Über den Tellerrand - Die Berliner Symphoniker eröffnen ihre Saison 2018/2019 mit neuem musikalischem Profil - Kulturexpresso

Die Seite wird erstellt Wolf Schwarz
 
WEITER LESEN
Über den Tellerrand – Die
Berliner Symphoniker eröffnen
ihre Saison 2018/2019 mit
neuem musikalischem Profil
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Seit der Berliner Senat
unter Federführung von Thomas Flierl (PDS) 2004 den Berliner
Symphonikern die Zuschüsse gestrichen hat, haben viele sie
totgesagt oder totgeglaubt. Doch der Regierende Bürgermeister
Michael Müller zählt sie noch immer zu den acht
subventionierten Berliner Orchestern, faktisch durch einen
Erinnerungsposten im Haushalt. Unbestreitbar hatten und haben
die Berliner Symphoniker einen unentbehrlichen Platz unter den
Berliner Orchestern. Von Anfang an zielten sie darauf ab,
durch populäre Programme und günstige Eintrittspreise
einkommensschwachen Bevölkerungsschichten einen Konzertbesuch
zu ermöglichen. Mit ihren Nachmittagskonzerten bieten sie
Berlin-Besuchern ein Konzerterlebnis an, doch auch Kindern und
Jugendlichen sowie Rentnern und Bewohnern des Umlands von
Berlin.

Für die neue Saison 2018/2019 entwickelte der Chefdirigent
Lior Shambadal ein neues musikalisches Profil. »Bei uns soll
man etwas hören, was man nur bei uns zu hören bekommt», sagt
Shambadal. Zum Beispiel können das unvollendete Werke Wolfgang
Amadeus Mozarts sein wie »Die Gans von Kairo», die Shambadal
und das Orchester jüngst auf bezaubernde Weise mit Studenten
der Universität der Künste aufführten. Oder unbekannte Werke
von jüdischen Komponisten, oder Musik von Komponisten aus der
DDR und der Sowjetunion, deren Werke nach dem Untergang beider
Staaten nicht weiter gepflegt wurden und im Westen weitgehend
unbekannt sind. Mehr noch, das Schaffen der DDR-Komponisten
wird von den renommierten Orchestern fast völlig ausgeblendet,
sowohl im Konzertsaal als auch auf der Opernbühne.

Lior Shambadal und sein Orchester blicken mit ihrem Programm
weit über den Tellerrand hinaus, der im »vereinten»
Deutschland keiner mehr sein dürfte, aber Realität ist. Sein
Konzept hat Shambadal dem Kultursenator Klaus Lederer (Die
Linke) vorgelegt, der dem Plan Geschmack abgewinnen konnte,
wenn auch noch ohne die Konsequenz, das Orchester erneut
institutionell im Landeshaushalt zu fördern. Eine
Projektförderung dürfen sie beantragen, bei Bedürftigen
bekannt als Sisyphusarbeit ohne Garantie auf Erfolg.

Am kommenden Sonntag beginnen die Musiker in der Philharmonie
ihre Abonnementskonzerte mit Werken von Meistern, die von den
Nazis verfemt worden waren. Die Märchenouvertüre »Peter Pan»
entreißt ein Werk Ernst Tochs der Vergessenheit. Ein Kleinod
ist das Violinkonzert Erich Jacques Wolffs, ein Klangerlebnis
die Reformationssymphonie Felix Mendelssohns-Bartholdys. Am
28. Oktober folgt im Konzerthaus ein Sonderkonzert mit Werken
von Komponisten aus Ost und West. Besonders spannend zu hören
wird die Vertonung des Kommunistischen Manifests durch den
deutschböhmischen jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff sein,
der   als    Sowjetbürger     1942    in  einem    deutschen
Internierungslager starb. Die Paganini-Variationen von Boris
Blacher sind ein Kleinod ebenso wie »Sakuntala, eine indische
Legende für Violine und Orchester» von Wolfgang-Andreas
Schultz. Beide Werke werden von Maximilian Simon gespielt. Von
Kurt Schwaen, einem Meister des Neoklassizismus aus der DDR,
erklingen Variationen über ein niederländisches Volkslied.
»Ohrwürmer» bringt die Suite »Die Legende von Paul und Paula»
des DDR-Filmkomponisten Peter Gotthardt.
Im April 2019 steht auf dem Plan ein Konzert unter Lior
Shambadal mit einer »Studie für Streichorchester» von Pavel
Haas, der 1944 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde.
Von Gottfried von Einem stammt der »Bruckner-Dialog». Zwei
Schöpfungen von DDR-Komponisten folgen: Günter Kochan
verknüpft in »Variationen für Klavier und Orchester» Elemente
des musikalischen sozialistischen Realismus mit jenen der
Avantgarde. Ein »Paukenschlag» wird die Uraufführung des
Schlagzeugkonzerts von Ruth Zechlin werden.

Konzerte: Sonntag, 21. Oktober 2018, 16 Uhr, Philharmonie, und
Sonntag, 28. Oktober 2018, 11 Uhr, Konzerthaus Berlin
Weltnetz: www.berliner-symphoniker.de

Eine Biographie über Vicco
von Bülow oder Lobenbrett
über Loriot
Berlin, Deutschland (Kulturepxresso). Das etwas über 200
Seiten dicke und ungefähr im A5-Format gehaltene Buch trägt
als Biographie zwar den Titel Loriot, doch gemeint ist
Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von
Bülow, den viele unter diesem, seinem Künstlernamen kennen.

Dass wir dem „Meiste des feinsinnigen Humors“ Cartoons,
Fernsehsketche, Bücher und Filme verdanken, das ist wohl war,
aber auch Kritik. In jedem Werk von Loriot steckte immer auch
Analyse und Kritik, die allerdings feinfühlig und durchdacht
vorgetragen und immer auch unter dem Mantel des Humors
versteckt wurde, der sich einerseits hinter Höflichkeit
verbarg und andererseits mit ihr drehte. Mit Scherzkeksen wie
Otto Waalkes und Komikern wie Harald Schmidt und Witzbolden
wie Mario Barth hat das nichts zu tun.

Von Bülow wusste mit Worten, die sein Handwerkszeug waren,
umzugehen und situationsgerecht einzusetzen. Ein „Ach“ oder
„Aha!“ an der richtigen Stelle reichte. Als Parodist entlarvte
er die einen und als Ratgeber half er den anderen und nebenbei
hob er die Komik auf die Höhe großer Schriftsteller.

Vicco von Bülow, der 1923 in Brandenburg an der Havel geboren
wurde und 2011 in Ammerland am Starnberger See in Oberbayern
starb, spielte Musik und Theater, drehte fürs Fernsehen und
Kino, war vor und hinter der Kamera, schrieb Drehbuch und
führte Regie, er war zudem Bühnen- und Kostümbildner, zum
Schluss sogar Honorarprofessor für Theaterkunst in Berlin. Er
war künstlerisch vielseitig und sein Repertoire war
reichhaltig.

Darüber berichtet Dieter Lobenbrett, aber vor allem auch über
seine Kindheit und frühe Jugend, seine Familie. Nachdem die
Herkunft geklärt ist, wird sein Werdegang im Adenauer-
Deutschland der Nachkriegszeit skizziert und seine Karriere
zum erfolgreichsten Humoristen unserer Zeit. Unerbittlich
beobachtete er jedes Detail unserer Marotten und hielt uns wie
kein anderer den Spiegel vor – worüber wir uns köstlich
amüsiert haben. Trotz seines Erfolgs ist er immer bescheiden
geblieben, verpflichtet nur der Kunst und dem, was er sich
selbst als Maßstab vorgegeben hat. Das Buch geht dem Phänomen
Loriot auf den Grund und ist ein unverzichtbares Werk für alle
Fans und Anhänger des intelligenten Humors.

Die im Münchner Riva-Verlag kurz nach von Bülows Tod
erschienene Biografie musste Mitte Januar 2013 aufgrund von
Urheberrechtsverstößen vom Markt genommen werden, weil seine
Tochter Susanne von Bülow vor dem Landgericht Braunschweig
dagegen geklagt hatte und Recht bekam, dass das Buch zu viele
Zitate ihres Vaters enthalte. Die Klägerin erzielte einen
Teilerfolg. Das Recht zum Zitieren hat ein Autor nur dann,
wenn er sich mit dem Zitat auseinandersetzt, nicht aber um
sein eigenes Buch mit den Gedanken eines anderen, „weil es so
schön geschrieben ist“, wie der Vorsitzende Richter Jochen
Meyer meinte, zu schmücken.

Der Verlag erklärte, das Buch in veränderter Form auflegen zu
wollen. Im Verlag wurde schon an einer geänderten Ausgabe
gearbeitet, die noch 2013 kam.

Biliographische Angaben
Dieter Lobenbrett, Loriot-Biographie, 208 Seiten, Softcover,
Gewicht: 282 g. Verlag: Riva, 1. Auflage, München, Oktober
2018, ISBN: 978-3-7423-0733-0, Preis: 7,99 EUR (D)

Carmen auf kubanisch. Erst
Bizet,  dann  Hammerstein,
jetzt  Carmen  La  Cubana:
Premiere in Berlin
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Carmen kennt jeder,
Carmen La Cubana ist neu. 1875 bezog Bizet Stellung und schuf
die meistgespielte Oper der Welt. Möglich wurde das, weil
Prosper Merimée 1845 die Figur „Carmen“ erschuf. Das Buch ist
ein Bestseller; die Oper noch erfolgreicher als das Buch.
Jeder kennt die Melodien wahrscheinlich bereits aus der
Kindheit, und sei es mit verballhorntem Text.

Carmen La Cubana – das erste Musical aus
Kuba
„Mit Carmen la Cubana kommt 2018 das erste Musical aus Kuba
nach Deutschland, England, in die Schweiz und nach Asien“,
besagt die Pressemitteilung vom 25. September diesen Jahres.
Veranstalter BB-Promotion kann Kuba, das wissen wir spätestens
seit der begeisternden Tanzveranstaltung „Ballet revolucion“
zur Jahreswende. Sowohl unter den Events im Admiralspalast als
auch unter den Ballett- und Tanzaufführungen ein
herausragendes Ereignis, das lange in Erinnerung bleibt. Zu
bereuen bleibt nur, dass man nicht zweimal die Gelegenheit
ergriff, das farbenfrohe, bewegte Feuerwerk zu genießen.

 Eine sensationelle Augenweide! Das kubanische ,Ballet
 Revolución‘ macht aus modernem Tanz, Ballett und Street Dance
 einen bildschönen, bewegten Mehrwert

Diesmal sind Tänzer und Sänger vom Golf von Mexiko zu uns
gekommen, wo Sonne, Klima und Völkermischmasch den
einzigartigen Zauber Kubas begünstigte. Die Rhythmen, die
nicht zuletzt 1999 durch den Dokumentar-Film „Buenavista
Social Club“ von Wim Wenders auch wieder ins europäische
Bewusstsein gekommen sind, ließen die Kubaner den Sozialismus
und den damit verbundenen jahrzehntelangen Mangel überleben
und aushalten. Im Fokus war der Kulturverein „Club Social“ des
Stadtviertels Buena Vista der Hauptstadt Havanna. Einst von
der Sowjetunion unterstützt und im Auge des Sturms, als die
Welt unter Kennedy und Chrustschow so nah am atomaren Abgrund
stand wie noch nie, blieb die Zuckerrohrinsel jahrzehntelang
isoliert und vom Welthandel weitestgehend ausgeschlossen.
Bescheidenen Tourismus gab es auf der karibischen Großinsel,
die anderes bietet als das benachbarte Jamaica.

Doch Cuba, wie sich Land und Insel auf spanisch und englisch
schreiben, ist mehr als ein Riesenfreilichtmuseum US-
amerikanischer Autos aus den 50er Jahren, die immer wieder
repariert werden mussten.

Kuba bietet mehr und kann noch überraschen. Irgendwo zwischen
den Lähmungen lauerte die Ewigkeitskraft der Musik. Einer
wiedererkennbaren Musik.

Diese mit „Westlichem“ zu kombinieren (tatsächlich liegen
Frankreich und Europa östlich von hier über den Atlantik), hat
seinen ganz eigenen Reiz.

Der Pressetext weiß über das neue Musical: „Es ist die
atemberaubende Neuinterpretation des legendären Carmen-Stoffs
und der vertrauten Melodien Georges Bizets.“

Die Macher von Carmen La Cubana
„Der international anerkannte Opern- und Musical-Regisseur
Christopher Renshaw (u.a. The King and I, AIDA am Sydney Opera
House) sowie der Grammy- und Tony-Award ausgezeichnete
Arrangeur Alex Lacamoire (u.a. Hamilton, The Greatest Showman)
verlegen die Handlung nach Kuba am Vorabend der Revolution.“

„Opulente, farbenprächtige Tableaus und dichte Szenen führen
von einer Zigarrenfabrik im ländlichen Südosten der Insel in
das lebendige Treiben der Bars und Clubs Havannas.“
Ausgerechnet die Schicksalszeit Kubas wird ausgewählt. Sowohl
Stadt und Land bieten den Hintergrund des von Carmen La
Cubana. Das Bühnenbild spiegelt die Karibikinsel mit seinem
Flair wunderbar wider.
Dass Kuba nicht nur aus der Hauptstadt besteht, nach der die
Havanna-Zigarre benannt ist, sondern auch aus dem großen Land,
deren Landwirtschaft den Tabak dazu, Zuckerrohr und vieles
mehr hervorbringt, wird dadurch nebenbei ins Gedächtnis
gerufen, was sehr angenehm ist.

Santiago de Cuba, nicht zu verwechseln mit Santiago de Chile,
und Santa Clara, in der die Waffen sprachen und in der
Revolution alles klar machten, gibt es eben auch in diesem
riesigen Land. Die Insel erstreckt sich vom Atlantik im Osten
bis zum Golf von Mexiko im Westen.

Die DDR war kleiner als es Kuba ist.

Weiter zum Musical Carmen la Cubana: „Eine 14-köpfige Latin-
Big-Band gibt dieser ‚Carmen‘ musikalisch ihre einzigartige
kubanische Note. In drei Jahren Entwicklungszeit entstand ein
Stück Musiktheater, das mit karibischen Rhythmen,
leidenschaftlichem Gesang und temperamentvollem Tanz auf
künstlerisch höchstem Niveau überzeugt.“

Das können wir bestätigen. Besonders die Szenen mit viel Volk,
die lebendiger noch sind als bei Anatevka mit großem Ensemble,
würde man gern mehr sehen. Aus heutiger Sicht ein
Anachronismus die Liebesschwüre der sitzengelassenen
Verlobten, die erst einen Brief der Mutter bringt und später
mit dem Hinweis auf ihre Krankheit José überredet,
mitzukommen.

Dabei ist die hübsche, jedoch nicht aufgedonnerte Marilú mit
einer weißen Bluse gekleidet. Noch mehr Unschuld geht nicht.

Carmen und Romeos Julia
Alle applaudieren Carmen
                 (Luna  Manzanares).   Im
                 Berliner Admiralspalast. ©
                 Foto/BU      :    Andreas
                 Hagemoser, 2018

Doch wir wissen, wie es mit der „rassigen“, wunderschönen
Carmen ausgeht. Sie überlebt nicht.

Auch kann José sie nicht vergessen, kehrt zu ihr zurück und
wird von Eifersucht zerfressen und überwältigt. Er tötet er
sie, dann sich selbst.

Carmen hatte sich einem berühmten Boxer zugewendet.Die Figur
des El Nino, der am Ende gegen seinen sportlichen Konkurrenten
Kid Cowboy in den Ring steigt, ist ein schöner Seitenverweis
des Musicals. Gerade Ringer und Boxer konnten sich auf den
Weltsportbühnen wie WM und Olympischen Spielen immer wieder
beweisen und Bronze, Silber und Gold holen.

Unangenehm die Einsprengsel englischer Wörter und Ausdrücke,
die die Atmosphäre von 1958/59 kaputtmachen.
Bei „Asta-la-vista, Baby“ denkt jeder an Arnold Schwarzenegger
in „Terminator“ – und nicht an Kuba.

Insgesamt tut das dem Ganzen jedoch keinen Abbruch und man
kann sich an den wirbelnden Großszenen nicht sattsehen und -
hören.

Carmen La Cubana ist nicht die erste
Weiterentwicklung von Bizet
1943 eroberte Oscar Hammersteins Carmen Jones als
Afroamerikanerin den Broadway. Wer weiß, ob die Figur noch bis
Tahiti vordringt. Die Weltmusicalgeschichte ist nicht zu Ende.

Premiere von Carmen La Cubana
Der Tag der deutschen Einheit hinterließ Spuren. Nicht nur
durch den teils böigen Wind und örtlichem Sturm. Der Feiertag
hat vieles durcheinandergebracht. So findet die Premiere am
Tag nach dem Feiertag der Wiedervereinigung statt, einen
Steinwurf vom Tränenpalast am S- und Fernbahnhof
Friedrichstraße entfernt. Am 2. Oktober gab es bereits eine
Preview,    sozusagen    eine   zweite   Generalprobe.     Im
Vorpremierenpublikum viele Damen spanisch chic in schwarz und
dunkelrot gekleidet – das Publikum geht mit, der Saal ist
schon vor der Premiere voll.

Nach der Weltpremiere und einer erfolgreichen Saison 2016 am
Pariser Théâtre du Châtelet ist Carmen la Cubana erstmals vom
2.10. (Previews; Premiere am 4.10.) bis        14.10.2018    im
Admiralspalast in Berlin zu erleben.

Premiere von Carmen La Cubana am Donnerstag, den 4. Oktober
2018 um 19.30 Uhr im Admiralspalast,
Friedrichstraße 101, 10117 Berlin.

Eintrittspreis ab 26,-
50% Ermäßigung für Jugendliche bis einschließlich 14 Jahre

Carmen La Cubana – bis Sonntag 14.10.2018 im Berliner
Admiralspalast

Hauptdarstellerinnen: Luna Manzanares (Carmen) und Albita
Rodríguez (La Señora)

Co-Arrangeur: Edgar Vero
Musical-Director: Hector Martignon
Die Gastronomie des Admiralspalasts bietet während der Pausen
und vor den Aufführungen von Carmen La Cubana für 7,50 Euro
einen alkoholischen Cocktail an: Cuba Libre.

www.carmen-la-cubana.de

Charles Aznavour mit                                   dem
Klassiker „Hier encore“
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der armenisch-
französischer Chansonnier, Liedtexter, Komponist und
Filmschauspieler, der auf den Namen Charles Aznavour hörte,
sang auch „Hier encore“.

Dieser Klassiker stammt aus dem Jahr 1964 nach unserer
Zeitrechnung und der ständige Vertreter Armeniens bei den
Vereinten Nationen in Genf blickt darin aufs Leben zurück.
Gerade noch sei der 1924 in Paris geborene Zwanzig gewesen,
habe die Zeit mit lauter selbstsüchtigen Dingen verplempert,
nun seien die Jahre dahin.

Die Aznavoursche Ballade wurde oft kopiert, selten erreichte
einer annähernd das Original. Roy Clark hatte mit der
englischsprachigen Version „Yesterday When I Was Young“ jedoch
riesigen Erfolg, zumindest in der Hitparade der Vereinigten
Staaten von Amerika.
KULTUREXPRESSO präsentiert das Original!

The Jooles eröffnen EMOP.
Musik zu Beginn der Opening
Days    des    Europäischen
Photographiemonats 2018
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Ein Staatsbesuch
beherrschte fast den ganzen Freitag. Am 28. September reiste
Präsident Erdogan vom Bosporus an. Dazu viele Demonstranten,
einige dafür, viele dagegen. Abends gab es am Flughafen Tegel
fast keine Mietwagen mehr. Bei Europcar und Buchbinder
überhaupt keinen einzigen. Was die Demonstranten übrig
gelassen hatten, brauchten Reisende, die am Boden blieben.
Ryanair-Streik. Außerdem fielen zwei German-Wings-Flüge aus an
den Niederrhein und nach Stuttgart. Viele brachen in
Fahrgemeinschaften noch in der Nacht nach Baden-Württemberg
auf. Mit etwas Glück erreichten sie zu Sonnenaufgang ihr Ziel.
7 Stunden ist man auf vier Rädern von TXL in die südwestliche
Landeshauptstadt bestimmt unterwegs. Am Abend dürfen endlich
alle feiern, der EMOP (European Month of Photography) wird
eröffnet. Gegen 21 Uhr treten The Jooles auf, ab 22 Uhr gib es
einen DJ vor Kino und Ausstellung.
Feiern mit THE JOOLES
Nach 21 Uhr ist das Amerikahaus brechend voll, hier residiert
seit noch nicht zu langer Zeit das c/o Berlin. Vor dem Haus,
zum Parkhaus hin, steht eine Freilichtbühne, als ob die
Veranstalter gewusst hätten, dass es trocken bleibt. Dr. Klaus
Lederer (Linke), der als für Kultur Zuständiger schon so
manches Filmfestival eröffnen durfte, spricht ein paar Worte.
Anschließend gibt es Musik im Rahmen eines Bühnenprogramms.
Besonders gute Laune erzeugt The Jooles. Die Band ist
paritätisch besetzt – genderbezogen. Links auf dem Photo
Alexander Dommisch, Musiker und Label-Manager. Rot-lila
beleuchtet die Leadsängerin, rechts daneben ihre Kollegin mit
dem Saiteninstrument. Dazwischen im Dunkel versteckt der
Schlagzeuger. Die Band The Jooles (www.THEJOOLES.com) hat
kürzlich ihre erste Platte herausgebracht. Moving Memories
erschien auf CD und – auf Vinyl!

Immer faszinierend die Enge und Gleichzeitigkeit des
Geschehens, die es wohl sonst so nur in Indien gibt. Am
Bahnhof der Christiane F. und der Stadtmission aus „Auf der
Straße“ die Jebensstraße mit einem weiteren Photo-Museum.
Daneben das Gericht mit seinen historischen Ausstellungen. Auf
der Südseite der Hardenbergstraße das auf dem Photo
abgebildete Geschehen. Der Mittelstreifen – Baustelle.

Zeitverlust          durch      hauptstadtbedingte
Aufgaben

                 Mit    grüner    Fahne:
                 Polizeigesicherte
Fahrzeugkolonne        am
                 Kurfürstendamm. Am Mittag
                 des 28. September 2018. ©
                 Foto/BU     :     Andreas
                 Hagemoser, 2018

Dass das Land Berlin, das unter einer zig-milliarden-Euro-
schweren Schuldenlast ächzt, vom Bund hauptstadtbedingte
Kosten verrechnen darf, mag dem Finanzsenator helfen. Wieviele
Stunden der arbeitende (und natürlich auch der arbeitslose)
Berliner allerdings verliert und wieviel das kostet,
interessiert niemanden. Kurz vor zwei am Nachmittag rauscht
fast lautlos eine lange polizeibegleitete Wagenkolonne den
Ku‘damm entlang Richtung Innenstadt. Wesentlich mehr Probleme
entstehen durch Demonstrationen, die den Bus M29 aufhalten.
Wer gegen 17 Uhr am Landwehrkanal entlang zur CDU-Zentrale im
Diplomatenviertel oder über den Kurfürstendamm Richtung
Grunewald möchte, hat das Nachsehen.

Warum auch die S-Bahnen staatsbesuchsbedingt ausfallen, ist
dagegen nicht einsichtig. Gegen 15 Uhr findet in einem der
Gebäude auf dem Titelphoto ein Pressetermin statt. Ihn über
Westkreuz pünktlich zu erreichen ist unmöglich. Ein Zug nach
Erkner, der angeblich drei Minuten später fahren sollte, wurde
ersatzlos gestrichen. Der nächste Zug Richtung Osten soll erst
in 10 Minuten (!) folgen. Im Berufsverkehr bei der Größe
Berlins viel zu viel. Gerade erst hat der Senat eine
Rekordmillionensumme  der  S-Bahn  gestrichen  wegen
Unpünktlichkeit

Ein ganz normaler Freitag in Berlin.

Vergangene EMOP-Aktivitäten in Berlin:

 Kieke mal Kike Arnal! Die unglaublichen „Voladores“-Flieger
 aus Mexiko in einer Fotoschau von Ximena de la Macorra oder:
 Wie Tugend und Kultur Frieden erhalten
Dagmar Gester und Gäste in der Ausstellung „Fluchtgepäck“
(EMOP 2016):

 Was bleibt. Photographin Dagmar Gester ist in ihrer EMOP-
 Ausstellung „Fluchtgepäck“ zu sprechen

Photoausstellung jenseits des EMOP mit Sabine Mittermeier:

 Bäume Schwarzweiß. Sabine Mittermeier, Laure Catugier und Tim
 van den Oudenhoven are „Undrawing the Horizon“ in HB55 Räume
 der Kunst

Realismus im Theater oder
Reden   über  ungeschminkte
Wahrheiten auf dem Boden der
Bühnen
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In Berlin wird gleich an
zwei Tagen über Realismus im Theater gesprochen. Die
ungeschminkte Wahrheit auf den Boden der Bretter, die für
manche die Welt bedeuten, zu bringen und also den Begriff in
Übereinstimmung mit seinem Gegenstand, braucht einen
Standpunkt, am besten einen Gegenstandpunkt in einer Welt der
Ware und des Spektakels.

Dafür dürfte das Theater als Spielwiese der Berliner Republik
nicht der rechte Ort sein und wenn er es ist, dann als
Bahnhofsmission für Berufsbedienstete in eigener Sache, aber
lassen wir das Meckern und melden zwei Veranstaltungen, geben
Hinweise zu Diskussionen, die vermutlich als Spektakel und
also Unterhaltung veranstaltet werden, was zu vermuten steht,
denn der Ort, an dem diskutiert werden soll, ist unter anderem
der Rote Salon der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-
Platz. Und es sollen mit Ulrike Krumbiegel, Wolfram Lotz,
Armin Petras und Bernd Stegemann gleich vier verschiedene
Personen über Realismus im Theater diskutieren. Das ist mit
Moderator Jakob Hayner am Freitag, den 9. November 2018, ab 19
Uhr, allerhand und also absurd, aber so ist das, wenn Bühnen
nur noch den Boulevard und die Bourgeoisie sowie Proletarier
bedienen, die sich als Kleinbürger kleider und leiden, und
diejenigen, die sich dazu als Alternative verstehen, aber das
Abspülbecken einer Gesellschaft, in der sie stecken, nicht
erklären können, und als ein beiläufiger wie belangloser Ort
konfligierender Interessen bloß Aftergang politischer
Korrektheit betreiben.

Dazu heißt es in einer Presse- und Veranstaltungsmitteilung
des Eulenspiegel-Verlages vom 27.9.2018: „Eine der wichtigsten
Debatten in den Künsten ist die über einen neuen Realismus. Im
Theater ist sie dem Unbehagen an der postdramatischen Ästhetik
entsprungen. Formlosigkeit bedroht Kunst als Medium kritischer
Reflexion. Dagegen opponiert Realismus, der mehr meint als die
einfache Widerspiegelung der Realität oder deren unmittelbare
Präsenz im Theaterraum. Ist Realismus möglicherweise das, was
den späten Brecht interessierte: Dialektik auf der Bühne?
Darüber diskutieren Menschen aus dem Theater, die in den
Bereichen Dramatik, Schauspiel, Regie und Dramaturgie
arbeiten. Wie funktioniert ein Text auf der Bühne? Was macht
eigentlich ein Schauspieler – und wie ist dessen Verhältnis
zum Text? Wie befördert die Regie Text und Schauspiel durch
das Einrichten einer Szene? Und wie blickt die Dramaturgie auf
die dramatische Situation? Und zuletzt: Wie steht das so
entstandene Bühnenwerk zur gesellschaftlichen Wirklichkeit?“

Ja, wie, wenn nicht in Widerspruch zu Wahrheit und Klarheit?

Zum Thema passt auch die einen Tag später, nämlich am Samstag,
den 10. November 2018, ab 10 Uhr im Magnus-Haus Berlin
Am Kupfergraben 7, 10117 Berlin stattfindende „Elfte
wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft“ unter
dem Motto „Mensch sein ist Ursach sein – Realismus auf dem
Theater“ zu der es in derselben Pressemitteilung heißt: „In
acht Beiträgen werden zentrale Begriffe der Ästhetik von Peter
Hacks (Realismus und Dramaturgie) geklärt und damit an
Debatten der vergangenen Jahren, die zur Krise des
postdramatischen Theaters und zur Wiederbelebung des Realismus
geführt wurden. Geprüft wird, in welche Traditionslinien sich
Hacks stellt und welche er ablehnt, wie sich Hacks’ Begriff
des Realismus auf die gegenwärtige Diskussion beziehen lässt
und wie sich derzeitige dramaturgische Ansätze, Realität auf
der Theaterbühne zu repräsentieren, aus diesem Blickwinkel
ausnehmen.“
Es ist wieder da! Das Rad auf
zwei Beinen steht wieder vor
der   Volksbühne   am   Rosa-
Luxemburg-Platz
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Seit dem 24. September
2018 steht es wieder da, das Rad auf zwei Beinen oder
Räuberrad. Frank Castorf, der von 1992 bis Sommer 2017 die
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz prägte, ist jetzt der
unsichtbare Dritte, der Verschwundene. 25 Jahre sind eine
lange Zeit, ein Vierteljahrhundert. Das laufende Rad, im
Gegensatz zum fliegenden, das die Eisenbahn symbolisiert,
fasste die Zeit zusammen und brachte sie auf den Punkt. Zierte
die TheaterFlyer.

Bert Neumann erfand das Rad neu: Das Rad
auf zwei Beinen
Bert Neumann hatte das Speichenrad auf Beinen, das auf großen
Füßen lebt, 1990 entworfen, im Jahr der Wiedervereinigung. Am
1. Juli wurde die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel auch
in Ost- und Mitteldeutschland eingeführt einschließlich Ost-
Berlins, wo in Mitte, dem Bezirk Nummer 1 in der Zählung von
1920, dem Gründungsjahr Groß-Berlins, die Volksbühne steht. Am
3. Oktober wurde die Vereinigung, für manche die
„Wiedervereinigung“, vollzogen durch Beitritt von fünf
Bundesländern als Verwaltungsakt. 2018 wird der 28. Geburtstag
mit einem Riesenfest begangen. Der 3.10.2018 ist ein Mittwoch.
Seit Montag, dem 24.9.2018 steht das Räuberrad wieder da, als
wäre nichts gewesen. Abschied und Entfernung dagegen ließen
die Wogen hochschlagen. Manche meinte sogar, es sei Castorfs
Rad oder er habe es geraubt. Oder nachdem Castorf Berlin
beraubt wurde, wäre das Rad gleich mitgegangen.
Oder jemand hätte das Rad mitgehen lassen, irgendeine dunkle
demokratische Institution. Nichts dergleichen. Die, die wenig
wissen, spekulieren viel, urteilen schnell.

Der Bildhauer Rainer Haußmann baute das
Rad auf zwei Beinen
Die Faktenlage ist natürlich anders, selten stimmen Legenden
zu 100%. Die Senatskulturverwaltung hatte verlautbaren lassen,
dass das „Rad, das der Schweizer Bildhauer Rainer Haußmann
nach den Plänen Bert Neumanns gebaut hatte“, restauriert an
den Rosa-Luxemburg-Platz zurückkehre. An der „Optik“ habe sich
„nichts verändert“. „Nur die Statik wurde angepasst und die
Füße erneuert.“ Wir übersehen jetzt einmal die Widersprüche
der Mitteilung und erinnern uns ans Prinzip, an den Anfang.
Bert Neumann hatte das recht einfache Rad mit sechs Speichen,
das Rad auf zwei Beinen, 1990 für die Inszenierung der
„Räuber“ durch Frank Castorf entworfen. Deswegen „Räuber“-Rad
oder Räuberrad. Honi soit qui mal y pense, wer waren die
Räuber? Die Politiker, die den später ehemaligen DDR-Bürgern
die D-Mark schenkten, taten dies auf Kosten der westdeutschen
Steuerzahler der Bundesrepublik. Trotz des Geschenks wurde
vielen DDR-Bürgern am 3. Oktober ihre alte Identität geraubt.
Für manche war das zuviel.

Wer sind die Räuber?
Ob alle, die in den 90ern auf Brandenburgs vielen schönen
Alleen in den Tod fuhren, wirklich nur die Motoren der
Westautos von Volkswagen, Audi und BMW nicht beherrschten?
Auch im Zusammenhang mit der Treuhand denken viele an Raub und
Räuber. Von verschiedenen Standpunkten aus. Am 1. April 1991
wurde die Treuhandanstalt ihres Präsidenten beraubt. Detlev
Rohwedder wurde ermordet. Der oder die Täter sind bis heute
unbekannt. US-amerikanische Investmentbanken waren nicht
unglücklich über die Wirkung seines Todes. Bei der neuen
Chefin ging alles viel schneller und Verkäufe waren mit
weniger verbindlichen Verantwortlichkeiten für ausländische
Investoren verbunden.

Ob Deutschland dabei seines östlichen Tafelsilbers beraubt
wurde – zum Zeitpunkt der DM-Einführung am 1.7. 1990 waren
8500 Betriebe Volkseigentum und treuhänderisch verwaltet –
oder nur viele Menschen ihrer Arbeit – mehr als 4 Millionen
waren in den über 8000 VeBs tätig – ist wie so vieles
Ansichtssache. Gras wächst über die Sache. So wie auf dem
Rosa-Luxemburg-Platz.

„… die Menschen materiell und seelisch
nicht unter die Räder kommen zu lassen.“
Detlev Rohwedder wurde am 10. April 1991 mit einem Staatsakt
geehrt. Das ehemalige Reichsluftfahrtministerium Wilhelm- Ecke
Leipziger Straße (jetzt Bundesfinanzministerium), in dem die
Zentrale der Treuhandanstalt ihren Sitz hatte, wurde nach ihm
benannt. Auch eine Straße in Duisburg, nicht weit vom Wohnort
des gebürtigen Gothaers entfernt. Detlev Karsten Rohwedder
wurde in seinem Düsseldorfer Haus erschossen. Durch das
Fenster, aus über 60 Meter Entfernung.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte über Rohwedders
Wirken bei der Treuhand: „Kaum einer sah von Beginn an die
Schwierigkeiten so deutlich wie Rohwedder. Ihm war das
gewaltige Ausmaß der notwendigen Umstellungen mit ihrem
Zeitbedarf und ihren tief einschneidenden sozialen Wirkungen
vollkommen bewußt. Um so kraftvoller bemühte er sich darum,
die Menschen materiell und seelisch nicht unter die Räder
kommen zu lassen.“

Das eine Rad, für manche Symbol des rebellischen Theaters, das
umso wichtiger wurde, wie die reiche Beschenkung der
ehemaligen DDR-Bürger für viele in den Hintergrund rückte.
Der Streit ums Rad

                 Auf- und abgebaut an einem
                 Nachmittag: „Stärkung der
                 Freiheit von Kunst und
                 Kultur durch Eröffnung der
                 Geistkonserve.“ © 2018,
                 Foto/BU: Andreas Hagemoser

In den Vordergrund geriet der Schmerz über Verlorenes, war
dies nun gut oder schlecht gewesen. Als das Rad, das Lücken
schloss, gar zum Symbol des Widerstands gerierte, selbst
verschwinden wollte, gab es einen Aufstand. Eigentümer ist das
Land Berlin. Frank Castorf wollte die Plastik partout zum
Gastspiel beim Theaterfestival in Avignon mitnehmen und das
passte nicht jedem. Nachfolger Chris Dercon war es egal, hatte
es den Anschein gehabt. Lange blieb er nicht. Der Intendant
schmiss im April das Handtuch, aktuell leitet Klaus Dörr das
Haus kommissarisch. Dem Eigentümer Land Berlin hätte es nicht
egal sein sollen. Doch gemeckert hatten Bert Neumanns Erben.
Sie befürchteten einen Abriss gar und waren wohl auch deshalb
mit dem Abbau nicht einverstanden.

Was jetzt passiert ist, ist nichts anderes als das in einem
Kompromiss vereinbarte. Abbau – Castorf durfte zum
Amtszeitende das Rad nach Avignon mitnehmen – Transport,
Sanierung in Berlin, Aufbau am alten Standort.
Gutes Rad teuer
22.000 Mark hatte das Rad auf zwei Beinen gekostet, gut 11.248
Euro. Die Restaurierung war teurer als die Anschaffung.
Verlautbart wurde, dass für „die Restauration Kosten in Höhe
von ca. 25.000 Euro entstanden, die die Kulturverwaltung
trägt“. Mehr als das Doppelte. Ans Bein gepinkelt haben die
Hunde dem Rad. Deshalb der Austausch der Füße.

Rebellisches im Berliner Ensemble
Wirklich Rebellisches findet zurzeit wohl andernorts statt. In
der Berliner Theaterlandschaft zum Beispiel das Stück „Auf der
Straße“ im Berliner Ensemble. Ausverkaufte Vorstellungen,
bestes Theater, erschütterte Besucher, die verändert wieder
aus dem Kleinen Haus herauskommen. Das nächste Mal am 27. und
28. Oktober. Waren das Neue, die Wirkung, nicht einmal der
Maßstab? Veränderung – Change? Karen Breece trifft den Nagel
auf den Kopf und spart nicht mit Kritik. Sie trifft ins Herz
und jeden anders, persönlich.

Das Rad der Geschichte dreht sich langsam. Langsam wie eine
Laus.

Es scheint, dass das schwere Rad weitergelaufen ist. Weit ist
es noch nicht gekommen, gerade mal zum Bertolt-Brecht-Platz am
Schiffbauerdamm. Hier scheint es mit seiner Energie eine Weile
verweilen zu wollen. Jocelyn B. Smith und die Different Voices
tragen dazu bei und wirken an Karen Breece‘ Stück mit.

Das Rad der Geschichte dreht                           sich
langsam. Langsam wie eine Laus.
Am Rosa-Luxemburg-Platz steht nur noch das Symbol. Die Energie
ist weg.

Sie kann nicht verschwinden, das wissen            wir.   Der
Energieerhaltungssatz. Wir erinnern uns.
Die Energie ist immer                    da,     sie     ist
lediglich woanders
Die Energie ist woanders, verwandelt vielleicht, aber sie ist
immer da.

Noch in Mitte, aber näher an der Friedrichstraße, näher an der
Spree. Ein bisschen weiter westlich. Im Berliner Ensemble ist
die Energie der Veränderung jetzt spürbar, „Auf der Straße.“

 Im Theater. Jocelyn B. Smith mit Different Voices of Berlin
 im Brecht-Theater Berliner Ensemble

 Büchse auf! Aus der Dose Leben. Feuerstein öffnet
 Geistkonserve (vor Volksbühne) – für Stärkung der Freiheit
 von Kunst und Kultur

Zeig Courage! Berlin feiert
mit      Live-Musik      am
Leopoldplatz
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Noch bis 22 Uhr wird auf
dem Berliner Leopoldplatz unter dem Motto ZEIG COURAGE!
gefeiert. Gegen 19 oder 20 Uhr werden die Stände der vielen
Projekte abgebaut, die sich hier vorstellten: Zum Beispiel
NARUD e.v., Veranstalter unter anderem auch eines jährlichen
interkulturellen Fußballturniers, und die Kinderkunstwerkstatt
Seepferdchen aus der Brüsseler Straße.

Zeig Courage – aber zeig dich

                 Sonnenschein auf der Kirche
                 am Leopoldplatz: Entspannte
                 Stimmung auf dem Zeig-
                 Courage-Fest.     Auf   der
                 Bühne: KonstanThyme. ©
                 Foto/BU      :     Andreas
                 Hagemoser, 2018

Ein Besucher mit einem Halskettchen mit einem Leuchter, den
viele als jüdisch einordnen, beklagte sich über die geringe
Werbung für das Festival. Spät und eher zufällig habe er von
dem Fest erfahren und wünschte sich mehr Resonanz. Seiner
meiner nach sei nicht genug auf das Festival Zeig Courage
hingewiesen worden.

Silke Fischbeck aus dem „Seepferdchen“ zeigte sich besser
informiert und wusste, dass die Veranstaltung seit Wochen
kommuniziert wurde.

Der Aufforderung Zeig Courage! wären wohl noch mehr Menschen
mit Mut gefolgt, wenn sie von dem gut erreichbaren Open-air-
Event gewusst hätten. Zum Leopoldplatz in Wedding, jetzt ein
nördlicher Teil von Berlin-Mitte, führen zwei U-Bahn- und
viele Buslinien, auch die Ring-S-Bahn und die in den Westen
hineinfahrende Straßenbahn auf der Seestraße sind nicht weit
weg.

Zeig Courage macht Musik

                 Feuerschale.    Gemütliche
                 Essenszubereitung auf dem
                 „Zeig-Courage“-Fest am 19.
                 September 2018 in Berlin. ©
                 Foto/BU      :     Andreas
                 Hagemoser, 2018

Ein Bühnenprogramm, dass bis etwa halb sechs noch in der Sonne
stattfand bei angenehm warmen Spätsommerwetter und eher
hochsommerlichen 28-30 Grad, bildete die Klammer zu den vielen
Einzelaktivitäten. Zwischen den Imperativen „Willkommenskultur
aktiv leben!“ und Zeig Courage und dem englisch formulierten
„I am Jonny“, das an „Je suis Charlie Hebdo“ erinnert immer
wieder tolle Live-Auftritte im Halbstundentakt.

Silke Fischbeck trat mit Gesang und Gitarre auf, mit und ohne
Kinder aus dem „Seepferdchen“.

Flora E. Bernhagen von der Flora-Medienwerkstatt Berlin und
Ralf Neubauer von Get-up-Stand-up-TV treten auch mit der
Wulaba-Band auf. Darauf wies auch der Moderator hin. Bei den
Wulaba-Projekt, wo es um Freiheit geht, sind Flüchtlinge
beteiligt. Unterstützt wird die im Dezember 2015 von Menschen
aus aller Welt gegründete Gruppe unter anderem von dem Flora-
MW-Verlag. Die Musik umfasst viele Stile, politische Lieder,
Reggae, Soul, aber auch traditionelle afrikanische Musik oder
Hip-hop.

Die engagierte Flora E. Bernhagen hat auch schon mehrere
Bücher veröffentlicht: aktuell die „Denk-Welle“, davor „Mauer-
Brüche“ und zuerst „Kleines Rotbuch“. Die Lyrikbände verbinden
Politik und Weltgeschehen mit Autobiographischem. Flora hat
viel erlebt. Ihre Gedichte erzählen auch davon.

Bereits vor 18 Uhr auf der Bühne KonstanThyme, ein
Straßenmusiker, den man außer auf der Straße im Weltnetz und
auf CD finden kann.

Der Titel der CD ein bisschen so, wie es atmosphärisch auf dem
Platz vorgelebt wurde: „Paradies und Das“.

Im Theater. Jocelyn B. Smith
mit  Different    Voices  of
Berlin   im  Brecht-Theater
Berliner Ensemble
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Eintritt ist frei
zur Doppelveranstaltung am heutigen Freitag, den 14. September
2018 um 19 beziehungsweise 20.30 Uhr. Wohnungslosigkeit,
Wohnen und Wohnungsbau stehen im Mittelpunkt eines
Schwerpunktthemas, mit dem das Berliner Ensemble und seine
künstlerische Leitung auf die Problematik hinweisen wollen und
sie künstlerisch verarbeiten. Ganz im Sinne des Gründers (mit
Helene Weigel) des traditionsreichen Theaters am
Schiffbauerdamm direkt an der Spree wird die soziale – und
persönliche, individuelle, gefühlsmäßige – Dimension von
Mieterhöhungen, Wohnungsknappheit, Wohnungslosigkeit und ihren
Vorstufen aufgezeigt und beleuchtet.

Zum Themenfokus gehört auch das Theaterstück „Auf der Straße“
unter der Leitung Karen Breece‘, das am Donnerstag im Berliner
Ensemble seine Uraufführung hatte. Das Stück, was ein halbes
Dutzend Mal im September und jeweils Ende Oktober, November
und Dezember auf dem Spielplan steht, feierte am Donnerstag
eine fulminante Premiere.

An der Diskussion, die im Kleinen Haus dem Konzert vorausgeht,
nehmen u.a. ein Staatssekretär und die Regisseurin von „Auf
der Straße“ teil.

Jocelyn B. Smith mit Different Voices of
Berlin   im  Brecht-Theater    Berliner
Ensemble
„Different Voices of Berlin“ wirken auch in dem Stück mit.

Aber am Freitag um halb neun werden im Berliner Ensemble
jedoch nur Lieder gesungen und Musik gemacht. Theater wird am
selben Ort gespielt, aber an anderen Tagen (15.9. 2018, 18.9.,
20.9. und 25.9. unter anderem). Die „Different Voices of
Berlin“ singen meist selbstkomponierte Songs. Auf deutsch und
auf englisch. Leiterin Jocelyn B. Smith erhält 2018 das
Bundesverdienstkreuz für ihre Arbeit in ebendiesem Chor.

Die Straße hat immer Eintritt frei, bringt aber viele
Probleme. Die durchschnittliche Lebenserwartung von
Wohnungslosen oder Obdachlosen beträgt 46,5 Jahre,
sechsundvierzigeinhalb Jahre. Dreißig (!) weniger als der
deutsche Durchschnitt!

An diesem Freitag ist am Schiffbauerdamm einen Steinwurf von
der Friedrichstraße und dem gleichnamigen U-, S- und
Fernbahnhof – am Spreeufer gegenüber des Tränenpalastes – der
Eintritt frei, um niemanden auszuschließen. Wegen des hohen
Andrangs, der hohen Nachfrage, ist frühes Kommen von Vorteil,
falls man eine Einlassgarantie haben möchte.

Im Theater, nicht auf der Straße
Um 19 Uhr und 20.30 Uhr ist im Kleinen Haus des Berliner
Ensembles der Eintritt frei.
Nicht auf der Straße, im Theater.

„Your Passion is pure joy to
me“ von Stijn Celis und „Half
Life“ von Sharon Eyal und Gai
Behar in der Komischen Oper
in Berlin
Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Premierenabend wird
mit dem Gastspiel „Your Passion is pure joy to me“ des
belgischen, international führenden Choreographen Stijn Celis
eröffnet, der Ballettdirektor am Saarländischen Staatstheater
ist. Der Titel seiner Choreographie, die ihre Uraufführung
2009 in Göteborg hatte, bezieht sich auf einen Choral von J.S.
Bach, wird jedoch von romantisch-dramatischen Liedern von
„Nick Cave and The Bad Seeds“ untermalt, die sehr zu Herzen
gehen. Seine Lieder kreisen um das Thema Gläubigkeit und wie
man trotz quälender Erinnerungen überleben kann, ohne zu
zerbrechen.

Die Tänzer*innen des Staatsballetts Berlin, Jenna Fakhoury,
Sarah Hees-Hochster, Ross Martinson, Johnny McMillan, Eoin
Robinson, Lucio Vidal und Xenia Wiest, agieren auf nackter,
schwarzer Theaterbühne. In legerer Alltagskleidung zeigen sie
individuelle und eigenständige Ausdrucksformen in der Balance
zwischen Leid und Trost, zwischen Schmerz und Heilung. Im
Kontrast zu Caves Musik steht die Musik der Avantgardekünstler
Pierre Boulez und Penderecki, die in der Mitte des Tanzwerks
einen Kontrapunkt setzen mit kakophonischen Klangwelten. Am
Ende versöhnt klanglich ein Klavierstück des kubanischen
Jazzpianisten Gonzalo Rubalcaba – leichtfüßig und elegant von
den TänzerInnen wiedergegeben – welch ein Hochgenuss.

Das nach der Pause gezeigte Tanzstück „Half Live“ von Sharon
Eyal und Gai Behar mit der Musik von Ori Lichtik sprengt alles
bisher Gesehene an Ballettchoreographien! Uraufgeführt wurde
es am 11.2.2017 vom Königlich Schwedischen Ballett Stockholm.
Sharon Eyal, eine israelische Choreographin, ist eine der
herausragenden „Player“ der zeitgenössischen Tanz-Szene. Ihre
Kreation ist von der legendären Batsheva Dance Company
geprägt. Von den Tänzer*innen des Staatsballetts Berlin Sarah
Brodbeck, Filipa Cavaco, Weronika Frodyma, Gregor Glocke, Mari
Kawanishi, Olaf Kollmannsperger, Konstantin Lorenz, Ross
Martinson, Johnny McMillan, Ilenia Montagnoli, Danielle Muir,
Daniel Norgren-Jensen und Federico Spallitta wird in
atemberaubender Art und Weise – atemberaubend auch für die
Zuschauer – das Maximum an tänzerischem Können bis fast zur
Erschöpfung abverlangt.

Die sehr laute, wuchtige technobeat-artige Musik von Ori
Lichtik wummert bis auf den Solarplexus und erzeugt mit ihrem
Spannungsbogen einen magnetisierenden, hypnotisierenden,
tranceähnlichen Zustand zu dem die Tanzer*innen in Nude-Look-
Kostümen (hautfarbenen Höschen und Bustiers) wie Androiden
oder Humanoiden-Roboter aus einem Science-Fiction-Film, von
einem anderen Stern entsprungen die Erde erkundend, auf
nackter Theaterbühne mit nebeligem Hintergrund stakkatoartig
die meist immergleichen Bewegungen wie in Zeitlupe
wiederholen. Assoziationen an „Wir sind die Roboter“ von
„Kraftwerk“ kommen auf! Ihre Körper glänzen vom Schweiß
während ihrer athletisch-ästhetischen Performance. Im
Mittelpunkt stehen anfangs ein Mann und eine Frau – Adam und
Eva? Sie wiederholen minutenlang zur Trancemusik die gleichen
Bewegungen – die Trance überträgt sich auf die
Zuschauer*innen. In Hintergrund, in extremem Zeitlupentempo
kommt eine Gruppe herbei, die die beiden im Verlauf der
Choreographie wie in Schwarmintelligenz umgibt mit diesen
ständig   roboterähnlichen     Bewegungen,   teilweise    im
Herzschlagrhythmus kollektiv   zuckend, auseinanderstiebend,
unterbrochen von Spitzentanz-Passagen comme d’habitude. Es
wirkt, als ob das kollektive Unterbewußtsein Adam und Eva
umtanzt. Mit amimischen Gesichtern, die Haare straff gebunden,
schauen die Tänzer*innen teilweise fordernd und herausfordernd
die Zuschauer*innen an, was beklemmend schön wirkt. Ein Schrei
formiert sich auf dem Gesicht eines Tänzers – wie bei Edward
Munchs Gemälde „Der Schrei“. Arme ragen wogend aus der
wabernden, zuckenden Masse, zeigen nach oben, weisen auf
irgendwas (Bedrohliches?), drehen die Köpfe gleichzeitig (nach
Was?) – die Musik wird fauchend wie ein abfahrender Zug –
schlimme Assoziationen kommen auf! Ist es zu weit gegriffen,
an Traumaverarbeitung    zu   denken?   Immerhin   ist   es   ein
israelisches Stück.

Oder ist es das ewig menschliche Drama über den „Ernst des
Seins“? In jedem Fall ist es ein Stück, dass zum tieferen
Nachdenken anregt.

Im Schlussbild ist wieder die Frau, Eva (?), das ewig
Weibliche (?) das Zentrum, um das alles wie in Derwischtänzen
kreist. Sie wiederholt die monotonen, rhythmisch-zierlichen
Bewegungen der Anfangssequenz, während die Gruppe im
Hintergrund zu immer ekstatisch werdender Musik ihren
athletisch-ästhetischen Tanz in wildem Reigen durchführt und
immer wieder dramatisch-ergreifend wirkende Gruppen bildet,
die wie eine Metapher wirken für (?). Sie muten zum Beispiel
an wie die altgriechische Skulptur „Laokoon-Gruppe“, die den
Todeskampf Laokoons und seiner Söhne zeigt. Das Choreographie-
Bild erinnert auch an Auguste Rodin’s Plastik „Die Bürger von
Calais“, angesehene Bürger, die sich freiwillig opfern
wollten, um mit ihrem Leben die Vernichtung der Stadt zu
verhindern. Die Choreographie apelliert an Urinstinkte von
Angst, Furcht, Gruppe, Individuum und Magie! Sie ist eine
einzige Fragestellung an die Zuschauer*innen.

Es ist eine unglaublich brilliante, mitreißende Präsentation
tänzerischen und choreographischen Könnens voller Power und
Dynamik!

Es gab tosenden,    frenetischen,    nicht   enden   wollenden
Schlussapplaus.
Sie können auch lesen