ÜBERSCHATTET Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt - und was wir dagegen tun können
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HERAUSFORDERUNG JAHRESHEFT WELTERNÄHRUNG 2021 ÜBERSCHATTET Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt – und was wir dagegen tun können
Liebe Leser*innen, pünktlich zu Erntedank halten Sie das erste Jahresheft „Herausforderung Hunger“ in den Händen. Es bildet den Auftakt für eine Reihe, in der sich MISEREOR gemäß seinem Gründungsauftrag dieser Heraus- forderung auch in Form einer Publikation bewusst stellt und konstruktive Lösungen anbietet. Dabei wollen die Jahreshefte den Weg bis 2030 zur Erreichung des SDG 2 „Eine Welt ohne Hunger“ begleiten. Herzlich INHALT bedanke ich mich beim Redaktionsteam, das das Heft entwickelt hat, bestehend aus Nina Brodbeck, Markus Wolter und Corinna Würzberger. Aus ihren Federn 3 stammen auch die Artikel des Jahresheftes – mit maßgeblicher Unterstützung durch die jeweiligen Fachkolleg*innen. „Erntedank ist politisch“ Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre! Geleitwort Ihre Beate Schneiderwind, Abteilungsleiterin Kommunikation von MISEREOR 6 Das macht Hunger Die Hauptursachen für Nahrungsmangel 8 IMPRESSUM Das MISEREOR-Superfood Herausgeber 2021 Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e. V. Mozartstraße 9 Eine Reissorte trotzt der 52064 Aachen presse@misereor.de Klimakrise Stand Oktober 2021 10 V. i. S. d. P. Beate Schneiderwind Überschattet Redaktion Wie Corona den Kampf Dr. Nina Brodbeck (MISEREOR) Markus Wolter (MISEREOR) gegen Hunger hemmt Corinna Würzberger (MISEREOR) Sabrina Strecker (neues handeln AG) Gestaltung 14 neues handeln AG MISEREOR-Empfehlungen Druck Druck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG Für eine Welt ohne Hunger Bildnachweis Fotos: Claudia Fahlbusch (U2); Klaus Mellenthin (S. 3); Florian Kopp (S. 5 & U4); MASIPAG/MISEREOR (S. 8, 9); Privat/MISEREOR (S. 11, 12); Illustrationen: tulpahn (S. 6), archivector (S. 7), Viktorija Reuta (S. 14), aurielaki (S. 14)/Shutterstock.com
Geleitwort „ERNTEDANK IST POLITISCH“ Als MISEREOR 1958 als „Werk gegen Hunger und Binnengeflüchtete sind auf Nothilfe angewiesen. Krankheit in der Welt und deren Ursachen“ Hunger breitet sich aus. In Äthiopien, wo der gegründet wurde, geschah dies aus dem tiefen Konflikt der Regierung mit lokalen Streitkräf- Wunsch heraus, sich mit Mitgefühl und Ent- ten die Grenzregion Tigray in eine tiefe Krise schlossenheit an die Seite der Armen in den stürzte, sind Millionen Menschen auf der damals sogenannten Dritte-Welt-Ländern zu stel- Flucht – Hunger und Entbehrung ihre ständigen len und denjenigen eine Stimme zu geben, die Begleiter. In Madagaskar herrschen apoka- kaum gehört wurden. Eine politische Stimme, lyptische Zustände. Die Menschen essen in die, nach Deutschland hinein, Ungerechtigkeiten ihrer Verzweiflung und Not benennt und zu Veränderung aufruft. Heuschrecken, Ebenso spielte Dankbarkeit eine wichtige Rolle. Kakerlaken und Dankbarkeit für die Unterstützung, die Deutsch- kochen Leder land nach der Nazi-Herrschaft von vielen Seiten weich, so sie denn erhielt, wo es doch selbst Kriegstreiber gewesen Wasser haben. In war. Die Erfahrung von Hunger und Entbehrung einigen Regionen in den Nachkriegsjahren saß noch tief. Man des Inselstaats wollte etwas zurückgeben. „Was wir bisher über vor der Ostküste unsere eigene Not vergessen haben, tritt jetzt in Afrikas hat es seit die Mitte unseres Bewusstseins: In den meisten drei Jahren nicht Ländern der Erde herrscht Hunger.“ Der Kölner mehr geregnet, die Kardinal Frings, der mit den Anstoß zur Grün- Felder versanden. dung von MISEREOR gab, sprach diese eindring- Wie diesen enormen lichen Worte. Sie hallen bis heute nach und Herausforderungen haben noch immer Gültigkeit. begegnen? Wie das Ziel „Eine Welt Wenn wir uns heute, mehr als 60 Jahre später, ohne Hunger“ erreichen? mit einem Jahresheft zum Thema Hunger zu Wort Wir möchten in diesem Jahresheft melden, dann nehmen wir bewusst Bezug auf diese Wurzeln von MISEREOR: Den Hunger welt- Schlaglichter setzen, Vorschläge weit zu beenden, ist das zweite der 17 Ziele für machen und Lösungswege nachhaltige Entwicklung (SDGs), die die Weltge- meinschaft bis 2030 erreichen will. Momentan skizzieren (Empfehlungen, S. 14). sieht es nicht so aus, als kämen wir diesem Ziel Dafür haben wir bewusst das Erntedankfest als näher. Im Gegenteil. Die Zahl der Menschen, die Erscheinungsdatum gewählt. In der Tradition weltweit Hunger leiden, steigt kontinuierlich an, der Kirche werden bei uns am ersten Sonntag im die UN-Ernährungsorganisationen „Food and Oktober Dankgottesdienste gefeiert. Die Altäre Agriculture Organization“ (FAO) und „World Food sind festlich geschmückt mit Ährenkränzen und Programme“ (WFP) warnen vor sich ausweiten- Feldfrüchten. Das Erntedankfest hat eine lange den Hungerkrisen in mehr als 20 Ländern. Tradition und geht weit in die vorchristliche Zeit Dieses Geleitwort steht unter dem Eindruck zurück. Gefeiert wird Mutter Erde, die in Fülle der Situation in Afghanistan, Äthiopien und für alle gibt. Es sind Momente, in denen wir uns Madagaskar, um nur drei Länder zu nennen. bewusst werden, wie sehr wir angewiesen sind Seit der Machtübernahme durch die Taliban ver- auf die Natur, unsere Mitwelt und auf das, was schlechtert sich die Lage in Afghanistan. Mehr sie uns schenkt. Die Erde ernährt uns. Dafür sind als die Hälfte der Bevölkerung lebt schon jetzt wir dankbar. Nahrung gibt uns Kraft zum Leben, unterhalb der Armutsgrenze, rund vier Millionen zum Handeln und Wirken in dieser Welt. Mit dem 3
Geleitwort Erntedankfest feiern wir auch die Zyklen und Herausforderungen durch den Klimawandel Rhythmen der Natur. „Alles hat seine Zeit“ weiß widerstandsfähig ist. die christlich-jüdische Tradition (Kohelet 3, 1–8). Die Pandemie führt uns die Wichtigkeit einer Doch diese natürlichen und notwendigen Rhyth bäuerlichen Landwirtschaft vor Augen. Dabei men werden mehr und mehr ignoriert: die geht es nicht um eine Rückkehr in vorindustri- Eigenschaft der Erde, in Fülle zu geben, ausge- elle Zeiten. Es geht um Effizienz und Wirtschaft- reizt und die planetaren Grenzen überschritten. lichkeit. Um gute Ernten. Die können wir auch Die Erde ist krank, ausgelaugt, das Leben aus ohne Kunstdünger und chemisch-synthetische der Balance. Mit schwerwiegenden Folgen für Pestizide erzielen. Das derzeitige Ernährungs- Mensch und Natur: Degradation von Böden, system ist instabil. Viele Anbauprodukte kom- Wüstenbildung, großflächige Landnutzungs- men gar nicht auf den Tisch, sondern werden änderungen und Abholzungen, Konflikte um für andere Zwecke verwendet. Würden wir alle landwirtschaftliche Nutzflächen und allen voran – Kosten einer „Hochleistungslandwirtschaft“ die Klimakrise. Menschen können nicht mehr einrechnen – Kosten für Klima, Umwelt, Ge- vom Ertrag ihrer Felder leben. Ursachen, aus sundheit –, dann wäre schnell klar, dass wir denen Hunger entsteht. uns eine solche Landwirtschaft nicht mehr leisten können. Es bedarf politischer Rahmen- Wollen wir sie beseitigen, bietet es sich an, mit bedingungen, um ein anderes Ernährungs Dankbarkeit zu beginnen. Dankbarkeit ist wirk- system zu schaffen. Unsere Projektpartner, die mächtig. Sie weitet den Blick und kann dringend Landwirtschaftsprojekte gestalten, arbeiten nötige Haltungsänderungen anstoßen. Einen bereits an alternativen Lösungen. So zum Bei- neuen Blick auf das, was die Natur uns schenkt. spiel mittlerweile 50.000 Bäuerinnen und Auf ihre und unsere eigenen Grenzen. Wer Bauern in den Philippinen, die sich zum Netz- zerstört das, wofür er dankbar ist und mit dem er werk MASIPAG zusammengeschlossen haben. sich verbunden weiß? Über Jahrzehnte gesammeltes Wissen und Saatgut stehen dort allen zur Verfügung, die Wir sehen, dass die Corona-Pan- Mitglieder tauschen und teilen Reissorten demie Missstände und Ungerech- untereinander. So kann jede*r die für die tigkeiten im Ernährungsbereich eigenen Bedürfnisse passenden Sorten nach- züchten oder neu kombinieren. verstärkt (Überschattet, S. 10). Der Hunger in den Städten Asiens wächst, Fehl In diesen Tagen ist viel von immer neuen so ernährung nimmt zu. Eine Untersuchung durch genannten Superfoods die Rede. Sie sollen MISEREOR in Subsahara-Afrika zeigt eine er enorm positive Wirkungen auf die Gesundheit hebliche Verschlechterung der Ernährungs- und haben, Energie bringen, schön machen. Lebenssituation der ländlichen Bevölkerung. Ein wahres Superfood ist für Im Schatten der Pandemie schreitet in Latein- amerika, Afrika und Asien der Landraub voran. uns der Reis des philippinischen Was wir brauchen, ist eine Änderung in unserer Bauern Pepito Babasa (Das Denkweise. Das bloße Produzieren von Nah- rungsmitteln reiche nicht, sagt Papst Franzis- MISEREOR-Superfood 2021, S. 8). kus. Es gelte, die gegenwärtige Krise zu nutzen, Denn er hält Trockenheit stand, trotzt Unwettern um ein anderes Ernährungssystem zu gestalten, und sichert die Ernährung von Babasa und das an unsere planetaren Grenzen angepasst, seiner Familie. Beispiele wie dieses zeigen gemeinwohlorientiert und angesichts der Lösungen auf und machen Hoffnung. Deswegen 4
Geleitwort wollen wir Ihnen von nun an jährlich ein weite- viele Möglichkeiten liegen, um vielfältige Ernäh res MISEREOR-Superfood vorstellen! rung zu sichern und Hunger und Armut zu beenden. Gesunde und ausreichende Nahrung Auch in Deutschland wissen wir, dass es so ist ein Menschenrecht. Es sollte zum Leitbild wie bisher nicht weitergehen kann. Immer für eine stringente Politik werden. Behutsam mehr Menschen denken um, hinterfragen ihre bringen wir eine Transformation der Ernährungs- Konsummuster, kaufen regional, bio und fair systeme auf den Weg. ein, bauen selbst an, essen in Gemeinschaft. Zeigen Dankbarkeit für das, was da ist. Wenn In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein wir unseren Blick weiten, erkennen wir: Es geht gemeinschaftliches Erntedankfest und eine nicht darum, die Brotkrümel, die vom Tisch inspirierende Lektüre! einiger weniger fallen, unter den Armen zu verteilen, sondern dafür zu sorgen, dass es für Ihr jede*n einen Platz am Tisch gibt. Die Heraus- forderung besteht darin, in einer Kultur der Pirmin Spiegel Begegnung einander entgegenzugehen und zu Hauptgeschäftsführer entdecken, dass in unseren eigenen Händen von MISEREOR Dank an Mutter Erde: MISEREOR-Projektpartner in Kolumbien gestalten ein buntes Mandala aus allem, was die Natur hervorbringt. 5
Die Hauptursachen für Nahrungsmangel DAS MACHT KRIEG KLIMAKRISE „Immer wieder werden jahrzehntelange „Das Klima hat sich so verändert, dass Entwicklungszusammenarbeit und über mehrere Jahre gar kein Regen die erreichten Erfolge – vor allem bei mehr gefallen ist. Es gibt kein Wasser, der Verbesserung der Ernährungslage – es herrscht vollständige Trockenheit. durch Krieg zerstört. Die Menschen Jüngst haben auch noch Sandstürme geraten in tiefste Not, weil sie alles die Felder komplett bedeckt. Wie sollen verlieren. Nicht selten ist es gar eine wir so Lebensmittel anbauen?“ Kriegsstrategie, Bevölkerungsgruppen Omar Andriambahoaka, Ordensbruder und MISEREOR- Partner, Madagaskar bewusst ‚auszuhungern‘. Das ist menschenverachtend und ein Verstoß Dürren, Starkregen und Stürme nehmen zu, Ernten fallen gegen die Genfer Konvention.“ immer häufiger aus. Expert*innen erwarten in einigen Regionen einen Ernterückgang von mindestens 30 Prozent Dorothée Zimmermann, MISEREOR-Expertin für bis 2050. Äthiopien Ende 2020 litten 88 Millionen Menschen Hunger aufgrund von Gewaltkonflikten. Das sind 20 Prozent mehr als 2019. HUNGER IST WEIBLICH HUNGER IST LÄNDLICH 10 % mehr Frauen als Männer bekamen 2020 aus 80 % der Hungernden weltweit leben auf dem Land verschiedenen Gründen nicht genug zu essen. 2019 lag und sind selbst Lebensmittelproduzent*innen wie Bäue- der Unterschied noch bei 6 Prozent. rinnen und Bauern, Erntehelfer*innen, Nomad*innen oder Indigene. 6
Die Hauptursachen für Nahrungsmangel HUNGER Jede*r Zehnte weltweit hungert, das entspricht rund 811 Millionen Menschen. Dabei sind ausreichend Nahrungs- mittel für alle vorhanden. Wer den Hunger eindämmen will, muss an den vielfältigen Ursachen arbeiten: Denn Hunger ist keine Naturgewalt, sondern von Menschen verursacht. ARMUT LANDRAUB „Rund 96 Prozent der Menschen in „Durch großflächige Landnahmen Venezuela gelten als arm. Ein Grund: verlieren immer mehr kleinbäuerliche die anhaltende politische und wirt- Familienbetriebe ihr Land. Viele müssen schaftliche Krise. Wegen der Versor- sich deshalb in der Anbausaison als gungskrise und der Hyperinflation ist es Tagelöhner*innen verdingen und kaum möglich, Lebensmittel zu kaufen, rutschen in tiefe Armut, leben häufig die Trinkwasserversorgung ist zusam- von der Hand in den Mund. Ohne mengebrochen. Es fehlen Gas und Strom gesicherten Zugang zu Land verlieren zum Kochen und ohne Benzin kann die Menschen ihre Existenzgrundlage die kleine Ernte nicht zu den Märkten und Zukunftsperspektive.“ gebracht werden. Ich weiß nicht, ob wir Dr. Sabine Dorlöchter-Sulser, MISEREOR-Expertin für ländliche Entwicklung in Afrika gerade überleben oder schon Stück für Stück sterben.“ Für über 40 Prozent der Weltbevölkerung ist Landbesitz Norayma Angel, Expertin für Menschenrechte und der Schlüssel für eine ausgewogene Ernährung und sichere MISEREOR-Projektpartnerin, Venezuela Existenz. Immer mehr fruchtbares Land wird aber von inter nationalen Konzernen oder lokalen Eliten aufgekauft – für Drei Milliarden Menschen können sich keine ausgewogene Landwirtschaft im großen Stil und auf riesigen Flächen, Ernährung leisten. Expert*innen schätzen, dass die Welt- häufig mit hohem Pestizideinsatz, und für den Export. Nur marktpreise für Nahrungsmittel bis 2050 noch um 10 bis wenig bleibt für die lokale Bevölkerung übrig. 30 Prozent steigen – und das Problem verstärken werden. Quellen: SOFI-Bericht 2021; UN Press Release: Already Up 20 Per Cent […], 11.03.2021; MedECC: Climate and Environmental Change in the Mediterranean Basin […], 2020; Lampe & Willenbockel et al.: Why do global long-term scenarios for agriculture differ?, Agricultural Economics, 2014; MISEREOR: What are the effects of large-scale land acquisitions in Africa […], 2021; BMZ: Für eine ausreichende und bessere Ernährung – eine Welt ohne Hunger ist möglich, 2019. 7
Das MISEREOR-Superfood 2021 Eine Reissorte trotzt der Klimakrise DAS MISEREOR- SUPERFOOD GEGEN HUNGER 2021 In den Philippinen ermöglicht ein Netzwerk zu Ernteverlusten. Für die Landwirt*innen ist Bäuerinnen und Bauern, eigenständig Reis das eine Katastrophe: Wer nichts erntet, kann zu züchten und anzubauen. Alte Reissorten nichts verkaufen und hat im schlimmsten Fall werden gesammelt, getauscht und neue nichts zu essen. Auch Pepito Babasa litt unter Reislinien gezüchtet, die optimal an die dieser Unsicherheit. lokalen Bedingungen angepasst sind. Das sichert den Bauernfamilien ein gutes Aus- Unabhängigkeit durch kommen, macht sie unabhängig von Groß- eigene Züchtung konzernen – und hilft ihnen dabei, sich für die Zudem bedeutete der Reisanbau für Babasa ein Klimakrise zu wappnen. enormes finanzielles Risiko: Saatgut kaufte er jedes Jahr neu und teuer von internationalen Konzernen – oftmals in Verbindung mit speziell Zufrieden schaut Pepito abgestimmten, giftigen Pestiziden und Dün- Babasa über sein sattgrünes gemitteln, die hohe Erträge versprachen. Viele Reisfeld. Sein bester Reis, Kleinbäuerinnen und -bauern können sich diese PBB 401, wird ihm auch in Saatgutpakete nur leisten, wenn sie sich ver- diesem Jahr wieder eine schulden. Fällt die Ernte aus, fehlt das Geld, um gute Ernte bringen. Das war den Kredit zurückzuzahlen. nicht immer so. Reisan- bau in seinem Heimatort Das änderte sich, als Pepito Babasa von MASIPAG Bato in den Philippinen ist hörte. Das landesweite Netzwerk, zu dem sich riskant: Seit Generationen Bäuerinnen und Bauern, Wissenschaftler*innen nutzen die Bäuerinnen und Nichtregierungsorganisationen zusammen- und Bauern dafür unter geschlossen haben, fördert ökologische Land- anderem den fruchtbaren wirtschaft. Im Mittelpunkt stehen der Schutz und Boden des im Sommer aus- Erhalt von Saatgut. Bei MASIPAG lernte Babasa, getrockneten Sees. Sobald es stärker regnet, Reis zu züchten – mit samenfestem Saatgut. Das sammelt sich das Regenwasser im See, überflu- bedeutet, dass es nachbaubar ist und aus der tet die Felder und zerstört den Reis. Pflanze wieder neues Saatgut gewonnen werden kann. So können Landwirt*innen wie Babasa Das Risiko war lange Zeit kalkulierbar, doch nun eigenständig immer wieder Reis aussäen und spüren die Menschen die Folgen der Klimakrise ernten – ohne jedes Jahr neues Saatgut kaufen deutlich. Die Regenzeiten verschieben sich. zu müssen. Das sichert nicht nur die Ernährung Es kommt immer häufiger zu unberechenbarem ihrer Familien und der Dorfgemeinschaft, sondern Starkregen, Überschwemmungen, Wirbelstür- macht sie auch unabhängig, weil die jährlichen men, Dürren und Erdrutschen – und damit Investitionen wegfallen. So haben die Bäuerinnen 8
Das MISEREOR-Superfood 2021 und Bauern am Ende des Tages oft mehr finanzi- in den jeweiligen Regionen angepasst sind. elle Mittel, können sich zusätzliche Lebensmittel Genauso wie die von Babasa gezüchtete und für eine ausgewogene Ernährung leisten oder 2003 erstmals gekreuzte Reissorte PBB 401. Der eine gute Ausbildung für ihre Kinder bezahlen. Name kennzeichnet ihn wie bei MASIPAG üblich als Züchter: Pepito B. Babasa. PBB 401 zeichnet Gemeinsam gegen die sich durch einen guten Geschmack aus und ist Klimakrise trockenheitstolerant. Dürre kann diesem Reis also nicht so schnell etwas anhaben, genauso wenig Dem MISEREOR-Projektpartner MASIPAG gehören die in der Region üblichen Taifune. Die Halme heute in den Philippinen mehr als 50.000 Land- trotzen dem Wind und sollte es sie doch einmal wirt*innen an. Das über Jahrzehnte gesammelte umhauen: PBB 401 liefert selbst dann noch gute Wissen und Saatgut steht allen zur Verfügung, Erträge, wenn die Rispe mit den Reiskörnern in man hilft sich gegenseitig bei Aussaat und Ernte. Schieflage geraten ist. Manch andere Reissorte Alte Reissorten werden erhalten, weiterent- wäre dann schnell nicht mehr zu gebrauchen, die wickelt, untereinander getauscht und weiter- Ernte verloren. Heute ernährt Pepito Babasa nicht gegeben. So können alle die zu den eigenen nur sich selbst und seine Familie zuverlässig und Bedürfnissen passenden Sorten nachzüchten ausgewogen, seine Tochter deckt zudem einen oder neu kombinieren. Zudem entstehen überall Teil ihres Reisbedarfs für ihr Restaurant von der im Land Saatgutbanken. Auf diese können die Überschussproduktion ihres Vaters. Grund genug, Kleinbäuerinnen und -bauern zurückgreifen, zufrieden und zuversichtlich in die Zukunft zu wenn Schädlinge oder Unwetter ihre Ernten schauen: PBB 401 ist für Pepito Babasa und viele vernichtet haben. Auf Basis der traditionellen andere Landwirt*innen der Schlüssel, um sich Sorten entstanden so mittlerweile 2.000 neue aktiv gegen die Folgen der Klimakrise zu wappnen, Reislinien, die optimal an die Bodenbeschaf- unabhängig von internationalen Konzernen zu fenheiten und veränderten Klimabedingungen bleiben – und ihren Lebensstandard zu sichern. DAS KANN DAS MISEREOR-SUPERFOOD GEGEN HUNGER 2021 NAME: Reis PBB 401 HERKUNFT: Bato, Philippinen, gezüchtet von Reisb Pepito Babasa vom Bauern-Netzwerk MASIPAG auer E R! onellem regionalen weißen und rotem Reis. aus traditi- SUP SUPERKRÄFTE GEGEN HUNGER: • Trotzt dem Klimawandel: PBB 401 lässt sich wede r von Dürre noch von Taifunen einschüchtern und schenkt selbst nach Unwettern noch eine gute Ernte. • Bringt vielfältigen Gewinn: Als samenfeste Reiss or- te kann aus PBB 401 immer wieder neues Saatg ut gewonnen werden. So muss nicht jedes Jahr Saatg ut gekauft werden, teure Investitionen fallen weg. Klein- bäuerinnen und -bauern gewinnen so Unabhängi gkeit von internationalen Konzernen, die Kontrolle über ihr eigenes Saatgut und oft mehr finanzielle Spiel räume. • Schafft Wissen: Innerhalb des Netzwerks MASI PAG werden Saatgut und Erfahrungen geteilt. Alle profitie- ren davon und können ihre Fähigkeiten erwei tern. 9
Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt ÜBERSCHATTET Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt – und was wir dagegen tun können. Ein Blick in die Stadt, aufs Land, nach Asien, Afrika und Lateinamerika. Schwungvoll kurvt Tey Lopez um die Ecke. Auf müssen. Durch die Ausgangssperren brechen die Fahrrädern bringen er und seine Mitstreiter*innen ohnehin geringen Einkommensmöglichkeiten frisch zubereitete Speisen zu armen Menschen komplett weg. und Obdachlosen in die engen Gassen Manilas. Das Essen wurde aus frischem Gemüse zuberei- „Es wird immer ersichtlicher, dass tet, das Bauernfamilien aus dem Umland gespen- sich im Schatten der Pandemie det und freiwillige Köch*innen dann verarbeitet haben. Seit das Coronavirus auf den Philippinen strukturelle Missstände wütet, ist Tey Lopez ehrenamtlich im Einsatz: und Ungerechtigkeiten weiter Er sammelt Gemüse ein, plant, koordiniert und sucht das Gespräch mit den Bewohner*innen. verstärken.“ – Markus Wolter Er möchte nah bei den Menschen sein und sie ganz konkret unterstützen. Dabei kommt ihm Der Hunger greift um sich. Denn ein staatliches seine Erfahrung zugute: Er hat für die MISEREOR- soziales Sicherheitsnetz gibt es für die Armen und ● Armut in den Partnerorganisation „Pesticide Action Network“ Obdachlosen nicht. „Die Armut in den Städten Städten wächst gearbeitet und ein breites Wissen im Bereich hat sich durch Corona deutlich verstärkt“, erklärt Landwirtschaft und Ernährung. In diesen dunklen Dr. Almuth Schauber, bei MISEREOR zuständig Tagen, an denen die Fallzahlen immer weiter in für den Bereich städtische Entwicklung in Asien. die Höhe klettern und die Angst vor dem Hunger Denn wer keine genehmigte Unterkunft hat, um sich greift, ist das Engagement von Tey Lopez erhält keine Ausweispapiere. Und wer keinen für viele überlebenswichtig geworden. Ausweis besitzt, tut sich schwer, medizinische Hilfe zu erhalten, seine Kinder an einer Schule Kein Ausweis, keine Arbeit, anzumelden, und hat jetzt in der Corona-Pandemie kein Essen – Hunger in kein Anrecht auf Essensrationen, die teilweise von staatlicher oder kommunaler Seite ver- der Stadt teilt werden. „Du existierst nicht“, beschreibt „Die Nachrichten, die uns seit Monaten von Schauber die Lebenswirklichkeit vieler armer unseren Projektpartnern erreichen, sind beun Menschen in asiatischen Millionenmetropolen ruhigend“, berichtet Markus Wolter, Experte wie Manila oder Mumbai. Und wer in diesem für die Bereiche Landwirtschaft und Ernährung Bewusstsein lebt, ist weit davon entfernt, seine bei MISEREOR. „Es wird immer ersichtlicher, Bürgerrechte einzufordern. dass sich im Schatten der Pandemie strukturelle Missstände und Ungerechtigkeiten im Ernäh- „Eat less, sleep less and work more“ lautet der rungsbereich vielerorts weiter verstärken.“ bezeichnende Titel einer Studie aus dem Jahr In Städten wie Manila etwa gibt es strenge Res- 2010 der „Bombay Urban Industrial League for triktionen, um das Coronavirus einzudämmen. Development“, die die Ernährungssituation in Die vom Militär überwachten Ausgangssperren den Armenvierteln von Mumbai analysiert. „Wir treffen arme Menschen am härtesten. Die meis- befürchten, dass sich das dort beschriebene ten haben kein festes Einkommen und verdingen Phänomen, also zu wenig Essen zur Verfügung sich als Tagelöhner*innen. Sie können kaum zu haben und für dieses unter prekären Bedin- Rücklagen bilden und so bestimmt der Verdienst gungen arbeiten zu müssen, in den Metropolen des Tages darüber, wie viel die Familien essen Asiens coronabedingt stark ausgeweitet und so- können. Drei Mahlzeiten am Tag können sie gar die breite Mittelschicht erreicht hat“, erklärt sich nicht leisten. Meist reicht das Geld nur für Schauber. Das ist ein Rückschritt im Kampf gegen eine winzige Portion Reis, dazu vielleicht ein den weltweiten Hunger. paar Gramm Linsen, die sie überteuert kaufen 10
Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt Ehrenamtliches Engagement: Tey Lopez verteilt Essensboxen an Manilas Bedürftige. Weil das Geld in den Familienkassen fehlt, ver- die Bodenfruchtbarkeit mit der Zeit nach, es stärkt sich neben der Mangelernährung auch werden immer mehr dieser Inputs notwendig die Fehlernährung. Denn aufgrund hoher Kosten und die Erträge sinken. So gerieten viele Fa- ● Fehlernährung für Kochenergie ist häufig das, was unter dem milien bereits vor der Corona-Pandemie in die breitet sich weiter Topf ist, teurer als das, was im Topf ist. Beson- Schuldenfalle. Diese gefährliche Abhängigkeit aus ders Kohle und Feuerholz sind in Städten teure hat sich jetzt noch verstärkt, da viele nationale Güter. In den Städten greifen deshalb viele zu und internationale Lieferketten zusammenge- ● Es braucht Streetfood, das von zahlreichen kleinen Garkü- brochen sind. langfristige chen angeboten wird. So können sie Menge und Strategien Qualität einer Mahlzeit exakt an das verfügbare MISEREOR unterstützt in dieser Notsituation Budget anpassen. Aber: Das Essen ist zwar Projektpartner beispielsweise in Indien, die günstig, aber oft viel zu salzig und zu fettig und Nahrungsmittelhilfe leisten und hungernde es enthält kaum Vitamine oder Mineralstof- Menschen mit dem Nötigsten versorgen. Doch fe. Fehlen diese, steigt das gesundheitliche es braucht langfristige Strategien, die verhin- Risiko. Es ist zu befürchten, dass sich daher als dern, dass es überhaupt zu solchen Notsitu- Folge der Corona-Pandemie die Anfälligkeit für ationen kommt. „Um die Abhängigkeit von Krankheiten weiter erhöht. Wer krank ist, kann nur einem Anbauprodukt und von entfernten nicht arbeiten und ist damit noch gefährdeter, Märkten zu verringern, ist es wichtig, dass die zu hungern. Und wer hungert, muss Langzeit- Bauernfamilien zusätzlich Landwirtschaft für ih- schäden fürchten. Kinder zum Beispiel leiden ren eigenen Bedarf betreiben und ihren Anbau infolge von Mangelernährung häufig unter diversifizieren. Und vielleicht ein wenig Geflü- Entwicklungsstörungen. gel oder eine Kuh halten, damit sie einen Nähr- stoffkreislauf aufbauen können“, sagt Rupp. Abhängigkeit, Monokulturen, Erstes Ziel ist es, unabhängiger zu werden und Schuldenfalle – Armut auf die Ernährung der eigenen Familie und der Dorf- gemeinschaft zu sichern. Je nach klimatischem dem Land in Asien Umfeld ist eine Kombination aus Eigenanbau Während Hunger in den Städten meist weniger und Erwirtschaftung von Einkommen sinnvoll, sichtbar ist, zeigt er sich auf dem Land deut- um in sogenannten Ungunstjahren – und dazu lich. Ausgerechnet Bauernfamilien und in der zählt die Corona-Pandemie – oder im Winter Landwirtschaft tätige Menschen sind betroffen. Lebensmittel zukaufen zu können. Hermann Rupp, MISEREOR-Referent für ländli- che Entwicklung in Asien, erklärt, was dahin- Vielfalt fehlt, Mangelernährung tersteckt: „Viele bäuerliche Familien sind sehr nimmt zu – Corona-Folgen spezialisiert. Sie bauen beispielsweise nur eine in Afrika einzige Feldfrucht wie Kaffee oder Zuckerrohr an. Für deren Anbau werden meist viele teure Durch strenge Eindämmungsmaßnahmen hatten sogenannte Inputs wie mineralische Dünger viele Länder Afrikas die Corona-Pandemie recht und synthetische Pestizide eingesetzt, damit lange erfolgreich in Schach gehalten. Der Erfolg der Ertrag möglichst hoch ausfällt.“ Durch diese war aber häufig teuer erkauft, wie eine Unter- intensiv bewirtschafteten Monokulturen lässt suchung1 durch MISEREOR in Subsahara-Afrika 1 Bosch, Tim: COVID-19-Observatorium. Auswirkungen der COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen auf ländliche Gebiete in Subsahara-Afrika, 2020. Zwischen Juli und November 2020 wurden für das Observatorium mehr als 200 Interviews in fünfzehn Regionen in Burkina Faso, Nigeria, Senegal, Südafrika und Uganda sowie in vier pastoralen Zonen in Äthiopien geführt. 11
Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt Freiwillige Köch*innen verwandeln regionales, frisches Gemüse in gesunde und leckere Mahlzeiten. zeigt: Als Folge der Corona-Krise hat sich die Menschen in ländlichen Regionen unter Wirbel ● Ernährungslage Ernährungs- und Lebenssituation der ländli- stürmen, Dürren oder Fluten, die die Nah- in Subsahara- chen Bevölkerung im Jahr 2020 dort erheblich rungsmittelproduktion immer mühseliger und Afrika verschlech- verschlechtert. Durch den Verlust vieler Einnah- kostspieliger machen. So stieg die Zahl der tert sich erheblich mequellen, eingeschränkte Mobilität und die Hungernden in Zentralamerika im vergangenen Schließung der Wochenmärkte verringerte sich Jahr von 2,2 Millionen auf fast acht Millionen das Einkommensniveau in den untersuchten an – fast ein Viertel davon ist dringend auf Nah- Regionen drastisch. Außerdem sanken die Ver- rungsmittelhilfe angewiesen. „Um die alarmie- kaufspreise, während Waren- und Transportkos- renden Zahlen zu senken, brauchen wir Ansätze ten stiegen. Im Untersuchungszeitraum wurde wie Agrarökologie oder den Agroforstanbau“, zudem deutlich, dass statt gesünderer Lebens- fordert Annette Roensch, MISEREOR-Referentin mittel vor allem solche mit hoher Kalorienzufuhr für Mexiko und Guatemala. Diese Methoden nachgefragt wurden. Fehlernährung wird also spiegeln die natürliche Vielfalt des lokalen voraussichtlich auch hier zum Problem. Ökosystems wider und können Dürren, Fluten und Wirbelstürmen besser trotzen, eine reich- Um nicht von den Erträgen einzelner Produkte haltige, regionale Ernährung sichern und das abhängig zu sein und gleichzeitig langfristig die Mikroklima der Region verbessern. Bodenfruchtbarkeit aufzubauen, wenden mehr und mehr Landwirt*innen in afrikanischen Allerdings haben gerade kleinbäuerliche Familien Ländern Methoden der Agrarökologie an. Misch und Indigene häufig keinen gesicherten Zugang anbau und Vielfalt sind auch hier die Schlüssel zu Land, auf dem sie etwas anbauen können. zur Ernährungssicherung. Denn viele ländliche Agrarunternehmen, Bergbau und große Infrastruk- Gebiete in Afrika kämpfen schon lange mit Nah- turprojekte machen ihnen Boden und Wasser ● Landraub rungsdefiziten und Krisen. Die Menschen spüren streitig. Der Landraub weitet sich im Schatten weitet sich im die negativen Folgen des Klimawandels am eige- der Corona-Pandemie dramatisch aus: Während Schatten der nen Leib: Das Wetter wird immer wechselhafter, Kleinbäuerinnen und -bauern unter den strikten Corona-Pandemie die Regenzeiten werden unzuverlässiger – und Ausgangs- und Reisesperren oft weder ihre Felder dramatisch aus damit auch die Ernten. Ohne sie gibt es kein Ein- bestellen noch kleine Überschüsse vermarkten kommen und keine gesicherte Ernährung. „Wenn konnten, gelang es den meisten großen wirt- die Weltgemeinschaft ihre CO2-Emissionen nicht schaftlichen Playern, sich weitgehend ungehindert drosselt, werden die Menschen in vielen Regio- weiteres Land anzueignen und Proteste zu unter- nen Afrikas mit den Folgen beispielloser Klima- binden. Einmal vertrieben, steht den Betroffenen veränderungen kämpfen. In vielen Teilen wird ein jahrelanger Prozess der Rückforderung über Trinkwasser knapp werden und Erträge werden Gerichte bevor, den die meisten nicht durchste- stark sinken, in manchen Regionen werden die hen. Und sie haben auch keine Zeit, auf ihr Land Lebensgrundlagen der ländlichen Bevölkerung zu warten: Wovon sollen sie in der Zwischenzeit verloren gehen“, so Dr. Sabine Dorlöchter-Sulser, leben? Deswegen arbeiten MISEREOR-Partner MISEREOR-Expertin für ländliche Entwicklung organisationen in Lateinamerika mit Betroffenen in Afrika. zusammen. Um die, die ihr Land schützen und verteidigen, besser gegen Drohungen und Angriffe Landraub und Extremwetter – zu wappnen. Und um Menschen, die ihr Land alarmierende Nachrichten bereits verloren haben, bei Gerichtsprozessen und im Kontakt mit Politik, Medien und Netzwerken aus Lateinamerika von Betroffenen zu unterstützen. Auch weite Regionen Lateinamerikas sind von Wetterextremen gebeutelt. Seit Jahren leiden 12
Wie Corona den Kampf gegen Hunger hemmt Innovative Anbaumethoden gegen Hunger ● Agrarökologie als gute Alternative Im Kampf gegen Hunger und Mangelernährung setzen MISEREOR-Projektpartner auf den agrar ökologischen Ansatz. Er setzt auf ökologischen Globale Krisen brauchen Anbau, natürliche Kreisläufe, Wiederverwendung weltweite Solidarität von Ressourcen sowie auf die Vermarktung durch und die politische Teilhabe von Kleinbäuerinnen Um Hunger und auch die Corona-Pandemie zu und -bauern. Dabei ist er eine Alternative zur bewältigen, müssen Menschen aus der Verein- intensiven chemisch-industriellen Landwirtschaft, zelung kommen, sich solidarisieren und gesell- die einen hohen Energie-, Material- und Finanz schaftliche Teilhabe und politische Verantwortung einsatz erfordert. einfordern. „Vielleicht ist das eine der wichtigsten Lehren, die wir aus der Corona-Pandemie und ● Agroforst – das Erfolgsgeheimnis des Waldes ihren dramatischen Folgen ziehen können: die In Lateinamerika arbeiten MISEREOR-Projekt- Wichtigkeit von gemeinschaftlichem Handeln“, partner gemeinsam mit bäuerlichen Betrieben mit fasst Markus Wolter zusammen. Überall auf der dem Agroforst-System, das den Stockwerkbau des Welt zeigen Initiativen, was sich gegen Hunger tun Regenwaldes simuliert: Auf verschiedenen Ebenen lässt – und wie man etwa die Versorgungslücke entsteht ein lebendiges System aus einjährigen zwischen Stadt und Land schließen kann, die es Kulturen, Stauden, Sträuchern und Bäumen. Auf diese in vielen Ländern gibt. Tey Lopez in Manila macht Weise lassen sich das ganze Jahr über Lebensmittel es vor. Außerdem können Gemeinschaftsküchen erzeugen. Das macht Familien unabhängiger, und -gärten helfen, etwa den Ausfall von Schul- ökonomische Probleme oder extreme Wetterereignisse speisungen aufzufangen. Doch das allein reicht können ihnen weniger anhaben. Denn wo in nicht aus. Eine Kombination vieler Maßnahmen der herkömmlichen Landwirtschaft Schädlinge, ist nötig. „Wichtig ist zum Beispiel die Unterstüt- Unkräuter und Pilze bekämpft werden, arbeiten zung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, der die Agroforstbäuerinnen und -bauern mit der Natur, Zugang zu sozialen Sicherungssystemen und die suchen in der Vielfalt ihre Verbündeten – und Stärkung derjenigen, die für eine faire Bezah- imitieren so das Erfolgsgeheimnis des Waldes. lung kämpfen“, so Wolter weiter. Mit Besorgnis ist zu beobachten, dass unter dem Vorwand der wirtschaftlichen Wiederbelebung nach der Corona-Pandemie in vielen Ländern die Rechte von Arbeiter*innen zurückgeschraubt werden. Hier geht es um die Verteidigung des Erreichten. ● Rechte von „Nahrung ist ein Menschenrecht“, fasst Wolter Arbeiter*innen zusammen. „Und das gilt nicht nur für diejenigen, werden geschwächt die wohlhabend sind. Corona ist ein erneuter Weckruf, dieses Recht für alle umzusetzen.“ 13
Für eine Welt ohne Hunger MISEREOR-EMPFEHLUNGEN Auf dem richtigen Weg nach 2030? Politik der vielen Schritte Bis zum Jahr 2030 soll kein Mensch mehr Hunger leiden Um das zu erreichen, muss das Menschenrecht auf Nahrung müssen. Das ist das zweite der 17 Ziele für nachhaltige Leitbild für eine stringente Politik der vielen Schritte auf Entwicklung (SDGs), auf die sich die Weltgemeinschaft allen Ebenen werden. 2015 bei der Pariser Klimakonferenz geeinigt hat. Heute, knapp neun Jahre vor 2030, sind wir weiter denn je davon WELTWEIT entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Um bis zu 161 Millionen Menschen ist die Anzahl der Hungernden im Pandemie- Misswirtschaft und Korruption HUNGERKR Jahr 2020 gestiegen. 650 Millionen Menschen hatten schon müssen überall angegangen I SE vorher nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung. Die Coro- werden. Dazu braucht es na-Pandemie hat die systematischen Ungerechtigkeiten beispielsweise eine starke im Ernährungsbereich offengelegt und bestehende Miss- parlamentarische Kontrolle und freie stände noch weiter verstärkt. Medien zum Monitoring der Arbeit der Regierun- gen. Zwingend notwendig ist es in vielen Fällen auch, die Recht auf Nahrung als Leitbild Teilhabemöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure an ge- samtgesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu stärken. Als Weltgemeinschaft ringen wir um die Bewältigung einer Betroffene müssen ihre Rechte vom Staat einklagen können. der größten und wichtigsten Aufgaben überhaupt: der Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung. Nahrung ist EUROPÄISCHE UNION Leben. Dass so viele Menschen hungern müssen, wo doch eigentlich genug Lebensmittel für alle vorhanden sind und Das Menschenrecht auf Nahrung muss Grundlage der produziert werden, ist ein Verbrechen. Um Ernährungs EU-Agrar- und Agrarhandelspolitik sowie der Entwick- sicherheit zu schaffen und dabei einer Welt ohne Hunger lungszusammenarbeit werden. Staaten müssen die näherzukommen, brauchen wir einen ganzheitlichen Möglichkeit haben, ihre landwirtschafts-, fischerei- und Ansatz, klare politische Rahmenbedingungen und den po- ernährungspolitischen Rahmensetzungen im Sinne der litischen Willen, diese umzusetzen. Dort, wo akuter Hunger Ernährungssouveränität selbst zu gestalten und beispiels- herrscht, muss Nahrungsmittelhilfe geleistet werden, um weise ihre Märkte vor gesamtgesellschaftlich schädlichen die größte Not zu lindern. Gleichzeitig müssen wir auf nati- Importen zu schützen. onaler, europäischer und internationaler Ebene eine behut- same Transformation der Ernährungssysteme auf den Weg bringen. Entlang der gesamten Kette, von der Nahrungspro- duktion bis auf die Teller, müssen der Zugang aller Men- schen zu einer ausgewogenen Ernährung, die ökologische Nachhaltigkeit sowie gerechte Beschäftigungsbedingungen und faire Einkommen für Erzeuger*innen im Vordergrund stehen. Und nicht allein wirtschaftliche Interessen und die Gewinnmaximierung einiger weniger. Und zwar hier und in den von Hunger betroffenen Ländern. 14
Für eine Welt ohne Hunger FÜR EINE WELT OHNE HUNGER DEUTSCHLAND In der Agrarpolitik ist ein kritischer Blick auf die eigene In der staatlichen Entwicklungspolitik sollte der „Food Produktion maßgeblich: Durch den globalen Handel erzeugt first“-Ansatz gelten: Unterstützte Projekte im Landwirt- die deutsche Nahrungsmittelerzeugung im Inland wie im schaftsbereich müssen zuerst vor Ort die Ernährung Ausland hohe Treibhausgasemissionen und verbraucht sichern, statt direkt Agroenergie große Flächen. Besonders viele Ressourcen benötigt zum ZERO HUNG oder Futtermittel zu fördern, die Beispiel die intensive Tierhaltung, während der Fleischkon- ER häufig in den Export gehen. sum in Deutschland die empfohlene Menge um etwa das Agrarökologie sollte als Doppelte überschreitet. Deshalb muss auch hierzulande die Förderschwerpunkt der staat- Transformation des Ernährungssystems schnell vorange- lichen Entwicklungszusammen- bracht werden. Dazu gehört zum Beispiel eine Förderung arbeit im Agrar- und Ernährungsbereich verankert werden. von agrarökologischen Ansätzen, eine schnelle und für Dafür braucht es systematische Investitionen in die regi- die Erzeuger*innen faire Reduzierung der Tierbestände und onale, nach agrarökologischen Prinzipien ausgerichtete Anreize zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung. Landwirtschaft. Auch die agrarökologische Beratung für Kleinbäuerinnen und -bauern sollte gestärkt werden. In der internationalen Zusammenarbeit sollten kleine, einheimische Betriebe gefördert werden, statt die Markt- macht internationaler Unternehmen weiter zu stärken. Die Marktbedingungen für Kleinbäuerinnen und -bauern sollten verbessert werden. Sie brauchen unter anderem Infrastruk- Was wir selbst tun können tur, um Obst und Gemüse richtig lagern und Nacherntever- luste reduzieren zu können. Diese machen ein Drittel der Weniger tierische Lebensmittel konsumieren: Denn Verluste aller essbaren Lebensmittel im Globalen Süden für die intensive Fleisch-, Milch- und Eierproduktion aus. Die Maßnahmen sollten die Umsetzung der UN-Erklä- in Deutschland werden große Mengen an Futtermitteln rung zu den Rechten von bäuerlichen Produzent*innen benötigt, die vielfach in agrarindustriellen Monokulturen und anderen Menschen im ländlichen Raum (UNDROP) in Südamerika produziert werden. 70 Prozent der anstreben, angefangen mit dem Recht auf Land (Artikel 17). globalen Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft entfallen auf die Tierhaltung. Bio- und fair gehandelte Produkte kaufen: Fairer Handel ist eine Möglichkeit zur Armutsbekämpfung. So bekommen Erzeuger*innen einen verlässlichen Absatzmarkt für ihre Produkte und wenigstens einen Mindestpreis, vielfach aber sogar einen Preis, der unter Umständen doppelt so hoch sein kann wie der Weltmarktpreis. Bio bedeutet, dass beispielsweise keine chemisch-synthetischen Pestizide angewendet werden dürfen, die die Gesundheit gefährden und teuer eingekauft werden müssen. Wenn alle an einem Strang ziehen, ist Hunger überwindbar!
„Auf dem Weg nach 2030 – wir stehen gemeinsam ein für eine Welt ohne Hunger.“ MISEREOR klimaneutral natureOffice.com | DE-077-367729 gedruckt
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