in der Hitparade der Vereinigten Staaten von Amerika.
KULTUREXPRESSO präsentiert das Original! The Jooles eröffnen EMOP. Musik zu Beginn der Opening Days des Europäischen Photographiemonats 2018 Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Ein Staatsbesuch beherrschte fast den ganzen Freitag. Am 28. September reiste Präsident Erdogan vom Bosporus an. Dazu viele Demonstranten, einige dafür, viele dagegen. Abends gab es am Flughafen Tegel fast keine Mietwagen mehr. Bei Europcar und Buchbinder überhaupt keinen einzigen. Was die Demonstranten übrig gelassen hatten, brauchten Reisende, die am Boden blieben. Ryanair-Streik. Außerdem fielen zwei German-Wings-Flüge aus an den Niederrhein und nach Stuttgart. Viele brachen in Fahrgemeinschaften noch in der Nacht nach Baden-Württemberg auf. Mit etwas Glück erreichten sie zu Sonnenaufgang ihr Ziel. 7 Stunden ist man auf vier Rädern von TXL in die südwestliche Landeshauptstadt bestimmt unterwegs. Am Abend dürfen endlich alle feiern, der EMOP (European Month of Photography) wird eröffnet. Gegen 21 Uhr treten The Jooles auf, ab 22 Uhr gib es einen DJ vor Kino und Ausstellung.
Feiern mit THE JOOLES Nach 21 Uhr ist das Amerikahaus brechend voll, hier residiert seit noch nicht zu langer Zeit das c/o Berlin. Vor dem Haus, zum Parkhaus hin, steht eine Freilichtbühne, als ob die Veranstalter gewusst hätten, dass es trocken bleibt. Dr. Klaus Lederer (Linke), der als für Kultur Zuständiger schon so manches Filmfestival eröffnen durfte, spricht ein paar Worte. Anschließend gibt es Musik im Rahmen eines Bühnenprogramms. Besonders gute Laune erzeugt The Jooles. Die Band ist paritätisch besetzt – genderbezogen. Links auf dem Photo Alexander Dommisch, Musiker und Label-Manager. Rot-lila beleuchtet die Leadsängerin, rechts daneben ihre Kollegin mit dem Saiteninstrument. Dazwischen im Dunkel versteckt der Schlagzeuger. Die Band The Jooles (www.THEJOOLES.com) hat kürzlich ihre erste Platte herausgebracht. Moving Memories erschien auf CD und – auf Vinyl! Immer faszinierend die Enge und Gleichzeitigkeit des Geschehens, die es wohl sonst so nur in Indien gibt. Am Bahnhof der Christiane F. und der Stadtmission aus „Auf der Straße“ die Jebensstraße mit einem weiteren Photo-Museum. Daneben das Gericht mit seinen historischen Ausstellungen. Auf der Südseite der Hardenbergstraße das auf dem Photo abgebildete Geschehen. Der Mittelstreifen – Baustelle. Zeitverlust durch hauptstadtbedingte Aufgaben Mit grüner Fahne: Polizeigesicherte
Fahrzeugkolonne am Kurfürstendamm. Am Mittag des 28. September 2018. © Foto/BU : Andreas Hagemoser, 2018 Dass das Land Berlin, das unter einer zig-milliarden-Euro- schweren Schuldenlast ächzt, vom Bund hauptstadtbedingte Kosten verrechnen darf, mag dem Finanzsenator helfen. Wieviele Stunden der arbeitende (und natürlich auch der arbeitslose) Berliner allerdings verliert und wieviel das kostet, interessiert niemanden. Kurz vor zwei am Nachmittag rauscht fast lautlos eine lange polizeibegleitete Wagenkolonne den Ku‘damm entlang Richtung Innenstadt. Wesentlich mehr Probleme entstehen durch Demonstrationen, die den Bus M29 aufhalten. Wer gegen 17 Uhr am Landwehrkanal entlang zur CDU-Zentrale im Diplomatenviertel oder über den Kurfürstendamm Richtung Grunewald möchte, hat das Nachsehen. Warum auch die S-Bahnen staatsbesuchsbedingt ausfallen, ist dagegen nicht einsichtig. Gegen 15 Uhr findet in einem der Gebäude auf dem Titelphoto ein Pressetermin statt. Ihn über Westkreuz pünktlich zu erreichen ist unmöglich. Ein Zug nach Erkner, der angeblich drei Minuten später fahren sollte, wurde ersatzlos gestrichen. Der nächste Zug Richtung Osten soll erst in 10 Minuten (!) folgen. Im Berufsverkehr bei der Größe Berlins viel zu viel. Gerade erst hat der Senat eine Rekordmillionensumme der S-Bahn gestrichen wegen Unpünktlichkeit Ein ganz normaler Freitag in Berlin. Vergangene EMOP-Aktivitäten in Berlin: Kieke mal Kike Arnal! Die unglaublichen „Voladores“-Flieger aus Mexiko in einer Fotoschau von Ximena de la Macorra oder: Wie Tugend und Kultur Frieden erhalten
Dagmar Gester und Gäste in der Ausstellung „Fluchtgepäck“ (EMOP 2016): Was bleibt. Photographin Dagmar Gester ist in ihrer EMOP- Ausstellung „Fluchtgepäck“ zu sprechen Photoausstellung jenseits des EMOP mit Sabine Mittermeier: Bäume Schwarzweiß. Sabine Mittermeier, Laure Catugier und Tim van den Oudenhoven are „Undrawing the Horizon“ in HB55 Räume der Kunst Realismus im Theater oder Reden über ungeschminkte Wahrheiten auf dem Boden der Bühnen Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In Berlin wird gleich an zwei Tagen über Realismus im Theater gesprochen. Die ungeschminkte Wahrheit auf den Boden der Bretter, die für manche die Welt bedeuten, zu bringen und also den Begriff in Übereinstimmung mit seinem Gegenstand, braucht einen
Standpunkt, am besten einen Gegenstandpunkt in einer Welt der Ware und des Spektakels. Dafür dürfte das Theater als Spielwiese der Berliner Republik nicht der rechte Ort sein und wenn er es ist, dann als Bahnhofsmission für Berufsbedienstete in eigener Sache, aber lassen wir das Meckern und melden zwei Veranstaltungen, geben Hinweise zu Diskussionen, die vermutlich als Spektakel und also Unterhaltung veranstaltet werden, was zu vermuten steht, denn der Ort, an dem diskutiert werden soll, ist unter anderem der Rote Salon der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz. Und es sollen mit Ulrike Krumbiegel, Wolfram Lotz, Armin Petras und Bernd Stegemann gleich vier verschiedene Personen über Realismus im Theater diskutieren. Das ist mit Moderator Jakob Hayner am Freitag, den 9. November 2018, ab 19 Uhr, allerhand und also absurd, aber so ist das, wenn Bühnen nur noch den Boulevard und die Bourgeoisie sowie Proletarier bedienen, die sich als Kleinbürger kleider und leiden, und diejenigen, die sich dazu als Alternative verstehen, aber das Abspülbecken einer Gesellschaft, in der sie stecken, nicht erklären können, und als ein beiläufiger wie belangloser Ort konfligierender Interessen bloß Aftergang politischer Korrektheit betreiben. Dazu heißt es in einer Presse- und Veranstaltungsmitteilung des Eulenspiegel-Verlages vom 27.9.2018: „Eine der wichtigsten Debatten in den Künsten ist die über einen neuen Realismus. Im Theater ist sie dem Unbehagen an der postdramatischen Ästhetik entsprungen. Formlosigkeit bedroht Kunst als Medium kritischer Reflexion. Dagegen opponiert Realismus, der mehr meint als die einfache Widerspiegelung der Realität oder deren unmittelbare Präsenz im Theaterraum. Ist Realismus möglicherweise das, was den späten Brecht interessierte: Dialektik auf der Bühne? Darüber diskutieren Menschen aus dem Theater, die in den Bereichen Dramatik, Schauspiel, Regie und Dramaturgie arbeiten. Wie funktioniert ein Text auf der Bühne? Was macht eigentlich ein Schauspieler – und wie ist dessen Verhältnis
zum Text? Wie befördert die Regie Text und Schauspiel durch das Einrichten einer Szene? Und wie blickt die Dramaturgie auf die dramatische Situation? Und zuletzt: Wie steht das so entstandene Bühnenwerk zur gesellschaftlichen Wirklichkeit?“ Ja, wie, wenn nicht in Widerspruch zu Wahrheit und Klarheit? Zum Thema passt auch die einen Tag später, nämlich am Samstag, den 10. November 2018, ab 10 Uhr im Magnus-Haus Berlin Am Kupfergraben 7, 10117 Berlin stattfindende „Elfte wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft“ unter dem Motto „Mensch sein ist Ursach sein – Realismus auf dem Theater“ zu der es in derselben Pressemitteilung heißt: „In acht Beiträgen werden zentrale Begriffe der Ästhetik von Peter Hacks (Realismus und Dramaturgie) geklärt und damit an Debatten der vergangenen Jahren, die zur Krise des postdramatischen Theaters und zur Wiederbelebung des Realismus geführt wurden. Geprüft wird, in welche Traditionslinien sich Hacks stellt und welche er ablehnt, wie sich Hacks’ Begriff des Realismus auf die gegenwärtige Diskussion beziehen lässt und wie sich derzeitige dramaturgische Ansätze, Realität auf der Theaterbühne zu repräsentieren, aus diesem Blickwinkel ausnehmen.“
Es ist wieder da! Das Rad auf zwei Beinen steht wieder vor der Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Seit dem 24. September 2018 steht es wieder da, das Rad auf zwei Beinen oder Räuberrad. Frank Castorf, der von 1992 bis Sommer 2017 die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz prägte, ist jetzt der unsichtbare Dritte, der Verschwundene. 25 Jahre sind eine lange Zeit, ein Vierteljahrhundert. Das laufende Rad, im Gegensatz zum fliegenden, das die Eisenbahn symbolisiert, fasste die Zeit zusammen und brachte sie auf den Punkt. Zierte die TheaterFlyer. Bert Neumann erfand das Rad neu: Das Rad auf zwei Beinen Bert Neumann hatte das Speichenrad auf Beinen, das auf großen Füßen lebt, 1990 entworfen, im Jahr der Wiedervereinigung. Am 1. Juli wurde die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel auch in Ost- und Mitteldeutschland eingeführt einschließlich Ost- Berlins, wo in Mitte, dem Bezirk Nummer 1 in der Zählung von 1920, dem Gründungsjahr Groß-Berlins, die Volksbühne steht. Am 3. Oktober wurde die Vereinigung, für manche die „Wiedervereinigung“, vollzogen durch Beitritt von fünf Bundesländern als Verwaltungsakt. 2018 wird der 28. Geburtstag mit einem Riesenfest begangen. Der 3.10.2018 ist ein Mittwoch. Seit Montag, dem 24.9.2018 steht das Räuberrad wieder da, als wäre nichts gewesen. Abschied und Entfernung dagegen ließen die Wogen hochschlagen. Manche meinte sogar, es sei Castorfs Rad oder er habe es geraubt. Oder nachdem Castorf Berlin beraubt wurde, wäre das Rad gleich mitgegangen.
Oder jemand hätte das Rad mitgehen lassen, irgendeine dunkle demokratische Institution. Nichts dergleichen. Die, die wenig wissen, spekulieren viel, urteilen schnell. Der Bildhauer Rainer Haußmann baute das Rad auf zwei Beinen Die Faktenlage ist natürlich anders, selten stimmen Legenden zu 100%. Die Senatskulturverwaltung hatte verlautbaren lassen, dass das „Rad, das der Schweizer Bildhauer Rainer Haußmann nach den Plänen Bert Neumanns gebaut hatte“, restauriert an den Rosa-Luxemburg-Platz zurückkehre. An der „Optik“ habe sich „nichts verändert“. „Nur die Statik wurde angepasst und die Füße erneuert.“ Wir übersehen jetzt einmal die Widersprüche der Mitteilung und erinnern uns ans Prinzip, an den Anfang. Bert Neumann hatte das recht einfache Rad mit sechs Speichen, das Rad auf zwei Beinen, 1990 für die Inszenierung der „Räuber“ durch Frank Castorf entworfen. Deswegen „Räuber“-Rad oder Räuberrad. Honi soit qui mal y pense, wer waren die Räuber? Die Politiker, die den später ehemaligen DDR-Bürgern die D-Mark schenkten, taten dies auf Kosten der westdeutschen Steuerzahler der Bundesrepublik. Trotz des Geschenks wurde vielen DDR-Bürgern am 3. Oktober ihre alte Identität geraubt. Für manche war das zuviel. Wer sind die Räuber? Ob alle, die in den 90ern auf Brandenburgs vielen schönen Alleen in den Tod fuhren, wirklich nur die Motoren der Westautos von Volkswagen, Audi und BMW nicht beherrschten? Auch im Zusammenhang mit der Treuhand denken viele an Raub und Räuber. Von verschiedenen Standpunkten aus. Am 1. April 1991 wurde die Treuhandanstalt ihres Präsidenten beraubt. Detlev Rohwedder wurde ermordet. Der oder die Täter sind bis heute unbekannt. US-amerikanische Investmentbanken waren nicht unglücklich über die Wirkung seines Todes. Bei der neuen Chefin ging alles viel schneller und Verkäufe waren mit
weniger verbindlichen Verantwortlichkeiten für ausländische Investoren verbunden. Ob Deutschland dabei seines östlichen Tafelsilbers beraubt wurde – zum Zeitpunkt der DM-Einführung am 1.7. 1990 waren 8500 Betriebe Volkseigentum und treuhänderisch verwaltet – oder nur viele Menschen ihrer Arbeit – mehr als 4 Millionen waren in den über 8000 VeBs tätig – ist wie so vieles Ansichtssache. Gras wächst über die Sache. So wie auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. „… die Menschen materiell und seelisch nicht unter die Räder kommen zu lassen.“ Detlev Rohwedder wurde am 10. April 1991 mit einem Staatsakt geehrt. Das ehemalige Reichsluftfahrtministerium Wilhelm- Ecke Leipziger Straße (jetzt Bundesfinanzministerium), in dem die Zentrale der Treuhandanstalt ihren Sitz hatte, wurde nach ihm benannt. Auch eine Straße in Duisburg, nicht weit vom Wohnort des gebürtigen Gothaers entfernt. Detlev Karsten Rohwedder wurde in seinem Düsseldorfer Haus erschossen. Durch das Fenster, aus über 60 Meter Entfernung. Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte über Rohwedders Wirken bei der Treuhand: „Kaum einer sah von Beginn an die Schwierigkeiten so deutlich wie Rohwedder. Ihm war das gewaltige Ausmaß der notwendigen Umstellungen mit ihrem Zeitbedarf und ihren tief einschneidenden sozialen Wirkungen vollkommen bewußt. Um so kraftvoller bemühte er sich darum, die Menschen materiell und seelisch nicht unter die Räder kommen zu lassen.“ Das eine Rad, für manche Symbol des rebellischen Theaters, das umso wichtiger wurde, wie die reiche Beschenkung der ehemaligen DDR-Bürger für viele in den Hintergrund rückte.
Der Streit ums Rad Auf- und abgebaut an einem Nachmittag: „Stärkung der Freiheit von Kunst und Kultur durch Eröffnung der Geistkonserve.“ © 2018, Foto/BU: Andreas Hagemoser In den Vordergrund geriet der Schmerz über Verlorenes, war dies nun gut oder schlecht gewesen. Als das Rad, das Lücken schloss, gar zum Symbol des Widerstands gerierte, selbst verschwinden wollte, gab es einen Aufstand. Eigentümer ist das Land Berlin. Frank Castorf wollte die Plastik partout zum Gastspiel beim Theaterfestival in Avignon mitnehmen und das passte nicht jedem. Nachfolger Chris Dercon war es egal, hatte es den Anschein gehabt. Lange blieb er nicht. Der Intendant schmiss im April das Handtuch, aktuell leitet Klaus Dörr das Haus kommissarisch. Dem Eigentümer Land Berlin hätte es nicht egal sein sollen. Doch gemeckert hatten Bert Neumanns Erben. Sie befürchteten einen Abriss gar und waren wohl auch deshalb mit dem Abbau nicht einverstanden. Was jetzt passiert ist, ist nichts anderes als das in einem Kompromiss vereinbarte. Abbau – Castorf durfte zum Amtszeitende das Rad nach Avignon mitnehmen – Transport, Sanierung in Berlin, Aufbau am alten Standort.
Gutes Rad teuer 22.000 Mark hatte das Rad auf zwei Beinen gekostet, gut 11.248 Euro. Die Restaurierung war teurer als die Anschaffung. Verlautbart wurde, dass für „die Restauration Kosten in Höhe von ca. 25.000 Euro entstanden, die die Kulturverwaltung trägt“. Mehr als das Doppelte. Ans Bein gepinkelt haben die Hunde dem Rad. Deshalb der Austausch der Füße. Rebellisches im Berliner Ensemble Wirklich Rebellisches findet zurzeit wohl andernorts statt. In der Berliner Theaterlandschaft zum Beispiel das Stück „Auf der Straße“ im Berliner Ensemble. Ausverkaufte Vorstellungen, bestes Theater, erschütterte Besucher, die verändert wieder aus dem Kleinen Haus herauskommen. Das nächste Mal am 27. und 28. Oktober. Waren das Neue, die Wirkung, nicht einmal der Maßstab? Veränderung – Change? Karen Breece trifft den Nagel auf den Kopf und spart nicht mit Kritik. Sie trifft ins Herz und jeden anders, persönlich. Das Rad der Geschichte dreht sich langsam. Langsam wie eine Laus. Es scheint, dass das schwere Rad weitergelaufen ist. Weit ist es noch nicht gekommen, gerade mal zum Bertolt-Brecht-Platz am Schiffbauerdamm. Hier scheint es mit seiner Energie eine Weile verweilen zu wollen. Jocelyn B. Smith und die Different Voices tragen dazu bei und wirken an Karen Breece‘ Stück mit. Das Rad der Geschichte dreht sich langsam. Langsam wie eine Laus. Am Rosa-Luxemburg-Platz steht nur noch das Symbol. Die Energie ist weg. Sie kann nicht verschwinden, das wissen wir. Der Energieerhaltungssatz. Wir erinnern uns.
Die Energie ist immer da, sie ist lediglich woanders Die Energie ist woanders, verwandelt vielleicht, aber sie ist immer da. Noch in Mitte, aber näher an der Friedrichstraße, näher an der Spree. Ein bisschen weiter westlich. Im Berliner Ensemble ist die Energie der Veränderung jetzt spürbar, „Auf der Straße.“ Im Theater. Jocelyn B. Smith mit Different Voices of Berlin im Brecht-Theater Berliner Ensemble Büchse auf! Aus der Dose Leben. Feuerstein öffnet Geistkonserve (vor Volksbühne) – für Stärkung der Freiheit von Kunst und Kultur Zeig Courage! Berlin feiert mit Live-Musik am Leopoldplatz Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Noch bis 22 Uhr wird auf dem Berliner Leopoldplatz unter dem Motto ZEIG COURAGE!
gefeiert. Gegen 19 oder 20 Uhr werden die Stände der vielen Projekte abgebaut, die sich hier vorstellten: Zum Beispiel NARUD e.v., Veranstalter unter anderem auch eines jährlichen interkulturellen Fußballturniers, und die Kinderkunstwerkstatt Seepferdchen aus der Brüsseler Straße. Zeig Courage – aber zeig dich Sonnenschein auf der Kirche am Leopoldplatz: Entspannte Stimmung auf dem Zeig- Courage-Fest. Auf der Bühne: KonstanThyme. © Foto/BU : Andreas Hagemoser, 2018 Ein Besucher mit einem Halskettchen mit einem Leuchter, den viele als jüdisch einordnen, beklagte sich über die geringe Werbung für das Festival. Spät und eher zufällig habe er von dem Fest erfahren und wünschte sich mehr Resonanz. Seiner meiner nach sei nicht genug auf das Festival Zeig Courage hingewiesen worden. Silke Fischbeck aus dem „Seepferdchen“ zeigte sich besser informiert und wusste, dass die Veranstaltung seit Wochen kommuniziert wurde. Der Aufforderung Zeig Courage! wären wohl noch mehr Menschen mit Mut gefolgt, wenn sie von dem gut erreichbaren Open-air- Event gewusst hätten. Zum Leopoldplatz in Wedding, jetzt ein nördlicher Teil von Berlin-Mitte, führen zwei U-Bahn- und
viele Buslinien, auch die Ring-S-Bahn und die in den Westen hineinfahrende Straßenbahn auf der Seestraße sind nicht weit weg. Zeig Courage macht Musik Feuerschale. Gemütliche Essenszubereitung auf dem „Zeig-Courage“-Fest am 19. September 2018 in Berlin. © Foto/BU : Andreas Hagemoser, 2018 Ein Bühnenprogramm, dass bis etwa halb sechs noch in der Sonne stattfand bei angenehm warmen Spätsommerwetter und eher hochsommerlichen 28-30 Grad, bildete die Klammer zu den vielen Einzelaktivitäten. Zwischen den Imperativen „Willkommenskultur aktiv leben!“ und Zeig Courage und dem englisch formulierten „I am Jonny“, das an „Je suis Charlie Hebdo“ erinnert immer wieder tolle Live-Auftritte im Halbstundentakt. Silke Fischbeck trat mit Gesang und Gitarre auf, mit und ohne Kinder aus dem „Seepferdchen“. Flora E. Bernhagen von der Flora-Medienwerkstatt Berlin und Ralf Neubauer von Get-up-Stand-up-TV treten auch mit der Wulaba-Band auf. Darauf wies auch der Moderator hin. Bei den Wulaba-Projekt, wo es um Freiheit geht, sind Flüchtlinge beteiligt. Unterstützt wird die im Dezember 2015 von Menschen aus aller Welt gegründete Gruppe unter anderem von dem Flora- MW-Verlag. Die Musik umfasst viele Stile, politische Lieder,
Reggae, Soul, aber auch traditionelle afrikanische Musik oder Hip-hop. Die engagierte Flora E. Bernhagen hat auch schon mehrere Bücher veröffentlicht: aktuell die „Denk-Welle“, davor „Mauer- Brüche“ und zuerst „Kleines Rotbuch“. Die Lyrikbände verbinden Politik und Weltgeschehen mit Autobiographischem. Flora hat viel erlebt. Ihre Gedichte erzählen auch davon. Bereits vor 18 Uhr auf der Bühne KonstanThyme, ein Straßenmusiker, den man außer auf der Straße im Weltnetz und auf CD finden kann. Der Titel der CD ein bisschen so, wie es atmosphärisch auf dem Platz vorgelebt wurde: „Paradies und Das“. Im Theater. Jocelyn B. Smith mit Different Voices of Berlin im Brecht-Theater Berliner Ensemble Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Eintritt ist frei zur Doppelveranstaltung am heutigen Freitag, den 14. September
2018 um 19 beziehungsweise 20.30 Uhr. Wohnungslosigkeit, Wohnen und Wohnungsbau stehen im Mittelpunkt eines Schwerpunktthemas, mit dem das Berliner Ensemble und seine künstlerische Leitung auf die Problematik hinweisen wollen und sie künstlerisch verarbeiten. Ganz im Sinne des Gründers (mit Helene Weigel) des traditionsreichen Theaters am Schiffbauerdamm direkt an der Spree wird die soziale – und persönliche, individuelle, gefühlsmäßige – Dimension von Mieterhöhungen, Wohnungsknappheit, Wohnungslosigkeit und ihren Vorstufen aufgezeigt und beleuchtet. Zum Themenfokus gehört auch das Theaterstück „Auf der Straße“ unter der Leitung Karen Breece‘, das am Donnerstag im Berliner Ensemble seine Uraufführung hatte. Das Stück, was ein halbes Dutzend Mal im September und jeweils Ende Oktober, November und Dezember auf dem Spielplan steht, feierte am Donnerstag eine fulminante Premiere. An der Diskussion, die im Kleinen Haus dem Konzert vorausgeht, nehmen u.a. ein Staatssekretär und die Regisseurin von „Auf der Straße“ teil. Jocelyn B. Smith mit Different Voices of Berlin im Brecht-Theater Berliner Ensemble „Different Voices of Berlin“ wirken auch in dem Stück mit. Aber am Freitag um halb neun werden im Berliner Ensemble jedoch nur Lieder gesungen und Musik gemacht. Theater wird am selben Ort gespielt, aber an anderen Tagen (15.9. 2018, 18.9., 20.9. und 25.9. unter anderem). Die „Different Voices of Berlin“ singen meist selbstkomponierte Songs. Auf deutsch und auf englisch. Leiterin Jocelyn B. Smith erhält 2018 das Bundesverdienstkreuz für ihre Arbeit in ebendiesem Chor. Die Straße hat immer Eintritt frei, bringt aber viele Probleme. Die durchschnittliche Lebenserwartung von
Wohnungslosen oder Obdachlosen beträgt 46,5 Jahre, sechsundvierzigeinhalb Jahre. Dreißig (!) weniger als der deutsche Durchschnitt! An diesem Freitag ist am Schiffbauerdamm einen Steinwurf von der Friedrichstraße und dem gleichnamigen U-, S- und Fernbahnhof – am Spreeufer gegenüber des Tränenpalastes – der Eintritt frei, um niemanden auszuschließen. Wegen des hohen Andrangs, der hohen Nachfrage, ist frühes Kommen von Vorteil, falls man eine Einlassgarantie haben möchte. Im Theater, nicht auf der Straße Um 19 Uhr und 20.30 Uhr ist im Kleinen Haus des Berliner Ensembles der Eintritt frei. Nicht auf der Straße, im Theater. „Your Passion is pure joy to me“ von Stijn Celis und „Half Life“ von Sharon Eyal und Gai Behar in der Komischen Oper
in Berlin Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Premierenabend wird mit dem Gastspiel „Your Passion is pure joy to me“ des belgischen, international führenden Choreographen Stijn Celis eröffnet, der Ballettdirektor am Saarländischen Staatstheater ist. Der Titel seiner Choreographie, die ihre Uraufführung 2009 in Göteborg hatte, bezieht sich auf einen Choral von J.S. Bach, wird jedoch von romantisch-dramatischen Liedern von „Nick Cave and The Bad Seeds“ untermalt, die sehr zu Herzen gehen. Seine Lieder kreisen um das Thema Gläubigkeit und wie man trotz quälender Erinnerungen überleben kann, ohne zu zerbrechen. Die Tänzer*innen des Staatsballetts Berlin, Jenna Fakhoury, Sarah Hees-Hochster, Ross Martinson, Johnny McMillan, Eoin Robinson, Lucio Vidal und Xenia Wiest, agieren auf nackter, schwarzer Theaterbühne. In legerer Alltagskleidung zeigen sie individuelle und eigenständige Ausdrucksformen in der Balance zwischen Leid und Trost, zwischen Schmerz und Heilung. Im Kontrast zu Caves Musik steht die Musik der Avantgardekünstler Pierre Boulez und Penderecki, die in der Mitte des Tanzwerks einen Kontrapunkt setzen mit kakophonischen Klangwelten. Am Ende versöhnt klanglich ein Klavierstück des kubanischen Jazzpianisten Gonzalo Rubalcaba – leichtfüßig und elegant von den TänzerInnen wiedergegeben – welch ein Hochgenuss. Das nach der Pause gezeigte Tanzstück „Half Live“ von Sharon Eyal und Gai Behar mit der Musik von Ori Lichtik sprengt alles bisher Gesehene an Ballettchoreographien! Uraufgeführt wurde es am 11.2.2017 vom Königlich Schwedischen Ballett Stockholm. Sharon Eyal, eine israelische Choreographin, ist eine der herausragenden „Player“ der zeitgenössischen Tanz-Szene. Ihre Kreation ist von der legendären Batsheva Dance Company geprägt. Von den Tänzer*innen des Staatsballetts Berlin Sarah Brodbeck, Filipa Cavaco, Weronika Frodyma, Gregor Glocke, Mari Kawanishi, Olaf Kollmannsperger, Konstantin Lorenz, Ross
Martinson, Johnny McMillan, Ilenia Montagnoli, Danielle Muir, Daniel Norgren-Jensen und Federico Spallitta wird in atemberaubender Art und Weise – atemberaubend auch für die Zuschauer – das Maximum an tänzerischem Können bis fast zur Erschöpfung abverlangt. Die sehr laute, wuchtige technobeat-artige Musik von Ori Lichtik wummert bis auf den Solarplexus und erzeugt mit ihrem Spannungsbogen einen magnetisierenden, hypnotisierenden, tranceähnlichen Zustand zu dem die Tanzer*innen in Nude-Look- Kostümen (hautfarbenen Höschen und Bustiers) wie Androiden oder Humanoiden-Roboter aus einem Science-Fiction-Film, von einem anderen Stern entsprungen die Erde erkundend, auf nackter Theaterbühne mit nebeligem Hintergrund stakkatoartig die meist immergleichen Bewegungen wie in Zeitlupe wiederholen. Assoziationen an „Wir sind die Roboter“ von „Kraftwerk“ kommen auf! Ihre Körper glänzen vom Schweiß während ihrer athletisch-ästhetischen Performance. Im Mittelpunkt stehen anfangs ein Mann und eine Frau – Adam und Eva? Sie wiederholen minutenlang zur Trancemusik die gleichen Bewegungen – die Trance überträgt sich auf die Zuschauer*innen. In Hintergrund, in extremem Zeitlupentempo kommt eine Gruppe herbei, die die beiden im Verlauf der Choreographie wie in Schwarmintelligenz umgibt mit diesen ständig roboterähnlichen Bewegungen, teilweise im Herzschlagrhythmus kollektiv zuckend, auseinanderstiebend, unterbrochen von Spitzentanz-Passagen comme d’habitude. Es wirkt, als ob das kollektive Unterbewußtsein Adam und Eva umtanzt. Mit amimischen Gesichtern, die Haare straff gebunden, schauen die Tänzer*innen teilweise fordernd und herausfordernd die Zuschauer*innen an, was beklemmend schön wirkt. Ein Schrei formiert sich auf dem Gesicht eines Tänzers – wie bei Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“. Arme ragen wogend aus der wabernden, zuckenden Masse, zeigen nach oben, weisen auf irgendwas (Bedrohliches?), drehen die Köpfe gleichzeitig (nach Was?) – die Musik wird fauchend wie ein abfahrender Zug – schlimme Assoziationen kommen auf! Ist es zu weit gegriffen,
an Traumaverarbeitung zu denken? Immerhin ist es ein israelisches Stück. Oder ist es das ewig menschliche Drama über den „Ernst des Seins“? In jedem Fall ist es ein Stück, dass zum tieferen Nachdenken anregt. Im Schlussbild ist wieder die Frau, Eva (?), das ewig Weibliche (?) das Zentrum, um das alles wie in Derwischtänzen kreist. Sie wiederholt die monotonen, rhythmisch-zierlichen Bewegungen der Anfangssequenz, während die Gruppe im Hintergrund zu immer ekstatisch werdender Musik ihren athletisch-ästhetischen Tanz in wildem Reigen durchführt und immer wieder dramatisch-ergreifend wirkende Gruppen bildet, die wie eine Metapher wirken für (?). Sie muten zum Beispiel an wie die altgriechische Skulptur „Laokoon-Gruppe“, die den Todeskampf Laokoons und seiner Söhne zeigt. Das Choreographie- Bild erinnert auch an Auguste Rodin’s Plastik „Die Bürger von Calais“, angesehene Bürger, die sich freiwillig opfern wollten, um mit ihrem Leben die Vernichtung der Stadt zu verhindern. Die Choreographie apelliert an Urinstinkte von Angst, Furcht, Gruppe, Individuum und Magie! Sie ist eine einzige Fragestellung an die Zuschauer*innen. Es ist eine unglaublich brilliante, mitreißende Präsentation tänzerischen und choreographischen Könnens voller Power und Dynamik! Es gab tosenden, frenetischen, nicht enden wollenden Schlussapplaus.
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