Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...

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Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Übergänge in der Bildung und Betreuung
von Kindern erleichtern
Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung
in der Schweiz
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Impressum

   Projektteam:
   kibesuisse:		          Nadine Hoch, Geschäftsleitung
   			                    Liridona Kamberi, Assistentin Geschäftsleitung
   			                    Nicole Kaiser, Fachverantwortliche Kindertagesstätten bis Juni 2018

   pro enfance:		 Bénédicte Savary, Sachbearbeiterin «Übergänge»
   			Marianne Zogmal, Vize-Präsidentin

   Fachexpertinnen und
   Fachexperten:		     Esther Hartmann, Kursleiterin bei kibesuisse
   			                 Veronika Neruda, Fachbereichsleitung Familie und Gesellschaft, SODK
   			(Konferenz der Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren)
   			                 Tania Ogay, Professorin Universität Fribourg
   			                 Sascha Neumann, ehem. Professor Universität Fribourg, seit 2017
   			                 Professor an der Universität Luxemburg

   Herausgeber:		         kibesuisse Verband Kinderbetreuung Schweiz in Kooperation
   			                    mit pro enfance – Westschweizer Plattform für Kinderbetreuung

   Erschienen:		          September 2018, 1. Auflage

   Sprachen:		            Deutsch und Französisch

   Druck: 			             Niedermann Druck, St. Gallen

   Gestaltung/Layout:		   Sehstoff GmbH, Baden

   Lektorat:		            Silja Munz, Ebbe & Flut, St. Gallen

   Übersetzung:		         Tobias Wehrli, Genf
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
In|halt
		       Einführung

     4   Prolog

     5   Horizontale und vertikale Übergänge

     6   Übergänge in der Schweiz

     7   Zusammenfassung

		       Praxisbeispiele

  8      Seebezirk: Eine Institution, mehrere Betreuungsformen, eine Betreuungsperson

 10      Mendrisiotto: Von der Selbsthilfe zum professionellen Anbieter

 12      Zürich: Bedürfnisorientierte Betreuung unter einem Dach

 14      Tessin: Gemeinsame Weiterbildungen aller Akteure im Frühbereich

 16      Cham: Einheitliches Betreuungsgutschein-Modell vom Baby bis zum Schulkind

 18      Carouge: Ein gemeinsames Buch erleichtert die Übergänge

 20      Neuenburg: Gemeinsame politische Leitung für Schule und Betreuung

 22      Nyon: Kurze Wege und enge Zusammenarbeit dank gemeinsamer Räume

 24      Thurgau: Kantonales Netzwerk «Guter Start ins Kinderleben»

		       Schlusswort

 26      Kohärenz und Kontinuität trotz Vielfalt der Ansätze

 27      Danksagung

                                                                                  Inhaltsverzeichnis | 3
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
September
                           en                Lily                    Mami                 Papi                          Omi

                                                                                                                                      ..
                                                                      Ben in Kita

                         Kita
                                                                                       7:30 Meeting!
     4 Montag                             Kindergarten                                                             Geburtstag

                                                                                                                              �
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                                                                     Kuchen für Omi
                                                                                       8:00                          76!

                                                                                                                             -- .
                                                                                          Ben in Kita

                         Кita

                                                                                                                          5
     5 Dienstag                           Kindergarten

                                                                                             ·-
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                                                                     14:30   Yoga
                                                                                       mit Omi zum Arzt
                     Zuhause mit Mami                                                                              9:30   Arzt

                                                                                                                        �
                                                                                                                 �
     6 Mittwoch                                                              Ben

                                                                                                                        �
                                                                                                                        �
                                                                                                                        0
                                                                                                                        0
                                                                                                                     ..
                    14:00 Babyschwimmen   Sarah zu Besuch            Kinderschwimmen

                    8:00 zu Susi                                                        Ben zu Susi

                                                                                                           �
     7 Donnerstag   9:30                  Kindergarten

                         Omi
                                           Kindergarten               Ben zu Omi       9:00 Zahnarzt!                   Ben +

                                                                                                         I
     8 Freitag

                                                                                       ..
                                           Omi       zu Omi                                                              Lily
                                           Fussball 14:00                                                               ganzer Tag!

                         Ausflug ins Tessin!

                                                                                                     vf
                                                                                                         \��
     9 Samstag
                                                                      -- .
                                                                     5

                                                                                                '·
     10 Sonntag          Sabine und Kurt mit Kindern treffen                                        nächste Woche ...
                                                                                         Fussball

Pro|log
Eine Woche mit Lily und Ben
Lily ist vier Jahre alt. Seit kurzem besucht sie den Kin-             Sein Papi bringt ihn morgens auf dem Weg zur Arbeit
dergarten. Sie hat sich sehr darauf gefreut und ge-                   dorthin. Ben mag seine Nachbarin nicht so. Er wäre
hofft, dort viele neue «Gspänli» zu finden. Obwohl sie                lieber in der Kita oder bei Omi. Darum freut sich Ben
die Kindergartenlehrerin und die Klassenkameraden                     immer sehr auf den Freitag, den er ganztags bei Omi
nett findet, vermisst sie ihr gewohntes Umfeld aus                    geniessen darf.
der Kita. Ihre zwei besten Freundinnen sind ebenfalls
im Kindergarten, nur leider nicht im gleichen wie sie.                Diese Woche ist alles anders. Das bringt Unruhe in
Auch Omi fehlt Lily im Moment ein wenig. Bis vor kur-                 die sonst so durchorganisierte Wochenplanung der
zem verbrachte sie jeden Freitagvormittag mit ihrem                   Familie. Bei Ben ist das Schwimmen kurzfristig aus-
Bruder bei ihr. Jetzt sieht sie Omi am Freitag nur noch               gefallen. Also fährt er mit Mami am Mittwoch zum
kurz über den Mittag zum Essen, bevor sie weiter ins                  Wocheneinkauf in den Supermarkt. Das Alternativ-
Fussballtraining geht.                                                programm ist nicht im Sinne von Ben – einkaufen
Auch für Ben, Lilys Bruder, bringt die Woche einige                   findet er doof. Auch für Lily läuft die Woche anders
Wechsel mit sich. Der Zweijährige ist Montag und                      als geplant. Sie liegt seit Montag mit einer Grippe
Dienstag in der Kita, seine Eltern sind beide berufs-                 im Bett und muss die ganze Woche zuhause bleiben.
tätig. Den Mittwoch verbringt Ben mit Mami da-                        Weil Mami und Papi bei der Arbeit nicht fehlen kön-
heim, am Nachmittag geht er für zwei Stunden zum                      nen, organisieren sie für die Woche eine ausserplan-
Schwimmen. Auf das Schwimmen freut sich Wasser-                       mässige Lösung. In solchen Fällen springen meistens
ratte Ben immer riesig. Obwohl kein Kind vom Kurs                     die Grosseltern ein.
mit ihm in die Kita geht, hat Ben dort viele Spielka-                 Wie Lily und Ben bewältigen Kinder in ihrem Betreu-
meraden gefunden. Den Donnerstag mag Ben am                           ungsalltag viele Schnittstellen und Übergänge. Was
wenigsten. Dann ist er jeweils bei der Nachbarin.                     bedeutet dies für sie tagtäglich und auf längere Zeit?

4 | Einführung
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Ho|ri|zon|ta|le und ver|ti|ka|le
Übergänge
Lilys und Bens Geschichte ist fiktiv. Dennoch steht       In einem zweijährigen Projekt haben sich kibesuisse
sie sinnbildlich für die Situation vieler Familien in     und pro enfance intensiv mit den Rahmenbedingun-
der Schweiz. Wie für Lily und Ben gibt es im Bildungs-    gen und strukturellen Gegebenheiten vertikaler und
und Betreuungswelten vieler Kinder Schnittstellen         horizontaler Übergänge auseinandergesetzt. Dabei
und Übergänge: Bei jedem Wechsel von einem Be-            wurde die aktuelle Situation in der Übergangsthema-
treuungsort zum nächsten, beim Eintritt in den Kin-       tik verschiedener Betreuungs- und Bildungssettings
dergarten oder beim Übertritt in eine neue Schul-         innerhalb der Schweiz recherchiert und mit Hilfe an-
stufe.                                                    erkannter Experten analysiert.

 «Es kann sein, dass ein Kind an einem Tag
zu einer Tagesfamilie geht, am anderen von
                                                                                                      !
der Nachbarin betreut wird und am nächs-
 ten Tag zuhause bei seiner Mutter ist.             »         Horizontal? Vertikal? Eine Definition
                                                              Der Experte unterscheidet beim Begriff
                                                              «Übergang» zwischen horizontal und ver-
                      Esther Hartmann,                        tikal: Ein Wechsel zwischen verschiedenen
                      Kursleiterin bei kibesuisse
                                                              Einrichtungen, Institutionen oder Betreu-
                                                              ungspersonen innerhalb dieser Institutio-
                                                              nen wird als horizontaler Übergang bezeich-
Viele dieser Schnittstellen und Übergänge verstecken          net. Bei altersbedingten Eintritten in eine
sich im Alltag. Oft sind sich die verantwortlichen Per-       nächsthöhere Stufe, wie zum Beispiel der
sonen nicht oder zu wenig bewusst, was aus der Sicht          Wechsel von der Kita in den Kindergarten
des Kindes geschieht: Es wechselt den Ort, muss sich          oder vom Kindergarten in die Schule, hat
stets auf neue Situationen einstellen, kommt dabei            das Kind einen vertikalen Übergang zu be-
mit den unterschiedlichsten Betreuungspersonen in             wältigen.
Kontakt, begegnet immer wieder anderen Kindern
und orientiert sich dabei ständig neu. Diese tägliche
Bewältigung solcher Situationen bringt viele positive
Aspekte mit sich, birgt aber auch Herausforderungen.
                                                            « Es geht bei vertikalen Übergängen für
                                                          das Kind auch um einen Statusaufstieg, das
Die Verbände kibesuisse und pro enfance engagieren
sich für die Verbesserung der familien- und schuler-
                                                           Bewusstmachen ‘Ich gehöre jetzt zu einer
gänzenden Kinderbetreuung, bieten Hilfestellung für         anderen Altersgruppe. Ich bin gross!’.          »
Eltern in der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbs-                         Sascha Neumann,
tätigkeit und fördern den qualitativen und quanti-                           Professor an der Universität Luxem-
tativen Ausbau von schul- und familienergänzenden                            burg, ehemals Professor an der Uni-
                                                                             versität Fribourg
Betreuungsangeboten.

                                                                                                  Einführung | 5
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Über|gänge in der Schweiz
Die Schweizer Bildungs- und Betreuungslandschaft              «Übergänge sind immer bedingt durch
für Kinder im Vorschul- und Schulalter ist sehr he-        die Ordnung des Bildungs- und Betreuungs-
terogen. Viele Kinder bewegen sich in den verschie-           systems. Es geht also um strukturelle
densten Betreuungs- und Bildungswelten. Dies, weil           Effekte. Das bedingt derzeit eine starke
Schulbetriebe noch immer voraussetzen, dass Kinder
                                                           Fragmentierung, das heisst: Von 0–4 habe
während der schulfreien Zeit durch einen verfügbaren
                                                               ich jene Angebote, von 5–6 jene und
Elternteil oder in einem familienergänzenden Ange-
                                                            von 7–12 ist es wieder anders. Damit erge-
bot betreut werden. Diese Situation stellt für viele
Eltern organisatorisch eine grosse Herausforderung
                                                                ben sich Übergänge, die eigentlich
dar. Auf diese Weise fällt den Betreuungsanbietern                  gar nicht notwendig sind.        »
nicht selten die Aufgabe zu, Betreuungslücken zu fül-                        Sascha Neumann,
len, die nicht durch die Schule oder Eltern abgedeckt                        Professor an der Universität Luxem-
werden können.                                                               burg, ehemals Professor an der Uni-
                                                                             versität Fribourg

  «Der Föderalismus ermöglicht regionale                   Erziehungsdirektionen angesiedelt, während die
Umsetzungsfreiheiten und unter­schiedliche                 Betreuungsangebote für Vorschulkinder in den Zu-
Handhabungen. Er bringt aber auch Heraus-                  ständigkeitsbereich der Sozialdepartemente fallen.
 forderungen mit sich, da fehlende einheit-                Auf interkantonaler Ebene äussert sich das durch die
                                                           unterschiedlichen Zuständigkeiten der Erziehungs-
  liche Rahmen­bedingungen und Mindest-
                                                           direktoren- (EDK) und Sozialdirektorenkonferenz
standards Inkohärenzen verursachen und zu
  echten Ungleichheiten führen können.                 »   (SODK). Diese unterschiedlichen Zuständigkeiten
                                                           und die starke Fragmentierung der Angebote für die
                                                           jeweiligen Altersklassen haben in den letzten Jahren
                    Tania Ogay,                            zusätzliche Schnittstellen und Übergänge geschaf-
                    Professorin Universität Fribourg       fen. Es fehlen gesamtschweizerische Rahmenbedin-
                                                           gungen und Mindeststandards. Die regional unter-
                                                           schiedlichen Handhabungen verursachen vielerorts
Besonders der für die Schweiz typische Föderalis-          Mehrkosten und schaffen Ungleichheiten zu Lasten
mus prägt die familien- und schulergänzende Kin-           der Eltern oder der Kinder.
derbetreuung stark. Schulergänzende Betreuungs-
angebote, wie auch die Schulen, sind in der Regel
bei den kantonalen Bildungsdepartementen und
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Zu|sam|men|fass|ung
Die familienergänzende Kinderbetreuung in der             setzung für das Betreuungspersonal und die Qualität der
Schweiz ist geprägt von vielen Schnittstellen und         pädagogischen Arbeit. Behörden, Betreuungsinstitutio-
Übergängen zwischen den beteiligten Institutionen         nen und Fachstellen haben die Herausforderungen und
und den Behörden. Schnittstellen und Übergänge            die Wichtigkeit der Übergangsthematik erkannt und
nun aber als grundsätzlich problematisch anzusehen,       interne Umgangsweisen und Handhabungen entwickelt
wäre eine defizitorientierte Sichtweise. Um die Kinder    und initialisiert. Kibesuisse, Verband Kinderbetreuung
nicht zu überfordern, müssen die nötigen Ressourcen       Schweiz, und pro enfance, Westschweizer Plattform
zur Verfügung stehen, und zwar mit bildungs-, entwi-      für Kinderbetreuung, möchten noch stärker auf die
cklungs- und lernförderlichen Hilfen während allen        Übergangsthematik im Bildungs- und Betreuungsalltag
Bildungsstufen und -bereichen.                            der Kinder aufmerksam machen und konkrete Lösungs-
                                                          ansätze bieten. Die vorliegende Publikation informiert
«Übergänge werden als Wandlungsprozesse verstan-          über die aktuellen Erkenntnisse zum Thema und liefert
den, in denen Lebenszusammenhänge des Kindes ent-         praktische und lösungsorientierte Musterbeispiele aus
scheidende Umstrukturierungen erfahren.»1 Bei jedem       der Schweiz. Sie richtet sich an pädagogische Fachper-
Übergang müssen alte Beziehungen mit neuen in Ein-        sonen, Behörden, Entscheidungsträger und die breite
klang gebracht und neu definiert werden. Somit bieten     Öffentlichkeit. Ein Informationsvideo unterstützt die
Übergänge für die Kinder auch wichtige Lern- und Ent-     Ausführungen dieser Publikation.
wicklungsfelder und positive Herausforderungen. Damit
diese für die Kinder und Familien harmonisch verlaufen,
braucht es eine aktive Zusammenarbeit und die nötige       « Schnittstellen und Übergänge betreffen
Aufmerksamkeit aller Personen, die das Kind im Alltag        mehrere Akteure und Institutionen
begleiten. Diese Faktoren haben einen wichtigen Ein-      und müssen daher gemeinsam gedacht, an-
fluss auf das Wohlbefinden der Kinder und sind Voraus-       gegangen und bearbeitet werden.               »
                                                                            Veronika Neruda,
                                                                            Fachbereichsleitung Familie
                                                                            und Gesellschaft, SODK

Pra|xis|bei|spie|le
Dieses Kooperationsprojekt von kibesuisse und pro         senstransfer leisten, zum gegenseitigen Dialog mo-
enfance hat zum Ziel, die wichtige Thematik von           tivieren und Zusammenarbeiten ebnen. Das Projekt-
Schnittstellen und Übergängen gesamtschweize-             team betont, dass mit den nachfolgenden Beispielen
risch aufzugreifen und konkrete Lösungsansätze zu         nicht die gesamte Schweiz beleuchtet ist. Dennoch
präsentieren. Die neun nachfolgenden Praxisbeispie-       liefert die Publikation spannende Erkenntnisse rund
le zeigen, wie verschiedene Akteure die Thematik der      um die Thematik und zeigt einen Einblick in die Viel-
Schnittstellen und Übergänge im Bildungs- und Be-         falt und Diversität der Angebote und Lösungen inner-
treuungsalltag von Kindern angehen. Dabei setzen          halb der Schweiz.
sie an unterschiedlichen Punkten an: Während einige
die Vernetzung der Behörden fördern, fokussieren
                                                              «Der Austausch zu guten Lösungen
sich andere auf das Gesamtsystem der Bildung und
                                                          und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen
Betreuung, nehmen sich dem Aufbau eines bedarfs­            ist sehr wichtig, damit nicht jeder das
gerechten Angebotes in ländlichen Gebieten an oder                 Rad neu erfinden muss.           »
definieren die pädagogische Bedeutung von Über-
gängen als zentrales Element. Jedes Praxisbeispiel                            Tania Ogay
wird mit Verantwortlichkeiten und Kontaktangaben                              Professorin Universität Fribourg
ergänzt. Auf diese Weise soll die Publikation den Wis-
1
 Simoni und Wustmann (2016). Orientierungs­rahmen für
frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der
Schweiz.
                                                                                                    Einführung | 7
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Eine Institution, mehrere Betreuungs-
            formen, eine Be|treu|ungs|per|son
Seebezirk

                 Eckdaten                                     Im Auftrag der Gemeinden, und mit Hilfe einer dafür
                                                              ins Leben gerufenen Kommission, eröffnete der Ver-
                 Zeitraum Umsetzung                           ein Kibelac, Kinderbetreuung See, im Januar 2014 in
                 • September bis Dezember 2013                Misery-Courtion und Villarepos eine familienergän-
                                                              zende Kinderbetreuung in schulischen Tagesstruktu-
                 • Eröffnung Tagesstrukturen 6. Januar 2014
                                                              ren, ergänzt mit Tagesfamilienbetreuung. Der Bedarf,
                 Koordination                                 der nicht durch die Öffnungszeiten der Tagesstruktur
                 • Susanne Aebischer                          abgedeckt werden kann, wird durch Betreuende in
                                                              Tagesfamilien übernommen, die gleichzeitig als As-
                 Projektbeteiligte                            sistenzpersonal in der Tagesstruktur angestellt sind.
                 • Gemeinden Misery-Courtion und              Somit wird das Kind am Morgen früh und am Abend
                   Villarepos (heute Courtepin)               nach der Schliessung der Struktur durch dieselbe Be-
                 • Verein Kibelac                             zugsperson betreut, die es zeitweise auch in der Ta-
                                                              gesstruktur antrifft.
                 Kosten
                 • CHF 12’000                                 Die Gemeinden Misery-Courtion und Villarepos können
                                                              ein umfangreiches Betreuungsangebot gewährleisten,
                 Finanzierung
                                                              obwohl die Nachfrage nach Betreuung für Kindergar-
                 • Gemeinden Misery-Courtion und Villarepos
                                                              tenkinder vor und nach der Schule oder an schulfreien
                 Kontakt                                      Vormittagen aufgrund des kleinen Schulkreises nicht
                 • Susanne Aebischer                          genügend gross ist, um die Tagesstruktur zu öffnen.
                   Präsidentin Kibelac                        Für die organisatorischen und vertraglichen Arbeiten
                   susanne.aebischer@kibelac.org              und die Vermittlung ist die der Familie zugeteilte An-
                   www.accueildejour.ch/de/see                sprechperson von Kibelac zuständig. Dank dieser Syn-
                                                              ergien in der Vermittlung, aber auch beim Inkasso und
                                                              in der Personalführung können die Fixkosten gesenkt

            8 | Praxisbeispiele
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
werden. Ein Vertrag mit entsprechenden Leistungsver-      noch die Umsetzung der gesetzlichen Auflagen und
einbarungen bildet die Grundlage der Zusammenarbeit       die Reglementierungen der Bewilligungsbehörden
zwischen den Gemeinden und Kibelac.                       hinzu. Aufgrund fehlender Räumlichkeiten mussten
                                                          die an die Schule angrenzenden Räume der Kirchge-
Organisation                                              meinde zwischenzeitlich mit anderen Nutzern geteilt
Kibelac – Kinderbetreuung See – ist eine private und      werden. Seit Sommer 2016 besitzt die Tagesstruktur
gemeinnützige Organisation mit Sitz in Murten, die        eigene Räumlichkeiten und die Kinder haben ausrei-
1990 als Tagesfamilienverein gegründet wurde. Der         chend Platz und Räume zum Spielen, Lernen, Essen
Verein bietet in den Gemeinden des Seebezirks fami-       und soziale Kontakte knüpfen.
lienergänzende Kinderbetreuung durch Tagesfamilien
und Tagesstrukturen. Das Wohl des Kindes und des-         Bedarfsgerechtes Angebot für kleinere Gemeinden
sen Eltern steht dabei im Zentrum. Mit diversen Neu-      Das Betreuungsmodell eignet sich speziell für kleinere,
besetzungen im Vorstand des Vereins im Jahre 2012         ländliche Gemeinden und Regionen mit verzettelten
wurde die Gelegenheit genutzt, einen strategischen        Strukturen. Kibelac bietet mit seinen Dienstleistun-
Entwicklungsprozess anzustossen. Dem Vorstand war         gen ein durchgehendes und effizientes Angebot. Vor
es dabei wichtig, sich an den Bedürfnissen der Familien   kurzem hat Kibelac die Ausschreibung der Gemeinde
zu orientieren und herauszufinden, was diese für ihre     Courtepin für den Aufbau der schulischen Tagesstruk-
Kinder benötigen, wenn sie berufstätig sind. Der neue     turen gewonnen. Die Organisation wird ihre Angebote
Vorstand bezeichnete diesen Vorgang als eigentlicher      weiter professionalisieren und den Ausbau schulischer
Perspektivenwechsel. Dieser ermöglichte das Entwi-        Tagesstrukturen in weiteren Gemeinden vorantreiben.
ckeln und Anbieten des dargestellten Angebotes.

Chancen
Die Anstellung in der Tagesstruktur bietet für die Mit-        Kurzgefasst
arbeitenden der Tagesfamilienbetreuung Abwechs-
lung in ihrer beruflichen Tätigkeit und die Möglich-          • Gleiche Betreuungsperson bietet dem
keit, in einem Team zu arbeiten. Auch eröffnen sich             Kind Kontinuität und Stabilität
durch diese Doppelfunktion neue berufliche Perspek-
                                                              • Harmonische Übergangsituation für
tiven. So zum Beispiel für eine Person, die anfangs in
                                                                das Kind dank nur einer (ortsgebunde-
einer Tagesfamilie arbeitete und seit Gründung der
                                                                nen) Schnittstelle
Tagesstruktur gleichzeitig für die Tagesstruktur als
Assistenzperson tätig ist. Die Person zeigt grosses           • Ganztägige Betreuungsform schafft
Interesse und Engagement für beide Tätigkeiten. Ak-             Entlastung für Eltern
tuell absolviert sie eine kantonale Weiterbildung für
Mitarbeitende in Tagesstrukturen.                             • Ganzheitliche Betreuungslösung aus
                                                                einer Hand über mehrere Betreuungs­
Herausforderungen                                               formen ermöglicht eine bessere Verein-
Bei der Umsetzung galt es, im Zeitraum zwischen                 barkeit von Familie und Erwerbstätigkeit
der Zusage der Gemeinden im August 2013 und der               • Abwechslungsreicher Berufsalltag für
Eröffnung im Januar 2014 eine Leitung und geeigne-              Betreuungspersonen durch Ausweitung
tes Personal für die neu gegründeten, schulischen               des Tätigkeitsprofils
Tagesstrukturen zu finden. Auch die bereits ange-
stellten Betreuungspersonen in Tagesfamilien be-
durften einer entsprechenden Weiterbildung, da
die Betreuung von Kindern in einem Team oder im
eigenen Haushalt nicht dieselben Fach- und Hand-
lungskompetenzen verlangte. Zu guter Letzt kamen

                                                                                              Praxisbeispiele | 9
Übergänge in der Bildung und Betreuung von Kindern erleichtern - Neun Praxisbeispiele aus der institutionellen Kinderbetreuung in der Schweiz ...
Von der Selbsthilfe zum
               pro|fes|si|o|nell|en Anbieter
                    Eckdaten                                          to und bauten über Jahre hinweg ehrenamtlich ein
Mendrisiotto

                                                                      Angebot rund um die Tagesfamilienbetreuung auf.
                    Zeitraum Umsetzung                                Neben der Vermittlung von Tagesfamilien lancierte
                    • ab 1991 laufend                                 der Verein schulische Tagesstrukturen, Betreuung
                                                                      über den Mittag, Kindertagesstätten und Schulfe-
                    Koordination                                      rienbetreuung. 2001 wurde die schulergänzende Kin-
                    • Geschäftsleitung Verein Tagesfamilien           derbetreuung in das Angebot integriert. Fünf Jahre
                      Mendrisiotto                                    später bot das neue kantonale Gesetz schliesslich
                    Projektbeteiligte                                 die Basis zur finanziellen Sicherung der Angebote.
                    • Mitglieder Verein Tagesfamilien                 Ab diesem Zeitpunkt war der Kanton für die Mit-
                      Mendrisiotto                                    finanzierung der Kinderbetreuung zuständig und
                                                                      auch einige Gemeinden beteiligten sich finanziell.
                    Finanzierung                                      Mittlerweile ist der Verein zu einer Institution mit
                    • Laufendes Budget                                120 Mitarbeitenden gewachsen und betreut jedes
                                                                      Jahr rund 1500 Kinder.
                    Kontakt
                    • afdm@bluewin.ch
                                                                      Chancen
                      www.famigliediurne.ch
                                                                      Die wachsende Nachfrage verlangte einen kontinuier-
                                                                      lichen Ausbau des Betreuungsangebots. Die Verant-
                                                                      wortlichen nutzten die Gelegenheit und verknüpfen
                                                                      das Wachstum und den Ausbau mit der stetigen Ver-
               Der regionale Verein Tagesfamilien Mendrisiotto
               engagiert sich für die Vereinbarkeit von Familie und
               Erwerbstätigkeit und bietet Eltern verschiedene Be-
               treuungsformen unter einem Dach an. Die Bedürf-
               nisse und das Wohl des Kindes stehen dabei im Fo-
               kus. Neben der Vermittlung von Tagesfamilien sind
               im Laufe der Jahre auch schulische Tagesstrukturen,
               Betreuung über den Mittag, Kindertagesstätten
               und Betreuungsangebote während den Schulferien
               aufgebaut worden.

               Zusammen mit den Eltern erarbeiten die Vermitt-
               lungspersonen der Trägerschaft eine auf das Kind
               abgestimmte, individuelle Betreuungslösung. Da-
               bei werden die Bedürfnisse der Familien analysiert
               und gemeinsam entschieden, welche Betreuungs-
               form die geeignete ist. Auch Betreuungskombina-
               tionen stehen zur Auswahl. Die Kinder bleiben in
               der Regel bis zum Primarschulaustritt am gleichen
               Betreuungsort. Damit ist die Beständigkeit der Be-
               zugspersonen gewährleistet und die horizontalen
               Übergänge im Alltag der Kinder werden minimiert.

               Organisation
               Aus einer persönlichen Not heraus gründeten 1991
               vier Frauen den Verein Tagesfamilien Mendrisiot-

               10 | Praxisbeispiele
besserung der Angebote. Hinter der Erfolgsgeschichte     Weiterentwicklungsprozess. Die Anerkennung von
des Vereins stehen Schlüsselpersonen, die viel persön-   Betreuungspersonen in Tagesfamilien soll erhöht,
liches Engagement geleistet haben und sich auch wei-     die Professionalisierung vorangetrieben und damit
terhin unaufhörlich dafür einsetzen, bessere Rahmen-     auch das Selbstbewusstsein des Personals gestärkt
bedingungen für die Kinder im Südtessin zu schaffen.     werden. Dabei steht immer der Grundgedanke im
                                                         Fokus, Eltern und Kindern ein umfassendes Betreu-
Herausforderungen                                        ungsangebot zu bieten. Zudem widmen sich aktuelle
Aktuell engagiert sich der Verein stark in der Säug-     Projekte auch dem qualitativen Ausbau der Angebo-
lingsbetreuung. Das Angebot ist zu klein, denn es        te in der Säuglingsbetreuung.
können nicht genügend ausgebildete Betreuungs-
personen in Tagesfamilien gefunden und rekrutiert
werden. Des Weiteren ist die gesamte Ausbildung              Kurzgefasst
der Tagesfamilien noch nicht optimal gelöst, da die
Anbindung an die Deutschschweiz aus sprachlichen             • Individuelle, auf das Kind und die Familie
Gründen schwierig ist. Der Verein hat deshalb ein              zugeschnittene Betreuungslösung
eigenes Ausbildungsangebot geschaffen. Zu guter
Letzt bleibt die finanziell angespannte Lage des Ver-        • Gleicher Betreuungsort bis Schuleintritt
eins eine permanente Herausforderung.                          schafft Stabilität und minimiert die
                                                               horizontalen Übergänge für das Kind
Qualität und Quantität im Angebot
                                                             • Feste Bezugspersonen gewährleisten
Der Verein befindet sich in einem kontinuierlichen
                                                               Kontinuität und Beständigkeit im Alltag
                                                               des Kindes

                                                             • Professionelles Netzwerk und starke
                                                               regionale Verankerung dank hohem
                                                               persönlichem Engagement schaffen hohe
                                                               Qualitätsstandards bei den Angeboten

                                                             • Betreuungsvielfalt vereint unter einem
                                                               Dach sorgt für Entlastung in der Verein-
                                                               barkeit von Familie und Erwerbstätigkeit

                                                                                          Praxisbeispiele | 11
Bedürfnisorientierte Betreuung
         un|ter ei|nem Dach
          Eckdaten                          Die Stiftung GFZ der Stadt Zürich (ehemals Gemein-
Zürich

                                            nütziger Frauenverein Zürich) bietet ein vielfältiges
          Zeitraum Umsetzung                Kinderbetreuungsangebot unter einem Dach. Unter
          • seit 2009 laufend               dem Aspekt der Familie als Gesamtsystem steht die
                                            Beratung, Betreuung und Begleitung der ganzen Fa-
          Koordination
                                            milie im Zentrum. Das Erstgespräch bildet das Kern-
          • Geschäftsleitung Stiftung GFZ
                                            stück der zukünftigen Kooperation. Gemeinsam mit
          Projektbeteiligte                 den Eltern werden die familiäre Lebenssituation und
          • Stiftung GFZ                    der Alltag des Kindes angeschaut. Die enge Zusam-
                                            menarbeit zwischen allen Beteiligten schafft eine
          Finanzierung                      harmonische Übergangsgestaltung mit der für die
          • laufendes Budget                Kinder bestmöglichen Betreuungsform. Mit dieser
                                            Beratung und der Wahlmöglichkeit zwischen den
          Kontakt
                                            unterschiedlichen Betreuungsformen sind Eltern in
          • Raffaela Vedova
                                            der Lage, die Übergänge ihres Kindes zu beeinflus-
            Geschäftsleitung GFZ
                                            sen und aktiv mitzugestalten.
            raffaela.vedova@gfz-zh.ch
            www.gfz-zh.ch
Organisation                                              Kurzgefasst
Seit 1885 bietet die Stiftung GFZ Betreuung von
Kindern in Kindertagesstätten an. Mit der Übernah-        • Beratung, Betreuung und Begleitung
me des Tagesfamilienvereins Zürich erweiterte die           stützt das «Gesamtsystem Familie»
Stiftung 2009 ihr Angebot. Seit diesem Zeitpunkt            und schafft individuelle Betreuungs­
profitieren Eltern nebst Plätzen in einer der GFZ Kin-      lösungen
dertagesstätten auch von Betreuungsangeboten in
                                                          • Bedarfsgerechte Angebote und
Tagesfamilien. Mit dem Ausbau rückten die Übergän-
                                                            indivi­duelle Wahl der Betreuungsform
ge zwischen den einzelnen Betreuungsformen ver-
                                                            für Kinder bis Schulaustritt
mehrt in den Fokus. Die Bildung von drei Familien-
zentren erweiterte das GFZ Angebot erneut. Aktuell        • Erstgespräch und fundierte Analyse als
betreut die Stiftung über 1600 Kinder in 14 Kinder-         Kernstück, Entscheidungsgrundlage
tagesstätten und 90 Tagesfamilien und betreibt drei         und Basis der langfristigen Kooperation
eigene städtische Familienzentren.                          mit Familie, Eltern und Kindern

Chancen                                                   • Eine Bezugsperson vereinfacht horizont­­
Die Übergänge für die betreuten Kinder und deren            ale und vertikale Übergangsituationen
Familien aufmerksam zu begleiten, etablierte sich           und gewährleistet Konstanz und Stabili-
für die Stiftung zur gelebten Organisationskultur.          tät im Kinderalltag
Mit den schulischen Tagesstrukturen besteht eine
                                                          • Innovatives Führungsmodell motiviert
enge Kooperation. Die vertikalen Übergänge von der
                                                            Mitarbeitende und bietet individuelle
Kindertagesstätte in die Tagesstrukturen werden im
                                                            Entwicklungspotenziale
pädagogischen Alltag immer aufs Neue thematisiert
und reflektiert. Auch innerhalb der Familienzentren
werden Synergien genutzt, Übergänge bestmöglich
gewährleistet und die Anliegen und Bedürfnisse der
Eltern abgeholt.

Herausforderungen
Für die kompetente und professionelle Beratung
und Begleitung werden die Mitarbeitenden speziell
geschult und im Bereich Beratungskompetenz aus-
gebildet. Die hohen Qualitätsstandards und die auf-
merksame und zeitintensive Begleitung der Familien
in Übergangssituationen machen kompetentes und
engagiertes Fachpersonal unabdingbar und sind zu-
dem kostenintensiv.

Mitarbeitende stärken für gelingende Übergänge
Neben der laufenden Weiterentwicklung der Orga-
nisation werden neue Projekte vorangetrieben. Die
geplante Aufhebung der Gruppenleitungsfunktionen
und Hierarchien soll die Fachlichkeit und die Eigenver-
antwortlichkeit der Mitarbeitenden stärken und sich
positiv auf die Gestaltung der Übergänge auswirken.

                                                                                      Praxisbeispiele | 13
Ge|mein|sa|me Wei|ter|bil|dung|en
         aller Akteure im Frühbereich
              Eckdaten                                        Dank des Orientierungsrahmens2 kam es zu einer An-
Tessin

                                                              näherung zwischen Betreuungsangeboten im Früh-
              Zeitraum Umsetzung                              bereich, wie zum Beispiel Kindertagesstätten und
              • 2016 bis 2020                                 schulergänzenden Betreuungseinrichtungen sowie
                                                              Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen
              Koordination                                    Departemente des Kantons Tessin (Sozial-, Gesund-
              • Plattform «Tipi»                              heits- und Bildungswesen). Diese Akteure haben die
              • Fachhochschule der italienischen              Plattform «Tipi» gebildet, um die Zusammenarbeit
                Schweiz (SUPSI), Fachbereich                  durch die gemeinsame Weiterbildung des Fachper-
                Soziale Arbeit                                sonals zu stärken. Mit der Fachhochschule der italie-
                                                              nischen Schweiz (SUPSI) wurde ein umfangreiches
              • Amt zur Unterstützung von Institutio-         Angebot an Weiterbildungskursen und öffentlichen
                nen und Aktivitäten für Familien und          Vorträgen für Fachpersonen in der familien- und
                Jugendliche, Departement für Gesund-          schulergänzenden Betreuung, Lehrpersonen und
                heit und Soziales des Kantons Tessin          Eltern ins Leben gerufen. Das Thema der Zusam-
                                                              menarbeit zwischen involvierten Akteuren wird in
              Projektbeteiligte
                                                              verschiedenen Schulungen, neuen Weiterbildungen,
              • Paola Milani, Universität Padua
                                                              öffentlichen Vorträgen oder bereits bestehenden
              • Schweizerische UNESCO Kommission              Grundausbildungen behandelt. In den Weiterbil-
                sowie diverse Verbände, Institutionen,        dungsveranstaltungen führen Leitungspersonen
                Dienste und Strukturen aus den verschie-      von Betreuungseinrichtungen das Fachpersonal zu-
                denen Bereichen der Kinderbetreuung           sammen oder es werden gemeinsame Veranstaltun-
                                                              gen mit den Betreuungsteams mehrerer Einrichtun-
              Finanzierung
              • Jacobs Foundation

              • Programm zur Bekämpfung von Armut,
                Bundesamt für Sozialversicherungen

              • Stiftung Mercator

              • Die beiden zuständigen Departemente
                des Kantons Tessin

              • SUPSI

              • Verschiedene im Bereich Kinder­
                betreuung tätige Verbände und Dienste

              Kontakt
              • Paola Solcà
                Forscherin und Dozentin, SUPSI
                paola.solca@supsi.ch
                www.supsi.ch

         2
          Simoni und Wustmann (2016). Orientierungsrahmen
         für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung
         in der Schweiz.

         14 | Praxisbeispiele
gen durchgeführt. Die erste gemeinsame Schulung           Chancen und Herausforderungen
brachte Fachleute aus dem Vorschulbereich und der         Das Projekt stiess von Anfang an auf eine breite Un-
Betreuung im Frühbereich zusammen.                        terstützung aller Beteiligten. Die gemeinsamen Aus-
                                                          bildungen fördern das gegenseitige Verständnis und
Organisation                                              die Anerkennung des Fachpersonals in den verschie-
Die Fachhochschule der italienischen Schweiz (SUP-        denen beruflichen Feldern. Die Hindernisse waren
SI) bietet mit der Fachrichtung Soziale Arbeit für        und sind einerseits noch praktischer Natur, anderer-
Fachpersonen in der familien- und schulergänzen-          seits erfordern gewisse Veränderungen in der Praxis
den Betreuung bereits ein breites Angebot an Schu-        eine Einstellungsveränderung gegenüber den Fami-
lungen und Weiterbildungen. Mit dem erweiterten           lien. Der unterschiedliche Kenntnisstand der ver-
Angebot legt sie den Grundstein für eine partner-         schiedenen Partner muss ausbalanciert werden, um
schaftliche Zusammenarbeit aller involvierten Ak-         eine gegenseitige pädagogische Mitverantwortung
teure der Betreuung im Frühbereich.                       aufzubauen. Es ist wichtig, dass die Standpunkte
                                                          von Familien, insbesondere von unterstützungsbe-
Alle in der Plattform «Tipi» zusammengeschlossenen        dürftigen Eltern, in die Netzwerktreffen integriert
Akteure waren sich in einem Punkt einig: Zu selten        werden. Die behandelten Themen sind Gegenstand
kommen Betreuungsfachkräfte und Lehrpersonen zu-          von Publikationen und werden längerfristig über die
sammen oder tauschen Informationen aus. Dies ist für      Projektdauer hinaus weiterentwickelt.
alle Familien, vor allem aber für unterstützungsbedürf-
tige Familien, problematisch. Alle Akteure stuften ihre
Bemühungen in der Zusammenarbeit mit den Familien,
insbesondere beim Übertritt von der Betreuungsein-
richtung in die Schule, als noch ungenügend ein.              Kurzgefasst
                                                              • Annäherung und Stärkung des Gemein-
                                                                schaftsgefühls aller Beteiligten im
                                                                Frühbereich dank gemeinsamer Schulung
                                                                und gleicher Lernziele

                                                              • Die Plattform «Tipi» fördert gegenseiti-
                                                                ges Verständnis und schafft Vertrauen
                                                                und Bereitschaft zur berufsübergreifen-
                                                                den Zusammenarbeit

                                                              • Erhöhung der Zusammenarbeit aller invol-
                                                                vierten Akteure und Vereinheitlichung der
                                                                Qualitätsstandards und Anforderungen
                                                                an die Angebote

                                                              • Bildung eines Netzwerkes im Frühbereich
                                                                mit allen wichtigen Akteuren, insbesonde-
                                                                re für (unterstützungsbedürftige) Familien

                                                              • Grundsteinlegung für eine langfristige
                                                                Vereinfachung der horizontalen und
                                                                vertikalen Übergänge für die Kinder im
                                                                Kanton Tessin

                                                                                           Praxisbeispiele | 15
Einheitliches Be|treu|ungs|gut|schein-
       Mo|dell vom Baby bis zum Schulkind
            Eckdaten
Cham

            Zeitraum Umsetzung
            • Start Planungsphase: September 2014

            • Einführung Betreuungsgutschein-
              Modell: Januar 2016

            Koordination
            • Thomas Bonati, Abteilungsleiter
              Soziales und Gesundheit Cham

            Projektbeteiligte
            • Departemente Soziales und Gesundheit

            • Bildungsdepartement Gemeinde Cham

            Finanzierung
            • Über interne Ressourcen

            Kontakt
            • Thomas Bonati
              Abteilungsleiter Soziales
              und Gesundheit Cham
              thomas.bonati@cham.ch
              www.cham.ch

       Mit einkommensabhängigen Betreuungsgutschei-           ne vom steuerbaren Einkommen abhängig war, ana-
       nen unterstützt die Gemeinde Cham Eltern bei der       lysierte die Gemeinde die Steuerzahlen der Chamer
       Bezahlung von Betreuungs- und Bildungsleistungen       Familien. Mit den gewonnenen Erkenntnissen wur-
       in Kindertagesstätten, Tagesfamilien, Spielgruppen,    de eine Einkommensobergrenze festgelegt, um den
       schulergänzenden Angeboten und in der Ferienbe-        Mittelstand angemessen zu entlasten.
       treuung. Alle Familien haben somit gleichberechtig-
       ten Zugang zu zahlbarer Kinderbetreuung. Da sämt-      Chancen
       liche Angebote demselben Finanzierungsmodell           Die Gemeinde entrichtet ihre Betreuungsbeiträge
       angeschlossen sind, erfahren die Familien eine or-     nicht mehr an die Bildungs- und Betreuungseinrich-
       ganisatorische Erleichterung bei der Beanspruchung     tungen in Form von subventionierten Plätzen für
       der unterschiedlichen Betreuungs- und Bildungsan-      Familien mit ökonomisch eingeschränkten Möglich-
       gebote.                                                keiten. Stattdessen erhalten bezugsberechtigte El-
                                                              tern einen sogenannten einkommensabhängigen Be-
       Die zunehmend unbefriedigende Ausgangslage bei         treuungsgutschein, mit dem sie das für sie und ihre
       den bestehenden Kindertagesstätten sprach für          Kinder passende Betreuungsangebot auswählen.
       die Lancierung eines Projekts mit dem Ziel, das Sys-   Dadurch sind die organisatorischen Abläufe schlan-
       tem zu prüfen und zu optimieren. Bevor das Projekt     ker, die Betreuungskosten reduziert und die Eltern
       lanciert und umgesetzt werden konnte, musste es        haben mehr Wahlmöglichkeiten bei den Betreuungs-
       zuerst in der Gemeinde zur Abstimmung gebracht         formen. So steht ihnen zum Beispiel offen zu ent-
       werden. Da die Höhe der neuen Betreuungsgutschei-      scheiden, ob das Kind während des Kindergartens

       16 | Praxisbeispiele
Unterlagen mussten neu und je nach Angebot leicht
                                                       modifiziert werden. Hinzu kam die Anpassung sämt-
                                                       licher interner Prozesse.

                                                       Zugänglichkeit für alle Familien erleichtern
                                                       Mit dem Systemwechsel konnte die Gemeinde ge-
                                                       nerelle Qualitätskriterien für die Kinderbetreuung
                                                       festlegen, die über das gesetzliche Minimum hinaus-
                                                       gehen. Diese werden in einer Vereinbarung mit den
                                                       Kindertagesstätten aufgeführt. Bei allen Kinderta-
                                                       gesstätten, die diese Vereinbarung unterschrieben
                                                       haben, können Betreuungsgutscheine eingelöst
                                                       werden. Um die Bedürfnisse der Kinder laufend bes-
                                                       ser integrieren zu können, wurde das Subventions-
                                                       system bereits 2017 erstmals leicht überarbeitet.

                                                           Kurzgefasst
                                                          • Individuelle und bedarfsorientierte Be-
                                                            treuungslösungen dank freier Wahlmög-
                                                            lichkeit der Betreuungsform

                                                          • Einkommensabhängige und einheitliche
                                                            Verrechnung bietet Chancengleichheit
                                                            und Fairness für alle Familien

weiter in der Kindertagesstätte oder bereits in den       • Optimierung der Abläufe dank einheitli-
schulischen Tagesstrukturen betreut werden soll.            chem Finanzierungsmodell

                                                          • Die Vereinfachung der organisatorischen
Herausforderungen
                                                            Abläufe schafft Erleichterung und bessere
Die Einigung auf ein gemeinsames Tarifsystem über
                                                            Vereinbarkeit für Familie und Erwerbstä-
zwei Departemente hinweg (Bildung und Soziales)
                                                            tigkeit
war anspruchsvoll und herausfordernd. Da keine voll-
ständigen Zahlen und Daten vorhanden waren, ge-           • Einfachere Bewältigung der horizontalen
staltete sich auch die definitive Kosteneinschätzung        und vertikalen Übergänge im Alltag der
für die Gemeinde als schwierig. Die zentrale Frage,         Kinder
bis zu welchem Einkommen maximal mit welchen Bei-
trägen subventioniert werden soll, damit die Betreu-
ungsgutscheine ihre Wirkung entfalten und die Ver-
einbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit wirklich
unterstützt wird, bedurfte eines entsprechenden Ta-
rifsystems. Die Ausweitung der Betreuungsgutschei-
ne auf die Spielgruppen stellte die Verantwortlichen
der Spielgruppen ebenfalls vor Herausforderungen.
Auch galt es, die administrativen Arbeiten im Hin-
tergrund zu organisieren. Sämtliche Formulare und

                                                                                       Praxisbeispiele | 17
Ein ge|mein|sam|es Buch
          erleichtert die Übergänge
               Eckdaten                                           Organisation
Carouge

                                                                  Einmal jährlich trifft sich die verantwortliche Arbeits-
               Zeitraum Umsetzung                                 gruppe und schlägt dabei Brücken zwischen den Be-
               • Seit 2013                                        treuungseinrichtungen und den Schulen. Zum Gremium
                                                                  gehören die Leitungen der Schulen und Betreuungsein-
               Koordination                                       richtungen sowie die Verantwortliche der Abteilung für
               • Abteilung für Soziales der Gemeinde              Soziales der Stadt, die durch die Vorsteherin der Abtei-
                 Carouge                                          lung frühe Kindheit vertreten wird. Sie nimmt eine Art
                                                                  Vermittlerrolle wahr. Das schafft Vertrauen und stärkt
               Projektbeteiligte
                                                                  die Zusammenarbeit. Die jährliche Sitzung, an der das
               • Schulgemeinde und Kinderbetreuungs­
                                                                  Buch ausgewählt wird, nutzen die Lehrpersonen und
                 einrichtungen Carouge
                                                                  Betreuungsfachkräfte auch dazu, sich über aktuelle
               Finanzierung                                       Herausforderungen auszutauschen und gemeinsam
               • über ordentliches Gemeindebudget                 Lösungen zu finden. Die Fragen, die im Laufe solcher
                                                                  Evaluationssitzungen auftreten, stützen die Weiter-
               Kontakt                                            entwicklung des Projekts. Der Aufwand der Mitglieder
               • Julie Schnydrig Kettenacker                      für die Arbeitsgruppe ist sehr niedrig, da sich diese nur
                 Vorsteherin der Abteilung                        ein einziges Mal pro Jahr trifft und die Sitzung als Wei-
                 für frühe Kindheit                               terbildungszeit gilt. Die Kosten für die rund zwanzig
                 j.schnydrig@carouge.ch                           Buchexemplare übernimmt die Gemeinde.
                 www.carouge.ch

          Sind Schnittstellen und Übergänge in ein pädagogi-
          sches Konzept eingebettet und durchdacht, können
          die betroffenen Kinder an ihnen wachsen. Diesen
          Leitsatz hat die Stadt Carouge als Ansatz gewählt
          und in Zusammenarbeit mit den Schulen und den
          Betreuungseinrichtungen im Frühbereich ein Über-
          gangsprojekt entwickelt. Die Projektidee rückt den
          pädagogischen Aspekt beim Eintritt in die Primar-
          schule in den Mittelpunkt. Dabei wird jährlich ein
          Buch für die Kinder ausgewählt, um Carouger Kin-
          dern den Übergang von der Vorschulbetreuung in die
          Schule zu erleichtern. Sie lesen das Buch im Juni ge-
          meinsam mit den Teams in ihrer Betreuungseinrich-
          tung, bevor sie es zu Beginn des Schuljahres in ihrer
          neuen Klasse im Kindergarten erneut lesen. Das nach
          pädagogischen Kriterien ausgewählte Buch handelt
          von einer Geschichte, die die positiven Aspekte von
          Veränderungen aufzeigt. Eltern, deren Kinder keine
          Betreuungsstruktur besuchen, können das Buch in
          der Stadtbibliothek ausleihen und mit ihren Kindern
          lesen, so dass auch diese auf den Schuleintritt vor-
          bereitet sind.

          18 | Praxisbeispiele
Chancen und Herausforderungen
Durch die auf der Grundlage einer konkreten Aktivi-     buch» haben, erweitert werden kann. Weitere wich-
tät – dem gemeinsamen Lesen eines Buches – ent-         tige Themen werden zu einem späteren Zeitpunkt
standene Zusammenarbeit haben sich Schulen und          behandelt, so beispielsweise die Evaluierung der er-
Betreuungseinrichtungen angenähert. Mit dem nie-        zielten Fortschritte, wie auch die Verbindung sämt-
derschwelligen, konkreten und leicht durchführba-       licher familien- und schulergänzender Kinderbetreu-
ren Projekt wird der Fokus auf die Gemeinsamkeiten      ungsformen.
statt Unterschiede gelenkt. Das Projekt erfordert
den Dialog aller Akteure und die Bereitschaft, ihre
persönlichen Anschauungen zu teilen und über den            Kurzgefasst
eigenen Tellerrand hinauszublicken. Dabei sind der
Wille und die Teilnahmebereitschaft aller Beteiligten       • «Übergangsbuch» schlägt eine Brücke
ausschlaggebend.                                              zwischen Schule und Betreuung

Hohes Potenzial für Weiterentwicklung                       • Positive Geschichte fördert das Ver-
Jedes Jahr wird der Schwerpunkt auf neue Aspek-               ständnis und bietet Kindern praktische
te innerhalb der Übergangsthematik gelegt. So ist             Hilfestellung im Übergang
auch geplant, Vertretungen der Bibliotheken zu den
                                                            • Austausch schafft Annäherung und
Treffen einzuladen, um darüber nachzudenken, wie
                                                              Kooperationen zwischen Schule und
der Kreis der Kinder, die Zugang zum «Übergangs-
                                                              Betreuung und fördert den Einsatz
                                                              für die gemeinsame Sache

                                                            • Stabilität und Kontinuität im Alltag
                                                              der Kinder dank Vereinfachung der
                                                              vertikalen Übergänge

                                                            • Einfache, pragmatische und kosten­
                                                              günstige Lösung mit Potenzial – alle
                                                              profitieren

                                                                                         Praxisbeispiele | 19
Gemeinsame po|lit|isch|e Lei|tung
            für Schule und Betreuung
                 Eckdaten
Neuenburg

                 Zeitraum Umsetzung
                 • Start 2013

                 • Dauer unbefristet

                 Koordination
                 • Stadt Neuenburg, Departement für
                   Bildung, Gesundheit und Soziales

                 Beteiligte Akteure
                 • Abteilung für Kinderbetreuung
                   der Stadt Neuenburg

                 • Schulwesen Region Neuenburg

                 Finanzierung
                 • über ordentliches Gemeindebudget

                 Kontakt
                 • Anne-Françoise Loup
                   Stadträtin Neuenburg
                   anne-francoise.loup@ne.ch

                 • Charlotte Nilsson
                                                                      Organisation
                   Leiterin Abteilung für
                                                                      Mehrere konkrete Neuerungen wurden umgesetzt:
                   Kinderbetreuung
                                                                      Um die Wegzeiten zwischen Schule und Betreuungs-
                   charlotte.nilsson@ne.ch
                                                                      einrichtung zu verkürzen, hat sich die Stadt Neuen-
                   www.neuchatelville.ch
                                                                      burg zum Ziel gesetzt, sämtliche schulergänzenden
                                                                      Betreuungseinrichtungen in der Nähe von Schulen,
                                                                      wenn möglich direkt auf dem Schulgelände oder im
                                                                      Schulgebäude, anzusiedeln. Ausserdem soll in allen
                                                                      Schulen das Betreuungsangebot durch einen Mit-
                                                                      tagstisch erweitert werden. Für diesen ist jeweils
            2013 schuf die Stadt Neuenburg im Departement für         das gleiche Betreuungsteam zuständig, das auch die
            Bildung, Gesundheit und Soziales, in dem auch das         Kinder im schulergänzenden Angebot betreut. Diese
            Schulwesen angesiedelt ist, eine Abteilung für die vor-   Kontinuität in der Betreuung vereinfacht die Bezie-
            schulische Kinderbetreuung. Im Organigramm befin-         hungen zwischen den Kindern, Eltern, Lehrpersonen
            den sich Schule und Betreuung auf der gleichen Hierar-    und sämtlichen Akteuren des Netzwerks.
            chieebene und unter der Leitung derselben Stadträtin.
            Die Tatsache, dass beide Bereiche der gleichen Person     Chancen
            unterstehen, schafft grosse Erleichterung in den or-      Dass die Schule und die Kinderbetreuung dem glei-
            ganisatorischen Abläufen und neues Potenzial für          chen Departement unterstehen, hat sich in vielerlei
            zukunftsweisende Übergangsmassnahmen zwischen             Hinsicht positiv ausgewirkt: Kinderbetreuungsein-
            (vor)schulischen und schulergänzenden Aktivitäten.        richtungen gelten heute als eigenständige pädago-
            Ausserdem können Synergien genutzt, das gemein-           gische Einheiten und nicht bloss als Orte, an denen
            schaftliche Nebeneinander gefördert und die partner-      Kinder beaufsichtigt werden. Die Betreuungsteams,
            schaftliche Zusammenarbeit ausgebaut werden.              Schulleitungen und Lehrpersonen arbeiten zusam-

            20 | Praxisbeispiele
Formalisierung bestehender Praktiken
                                                        Die positive Dynamik hat die Lancierung weiterer
                                                        Projekte angeregt. Zu diesem Zweck trifft sich seit
                                                        2017 regelmässig eine Arbeitsgruppe, bestehend aus
                                                        den Verantwortlichen der vorschulischen und der
                                                        schulergänzenden Betreuungsstrukturen. Die Ar-
                                                        beitsgruppe hat zum Ziel, Möglichkeiten zu finden,
                                                        wie die Kinder beim Übergang zwischen den beiden
                                                        Strukturen noch optimaler unterstützt werden kön-
                                                        nen. Einige bereits erfolgreich umgesetzte Ansätze
                                                        werden so weiterentwickelt, andere neu geschaf-
                                                        fen. Daraus soll sich langfristig ein «Übergangsritu-
                                                        al» etablieren, das die Kinder bestmöglich auf den
                                                        Schuleintritt vorbereitet und Eltern bestmöglich
                                                        unterstützt.

                                                             Kurzgefasst
                                                            • Gemeinsame Leitung schafft Nähe
                                                              zwischen den Bereichen Schule und
                                                              Betreuung

men und von den Eltern kommen viele positive Rück-          • Kurze Entscheidungswege und schnelle
meldungen. Um zu zeigen, dass alle pädagogischen              Problemlösung dank engem Kontakt
Fachkräfte am gleichen Strick ziehen, nehmen Ver-             und guter Zusammenarbeit zwischen
tretungen der schulergänzenden Betreuungseinrich-             Betreuungsteams und Schulleitung
tungen am jährlichen Informationsabend für Eltern
der künftigen Schulkinder teil. So wird die Bedeutung       • Zusammenrücken fördert Initiativen
der Zusammenarbeit zwischen Betreuungsteams und               in der Harmonisierung schulischer und
Lehrkräften betont. Zusätzlich finden regelmässige            schulergänzender Übergangsmas­s ­
Treffen zwischen den Schulleitungen und den Ver-              nahmen
antwortlichen der Betreuungseinrichtungen statt,            • Kontinuität und Stabilität in der
die das Bewusstsein für die verschiedenen Heraus-             Betreuung vereinfachen den Kindern
forderungen fördern, den Informationsaustausch                die Übergangsituationen
verbessern und die Zusammenarbeit stärken.
                                                            • Schulergänzende Betreuungsangebote
Herausforderungen                                             vor Ort erhöhen die Sicherheit der Kinder
Bei diesem Harmonisierungsprozess wird darauf ge-             und sparen die Kosten für das Begleitper-
achtet, dass das gemeinschaftliche Nebeneinander              sonal zwischen Schule und Betreuungs-
in den Schulgebäuden im Detail durchdacht und die             einrichtung
jeweiligen Rollen genau definiert sind. Denn auch
                                                            • Teile der Infrastruktur (Aussenbereiche
wenn die Lehrpersonen und die Betreuungsfachkräf-
                                                              oder sanitäre Anlagen) können gemein-
te in täglichem Kontakt stehen, können Projekte nur
                                                              sam mit der Schule genutzt werden
vorangetrieben werden, wenn ein politischer Wille
vorhanden ist und entsprechende Impulse «von
oben» gegeben werden.

                                                                                          Praxisbeispiele | 21
Kurze Wege und enge Zusammenarbeit
       dank ge|mein|sam|er Räu|me
            Eckdaten                                          – Schule und Betreuung – unterstehen dem Amt für
Nyon

                                                              Kinder, Wohnen und sozialer Zusammenhalt (SELOC)
            Zeitraum Umsetzung                                der Stadt Nyon. SELOC ist für die Verwaltung des städ-
            • Start 2011, Dauer unbefristet                   tischen Kinderbetreuungsangebots zuständig und
                                                              stellt dem Kanton Schulinfrastrukturen (Gebäude)
            Koordination                                      und Dienstleistungen (Hausaufgabenbetreuung, Bib-
            • Jugendamt Nyon, Abteilung Frühe Kindheit        liothek, Mittagstisch usw.) zur Verfügung. Die dafür
                                                              verantwortlichen Personen teilen sich die Büros.
            • Bildungsdepartement Nyon

            Beteiligte Akteure                                Chancen
            • Stellvertretende Leitung des                    Ganz allgemein fördert das System den Kontakt
              Jugendamts                                      und den gegenseitigen Informationsaustausch. An-
                                                              lässlich der monatlichen Treffen zwischen den Ver-
            • Leitung Bildungswesen
                                                              antwortlichen der Betreuungseinrichtungen und
            • Leitende Betreuungseinrichtungen                den Schulleitungen wurde im Laufe der Jahre ver-
              und Primarschulen                               tieft über die Komplementarität der beiden Berei-
                                                              che nachgedacht. Die Treffen wurden auch zu einer
            Finanzierung                                      Plattform für den Gedankenaustausch darüber, wie
            • Keine Mehraufwände: Koordinations­              die Übergänge zwischen den beiden Bereichen er-
              aufgaben gelten als Arbeitszeit                 leichtert werden können. So besuchen die Kinder
                                                              der Betreuungseinrichtungen vor dem Eintritt in
            Kontakt
                                                              den Kindergarten das Schulgebäude, um sich mit
            • Deborah Gervaix
                                                              dem Ort der nächsten Etappe ihres Lebens vertraut
              Leiterin Bildungswesen
                                                              zu machen. Die verantwortliche Person für das Be-
              deborah.gervaix@nyon.ch
                                                              treuungsnetzwerk nimmt jeweils an den Informa-
              www.nyon.ch
                                                              tionsabenden für die Eltern teil. Auch in organisato-
                                                              rischer Hinsicht bringt die Nähe der beiden Bereiche
                                                              Vorteile, wie zum Beispiel die Mithilfe beim Umzug
                                                              einer Betreuungseinrichtung. Die Begegnungen zu
       Nyon hat mit dem Bau von zwei neuen Schulhäusern       solchen Gelegenheiten fördern das gegenseitige
       die Primarschulen, Kindergarten und die schulergän-    Vertrauen und die Zusammenarbeit, was sich auch
       zenden Betreuungseinrichtungen unter einem Dach        positiv auf die Umsetzung von Projekten, wie etwa
       zusammengeführt. Ein jahrelanger und gemein-           den Umzug in ein neues Schulgebäude, auswirkt. Je
       schaftlicher Dialog zwischen Schule und Betreuung      mehr Möglichkeiten Lehrpersonen und pädagogi-
       machte die Realisierung dieses Grossprojekts 2011      sche Fachkräfte haben, miteinander in Kontakt zu
       möglich. Die neuen Räume wurden so geplant und ein-    treten, desto eher anerkennen sie die gegenseitige
       gerichtet, dass die Lehrpersonen und pädagogischen     Arbeit und Bemühungen, auch wenn sie dabei unter-
       Fachkräfte näher zusammenrücken und zusammen-          schiedliche Standpunkte vertreten.
       arbeiten können. Mit der institutionellen Zusammen-
       führung der beiden Bereiche im gleichen Gebäude ver-   Herausforderungen
       kürzen sich auch die Wege der Kinder beim Wechsel      Die Bemühungen rund um die Zusammenführung
       zwischen zwei funktional getrennten Bereichen.         der beiden Bereiche sind zwar zeitintensiv, doch die
                                                              «verlorenen» Stunden werden weitgehend zurückge-
       Organisation                                           wonnen, wenn ein Problem auftritt, weil viel rascher
       Das Projekt zeugt vom starken Willen der Schulbehör-   Lösungen gefunden werden. Die Arbeit zugunsten
       den und der verschiedenen Betreuungseinrichtungen,     der Übergänge erfordert letztlich keine zusätzlichen
       Hand in Hand zusammenzuarbeiten. Beide Bereiche        Ressourcen. Ein besonderes Augenmerk gilt der De-

       22 | Praxisbeispiele
finition der Verantwortlichkeiten. Das System darf     Kurzgefasst
nicht vom Willen einzelner Personen abhängig sein,
sondern muss unabhängig davon, welche Person die       • Vereinfachung der horizontalen und
zuständige Rolle innehat, funktionieren.                 vertikalen Übergänge für die Kinder
                                                         dank Betreuung und Unterricht unter
Institutionelle Nähe fördert gegenseitigen Dialog        einem Dach
Diese seit 2011 geltende Organisation (zuvor unter-
                                                       • Kürzere Wege ermöglichen Fach- und
stand das Schulwesen dem Amt für Sportinfrastruk-
                                                         Lehrpersonen raschen Informationsaus-
tur und Kirchen) hat klar zu einer positiven Dynamik
                                                         tausch und schnelle Problemlösungen
geführt. Mit dem Bau eines dritten Schulhauses
kommt das Modellkonzept erneut zur Anwendung.          • Zusammenarbeit von Schule und
Langfristig sollen sämtliche schulergänzenden Be-        Betreuungseinrichtung im Alltag
treuungseinrichtungen direkt neben den Räumlich-         fördert gegenseitiges Vertrauen und
keiten der Kindergärten angesiedelt werden. Um           wirkt sich positiv auf die Umsetzung
den verschiedenen Fachkräften die Koordination zu        von Projekten aus
erleichtern und die pädagogische Kohärenz in der
schulergänzenden Betreuung zu erhöhen, werden die      • Harmonisierungsprojekt fördert
privaten Betreuungseinrichtungen in naher Zukunft        dynamische Weiterentwicklung neuer
in öffentliche Einrichtungen umgewandelt.                Lösungen in der Übergangsthematik
Kan|to|nal|es Netz|werk
          «Guter Start ins Kinderleben»
               Eckdaten                                             tive Familien von Babys und Kleinkindern in Kontakt
Thurgau

                                                                    treten oder mit diesen arbeiten. Die übergeordneten
               Zeitraum Umsetzung                                   Ziele sind die gelingende Entwicklung in der frühen
               • Projektphase: 2010 bis 2013,                       Kindheit und eine wirksame Prävention von Vernach-
                 Umsetzung: 2013 bis heute                          lässigung und Gefährdung von Kindern. Um diese zu
                                                                    erreichen, sichert «Guter Start ins Kinderleben» die
               Koordination                                         systematische Vernetzung und Zusammenarbeit aller
               • Fachstelle «Perspektive Thurgau» im                Akteure,schafft Verbindlichkeiten und zeigt praxis-
                 Auftrag vom Departement für Finanzen               bezogene Lösungswege auf.
                 und Soziales (Amt für Gesundheit,
                 Gesundheitsförderung, Prävention                   Organisation
                 und Sucht) und Departement für Erzie-              Das Projekt wird von den zwei Departementen Er-
                 hung und Kultur (Fachstelle für Kinder-,           ziehung und Kultur sowie Finanzen und Soziales
                 Jugend- und Familienfragen)                        getragen. Die breite Verankerung im Bildungs-, Ge-
               Projektbeteiligte                                    sundheits- und Sozialsystem sichert das Projekt
               • Organisationen und Fachpersonen aus                nachhaltig und langfristig. Das Mitwirken der betei-
                 dem Frühbereich (0 bis 3 Jahre) aus                ligten Fachorganisationen und Fachpersonen, aber
                 Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen            auch die Unterstützung durch die Politik, fördern
                                                                    das gegenseitige Verständnis und sorgen für einen
               Kosten                                               hohen Praxisbezug.
               • CHF 180‘000
                                                                    In der Projektphase wurden runde Tische, interdis-
               Finanzierung
                                                                    ziplinäre Arbeitsgruppen und Weiterbildungen für
               • Departement für Finanzen und Soziales
                                                                    die verantwortlichen Fachpersonen durchgeführt.
                 und Departement für Erziehung und
                                                                    In sämtlichen Projektschritten wurden Expertinnen
                 Kultur, Kanton Thurgau
                                                                    und Experten der «frühen Kindheit» und des Daten-
               Kontakt                                              und Kinderschutzes miteinbezogen, so auch bei der
               • Judith Hübscher Stettler                           Erstellung des Konzepts oder der Erarbeitung der In-
                 Kantonale Beauftragte für Gesundheits­             strumente.
                 förderung, Prävention und Sucht
                 judith.huebscher@tg.ch                             Chancen
                 www.tg.ch                                          Kernstück des kantonalen Netzwerks ist die Broschü-
                 www.guter-start-ins-kinderleben.tg.ch              re «Guter Start ins Kinderleben: Zusammenarbeit und
                                                                    Vernetzung bei Frühen Hilfen und im Kinderschutz –
                                                                    eine Broschüre für Fachpersonen». Sie zeigt als Orien-
                                                                    tierungshilfe das praktische Vorgehen auf und stellt
                                                                    konkrete Hilfsmittel zur Verfügung. Mit einheitlichen
          Das Netzwerk «Guter Start ins Kinderleben» wurde          Einschätzungskriterien, systematisierten Abläufen
          durch das Amt für Gesundheit und die Fachstelle für       und einer koordinierten Zusammenarbeit soll mög-
          Kinder-, Jugend- und Familienfragen initiiert und zielt   lichst allen Kindern ein guter Start ins Kinderleben
          auf die horizontalen und vertikalen Übergänge von         ermöglicht werden. Letztlich tragen die Hilfsmittel
          Kindern in den ersten Lebensjahren. Die Fachstelle        auch dazu bei, die Qualität der Arbeit der Fachperso-
          «Perspektive Thurgau» hat das Netzwerk von 2010           nen weiter zu verbessern.
          bis 2013 aufgebaut, koordiniert es seither und ent-
          wickelt es laufend weiter.                                Herausforderungen
          Die Adressaten des Netzwerkes sind Fachpersonen,          Die Stärke des Vernetzungsprojekts – der Einbezug
          die in irgendeiner Form mit werdenden Eltern respek-      und die Zusammenarbeit vieler unterschiedlicher Ak-

          24 | Praxisbeispiele
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